Lassiter Sammelband 1876 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sammelband 1876 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2509, 2510 und 2511.

Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 396

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Jack Slade
Lassiter Sammelband 1876

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2020 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2024 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © Boada/Norma

ISBN: 978-3-7517-8017-9

https://www.bastei.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Lassiter Sammelband 1876

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Lassiter 2509

Sheriff für einen Tag

Lassiter 2510

Land der Verruchten

Lassiter 2511

Die ver schwundene Braut

Guide

Start Reading

Contents

Sheriff für einen Tag

Als Lassiter aus dem Hotel trat, sah er sich von drei jungen Mädchen umringt. Sie standen da, als hätten sie auf ihn gewartet. »He, Mister«, sagte die Kleinste und vertrat ihm den Weg. »Schönen guten Morgen. Wir sind pleite.«

Lassiter sah sie sich genauer an. Alle drei waren wie Männer gekleidet, trugen blaue Cottonhosen und braune Westen aus ungegerbtem Rohleder. An ihren Gürteln baumelten Holster mit schweren Revolvern. Das Girl, das ihn angesprochen hatte, mochte knapp zwanzig Jahre alt sein, die anderen nur wenig älter.

Er trat einen Schritt zur Seite, um an den Mädchen vorbeizugehen. Doch im Nu hatten die Wegelagerinnen die Lücke geschlossen. »Wir sind in Not«, teilte ihm die Kleine mit. »Geben Sie uns zehn Dollar, dann sind wir aus dem Gröbsten raus.«

»Und obendrein hätten Sie ein gutes Werk getan«, sagte das zweite Mädchen.

Die anderen zwei grienten höhnisch.

Lassiter dachte sich sein Teil. Er war neu in Hayes City, trug seinen besten Anzug, und die Mädchenbanditen hielten ihn wohl für leichte Beute – einen Stutzer, den man nach Belieben ausnehmen konnte.

Er schüttelte den Kopf. »Ihr habt euch den Falschen ausgesucht, Ladys«, erklärte er. »Ich bin schon mit Hombres fertig geworden, um die ihr einen großen Bogen machen würdet.«

Die Kleine fand das komisch. »Hört, hört! Der smarte Gent hält sich für eine große Nummer. Er will, dass wir vor ihm zittern.«

Jenseits des Bohlensteges rumpelte eine Concord-Kutsche vorüber. Als der Fahrer die drei Mädchen sah, wandte er schnell den Blick ab. Offenbar besaß das Girlie-Trio nicht gerade den besten Ruf in der Stadt.

Plötzlich hielt die Kleine ein Messer in der Hand. »Wir wollen kein Aufsehen, Mr. Smart. Wir gehen jetzt zusammen um die Ecke, und Sie werden fünfzig Dollar lockermachen. Dann sind Sie uns los.«

»Vorhin waren es nur zehn Dollar«, meinte Lassiter.

»Jetzt wollen wir fünfzig«, beharrte die Kleine. »Geben Sie uns die Bucks und wir bleiben Freunde.«

»Andernfalls...« Das Mädchen hinter ihr legte bedeutungsvoll seine linke Hand aufs Holster.

Ein Mann im grauen Gehrock kam aus dem Hotel: Mr. Ledbetter, der Handelsreisende aus St. Louis, der das Zimmer neben Lassiter bewohnte. Mit einem Blick erfasste der Vertreter die brenzlige Situation. Eilends entfernte er sich in die entgegengesetzte Richtung.

»Wird's bald!«

Lassiter spürte die Spitze des Messers oberhalb seiner Gürtelschnalle. »Nimm den Zahnstocher weg, Baby Doll«, sagte er ruhig. »Nimm ihn weg, sonst erlebt ihr drei euer blaues Wunder.«

Die zwei Mädchen im Hintergrund kicherten, als hätte er einen Witz gerissen.

»Ich zähle bis drei«, fuhr Lassiter fort. »Seid ihr dann immer noch in meiner Reichweite, liegt ihr in zehn Minuten im Hospital. In einem Dreibettzimmer. Das garantiere ich euch.«

Die Kleine mit dem Messer jauchzte vor Vergnügen. »So ein Spaßvogel! Hält sich wohl für Doc Holliday. Ich lach mich schlapp!«

Lassiter war die Lust zum Scherzen längst vergangen. Wären die drei Girls Männer gewesen, hätte er die Situation bereits bereinigt. Er war ein Frauenfreund und hatte Skrupel, Gewalt gegen das schwache Geschlecht anzuwenden.

Doch in diesem Fall kam er wohl aus der Nummer nicht ohne Gegenwehr heraus. Jedenfalls hatte er keine Lust, sich widerstandslos auf offener Straße ausplündern zu lassen.

Irgendwann musste Schluss sein – und zwar jetzt!

Lassiter wollte der Kleinen gerade das Messer aus der Hand schlagen, als der tiefe Brummbass eines Mannes an seine Ohren drang: »Die Buffin-Schwestern! Ruth, Jane, Kendra! Tod und Teufel! Gebt ihr drei Plagegeister denn niemals Ruhe?«

Die Mädchen wichen zurück, als hätten sie einen Geist gesehen.

Blitzschnell hatte die Kleine ihr Messer unter der Weste verschwinden lassen. Die älteren Mädchen traten beiseite, machten den Weg frei.

Die Kleine grinste schief. »Kein Grund zur Aufregung. Alles in Butter, Sheriff.«

Lassiter atmete auf. Endlich mal ein Sternträger, der zur rechten Zeit am rechten Ort war.

Der Hüter des Gesetzes war ein großer, massiger Geselle von knapp fünfzig Jahren. Er trug einen grau melierten Vollbart und hatte sein Haar wie Wild Bill Hickok bis über die Schultern wachsen lassen. Am linken Revers seiner Jacke prangte der Sheriffstern.

Als die Mädchen sich davonstehlen wollten, packte er die Kleine am Arm. »He, Kendra, hier geblieben! Muss mit dir und deinen Schwestern reden!«

Kendra stand wie angewurzelt. »Nichts für ungut, Mr. Selleck«, sagte sie respektvoll. »Das Ganze war nur ein Spaß. Wir wollten den Gent nicht beklauen, ihm nur ein bisschen Angst einjagen.«

»Ja, genau so war es«, pflichtete ihr das Mädchen bei, das neben ihr stand. »Wir sind doch keine Halsabschneider.«

»Nein, wirklich nicht?« Der Mann des Sterns schaute von einer zur anderen. »Wieso geratet ihr denn immer wieder in solche Situationen? Ihr werdet doch nicht ferngelenkt. Ihr seid alt genug, um selber zu denken.« Er sah das größte der Mädchen an. »Besonders du, Ruth, müsstest doch mehr Grütze im Kopf haben. Du bist die Älteste, wenn ich mich nicht irre. Wie alt bist du jetzt?«

Das Mädchen zögerte. In diesem Moment erklang von der Bahnstation das grelle Geräusch einer Dampfpfeife. Ruth fuhr erschreckt zusammen.

»Ich hab' dich was gefragt, Ruth«, knurrte der Sheriff.

»Zweiundzwanzig«, sagte sie.

»Zweiundzwanzig«, meinte Selleck, »da wird es höchste Zeit, dass du endlich Vernunft annimmst. Du, Jane und Kendra – ihr wollt doch nicht auf die schiefe Bahn geraten, oder?«

»Nein, Sheriff«, sagte Ruth kleinlaut.

Selleck krauste seine Stirn. »Hätte verdammt große Lust, euch drei ins Jail zu verfrachten.«

»Bitte nicht«, flehte Ruth. »Es ist doch gar nichts passiert.«

Lassiter musste schmunzeln. Seit dem Auftauchen des Ordnungshüters hatte sich das Verhalten der Mädchen auf wundersame Weise verändert. Jetzt wirkten sie wie ertappte Schulmädchen, die bei einer Prüfungsarbeit geschummelt hatten. Eigentlich waren die Buffin-Schwestern ganz hübsche Girls, doch in ihren groben Männersachen kamen ihre weiblichen Vorzüge kaum zur Geltung.

