Lassiter Sonder-Edition 12 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sonder-Edition 12 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Lassiter sah auf den ersten Blick, warum man Funeral Bend umgetauft hatte. Aber mit dem neuen Stadtnamen El Dorado war man ganz entschieden zu weit ins andere Extrem verfallen. Wie man in Tombstone behauptet hatte, sollte hier das Gold nur so auf dem Boden herumliegen und darauf warten, aufgehoben zu werden. Aber Lassiter konnte nirgendwo Gold herumliegen sehen, als er in El Dorado einritt.
Was er sah, war eine kleine, staubige, sonnendurchglühte Siedlung, die sich alle Mühe gab, wie eine richtige Stadt auszusehen. Es war die alte Geschichte: Kaum wurde irgendwo ein bisschen Gold gefunden, da schossen die Camps über Nacht aus dem Boden. Legenden wurden geboren und verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Versiegten dann nach kurzer Zeit die Goldvorkommen, brachen die Goldgräber einfach ihre Zelte ab und zogen weiter, immer auf der Suche nach dem ganz großen Fund.


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Seitenzahl: 190

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

WENN LASSITER MIT DEM TEUFEL TANZT

Vorschau

Impressum

WENN LASSITER MIT DEM TEUFEL TANZT

von Jack Slade

Lassiter sah auf den ersten Blick, warum man Funeral Bend umgetauft hatte. Aber mit dem neuen Stadtnamen El Dorado war man ganz entschieden zu weit ins andere Extrem verfallen. Wie man in Tombstone behauptet hatte, sollte hier das Gold nur so auf dem Boden herumliegen und darauf warten, aufgehoben zu werden. Aber Lassiter konnte nirgendwo Gold herumliegen sehen, als er in El Dorado einritt.

Was er sah, war eine kleine, staubige, sonnendurchglühte Siedlung, die sich alle Mühe gab, wie eine richtige Stadt auszusehen. Es war die alte Geschichte: Kaum wurde irgendwo ein bisschen Gold gefunden, da schossen die Camps über Nacht aus dem Boden. Legenden wurden geboren und verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Versiegten dann nach kurzer Zeit die Goldvorkommen, brachen die Goldgräber einfach ihre Zelte ab und zogen weiter, immer auf der Suche nach dem ganz großen Fund.

Dieser Roman erschien erstmals im Jahr 1971 als Lassiter-Taschenbuch Nr. 12 als Übersetzung aus dem Amerikanischen. Originaltitel: Funeral Bend.

Wer klug war, gab rechtzeitig auf. Die Optimisten blieben meistens etwas länger. Aber innerhalb eines Monats kroch die Wüste in die ehemalige Goldgräberstadt zurück. Unkraut überwucherte die Straßen. Ratten, auch menschliche, schleppten fort, was des Wegschleppens noch wert war.

Dem Aussehen nach zu urteilen, dürfte es noch eine ganze Weile dauern, bis es eines Tages auch hier in El Dorado soweit sein würde.

Neue Gebäude wurden errichtet, so schnell Männer nur arbeiten konnten. Da wurde überall gesägt, gezimmert, genagelt und gehämmert, dass es nur so dröhnte. Man konnte fast meinen, dass sich die Bewohner dieses gesamten Territoriums und der angrenzenden Staaten gleichzeitig auf den Weg gemacht hatten, um hier zusammenzuströmen und sich am neuentdeckten Goldvorkommen zu bereichern.

Eine Stadt aus Zelten und Holzbuden, größer als der ursprüngliche Ort, war innerhalb weniger Wochen aus dem Boden gestampft worden. Es gab den alten, vertrauten Gestank, wie er überall anzutreffen ist, wo zu viele Menschen auf zu engem Raum zusammengepfercht sind; und wie er vor allem dann entsteht, wenn es keine Latrinen und auch nicht genügend Wasser zum Waschen gibt.

Alle waren Hals über Kopf hierhergezogen. Sie hatten Farmen und Ranches und Geschäfte im Stich gelassen. Der stumpfe Glanz des Goldes lockte sie an wie Fliegen zu einem Massaker: Cowboys, Minenarbeiter, Goldschürfer, entlassene und desertierte Soldaten, Chinesen und andere Ausländer, Spieler und Revolverschwinger. Und alle wollten so schnell wie möglich reich werden. Einigen würde es sogar gelingen.

