Lassiter Sammelband 1868 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sammelband 1868 E-Book

Jack Slade

0,0
4,49 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2485, 2486 und 2487.

Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 409

Veröffentlichungsjahr: 2024

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jack Slade
Lassiter Sammelband 1868

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2020 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2024 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © Sanjulian/Ortega

ISBN: 978-3-7517-6526-8

https://www.bastei.de

https://www.sinclair.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Lassiter Sammelband 1868

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Lassiter 2485

Blutmond über Carson City

Lassiter 2486

Das Tanzgirl und der Tod

Lassiter 2487

Ein heißer Job in Calico

Guide

Start Reading

Contents

Blutmond über Carson City

Als Penelope Copeland die Augen öffnete, wusste sie nicht, was sie geweckt hatte. Das Heulen eines Wolfes in den nahegelegenen Bergwäldern oder ein im Wind klapperndes Gatter? Beunruhigt richtete sie sich unter der Decke auf, und ihr Blick fiel automatisch nach links, doch neben ihr war das Bett leer. Ihr Gatte Victor war geschäftlich unterwegs und verbrachte die Nacht in Reno.

Ein Geräusch unterhalb des offenstehenden Fensters ließ sie herumfahren. »Ist da jemand?«, stieß sie ängstlich hervor und legte die Hand auf ihr nacktes Dekolleté. Keine Antwort, stattdessen wieder ein kratzender Laut an der Hauswand. Es klang wie ein Scharren an den Holzpaneelen. Sie schob die Füße aus dem Bett, richtete sich auf und ging zaghaft zum Fenster.

Die kühle Brise, die von draußen ins Zimmer strömte, ließ sie frösteln und brachte die Knospen ihrer Brüste dazu, sich unfreiwillig aufzurichten unter dem dünnen Leinenstoff des Nachthemds. Eine Bodendiele knarrte leise unter ihren nackten Fußsohlen, und Penelope zuckte unwillkürlich zusammen.

Sie schluckte, doch der Kloß in ihrem Hals weigerte sich beharrlich, zu verschwinden.

Normalerweise lag der Revolver ihres Mannes griffbereit in der Schublade des Nachttisches nur zwei Schritte links von ihr, aber sie erinnerte sich, wie Victor das Schießeisen am Morgen herausgenommen und in sein Holster gesteckt hatte, bevor er ihr einen Kuss auf die Wange gehaucht und nach unten verschwunden war.

»Ist da jemand?«, fragte sie noch einmal. »Hören Sie, ich bin bewaffnet! Hauen Sie lieber ab, sonst werden Sie’s bereuen.«

Wieder blieb die Frage unerwidert. Jetzt stand Penelope direkt vor dem Fensterbrett, und sie atmete zweimal tief durch, bevor sie sich ein Herz fasste und rasch aus dem Fenster hinausbeugte.

Um im nächsten Moment scharf die Luft aus den Lungen zu lassen.

Der Hof lag im hellen Licht des Vollmonds unter ihr und war menschenleer.

Ihre Blicke wanderten über den Einspänner, der mit hochgestellter Deichsel neben dem Tor stand, die Regentonne an der Hauswand und den überdachten Verschlag mit dem gestapelten Feuerholz hinweg zu den dunkelgrünen Schatten der Kiefern, die den Hof auf der anderen Seite begrenzten.

Als sie direkt an der Wand des Hauses hinabschaute, entdeckte sie auch den Grund für das verdächtige Schaben, das sie beunruhigt hatte: Eines der Bündel mit Reisig war auseinandergefallen, wohl, weil sich die Hanfbänder, mit denen sie zusammengebunden waren, gelöst hatten. Nun kratzten die trockenen Äste unten an der Traufe und den Paneelen wie hartnäckige Bettler.

Erleichtert zog sie sich ins Schlafzimmer zurück und schloss das Fenster. Es war ohnehin viel zu kühl im Raum. Victor bestand stets darauf, das Fenster wenigstens einen Spalt breit offen zu lassen in der Nacht, aber ihr Gatte war schließlich nicht hier, um missbilligend die Nase zu rümpfen, weil sie gemütlicher Wärme vor frischer Luft den Vorzug gab.

Seufzend fiel sie zurück auf die Kissen und zog sich die Bettdecke bis über den Hals. »Was bist du nur für ein Hasenfuß«, schalt sie sich selbst mit leiser Stimme und schloss die Augen.

Um sie nur zwei Minuten später wieder zu öffnen, als ein Geräusch von unten an ihre Ohren drang.

Das leise, verstohlene Knarren von Bodenbrettern unten in der Diele.

Penelope schüttelte langsam den Kopf. Nein, sie würde jetzt nicht aufstehen und runtergehen, auf gar keinen Fall.

Das Haus war alt, und seit zwei Tagen senkte sich das Thermometer stetig abwärts. Der Herbst stand vor der Tür, und es war völlig normal, dass das hölzerne Skelett ihres Heimes auf diese Temperaturschwankungen mit Ächzen und Stöhnen reagierte wie ein arthritischer Greis.

Vielleicht handelte es sich auch um Kasimir, ihren Kater, der von einem nächtlichen Ausflug heimgekehrt war und irgendwie einen Weg ins Innere des Hauses gefunden hatte.

Es knarrte noch einmal, diesmal direkt unter ihr in der Küche. Penelope drehte sich auf die Seite und schloss die Augen, entschlossen, dem kindischen Verlangen, sich Gewissheit zu verschaffen, nicht nachzugeben.

Tatsächliche kehrte Ruhe ein, und nach zehn Minuten döste Penelope allmählich zurück in den Schlaf.

Bis ein vernehmliches Quietschen von Scharnieren sie abermals weckte und im Bett hochfahren ließ.

»Jesus Christus«, murmelte sie erbost und wusste, sie würde keinen Schlaf mehr finden, wenn sie nicht nach unten ging und nachschaute.

»Kasimir, du gottverdammte Nervensäge. Dich werde ich lehren …«

Sie schlüpfte in ihre Pantoffeln und marschierte zur Zimmertür hinaus auf den schmalen Korridor, um am Treppengeländer herunter zu spähen. »Kasimir? Wo steckst du?«

Penelope griff nach einer Streichholzschachtel, riss eines der Hölzer an und entzündete damit den Docht der Petroleumlampe, die auf dem Tischchen neben der Schlafzimmertür stand. Sie nahm die Lampe am Haltegriff und stieg die Stufen der Treppe hinunter in die Diele.

Als sie die dunklen Schmutzflecken auf dem Läufer entdeckte, verengten sich ihre Augen, und ihr Puls schlug schneller.

»Kasimir?«, rief sie und hob die Lampe, um den zur Küche und dem Esszimmer führenden Korridor zu erleuchten.

Die Dreckspuren auf dem Teppich waren eigentlich zu groß für den Kater, und plötzlich hielt die Angst wieder ihr Herz umklammert.

Penelope musste sich zwingen, über den Flur voranzugehen. Unwillkürlich fiel ihr Blick auf den Schrank mit den Gewehren, der sich nur wenige Schritte vor ihr neben dem großen Spiegel befand.

Sie stellte die Lampe auf der niedrigen Kommode ab und starrte in das Halbdunkel der Küche.

»Kasimir?« Die eigene Stimme klang in ihren Ohren plötzlich fremd, wie ein furchtsames Reh, das ein Raubtier witterte.

Mit unsicheren Fingern öffnete sie die gläserne Tür der Waffenvitrine und nahm eines der Gewehre heraus, eine handliche Sharps-Rifle, von der sie wusste, dass sie stets geladen war.

Als sie das kühle Metall der Waffe in ihren Händen spürte, beruhigte sie sich ein wenig.

Dann ertönte wieder das leise Quietschen, und sie zuckte unwillkürlich zusammen.