»Ob etwas passiert ist oder nicht«, setzte Selleck seine Standpauke fort, »das entscheidet Mr. Lassiter. Er ist der Geschädigte. Es liegt in seinem Ermessen, ob er gegen euch Anzeige erstattet oder die Sache auf sich beruhen lässt.«

Die Mädchen sahen Lassiter verstört an.

»Bitte, zeigen Sie uns nicht an«, flehte Ruth, die Älteste.

Auch ihre Schwestern baten um Nachsicht.

»Wir tun es nie wieder«, versprach Kendra.

»Wenn Sie wollen, können wir Sie beschützen«, schlug Jane vor. »Ich meine, damit kein anderer Ihnen etwas antut.«

Einen Moment lang sprach niemand ein Wort.

Dann, ganz unvermittelt, brach der Sheriff in schallendes Gelächter aus. Er lachte, dass ihm die Tränen in die Augen schossen.

Die Leute auf der Straße wandten neugierig die Köpfe.

»Ich halt's nicht aus!«, rief Selleck, als er wieder etwas mehr Luft zum Atmen bekam. »Ich halt's im Kopf nicht aus!«

Die Wegelagerinnen starrten ihn, als hätte er den Verstand verloren.

»Ihr Mädels seid goldig«, trompetete er. »Einfach zum Schießen!« Er hielt inne und blickte sie der Reihe nach an. »Wisst ihr eigentlich, wen ihr da beschützen wollt?«

»Als keine Antwort kam, nahm Selleck seinen Hut ab, fuhr sich mit gespreizten Fingern durch das Haar und setzte den Hut wieder auf. »Stellt euch vor«, sagte er. »Mr. Lassiter ist einer der härtesten Gunfighter westlich des Missouri. Vor nicht allzu langer Zeit ist er der Leibwächter des berühmtesten aller Westmänner gewesen.«

Die Mädchen musterten Lassiter prüfend.

»Doch nicht etwa Buffalo Bill?«, tippte Ruth.

»O doch, meine Liebe«, nickte Selleck. »Mr. Lassiter ist der Bodyguard von Buffalo Bill Cody gewesen. Ich glaube, das ist Empfehlung genug. Oder glaubt ihr, Mr. Cody hätte sich im Angesicht von drohender Gefahr von einem Greenhorn eskortieren lassen?«

Schweigen.

Sellecks Worte hatten Wirkung hinterlassen. Die Schwestern schienen am Boden zerstört. Die kleine Kendra wurde knallrot im Gesicht. Jane kaute nervös an ihrer Unterlippe. Ruth zupfte unablässig an ihrem linken Ohrläppchen.

Der Sternträger wandte sich an Lassiter. »Wie sieht's aus, Sir? Jetzt liegt es ganz bei Ihnen, wie es mit den Buffin-Girls weitergeht. Wollen Sie Anzeige gegen die drei Rüpel erstatten?«

Lassiter spürte die flehenden Blicke der Schwestern auf sich ruhen.

Im Grunde hatte er dem Dreigespann längst verziehen. So hübschen Mädchen konnte er nicht lange böse sein. Das lag einfach nicht in seiner Natur.

»Ich verzichte auf eine Anzeige«, verkündete er, »aber nur unter einer Bedingung.«

»Lassen Sie hören, Sir«, sagte Ruth und nahm die Hand vom Ohr.

»Am Samstag wird in Hayes City zum Tanz aufgespielt, im Grand Central Hotel. Ich möchte, dass wir zusammen dort hingehen und dass ihr eure schönsten Kleider tragt.«

»Wie? Was? Wir... wir sollen Kleider anziehen?« Die kleine Kendra zog ein Gesicht, als hätte man von ihr verlangt, nackt über die Mainstreet zu promenieren.

»Ihr habt die Wahl«, brummte der Sheriff. »Kleider oder eine Woche gesiebte Luft. Ich gebe euch genau drei Sekunden Bedenkzeit.«

Die Schwestern tauschten einen schnellen Blick aus.

»Am Samstag im Grand Central«, verkündete Ruth, die Älteste.

Kendra und Jane nickten beflissen.

»So.« Sheriff Selleck strich sich zufrieden über den Bart. »Damit wäre dieser unschöne Vorfall wohl aus der Welt geschafft. Was meinen Sie, Sir?«

Lassiter gab ein Zeichen seiner Zustimmung.

»Und jetzt«, knurrte Selleck die Mädchen an, »kratzt die Kurve, ehe ich es mir anders überlege.«

Die Mädchen stoben davon. Ihre Schritte polterten auf dem Stepwalk. Im nächsten Augenblick waren sie in einer Seitengasse verschwunden.

»Und lasst euch das eine Lehre sein!«, rief der Starman ihnen nach. Dann sah er Lassiter an. »Lust auf einen Kaffee im Maverick Saloon?«

Der Mann von der Brigade Sieben hob die Achseln. »Tut mir leid, Sheriff. Ich muss jemanden vom Zug abholen. Bin spät dran.«

»Man wollte Sie tatsächlich ausrauben?«, fragte James Olson ungläubig.

Lassiter nickte. »Ja. Direkt am Eingang meines Hotels. Vor einer Viertelstunde.«

Sie saßen in der Dining Hall, nur einen Steinwurf vom Bahnsteig entfernt. Olson war Lassiter als Kontaktmann zugeteilt worden. Er war ein kräftig gebauter Mann mit rehbraunen Augen und einer gebogenen Adlernase. Er trug einen adretten Gehrock, dazu ein weißes Hemd und eine Weste aus Wildleder. Sein Reisegepäck bestand aus einem klobigen Koffer, auf dem bunte Aufkleber von Omaha, New Orleans und Memphis prangten. Er war nach Hayes City gekommen, um mit Lassiter die Einzelheiten über die neue Mission zu erörtern. Dabei ging es um Mädchenhandel und Prostitution. Angeblich befand sich in der Umgebung von Hayes City ein Umschlagplatz für junge Mädchen, die aus Waisenhäusern und sogenannten Internaten entführt worden waren. Die Opfer sollten an Bordellbetreiber verkauft werden.

Einem Mädchen jedoch war die Flucht gelungen. Es hatte seine Geschichte einem jungen Zeitungsreporter der Kansas Review erzählt.

Allerdings war die Story nicht abgedruckt worden. Der Reporter verschwand auf mysteriöse Weise. Offenbar hatte man ihn für immer zum Schweigen gebracht. Doch vorher hatte er seine Aufzeichnungen von dem Gespräch mit dem Mädchen dem Notar seines Vertrauens übergeben.

Dieser Mann hieß James Olson und war Kontaktmann der Brigade Sieben in Kansas.

»Wie ist Ihre Begegnung mit den drei Amazonen ausgegangen?«, fragte er Lassiter. »Mussten Sie Ihr Schwert zücken?«

»Zum Glück blieb mir das erspart.« Lassiter erzählte die Geschichte zu Ende. »Will hoffen, dass es bei den Buffin-Mädchen geklingelt hat und sie ihren Lebenswandel noch mal überdenken.«

Olson grinste. »Glauben Sie, dass die drei ihr Versprechen halten werden und mit Ihnen zum Tanz ins Central gehen?«

»Ich gehe davon aus«, antwortete Lassiter. »Sie haben einen Mordsrespekt vor dem Sheriff. Keine von ihnen ist scharf darauf, sich Sellecks Gitterkäfig von innen anzusehen.«

Die Bedienung kam und fragte, ob noch Kaffee gewünscht wurde. Lassiter bestellte noch zwei Becher. Als die Getränke serviert waren, griff Olson sofort zu und trank mit gierigen Zügen.