Lassiter hatte das alles schon früher gesehen und erlebt. Auch er war dem Geruch des Goldes gefolgt und hierhergekommen. Der einzige Unterschied bestand darin, dass er sich deswegen nicht aufregte. Er hatte im Laufe vieler Jahre mehr Gold und Banknoten an sich gebracht, als diese ganze Stadt wert war. Er hatte es überall gefunden. In Zügen und Banken, in Lohnbüros und bei Kutschenlinien. Das Geld hatte bei ihm nie lange vorgehalten. Wozu auch? Es gab immer wieder und überall neues Gold, neue Banknoten. Man brauchte sich diesen Reichtum nur zu nehmen. Mit einer Kanone in der Faust, versteht sich.

Auf der Mainstreet herrschte ein unglaubliches Durcheinander. Menschen, Pferde und Wagen verstopften die einzige Straße, die es in der Stadt gab.

Lassiter hatte einige Mühe, sich einen Weg durch dieses Gewirr zu bahnen. Er wollte sich hier ein bisschen umschauen und sehen, was El Dorado zu bieten hatte. Lässig saß er im Sattel. Er hatte keine Eile. Der Ritt von fünfzig Meilen – so weit war es von Tombstone bis El Dorado – hatte Pferd und Reiter mit einer dicken Staubkruste überzogen.

Aber für Lassiter war es zur Abwechslung einmal ein sehr bequemer und gemütlicher Ritt gewesen. Niemand hatte ihn gejagt. Ein leichter Ritt... wenn man einen Ritt in dieser Hitze mitten durch die Wüste überhaupt leicht nennen konnte.

Was Lassiter jetzt vor allem wollte, war ein kräftiger Schluck Bier. Danach würde man ja sehen, wie es weiterging.

Lassiter stieg vor Scofield's Saloon ab. ABE SCOFIELD – BESITZER, so lautete das Schild exakt.

Hitze, Lärm und Staub brodelten um ihn herum, aber er bewegte sich mit der langsamen Zielstrebigkeit eines Mannes, der an Stille und an seine eigene Gesellschaft gewöhnt ist.

An einem Straßentrog tränkte er sein Pferd, dann benutzte er seinen schweißdurchnässten Hut, um sich den Staub notdürftig von der Kleidung zu klopfen. Er bückte sich über den Trog und spritzte sich ein paar Handvoll des lauwarmen, nach Pferd riechenden Wassers ins staubverklebte Gesicht, um es einigermaßen sauberzureiben.

Ein Assay Office, in dem Gestein auf Erz- und Goldgehalt geprüft wurde, stand neben dem Saloon. Die Tür stand keine Minute still. Ständig gingen Männer hinein oder kamen heraus.

Das Geschäft war gut. Jedenfalls hatte es den Anschein.

Lassiter war zufrieden. Wenn die Geschäfte ganz allgemein gut gingen, nun, dann blühte meistens auch sein Geschäft.

Lassiter grinste vor sich hin. Vielleicht lagen hier nicht gerade hühnereigroße Nuggets auf dem Boden herum, aber ein Mann konnte schließlich nicht alles haben.

Kaum hatte Lassiter den Gehsteig betreten, als ein stämmiger, untersetzter Mann wie ein menschliches Geschoss durch die Schwingtüren gesegelt kam. Er landete auf dem Kopf und blieb bewusstlos liegen. Vielleicht war er auch tot.

Ein weiterer Mann musste den Saloon auf dem gleichen Wege verlassen. Er hatte allerdings etwas mehr Glück. Sofort kam er wieder auf die Beine und riss eine Waffe heraus. Das Ding sah aus wie eine billige, per Post bestellte 32er. Der Lauf war schon ziemlich angerostet. Der Mann kehrte in den Saloon zurück... die Spezialwaffe für Samstagnacht in der Faust.

Lassiter beschloss, lieber noch ein bisschen auf sein Bier zu warten.

Der Mann mit der rostigen Kanone sah aus wie ein Minenarbeiter: gelber, derber Anzug aus Segeltuch, schäbige, reichlich zerfetzte Stiefel. Es musste sich um einen Miner handeln; nur ein Miner konnte dumm genug sein, eine solche Waffe mit sich herumzuschleppen. Aber was immer er im Moment auch sonst noch sein mochte, in wenigen Sekunden würde er tot sein. Er stieß die Schwingtüren auf und schrie irgendetwas.

