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Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2515, 2516 und 2517.
Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 404
Veröffentlichungsjahr: 2025
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2020 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
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Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Boada/Norma
ISBN: 978-3-7517-8176-3
https://www.bastei.de
https://www.luebbe.de
https://www.lesejury.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Lassiter 2515
Lassiter und die Wildkatze
Lassiter 2516
Galgen- Jennys letzter Coup
Lassiter 2517
Tal der Angst
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Contents
Lassiter und die Wildkatze
Henry Hembley hatte schon viele Bremser sterben gesehen. Gute Männer, denen das Schicksal einen bösen Streich gespielt hatte. Ihm sollte das nicht passieren. Nein, er wollte es bis zum Lokführer bringen und die alte Lady selber führen.
Eingehüllt von Dampf und Rauch saß Henry auf dem Dach des schwankenden Güterwagens, ließ die Beine herunterhängen und die Telegraphenmasten an sich vorüberziehen. Bis zur nächsten Station waren es noch gut zwanzig Meilen. Zeit genug, um die Augen zu schließen, von Sally zu träumen und...
Drei Pfiffe schrillten kurz hintereinander durch die Nacht und brachten den jungen Bremser auf die Beine. Drei Wagenlängen vor dem Zug der Denver & Rio Grande Eisenbahngesellschaft fehlte eine ganze Schiene! Henry packte das Handrad der Bremse, sandte ein Stoßgebet zum Himmel und begann mit aller Kraft zu drehen...
Quälend langsam ruckte das Rad an.
Henry stemmte sich dagegen und bewegte es im Uhrzeigersinn. Über eine lange Stange übertrug es die Kraft nach unten zu der Handbremse und den Rädern.
Stampfend ratterte der Zug voran.
Noch war nichts von der Bremse zu spüren.
Weiter! Weiter!, trieb er sich in Gedanken selbst an.
Erneut schrillten drei Warnpfiffe der Dampfpfeife.
Als würde die Old Lady um Hilfe rufen, schoss es Henry durch den Kopf, und er verdoppelte seine Anstrengung.
Der Fahrtwind zauste seine roten Haare, wehte ihm die Schirmmütze vom Kopf. Er bemerkte es nicht einmal.
Nur noch zweieinhalb Wagenlängen.
Sie würden es nicht schaffen.
Im Leben nicht.
Der Zug stampfte mit beinahe unveränderter Geschwindigkeit südwärts.
Am anderen Ende des Zuges war sein Kollege Morten ebenfalls aufgesprungen und drehte hektisch an der Handbremse. Sein Gesicht leuchtete kalkweiß durch die Nacht, als würde sich das Mondlicht darin spiegeln.
Der Däne war lange genug Bremser. Er wusste, was ihnen bevorstand.
Henry konnte es nur ahnen.
Seit gerade mal einer Woche tat er seinen Dienst als Bremser.
Die primitiven Handbremsen waren elende Vorrichtungen, die auf den Dächern der Wagen mittels eiserner Handräder angezogen wurden und nur langsam fassten.
Viel zu langsam.
Sobald der Lokführer mit der Pfeife ein Bremssignal gab, machten sie sich ans Werk. Arbeiteten sich von jedem Ende des Zuges aus aufeinander zu. Dabei spielten sie jedes Mal mit ihrem Leben, wenn sie die Armlänge Abstand zwischen zwei schaukelnden Wagendächern mit einem beherzten Sprung überwanden.
Henry machte einen Satz auf das nächste Dach und kurbelte hektisch an der Handbremse. Dabei rutschte ihm die neueste Ausgabe der »Nickel Library« aus seinem Hemd: Prärie-Jim hieß der Roman. Der Wind wirbelte das Heft davon.
Nun würde er nie erfahren, ob Prärie-Jim gegen die Bandoleros bestand.
Henry knirschte mit den Zähnen, während er so schnell wie möglich das Rad drehte. Der Zug war auf dem Weg zu einem Bautrupp der Denver & Rio Grande Eisenbahngesellschaft. Die Güterwagen transportierten Baumaterial, Lebensmittelvorräte und die sehnlichst von den Arbeitern erwarteten Postsendungen. In den Personenwagen reisten zahlreiche neue Streckenarbeiter mit, welche den Trupp verstärken sollten.
Die Linie sollte nach Leadville, Colorado geführt werden.
Der Ort blühte auf, seitdem dort Erze in Hülle und Fülle abgebaut wurden. Ein gutes Geschäft für die Eisenbahn.
Allerdings war die Denver & Rio Grande nicht die einzige Eisenbahngesellschaft, die Interesse an der Eroberung des Frachtmarktes hatte!
Henry stöhnte.
Wir sind immer noch viel zu schnell! Wenn wir bei dieser Geschwindigkeit entgleisen, werden wir mit Mann und Maus draufgehen!
Er sprang auf den nächsten Wagen und kurbelte an der Handbremse. Schwitzte. Fluchte. Noch immer stampften sie mit mehr als fünfzig Meilen pro Stunde voran!
In der Ferne zeichneten sich karge, mit Schnee gepuderte Gipfel ab.
Das Mondlicht fiel auf die Schienen und verlieh ihnen das Aussehen silberner Fäden, die um die spärlich bewachsenen Hügel herumführten. Ein Stück davon fehlte. Nur noch eine Wagenlänge voraus.
Sein wild wummerndes Herz schien im Rhythmus mit den stampfenden Rädern zu klopfen. Er hatte sich vom Putzer hochgearbeitet. Hatte Zwölf-Stunden-Schichten im Lokschuppen geschoben und die Eingeweide der Old Lady mit Knäuel öliger Putzbaumwolle bearbeitet. Für einen Dollar fünfundsiebzig am Tag. So hatte er es zum Lokomotivwächter und schließlich zum Bremser gebracht. Sein Traum war es, das alte Mädchen eines Tages selber zu führen und genug Geld zu verdienen, um Sally zu heiraten. Ihrem Vater gehörte der General Store in seiner Heimatstadt Colby. Er hatte Henry klar gemacht, dass er seine Tochter nur einem Mann geben würde, der gut für sie sorgen würde. Dabei hatte er ihn mit seinem verbliebenen guten Auge angefunkelt, als könnte er ihm auf den Grund seiner Seele blicken.
Henry schwärmte schon lange von Sally. Sie sollte die Seine werden, sobald er den Sprung in die Lokomotive geschafft hatte. Er würde ein Haus für sie kaufen. Sie könnten eine Familie gründen. Und nun schien aus alledem nichts zu werden. Wie Giftpfeile schossen diese Gedanken durch seinen Schädel.
Seine erste größere Fahrt würde zugleich seine letzte sein.
»Wie sieht's aus?«, brüllte Morten ihm zu.
»Wir schaffen's nicht«, rief Henry zurück.
Sie stampften noch immer mit knapp fünfzig Meilen pro Stunde voran.
Er schätzte, es waren noch gut siebenhundert Yards, bis der Zug stehen würde.
Sie hatten keine Chance...
Aufgeben kam für Henry nicht in Frage. Er kurbelte weiter, sprang von Dach zu Dach und kurbelte, bis seine Hände schmerzten.
Die fehlende Schiene war fast erreicht!
Jede Faser seines Körpers drängte ihn, vom Zug zu springen, sich zu retten, aber er musste bremsen, wenn überhaupt jemand überleben sollte. Er musste!
Henry biss die Zähne so fest zusammen, dass es in seinen Ohren knirschte.
Es war ein ungeschriebenes Gesetz für jede Mannschaft: Sie hatten auf das Zeichen des Lokomotivführers zu warten, ehe sie abspringen durften.
Rawley hatte es noch nicht gegeben.
Also machte Henry weiter.
Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie sein Kollege mit einem gewagten Satz in die Tiefe sprang. Ein gellender Schrei war zu hören. Dann gab Morten keinen Laut mehr von sich. Heiliger Rauch! Er schien sich bei dem Aufprall sämtliche Knochen gebrochen zu haben. Henry beugte sich tiefer über sein Handrad, kurbelte schneller.
Die Männer in den Personenwagen werden nur überleben, wenn wir den Zug brechen lassen, raste es ihm durch den Kopf, sonst sterben wir alle zusammen. Die hinteren Wagen müssen abgekoppelt werden. Dann werden sie stehenbleiben. So schnell geht das aber nur mit einem Bruch.
Zu demselben Schluss schien auch der Lokomotivführer gekommen zu sein.
Er stieß vier lange Pfeiftöne aus.
Das Zeichen für ein Auseinanderbrechen des Zuges!
Henry hatte es noch nie miterlebt, aber er wusste, dass der Lokomotivführer nun die Notbremse betätigte und gleichzeitig voll den Regler öffnete.
Und es kam, wie es kommen sollte:
Der Zug brach auseinander!
Die drei Pullmannwagen am Ende des Zuges rollten aus und blieben stehen. Vier Personenwagen schoben sich noch ein paar Yards weiter und hielten dann ebenfalls an. Noch auf den Schienen! Sie waren gerettet!
»Haut ab!«, brüllte James Rawley aus dem Führerstand.
Im selben Augenblick raste die Lokomotive ins Leere. Vier Güterwagen, der Postwagen und ein Personenwagen folgten ihr und entgleisten. Wie von unsichtbaren Händen gezogen, drehte sich der Zug!
Henry wurde hochgeschleudert. Er glaubte, Reiter zu sehen, die hinter dornigen Büschen lauerten, aber bevor er genauer hinschauen konnte, vermischten sich oben und unten. Er verlor die Orientierung. Etwas traf ihn hart am Schädel, ließ Sterne vor seinen Augen explodieren. Ein Trümmerteil bohrte sich in seinen Rücken, raubte ihm die Luft und trieb einen schier unvorstellbaren Schmerz durch seinen Leib. Einen Schmerz, der ihn wünschen ließ, auf der Stelle zu sterben.
Schreie gellten, die nichts Menschliches an sich hatten.
Unter ohrenbetäubendem Krachen und Knirschen überschlugen sich die Trümmer des Zuges, schoben sich weiter und weiter. Es klang, als würde die Welt selbst auseinanderbersten. Die Old Lady stöhnte und ächzte im Todeskampf.
Eine riesige Dampf- und Rauchwolke hüllte sie ein.
Weiße Schwaden waberten auf den jungen Bremser zu.
Und dann war es plötzlich vorbei.
Stille dröhnte in seinen Ohren.
Er konnte nicht atmen, sich nicht bewegen.
Dann verschlang ihn die Dunkelheit wie der gefräßige Schlund eines Ungeheuers.
☆
Lassiter blieb reglos auf seinem Pinto sitzen, die Hände auf das Sattelhorn gestützt. Im Abendlicht war das Wasser des Bergsees beinahe schwarz. Krumme Kiefern reckten sich am Ufer, zeichneten sich dunkel wie Scherenschnitte vor dem Himmel ab. Dahinter ragten zerklüftete Bergspitzen auf.
Obwohl die Sonne bereits untergegangen war, war die Luft noch angenehm mild. Der Frühling kam spät in Colorado, aber wenn er da war, dann blieb er.
Das staubige Band der Poststraße teilte den Wald, brachte die Zivilisation in die Wildnis. Und den Tod.
Vor Lassiter befand sich die Black-Canyon-Station.
Oder vielmehr das, was davon noch übrig war.
Denn die Station existierte nicht mehr.
Jemand hatte den Posten überfallen. Der Stall war restlos abgebrannt. Verkohlte Balken ragten wie knochige Totenarme aus den Überresten auf. Die Blockhütte war ebenfalls den Flammen zum Opfer gefallen und nur noch eine verkohlte Ruine. Über den Trümmern stiegen Rauchschwaden auf. Der Boden rings um die Pferdetränke war aufgewühlt, und die Kadaver von zwei Pferden lagen im Schlamm. Bleiche Rippen ragten aus ihrem blutigen Fleisch.
Menschen waren keine zu sehen.
Und trotzdem kreisten die Geier über der Station.
Warum waren sie hochgeflogen?
Lassiter hatte sie nicht aufgescheucht. Da war er sich sicher. Und an der Station rührte sich kein Leben. Nur ein Boot schaukelte auf dem Wasser, rund zweihundert Yards vom Ufer entfernt. Es wirkte verlassen, schien abgetrieben zu sein.
Warum setzten die Geier ihr blutiges Mahl nicht fort?
Vogelrufe drangen aus dem Wald. Wogen schwappten gegen das Ufer.
Nichts Menschliches war zu hören.
Lassiter zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen.
Er war den ganzen Tag durchgeritten, um die Station zu erreichen, hatte weder den Pinto noch sich selbst geschont. Ein Telegramm hatte ihn hierher beordert. Ein neuer Auftrag sollte ihn hier erwarten, kein verdammtes Blutbad.
War er zu spät gekommen?
Es gab nur einen Weg, um das herauszufinden.
Grimmig stieg der große Mann von seinem Pferd und band es an einer windzerzausten Kiefer an. Dann zog er die Winchester aus dem Scabbard und eilte geduckt zwischen den Bäumen hindurch zu der Station.
Er hielt sich im Dunkel der Schatten, immer bereit, zu reagieren, sollte sich eine Gefahr zeigen.
Doch rings um ihn blieb es totenstill.
Schlamm schmatzte unter seinen Stiefeln. Ein süßlich-verschmorter Gestank stieg ihm in die Nase, als er die Station erreichte. Er zog sein Halstuch vor Mund und Nase und spähte ins Innere.
Das Feuer hatte ganze Arbeit geleistet. Von der Einrichtung waren nur noch Asche und spärliche Reste übrig. Eine Gestalt lag verkrümmt in der Ecke. Er hatte kein Gesicht mehr. Die Flammen hatten ihn zur Unkenntlichkeit verbrannt. Das war ein Anblick, der verdammt auf den Magen drückte. Lassiter schüttelte den Kopf.
Der armen Seele war nicht mehr zu helfen.
Wo war der zweite Mann?
Nach allem, was Lassiter wusste, wurde die Station von Charley Winterbottom und seinem Gehilfen Dan Higgins betrieben. Einen den beiden hatte er hier vermutlich vor sich, aber wo war der andere?
Lassiter sah sich um. Sein Blick fiel auf das Boot, das auf dem See trieb.
Nun, einen Versuch war es wert.
Er strebte zum Ufer, stieg aus seinen Stiefeln und legte seinen Hut, den Waffengürtel und die Winchester daneben ab. Mit einem Rundumblick vergewisserte er sich, dass niemand in der Nähe lauerte. Dann watete er in das Wasser und schnaufte unwillkürlich.
Es war eiskalt!
Lassiter warf sich nach vorn und schwamm mit kräftigen Armschlägen auf das Boot zu. Wenn das hier eine Falle war, würde er es jeden Augenblick wissen. Fast rechnete er damit, dass ihm die Kugeln um die Ohren fliegen würden, aber alles blieb still. Unbeschadet erreichte er das Boot, packte den Rand und zog sich daran hoch.
Er schwang ein Bein hinein. Das Boot schwankte, als er sich vollends hineinhievte.
Sein Instinkt hatte ihn nicht getrogen!
Auf den Planken lag ein Mann. Er war schon älter. Etliche graue Strähnen zogen sich durch sein dunkles Haar. Mehrere Einschusslöcher sprenkelten sein Hemd und seine braunen Hosen. Unter ihm hatte sich eine tiefrote Blutlache ausgebreitet. Er war so bleich, dass Lassiter befürchtete, einen Toten vor sich zu haben.