»Für eine anständige Tasse Kaffee würde ich einen Mord begehen«, sagte er, als er die Tasse absetzte.

Im nächsten Augenblick kam eine Gruppe Männer in das Lokal. Cowboys, die aus Texas Longhorns nach Kansas getrieben hatten. Sie setzten sich an die benachbarten Tische und begannen eine laute Unterhaltung.

Olson runzelte die Stirn. »Wir reden im Hotel weiter«, schlug er vor.

Lassiter nickte und stand auf.

Nachdem sie gezahlt hatten, verließen sie die Dining Hall. »Wie lange werden Sie bleiben, James?«, fragte Lassiter, als sie die Mainstreet entlang schritten.

»Höchstens drei, vier Tage«, sagte der Notar. »Ich mache Sie mit den Unterlagen des Reporters vertraut, und wenn die Sache angelaufen ist, fahre ich wieder nach Wichita.«

»Schade.« Lassiter wäre es lieber gewesen, wenn der Kontaktmann noch länger geblieben wäre. Es war angenehmer, einen Verbündeten in der Stadt zu wissen.

Sie überquerten die Straße und schritten auf das Milton Hotel zu. Das Gebäude war das drittgrößte nach dem Grand Central und dem Jasper House.

Der Portier des Milton erwartete sie schon. Lassiter hatte die Ankunft des Notars bereits am Morgen angekündigt. Neben dem Mann von der Rezeption stand ein Junge von knapp sechzehn Jahren.

»Billy wird Sie auf Ihr Zimmer geleiten, Sir«, sagte der Portier zu Olson. »Die Formalitäten für die Anmeldung erledigen wir später. Wenn Sie sich von der Fahrt ausgeruht haben.«

»Sehr freundlich.«

Olson und Lassiter schritten hinter dem Laufburschen her, bis der vor dem Zimmer am Ende des Korridors stehen blieb.

Billy schloss auf und wuchtete den schweren Koffer über die Schwelle. Olson gab ihm ein großzügiges Trinkgeld. Der Junge machte brav einen Diener und entfernte sich.

Als sie unter sich waren, fragte Lassiter nach den Aufzeichnungen des Reporters.

Olson öffnete den Koffer und brachte einen Beutel aus grünem Leinen zum Vorschein. Lassiter setzte sich an den Tisch, holte eine schmale Akte aus dem Beutel und schlug sie auf. Auf der ersten Seite fand er den Namen des Zeitungsmannes, der so plötzlich von der Bildfläche verschwunden war.

»John Coogan«, las er und seufzte. »Ich hoffe, dass der Bursche seinen Wissensdurst nicht mit dem Leben bezahlt hat.«

»Es sind Leute von der B Seven im Einsatz, die nach ihm suchen«, erklärte Olson.

»Hoffen wir, dass sie Erfolg haben.«

Olson knöpfte seinen Gehrock auf. »Zum Glück konnten wir das Mädchen rechtzeitig in Sicherheit bringen.«

»Wo ist es?«

»Bei einer loyalen Gastfamilie, auf einer abgelegenen Ranch in den Smoky Hills.« Olson hängte den Rock akkurat auf einen Kleiderbügel. »Weitab vom Schuss, so hoffe ich. Das arme Geschöpf hat einen neuen Namen und eine neue Biografie bekommen. Die Jungs aus der Zentrale haben ganze Arbeit geleistet.«

Lassiter schlug die erste Seite um. Er begann das Interview zu lesen, das Coogan mit dem Mädchen gemacht hatte.

Schon nach den ersten Zeilen begriff er, was das Mädchen durchgemacht haben musste. Es war als Waise in ein Kinderheim geschickt worden, nachdem seine Eltern bei dem großen Zugunglück in der Sierra Nevada ums Leben gekommen waren. Im Heim hatte es mehrere Jahre gelebt, bis es siebzehn Jahre alt war.

Bei einem Ausflug an einen Badesee unweit ihres neuen Zuhauses wurde es von maskierten Desperados gekidnappt. Die Entführer warfen es auf einen Wagen, zusammen mit drei anderen Mädchen, die woanders verschleppt worden waren. Sie waren tagelang unterwegs, bei denkbar schlechter Versorgung. Zwei der Mädchen wurden von den grobschlächtigen Kidnappern missbraucht, vor den Augen der anderen.

Die Odyssee endete in einer spanischen Mission, die vor Hunderten von Jahren von Mönchen an einem Fluss errichtet worden war. Hier wurden noch mehr Mädchen gefangen gehalten. Das Kommando in dem Kloster hatte eine schreckliche alte Frau, die aus Schottland stammte. In ihrer Jugend war sie am Sacramento Hure gewesen und hatte bei diesem Geschäft den Goldgräbern eine Menge Nuggets aus den Taschen gezogen. Doch wie gewonnen, so zerronnen. All ihr Hab und Gut hatte sie am Spieltisch in den Saloons wieder verloren. Ohne einen Penny in der Tasche war sie schließlich in der spanischen Mission gelandet. Dort fand sie sofort einen einträglichen Job: Sie brachte jungen Mädchen das Hurenhandwerk bei.

All ihre Schülerinnen mussten aufs Wort parieren, sonst gab es Prügel, Essenentzug und Dunkelhaft in der unterirdischen Gruft des Klosters. Nach einiger Zeit gelang der Ärmsten die Flucht. Das Mädchen, das mit ihr floh, ertrank bei dem Versuch, den Fluss zu durchschwimmen.

Was für ein Schicksal! Lassiter rieb sich die Schläfen. »Leider ist der Name des Klosters nicht vermerkt«, sagte er. »Auch der Fluss wird nicht näher bezeichnet. Hat sie den Namen nicht gewusst? Oder hat John Coogan die geografischen Begriffe in dem Interview mit Absicht nicht exakt benannt?«

Olson stand vor dem Spiegel und kämmte sein Haar. »Wer weiß? Auch im weiteren Gespräch findet sich keine Ortsbezeichnung. Es gibt nur einen einzigen Ort, der konkret benannt wird: Hayes City. Und aus diesem Grund sind wir beide jetzt hier.«

Lassiter blätterte die wenigen Seiten durch. »Kann es sein, dass ein Blatt fehlt?«

»Sie meinen, eine Seite, auf denen alle Namen angegeben sind. Eine Art Legende?«

»Ja.«

»Nicht, dass ich wüsste.« Der Kontaktmann zupfte spitzfingrig die Haare aus dem Kamm. »Coogan hat mir lediglich diese Akte gebracht. Ich habe weder etwas daraus entfernt oder zugefügt. Die ganze Zeit hatte ich die Unterlagen in meinem Safe.«

Lassiter glaubte ihm. Über Olsons Loyalität bestand nicht der geringste Zweifel. Seit Jahren zählte der Notar aus Wichita zu den stabilsten Säulen der Organisation aus Washington.

Lassiter blätterte zurück. Bald kam er an die Stelle, wo das Mädchen Hayes City erwähnte. Eines Nachts hatte es ein Gespräch ihrer Entführer belauscht, in dem der Name der Stadt gefallen war.

Wenig später war Lassiter bei der letzten Seite angelangt.