Drei Schüsse krachten fast gleichzeitig.

Der Mann wurde voll heißes Blei gepumpt, schoss wie von einem Katapult abgeschnellt rücklings über den Gehsteig und landete im Straßenstaub. Er blieb tot neben seinem Freund liegen. Es war elf Uhr vormittags.

Die beiden Männer lagen nebeneinander auf der von Wagenrädern zerwühlten Straße.

Neugierige Gaffer fanden sich ein und begannen wie üblich zu flüstern und zu tuscheln.

Im Saloon war es plötzlich sehr still.

Lassiter hatte sich inzwischen eine Zigarette gedreht und zündete sie an.

Die Schwingtüren waren in Trümmer gegangen. Der Bär von einem Mann, der jetzt herauskam, um die Wirkung seiner Schießkunst zu inspizieren, ruinierte die Türflügel noch mehr. Sein breites, derbes Gesicht war von schwarzen Bartstoppeln bedeckt, die sich bis hoch über die Wangen erstreckten, so dass sie fast wie eine schwarze Stoffmaske wirkten. Der langläufige Colt in seiner massigen Faust sah beinahe klein aus, genau wie die Whiskyflasche, die er in der anderen Hand hielt.

Der bullige Mann sah kurz zu Lassiter hinüber, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder den beiden Toten zu.

Das alles ging Lassiter nichts an; um es deutlich zum Ausdruck zu bringen, benutzte er beide Hände zum Anzünden der Zigarette. Es wäre ihm trotzdem möglich gewesen, diesen großen Mann zu töten, bevor jener auch nur imstande wäre, die Hand mit der Waffe hochzubringen. Lassiter hoffte aber im Stillen, dass jener sich nicht dazu verleiten lassen würde, es auch tatsächlich zu tun. Bei einem Schießwütigen wusste man jedoch nie genau, wie er reagieren würde. Solche Leute waren unberechenbar, wenn sie erst einmal mit dem Töten begonnen hatten.

»Hundesöhne!«, knurrte der große Mann, während er die verbrauchten Patronen aus der Trommel stieß und durch frische ersetzte. Seine Worte waren nicht für Lassiter bestimmt. Betrunken oder nicht, die Hände des Mannes waren verdammt ruhig und sicher. Von unbeholfenem Herumfummeln konnte wahrhaftig nicht die Rede sein. Nachdem der Mann die Flasche geleert hatte, schleuderte er sie in die Luft und zerschoss sie mit einem einzigen Schuss. Jetzt sah er Lassiter an. »Gottverdammt!«, grollte er. »Jetzt muss ich schon wieder 'ne Patrone nachladen!«

Zwei weitere Männer kamen aus dem Saloon. Keine professionellen Revolverschwinger. Texas-Cowboys, die genau wussten, wie schnell sie mit einem Schießeisen waren. Einer war klein und dürr; seine weißen, struppigen Augenbrauen zuckten ständig auf und ab. Der andere Cowboy war etwa gleichaltrig, etwas über zwanzig oder so. Seine drahtige Gestalt wies bereits einen leichten Bierbauch auf. Schmutziges, rotes Haar wuchs ihm weit ins Gesicht und hing zottig unter dem hochkronigen Hut hervor.

Der Cowboy mit den nervösen Augenbrauen fragte den großen Mann: »He, Mitch, was guckst du dir denn die beiden Kerle noch lange an? Sind doch tot, oder? Inzwischen wird drin guter Whisky verschwendet.«

Der rothaarige Texaner hatte eine ungewöhnlich raue, heisere Stimme.

»Die Kerle sind bestimmt tot genug«, sagte er. »Müssen wohl was Verkehrtes gegessen haben. Was meinst du, Billy?«

Billys Augenbrauen tanzten auf der Stirn. Vielleicht war mit seinen Muskeln etwas nicht in Ordnung, denn die Augen unter diesen hüpfenden Brauen sahen eiskalt, tödlich und kein bisschen besorgt drein.

»Ich weiß auch nicht, Red«, sagte Billy. »Könnte auch die Hitze gewesen sein.«

Billy und Red hielten sich offensichtlich für sehr witzig.

Der große Mann hörte ihnen überhaupt nicht zu. Er stand breitbeinig da und sah aus wie ein Grizzlybär mit zwei Kojoten an seiner Seite.

