Lassiter Sonder-Edition 1 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sonder-Edition 1 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Sie beobachteten, wie er den ausgetrockneten See verließ. Zuerst sahen sie ihn nur als kleinen schwarzen Fleck, der wie eine Fliege über den weißen Alkalistaub kroch. Sie beobachteten es, weil es sonst nichts weiter zu sehen gab, aber sie glaubten es nicht. Es war mitten am Nachmittag, und die flirrenden Hitzewellen über dem ebenen harten Boden beeinträchtigten die Sicht und machten das genaue Abschätzen von Entfernungen so gut wie unmöglich. Hitze lastete mit betäubender Gewalt über der Stadt, die am Schienenstrang zwischen dem See und der dahinter aufragenden Bergkette lag.
Sie hockten auf den Absätzen, die Rücken an die holprige Wand eines rohen Holzgebäudes gelehnt. Sie saßen da wie lauernde Geier, die darauf warteten, dass irgendein Aas vor ihre Füße fallen würde.


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Seitenzahl: 232

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

WENN LASSITER KOMMT

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

Vorschau

Impressum

Liebe Lassiter-Fans!

1970, vor nunmehr 52 Jahren, kam LASSITER nach Deutschland! Die ersten Taschenbücher waren Übersetzungen aus dem Amerikanischen, bevor deutsche Autoren übernahmen und die Abenteuer des »großen Mannes« fortführten. Zwei Jahre später startete die Romanheft-Serie, die es inzwischen auf über 2600 Bände gebracht hat, während die Taschenbücher 1996 mit Nr. 282 ausliefen.

Viele Fans fragen sich schon lange, wie damals alles begann, wie Lassiter vom Frachtunternehmer zum Outlaw und dann zum Agenten der Brigade Sieben wurde. Diese Abenteuer schildert nun die Neuauflage der Taschenbücher als LASSITER SONDER-EDITION, erstmals ungekürzt auf 80 Seiten im Heftformat. Ein MUSS für alle LASSITER-Fans!

Ihre LASSITER-Redaktion

WENN LASSITER KOMMT

von Jack Slade

Sie beobachteten, wie er den ausgetrockneten See verließ. Zuerst sahen sie ihn nur als kleinen schwarzen Fleck, der wie eine Fliege über den weißen Alkalistaub kroch. Sie beobachteten es, weil es sonst nichts weiter zu sehen gab, aber sie glaubten es nicht. Es war mitten am Nachmittag, und die flirrenden Hitzewellen über dem ebenen harten Boden beeinträchtigten die Sicht und machten das genaue Abschätzen von Entfernungen so gut wie unmöglich. Hitze lastete mit betäubender Gewalt über der Stadt, die am Schienenstrang zwischen dem See und der dahinter aufragenden Bergkette lag.

Sie hockten auf den Absätzen, die Rücken an die holprige Wand eines rohen Holzgebäudes gelehnt. Sie saßen da wie lauernde Geier, die darauf warteten, dass irgendein Aas vor ihre Füße fallen würde.

Dieser Roman erschien erstmals im Jahr 1970 als Lassiter-Taschenbuch Nr. 1 als Übersetzung aus dem Amerikanischen. Originaltitel: Rimfire

Sie hockten dort, weil sie ihren freien Tag hatten, weil sie ihr bisschen Geld bereits ausgegeben hatten und es sonst nichts weiter zu tun gab in Puente.

Puente konnte für seine Existenz an gerade dieser Stelle vier Entschuldigungen anführen. Die Eisenbahn-Ingenieure hatten den See gefunden und die lange flache Strandlinie höchst willkommen geheißen; sie hatten die Gleise von den östlichen Bergen nach unten verlegt und den Strang dreißig Meilen weit auf der Ebene weitergeführt, bevor sie durch den Pass in der westlichen Bergwand wieder nach oben mussten. Sie hatten hier ihren Stützpunkt gebaut. Hier gab es Quellen, die von dem unterirdischen Fluss gespeist wurden, der aus dem Gebirge kam und sich im unersättlichen Sand verlor. Hinten in den Bergen gab es Minen und fruchtbare Täler, die von Sturzbächen auch während der größten Hitzeperioden grün erhalten wurden, so dass ausreichende Weide für die Rinder der sehr geschützt liegenden Ranches vorhanden war.