Er schlug die Akte zu, lehnte sich zurück und schob seinen Hut höher. »Ehrlich gesagt, Olson, bin ich nicht viel schlauer als vorher«, sagte er. »Ich hab keine Ahnung, wem ich auf die Bude rücken könnte. Im Interview wird nicht ein einziger Name genannt, nicht mal der Name dieser verdorbenen, alten Puffmutter.«

»Ja, das ist mir auch schon aufgefallen.« Olson zog die Gardinen zur Seite und öffnete das Fenster. »Die einzigen Anhaltspunkte sind die alte spanische Mission und Hayes City. Ich habe mich erkundigt: In den umliegenden Countys gibt es zwei alte Klöster. St. Joseph und St. Francisco.« Er trat zu seinem aufgehängten Gehrock und zog eine mehrfach gefaltete Landkarte hervor. »Ich habe Ihnen auf der Karte markiert, wo die Klöster zu finden sind. St. Joseph liegt nur zwanzig Meilen südwestlich von Hayes City.«

»Und die andere Mission?«

»St. Francisco. Unweit von Neosho und Fort Scott.«

»Sind die Klöster noch offiziell bewohnt?«

»Nein, wo denken Sie hin? Der Orden hat die Gemeinden schon vor Jahrzehnten aufgegeben. Die Klosterbrüder sind in Richtung Westen weiter gezogen, über die Rockies bis nach Kalifornien.«

»Ein reiselustiges Völkchen«, fand Lassiter.

»Eben Missionare.«

Lassiter nahm die Karte und faltete sie auseinander. Sorgfältig prägte er sich jede Einzelheit der Landschaft ein. Der Fluss, an dem die Mission St. Joseph lag, hieß Bloom River. Auf der Karte wirkte das Gewässer nicht sehr eindrucksvoll, nur eine dünne, geschwungene Linie.

Vor dem Haus erklang das erregte Gewieher eines Pferdes.

Olson streckte seinen Kopf hinaus und lachte freudlos. »Kaum zu glauben, wie rabiat manche mit ihren Gäulen umgehen.« Er wandte sich um.

»James.« Lassiter sah seinen Kontaktmann groß an. »Sagen Sie mal, wie heißt das Mädchen eigentlich, das die ganze Sache in Gang gesetzt hat? Ich konnte den Namen nirgendwo finden. Seine Antworten im Text waren alle mit BB gekennzeichnet; die Initialen, wie ich vermute.«

»So ist es«, bestätigte Olson. »Das Mädchen heißt Bethany Buffin. Aber alle, die sie kannten, nannten sie Beth. Heute heißt sie natürlich anders, ich glaube, Brianna Faulkes oder so ähnlich.«

»Beth Buffin«, sinnierte Lassiter laut.

»Kommt Ihnen der Name etwa bekannt vor?«, wollte Olson wissen.

»Buffin«, murmelte Lassiter. »Komisch. Das ist der Nachname der Mädchen, die mich vorm Milton zur Ader lassen wollten. Sheriff Selleck hat ihn genannt.«

»Ein seltsamer Zufall«, meinte Olson. »Gottes Wege sind unergründlich.«

Lassiter hingegen glaubte nicht an Zufälle. In seinem Schädel ertönte ein heller Gong. Sein untrüglicher Instinkt meldete ihm eine Chance.

Prompt erwachte sein Jagdeifer. Er schob die Karte zurück und sah zum Fenster.

Olson baute sich vor ihm auf. »Was ist los? Haben Sie eine Idee?«

»Oh ja, die hab ich.« Lassiter stand auf. »Ich werde mir die Buffin-Schwestern noch mal zur Brust nehmen. Und zwar gründlich. Könnte sein, dass mich die Grazien auf eine heiße Fährte bringen.«

»Glauben Sie?« Olson schnippte sich ein Haar vom Ärmel. »Eine zufällige Namensgleichheit. Mehr nicht.«

»Abwarten.« Lassiter rückte seinen Hut zurecht und zog seine Jacke straff. »Fragen kostet nichts. Wenn die Buffin-Girls mit unserer Beth verwandt sind, standen sie möglicherweise in brieflichem Kontakt.«

»Ja, vielleicht.« Olson rieb seine Adlernase. »Die Post macht's möglich.«

Lassiter spann den Faden weiter. »Beth könnte es gelungen sein, einen Brief aus dem Kloster zu schmuggeln. Ein Schreiben, in dem womöglich einige wissenswerte Details zu finden sind.«

Olson wackelte mit dem Kopf. »Sie haben Fantasie. Das gefällt mir.«

Lassiter wandte sich zur Tür. »Ich rück den Girlys auf die Pelle. Mal sehen, vielleicht wissen sie etwas. Drücken Sie mir die Daumen, James.«

»Wenn Sie in die Höhle der Löwinnen gehen«, meinte Olson feixend, »dann lassen Sie besser Ihre Brieftasche im Hotel. Sicher ist sicher.«

Die Hand am Drücker, drehte sich Lassiter noch einmal um. »Ich hoffe doch, dass die B Seven für den Schaden aufkommt, falls mir so ein Malheur passiert.«

Als er hinausging, hörte er Olson im Zimmer laut lachen.

Hayes City schien im Sonnenschein des späten Nachmittags vor sich hinzudämmern. Das Glas in den Fenstern der Häuser an der Mainstreet reflektierte das grelle Licht. Die hölzernen Bürgersteige lagen verwaist. Wer es sich leisten konnte, blieb zu Hause.

Ruth Buffin war allein unterwegs. Kendra und Jane hielten Siesta in ihrer Bude am Rande der Stadt. Morgen war die Miete fällig, acht Dollar, aber sie hatten keinen Cent in der Tasche. Greenwood, der Hausbesitzer, hatte gedroht, sie vor die Tür zu setzen, wenn sie weiterhin nicht zahlten.

Der Miethai würde seine Drohung wahr machen, das wusste Ruth.

Deshalb hatte sie sich entschlossen, das nötige Geld zu beschaffen. Sie wusste auch schon, von wem. Tom Joyce, der Besitzer des Mietstalls, hatte ihr bereits vor Tagen etwas ziemlich Anstößiges ins Ohr geflüstert.

Joyce wollte, dass sie mit ihm ins Bett ging.

Natürlich hatte Ruth Joyce' Bitte abgelehnt. Kendra und Jane hatte sie nichts davon erzählt. Das ging die beiden nichts an.

Ruth passierte das Sheriff's Office , ging an der Apotheke vorbei und gelangte an das Theater, das im Jasper House untergebracht war. Vor dem Eingang stand ein Aufsteller, mit einem Plakat für die Premiere des neuen Stückes, das ab nächste Woche aufgeführt wurde:

Sheriff für einen Tag.

Auf dem Bild war ein blutjunger Bursche zu sehen, dem von einem weißbärtigen Trapper ein Sheriffstern angeheftet wurde. Unwillkürlich musste Ruth an den Roman denken, den sie sich vor einiger Zeit aus der kleinen Bibliothek der Kirchengemeinde ausgeliehen hatte. Ein Kapitän von fünfzehn Jahren von Jules Verne.

Wahrscheinlich hatte der Autor des Theaterstücks die Idee des großen französischen Schriftstellers aufgegriffen und den Schauplatz der Handlung in den amerikanischen Westen verlegt. Ein Jüngling, dem eine große Verantwortung aufgebürdet wurde.

Ruth beschloss, sich das Stück anzusehen. Kendra und Jane kamen bestimmt mit. Die Frage war nur, wo sie das Geld für die Eintrittskarten herholten.

Hinter Marcy's Drugstore bog Ruth in die Quergasse ein. Schon von weitem erspähte sie das große ovale Reklameschild, das Joyce über dem Stalltor seines Livery Stables angenagelt hatte.

Ihre Schritte wurden kürzer und langsamer.

Die Vorstellung, Joyce gegenüberzutreten, um ihm mitzuteilen, dass sie jetzt bereit war, auf sein Ansinnen einzugehen, ließ sie erschaudern. Am liebsten hätte sie sich umgedreht und wäre zurück zu ihren Schwestern gelaufen.

Doch sie überwand die Skrupel und blieb hart gegen sich selbst.

Morgen erschien Greenwood und verlangte die fällige Miete. Bei Nichtzahlung würden sie alle drei in der Gosse landen.