Doch die Brust des anderen Mannes hob und senkte sich kaum merklich.
Er lebte noch!
Lassiter packte die beiden Ruder, die neben dem Verletzten lagen, setzte sich und stemmte sich in die Riemen. Mit kraftvollen Zügen brachte er das Boot zurück an Land.
Knirschend setzte es am Ufer auf.
Lassiter sprang heraus, schob die Arme unter den Verletzten und hob ihn auf seine Schulter. Blut und Seewasser durchnässten sein Hemd, aber darum würde er sich später kümmern.
Er stürmte zu seinem Pferd und legte den Verletzten vorsichtig im Gras ab.
In diesem Augenblick regte sich der Oldtimer. Stöhnend wollte er sich aufrichten, sackte jedoch sogleich wieder ins Gras zurück. Seine Lider flatterten. Sekundenlang schien er durch den großen Mann hindurchzublicken. Dann klärte sich sein Blick.
»W-hiskey«, brachte er mühsam hervor.
Lassiter nickte nur, nestelte an seinem Bündel und brachte eine Flasche hervor. Die hielt er dem Verletzten an die Lippen. Der nahm einen Schluck, hustete, trank mehr und schnaufte hörbar.
»Danke.« Seine Wangen bekamen ein wenig Farbe. »Wo ist Dan?«
»Für ihn konnte ihn leider nichts mehr tun.«
Der Alte schloss sekundenlang die Augen. Eine Träne rollte über seine faltige Wange, hinterließ eine helle Spur auf seiner blutigen Haut. »War 'n guter Mann, Dan, hat nie gekniffen, wenn es brenzlig wurde. Nie.«
»Sind Sie Charley Winterbottom?«
»Der bin ich. Sie müssen... Lassiter sein.«
»Da vermuten Sie verdammt richtig.«
«... haben auf Sie gewartet«, murmelte der Verletzte.
»Jetzt bin ich da.«
»Nein, diese Kerle, sie haben nach Ihnen gefragt, aber wir haben nichts verraten.«
»Was für Kerle waren das? Wer hat die Station niedergebrannt?«
»Weiß ich nicht. Gunslinger.« Der Atem des Älteren kam rasselnd und so mühsam, als müsste sich sein Körper zu jedem Luftholen erst mühsam aufraffen.
»Bleiben Sie ruhig liegen, Mr. Winterbottom. Ich werde Sie verbinden.«
»Erst müssen wir reden.«
»Sie haben eine Menge Blut verloren.« Lassiter holte einige Streifen Verbandszeug aus seinem Packen und machte sich daran, die Wunden des Stationswächters zu verbinden. Dabei rann ihm das Blut des Verletzten über die Hände. »Ein Doc muss die Kugeln rausholen. Ich werde Sie zu einem bringen.«
Ein trauriges Lächeln huschte über das Gesicht des Alten, als wüsste er etwas, von dem Lassiter noch keine Ahnung hatte.
»Ich muss Ihnen etwas sagen«, rasselte er. »Es ist wichtig. Man hat mich gebeten, Ihnen Ihren neuen Auftrag zu übermitteln. Bitte, hören Sie zu.«
»Das tue ich.«
»Was wissen Sie über den Colorado-Eisenbahnkrieg, Mr. Lassiter?«
»Nur, was man in der Zeitung darüber liest. Die Santa Fé und die Rio Grande Eisenbahngesellschaften konkurrieren seit Jahren um die besten Strecken zwischen Colorado und New Mexico, nicht wahr?«
»Das stimmt. Schon viele Männer haben in diesem Streit ihr Leben verloren.« Der Alte rutschte an einen Stein heran und schob sich daran empor, bis er halbwegs aufrecht saß. Blutrote Flecken breiteten sich auf seinen Verbänden aus, aber er kam jedem Einwand mit einer unwirschen Handbewegung zuvor, als wollte er eine Fliege verscheuchen. »Vor wenigen Wochen kam es am Raton Pass zum Kampf. Der Präsident der Santa Fé schickte gemietete Revolverschwinger ins Feld. Sie zwangen die kleinere Rio Grande Eisenbahngesellschaft, ihnen die Strecke abzutreten.«
»Also ist der Krieg vorüber?«
»Das war er, aber er ist wieder aufgeflammt. In Leadville hat man große Mengen von silberhaltigem Erz gefunden. Das verspricht ein ergiebiges Frachtgeschäft, und das wollen sich beide Gesellschaften sichern.« Der Alte hustete bellend. »Schienen müssen verlegt werden, aber dabei gibt es einen Haken: die Berge! Es existiert nur ein einziger Zugang nach Leadville und der führt geradewegs durch den Grand Canyon des Arkansas River.«
Lassiter kannte diese Scharte. Rund tausend Yards tief war sie, aber stellenweise kaum breit genug für ein einziges Gleis, geschweige denn für zwei. Nur eine der beiden Bahnen konnte dorthin gebaut werden. Also würde es ein Wettrennen geben, wer seine Schienen schneller legen konnte.
»Die Präsidenten der Santa Fé und der Rio Grande stehen im erbitterten Wettstreit. Nur einer von ihnen kann seine Gleise durch den Canyon verlegen, und jeder will das unbedingt als Erster schaffen und sich das Geschäft mit den Minern sichern.«
»Also gehen die Auseinandersetzungen weiter?«
»Ja. Diese Männer schrecken vor keiner Bluttat zurück, um sich gegenseitig an der Fortführung ihrer Linien zu hindern.« Charley Winterbottom presste eine Hand auf seine Brust. Seine Stimme wurde immer leiser. »Es ist ein Krieg, Lassiter. Die Bautrupps stehlen sich gegenseitig das Baumaterial, bringen Arbeiter um und versetzen Absteckpflöcke, sodass mühevoll erledigte Messungen wiederholt werden müssen. Das hält die Arbeiten auf. Und zwar in beiden Lagern.«
»Und wo komme ich ins Spiel?«
»Dieser Streit ist eskaliert. Es gab ein Zugunglück. Der Lokführer, sein Heizer und die Bremser kamen ums Leben. Auch Material und Vorräte sind verloren. Es heißt, mit einem gewagten Manöver hätte der Lokführer seine Fahrgäste gerettet. Fünfzig Streckenarbeiter, die den Bautrupp der Rio Grande verstärken sollen. Sie sind noch am Leben, weil er seines hergegeben hat, aber der Nachschub ist weg.«
»War es ein Raubüberfall?«
»Das weiß niemand so genau.« Der Alte beugte sich vor, brachte sein Gesicht näher an Lassiter heran. »In Washington glaubt man, dass Saboteure der Santa Fé hinter dem Unglück stecken. Sie... Sie sollen die Wahrheit aufdecken und einen Weg finden, um das Blutvergießen zu beenden.«
Lassiter verstand. Er sollte diesen Eisenbahnkrieg beenden!
Das war keine Kleinigkeit. Dieser Kampf währte schon lange. Außerdem hörte beim Geld die Freundschaft auf. Beide Eisenbahngesellschaften drängte es nach dem lukrativen Zugang zum Canyon. Und sie schreckten nicht davor zurück, Feuer und Blei auf ihren Rivalen regnen zu lassen, um ihn aus dem Rennen zu nehmen.
»Wie komme ich zum Lager der Santa Fé , Mr. Winterbottom?«
»Sehen Sie die doppelte Bergspitze dort im Norden? Dahinter... finden Sie, was Sie suchen. Sie können sich als Vermesser engagieren lassen. Die werden immer gebraucht. Sehen Sie nur zu, dass Sie nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich lenken. Das würde Ihnen schlecht bekommen. Bleiben Sie unauffällig.«
»Unauffällig.« Lassiter blickte zweifelnd an sich hinunter. Mit seiner großen, kräftigen Statur war er so unauffällig wie ein Steinadler in einem Hühnerstall. Wenn seine Tarnung aufflog, würde er sich jede Menge Ärger einhandeln.