Die Bahn, die Quellen, die Minen und die Ranches erhielten diese Bastard-Stadt am Leben. Sie bestand aus einer einzigen, drei Blocks langen Reihe von Hütten, die rund um das Bahndepot am geschwungenen Schienenstrang entlang erbaut worden waren. Ihnen gegenüber, auf der anderen Seite der Gleise, erstreckte sich der endlose, ausgetrocknete See. Jemand hatte diese Ansammlung primitiver Unterkünfte Puente genannt. Niemand erinnerte sich mehr, warum. Es war auch allen verdammt egal. Hier gab es nicht einmal einen winzigen Hauch von Bürgerstolz. Keiner der Leute, die diesen Ort als ihr Zuhause benutzten, würde auch nur eine Sekunde zögern, ihn wieder zu verlassen, falls sich dazu auch nur die geringste Chance bieten sollte.

Lassiter betrat diese Stadt vom ausgetrockneten See her. Siebzig Meilen war er gelaufen. In die falsche Richtung. Er war froh, endlich hier zu sein. Er überquerte den Schienenstrang, ging über die Straße zum hölzernen Gehsteig. Er passierte die Reihe der beobachtenden Männer und schien sie überhaupt nicht zu bemerken. Wie ein unermüdlicher Bär ging er stur geradeaus. Die Stiefel waren völlig zerschlissen. Seit achtzehn Stunden war er darin marschiert. Sie gehörten ihm ebenso wenig wie die anderen Sachen, die er am Leibe trug. Die ihm nicht passten und aussahen, als gehörten sie einem kleineren, stämmiger gebauten Mann. Das hatten sie auch.

Er kannte den Namen dieser Stadt nicht. Es war ihm auch vollkommen gleichgültig. Er war nur froh, endlich hier zu sein. Er hatte diesen See überquert, von dem der Sheriff behauptet hatte, niemand könnte ihn zu Fuß überqueren. Er war zu Fuß gegangen – und das in einem Lande, wo selten jemand weiter als hundert Yard ging, ohne dazu ein Pferd zu benutzen. Er lebte noch... und er gedachte, auch weiterhin am Leben zu bleiben.

Die Männer, an denen er vorbeiging, beobachteten ihn mit ernstem Interesse; sie versuchten sich über diesen Mann klarzuwerden. Sie waren neugierig, aber in diesem Lande fragte niemand. Er ging zu Fuß, und das verstanden sie nicht. Er sah aus, als hätte er einen sehr langen Weg hinter sich. Er war vom See her gekommen... aber wo mochte er ihn betreten haben? Sie dachten, er müsste irgendwo außerhalb der Stadt von einem vorbeifahrenden Güterzug gefallen sein, aber kein Güterzug war an diesem Nachmittag hier vorbeigekommen. Und außerdem hatten sie ihn zum ersten Mal gesehen, als er noch mindestens eine Meile weit von der Stadt entfernt dort draußen auf dem See gewesen war, über dem die Luft vor Hitze flirrte und brodelte. Das Thermometer an der Hotelwand zeigte 45 °C im Schatten.

Sie musterten seine schlecht sitzende, verstaubte Kleidung, das von der glühenden Sonne verbrannte Gesicht, das zur Hälfte von vier Tage alten schwarzen Bartstoppeln verdeckt wurde, den verbeulten Hut, die ausgelatschten Stiefel, und es fiel ihnen auf, dass er weder Ausrüstung noch Wasserflasche bei sich hatte. Es wäre ihnen nicht einmal im Traum eingefallen, dass dieser Mann von Harmony aus zweiundsiebzig Meilen quer über den See marschiert sein könnte.

In der Hauptsache starrten alle auf seine Hüften. Er trug keinen Waffengurt. Er hatte keine Waffe. Niemand außer einem Landstreicher reiste in diesem Land ohne Waffe.

Lassiter erreichte das Hotel. Er bog nicht in die schmale, dunkle Halle, sondern in den Gang ab, der auf die Rückseite des Gebäudes führte. Hier gab es eine Waschbank, ein Steinbassin und drei mit Wasser gefüllte Eimer. Vor dem nächsten Eimer blieb Lassiter stehen. Er hob ihn mit beiden Händen an und trank. Er trank vom Rand, langsam, in wohlabgewogenen Schlucken, behielt das Wasser eine Weile im Mund, ließ es zurücksickern. Seine Kehle war zu ausgedörrt, um die Muskeln noch unter Kontrolle zu haben. Er erlaubte sich drei Schlucke. Sein Körper bettelte in Zuckungen nach mehr.