Das werde ich nicht zulassen , dachte Ruth. Und außerdem brauchen wir Geld für die Theaterbilletts.

Bis zum Stalltor waren es nur noch wenige Schritte.

Ruth war schon so nahe dran, dass sie das Schnauben der Pferde in den Boxen hörte. Sie rang ihre Bedenken nieder und trat mutig vor das Tor.

»Mr. Joyce!« Ihre Stimme hatte einen brüchigen Klang. »Mr. Joyce! Sind Sie da?«

»Ja, doch!« Tom Joyce trat aus einer Pferdebox. Als er Ruth erblickte, hob er erstaunt die Brauen. »Ruth Buffin? Was in aller Welt führt dich her, meine Süße? Brauchst du ein Maultier oder ein kräftiges Pferd?«

»Nein«, sagte sie stockend. »Ich bin nicht hier, um ein Pferd zu mieten.«

Der Mann kam näher. Er war ungefähr vierzig, hatte kurz geschnittene, hellbraune Haare und einen sorgfältig beschnippelten Oberlippenbart. Früher war er einmal verheiratet gewesen. Doch seine Frau war bei Nacht und Nebel mit einem Geologen durchgebrannt, der in der Gegend Vermessungen durchgeführt hatte. Joyce hatte nie wieder von ihr gehört.

»Es ist heiß heute«, sagte er freundlich. »Verdammt heiß. Möchtest du eine Limonade, Ruth?«

Seine Fürsorge tat ihr gut. Ruth strich den Rock glatt, den sie heute ausnahmsweise trug. »Oh ja, das wäre sehr nett von Ihnen, Mr. Joyce.«

»Sag doch Tom zu mir.«

Sie nickte beklommen. »Tom«, hauchte sie kaum hörbar.

»Los, komm mit ins Haus«, sagte er und ging an ihr vorbei ins Freie.

Joyce' Wohnhaus befand sich direkt neben dem Stallgebäude. Es war im Stil einer Blockhütte errichtet und erinnerte an die Unterkunft der Pioniere des Wilden Westens. Allerdings hatte das Bauwerk ganz andere Ausmaße als die kleinen, primitiven Hütten der ersten Ansiedler. Es war zweistöckig, besaß große Fenster und ein fachmännisch gedecktes Schindeldach mit Regenrinne und Fallrohren.

Ruth hatte das Haus noch nie von innen gesehen.

Sie war beeindruckt, als sie eintrat. Obwohl Joyce ohne Frau lebte, waren die Räume sauber und aufgeräumt. An den Wänden hingen Ölgemälde von wildromantischen Landschaften: Grand Canyon, Rocky Mountains, Smoky Hills. Auf dem Tisch in der Küche stand eine Vase mit einem Strauß frisch gepflückter Feldblumen.

Das Stillleben gefiel Ruth. »Schön haben Sie es hier, Tom.«

»Danke.« Er griff nach einem Krug, der neben dem Kochherd stand. »Ich liebe es, wenn es um mich herum nett aussieht«, sagte er. »Im Stall habe ich ja den ganzen Tag nur mit Schmutz zu tun.«

Ruth sah zu, wie er Zitronen schnitt. Er hat mich noch gar nicht gefragt, warum ich gekommen bin , dachte sie.

»Wie geht es Ihnen, Ruth?«, fragte er wie beiläufig. »Ich hoffe, es gibt keine Probleme, oder?«

»Na ja, eigentlich doch.«

Er quetschte den Saft in einer Presse aus und goss ihn in zwei Gläser. »Lassen Sie mich raten«, sagte er. »Ihnen ist das Geld ausgegangen, und deswegen haben Sie sich an mein Angebot erinnert.«

Ruth spürte, dass sie rot wurde. »Ja, Tom. Ich bin gekommen, um...«

»Verstehe.« Er sah sie an, von oben bis unten. »Wissen Sie, dass Sie in Rock und Bluse ganz reizend aussehen?«

»Hosen sind praktischer«, fand sie. Dann holte sie tief Luft und sagte: »Wenn ich mit Ihnen schlafe, wie viel geben Sie mir dafür?«

Er rührte den Zucker in die Gläser. »Das bestimmst du, Ruth. Sage mir, was du verlangst, und ich stimme zu, ohne zu feilschen.«

Sie zögerte einen Moment, dann nannte sie etwas mehr die Summe, die sie und ihre Schwestern dem Vermieter schuldeten. Sie brauchte ja auch die Tickets fürs Theater. Im gleichen Atemzug fand sie ihre Forderung viel zu hoch. In den Bordellen wurde weit weniger Honorar bezahlt. Manche Huren, die keinen so großen Anklang mehr hatten, taten es bereits für fünfzig Cents. Nur die Edelhuren verlangten hohe Honorare.

»Zehn Dollar?« Joyce reichte ihr eines der Gläser, das andere behielt er in der Hand. »Einverstanden. Zehn Dollar. Trinken wir darauf.«

Die Gläser klangen hell.

Ruth spürte, wie ihr Herz wummerte. Als Liebhaberin war sie ziemlich unerfahren. Möglicherweise enttäuschte sie den Mann mit ihrer Weiblichkeit, und er behielt sie in keiner guten Erinnerung.

Quatsch , sagte eine Stimme in ihr. Joyce ist ein Gentleman. Beschere ihm ein schönes Erlebnis, dann nimm die Bucks und bezahle deine Schulden. Comprende?

Hastig trank sie einen Schluck.

Die Limonade schmeckte fabelhaft. Das Säure-Zucker-Verhältnis stimmte auf den Punkt. Der Barkeeper vom Grand Central hätte es nicht besser mischen können.

Sie trank noch mehr, bis das Glas halb leer war.

»Komm in die Schlafstube«, sagte Joyce.

Ruth schluckte schwer. Die Würfel waren gefallen. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie sah, wie Joyce eine Tür aufschob und eine einladende Geste machte.

Nach Sekunden des Zauderns gab sie sich einen Ruck und betrat den Raum.

Sogleich fiel ihr das breite Bett auf, auf dem nur ein Kissen und eine Decke lagen. Vermutlich hatte hier lange keine Frau mehr geschlafen. Joyce war in der Stadt nicht gerade als Schürzenjäger bekannt.

Das Wiehern eines Pferdes drang an ihre Ohren.

»Das ist Sheila«, sagte Joyce. »Die eifersüchtigste Stute zwischen New York und San Francisco.«

Ruth lächelte amüsiert. Joyce besaß eine erfrischende Portion Humor. Das machte die Sache leichter. Ihre anfängliche Scheu war bereits gewichen.

Sie verspürte den Anflug von Lust.

Joyce legte Münzen im Wert von zehn Dollar auf den Nachttisch. Dann wandte er sich um, kam näher und nahm ihr Gesicht in beide Hände.

»Du bist so hübsch«, sagte er, dann küsste er sie auf den Mund.

Ruth merkte, dass er bereits erregt war. Die Wölbung seiner Hose verriet genug. Jetzt spürte sie die Beule an ihrem Bauch.

Joyce küsste sie sanft, dann drang seine Zunge Stück für Stück in ihre Mundhöhle ein.

Sie hielt still, doch nach einer Weile erwiderte sie die Liebkosung.

Sie musste sich eingestehen, dass sie bereits gehörig in Fahrt gekommen war. Joyce war wirklich sehr zärtlich zu ihr. Ihre Brüste drückte er ganz zaghaft, als wollte er ihr nicht unnötig wehtun. Sie merkte, wie ihre Nippel anschwollen und zu kribbeln anfingen.

Joyce trat einen Schritt zurück. »Ich möchte, dass du dich ausziehst«, erklärte er.

»Ja, natürlich.« Ruth schlüpfte aus Rock und Bluse, nur die weißen Strümpfe behielt sie an.

