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Lassiter presste sich hinter dem Körper seines toten Pferdes eng an die Erde und wartete, bis die Indianer das Schießen einstellten. Dann setzte er sich in Bewegung.
Es war verdammt nicht einfach, mit auf den Rücken gefesselten Händen lautlos und gleichzeitig schnell genug voranzukommen. Aber es war für ihn die einzige Chance, nicht skalpiert zu werden.
Trotz seiner gefährlichen Lage musste der große Mann unwillkürlich grinsen. Immerhin war es das erste Mal, dass er zu jemandem hin kroch, um ihn um etwas zu bitten.
Und dieser Jemand war ausgerechnet Sidney Blood, Spezialagent von Wells Fargo, Lassiters größter Feind.
Sidney Blood lag etwa fünfzig Schritt entfernt. Er hatte Deckung hinter ein paar mannshohen Felsbrocken gefunden. Bis dorthin hatte ihn sein Pferd noch getragen, bevor es ebenfalls unter den Schüssen der Rothäute zusammengebrochen war.
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Seitenzahl: 183
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
ALS LASSITER DEN BASTARD JAGTE
Vorschau
Impressum
ALS LASSITERDEN BASTARD JAGTE
von Jack Slade
Lassiter presste sich hinter dem Körper seines toten Pferdes eng an die Erde und wartete, bis die Indianer das Schießen einstellten. Dann setzte er sich in Bewegung.
Es war verdammt nicht einfach, mit auf den Rücken gefesselten Händen lautlos und gleichzeitig schnell genug voranzukommen. Aber es war für ihn die einzige Chance, nicht skalpiert zu werden.
Trotz seiner gefährlichen Lage musste der große Mann unwillkürlich grinsen. Immerhin war es das erste Mal, dass er zu jemandem hin kroch, um ihn um etwas zu bitten.
Und dieser Jemand war ausgerechnet Sidney Blood, Spezialagent von Wells Fargo, Lassiters größter Feind.
Sidney Blood lag etwa fünfzig Schritt entfernt. Er hatte Deckung hinter ein paar mannshohen Felsbrocken gefunden. Bis dorthin hatte ihn sein Pferd noch getragen, bevor es ebenfalls unter den Schüssen der Rothäute zusammengebrochen war.
Mühselig schob sich Lassiter durch die ausgetrocknete Regenrinne vorwärts. Die Sonne glühte vom wolkenlosen Himmel auf ihn herab. Kein trockener Faden war mehr an seinem hageren Körper. Schweiß rann über seine Stirn und brannte in den Augen.
Lassiter spürte, wie seine Muskeln allmählich verkrampften. Aber er durfte nicht aufgeben. Er musste weiter. Wahrscheinlich führte ihn dieser Weg in die Arme des Henkers, aber bis dahin war es noch weit. Der Tod durch Indianerhand dagegen lauerte in allernächster Nähe.
Drüben bei den Felsen eröffnete Sidney Blood wieder das Feuer. Nach zwei blitzschnell hingeworfenen Schüssen ertönte ein gellender Schrei. Dann war es wieder still.
Lassiter kam sich vor wie ein Fisch auf dem Trockenen. Mit dem einzigen Unterschied, dass er sich nicht einmal leisten konnte, zu zappeln.
Es waren noch zwanzig Schritt bis zu den rettenden Felsen, als die Indianer entdeckten, dass er nicht mehr hinter dem toten Pferd lag. Ihr lautes Geschrei war für Lassiter das Signal. Jetzt musste er alles auf eine Karte setzen.
Er sprang auf. Mit langen Sprüngen hetzte er auf Sidney Blood zu. Schüsse peitschten auf. Kugeln schlugen links und rechts von ihm in die Erde, aber nur eines der Geschosse streifte ihn am rechten Oberschenkel.
Keuchend warf er sich neben dem Spezialagenten in Deckung. Sidney Blood hatte die Winchester an die Schulter gerissen und trieb die anstürmenden Indianer wieder zurück.
Grinsend blickte er auf Lassiter hinab.
»Ich dachte, Sie wären schon hinüber«, sagte er.
»Das wollte ich Ihnen nicht antun, Sidney«, gab Lassiter sarkastisch zurück. »Damit hätte ich Sie doch um den größten Triumph Ihrer Laufbahn gebracht.«
Ein festes Band hielt diese beiden Männer seit Jahren zusammen, als wären sie mit Handschellen aneinandergefesselt. Es war tiefer Hass aufeinander, tiefer Respekt voreinander. Blood war schon lange hinter Lassiter her. Er folgte ihm wie der Schatten eines Geiers, der es auf ihn abgesehen hatte. Er jagte Lassiter im Auftrage von Wells Fargo, und trotzdem waren es in erster Linie persönliche Gründe, die Blood dazu bewogen, immer wieder hinter diesem einen Mann her zu sein.
Von Lassiters Seite aus gesehen war es nicht viel anders. Seine Affäre mit Wells Fargo war der einzige emotionelle Luxus, den er sich leistete. Wells Fargo hatte ihn damals fertiggemacht, als er eine eigene Frachtlinie in Colorado aufbaute. Und Lassiters Partner hatte sich aus Verzweiflung das Leben genommen.
Der Spezialagent grinste noch immer auf seine spöttische Art.