Er stellte den Eimer zurück auf die Bank, bückte sich und tauchte den Kopf ins Wasser; es war lauwarm, abgestanden und schwefelhaltig. Für Lassiter war es unbeschreiblich süß. Es kühlte beinahe schmerzhaft die verbrannte Gesichtshaut unter dem verklebten Bart. Er behielt den Kopf so lange im Wasser, bis er Luft holen musste. Das Wasser lief ihm in den Hals und über die schäbige Kleidung. Er genoss dieses Gefühl in vollen Zügen. Er tauchte Hände und Unterarme in den Eimer. Wasser schwappte über den Rand. Er hielt einen Stiefel hin, um es darin aufzufangen, dann kippte er den Eimer etwas an und ließ Wasser in den anderen Stiefel laufen.

Seine Hände waren groß, die Finger lang und kräftig. Er dehnte und spannte sie im Wasser und weichte die ausgedörrte Haut darin ein. Er zog die Hände heraus und setzte den Eimer erneut an den Mund.

Er wurde von einer Frau beobachtet, die an einem der oberen Hotelfenster stand. Es war ihm egal. Wieder tauchte er den Kopf ins Wasser, und diesmal rieb er sich etwas von dem Alkalistaub aus Bart und Haar. Schließlich richtete er sich wieder auf. Er hatte noch nicht genug Wasser gehabt. Sein Körper schien nie wieder genug Wasser bekommen zu können. Aber Lassiter wusste, dass er jetzt nichts mehr trinken durfte.

Er goss Wasser über den Hemdrücken, zog den Hosenbund zurück und leerte den Rest aus dem Eimer in die Hosenbeine. Dann kehrte er zur Straße zurück. Das in der Hitze verdampfende Wasser kühlte seinen Körper etwas ab. Die Hitze war so groß, dass seine Kleidung fast wieder trocken war, noch bevor er den Saloon erreichte.

Die an der Hauswand hockenden Männer beobachteten, wie Lassiter wieder an ihnen vorbeikam. Als er den Saloon betrat, waren sie alle einigermaßen überrascht. Einige von ihnen standen auf und folgten ihm.

Der Raum war schattig. Das war aber auch schon das Beste, was man überhaupt von ihm sagen konnte. Es stank nach menschlichem Schweiß, feuchten Sägespänen und verschüttetem Bier, das wie Urin die Luft verpestete. Der in der heißen Luft hängende Tabakrauch erschwerte zusätzlich das Atmen. Doch es gab etwa ein Dutzend Männer an dem zerschrammten Tresen.

Lassiter blieb in der Schwingtür stehen. Er wusste, dass die Männer von der Straße dicht hinter ihm waren. Er drehte sich nicht um. Er wusste, was in ihren Köpfen vorging. Da sie nichts weiter zu tun hatten, langweilten sie sich in der Hitze. Sie suchten nach Betätigung, und das konnte für Lassiter nur Ärger bedeuten.

Im Saloon ging es ziemlich laut zu. Die Männer zwangen sich zum Lachen, als könnten sie sich damit selbst beweisen, wie gut sie sich amüsierten. Sie taten es nicht.

Lassiter näherte sich der Theke. Er hörte, wie hinter ihm Stiefel über den mit Sägespänen bestreuten Boden schlurften. Am Tresen bauten sich zwei Männer links und rechts von Lassiter auf. Beide waren größer als er. Lassiter maß nur einsachtzig.

Der Mann zu seiner Rechten sagte: »Fremd hier, nicht wahr?«

Lassiter blickte ihn an.

»Wir sahen Sie über den See kommen. Haben Sie Ihr Pferd verloren?«

»Ich bin zu Fuß gegangen.«

Die Augen des anderen verdunkelten sich.

»Quer über den See? Zu Fuß gegangen? Das hat noch niemand geschafft.«

»Ich ja.« Lassiter drehte sich wieder um.

»Ich kann einen Lügner nicht ausstehen. Magst du einen Lügner, Abner?«

Der Mann hatte sehr laut gesprochen. Seine Worte ließen die anderen Gäste verstummen. Das Lachen brach ab. Die Männer warteten. Lassiter wusste, worauf sie warteten. Auf einen Kampf. Auf eine Unterhaltung, die sie nichts kosten würde.

Er war zu müde, um wütend zu werden. Langsam drehte er sich um. Er streckte eine Hand aus, fast wie eine freundliche Geste. Die Finger seiner rechten Hand berührten den Arm des Mannes direkt unter dem Ellbogen.

Der Mann sah plötzlich unsicher drein.

Lassiters linke Hand zuckte nach vorn und packte das Handgelenk des anderen.