»Lass mich dich anschauen«, sagte Joyce mit gepresster Stimme. Er betrachtete sie mit Augen, die wie Edelsteine funkelten. »Meine Güte, so etwas Schönes habe ich lange nicht mehr gesehen.«

Sein Kompliment schmeichelte ihr.

Einem jähen Impuls folgend, griff sie zu und hakte seinen Leibriemen auf. Als sein steifes Glied aus der Unterhose federte, nahm sie es mit der hohlen Hand behutsam in Empfang.

Langsam bewegte sie ihre Hand auf und ab.

»Mein Gott, Ruth«, stöhnte Joyce. Mit sichtlichem Genuss schloss er die Augen.

Nach einiger Zeit ließ Ruth von ihm ab. Sie setzte sich auf die Bettkante. Mit beiden Händen hob sie ihren Busen. Herausfordernd blickte sie den Mann an. Joyce war sofort im Bilde. Er platzierte seine Männlichkeit in der Spalte zwischen dem weichen Fleisch. Ruth begann, den harten Stängel zu massieren.

Es dauerte nicht lange, und Joyce perlte der Schweiß auf der Stirn. Immer wieder flüsterte er liebevoll ihren Namen.

Mein lieber Schwan! Ruth schwebte auf Wolke sieben. Nie hätte sie für möglich gehalten, dass ihr das Zusammensein mit dem Mietstallbesitzer so ein Vergnügen bereiten würde.

Als sie wenig später rücklings auf dem Bett lag, mit angewinkelten Beinen, beugte sich Joyce über ihren Schoß. Er küsste sie auf ihre erblühte Liebesknospe.

Das tat er so gewissenhaft, dass sie unvermutet schnell ihren Höhepunkt erreichte.

»O mein Gott!« Ruth kam sich vor wie in der Gondel eines Karussells auf dem Jahrmarkt beim Erntefest in Omaha. Schwindlig vor Wohlbehagen stieß sie leise Schreie aus und warf den Kopf von einer Seite auf die andere.

Als das Hochgefühl verebbte und sie wieder ruhig lag, legte sich Joyce über sie.

Ruth ging instinktiv das Tempo mit, das er vorgab. Ihr Becken hob und senkte sich im gleichmäßigen Takt. Die Zeit schien stillzustehen. Alles um sie herum versank in Bedeutungslosigkeit. Es war wie ein Rausch. Nichts gab es, was Ruth jetzt interessierte, außer von dem Mann geliebt zu werden.

Bald merkte sie, dass er so weit war. Sein Gesicht verzerrte sich zur Grimasse. Sein Atem ging stoßweise, wie der Antrieb einer Lokomotive.

»Warte«, sagte sie und setzte sich auf.

Joyce kniete sich vor sie. Sie hob beide Hände unter ihre wippenden Twins. Joyce verstand sofort, was sie damit meinte.

Während er kam, bedachte er sie mit zärtlichen Kosenamen. Anschließend fiel er schnaufend neben sie aufs Laken.

Eine Zeitlang lagen sie still nebeneinander. Ruth riskierte einen Blick auf den Nachttisch. Die bereitgelegten Münzen schimmerten matt. Das Geld gehörte jetzt ihr. Der finanzielle Ruin war abgewendet. Zumindest vorläufig. Jetzt konnte sie die Miete bezahlen, die sie Greenwood schuldeten, und sogar die Karten für »Sheriff für einen Tag« kaufen.

Ein gutes Gefühl. Zwei Probleme mit einem Schlag gelöst.

Doch auf einmal kam sie sich schäbig vor. War es fair, ihrem Liebhaber für diese ergötzliche Zweisamkeit so eine Stange Geld abzunehmen? Joyce liebte sie, das war so klar wie der Himmel über Hayes City. Sie dagegen war nur auf das Geld scharf gewesen, das er für das Schäferstündchen berappen musste.

War sie eine Hure?

Ruth schlug das Gewissen.

Da meldete sich ihre innere Stimme. Ach was, gräm dich nicht, Mädchen. Take it easy. Geschäft ist Geschäft. Du hast dir die Dollars redlich verdient. Nimm den Zaster, wünsche Joyce noch einen guten Tag und dann machst du dich vom Acker.

Der Mann legte eine Hand auf ihren Bauch. »Das mit dir eben war das Schönste, das ich je erleben durfte«, sagte er.

Ruth nickte wortlos. Auch für sie war das eben das Highlight ihres Lebens gewesen. Als Frau durfte sie das natürlich nicht laut hinausposaunen. Männer bekamen sonst Höhenflüge, sobald sie solche Komplimente hörten.

Die Berührung seiner Hand erfüllte sie mit Wärme und Geborgenheit. Sie hätte ewig so daliegen können, ganz dicht neben ihrem Liebsten. So ruhig und ausgeglichen hatte sie sich lange nicht gefühlt, vielleicht noch nie.

Joyce hob den Kopf. »Ruth?«

»Ja?«

»Ich möchte dich etwas fragen.«

»Das wäre?«

Er sah sie an. »Willst du mich heiraten, Ruth?« Die Frage kam wie ein Pistolenschuss.

Ruth schnappte atemlos nach Luft. Joyce blickte sie durchdringend an. Ruths Herz wummerte in ihrer Brust, als wolle es zerbersten. Sie wusste nicht, was sie antworten sollte. Die Tragweite seines Heiratsantrags überforderte sie, und zwar maßlos.

Im Stall wieherte die Stute.

Ruth lächelte verlegen. »Sheila hat etwas dagegen«, meinte sie. »Ich glaube, deine vierbeinige Freundin ist tatsächlich eifersüchtig auf mich.«

»Nein«, sagte Joyce und wälzte sich aus dem Bett. »Diesmal klang Sheilas Wiehern anders. Ich kenne das Luder genau. Da ist jemand im Stall, ein Fremder, so wie es den Anschein hat.«

Nach diesen Worten kleidete Joyce sich hastig an und lief aus dem Zimmer.

Ruth blieb im Bett. Sie kreuzte die Hände unter dem Kopf und blickte nachdenklich an die Zimmerdecke. Was würde geschehen, wenn sie Joyces Antrag annahm und tatsächlich seine Frau wurde? Was würde dann aus Kendra und Jane? Würde Tom es erlauben, dass beide ebenfalls in seinem Haus wohnten? Sie konnte ihre Schwestern doch nicht in der schäbigen Kammer zurücklassen.

Mitten in ihre Überlegungen dröhnte die laute Stimme ihres Liebhabers:

»Ruth! Würdest du bitte mal kommen! Da ist ein Gentleman, der dich sprechen möchte!«

Ruth zögerte kurz, dann stand sie auf. Sie schlüpfte in Rock und Bluse, ordnete vor dem Spiegel flüchtig ihr Haar und trat vor das Haus.

Als sie sah, mit wem Joyce vor dem Stalltor stand, bekam sie einen Schreck.

Es war der Mann, den sie und ihre Schwestern am Morgen vor dem Milton Hotel um fünfzig Dollar erleichtern wollten, Mr. Lassiter, der Revolvermann, der einst in Buffalo Bills Diensten gestanden hatte.

Tod und Teufel , dachte Ruth. Was will Lassiter von mir? Und wie in aller Welt hat er mich gefunden?

»Ich möchte Ihnen gern ein paar Fragen stellen«, sagte Lassiter. »Es handelt sich womöglich um eine Sache, die Ihre Familie betrifft, Miss.«

Sie standen zu dritt vor dem Mietstall. Ruth Buffin war ganz rot im Gesicht und zupfte sich nervös an ihren Ohrläppchen. Ihre Bluse sah ziemlich zerknittert aus. Tom Joyce, der Mietstallbesitzer, trug keinen Hut und nestelte sichtlich verlegen an der Schnalle seines Leibriemens.