Aber wann hatte ihn das schon jemals von einem Auftrag abgehalten?
☆
William Barstow Strong war berüchtigt wegen seiner Härte.
Er schonte niemanden. Weder sich selbst noch andere.
So viele Tage seines Lebens hatten für ihn mit dem Sonnenaufgang angefangen, dass sein Lager stets das erste war, in dem morgens Licht brannte.
Wenn er seine Bautrupps besuchte, nächtigte er in einem Pullmannwagen, der wenig mehr an Mobiliar aufwies als eine Gefängniszelle. Es gab eine Pritsche, einen Waschtisch mit einer Schüssel und eine Truhe für seine Garderobe und einige persönliche Sachen. Der einzige Luxus, den er sich erlaubte, war ein wuchtiger Schreibtisch aus schwerem Douglasienholz. Auf dem stapelten sich Papiere und Mappen. Die Wände des Wagens waren tapeziert mit Landkarten, auf denen mit roten und schwarzen Linien die Verläufe von geplanten und bereits vorhandenen Eisenbahnstrecken eingezeichnet waren.
Seine Ausbildung hatte William B. Strong im Geschwindschritt absolviert. Mit achtzehn hatte er bei der Eisenbahn angefangen. Zuerst als Bahnhofsaufsicht, später als Betriebsinspektor, Manager und Vizepräsident. Inzwischen war er Präsident der Atchinson, Topeka & Santa Fé Eisenbahngesellschaft. Er trieb das Schienennetz mit unerbittlichem Eifer voran.
Sein Leben drehte sich um die Eisenbahn.
Er kannte nichts anderes und wollte nichts anderes.
Der Denver Chronicle hatte einmal geschrieben, sein Blut würde nicht durch Adern fließen, sondern auf Schienen und anstelle eines Herzens hätte er eine Feuerbüchse. Den Artikel hatte er ausgeschnitten und in einem vergoldeten Rahmen an die Wand über seinem Schreibtisch gehängt.
Als ein Klopfen an der Tür seines Wagens gegen sieben Uhr morgens einen Besucher ankündigte, saß er schon seit zwei Stunden da und hatte allen Papierkram erledigt, den ihm sein Angestellter am Vorabend auf den Schreibtisch gelegt hatte.
Auf seinen Ruf kam ein hochgewachsener Mann herein, der die vierzig noch nicht überschritten hatte. Er war gut gekleidet, trug einen schwarzen Anzug und zog eine Melone von seinem Kopf. Ein dunkler Schnurrbart zierte sein Gesicht, in dem braune Augen nachdenklich, aber auch eine Spur argwöhnisch blickten. Trotz seiner Jugend stützte er sich auf einen Gehstock mit vergoldetem Knauf.
Von dieser Stütze hatte man William Strong nichts berichtet.
Sie ließ sein Gegenüber schwach erscheinen. Und das gefiel ihm ganz und gar nicht. Das war nicht, was er brauchte und gefordert hatte.
Seine Stimmung verdüsterte sich.
»Guten Morgen, Sir.« Sein Besucher deutete ein Nicken an.
»Mr. Masterson. Schließen Sie bitte die Tür.« Strong nickte zu dem Stuhl, der mit Rosshaar gepolstert war und vor seinem Schreibtisch stand.
Vor dem Fenster erwachte das Baulager allmählich zum Leben. Arbeiter eilten umher, strebten dem Küchenzelt zu oder rauchten vor ihrem Schlafzelt. Der Pullmannwagen stand auf einem Nebengleis. Nur einen Steinwurf vom Materiallager entfernt.
Sein Besucher nahm Platz.
Strong verschränkte die Arme auf der Schreibtischplatte und ließ ihn eine Weile warten. Das war seine Strategie, zeigte, aus welchem Holz jemand geschnitzt war. Er traute niemandem, der unruhig wurde, nur weil er warten musste.
Bat Masterson saß reglos wie eine Statue.
Immerhin etwas, das für ihn sprach.
Aber diese elende Krücke...
»Sie wurden mir als ausgesprochen tüchtig empfohlen, Mr. Masterson.« William Strong fasste seinen Besucher scharf in den Blick. Einen weniger gefestigten Charakter hätte er damit aus der Fassung gebracht, aber Bat Masterson zuckte mit keiner Wimper.
»Darauf würde ich mich nicht verlassen, Sir«, entgegnete er ruhig. »Die Leute reden viel, wenn der Tag lang ist.«
Mit dieser Antwort hatte der Präsident der Eisenbahngesellschaft nicht gerechnet. Normalerweise priesen sich die Männer in seiner Nähe selber an, wollten von ihm bevorzugt werden. »Können Sie kämpfen?«, fragte er.
»Wenn es sein muss«, kam es beinahe gelangweilt zurück.
Auch das war nicht die Erwiderung, auf die er gewartet hatte.
Man hatte ihm einen kampferprobten Mann empfohlen, den er mit einer besonderen Mission betrauen konnte. Und hier vor ihm saß ein Bursche, der eher hinter ein Lehrerpult als an die Spitze einer Schlägertruppe gepasst hätte!
Die Furchen auf seiner Stirn vertieften sich.
Man hatte ihm Strong als Mann beschrieben, dem es gleichgültig war, auf welcher Seite des Gesetzes er stand, solange es sich für ihn lohnte.
Allerdings wirkte er nicht sonderlich interessiert an einer neuen Aufgabe.
Da musste sich doch jemand Besseres finden lassen.
Strong wollte seinen Besucher gerade fortschicken, als die Tür aufschwang und sein Sekretär hereinkam. Archibald Cartland war durch und durch Brite und zeigte selten eine überschwänglichere Reaktion als eine hochgezogene Augenbraue. Strong schätzte ihn für seine Verschwiegenheit – und seine ruhige Art. Schwätzer konnte er nicht ausstehen. Unter einem Wortschwall ließ sich eine Menge verbergen.
»Sir...« Weiter kam sein Sekretär nicht.
Ohne das kleinste Geräusch zu verursachen, war Bat Masterson von seinem Stuhl hochgeschnellt. Er schlug dem schmächtigen Schreiber mit seinem Gehstock die Beine unter dem Körper weg und rammte ihm nun die Spitze gegen die Kehle, dass dieser auf dem Rücken zappelte wie ein gestrandeter Junikäfer.
William Strong zeigte nicht, dass er beeindruckt war.
»Hätten Sie wohl die Güte, meinen Sekretär freizugeben? Er wird noch gebraucht.«
»Sicher«, brummte Masterson. »Ich kann es nur nicht leiden, wenn jemand ohne anzuklopfen hereinkommt.«
»Nun, das war offensichtlich.« Strong bedeutete seinem Sekretär mit einer Handbewegung, später wiederzukommen.
Der stemmte sich hoch und verließ wieselflink den Wagen. Er ging jedoch nicht, ohne dem Besucher noch einen finsteren Blick zuzuwerfen.
»Nun, Mr. Masterson, wie ich sehe, verstehen Sie Ihren Gehstock durchaus nutzbringend einzusetzen.«
»Wenn es die Situation erfordert.« Sein Besucher nahm wieder Platz.
»Ich hätte einen Job zu vergeben. Sind Sie interessiert?«
»Kommt darauf an, um was für einen Job es sich handelt.«
»Ich will meine Eisenbahn bis nach Leadville bauen. Dabei bleibt mir die Rio Grande Eisenbahngesellschaft auf den Fersen. Palmer und seine Arbeiter lassen sich von nichts abhalten, nicht einmal der Verlust ihres Nachschubs kann sie bremsen. Sie liegen gut im Rennen, und das passt mir nicht. Wenn sie den Grand Canyon des Arkansas River vor mir erreichen, bin ich aus dem Spiel.«
»Ich soll also den Bau der Rio Grande sabotieren?«
»Wie Sie es anstellen, ist mir egal, aber sorgen Sie dafür, dass der Bautrupp der Rio Grande keinesfalls vor mir den Canyon erreicht. Glauben Sie, Ihnen fällt dazu etwas ein, Mr. Masterson?«
»Schon möglich. Die Frage ist nur, was dabei für mich drin ist.«
Mit dieser Frage hatte Strong gerechnet. Er nannte seinem Besucher eine Summe, die diesem ein knappes Nicken entlockte.