»Kommt!«, sagte er nur und warf dabei Lassiter noch einen kurzen Seitenblick zu. »Gehen wir wieder rein. Der Whisky wartet auf uns.«

Lassiter entschied sich dafür, sein Bier doch lieber auf der anderen Straßenseite zu trinken. Er ging um die beiden Toten herum und überquerte die Straße. Vom hiesigen Gesetz war trotz der schweren Schießerei nichts zu sehen. Entweder hatte das Gesetz hier in El Dorado Angst... oder es gab überhaupt kein Gesetz.

Letzteres fand Lassiter auch nicht gerade verkehrt; ganz im Gegenteil. Was er bisher von dieser Stadt zu sehen bekommen hatte, so schien ihm gerade dieser Umstand der einzige Vorteil zu sein.

Noch bevor Lassiter die Straße ganz überquert hatte, kam ein älterer Mann angelaufen, der wie eine Zweitausgabe von Horace Greeley aussah. Seine Rockschöße flatterten im heftigen Luftzug, den er selbst verursachte. Da er keine Doktortasche bei sich hatte, konnte es sich nur um einen Leichenbestatter handeln. Ein anderer Mann, nicht ganz so alt, aber dafür fett wie ein Schwein kurz vor dem Schlachtfest, rannte keuchend hinter ihm her. Er rief ständig etwas von »Das ist nicht ethisch!«, oder »Das ist nicht gerecht!«, oder »Das ist verdammt unfair!« Aber während er sich noch solchermaßen über die Konkurrenz beklagte, hatte sein Kollege bereits die beiden Toten erreicht und deren Taschen durchsucht, in denen er allerdings nicht viel mehr als ein paar Münzen Kleingeld gefunden hatte.

Das Gesicht des älteren Mannes verlor jegliches Interesse.

»Sie können sie haben, Mr. Pettigrew«, sagte er und ließ die paar Münzen verächtlich in den Staub fallen.

Am anderen Ende der Stadt feuerte jemand seinen Revolver ab.

Die beiden Leichenbestatter setzten sich sofort eiligst in diese Richtung in Bewegung. Horace Greeley natürlich voran; er warf seine Beine wie ein ungestümes Rennpferd, das aber bereits stark an Altersschwäche leidet.

Wirklich nette Stadt, dachte Lassiter amüsiert, während er sich energisch einen Weg durch die Menge auf dem Gehsteig bahnte.

Der Saloon, den er nun ansteuerte, hatte gar keinen Namen; auf dem Bretterschild stand lediglich SALOON. Das Gebäude mit der falschen Fassade war schon sehr alt, aber das Schild war frisch gemalt. Als einziger Zusatz stand darauf zu lesen: EISKALTES BIER!

Jetzt wusste Lassiter mit Sicherheit, dass El Dorado ein aufblühendes Gemeinwesen war. In gewissen Gegenden von Arizona konnte ein Mann manchmal fünfhundert Meilen und mehr reiten, ohne unterwegs auch nur ein einziges Glas kaltes Bier zu bekommen.

Im Moment dachte Lassiter an weiter nichts, als diesen Durst von fünfzig Meilen Wüstenritt zu löschen. Nachdem er das erste Glas Bier auf einen Zug geleert hatte, trank er das zweite schon wesentlich langsamer und bedächtiger. Er rauchte eine Zigarette und dachte dabei: Kein Zweifel, El Dorado hat Möglichkeiten!

Einer der Barkeeper stellte eine Whiskyflasche und ein Glas vor Lassiter auf die Theke. Kaltes Bier war gut für den Anfang, aber ein Mann brauchte Whisky, um wieder Interesse am Leben zu finden.

Lassiter war auch hungrig, aber das hatte noch Zeit. Später würde er ein pfundschweres Steak vertilgen und mit einer Gallone Kaffee hinunterspülen. Anschließend gedachte er sich in El Dorado nach einer Unterkunft umzusehen. Wahrscheinlich würde man ihm anbieten, mit ein, zwei anderen Burschen zusammen zu logieren, und für die Ehre, die Pritsche mit irgendeinem verlausten Fremden teilen zu dürfen, würde man ihm obendrein einen gehörigen Batzen Geld abverlangen. Da dürfte es wohl doch besser sein, wie gewohnt den Sattel als Bett zu benutzen. Dabei konnte sich ein Mann wenigstens in Ruhe und Frieden in Schlaf trinken, ohne befürchten zu müssen, sich am nächsten Morgen am ganzen Körper zu kratzen. Yeah, das war es, was Lassiter für die erste Nacht in dieser Stadt wollte... sich in aller Ruhe betrinken. Niemand suchte ihn in dieser Gegend. Jedenfalls wusste er nichts davon. Und ab und zu brauchte er das eben, sich in aller Ruhe betrinken zu können.