Das war die Hintertür, die vom Stall aus in Victors Arbeitszimmer führte. Und Penelope war sicher, die Tür am Abend noch fest verschlossen zu haben.

Nun ja, ziemlich sicher. Der Riegel schloss nicht mehr richtig, und vielleicht hatte eine Windböe die Tür aufgedrückt.

»Himmel …«, wisperte sie tonlos und brachte die Rifle in den Hüftanschlag.

Victor hatte ihr den Umgang mit dem Gewehr beigebracht, aber wenn man mitten in der Nacht darauf gefasst sein musste, von der Waffe ernsthaft Gebrauch zu machen, war das etwas anderes, als auf Büchsen oder Flaschen zu feuern.

Den Lauf voran gestreckt, ging sie langsam den Flur entlang bis zum Eingang der Küche. Erst von dort aus kam man ins Esszimmer und dann weiter zum Arbeitszimmer von Victor.

Die Sharps schwankte ein wenig in ihren Händen, als sie die Küche betrat und sich hastig umsah.

Nichts. Kein Kasimir, aber auch kein Einbrecher.

Neben dem Spülbecken trocknete Geschirr auf der Anrichte, und im fahlen Licht des Mondes schimmerte das Porzellan wie polierte Gebeine. Sie wandte sich nach rechts und schaute durch den offenen Durchgang ins Esszimmer.

Auch dort schien alles so zu sein, wie es zu erwarten war. Die weiße Tischdecke, sechs Stühle ordentlich angeordnet, in der Mitte der vergoldete Kerzenleuchter, ein Erbstück ihrer verstorbenen Mutter. Ansonsten nichts als Stille. Fast schon glaubte Penelope, sich die Geräusche nur eingebildet zu haben, als die Hintertür abermals leise quietschte.

Sie presste die Lippen aufeinander, trat ins Esszimmer und nahm sofort die Tür zu Victors Arbeitsraum in den Blick.

Sie war nur angelehnt und knarrte leise, als Penelope sich ihr näherte. Allmählich mutmaßte sie, dass das Haus selbst ihr Streiche spielte.

Unmittelbar vor der Tür hielt sie einen Moment inne, bevor sie sie mit dem Lauf der Rifle beherzt aufstieß und sofort danach das Gewehr hob.

Der schwere, massige Schatten von Victors Schreibtisch erhob sich vor ihr in der Mitte des Raumes, flankiert von Regalen, die bis zur Decke reichten. Die Vorhänge hinter dem Tisch waren zugezogen, doch durch den Spalt der offenen Tür fiel ein Keil aus Mondlicht auf die Bodendielen und den Teppich.

Ein leises Ächzen entrang sich Penelopes Brust, als sie stoßweise die Luft ausstieß. Es war ein Laut der Erleichterung, denn auch hier befand sich niemand. Außer einem zerzausten Bündel dicht vor der Hintertür.

Sie trat näher und beugte sich hinab, bevor sie angewidert die Lippen verzog und erkannte, um was es sich handelte: ein nächtliches Geschenk von Kasimir.

Die junge Krähe hatte einen gebrochenen Flügel, und der war ihr wohl zum Verhängnis geworden. Ob der Vogel aus dem Nest gefallen oder sich von einer Spiegelung hatte täuschen lassen und gegen eine der Fensterscheiben geflogen war – wie auch immer, offensichtlich hatte sich der Kater die leichte Beute nicht entgehen lassen und das Tier nach allen Regeln der Kunst auseinandergenommen, bevor er den Kadaver auf dem Teppich drapiert hatte.

»Kasimir, du Widerling«, murmelte sie und schürzte die Lippen, als ihr Blick auf die toten Augen des kleinen Vogels traf. Sie richtete sich auf und stupste den reglosen Körper leicht mit ihrem Pantoffel an.

Sobald Victor zurück war, musste sie ihn ermahnen, endlich diese vermaledeite Tür reparieren zu lassen. Wenn es selbst einem Kater gelang, sie zu öffnen, war das eine Einladung für gefährlichere Eindringlinge.

Wie auch immer, ihr würde nichts anderes übrig bleiben, als die sterblichen Überreste der Krähe zu beseitigen und danach einen Stuhl vor die Tür zu stellen. Denn Kasimir wollte sie vorerst nicht mehr im Haus haben. Das Mistvieh sollte nicht auch noch belohnt werden für seine zweifelhafte Liebesgabe.

Als sie sich umwenden wollte, legte sich unvermittelt ein Arm um ihren Hals und riss sie mit einem Ruck nach hinten.

Der Angriff kam derart unvermittelt und brutal, dass Penelopes Herz für einen Moment aussetzte und sie vergaß, zu atmen.

Erst der kräftige Tritt in ihre Nieren brachte sie dazu, japsend nach Luft zu schnappen. Doch der heiße Schmerz sorgte auch dafür, dass sich ihre Finger öffneten und die Rifle mit einem dumpfen Laut zu Boden fiel.

»Was bist du nur für ein Dummchen«, flüsterte eine Stimme an ihrem Ohr, und sie riss panisch die Augen auf. »Rennst geradewegs in die Falle wie ein Rehkitz. Versteh einer die Frauen … eben noch benehmen sie sich wie Königinnen und glauben, alles besser zu wissen, und im nächsten Moment sind sie dämlicher als ein blökendes Schaf.«

Der Unbekannte hatte ihren Hals mit stählernem Griff umschlossen und zerrte sie bis an den Schreibtisch. Penelope war vor Panik wie gelähmt. Sie wollte sich wehren, doch ihr Körper schien keine Verbindung mehr zu ihrem Hirn zu haben. Arme und Beine fühlten sich auf einmal taub an und hingen an ihr herab wie tot.

Vage spürte sie, wie der Fremde ihr erst über den Busen, dann über den Bauch streichelte. Und dass diese Hand nicht leer war, sondern etwas umklammert hielt.

Etwas Kaltes, Scharfes.

Penelope wimmerte und begann, unkontrolliert zu zittern. Das schien ihrem Peiniger zu gefallen, denn er kicherte leise. Seine Stimme klang seltsam unnatürlich, als würde er sie verstellen und dabei übertreiben wie ein schlechter Schauspieler. Dennoch hatte sie das Gefühl, sie zu kennen.

»Bitte, ich … Sie …«, stammelte Penelope, als sie die Erregung des Mannes an ihrem Hintern spürte. »Lassen Sie mich am Leben, ich flehe Sie an! Tun … Sie, wonach Ihnen wohl der Sinn steht, aber … töten Sie mich nicht.«

Er lachte, doch seine Stimme klang nicht amüsiert. Es hörte sich an wie das Klagen einer gequälten Seele, die um Erlösung bat. Und das war weitaus schlimmer für Penelope, als hätte der Kerl ein lüsternes Lachen ausgestoßen. Denn der Klang seiner Stimme verriet ihr, dass der Mann, der sie in ihrer Gewalt hatte, nicht so einfach zu nehmen war.

Penelope hob den Kopf, doch sein Griff wurde sofort wieder fester. Sie roch Leder und Schweiß.

»Bitte …«, brachte sie mühsam hervor. »Was wollen Sie denn sonst? Tun Sie es doch einfach …«

»Später vielleicht«, flüsterte er, und sie spürte, wie die Messerspitze sich sanft in ihren Bauch bohrte.

Penelope schrie auf, und in einem verzweifelten Akt der Selbsterhaltung nahm sie alle Kräfte zusammen, hob ihren Arm und rammte dem Mann hinter ihr den Ellenbogen mit voller Wucht in den Magen.

Ein dumpfes Grunzen war die Antwort, und tatsächlich lockerte sich der Griff des Unbekannten für einen Moment. Mit einem Triumphschrei löste Penelope sich aus der Umklammerung und sprang nach vorn.