»Und warum ich, Sir? Sie haben bereits Männer, die für Sie kämpfen.«
»Das ist richtig, aber ich will meine Truppe aufstocken. Ich brauche jemanden, der nicht nur kämpfen, sondern auch führen kann. Sind Sie dieser Mann, Mr. Masterson?«
Wieder ein knappes Nicken.
Dieser Mann gefiel ihm immer besser.
»Dann sind wir uns also einig.« Strong sah seinen Besucher an. »Stellen Sie eine Gruppe von bewaffneten Männern zusammen, Mr. Masterson. Ich zahle jedem einen Bonus, wenn mein Bautrupp der Erste ist, der seine Schienen durch den Canyon verlegt. Tun Sie, was immer dafür nötig ist. Haben wir uns verstanden?«
☆
Lassiter schlief ein paar Stunden im Schatten des Waldes, während sein Pferd graste und sich erholte. Als sich die ersten Strahlen der Morgensonne über den Hügeln im Osten zeigten, machte er sich bereit, seinen Weg fortzusetzen.
Ein Eichhörnchen huschte über die Wiese und am Stamm einer hohen Kiefer empor, als Lassiter seinem Pinto den Sattel auflegte. Der Himmel über ihm war mit wenigen Wolken getupft und versprach einen milden Frühlingstag. Ein Adler kreiste und spähte argwöhnisch auf den großen Mann herab, der in sein Gebiet eingedrungen war. Von den Geiern war nichts mehr zu sehen.
Er hatte eine gute Meile zwischen die zerstörte Poststation und sein Lager gebracht, trotzdem brannte ihm der Gestank noch in der Nase.
Charley Winterbottom hatte den Abend nicht überlebt. Kurz nachdem er dem Agenten den Weg ins Lager der Rio Grande gewiesen hatte, hatte er seinen letzten Atemzug getan. Lassiter hatte ihn ebenso wie Dan Higgins begraben.
Der Stationswart und sein Gehilfe ruhten nun unter zwei schlichten Steinhügeln.
Lassiter war entschlossen, Gerechtigkeit für sie einzufordern. Wenn die Santa Fé Gunslinger geschickt hatte, um die beiden Männer zu töten, würde er sie zur Verantwortung ziehen.
Er hoffte, im Lager ein Frühstück zu bekommen, deshalb trank er nur etwas Wasser und stieg dann in den Sattel. Sein Weg führte ihn durch den Wald und über einen alten Gletscherhang um den See herum. Weiter in Richtung Norden, auf die beiden Bergspitzen zu. Bald lag die Poststraße hinter ihm.
Er musste über ein Feld aus lockerem Geröll, das spärlich von Gras und Krüppelkiefern bewachsen war. Der Weg hier durch war tückisch. Der Agent saß ab und führte sein Pferd, bis der Grund wieder fester war.
Als er rastete und Steinchen aus seinen Stiefeln schüttelte, kletterte eine Eidechse auf einen flachen Stein und ließ sich von der Sonne wärmen.
Lassiter brachte das Feld hinter sich und stieg wieder in den Sattel. Von nun an kam er besser voran, über steile Wiesen ging es über mehrere Bergrücken, bis er auf das Lager der Denver & Rio Grande Eisenbahngesellschaft hinabschaute.
Schienen führten zu einer Ansammlung aus Zelten und Unterständen. Auf einem Nebengleis waren zwei Personenwagen abgestellt. Schwellen und Gleise warteten darauf, verlegt zu werden. Vor einem Zelt hatte jemand einen Pflock in den Boden gerammt und ein Schild daran festgenagelt. Darauf stand zu lesen: Archies Saloon.
Zahlreiche Männer bevölkerten das Lager, strebten mit Werkzeugen oder geschulterten Holzbalken herum. Da wurde gehämmert, gehackt und geflucht. Männer schwangen den Vorschlaghammer, bohrten und meißelten Löcher für Sprengungen oder verlegten in Sechserteams Schwellen. Das Camp wirkte wie ein Bienenstock, in dem ein emsiges Kommen und Gehen herrschte.
Lassiter nahm sein Pferd vor einem der beiden Personenwagen auf und stieg aus dem Sattel. Im nächsten Augenblick legte ihm jemand von hinten eine schwere Pranke auf seine Schulter. Er reagierte blitzschnell, packte den Arm mit beiden Händen und warf den Unbekannten über seine Schulter, dass dieser rücklings im Schlamm landete. Zischend wich die Luft aus dessen Lungen.
Ein wilder Fluch entfuhr dem anderen.
»Sind Sie von allen guten Geistern verlassen, Mann? Dafür könnte ich Sie einbuchten!« Sein Gegenüber war ein schlaksiger Kerl, dessen feuerrote Haare ebenso wie sein Zungenschlag seine irischen Wurzeln verrieten. Ein Sheriff-Stern funkelte an seiner staubgrauen Weste.
»Hier draußen ist es keine gute Idee, einen Fremden von hinten anzufassen.« Lassiter zupfte an seinem Hut. »Nichts für ungut.«
»Nichts für ungut?« Der Sheriff sprang auf seine Stiefel und starrte ihn finster an. »Wer sind Sie, Mister? Und was suchen Sie hier?«
»Mein Name ist Lassiter. Und ich suche einen Job als Landvermesser.« Er hatte sich entschieden, dem Rat des Stationswächters zu folgen und sich als Vermesser zu verdingen. Seine Aufträge waren geheim, deshalb brauchte er für seine Nachforschungen eine Tarnung.
»Sie sind also Vermesser, ja?« Der Blick des Sheriffs heftete sich auf die Winchester an seinem Sattel. »Und warum sind Sie bewaffnet wie ein Gunslinger?«
»Sind bewegte Zeiten. Man kann nicht vorsichtig genug sein. Finden Sie nicht auch?«
»Bewegte Zeiten. In der Tat.« Der Sheriff klopfte sich Gras und Erde von der Hose. Er musterte Lassiter argwöhnisch, dann deutete er auf den Personenwagen. »Melden Sie sich bei Mr. Palmer. Der wird entscheiden, ob er Sie brauchen kann.«
»Der Präsident der Eisenbahngesellschaft ist persönlich hier im Camp?«
»Ist er. Gab einigen Ärger in letzter Zeit, da fand er, er sollte selber anwesend sein.«
»Was denn für Ärger?«
»Sehe ich aus wie eine verdammte Zeitung? Warum fragen Sie nicht jemand anderen?« Der Sheriff starrte ihn finster an, dann machte er auf dem Stiefel kehrt und stapfte davon.
Lassiter band sein Pferd an den Holm.
»Fehlte nicht viel, und unserem guten Sheriff wäre Rauch aus den Nüstern und Ohren gekommen, was?« Ein dunkelhaariger Mann mit buschigem Bart und einem beachtlichen Bauch kam aus einem der Zelte und grinste. »Kam nicht umhin, eurer Unterhaltung zu folgen. Nimm es dem Sheriff nicht übel, dass er gerade nicht zum Reden aufgelegt ist. Ihm reichen die Sorgen gerade bis über die Hutkrempe.«
»Lassiter«, stellte sich der Agent vor.