Der Mann zuckte zurück, aber Lassiter hielt den Arm in eisernem Griff mit beiden Händen fest. Dann riss er jäh den Arm hoch und knallte den Unterarm mit aller Wucht auf die Tresenkante.

Es hörte sich an, als wäre soeben ein dürrer Ast zerbrochen. Der Laut echote durch den Raum, dann ertrank er im lauten Schmerzgebrüll des Mannes.

Lassiter schleuderte ihn gegen die beiden Männer, die dahinter standen. Dann drehte er sich wieder nach dem erschrockenen Barkeeper um.

»Eine Runde für alle. Für mich Whisky.«

Hinter ihm hatte sich ein Halbkreis gebildet, der immer enger wurde, je näher die Männer herandrängten. Diese Bewegung brach nun abrupt ab. Wie konnte man über einen Mann herfallen, der Drinks spendierte?

Es war sehr still im Raum. Die Männer längs der Theke starrten Lassiter an. Ein unverhoffter Gastgeber. Sogar der Mann mit dem gebrochenen Arm richtete sich auf und starrte.

Als die Drinks serviert waren, hoben einige der Männer ihre Gläser und prosteten stumm dem Spender zu. Lassiter gab ihnen nur Bescheid, indem er das eigene Glas auf einen Zug leerte und den Barkeeper sofort mit einer Geste aufforderte, nachzufüllen.

»Noch mal dasselbe.«

Der Mann hinter der Theke beeilte sich. So etwas war hier in Puente schon lange nicht mehr passiert.

Lassiter leerte sein Glas bereits, während der Barkeeper noch damit beschäftigt war, auch die übrigen Gläser nachzufüllen. Er stellte das leere Glas auf die Theke zurück und ging langsam zur Tür.

Der Mann mit dem gebrochenen Arm beobachtete ihn schweigend.

Lassiter stieß die Schwingtüren auf, als der Barkeeper endlich aufmerksam wurde.

»He...!«

Lassiter zeigte mit dem Finger auf einen Mann am Ende des Tresens. »Er bezahlt.«

Der Barkeeper sah den Mann an.

»Verdammt...!«, rief der Mann und richtete sich auf. Überrascht fügte er hinzu: »Ich habe ihn doch noch nie zuvor gesehen!«

Der Barkeeper griff nach dem flachen Schlegel, mit dem Spunde aus den Fässern geschlagen wurden.

»Ihm nach!«, rief er und lief zur Tür.

Niemand sonst rührte sich vom Fleck.

Der Barkeeper, die schmutzige Schürze vor dem Bauch, den Schlegel in der rechten Hand, stürzte auf die sonnenüberflutete Straße hinaus. Er rechnete damit, Lassiter Hals über Kopf davonrennen zu sehen. Irrtum. Lassiter stand ganz ruhig im Schatten der hölzernen Gehsteig-Überdachung und starrte offenbar ins Leere.

Der Barkeeper blieb abrupt stehen. Er wollte nun nicht einfach wieder hinaufspringen. Man konnte doch nicht mit einem Bierschlegel über einen Mann herfallen, der so gelassen dort oben stand und einen seelenruhig ansah. Und schon gar nicht, wenn man sich daran erinnerte, wie jener vorhin einem Mann den Arm gebrochen hatte. Also kam der Barkeeper sehr langsam und höchst wachsam näher.

»Warum zum Teufel haben Sie das mit mir gemacht, Mister?«

»Ich brauchte einen Drink.«

»Deswegen brauchten Sie doch nicht gleich die ganze Stadt einzuladen!«, protestierte der Barkeeper wütend.

»Hätten Sie mir denn einen Drink eingeschenkt, wenn ich einen für mich allein bestellt hätte?«

»Nun... äh... wahrscheinlich wohl nicht, aber...«

»Aber Sie hatten's verdammt eilig, als ich 'ne Lokalrunde bestellte«, unterbrach Lassiter. »Und außerdem musste ich diesen Kampf stoppen.«

»Was für einen Kampf denn?«

»Den Kampf, der bestimmt in der nächsten Sekunde ausgebrochen wäre. Denken Sie mal darüber nach. Was meinen Sie wohl, wie Ihr Saloon jetzt aussähe? Wie ein Trümmerhaufen.«

Lassiter wandte dem Barkeeper den Rücken zu und ging auf das gelbe Bahndepot zu.