Lassiter war peinlich berührt. Offenbar hatte er die zwei gerade bei einem intimen Zusammensein gestört.

»Wie haben Sie mich gefunden?«, fragte Ruth.

»Der Postbote hat gesehen, wie Sie in Mr. Joyces Haus gingen.« Lassiter lächelte. »Tut mir leid, ich hoffe, ich komme nicht ungelegen.«

Joyce knöpfte sein Hemd zu. »Ach was, wir haben nichts zu verbergen. Wenn ihr beiden unter vier Augen reden wollt, bitte sehr. Ich hab im Stall zu tun.«

Aus dem Inneren des Gebäudes drang das Wiehern eines Pferdes. Joyce folgte dem Ruf des Tieres. Lassiter blieb mit der jungen Frau am Tor stehen.

Sie kniff die Augen zusammen. »Will hoffen, es ist nicht wegen der Sache heute Morgen.«

»Nein, Miss«, besänftigte er sie. »Keine Bange. Der Fall ist für mich erledigt. Es geht um etwas völlig anderes.« Er blickte sich nach allen Seiten um. Niemand war in Hörweite. »Ich bin da auf eine Sache gestoßen, bei der Sie mir möglicherweise helfen könnten, Miss.«

»Ich – Ihnen helfen?« Ihre Augen wurden kugelrund.

Er nickte. »Es handelt sich um eine Person, die denselben Familiennamen trägt wie Sie – Buffin.«

»Buffin?« Ruth nahm die Hand von ihrem Ohr. »Was soll denn das für eine Person sein? Und warum ist das so von Bedeutung für Sie?«

»Ihr Name ist Bethany Buffin«, ließ Lassiter die Katze aus dem Sack. »Kennen Sie sie?«

Die Frage brachte Ruth sichtlich aus der Fassung. »Was wissen Sie über Beth?«, keuchte sie. »Ihr ist doch nichts passiert, oder?«

Volltreffer , dachte Lassiter. »Sie sind also verwandt mit ihr?«

»Und ob ich das bin. Beth ist meine Kusine.« Ruth strich sich ein Haar aus dem Gesicht. »Was ist mit ihr passiert? Ist sie am Leben? Geht es ihr gut?«

»Sie lebt und es geht ihr gut«, erklärte Lassiter.

Ruth blieb argwöhnisch. »Und woher wollen Sie das wissen? Haben Sie sie gesehen?«

»Nicht persönlich«, bekannte er. »Aber ich weiß aus gut unterrichteter Quelle, dass sie jetzt in Sicherheit ist. Sie brauchen sich nicht um sie zu sorgen.«

Ruth betrachtete ihn aus schmalen Augen.

Lassiter brannte eine Frage auf der Zunge. »Standen Sie mit Beth in Kontakt?«

»Kontakt ist zu viel gesagt. Ich habe nur einmal einen Brief von ihr bekommen.«

»Einen Brief, woher?«

»Aus einer ehemaligen spanischen Mission. Beth hat dort eine Weile gelebt.«

»Wie hieß die Mission?«

»St. Francisco.«

»Sind Sie sicher?«

»Ja, bin ich.« Ruth nickte bekräftigend. »Ich kann Ihnen den Brief zeigen, wenn Sie es wünschen. Er liegt zwischen meinen Papieren unter der Matratze.«

»Später.« Lassiter sah sie an. »Wussten Sie, dass Ihre Kusine von Kidnappern verschleppt wurde?«

Ruth senkte den Kopf. »Ja, das steht auch in dem Brief. Aber er brauchte ein paar Monate, bis er in Hayes City ankam. Beth hat den Brief heimlich einem Lieferanten zugesteckt, der die Mission mit Lebensmittel versorgt hat. Es war das Letzte, das ich je von ihr gehört habe.«

»Haben Sie oder Ihre Schwestern etwas unternommen, als Ihnen bekannt war, dass Ihre Kusine verschleppt worden ist?«

Ruth schüttelte den Kopf. »Wir hatten mit uns selbst zu tun.«

»Der Brief«, sagte Lassiter. »Gestatten Sie, dass ich ihn mir mal ansehe.«

»Ja, warum nicht?« Sie zupfte an ihrem Ohr. »Verraten Sie mir, warum Sie sich so sehr für meine Kusine interessieren? Sie kannten sie doch gar nicht persönlich.«

»Nein, bin ihr nie begegnet.« Lassiter hakte einen Daumen in seinen Gürtel. »Ich will, dass den Schurken, die Ihrer Kusine und vielen anderen Mädchen solche bösen Sachen antun, das Handwerk gelegt wird. Wenn man sie gewähren lässt, wird es weitere Opfer geben. Soweit ich kann, will ich das verhindern. Die Banditen sollen für ihre Untaten zur Rechenschaft gezogen werden.«

Ruth atmete erleichtert auf. »Demnach sind Sie ein US-Marshal.«

»Nein.«

»Ein Pinkerton-Detektiv?«

»Auch nicht.« Er blieb vage. »Sagen wir, ich bin Privatmann, der sich auf die Fahnen geschrieben hat, diese Welt zu einer besseren zu machen.«

»Ein hartes Stück Arbeit«, entgegnete sie. »Jedenfalls wünsche ich Ihnen viel Glück bei Ihrem Feldzug.«

»Danke. Gehen wir jetzt zu Ihnen? Der Brief.«

»Einen Augenblick.« Ruth wies mit einer Hand zum Stalltor. Sie lächelte. »Da gibt es noch jemanden, von dem ich mich verabschieden muss.«

»Alles gut.« Lassiter lächelte. »Lassen Sie sich nur Zeit, Miss.«

Kendra und Jane sprangen erschreckt auf, als Ruth mit Lassiter in die abgedunkelte Kammer trat.

»Was zum Teufel will der Mann hier?«, fauchte Kendra.

»Er möchte sich den Brief von Beth ansehen«, erwiderte Ruth.

Lassiter hielt Umschau. Das Zimmer, in dem die Mädchen logierten, war klein und mit Gerümpel möbliert. Auf dem nachlässig gedielten Fußboden lagen mehrere Matratzen nebeneinander, auf denen ausrangierte Wolldecken der Army und Kissen mit bunten Stickereien zu finden waren. An der einen Wand hing ein vergilbtes Porträt von Jesse und Frank James, an der anderen ein Reklameschild von einer großen Brauerei aus St. Louis. Löchrige Baumwollgardinen baumelten vor dem Fenster. Der Geruch von Waffenöl, Leder und kaltem Rauch lag in der Luft.

Kendra rollte sich eine Zigarette. Dabei musterte sie den Besucher misstrauisch. Ruth kniete nieder und zog eine flache Holzkiste unter ihrer Schlafmatratze hervor. Jane kauerte still in der Ecke, den Rücken gegen die Wand gelehnt.

»Nanu?« Ruth kramte in dem Kistchen. »Wo ist denn der Brief? Ich weiß genau, dass ich ihn hier drin verwahrt habe.«

Kendra zündete sich ihren Glimmstängel an. Plötzlich schlug sie sich mit der flachen Hand auf die Stirn. »Oh, eben ist's mir eingefallen. Du wirst den Brief nicht finden, Sweetheart.«

Ruth starrte sie an.