»Jake Wilder, aber sag ruhig Jake, das machen alle. Ich helfe im Küchenzelt mit. Früher war ich am Bau der Eisenbahn beteiligt, aber dann hat mich so ein verflixter Gaul abgeworfen. Seitdem ist mein Rücken nicht mehr das, was er mal war.«
»Das ist bitter.«
»Na ja, gibt Schlimmeres. Ed hat ein ungeschickter Neuling einen Nagel durch seine Kronjuwelen getrieben, mit dem möchte ich wirklich nicht tauschen.«
»Einen Nagel? Wie hat er das denn angestellt?«
»Glaub mir, das willst du dir lieber nicht vorstellen.« Jake stemmte die Hände in seinen Gürtel. »Wenn du 'nen Rat von mir willst: Sattel dein Pferd und such dir woanders einen Job. In den Minen von Leadville zum Beispiel. Ist sicherer.«
»Warum? Was ist denn hier los?«
»Diese verflixte Strecke wird und wird einfach nicht fertig. Ständig gibt es Zwischenfälle, die uns aufhalten. Bei einem Anschlag auf einen unserer Züge haben wir Material und den gesamten Nachschub an Lebensmitteln verloren. Etliche Männer starben. Unter ihnen der Lokführer und sein Heizer. Einer der Bremser hat sich beim Absprung das Genick gebrochen, vom anderen fehlt jede Spur. Ist ebenfalls vermutlich mausetot.«
Lassiter schwieg. Von dem Unglück hatte er schon gehört. Seine Auftraggeber in Washington glaubten, dass Saboteure der Rio Grande dahintersteckten.
»Du willst also wirklich hier arbeiten? Ich kann dich nicht abschrecken?« Der Küchenhelfer hob die Hände. »Na schön, dann versuch dein Glück. Der Boss sollte da sein.« Er deutete auf den vorderen Wagen.
Lassiter nickte, stiefelte zu dem Personenwagen hinüber und stieg die drei Eisenstufen nach oben.
Auf sein Klopfen bat ihn eine dunkle Stimme, einzutreten.
Er zog seinen Hut vom Kopf und öffnete die Tür.
William Jackson Palmer war eine unauffällige Erscheinung: mittelgroß, mit Schnurrbart und freundlichen braunen Augen. Sein grauer Gehrock stand offen und ließ ein weißes Hemd, eine graue Weste und die Kette einer Taschenuhr sehen.
Sein Wagen wies einigen Komfort auf: Ein weicher Teppich bedeckte den Boden, eine Wand war mit einem Regal voller Bücher bedeckt. Bequeme Sessel luden zum Verweilen ein und auf dem wuchtigen Schreibtisch standen mehrere gerahmte Fotografien von drei hübschen jungen Frauen. Die Töchter des Präsidenten vermutlich, denn eine weitere Fotografie zeigte ihn Arm in Arm mit einer atemberaubend schönen Frau, die ihn liebevoll ansah.
»Mr. Palmer? Mein Name ist Lassiter. Ich würde gern für Sie arbeiten.«
»Das freut mich zu hören. Fleißige Hände sind mir immer willkommen. Verzeihen Sie bitte die Unordnung.« W. B. Palmer deutete auf die Papiere, die sich auf, neben und unter seinem Schreibtisch stapelten. »Was für einen Job suchen Sie, Lassiter?«
»Ein Posten als Vermesser wäre perfekt geeignet.« Vor allem, weil der es ihm ermöglichen würde, sich unauffällig in der Gegend umzusehen.
»Da haben Sie Glück, einen Vermesser können wir tatsächlich brauchen. Was halten Sie von zwei Dollar vierzig am Tag, dazu freie Kost und Logis hier im Camp?«
»Das klingt fair.«
»Dann sind wir uns einig. Melden Sie sich bei Mr. Fletcher. Von ihm bekommen Sie eine Decke, eine Lampe und was Sie sonst noch brauchen. Er wird Sie einweisen und Ihre Arbeit überwachen. Wenn Sie sich bewähren, können Sie bald selbstständig arbeiten.«
»Vielen Dank, Mr. Palmer.«
»Nein, ich habe zu danken. Die Strecke kann nur gebaut werden, wenn wir alle an einem Strang ziehen. Ihre Arbeit wird dazu beitragen, dass unser Projekt gelingt und uns und unsere Kinder und Kindeskinder überdauert.« Der Präsident der Rio Grande trat ans Fenster und rief Jake herein. »Weisen Sie Lassiter bitte ein freies Quartier zu, Mr. Wilder. Und Sie, Lassiter, melden sich heute Abend bei Mr. Fletcher.«
»Verstanden, Sir.« Lassiter stapfte aus dem Wagen und folgte dem Küchenhelfer zu einem Zelt. Der schlug die graue Plane zurück.
»Das ist frei, also gehört es von jetzt an dir.«
Lassiter spähte in das Zelt. Eine Pritsche, eine Kiste und ein Stuhl, auf dem eine Waschschüssel stand. Das war die gesamte Einrichtung. Unter dem Kopfkissen ragte ein Romanheft hervor. Das Lesezeichen schien eine Fotografie von einer aparten jungen Frau zu sein. »Das Zelt sieht bewohnt aus.«
»War es auch. Hier hat Henry Hembley gepennt. Der arme Teufel ist verschollen, seitdem der Zug entgleist ist.«
»Er war Bremser, nicht wahr? Und er hat hier gewohnt?«
»Ist hin und her gependelt mit dem Versorgungszug. Wollte den Sprung zum Lokführer schaffen. Ist 'ne elende Schande, dass er so jung sterben musste. Hätte 'n gutes Leben führen können mit seiner Sally.« Jake schabte sich das Kinn.
Hinter ihnen wurde plötzlich das Trappen von Hufen laut.
Ein halbes Dutzend Reiter verließ das Lager.
»Das ist unser Jagdtrupp«, erklärte Jake. »Der verunglückte Zug hatte Lebensmittel für einen ganzen Monat an Bord. Die fehlen uns nun. Wenn die Männer nichts schießen, werden wir bald die Gürtel enger schnallen müssen.«
»Ich kann recht gut schießen. Vielleicht kann ich helfen?«
»Sicher. Oder du genießt deinen letzten freien Tag, ehe der Boss dich ab morgen schuften lässt.«
»Ich würde wirklich gern helfen.«
»Dann lass dich nicht aufhalten. Wir brauchen dringend Fleisch. Was du immer du schießt, ich bereite daraus etwas Gutes zu. Nur kein Eichhörnchenfleisch. Davon haben Männer schon den Verstand verloren. Lohnt nicht, es zu riskieren.«
»An den Tieren ist auch nicht viel dran.«
»Da sagst du was. Füllt nicht mal meinen hohlen Zahn.« Jake griente. »Nimm dich bloß vor den Halunken von der Santa Fé in Acht, hörst du? Diese Kerle haben alle schon mal am Tor der Hölle gestanden, und der Teufel hat sie zurückgeschickt, weil er Angst hatte, sie könnten in seinem Laden das Kommando übernehmen.«
»Sind sie wirklich so schlimm?«
»Sogar noch schlimmer. Diese Brut lässt nichts unversucht, um uns das Leben schwer zu machen. Sie versetzen Absteckpflöcke, werben Arbeiter ab und ich verwette meine Stiefel, dass der Anschlag auf unseren Verpflegungszug auch auf ihre Kappe geht. Das waren keine Räuber und auch keine Rothäute. Das waren Strongs Gunslinger!«
»Deshalb ist der Sheriff also hier.«
»Ist er, aber dieser Mündungsschoner würde seine eigene Nasenspitze nicht mal dann finden, wenn ihm ein Stinktier dranhängen würde.« Jake schnalzte mit der Zunge. »Der wird diesen Kerlen nicht mal ein mildes Lüftchen unter dem Hintern machen, geschweige denn Feuer!«
»Soll das heißen, er wird von Strong bestochen?«
»Möglich wär's natürlich, aber ich glaub ehrlich gesagt nicht daran. Nein, unser Sternträger ist einfach unfähig, gegen die Halunken von der Santa Fé zu bestehen.«
Lassiter ließ sich das Gehörte durch den Kopf gehen, während er zu seinem Pferd zurück stapfte und in den Sattel stieg. Hier war er tatsächlich mitten in einen Krieg geraten. Er brauchte mehr Informationen. Vorerst gab es jedoch noch etwas anderes zu tun: Das Camp brauchte Vorräte, sonst waren die Handlanger ihres Konkurrenten bald ihre geringste Sorge. Die eigenen Arbeiter würden meutern, wenn sie nichts in den Magen bekamen.