Der Barkeeper öffnete schon den Mund, um laut loszuschreien, doch dann klappte er ihn rasch wieder zu. Es wäre bestimmt zum Kampf gekommen. Das stimmte. Und sein Saloon wäre jetzt ein Trümmerhaufen. Das stimmte auch. Es wäre nicht das erste Mal gewesen. Fluchend ging er wieder hinein. Niemand schenkte ihm besondere Beachtung. Alle drängten sich um den Mann mit dem gebrochenen Arm. Ihre Langeweile war auch gebrochen. Jetzt hatten sie etwas, worüber sie sich unterhalten konnten.

Lassiter ging am Signalturm vorbei und überquerte das Schienengewirr der Bahnstation. Am fernen Ende befanden sich der runde Lokomotivschuppen, die Werkstätten und die Büros des Stationsvorstehers. Niemand schenkte Lassiter einen zweiten Blick. Man war hier an Tramps gewöhnt. Er hockte sich in den Schatten eines Erzwagens, der auf einem Abstellgleis stand und darauf wartete, an einen Zug auf der Nebenlinie angehängt zu werden.

Lassiter zog den Hut tief in die Stirn, stemmte die Ellbogen auf die Knie und ruhte sich aus, ohne zu schlafen. Er nahm alles wahr, was um ihn herum vorging, aber in Gedanken war er bei dem See, den er eben überquert hatte.

Es war die reine Hölle gewesen. So etwas hatte er während seiner fünfundzwanzigjährigen Wanderschaft über Land noch nie erlebt. Die Backofenhitze. Die erbarmungslose Sonne. Die gleißende und blendende Alkalikruste, die unter seinen Schritten wie sprödes Eis geborsten war. Die scharfen Zacken waren durch die alten Stiefel gedrungen. Die reflektierten Sonnenstrahlen hatten in den Augen gebrannt. Das endlose Gehen. Dieser Zwang, ständig in Bewegung zu bleiben. Achtzehn Stunden Fußmarsch ohne Unterbrechung. Es war ein Alptraum gewesen, den er sein Leben lang nicht mehr vergessen würde. Er wollte es auch gar nicht. Er würde ihn so lange aufrechterhalten, bis er die Antworten gefunden hatte. Die Fragen wusste er bereits.

Warum war es notwendig gewesen? Warum war gerade er als einziger zum Sterben ausgesucht worden? Warum hatte ihn ein Mann, den er kaum kannte, für einen Mord hängen lassen wollen, den er nicht begangen hatte?

Lassiter war fest entschlossen, es herauszufinden. Er musste es herausbekommen. War es schierer Zufall gewesen, dass er allein von den fünf geschnappt und verurteilt worden war? Oder hatte irgendein Feind, den er nicht kannte, diesen Weg gewählt, um ihn loszuwerden? Er musste die Antworten auf alle diese Fragen finden, wenn er weiterleben wollte, wenn er nicht für den Rest seines Lebens jeden Mann, jede Frau verdächtigen sollte.

Die Berge rund um den See wurden in rote Glut getaucht und versanken schließlich im Dunkel der Nacht. Am Himmel glitzerten die Sterne. Die Seeoberfläche schimmerte wie Weißglut. Zwei Personenzüge, einer nach Osten, einer nach Westen, hielten kurz an der gelben Station an.

Lassiter beobachtete. Bewegungslos hockte er da... wie eine lauernde Katze. Unter der Wirkung des Whiskys begannen sich die bis zum Zerreißen gespannten Nerven allmählich zu lockern.

II

Der Güterzug beförderte Vieh. Man konnte den Gestank in der heißen Luft riechen. Die in den Wagen zusammengepferchten Rinder brüllten nach Wasser, das ihnen niemand gab.

Einer der Wagen hatte eine heißgelaufene Achse. Rauch quoll unter der Holzverkleidung hervor. Es gab eine Menge hüpfender, schwankender Laternen auf dem dunklen Bahngelände, eine Menge Männer, eine Menge aufgeregter Stimmen, eine Menge hitziger Diskussionen. Dann war der Zug endlich zur Weiterfahrt bereit.

Lassiter sah zum Himmel empor. Es war bereits nach Mitternacht.

Er stand auf. Sein Bauch schmerzte. Er hatte nichts weiter als Wasser und Whisky im Magen. Es bestand kein Grund zur Eile.

Der lange Zug ruckte an. Die Kupplungen klirrten und rasselten nacheinander, als die Lokomotive die riesige Wagenschlange in Bewegung setzte.