Lassiter goss sich noch einen Whisky ein und kaufte beim Barkeeper eine Zigarre.

Der Pianospieler unterbrach für eine Weile seine Beschäftigung, sich die knochigen Finger wund zu hämmern. Nachdem er sich mit einem Drink gestärkt hatte, kehrte er auf seinen Platz am neuen, glänzenden Piano zurück und versuchte sich mit der Weise Jabez Came A-Courtin'. Er hatte ein Pferdegesicht und trug einen Gummikragen ohne Krawatte. Er hämmerte dabei eher wie ein Uhrwerk als ein Mensch auf den Tasten herum und saß dabei vornübergebeugt da wie ein Mann, dem der Doktor eben eröffnet hat, dass er nur noch eine Woche zu leben hat.

Zwei Männer gerieten wegen der Musik, die sie hören wollten, miteinander in Streit. Der eine war ein Ex-Soldat, der andere ein Cowboy. Way Out In Idaho wollte der Soldat hören, während der Cowboy – genauso betrunken wie der andere – lautstark behauptete, dass gerade dieses Stück das miserabelste, niederträchtigste, nichtsnutzigste Lied aller Hundesöhne sei. Und da er hier gutes Geld – Schweiß-Geld nannte er es – ausgab, um sich zu amüsieren, wollte er doch gleich in die tiefste aller sieben Höllen verdammt sein, wenn er hier herumstehen und sich solchen Mist anhören sollte.

Um dafür zu sorgen, dass der Pianospieler auch alles richtig mitbekam, riss der Cowboy seinen Sechsschüsser aus dem Holster und spannte den Hahn.

»Du spielst jetzt Sam Bass, verstanden? Und spiel's ja richtig, hast du gehört? Gibt doch gar kein besseres Lied als 'nen richtigen Texas-Song!«

Der Cowboy drehte sich um und grinste einen seiner Freunde an.

Der Ex-Soldat zertrümmerte eine Flasche.

Die Kugel des Cowboys zog dem Pianospieler einen neuen Scheitel.

Der Freund des Cowboys hatte inzwischen ebenfalls zur Waffe gegriffen.

Doch nun griff der Aufseher in der Nähe des Faro-Tisches ein. Er war mit einer doppelläufigen Schrotflinte bewaffnet. Jetzt trillerte er auf seiner Pfeife. Der Pfiff beruhigte die Kampfhähne schneller als ein Schuss aus der schweren Donnerbüchse. Beide Hämmer waren zurückgezogen, und der Aufpasser sah drein wie ein geborener Killer.

»Immer hübsch mit der Ruhe, Leute«, sagte er und richtete das Gewehr mit den abgesägten Läufen auf die drei Krawallbrüder.

Der Soldat ließ die zerbrochene Flasche fallen.

Der Cowboy maulte noch ein bisschen, schob aber dann doch den Colt ins Holster zurück.

»Und ihr anderen haltet euch da auch raus, verstanden?«, sagte der Aufpasser.

In diesem Augenblick kam ein bulliger Mann aus dem Hinterzimmer und stieß die Leute aus dem Wege. Er war schon reichlich wütend, aber noch wütender wurde er, als er sah, was mit seinem Pianospieler passiert war. Er sah noch einmal hin und entdeckte die Beschädigung des Pianos, verursacht durch die Flasche, die der Ex-Soldat darauf zerschlagen hatte. Der massige Mann war selbst für einen Saloonkeeper ungewöhnlich elegant gekleidet. Sein Schnurrbart war gewachst. Um die dicken Hüften hatte er einen handgefertigten Waffengurt geschnallt. Der Rock aus feinstem grauem Tuch war zurückgeschlagen, so dass der elfenbeinbeschlagene Griff eines 44ers zu sehen war. Eine große goldene Nadel hielt die Rockschöße hinten zusammen.