»Bring mir eine schöne Hirschkuh mit«, rief ihm der Küchenhelfer nach. »Keinen Bock. Die Biester sind zäh wie Büffelleder. Aus denen kann man höchstens noch einen Eintopf kochen.«
»Ich werde sehen, was ich tun kann.« Lassiter zupfte grüßend an seiner Hutkrempe. Dann presste er seinem Pinto die Fersen in die Flanken und trieb ihn aus dem Lager.
Er ritt einen Hügel hinauf, überwand die Kuppe und preschte weiter.
Der Jagdtrupp war in Richtung Norden unterwegs. Vielleicht konnte er ihn noch einholen und sich anschließen. Möglicherweise würde es ihnen gelingen...
Mitten in seine Gedanken hinein war hinter ihm ein schweres grollendes Donnern zu hören. Bevor er sich besinnen konnte, stieg sein Pferd wiehernd auf die Hinterhand. Gedankenschnell warf sich Lassiter nach vorn, um nicht aus dem Sattel geschleudert zu werden. Was, um alles in der Welt...
Vom Camp wehte Gebrüll heran.
Der Agent lenkte seinen Pinto herum.
Sie mussten so schnell wie möglich zurück ins Lager!
☆
»Steinschlag! Steinschlag!«
Wie Kanonensalven gellten die Rufe dem Agenten entgegen.
Nicht die Zelte hatte das Verderben getroffen, sondern den Bautrupp!
Lassiter preschte zwischen den Zelten hindurch zu der Unglücksstelle. Er glitt aus dem Sattel und band den Pinto an eine krumme Bergkiefer.
Die Luft war schwer von aufgewirbeltem Staub und Sand. Es knirschte, als der große Mann die Zähne aufeinander rieb.
Er fuhr herum – und vor ihm breitete sich ein Bild des Schreckens aus.
Ein Hagel aus Steinen war über den frisch verlegten Schwellen niedergegangen. Die Brocken sprenkelten den Boden wie Büffel die Prärie. Streckenarbeiter hockten auf dem Boden. Verletzt. Verwirrt. Verloren.
Lassiter blickte in blutüberströmte Gesichter und auf Knochen, die aus zerrissenen Hemden und Hosen ragten. Unter einem Brocken, groß wie ein Büffelkalb, ragte ein Stiefel hervor. Eine dunkle Flüssigkeit sickerte darunter hervor.
Diesem Mann war nicht mehr zu helfen. Der Felsen hatte seinen Leib zerquetscht wie eine Erdnussschale.
Etliche Männer bemühten sich bereits um die Überlebenden, verbanden blutende Wunden und stemmten Felsstücke zur Seite, die einige am Boden festnagelten. Die Steine mussten wie Geschosse herabgestürzt sein, hatten Holz und Knochen splittern lassen und eine blutige Schneise in das Feld der Arbeiter geschlagen.
Rufe hallten durch das Tal.
»Eine Trage! Los, Leute! Bringt mir eine Trage!«
»Ich brauche hier Hilfe!«
»Verdammt noch mal, das hört nicht auf zu bluten!«
»Helft mir! Ich stecke fest!« Ein schmächtiger Arbeiter stemmte sich gegen einen Stapel Schwellen, auf dem mehrere Felstrümmer gelandet waren. Sie hatten das Schlimmste von ihm abgehalten, aber eine der Schwellen war verrutscht und hatte seine Beine unter sich begraben. Sein schmales Gesicht wies noch nicht die allerkleinste Bartstoppel auf. Der Bursche konnte nicht älter als dreizehn oder vierzehn sein. Er trug eine grobe Wollmütze auf dem Kopf und mühte sich verzweifelt, freizukommen. Sein Gesicht war bereits hochrot vor Anstrengung. Er blies die Wangen auf und keuchte, kam jedoch nicht frei!
»Warte! Ich komme zu dir!« Lassiter strebte zu ihm hinüber und stemmte sich gegen das schwere Holz.
Der Balken rührte und ruckte nicht.
Sie schoben mit aller Kraft.
Nichts zu machen.
Die Schwelle saß fest! Verkeilt zwischen dem Gestein.
Unvermittelt knirschte es über ihnen bedrohlich.
Ihnen blieben vielleicht nur noch Sekunden, um von hier wegzukommen.
Lassiter stemmte einen Stiefel gegen den Felsen und zog und zerrte an dem Holz. Splitter rissen ihm die Hände auf, aber die elende Schwelle rührte sich keinen Inch.
Das Gleis führte hier an einer Felswand vorbei, über der sich reichlich Überhänge fanden. Wie es schien, war der Berg noch nicht fertig mit ihnen. Der Steinschlag war nur ein Vorgeschmack gewesen auf das, was da noch kam. Noch rieselte nur Staub herab, aber Lassiter spürte, dass es über ihnen arbeitete. Seine Nackenhärchen sträubten sich. Wenn weitere Felsen abstürzten, waren sie zum Sterben verdammt!
Lassiters Blick flog umher.
Die Hacke!
Er packte das Werkzeug und machte sich daran, auf das Schwellenholz einzuhacken.
»Halte dir die Augen zu!«, rief er, als Späne nach allen Seiten flogen.
Hinter ihm gurgelte der Arkansas River durch sein steiniges Bett, vorbei an Findlingen, die aus dem kristallklaren Wasser aufragten wie der Rücken eines Buckelwals. Weiter vorn musste der Canyon beginnen, um den sich die beiden Eisenbahngesellschaften ein Wettrennen lieferten. Ein Streifen aus Bergkiefern und Steinen versperrte die Sicht auf die andere Seite des Flusses.
Erneut grollte der Berg über ihnen.
»Verschwinde«, keuchte der Bursche. »Bring dich in Sicherheit.«
»Nicht ohne dich.« Lassiter hackte weiter, hoffte, dass keiner seiner Hiebe das Holz durchschlug und den Eingeklemmten verletzte.
»Hau ab! Es ist zu gefährlich! Der Berg wird uns beide umbringen!«
Lassiter sparte seinen Atem für seine Schläge. Schweiß rann zwischen seinen Schulterblättern hinab.
Weiter, weiter, trieb er sich an.
Lassiter hieb ein letztes Mal zu, stemmte sich gegen das Holz. Knirschend trieb es auseinander. Er packte den Burschen unter den Achseln und zog.
Im selben Augenblick krachte es über ihnen ohrenbetäubend.
»Weg hier!« Lassiter warf sich den Jungen über die Schulter und stürmte los.
Unter wildem Poltern stürzten weitere Steinbrocken nieder.
Der Agent hielt sich nicht damit auf, sich umzublicken. Er rannte zu den Zelten und blieb erst stehen, als er die Felswand etliche Yards hinter sich gebracht hatte.
Vorsichtig legte er den Burschen im Gras ab.
Brennende Wunden an seinen Armen und in seinem Rücken verrieten, dass er nicht unverletzt davongekommen war, aber die größeren Brocken hatten ihn verfehlt.
Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn.
Der Bursche blickte aus grünen Katzenaugen zu ihm hoch. Blut sickerte unter seiner Mütze hervor. Er tastete danach und stieß einen leisen Wehlaut aus.