Lassiter stand auf und ging mit der Geschmeidigkeit einer ausgeruhten Katze vorwärts. Seine Hände packten das Geländer des Viehwagens unmittelbar vor dem Eisenbahnerwagen. Er hielt sich fest und schwang sich aufs Trittbrett. Erst als der Zug die Station hinter sich hatte, zog er sich auf den Wagen. Ratternd und schaukelnd schlängelte sich der Zug durch die Nacht zum Pass, der in westlicher Richtung durch die Berge führte. Es war die falsche Richtung. Lassiter wollte nach Süden.

Der Schienenstrang war schlecht verlegt. Man hatte es mit dem Bau zu eilig gehabt. Die Räder waren nicht ganz rund. Die Kupplungen klapperten, der Zug rumpelte schwankend nach Westen, die Rinder brüllten.

Ein Schatten tauchte aus dem Eisenbahnerwagen auf; jemand kam die eiserne Leiter heraufgeklettert.

Lassiter versuchte gar nicht erst, sich zu verstecken. Dazu gab es hier oben nicht die geringste Möglichkeit.

Der Zugführer sah ihn und kam über die Laufplanke auf ihn zu. Er schwankte leicht im rüttelnden Rhythmus des Zuges. In einer Hand trug er eine Sturmlaterne, in der anderen eine kurze, schwere Keule. Er sprang vom Eisenbahnerwagen auf den Viehwagen und kam nun sehr vorsichtig näher.

»He... was machst du denn hier?«

»Mitfahren«, antwortete Lassiter lakonisch.

»Aber nicht auf diesem Zug! Wir haben Order, euch Strolche in der Wüste runterzuwerfen! Deswegen suchen wir in der Stadt gar nicht erst nach euch. Los, runter! Spring!«

Lassiter sah auf den ausgetrockneten, harten, weiß schimmernden See hinab.

»Ich bin siebzig Meilen durch diese verdammte Alkali-Wüste marschiert. Mir reicht's.«

Der Mann glaubte ihm nicht.

»Spring... oder ich helfe dir mit einem kräftigen Tritt nach!«

Lassiter zuckte in hilfloser Geste die Schultern. Er ging auf die Leiter zu, bis er sie fast erreicht hatte. Der Zugführer war ihm dicht auf den Fersen. Lassiter wusste, was gleich passieren würde. Sobald er über die Leiter nach unten stieg und beide Hände auf der obersten Sprosse hatte, würde der Mann mit der Keule zuschlagen und ihm wahrscheinlich ein paar Fingerknöchel brechen.

Lassiter wirbelte jäh herum. Seine rechte Faust schloss sich wie ein Schraubstock um das Handgelenk des anderen. Ein kurzer Ruck, eine scharfe Drehung, und der Mann ließ die kurze Keule fallen. Sie kollerte scheppernd davon. Jetzt packte Lassiter den Zugführer an der Hemdbrust und hob ihn wie ein zappelndes Kaninchen in die Luft. Mit der freien Hand holte er die Waffe aus der Tasche des Mannes. Es war eine kleine 32er. Dann warf er den Zugführer einfach vom Wagen. Der Zug ratterte weiter. Im Sternenlicht sah Lassiter, wie der Mann auf der glitzernden Alkalikruste landete, sich mehrmals überschlug, auf die Beine kam, drohend beide Fäuste schüttelte und irgendetwas brüllte. Seine Schreie wurden rasch leiser, und die wild hüpfende Gestalt verschmolz mit dem Dunkel der Nacht.

Lassiter setzte sich auf die Laufplanke. Es war immer noch sehr heiß, aber der Fahrtwind war angenehm kühl und erfrischend. Es tat gut, so ruhig dazusitzen und zu beobachten, wie dieser schreckliche See unten vorbeizog. Nach einer Weile bogen die Gleise ab. Die Lokomotive zog den Zug in den Pass. Das Gelände stieg immer mehr an. Das Tempo wurde langsamer und langsamer.

Lassiter kletterte die Leiter hinab. Zwei Männer saßen im Eisenbahnerwaggon an einem Klapptisch und pokerten. Sie spielten mit schmierigen Karten um ein paar Münzen und zerknitterte Geldscheine, die zwischen ihnen auf der Platte lagen. Lassiter konnte sich denken, wer diese beiden Männer waren. Die Cowboys, die mitgeschickt worden waren, um die Rinder unterwegs zu füttern und zu tränken. In Puente hatten sich die beiden um ihren Job nicht gekümmert.

Sie sahen nicht von ihren Karten auf, als Lassiter die Tür öffnete und hereinkam. Der Mann, der mit dem Rücken zur Tür saß, sagte, ohne sich dabei umzudrehen: »Lange genug hast du ja gebraucht.«

Der zweite Mann sah von seinen Karten auf. Als er die Waffe in Lassiters Hand sah, klappte sein Unterkiefer herab. Er wollte wohl etwas sagen, brachte aber kein Wort über die Lippen. Sein Partner wurde jetzt auch aufmerksam und drehte sich um.