Drei Schritte bis zur Tür. Ihre Augen waren zu großen Kreisen aufgerissen, als sie die Hand vorstreckte, nach der Türklinke griff und in das Esszimmer stürzte. Sie wirbelte herum, und es gelang ihr tatsächlich, in derselben Bewegung die Tür zuzustoßen.

Fast.

Der dunkle Schatten war direkt hinter ihr und schob die zufallende Tür so mühelos beiseite wie einen fadenscheinigen Vorhang. Penelope wich heulend in Richtung Küche zurück und hob abwehrend die Hände. Unter ihren Füßen warf der dünne Teppich Falten auf den polierten Dielen, sie rutschte weg und geriet ins Stolpern.

Hart schlug sie mit dem Hinterkopf auf und sah sekundenlang Sterne. Als sie blinzelnd zum Fenster schaute, bewegte sich dort ein schwarzer Schatten, und kurz darauf starrte Kasimir ihr aus gelben Augen entgegen.

Der Unbekannte ließ sich schwer auf sie fallen, und als er den Arm hob, sah Penelope nicht mehr den Kater, sondern eine lange, unheilvoll im einfallenden Mondlicht glänzende Messerklinge.

»Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu«, zischte ihr Mörder, und Penelope schloss die Augen.

Es dauerte länger, als sie gehofft hatte.

Drei Monate später

Das Summen der Insekten, die über der klaffenden Wunde des Kadavers einen wilden Tanz aufführten, war so laut wie ein geschäftiger Bienenstock. Sheriff Mat Ambrose wedelte die Schmeißfliegen fort – eine Geste, deren Wirkung von sehr kurzer Dauer war – und presste die Lippen zu einem Strich zusammen.

»Wann ist das hier passiert, Roddy?«, wandte er sich an den Farmer, der zwei Schritte entfernt stand, die Daumen hinter den Gürtel gehakt hatte und düster vor sich hinstarrte.

Roddy McDougall spuckte einen dunkelbraunen Strahl Kautabak in das kniehohe Gras der Weide. »Muss heute Nacht gewesen sein, Sheriff. Gestern Abend war noch alles in Ordnung, als ich hier oben nach dem Rechten gesehen habe. Jetzt sind meine fünf besten Rinder fort, und diese Bastarde schlachten das sechste einfach so ab, als würde es nicht reichen, mir das Vieh zu stehlen.«

Ambrose nickte grimmig. Das Jungtier, dem die Viehdiebe den Hals aufgeschlitzt hatten, wirkte in der Tat wie eine grausame Verhöhnung. Vor allem, wenn man die Schmierereien zur Kenntnis nahm, die auf der Bretterwand des Unterstands neben dem Gatter hinterlassen und offenbar mit dem Blut des toten Tieres geschrieben worden waren.

»Sieht aus wie die Tat eines Irren«, knurrte McDougall und rieb sich bestürzt über den graumelierten Vollbart. »Meinen Sie, das hat etwas mit den Frauenmorden zu tun?«

»Das«, erwiderte Ambrose und ließ seinen Blick nachdenklich über die Weide wandern, bis er auf den Gebäuden der Stadt unten im Tal liegen blieb, »scheint mir etwas weit hergeholt, Roddy.«

McDougall bewegte den Kopf in Richtung der blutigen Malereien auf der Wand. »Können Sie damit etwas anfangen? Buchstaben erkenne ich jedenfalls keine darin.«

Der Sheriff war sich nicht sicher, ob McDougall des Lesens überhaupt mächtig war, dennoch hatte er recht. Bei den Linien und Kreisen handelte es sich nicht um Schrift im hergebrachten Sinne. Er kratzte sich am Hals und zuckte die Achseln. »Sinnloses Geschmiere scheint es aber auch nicht zu sein. Sieht mir aus wie irgendwelche Symbole.«

»Vielleicht stecken ja die Rothäute dahinter«, brummte McDougall und wackelte mit den buschigen Augenbrauen. »Wäre nicht das erste Mal, dass die Ärger machen.«

»Das ist fast zwei Jahre her, Roddy«, widersprach der Sheriff und warf dem Farmer einen mahnenden Blick zu. »Und da hat Danny Hayes ihnen verdorbenes Getreide angedreht. Eines ihrer Kinder wäre damals fast gestorben.«

»Sie haben Hayes die Scheiben eingeworfen und seinem Sohn den Arm gebrochen!« McDougall legte empört die Stirn in Falten und war unwillkürlich etwas lauter geworden.

»Der junge Hayes ist mit einem Beil auf die Indianer losgegangen«, erwiderte Ambrose. »Außerdem war der Arm nicht gebrochen … Himmel, Roddy, wer erzählt bloß so einen Scheiß? Danny Hayes hat sich geweigert, den Paiute ihr Geld zurückzugeben, obwohl Richter Loxley ihn dazu verdonnert hat. Schätze, da wärst du auch auf die Barrikaden gegangen.« Er breitete in einer ebenso umfassenden wie unbestimmten Geste die Arme aus. »Das hier sieht jedenfalls anders aus.«

Eindringlich nahm der Sheriff sein Gegenüber in den Blick. »Hattest du vor kurzem mit irgendjemandem Ärger, Roddy? Etwas, das mir entgangen ist?«

McDougall starrte ihn entrüstet an. »Blödsinn! Mit wem sollte ich streiten?«

»Keine Ahnung, sag du’s mir.«

»Da gibt es nichts zu sagen!«

»Was ist mit Victor Copeland? Ihr habt euch schon öfter wegen der Wasserrechte in den Haaren gehabt, oder nicht?«

McDougall verschränkte die Arme vor der Brust und zuckte die Achseln. »Ihr Schwager und ich haben uns längst geeinigt, Sheriff. Wenn Sie mir nicht glauben, können Sie ihn ja selbst fragen.« Er grinste humorlos. »Falls Sie ernsthaft denken, dass Copeland auf die Idee kommt, mir nachts mein Vieh zu stehlen und eins davon abzustechen.«

Ambrose winkte ab, denn das dachte er natürlich nicht.

»Besser, du kümmerst dich bald darum, den Kadaver zu entsorgen.« Er nickte in Richtung des Bachs, der nur wenige Schritte entfernt am Rand der Weide verlief. »Nicht, dass unser gutes Quellwasser Schaden nimmt.«

Mürrisch, aber gehorsam tippte sich McDougall an die Krempe seines verschossenen Hutes, und Ambrose ließ ihn stehen. Er stapfte den Hang hinauf durch das offene Gatter und löste die Zügel seines Appaloosa, als er sich nähernden Hufschlag vernahm und zur Poststraße aufblickte.

Ein Reiter kam von Westen her auf ihn zu, und er führte sein Pferd zur Piste hinauf, bevor er dem Ankömmling neugierig entgegensah. Seine Miene hellte sich auf, als er den Mann im Sattel erkannte.

»Lassiter!«

Der Brigadeagent zügelte sein Reittier und grinste, bevor er aus dem Sattel glitt und die beiden Männer sich herzlich umarmten.

»Ich hätte nicht erwartet, schon eine Meile vor der Stadt begrüßt zu werden«, sagte Lassiter schmunzelnd. »Nicht, dass ich mich nicht darüber freuen würde, aber es scheint mir ein wenig übertrieben.«

»So eingebildet wie eh und je«, knurrte Mat Ambrose mit einem schiefen Grinsen. »Ich muss dich enttäuschen. Ich bin aus einem weit weniger erfreulichen Grund hier.«

Als der Sheriff zur Weide herunter zeigte, folgte Lassiters Blick dem ausgestreckten Arm des Sternträgers, und er runzelte die Stirn. »Was ist denn da passiert?«

»Viehdiebe haben sich heute Nacht hier herumgetrieben. Aber sie haben es nicht beim Diebstahl von fünf Rindern belassen. Das sechste wurde regelrecht massakriert.«

»Ein Zwist zwischen Ranchern?«, fragte Lassiter, während er aus verengten Augen die blutigen Zeichen auf dem Unterstand betrachtete.