»Du bist verletzt. Lass mich das ansehen, ob es verbunden werden muss.« Lassiter zog die Kopfbedeckung ab. Darunter kam eine Flut von langen roten Haaren zum Vorschein. Leicht gewellt fielen sie wie Seide über die Schultern seines Gegenübers.
Eine Frau!
Eine bildhübsche noch dazu.
Das dunkle Hemd und die staubgrauen Hosen waren ihr zu weit und verhüllten ihre Figur, ihre weiße Haut war voller Schmutzflecken, aber es bestand kein Zweifel, dass er keinen schmächtigen Jungen, sondern eine bildschöne Frau von etwa zwanzig Jahren vor sich hatte. Ein roter Riss zog sich über ihre rechte Schläfe.
»Lass das!«, fauchte sie, riss ihm die Mütze aus den Fingern und stülpte sie wieder auf ihren Kopf. Hastig stopfte sie ihre Haare darunter und schaute sich nach allen Seiten um. Doch niemand nahm Notiz von ihnen. Die Arbeiter waren damit beschäftigt, Verletzte zu bergen und Wunden zu verbinden.
»Du bist verletzt«, stellte Lassiter fest. »Ich werde das saubermachen und verbinden.«
»Das musst du nicht tun.«
»Doch, das muss ich, weil sich die Wunde sonst entzünden wird.« Er stiefelte zum Fluss, tauchte einen Zipfel seines Taschentuchs ins Wasser und kehrte zu ihr zurück.
Er schob ihre Mütze zur Seite und tupfte die Wunde sauber.
Zischend sog sie den Atem ein.
Lassiter zog einen Holzsplitter aus der Verletzung.
»Es blutet kaum noch. Das ist gut. Sollte keine große Narbe geben. Vermutlich wird man in ein paar Wochen nichts mehr davon sehen.«
»Danke.« Sie funkelte ihn an und zupfte ihre Mütze wieder zurecht.
»Hat diese Schwelle dich verletzt?« Er beugte sich über sie. »Kannst du deine Beine bewegen?«
Als Antwort stieß sie ihm ihr Knie gegen die Brust.
Lassiter zog eine Augenbraue hoch. »Das bedeutet anscheinend ja.«
Sie richtete sich auf und starrte ihn abweisend an. »Mir fehlt nichts. Und ich wäre dir dankbar, wenn du für dich behalten würdest, was du herausgefunden hast.«
»Das kommt darauf an.«
»Worauf?«
»Weshalb du verbirgst, wer du bist.«
»Das geht dich nichts an. Kümmere dich um deine Angelegenheiten.«
»Ich wäre fast erschlagen worden, als ich dich geholt habe. Das macht deine Angelegenheiten auch zu meinen, würde ich sagen.«
»Ich sage das aber nicht.«
»So kommen wir nicht weiter. Vielleicht stellen wir uns erst einmal vor. Mein Name ist Lassiter.«
Schweigend starrte sie an ihm vorbei.
»Wie heißt du?«, hakte er nach.
»Kate«, kam es widerstrebend zurück. »Kate Hartley.«
»Und warum hast du dich verkleidet ins Camp geschlichen, Kate?«
»Ich habe mich nicht hereingeschlichen. Ich arbeite hier.«
»Verkleidet als Mann.«
»Na und?« Herausfordernd blickte sie ihn an. »Was ist schon dabei? Sie stellen hier keine Frauen ein, weil sie glauben, wir könnten nicht zupacken.« Sie verzog das Gesicht, als hätte sie eine siebenbeinige Spinne auf ihrem Stiefel entdeckt. »Ich brauche das Geld. Und ich kann arbeiten. Deswegen bin ich hier.«
Das klang einleuchtend, aber er spürte, dass das nur die halbe Wahrheit war.
Junge Frauen konnten jederzeit eine Anstellung in einem der Restaurants und Hotels finden, die entlang der neu gebauten Bahnstrecken aus dem Boden schossen wie Pilze. Dort fanden sie ein gutes Auskommen und konnten sich allerhand Geld zusammensparen. Und sie mussten keine schweren Schienen schleppen und Nägel einschlagen.
»Du willst es mir nicht sagen«, murmelte er.
»Ebenso wenig wie du.« Herausfordernd reckte sie das Kinn und sah ihn an.
»Wie ich?«
»Nun, ich bin hier nicht die Einzige mit einem Geheimnis, nicht wahr? Dich habe ich im Camp noch nie gesehen.«
»Weil ich neu bin. Mr. Palmer hat mich heute als Vermesser eingestellt.«
Kate musterte ihn prüfend. Ihr Blick glitt über seine breiten Schultern, die schmalen Hüften bis zu seinen Händen. Dann verzogen sich ihre roten Lippen zu einem hintergründigen Lächeln. »Du bist genauso wenig ein Vermesser, wie ich ein Mann bin. Dein Werkzeug sind deine Fäuste und dein Schießeisen, nicht Bleistift und Papier.«
Lassiter schwieg. Verdammt, das Girl hatte nicht nur eine scharfe Zunge, sondern auch scharfe Augen. Vor ihr musste er sich in Acht nehmen, wie es schien. Es würde seinen Auftrag erschweren, wenn nicht unmöglich machen, wenn herauskam, dass er im Auftrag der Regierung hier war, um den Eisenbahnkrieg zu beenden.
In diesem Augenblick schob sich Jake Wilder zwischen den Zelten durch.
»Lassiter?« Erleichterung malte sich auf dem runden Gesicht des Küchenhelfers ab, als er ihn entdeckte. »Du bist wohlauf. Das ist gut. Ich hab gesehen, wie du ins Camp zurückgeritten bist, und dachte schon, dein erster Tag hier wäre zugleich dein letzter.«
»Mir fehlt nichts. Viel hat allerdings nicht gefehlt, und ich könnte mir das Gleis jetzt von unten anschauen.«
»So, wie Jeff Goldbloom und Nate Brenner, meinst du? Die beiden hat es erwischt. Verdammte Halunken sind das, die gute Arbeiter umnieten.«
»Wovon redest du da?«
»Von den Gunslingern der Santa Fé natürlich.«
»Was haben die denn mit dem Steinschlag zu tun?«
»Steinschlag? Pah! Das war keine Laune der Natur. Da hat jemand kräftig nachgeholfen, wenn du mich fragst.« Jake stemmte die Hände in seine Gürtelschlaufen. »Hör zu: Der Boss hat den Berg sorgfältig untersuchen lassen, bevor die Arbeiten begonnen haben. Der Felsen war stabil, sonst hätten wir das Camp woanders errichtet. Dieser Steinhagel heute war von Menschenhand gemacht, darauf verwette ich meine besten und einzigen Socken!«
Lassiter ließ sich das Gehörte durch den Kopf gehen.
Wenn das stimmte, musste es Spuren geben.
Irgendwo da oben am Felsen.
Er blickte sich um. Die Verletzten wurden allesamt versorgt. Vorerst gab es hier nichts für ihn zu tun.
»Ich werde losreiten und mir das einmal ansehen«, beschloss er. »Willst du mitkommen?«
»Und riskieren, mir eine Kugel einzufangen?« Jake stülpte die Lippen vor. »Na schön, einer muss ja aufpassen, dass du dich nicht gleich in die nächste Klemme stürzt. Was ist mit dir?« Er sah Kate an.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bleibe hier.«
Und so ritten sie zu zweit los.
Jake kannte einen Pfad, der sie auf den Felsen brachte. Steil war das Gelände hier, der Pfad so schmal, dass sie nur hintereinander reiten konnten. Sie bewegten sich vorsichtig, immer damit rechnend, dass der Boden nicht hielt.
Über ihnen kreiste ein Milan und stieß melancholische Rufe aus.
Oben angekommen banden sie ihre Reittiere an eine Felsnadel und schauten sich prüfend um. Außer ihnen waren weit und breit keine Menschen zu sehen.
Und Spuren?
Nach denen mussten sie nicht lange suchen.