Die jüngere Schwester nahm einen Lungenzug. »Neulich, da hatte ich kein Papier mehr, zum Zigarettenrollen, meine ich. Verstehst du? Na ja, da fiel mir ein, wo ich noch etwas finden könnte.«

»Das kann nicht dein Ernst sein!« Ruth zog ein langes Gesicht. »Du hast Beth' Brief genommen, um dir eine Kippe zu drehen?«

»In der Not frisst der Teufel Fliegen.« Kendra blies einen Rauchring. »Hab dich nicht so, Schwesterchen. War ja nur 'n gottverdammtes Blatt Papier.«

Ruth war sichtlich angefressen. »Wie kommst du dazu, an meine Sachen zu gehen, ohne mich zu fragen?«

»Du warst gerade nicht da, und mir pfiff die Lunge. Was blieb mir weiter übrig?«

Die Kammer füllte sich mit Tabakrauch. Lassiter wedelte mit einer Hand die Wolke zur Seite. Wie es aussah, war er umsonst gekommen. Kendras Botschaft aus der Gefangenschaft in der Mission hatte sich im wahrsten Sinne des Wortes in Rauch aufgelöst.

Jenseits der Tür tappten Schritte. Jemand pochte laut und drückte, ohne eine Aufforderung zu erhalten, die Klinke nieder.

Die Tür sprang auf, und ein pockennarbiger Mann in einem fleckigen Kittel schob sich in die Kammer.

»Will verdammt sein, wenn ich mich noch mal ohne mein Geld abspeisen lasse«, knurrte er.

Lassiter rümpfte die Nase, als er die Schnapsfahne des Mannes roch.

»Mr. Greenwood«, rief Ruth. »Ich wollte gerade zu Ihnen kommen.«

»Ach ja?« Der schmierige Kerl bleckte seine schadhaften Zähne. »Seid ihr Weibsbilder endlich auf eine Goldader gestoßen?«

Ruth trat zu ihm. In ihrer rechten Hand blinkten mehrere Münzen. »Hier, das Geld für die Miete. Damit wären wir quitt.«

Mit einem Grunzer nahm Greenwood die Geldstücke entgegen.

»Ist noch etwas?« Ruth runzelte die Stirn. »Wenn nicht, möchte ich Sie bitten, unser Zimmer zu verlassen. Wir haben nämlich Besuch, wie Sie sehen.«

»Hol's der Teufel«, brummte der Vermieter und trollte sich.

Lassiter schloss die Tür hinter ihm. Der Schnapsgeruch schwebte noch immer in der Luft.

»Meine Güte!«, rief Kendra aus. »Wo zum Kuckuck hast du das Geld her, Ruth?«

»Egal. Hauptsache, der Aasgeier kann uns nicht mehr vor die Tür setzen.«

Jane rappelte sich auf, trat zu Ruth und schlang ihre Arme um sie. »Wenn wir dich nicht hätten, wären wir jetzt obdachlos«, flüsterte sie.

Lassiter schob seinen Stetson höher. »Ruth«, sagte er. »Vielleicht können Sie sich noch an bestimmte Details aus dem Brief erinnern.«

Ruth schob ihre Schwester zurück. »Ich weiß nur noch, dass Beth aus St. Francisco geschrieben hat. Es ist schon ziemlich lange her, wissen Sie?«

St. Francisco , dachte Lassiter, der sich weitaus mehr Informationen erhofft hatte. Möglicherweise konnte sein Kontaktmann damit was anfangen.

Enttäuscht wandte sich Lassiter zum Gehen.

»He, warten Sie mal.« Kendra blies eine Ladung Qualm über ihre eine Schulter. »Bevor ich mir die Kippe gedreht habe, las ich ein Wort auf dem Papier. Ein Name, Moment mal, wie war er doch gleich?« Sie rollte mit den Augen und verfiel ins Grübeln.

Lassiter sah sie erwartungsvoll an.

Kendra schlug sich vor die Stirn: »Jetzt weiß ich ihn wieder: Lex Morgan. Der Name war Lex Morgan.«

Ruth nickte fleißig. »Jetzt, wo ich den Namen höre, kommt er mir auch wieder bekannt vor. Kendra hat recht. Beth hat Lex Morgan erwähnt. Aber ich weiß nicht mehr, in welchem Zusammenhang.«

»Denken Sie nach«, raunte Lassiter. »Jede Einzelheit ist ungemein wichtig für mich.«

Im Zimmer wurde es still. Einige Zeit sprach niemand ein Wort. Fliegen summten. In der Ferne tönte der Pfiff einer Dampfmaschine.

Kendra und Ruth starrten mit verglasten Augen ins Leere. Jane stand vor dem Fenster und blickte unverwandt auf das halbnackte Mädchen auf der Bierreklame.

»Ich geb's auf«, sagte Ruth schließlich. »Es ist zu lange her, ich kann mich nicht mehr erinnern, was es mit Lex Morgan auf sich hat.«

Kendra stieß einen langen Seufzer aus. »Mir geht's genau so. Dabei hast mir Beth' Brief damals Wort für Wort vorgelesen.«

Lassiter hob die Achseln. »Schon gut. Ich bin euch trotzdem sehr dankbar. Jetzt weiß ich wenigstens, wo ich ansetzen kann. St. Francisco, Hayes City und Lex Morgan. Für den Anfang gar nicht übel, finde ich.«

Kendra sah Ruth fragend an. »Würdest du mir gefälligst mal verklickern, worum es sich hier eigentlich dreht, Sweetheart?«

Während die Älteste ihren Schwestern schilderte, warum sich Lassiter so interessiert am Schicksal ihrer Kusine zeigte, verabschiedete er sich und ging.

Er wollte Olson aufsuchen, damit der sogleich mit seinen Recherchen beginnen konnte.

Die Mainstreet lag im prallen Sonnenschein. Im Moment war Lassiter der einzige Mensch auf der Straße. Hayes City wirkte wie ausgestorben.

Als Lassiter am Jasper House vorbei kam, in dem sich der Theatersaal befand, sah er, dass der Aufsteller umgekippt war, der die Leute auf das neue Bühnenstück aufmerksam machen sollte. Ein Mädchen von schätzungsweise achtzehn Jahren trat vor die Tür. Scheu blickte es sich nach allen Seiten um. Dann richtete es den Aufsteller auf und wischte mit einem Lappen den Sand von dem grellbunten Plakat.

Das Haar des Mädchens war hochgesteckt und weizenblond. Es schimmerte wie Gold in der Sonne. Eine richtige Augenweide, das Girl. Es entfernte gerade einen besonders hartnäckigen Fleck von dem Plakat, der sich unter dem Titel des Stücks befand.

Als der Schmutz beseitigt war, konnte man die Schrift wieder deutlich lesen: »Sheriff für einen Tag, Tragödie von Lex Morgan. «

Lassiter blieb abrupt stehen. Er starrte auf den Namen des Stückeschreibers, als würde er eine Botschaft aus dem Jenseits lesen.

Lex Morgan.

» All devils «, murmelte Lassiter leise.

Lex Morgan saß in der Badewanne auf dem Innenhof des Jasper House. Er döste mit geschlossenen Augen vor sich hin. Hin und wieder langte er nach dem Bier, das neben der Wanne auf einem Hocker stand.

Morgan war ein glatzköpfiger, von der Sonne gebräunter Mann mit platt gehauener Nase und einem dünnen Schnurrbart über seinen schmalen Lippen. Er hasste die brütende Hitze, aber weil er ihr nicht entrinnen konnte, nahm er Zuflucht in das belebende Wasser der Zinkwanne.

Das Theaterstück, das am Samstag uraufgeführt wurde, lief unter seinem Namen. Doch er hatte das Stück nicht selbst geschrieben. Er lieferte nur den Namen. Im Grunde hatte Morgan vom Schreiben so viel Ahnung wie ein Igel vom Stelzenlaufen.

Geschrieben hatte den Text ein junger Kerl, den er als Ghostwriter engagiert hatte: Jim Watkins. Morgan zahlte ihm einen kleinen Betrag, und sein dienstbarer Geist schrieb sich die Finger wund. Gerade brütete Jim über einem neuen Stück. Eine Komödie mit dem Titel »In Denver ist die Hölle los«. Zum Schreiben hatte er sich in den kühlen Keller des Jasper House zurückgezogen.