»Das halte ich für eher unwahrscheinlich«, erwiderte Ambrose und musterte Lassiter, weil ihm dessen nachdenkliche Miene nicht entgangen war.

»Diese Symbole an der Wand«, brummte er, »sagen die dir etwas?«

Lassiter schob sich den Stetson in den Nacken, bevor er langsam nickte. »Schon möglich. Sie erinnern an Zeichen, die von Indianern benutzt werden; als Kriegsbemalung, aber auch bei bestimmten Ritualen.«

»Von den hiesigen Paiute?«

Lassiter sah ihn an und schüttelte den Kopf. »Nein, eher von Stämmen der Schoschonen aus dem Nordosten, würde ich meinen. Aber ich bin kein Experte, Mat – also kann ich mich auch irren.«

»Seltsam«, murmelte Ambrose, doch dann bemühte er sich um ein Lächeln. »Aber darüber können wir später noch reden. Du musst geritten sein wie der Teufel, wenn du jetzt schon vor mir stehst. Laut deinem Telegramm hätte ich erst morgen mit dir gerechnet.«

»Ich hab den Zug über den Donnerpass bis nach Reno genommen«, antwortete Lassiter und klopfte seinem Braunen auf den Hals. »Von da aus hat mich der Bursche hier tatsächlich in Windeseile nach Carson City gebracht. Die Poststraße ist in bestem Zustand, wie ich feststellen durfte.«

»Zweifellos, Gouverneur Browning sei Dank«, sagte Ambrose. »Trotz alledem musst du hungrig sein. Wie wäre es mit einem saftigen T-Bone-Steak und dem, was man da immer so drum herum drapiert?«

»Klingt nach einer verflucht guten Idee.«

»Lassen Sie es sich schmecken, Gentlemen«, sagte Sally Bowles und stellte die Teller auf dem Tisch ab, während sie einen kurzen Blick zur Mainstreet hinaus warf.

Wo zur Hölle blieb Trisha schon wieder?

Stirnrunzelnd eilte sie hinter den Tresen zurück und gab ihrer unzuverlässigen Aushilfe eine letzte Gnadenfrist von fünf Minuten. Danach war endgültig Schluss. Ob sie nun Geralds Tochter war, dem immerhin vierzig Prozent ihres Saloons – dem Bow and Arrows Inn – gehörte oder nicht; irgendwann war die Grenze ihrer Geduld auch mal überschritten.

»Was ist denn jetzt mit meinem Sandwich, Sally?«, ließ sich eine Stimme vom Ende der Theke her vernehmen, doch als sie deren Besitzer einen kurzen Blick zuwarf, blickte sie ungeachtet der quengelnden Worte in ein blasses, aber freundliches Gesicht.

Sie hob entschuldigend die Hand. »Sorry, Malcolm. Dich habe ich doch glatt vergessen. Ich kümmere mich sofort darum, okay?«

Malcolm Lawry, der wie üblich im dunklen Winkel neben dem kaputten automatischen Klavier saß, zuckte ergeben die Achseln. Er rieb sich die geröteten, offenbar entzündeten Stellen über dem Hemdkragen und zwinkerte Sally zu. »Macht doch nichts, Sally. Stammkunden kann man ruhig ein wenig schlechter behandeln als Fremde auf der Durchreise. Unsereins kommt schließlich trotzdem immer wieder, nicht wahr?«

Sally beschloss, die Spitze zu ignorieren. »Noch ein Bier, Malcolm?«, schlug sie stattdessen vor und rang sich dabei ein Lächeln ab.

Der Sohn des Apothekers griff sich an den Hemdkragen, zog seine blutrote Krawatte zurecht und schürzte die Lippen, bevor er gnädig nickte.

»Warum nicht?«

Sie schob einen Krug unter den Zapfhahn und nickte der Runde Farmarbeiter, die vorn am runden Tisch saßen und ihr zuwinkten, zerstreut zu. Als ihr Blick wieder zum Fenster fiel, blies sie in einer Mischung aus Erleichterung und Ärger scharf die Luft aus, denn Trisha eilte daran vorbei.

»Sorry, Miss Bowles«, brachte das junge Mädchen nur eine Minute später atemlos hervor, und ihre Wangen waren gerötet, als sie hinter den Tresen trat.

»Tante Diana hat gestern viel zu viel von ihrem eigenen Kuchen gegessen, und jetzt muss sie dauernd auf die Toilette! Sie wissen ja, das schafft sie nicht allein, deshalb musste ich ihr beistehen, und«, Trisha sog scharf die Luft ein und rollte mit den Augen, »das war kein Vergnügen, das dürfen Sie mir glauben.«

Sally taxierte ihre Angestellte mit einem Blick, von dem sie hoffte, dass er dem Mädchen wenigstens kurzzeitig ein schlechtes Gewissen bereiten würde. Doch erstens musste sie der jungen Dame zugestehen, dass sie um originelle Ausreden für ihr Trödeln nie verlegen war, und zweitens war gerade keine Zeit für ausgedehnte Standpauken.

»Hinten stapelt sich das Geschirr«, sagte sie deshalb mit strenger Stimme. »Aber vorher machst du Malcolm sein Sandwich.«

Sie nahm das volle Bier und sah, wie Malcolm abwehrend die Hände hob. »Bitte, Sally. Ich möchte wirklich, dass Sie mir mein Sandwich zubereiten.«

Sie schob Trisha beiseite und ging zu Malcolm, um das Bier vor ihm abzustellen. Danach legte sie beide Unterarme vor dem jungen Burschen auf die Tresenplatte und grinste schmal.

»Trisha hat dir schon ein halbes Dutzend Male dein Sandwich zubereitet, Malcolm. Es ist nicht kompliziert: Zwiebeln, Senf, Roastbeef und Sauerrahm. Gab es mal Grund zur Klage?«

Malcolm richtete sich auf, hob seinen Bierkrug und stellte ihn wieder ab. Ein gutes Dutzend Pusteln leuchteten an seinem Hals inmitten einer krebsroten Fläche. Sally vermutete, dass der junge Mann sich seit kurzem rasierte und wohl ein Tonikum verwendet hatte, das seiner Haut nicht bekam.

»Ihres ist besser, Sally«, erwiderte er und schob trotzig das Kinn vor.

»Willst du ein Sandwich, ja oder nein?«, knurrte Sally.

Malcolm zögerte, bevor er nickte und sich seine bleiche Stirn in Falten legte. Sally bemerkte einen dunklen Fleck auf der Krawatte des jungen Mannes und fragte sich nicht zum ersten Mal, warum Malcolm überhaupt einen Schlips trug.

»Okay, dann trink dein Bier und halt die Klappe.«

Sally wandte sich um und nickte Trisha auffordernd zu. Als das Mädchen endlich ihren Hintern in Bewegung setzte, knarrten die Schwingtüren, und Sally sah, wie Sheriff Mat Ambrose in Begleitung eines Fremden den Schankraum betrat.

Neben dem schlaksigen Ambrose, der vermutlich sieben Fuß vom Scheitel bis zur Sohle maß, aber immer ein wenig gebeugt durch die Gegend ging, als wäre er zu oft mit dem Kopf angestoßen, wenn ein Eingang nicht seinen Körpermaßen entsprach, wirkte der Unbekannte weniger groß, als er war. Doch die hochgewachsene Gestalt und der muskulöse Körper, der sich so geschmeidig und selbstbewusst wie eine Raubkatze bewegte, war ohnehin nicht entscheidend dafür, dass sich in Sally unwillkürlich ein warmes Kribbeln ausbreitete.

Es waren die eisblauen Augen, die sie zu durchdringen und bis tief in ihre Seele zu blicken schienen. Der Blick des Fremden gab ihr das völlig surreale Gefühl, auf einmal splitternackt zu sein.