Lassiter sagte: »Hände auf den Tisch! Aber alle!«

Die Männer saßen mucksmäuschenstill.

Lassiter gestattete sich einen raschen Rundblick. An einer Wand gab es vier Holzpritschen. Ein kleiner Ofen für Holzfeuerung, eine Pfanne, schwarze Kaffeekanne. Die Ausrüstung der beiden Cowboys: Sättel, Lassos und Deckenrollen in einer Ecke. Patronengurte und Waffen lagen obenauf.

Der Cowboy, der mit dem Gesicht zu Lassiter saß, war ungefähr von seiner Größe. Er trug ein derbes Hemd, fast neue Jeans und Stiefel. Diese Stiefel gefielen Lassiter ganz besonders. Er sagte: »Los, aufstehen!« Als der Cowboy sich langsam erhoben hatte, forderte Lassiter ihn auf: »Ausziehen!«

Dem Mann quollen beinahe die Augen aus dem Kopf.

»Was...?!«

Lassiter richtete die Waffe auf ihn.

»Du sollst deine Sachen ausziehen!«

Der Mann starrte von der Mündung der Waffe in die schwarzen Augen, die ihn drohend ansahen, dann begann er sich schleunigst auszuziehen.

»Und nun raus auf die Plattform!«, befahl Lassiter. »Runterspringen!«

Der nackte Mann starrte ihn entsetzt an.

»Was denn...? Etwa so?«

»Ganz recht. Ist ja 'ne warme Nacht.«

»Ich werde mir das Genick brechen!«, protestierte der Cowboy.

»Bei dem Tempo? Der Zug fährt doch nicht mal zehn Meilen pro Stunde.« Lassiter machte eine unverkennbare Bewegung mit der Waffe. »Raus!«

Der Cowboy ging zögernd zur Tür.

Lassiter trat beiseite und wartete darauf, dass der andere versuchen würde, ihm die Waffe zu entreißen. Der Mann tat es nicht. Er funkelte Lassiter noch einmal wütend an, dann zog er die Tür auf, ging hinaus, blieb kurz stehen und sah sich um.

Lassiter hob ein Bein und versetzte dem anderen einen kräftigen Tritt gegen den nackten Hintern. Der Cowboy schoss nach vorn, schlug einen Purzelbaum übers Geländer und landete auf Händen und Knien auf dem Boden.

Lassiter hatte dem Kartentisch vorübergehend den Rücken zuwenden müssen. Als er Stuhlbeine über den Holzboden schrammen hörte, drehte er sich blitzschnell um. Der zweite Cowboy war bereits auf den Beinen und sprang mit weit gespreizten Armen Lassiter an.

Lassiter wich nicht aus, aber er hob die rechte Hand mit der Waffe und schlug kurz zu. Er traf genau die Nase des Cowboys. Das Nasenbein splitterte. Blut spritzte auf. Die Waffe war nicht schwer genug. Damit konnte Lassiter den Mann nicht niederschlagen. Der Cowboy war vor rasendem Schmerz zwar halb benommen, doch seine mächtigen Arme schlossen sich um Lassiters Oberkörper. Beide Männer stolperten auf die Plattform hinaus. Lassiter prallte mit dem Rücken gegen das Geländer. Sekundenlang schwebten beide darüber. Wenn der Zug jetzt einen richtigen Ruck machte, würden alle beide von der Plattform stürzen. Die nächste Schwenkung begünstigte jedoch Lassiter. Seine Füße fanden wieder Halt.

Lassiter schlug kurz und trocken zu. Der Mann taumelte rückwärts in den Eisenbahnwagen zurück, stolperte über den Tisch und stürzte. Mit einem Satz war Lassiter über ihm und setzte ihm zweimal die Faust an die Schläfe. Der Cowboy brach schließlich zusammen und blieb bewusstlos liegen.

Lassiter trat zurück und holte ein paar Mal keuchend Luft, dann wollte er auch diesen Mann aus dem Zug werfen. Er brauchte keinen Zeugen, der beobachten könnte, an welcher Stelle Lassiter selbst den Zug verlassen würde. Doch er überlegte es sich anders. Für einen Mann ohne Pferd war es in diesem Lande verdammt hart. Lassiter wusste es aus eigener Erfahrung. Er hatte ja gerade einen Fußmarsch von über siebzig Meilen hinter sich. Nach kurzem Überlegen nahm er ein Lasso von einem Sattelhorn, fesselte den Cowboy, stellte den Tisch wieder auf und schob den Mann darunter. Sollte jener zu schnell wieder zu sich kommen, konnte er ihn ja erneut für eine Weile ins Land der Träume schicken.