Der Mann kam Lassiter irgendwie bekannt vor.

Aber wer immer es auch sein mochte, jetzt sagte er erst einmal zum Aufpasser: »Halte sie in Schach!«

Für einen Moment glaubte Lassiter wirklich, dass der Mann dem Ex-Soldaten und auch dem Cowboy eine Kugel in den Bauch schießen würde. Je näher er an den Pianospieler herankam, umso wütender wurde er. Als er nun gar noch das Loch im brandneuen Piano entdeckte, sah er drein, als wäre er bereit, auf der Stelle alle im Saloon anwesenden Gäste zu durchlöchern und voll Blei zu pumpen.

Hm, dachte Lassiter, scheint doch kein ganz so langweiliger Tag für mich zu werden.

Der Saloonkeeper hielt seine Waffenhand ganz ruhig. Mit der anderen Hand schlug er dem Ex-Soldaten ins Gesicht. Dann schüttelte er drohend die geballte Faust und schrie: »Hab ich's euch nicht gesagt, Leute? Wieder und immer wieder hab ich's euch gesagt!« Seine Stimme entsprach im Umfang durchaus seiner Körpergröße. »Ich hab's euch doch immer wieder gesagt! Wenn ihr mit Schießeisen oder Messern oder Flaschen spielen wollt, um euch die Zeit zu vertreiben, dann tut's gefälligst draußen, verstanden? Ist doch 'n großes Territorium! Gibt genug Platz! Ihr habt 'ne ganze Wüste zur Verfügung! Dort könnt ihr spielen, so viel und solange ihr wollt!«

Der zweite Cowboy hatte etwas Wichtiges zu sagen. Er kam nicht dazu, es auch auszusprechen.

Ein sehr solider Faustschlag mit der linken Faust des Saloonkeepers brach dem Cowboy die Vorderzähne aus.

»Vorsicht, Tex!«, warnte der Aufpasser und richtete das Schrotgewehr auf den Cowboy.

Die Fingerknöchel des großen Mannes waren blutbeschmiert.

»Ihr Hundefresser habt auf mein Piano und auf meinen Pianospieler geschossen!«, brüllte er. »Seht euch gefälligst mal mein gottverdammtes Piano an! Wisst ihr eigentlich, wie viel mich dieser Musikkasten gekostet hat? Und von wie weit her ich's hab kommen lassen, he? Und ich sage euch, Jungs... wenn ihr mein Piano ruiniert habt, dann seid ihr schon jetzt so gut wie tot!«

Ein bisschen viel Aufhebens um ein Piano, dachte Lassiter. Und dann erinnerte er sich plötzlich, wer dieser große Mann war. Natürlich! Nelson Byers aus Leadville in Colorado! Dort hatte er auch einen Saloon gehabt. Zur Zeit des großen Gold-Booms. Ein hinterhältiger, heimtückischer, gefährlicher, geldgieriger Hundesohn!

Lassiter hätte jetzt am liebsten gegrinst. Aber das hätte sich in dieser Situation wohl kaum geschickt.

Aber die Wunder schienen immer noch kein Ende nehmen zu wollen!

Byers hatte die beiden Männer bewusstlos geschlagen und beiseitegeschoben. Jetzt versuchte er auf dem Piano zu spielen. Mit zwei Fingern klimperte er mehr falsch als richtig eine alte Heimatweise. Es hätte The Old Rugged Cross sein können. Ganz sicher konnte man da allerdings nicht sein; Byers spielte zu schlecht.

Byers musste das Spielen auf einem Harmonium gelernt haben; ein Fuß wippte ständig auf und ab. Außerdem hämmerte er viel zu hart auf die Tasten ein. Byers' Gesicht nahm allmählich wieder einen normalen Farbton an, aber er war immer noch wütend genug, als er nun eine Weise klimperte, die ihm wohl eher lag: Chopsticks. Nur wenn sein Blick auf das Kugelloch im handdekorierten Paneel auf der Vorderseite des neuen Pianos fiel, jagte ihm jedes Mal eine neue Blutwelle ins Gesicht. Nachdem er das Loch befingert und eine ganze Weile nachgedacht hatte, hämmerte er noch einmal Chopsticks herunter.