Sallys Augenbrauen hoben sich, und sie straffte unbewusst die Schultern, während die Burschen am runden Tisch binnen eines Augenblicks aus ihrem Bewusstsein verschwanden.

»Sheriff Ambrose, … Sir …«, sagte sie und setzte ein strahlendes Lächeln auf. »Was kann ich für Sie tun?«

»Darf ich vorstellen: Sally Bowles, die Chefin des Hauses, in dem man die besten Steaks von ganz Carson City bekommt«, Ambrose nickte bekräftigend, »und der Bursche hier ist einer meiner ältesten Freunde und wird Lassiter genannt.«

Der Brigadeagent zog höflich den Stetson und erwiderte Sally Bowles strahlendes Lächeln, wobei ihm der eindringliche Blick, mit dem sie ihn musterte, nicht entging.

»Freut mich, Sie kennenzulernen, Miss Bowles.«

Das war zurückhaltend formuliert, denn die aparte Besitzerin des Bow and Arrows Inn bot einen Anblick, der sein Herz postwendend ein wenig schneller schlagen ließ: große, dezent geschminkte Augen, eine schmale, leicht geschwungene Nase und volle Lippen in einem herzförmigen, fein geschnittenen Gesicht, das von kupferfarbenem Haar umrahmt wurde. Darunter ein Körper, dessen üppige Kurven von einem zwar hochgeschlossenen, aber eng geschneiderten Kleid aufs Vortrefflichste betont wurden. Lassiter war seit langem keiner solchen Schönheit mehr begegnet.

Sie reichte ihm die Hand, und er ergriff sie.

»Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite«, erwiderte Sally Bowles. »Wenn Mat schon so kräftig die Werbetrommel rührt, hoffe ich doch, Sie sind hungrig. Nur, damit ich mich seiner Lobhudelei wenigstens halbwegs würdig erweisen kann.«

Lassiter grinste breit und ließ ihre Hand nur zögernd los. »Darauf dürfen Sie wetten, Miss Bowles …«

»Sally, bitte«, sagte sie. »Also zweimal Steak mit Bratkartoffeln und Bohnen?«

»Und zwei große Bier, wenn’s recht ist«, ergänzte Mat Ambrose und nickte Sally zu, bevor er Lassiter die Hand in den Rücken legte und ihn zu einem der Tische vor den Fenstern schob.

»Du scheinst dich kaum verändert zu haben, alter Schwerenöter«, raunte der Sheriff Lassiter zu, als sie Platz genommen hatten.

In gespielter Überraschung hob Lassiter die Augenbrauen. »Keine Ahnung, wovon du sprichst … aber meine Augen funktionieren noch sehr gut. Und Miss Bowles, ich meine Sally, ist ja nun wirklich eine Augenweide.«

Ambrose grinste schief. »Dem kann ich nicht widersprechen.«

»Apropos«, sagte Lassiter, »wann lerne ich deine Frau kennen? Wie lange seid ihr jetzt verheiratet? Drei, vier Jahre? Himmel, dass ich es seitdem nicht einmal geschafft habe, dich hier zu besuchen …«

Lassiter verstummte, als er erkannte, wie Ambrose das Gesicht verzog, als hätte er unvermittelt Zahnschmerzen bekommen.

»Stimmt was nicht, Mat?«, fragte er, und sein Gegenüber zuckte verdrossen die Achseln.

»Florence ist für ein paar Wochen zu ihren Eltern nach Reno«, erklärte er und blickte auf, als ein junges Mädchen sich ihrem Tisch näherte.

»Vielen Dank, Trisha«, sagte er zu der Bedienung, als sie die Bierkrüge abstellte, doch sein Lächeln wirkte nun fadenscheinig. Er nahm einen langen Schluck, während Lassiter ihn aufmerksam musterte.

»Eheprobleme?«, fragte er vorsichtig, und der Sheriff wog den Kopf von einer Seite zur anderen.

»Eigentlich ist es etwas komplizierter. Mir scheint, du hast in den letzten Wochen keine Zeitung gelesen. Oder ist die Geschichte vom Nachtmahr noch nicht bis zu den Gazetten jenseits der Sierra Nevada vorgedrungen?«

Darauf konnte Lassiter nur ratlos den Kopf schütteln.

Ambrose seufzte. »Verstehe. Dann werde ich es dir wohl erklären müssen. Die Sauerei da oben auf McDougalls Weide ist nämlich beileibe nicht mein einziges Problem. Eigentlich nimmt sich das gegen den Nachtmahr sogar fast wie eine Bagatelle aus.«

Lassiter griff nach seinem Bier und trank einen kräftigen Schluck. In Mat Ambrose Augen glomm ein unheilvolles Feuer, und er hatte das Gefühl, sich wappnen zu müssen.

»Erzähl mir, um was es geht, Kumpel.«

Das tat der Sternträger, wenn auch zögerlich und mit gesenkter Stimme, als würde er Verbrechen gestehen, für die er persönlich verantwortlich war.

»Angefangen hat es vor knapp drei Monaten. Mit Penelope … Penelope Copeland. Ihr Mann war auf Geschäftsreise, und der Hurensohn, den der Carson City Herald zum »Nachtmahr« getauft hat, wird wohl durch die Hintertür in ihr Haus eingedrungen sein. Penny hat ihn vermutlich gehört, ist aus dem Bett gestiegen, um nach dem Rechten zu sehen, und dann hat er sie erwischt.«

Ambrose schüttelte den Kopf und fuhr sich über das graumelierte, militärisch kurz geschorene Haar. »Sie hatte ein Gewehr aus dem Schrank genommen, also muss sie geahnt haben, dass ein Eindringling im Haus war. Aber das hat ihr nichts genützt. Er hat ihr die Kehle aufgeschlitzt und sie dann vergewaltigt, als sie vermutlich bereits im Sterben lag. Danach hat er wie im Blutrausch auf sie eingestochen.«

Ein Ächzen unterbrach den Bericht des Sheriffs. »Sechzehn Stichwunden haben wir im Brustbereich und Unterleib gezählt. Diese Bestie hat Penny regelrecht abgeschlachtet.«

Lassiter öffnete die Lippen zu einer Erwiderung, doch Mat Ambrose hob die Hand und brachte ihn damit zum Schweigen.

»Ich bin noch nicht fertig, Lassiter. Gott steh uns bei, aber das ist es nicht gewesen. Das zweite Opfer hieß Heather Blondsdale – die Witwe von William Blondsdale, dem Gerber.« Der Sheriff kaute auf seiner Unterlippe, während er über Lassiters Schulter hinweg ins Leere starrte. »Das Haus der Blondsdales liegt am Stadtrand, etwas abgeschieden. Vielleicht war das der Grund, warum der Nachtmahr sie ausgesucht hat. Es passierte wieder mitten in der Nacht, vor etwa acht Wochen. Und so, wie wir die Tote aufgefunden haben, war die Blutgier des Killers durch den Mord an Penelope nicht gestillt worden, im Gegenteil.«

Ambrose holte Luft und legte die Stirn in tiefe Falten. »Was ebenso für Opfer Nummer Drei gilt, Gretchen Schiefer. Miss Schiefer war keine Einheimische, sie war nur in Carson City, um ihrer sterbenskranken Großmutter in deren letzten Tagen beizustehen. Wieder dasselbe Gemetzel wie bei Penny und Heather Blondsdale. Doc Griffey hat sie frühmorgens auf der Veranda gefunden, als er nach der alten Mrs. Abercrombie und ihrer Enkelin sehen wollte. Es hatte den Anschein, als wäre sie dem Nachtmahr fast entkommen, bis er sie dann doch noch zu fassen bekam.«