Lassiter schloss die Tür. Der Lärm ging ihm auf die Nerven. Außerdem trieb der Fahrtwind dauernd dicke Rußflocken herein. Dann warf er einen Blick in die Kaffeekanne. Noch gut halbvoll. Und heiß. Er nahm einen verbeulten Blechbecher vom Bord über dem Ofen und füllte ihn mit Kaffee. Das belebende Getränk half etwas gegen die Bauchschmerzen.

Auf dem Bord stand eine Whiskyflasche, noch viertelvoll. Lassiter leerte den Kaffeebecher zur Hälfte und füllte ihn mit Whisky auf. Das half noch besser.

Nun zog er die schäbigen Sachen, die ihm nicht passten, hastig aus und warf sie beiseite.

Seine Haut schimmerte weiß an allen Stellen, die nicht der Sonne ausgesetzt gewesen waren.

Lassiter stellte sich nackt vor einen halbblinden, zerbrochenen Spiegel und benutzte warmes Wasser aus einem Eimer, um sich mit dem Rasiermesser des Zugführers zu rasieren. Jetzt sah er beinahe noch schlimmer aus als vorher, denn einige Brandblasen waren aufgeplatzt. Seine Gesichtshaut glühte, als hätte sie jemand mit einem Brandeisen bearbeitet.

Er wusch sich und zog die Sachen des großen Cowboys an. Sie passten viel besser als die Klamotten, die er dem Mann in Harmony abgenommen hatte.

Das war schlimm gewesen, aber er hatte keine andere Wahl gehabt. Die Zeit war verdammt knapp geworden. Der Galgen war bereits draußen vor dem Stadtgefängnis auf dem Marktplatz aufgebaut gewesen, bevor der Richter das Urteil verkündet hatte. Man hatte nicht viel Zeit verschwenden wollen. Lassiter hatte es von seiner Zelle aus nicht beobachten können, aber die Hammerschläge waren gar nicht zu überhören gewesen.

Er hatte dieses Gefängnis gehasst, aber es war ihm nichts anderes übriggeblieben, als auf seine Chance zu warten. Anfangs hatten sie ihn schärfstens bewacht und beobachtet. Lassiter hatte sich die Wartezeit damit vertrieben, auf die Unterhaltung der Männer im Gang und im Office dahinter zu lauschen. So war ihm auch die Aufregung nicht entgangen, als man den Mann hereingebracht hatte, der draußen auf dem trockenen See herumgeirrt war. Er hatte das Weinen und unzusammenhängende Stammeln dieses Mannes gehört. Jemand hatte die Bemerkung geäußert, dass die Hitze dort draußen diesen Mann zum Wahnsinn getrieben haben musste.

»Niemand hat je diesen See überquert und ist am Leben geblieben oder hat seinen Verstand behalten«, hatte der Sheriff zum Doc gesagt. »Jedenfalls nicht, soweit mir bekannt ist. Und zu Fuß schon gar nicht, das steht verdammt fest!«

An diesen See hatte Lassiter denken müssen, als endlich seine Chance gekommen war. Eine Woche lang hatte man einen schwerbewaffneten Mann im Korridor postiert. Dann war man es leid geworden. Der Sheriff war auf eine andere Idee gekommen. Lassiter hatte Hose und Stiefel abliefern müssen. Sie hatten gut lachen gehabt. Alle waren sich einig gewesen, dass ein splitternackter, barfüßiger Mann wahrhaftig keine Chance hatte, auszubrechen und sich aus dem Staube zu machen.

Danach hatte Lassiter damit begonnen, sich ein Werkzeug anzufertigen. Schon in der ersten Nacht hatte er festgestellt, dass eine Spannfeder des Bettgestells gesprungen war; die beiden Enden waren am Eisenrahmen vernietet. Zwei Tage hatte er gebraucht, bis er das kürzere Ende abmontiert hatte. Dann hatte er damit begonnen, die Bruchstelle an der rauen Zellenwand zu schärfen. Er hatte einen Meißel benötigt, um den Fensterrahmen aus der Mauer zu brechen. Das Holz war von der Sonne ausgedörrt und verrottet, aber längst nicht genug, um das Gitter herausreißen zu können.