Lassiter hatte schon reichlich Whisky im Bauch. Seiner Meinung nach spielte Byers auch diese Weise zu falsch. Doch der dickbäuchige Bastard hatte zweifellos so etwas wie Stil. Diesen Ausdruck hatte Lassiter einmal in einer Zeitung gelesen. In einem Artikel über die Frau eines Bankpräsidenten, die für die lokalen Aktionäre ein Klavierkonzert gegeben hatte. Lassiter unterdrückte das Verlangen, laut Beifall zu klatschen. Um das jetzt zu tun, hätte er schon mindestens eine ganze Flasche intus haben müssen.

Byers stand auf. Der Klavierhocker knarrte bedrohlich unter dem beachtlichen Gewicht des breiten Hinterns. The Old Rugged Cross und mehr noch Chopsticks hatten ihm wohl glücklichere Zeiten ins Gedächtnis zurückgerufen... wie er sonntags in der Kirche hinter dem Gebetbuch gegrinst hatte, der lange Heimritt von der Kirche, das großartige Mittagessen, das bis in den Nachmittag gedauert hatte.

»Euer Glück, Leute, dass der Kasten noch spielt!«, sagte er zu dem Ex-Soldaten und zum Cowboy, die sich inzwischen wieder erholt hatten. »Sonst...« Byers befingerte seine gewachste Lippenzier, und da er es auf beiden Seiten tat, nahm es einige Zeit in Anspruch. Die Spitze schien nicht richtig gewachsen oder falsch gestutzt oder nicht gut gewachst zu sein; jedenfalls bearbeitete Byers sie noch einmal. Als er endlich damit fertig war, sah sie aber immer noch nicht besser aus. Byers dachte eine Weile sehr tiefgründig nach, und damit war er zunächst für die Welt verloren. Doch endlich schien er eine wichtige Tatsache zu begreifen, die ihn jäh ins Leben zurückrief: Solange er hier herumstand und tiefsinnigen Gedanken nachhing, wurden keine Drinks verkauft! Seine Stimme klang nun schon ganz vernünftig.

»Hört zu, Jungs«, sagte er. »Ihr habt meinen Musiker totgeschossen und mein schönes, neues Piano demoliert. Aber ich will nicht so sein. Hundert Dollar müssten reichen, um den Schaden zu decken. Fairer kann ich doch wirklich nicht sein, oder?« Das Letzte hörte sich schon wieder ziemlich drohend an.

Der Cowboy schien das aber gar nicht für so fair zu halten.

»Der Musiker ist doch nicht tot, Mr. Byers«, widersprach er. »Hat ja nichts weiter als 'ne kleine Schramme am Kopf. Nein, nein, Sir, der Musiker ist noch lange nicht tot und...« Er wandte sich an den Soldaten. »Stimmt doch, Trooper, oder?«

Natürlich wusste Byers, dass sein Pianospieler nicht tot war. Der arme Bastard gab einen gurgelnden Laut von sich. Byers schnippte mit den Fingern. Ein Barkeeper kam sofort mit einer Flasche Whisky angerannt. Whisky plätscherte auf die Kopfverletzung. Das brachte den Pianospieler sehr schnell wieder völlig zu sich. Er riss die Augen auf. Seine Finger bewegten sich, als hämmerten sie bereits wieder auf die Tasten ein. Im Moment trafen sie allerdings weiter nichts als Luft.

»Also gut, Leute«, grollte Byers, großartig und erhaben wie General Lee einem blutjungen Rekruten gegenüber. »Sagen wir also... fünfzig für den ganzen Trubel. Dann bin ich bereit, den Zwischenfall wieder zu vergessen. Aber denkt daran, Jungs... der nächste, dem es einfällt, noch mal Hand an mein neues Piano zu legen, bekommt von mir persönlich 'ne Freifahrkarte in die Hölle! Und das ist mein Ernst, Leute... so wahr mir Gott helfe!«

Es war sehr still im Saloon.

Byers aber war in erster Linie und vor allem Saloonkeeper, dem das Geschäft am Herzen lag.

»He, was ist los mit euch, Leute?«, rief er. »Wollt ihr etwa keine Musik mehr hören?«

Das löste allgemeines Gelächter aus, und damit war die Spannung erst einmal behoben.

Lassiter kehrte an den Tresen zurück. Er hörte, wie Byers die Gäste ermunterte, weiterzutrinken. Dafür sei doch das Geld schließlich da, oder? Er selbst würde sich später noch mal bei ihnen sehen lassen.