Der Sheriff stützte das Kinn auf seine gefalteten Hände und sah Lassiter mit düsterer Miene an. »Diese dritte Tat ist jetzt knapp vier Wochen her, und du darfst mir glauben, dass ich alles getan habe, um diesem kranken Hurensohn endlich auf die Spur zu kommen. Aber«, er warf die Hände in die Luft, »ich habe buchstäblich nichts! Keine Anhaltspunkte, keinen Verdächtigen; keine Idee, was ich noch tun könnte.«

»Ein Serienmörder hier in Carson City?« Ungläubig runzelte Lassiter die Stirn. »Ich habe mal gehört, das sei die friedlichste Stadt in ganz Nevada.«

»Diese schmeichelhafte Bezeichnung gehört wohl ein für alle Mal der Vergangenheit an«, entgegnete Ambrose. »Genauso, wie ich die längste Zeit Sheriff gewesen bin, wenn ich dieses Monster nicht bald zur Strecke bringe.«

Eindringlich nahm Lassiter seinen Freund in den Blick. »Hat deine Frau, ich meine, hat Florence dich etwa deshalb verlassen? Was hat sie mit …«

»Penelope war ihre Schwester«, fiel ihm Ambrose ins Wort, und Lassiter sah, wie sich die Kiefermuskeln des Sheriffs unter der Haut bewegten. »Ihre Zwillingsschwester, verstehst du? Sie standen sich sehr nahe, und natürlich hat sie von mir erwartet, dass ich Pennys Mörder schnellstens dingfest mache. Als mir das nicht gelang und dieses Tier stattdessen weiter mordete, da hat sie …« Er senkte den Blick, und Lassiter sah, wie sich die langen, feingliedrigen Finger des Sheriffs um den Bierkrug verkrampften, als wolle er ihn erwürgen.

Ambrose zwang sich zu einem schiefen Grinsen. »Schätze, sie hält mich für einen Versager«, stieß er schließlich leise hervor.

Lassiter stieß seufzend die Luft aus und lehnte sich zurück. »Goddam, Mat. Was für ein Schlamassel! Aber dass Florence dir daran die Schuld gibt, ist alles andere als fair. Du musst es ihr trotzdem nachsehen. Der Schmerz über den Tod eines geliebten Menschen – vor allem unter derart grausamen Umständen – führt oft dazu, dass man nicht mehr klar denken kann. Und wenn der Täter nicht gefasst wird, sucht man händeringend nach jemandem, den man stattdessen dafür verantwortlich machen kann.«

»Da ist es natürlich zweckmäßig, wenn der Gatte gleichzeitig auch der Sheriff ist«, entgegnete Ambrose mit bitterem Sarkasmus.

»Ich würde es eher als unglückliche Verquickung von Umständen bezeichnen.« Lassiter beugte sich ein wenig vor und klopfte seinem Freund aufmunternd auf den Arm. »Hör zu, wenn ich dir helfen kann, dann werde ich das gern tun. Ich bin nicht offiziell hier, und ich will mich keinesfalls aufdrängen, aber falls du das möchtest …«

Ambrose schaute auf und sah Lassiter hoffnungsvoll an. »Dazu wärst du bereit? Ich hätte mich nicht getraut zu fragen, aber wenn ich ehrlich bin – du hast mit Fällen dieser Art sicher deutlich mehr Erfahrung als ich, das wissen wir beide.«

Dem konnte Lassiter nicht widersprechen, deshalb nickte er langsam.

Matheus Ambrose hatte andere Qualitäten, wie der Brigadeagent wusste. Denn die beiden Männer kannten sich seit Jahrzehnten und hatten einander nie aus den Augen verloren, obwohl sie sich nur alle paar Jahre persönlich begegneten.

Beide stammten aus Tennessee und waren sich erstmals auf der Ladefläche eines Güterwaggons begegnet, der Frauen und Kinder vor der heranrückenden Armee der Nordstaatler aus Memphis heraus nach Westen transportierte.

Lassiter und Mat waren der bevorstehenden Niederlage der Konföderierten mit einer Mischung aus Gleichmut und Hoffnung begegnet, denn ihnen – wie auch den meisten anderen Passagieren des Zuges – hatte der blutige Bürgerkrieg, den vor allem Politiker, Großgrundbesitzer und Industrielle vom Zaun gebrochen hatten, nur Elend und Grauen gebracht. Außerdem waren sie beide in einem Alter gewesen, das sie nur um Haaresbreite von einer Uniform und der Aussicht auf einen schnellen Tod im Feld bewahrt hatte.

Der drahtige Lassiter und der schlaksige Mat, der ihn damals sogar um eineinhalb Haupteslängen überragte, hatten sich sofort angefreundet; vielleicht, obwohl sie so unterschiedlich waren, aber womöglich auch gerade deshalb.

Denn Mat war eher zurückhaltend und trotz seiner jungen Jahre bemerkenswert höflich in seinen Umgangsformen, während Lassiter sich als schlitzohriger Rabauke hervortat. Daher ging es Mat bei Streitigkeiten stets um Schlichtung, wobei er den jungen Gefährten, der stets auf sein Recht pochte und bereit war, das auch mit seinen Fäusten durchzusetzen, immer wieder zurückhalten musste.

Die Reise gen Westen währte fast vier Wochen, und sie kam den Jungen vor wie eine Ewigkeit. Doch diese Ewigkeit war angefüllt mit Abenteuern und Verheißungen, trotz der Schrecken des Krieges um sie herum.

Lassiter sorgte dafür, dass sie keinen Hunger litten, indem er bei jedem Halt Gelegenheiten fand, Nahrung zu stibitzen. Manchmal war das leicht, wenn der Zug unter großen Apfelbäumen hindurchfuhr und man nur springen musste, um ein paar Früchte zu ergattern. Ab und an galt es auch, ein Risiko einzugehen, wenn bei einem Halt ein Schlachter direkt am Bahndamm Fleisch zu Wucherpreisen anpries und Lassiter sich katzengleich von hinten an den Stand schlich, um ein halbes Dutzend leckerer Würste zu stehlen.

Im Gegenzug brachte Mat ihm das Schachspiel bei. Der kleine Kasten aus Rosenholz mit den winzigen Figuren war das einzige, was er bei der Flucht aus dem Elternhaus hatte mitnehmen können, während in der Ferne bereits die Geschütze donnerten, und Mat behandelte dieses Kästchen wie eine Reliquie.

Auf der Fahrt nach Westen waren die beiden Jungen immer wieder dankbar für das kleine Feld aus achtundsechzig Quadraten, das zwischen ihnen auf den Planken stand, und oft waren sie derart vertieft darin, dass erst das schwindende Licht ihnen bewusst machte, wie rasch ein weiterer Tag verstrichen war.

Blutjung und entwurzelt, wie sie waren, hätten sie sich vermutlich zusammengetan, um gemeinsam ihr Glück zu suchen. Mat hatte von Verwandten gesprochen, die oben in Kalifornien lebten, und Lassiter hatte sich gern dem Traum hingegeben, den Strand und das Meer zu sehen.

Doch bei der Ankunft in Texas war es anders gekommen. Im Chaos tausender Flüchtlinge hatten sie sich aus den Augen verloren. Junge Bengel ohne erwachsene Angehörige wie sie waren hin und her gestoßen worden, bis jemand sie an der Schulter packte und in eine Richtung zwang, ohne nach ihrer Herkunft oder gar ihren Wünschen zu fragen.

Lassiter hatte das Glück gehabt, dass sich ein väterlicher Freund seiner annahm und ihn erst zum Angestellten, dann zum Partner seines Fuhrunternehmens machte. Er war für eine Weile glücklich gewesen, weil ihm ein Ziel vor Augen stand.

Doch im Nachhinein war es nicht besonders gut gelaufen, um es mal harmlos auszudrücken.

Dann war er irgendwann bei der Brigade Sieben gelandet. Um kurz darauf, vierzehn Jahre nach ihrer Flucht aus Tennessee, überraschend Mat wieder gegenüberzustehen. Sein Freund hatte damals eine Uniform getragen, mit den Schulterklappen eines Offiziers. Und sie hatten gemeinsam dem Tod ins Auge gesehen.

»Denkst du manchmal noch an Wichita?«, riss Mat Ambrose ihn aus seinen Erinnerungen und griff sie gleichzeitig auf.

Lassiters Mundwinkel hoben sich unmerklich, doch statt zu antworten, wandte er sich Sally Bowles zu, die mit zwei üppig gefüllten Tellern vor ihnen auftauchte.

Der Brigadeagent blähte die Nasenflügel und nickte anerkennend. »Das sieht nicht nur gut aus, es duftet auch verlockend, Sally«, brummte er lächelnd.

»Wünsche guten Appetit«, sagte Sally und warf einen Blick auf die Bierkrüge, die fast leer waren. »Noch etwas zu trinken?«

»Später vielleicht – danke, Sally«, antwortete Mat, und die Saloonbesitzerin entfernte sich mit einem kurzen Nicken.

Inzwischen betraten fast minütlich neue Gäste den Schankraum. Lassiter taxierte die Besucher und stufte die meisten von ihnen als Cowboys und Feldarbeiter ein, manche sahen aus wie Handwerker oder Angestellte in den Geschäften der Stadt.

Er widmete sich dem Teller und stellte fest, dass Mats Lobpreisungen nicht übertrieben gewesen waren. Das Steak war in der Tat ein Gedicht; scharf angebraten, trotzdem butterzart und raffiniert gewürzt. Schon nach dem ersten Bissen spürte er, wie hungrig er war. Deshalb erinnerte er sich erst nach ein paar Augenblicken wieder an Mats Frage.

»Wichita?« Er hob den Blick und sah direkt in Ambrose’ forschende Augen. »Um ehrlich zu sein, tue ich mein bestes, um mich nicht mehr daran zu erinnern.«

Der Sheriff starrte ihn noch zwei Sekunden an, dann senkte er den Blick und spießte sein Steak auf, um mit dem Messer in der anderen Hand ein Stück davon abzuschneiden.

»Ist verständlich«, brummte er.

Lassiter senkte sein Besteck und sah Ambrose dabei zu, wie er sich den Bissen zwischen die Lippen schob und kaute, ohne aufzusehen.

»Dir geht’s anders, scheint mir.«

Mat schaute hoch und hob die Augenbrauen.

Er kaute ein wenig langsamer, und seine Mundwinkel hoben sich.

»Nein, warum?«

Ambrose hob die linke Hand und deutete mit der Gabel auf Lassiters Teller.

»Iss, bevor es kalt wird, mein Freund.«

Acht Wochen zuvor

»Das meinst du doch nicht ernst, oder?«

Sie hatte geglaubt, ihre Stimme zu erheben, doch das dünne Krächzen, das aus ihrer Kehle kam, klang so erbärmlich wie ein sterbendes Rehkitz.

Anfangs war er noch nett gewesen, obwohl sein Besuch ihr von Anfang an seltsam vorgekommen war. Doch jetzt machte er ihr Angst.

»Es wird dir gefallen, glaub mir.« Seine Stimme klang rau – und sie hörte sich an, als wüsste er ganz genau, was er wollte.

»Zieh dich aus.«

Sie gehorchte, streifte erst die Stiefel ab, dann die Jacke, bevor sie sich auf das Bett setzte und ihn auffordernd anstarrte.

»Was ist mit dir?«

»Alles«, antwortete er und trat auf sie zu.

Das war der Moment, in dem sie spürte, dass etwas nicht in Ordnung war.

Sie schob das Kinn vor und schüttelte den Kopf.

Der Schlag kam schnell und unvermittelt.

»Zieh dich aus, na los.«

Heather sah sich um, doch weder links noch rechts entdeckte sie etwas, was als Waffe taugte.

Sie schaute ihn an und verstand nicht, warum dieser Mann vor ihr sich so plötzlich und unvermittelt verändert hatte. Seine unheimliche Wandlung jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken.

»Bitte, ich …«

»Mach schon!«

Der kalte Blick und die herrische Stimme duldeten keinen Widerspruch. Heather senkte den Kopf und wich bis zur Wand zurück, bevor sie schluchzend die Knöpfe ihrer Bluse öffnete und der Stoff kurz darauf zu Boden fiel. Danach folgte der Rock, und wenig später stand sie, nur mit ihrer Unterhose und dem Büstenhalter bekleidet an das kalte Mauerwerk gelehnt und wollte den Blick heben, um ihrem Gegenüber ins Gesicht zu sehen.

Doch sie brachte es nicht über sich.

Die kalten Ziegel und die feuchte Kälte in dem Raum waren nicht der einzige Grund, der sie zum Zittern brachte, doch Heather atmete tief ein, bevor sie all ihre Kräfte zusammennahm, um ihrer Stimme einen festen Klang zu verleihen.

»Geh doch einfach, dann verrate ich nichts!«, brachte sie hervor und starrte ihr Gegenüber an. Sie versuchte, das Messer in seiner rechten Hand zu ignorieren, obwohl die Klinge im einfallenden Mondlicht glitzerte wie ein tödliches Versprechen.

»Du lügst, wenn du den Mund aufmachst«, zischte der Mann vor ihr, und seine Lippen verzogen sich dabei zu einem breiten Grinsen, als wären diese Worte etwas, über das man sich amüsieren könnte.

»Nein«, flüsterte sie, als er auf sie zuging und das Messer hob. »Nein, ich habe noch nie gelogen.«

Er lachte. »Das ist die größte aller Lügen, Heather.« Er trat vor sie, streckte die Klinge des Messers aus und legte sie unter den seidenen Bügel, der die Körbchen ihres Büstenhalters miteinander verband. Ein kurzer Ruck und der BH klaffte auseinander. Seine Augen weiteten sich, als er auf ihre nackten Brüste starrte.

»Hübsch«, murmelte er gedankenverloren. »Für dein Alter …«

Sie wollte ihre Blöße mit den Händen bedecken, doch ein drohendes Zischen des Mannes hielt sie davon ab.

»Warum tust du das?«, wimmerte sie. »Ich hab dir doch nichts getan.«

»Weil du eine Frau bist«, antwortete er, und ein verwunderter Unterton schwang in seiner Stimme mit, als wäre diese Antwort nur zu offensichtlich. »Und weil ich es kann.«

Seine Hand griff an den Bund ihrer Unterhose und riss ihr den Stoff vom Leib. Heather stöhnte erschreckt auf.

»Dreh dich um!«, befahl er, und sie gehorchte schluchzend.

»Jesus, Maria und Josef«, stammelte sie unter Tränen. »Ich flehe dich an, tu das niiichhhh …«

Das letzte Wort ging in ein leises Röcheln über, das allmählich erstarb, als die scharfe Klinge sich tief und tiefer in Heathers Rücken bohrte. Einer ihrer Fingernägel brach, als sie ihre Hände in die Ziegel der Wand krallte und langsam an ihr zu Boden sank.

Was ihr Mörder anschließend mit ihr anstellte, spürte Heather Blondsdale kaum noch.

Ihre letzten Gedanken galten ihrem vor achtzehn Monaten und vierzehn Tagen verstorbenen Ehemann. Während sich der Nachtmahr an ihr verging, gab sich der letzte schwindende Rest ihres Bewusstseins der Hoffnung hin, dass es vielleicht noch nicht zu spät sein würde, um ihrem geliebten Mann irgendwo auf der anderen Seite wieder zu begegnen.

»Schätze, ich muss mit den Paiute oben im Dorf reden«, brummte Mat Ambrose, leerte seinen Bierkrug und erhob sich. »Wenn das auf McDougalls Weide indianische Symbole sind, wie du sagst, stehen sie ziemlich weit oben auf der Liste der Verdächtigen – egal, welchem Stamm man das Zeug zuordnen mag.«

»Soll ich dich begleiten?«, fragte Lassiter und hob fragend die Augenbrauen.

»Nicht nötig, Amigo. Komm erstmal an in der Stadt und erhol dich von der Reise.« Er zwinkerte Lassiter verschmitzt zu. »Sally vermietet übrigens auch Zimmer.«

»Tatsächlich?« Lassiter tat nur so, als wäre er überrascht, denn das Schild neben dem Eingang war ihm nicht entgangen.

»Wenn du willst, treffen wir uns nachher noch auf einen Drink, dann kann ich dir erzählen, was ich herausgefunden habe. Und vielleicht sind dir bis dahin ja ein paar Ideen gekommen, was man in Hinblick auf den Nachtmahr noch unternehmen kann.«

»Ich werde darüber nachdenken, versprochen«, sagte Lassiter, und Ambrose nickte, bevor er den Schankraum verließ.

Der Brigadeagent stand auf und trat an den Tresen, hinter dem Sally Bowles ihn erwartungsvoll anlächelte.

»Hätten Sie noch ein Zimmer frei für mich, Sally?«, fragte er.

»Selbstverständlich«, erwiderte sie und bemühte sich nicht, ihre Freude zu verbergen. »Bleiben Sie länger in Carson City, Lassiter?«

»Ein paar Tage bestimmt. Mat und ich haben uns seit einer Ewigkeit nicht gesehen.«

»Sie sind einer seiner ältesten Freunde, hat er gesagt. Ich kann mich trotzdem nicht erinnern, Sie schon mal in der Stadt begrüßt zu haben.«

»Das stimmt. Wie gesagt, unser letztes Treffen ist lange her. Da war Mat noch in der Armee, auf der anderen Seite der Berge in Nordkalifornien.«

Sally Bowles runzelte die Stirn. »Komisch, davon hat er nie etwas erzählt.«

»Nun ja, es gab da ein paar schlimme Erlebnisse, weswegen der Sheriff auch den Militärdienst quittierte. Ich nehme an, er redet nicht gern darüber, weil er es lieber hinter sich lassen möchte.«

»Verstehe …« Sally nickte und spürte, dass ein Themenwechsel angeraten war. »Möchten Sie jetzt vielleicht noch ein Bier trinken? Ich würde mich derweil um Ihr Zimmer kümmern.«

»Klar, warum nicht?«

Sie füllte einen der Krüge und stellte ihn vor dem Brigadeagenten ab, bevor sie sich an ihre junge Angestellte wandte. »Trisha, räumst du bitte die Teller ab und bedienst die Männer hinten am Ecktisch? Ich bin mal für eine Viertelstunde oben.«

»Geht klar, Miss Sally«, erwiderte das Mädchen und legte das Handtuch beiseite, mit dem sie die Gläser abgetrocknet hatte.

Lassiter nippte an seinem Bier, bevor er sich auf dem Barhocker umdrehte und die Ellenbogen auf der Theke abstützte, um nachdenklich zum Fenster hinauszusehen auf die Mainstreet.

Der Eindruck, den sein alter Freund bei ihm hinterlassen hatte, bereitete ihm ein wenig Sorge. Mat hatte Bartstoppeln im blassen Gesicht, und das Hemd schien er auch seit ein paar Tagen nicht gewechselt zu haben. Das war ungewöhnlich für den Mann, der sonst immer großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres gelegt hatte.

Der Fall des Nachtmahrs, aber wohl mehr noch die Trennung von seiner Frau, selbst wenn sie nur auf Zeit war, schien Ambrose mehr mitzunehmen, als er zuzugeben bereit war.

»Hey, Cowboy …«

Lassiter wandte den Blick und sah auf einen jungen Burschen hinab, der sich ihm genähert hatte und jetzt herausfordernd taxierte.

»Ja, was gibt’s denn?«

»Ich rate Ihnen, lassen Sie Ihre schmutzigen Finger von Sally Bowles«, knurrte der Bursche und nestelte dabei an einer tiefroten Krawatte herum, die nicht recht zu seiner übrigen Kleidung – eine etwas schäbige Langjacke, dunkle Denimhosen, schwarze Stiefel und ein weißes, bis zum obersten Knopf geschlossenes Hemd – passen wollte. »Die Frau hat Klasse, kapiert. Ist also nicht Ihre Kragenweite.«

Lassiters Mundwinkel hoben sich zur Andeutung eines amüsierten Lächelns. »Tatsächlich. Und wer sagt das?«

»Mein Name ist Malcolm Lawry. Ich würde Ihnen raten, auf mich zu hören, sonst bereuen Sie es vielleicht schneller, als Sie denken.«

Etwas an dem jungen Kerl ließ Lassiters Lächeln verblassen. Lawry war ein bleicher Hänfling mit fliehendem Kinn, fettigem, strohblonden Haar und leuchtenden Rasierpickeln am Hals, der auf den ersten Blick eher bemitleidenswert als bedrohlich aussah. Doch da war auch etwas Manisches in seinen eng zusammenstehenden Augen, die den Brigadeagenten mit unverhohlener Feindseligkeit zu durchbohren schienen.

Lassiter bemerkte das lange Jagdmesser, das Lawry in einer Lederscheide am Gürtel trug, und zeigte darauf. »Und wenn ich so dumm bin, deinen Rat in den Wind zu schlagen … schneidest du mir dann damit die Kehle durch?«

Lawry schob den Unterkiefer vor, was seine Physiognomie kaum veränderte. »Besser, Sie legen es nicht drauf an, Mister.«

Lassiter nickte langsam. »Alles klar. Ich hab’s verstanden.«

»Gut für Sie.« Lawrys Miene entspannte sich ein wenig, und er zog sich seine Hose hoch, machte kehrt und stolzierte breitbeinig zur Schwingtür hinaus, als hätte er gerade einen triumphalen Sieg davongetragen.

»Was für ein Idiot«, murmelte Trisha und verdrehte die Augen, während sie an Lassiter vorbei ging, ein Tablett mit leeren Gläsern in der rechten Hand balancierend. »Verzeihen Sie, Sir.«

»Kein Problem«, entgegnete Lassiter gleichmütig. »Was ist mit dem Burschen?«

Trisha stellte das Tablett hinter der Theke ab, bevor sie ihren Zeigefinger neben der Schläfe kreisen ließ. »Malcolm hat einen leichten Dachschaden, aber vermutlich ist er harmlos.«

»Vermutlich?« Lassiter hob die Augenbrauen.

»Kann man sich bei Leuten mit ’nem Dachschaden da jemals sicher sein?« Sie grinste schief, und Lassiter zuckte die Achseln.

»Jedenfalls führt er ein ziemlich großes Jagdmesser spazieren.«

»Damit will er sich nur aufspielen. Weil sein Vater ihm nicht erlaubt, einen Revolver zu tragen, rennt er eben mit diesem Messer herum.«

»Für eine Knarre ist er wohl auch noch ein wenig zu jung.«

»So jung ist Malcolm gar nicht mehr«, widersprach ihm Trisha. »Er ist schon achtzehn, glaube ich. Das nennt man wohl einen Spätentwickler oder so. Benehmen tut er sich jedenfalls, als wäre er gerade zwölf geworden.«

Lassiter kratzte sich an der Stirn. Das stimmte, obwohl Lawry nicht unbedingt zurückgeblieben auf ihn gewirkt hatte.

»Hat es denn schon mal Ärger mit ihm gegeben?«

Trisha überlegte einen Moment, bevor sie den Kopf schüttelte. »Nicht, dass ich wüsste. Aber Sie können ja Sheriff Ambrose fragen.«

»Das werde ich«, gab Lassiter zurück. »Danke, Trisha.«