»Ich kann mir denken, was Sie sich ausgerechnet haben, Lassiter«, sagte er. »Ich soll Ihnen die Handschellen abnehmen und Ihnen Ihren Revolver zurückgeben. Aber daraus wird nichts. Mit den Roten werde ich alleine fertig.«
»Ich bewundere Ihren Scharfsinn«, knurrte Lassiter ärgerlich. »Aber Sie müssen es wissen, Sidney. Wenn Sie unbedingt skalpiert werden möchten, dann nur zu!«
Blood spähte wieder über die Deckung. Seine Verachtung für die Indianer war seinen nächsten Worten deutlich anzumerken.
»Die sind spätestens bis zum Abend verschwunden, Lassiter. Sie werden bald einsehen, dass sie bei mir an den Falschen geraten sind.«
Lassiter setzte sich hin, streckte die Beine aus und lehnte sich mit dem Rücken gegen einen warmen Felsen. In dieser Situation hatte es keinen Zweck, mit Sidney Blood zu diskutieren. Der Agent hatte einen verdammten Dickschädel. Was er sich einmal vorgenommen hatte, das führte er auch aus. Er hatte Lassiter dicht vor der kanadischen Grenze mit dreißig Mann überlisten und gefangen nehmen können. Er wollte ihn nach Süden bringen, am liebsten nach San Francisco. Er wollte seinen Gefangenen den Bossen von Wells Fargo vor die Füße legen. Es sollte Sidney Bloods größte Stunde sein. Und deshalb kämpfte er hier wie der Teufel persönlich, und obwohl die Indianer schon alle sechs Männer seiner Begleitwache skalpiert hatten, dachte er nicht daran, Lassiter auch nur den Hauch einer Chance zu geben, ihm abermals zu entkommen.
Draußen vor den Felsen blieb es ruhig.
»Ich glaube, sie sind abgezogen«, sagte Blood.
»Sie sind dabei, uns einzukreisen«, antwortete Lassiter. »Warten Sie nur ab, bis die Dämmerung kommt. Seien Sie doch kein Dummkopf, Blood. Nur zu zweit kommen wir hier heil heraus.«
Blood schüttelte den kantigen Schädel.
»Mich kriegen Sie nicht herum, Lassiter. Hören Sie auf mit dem Geschwafel. Es ist zwecklos.«
»Zum Teufel, ich hätte Sie für intelligenter gehalten, Sidney.«
Dem Mann von Wells Fargo schoss eine Blutwelle ins Gesicht. Solchen Äußerungen gegenüber war er bei all seiner Härte sehr empfindlich.
Lassiter stieß sich mit den Händen vom Felsen ab, ließ sich auf die Seite fallen und blieb schließlich auf dem Rücken liegen. Gähnend streckte er sich aus und sagte: »Ich will es mir wenigstens noch für meine letzten Minuten oder Stunden gemütlich machen, Sidney.«
Seine überlegene Ruhe zerrte an Bloods Nerven. Lassiter sah dem Agenten deutlich an, wie er unschlüssig wurde. Wenn er sachlich darüber nachdachte, musste sich Blood sagen, dass Lassiter recht hatte mit seiner Prognose. Aber wie eine Barriere stand sein Hass auf Lassiter vor der Vernunft. Sein Hass und die Angst, etwas Kostbares wieder hergeben zu müssen.
Lassiter hatte die Augen bis auf einen kleinen Spalt geschlossen, und durch diesen Spalt beobachtete er aufmerksam den oberen Rand der Felsen, zwischen denen sie lagen.
»Achtung, Sidney!«, zischte er plötzlich. Er bewegte nicht die Lippen beim Sprechen. »Hinter Ihnen auf dem Felsturm...«
Der Agent wirbelte herum. Er war zu klug, um Lassiters Warnung für einen Bluff zu halten.
Er riss die Winchester hoch und feuerte im selben Moment wie der Indianer, der dort oben aufgetaucht war. Der Indianer stürzte mit einem Schrei hintenüber, aber auch Blood hatte etwas abbekommen. Er presste die Hand auf die linke Schulter. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. Sein Gesicht war verzerrt. Lassiter richtete sich auf.
»Verdammt noch mal!«, fluchte er. »Wollen Sie jetzt endlich vernünftig werden, Mann? Oder möchten Sie wirklich wie die anderen abgeschlachtet werden?«
Blood schüttelte den Kopf und holte den Schlüssel für die Handschellen aus der Tasche.
»Es war auch höchste Zeit!«, zischte Lassiter, als er die Hände wieder bewegen konnte. Er bückte sich und hob die Winchester auf, die der Agent einfach hatte fallen lassen.
Sidney Blood riss sein Hemd von der Schulter. Er hatte eine Fleischwunde, die stark blutete.
Lassiter hastete durch das Gewirr der Felsen davon und suchte sich einen besseren Ort für die Verteidigung. Er kannte sich in dieser Art des Kampfes besser aus als Sidney Blood. Der Agent war ein Meister im Führen von Leuten. Wenn er ein Aufgebot von zwanzig, dreißig oder noch mehr Männern zu befehligen hatte, verwandelte er sich in einen routinierten Feldherrn. Ganz allein auf sich gegen viele gestellt, verfügte er über nur wenig Erfahrung.
Lassiter sprang von Deckung zu Deckung. Immer wieder feuerte er von einer anderen Stelle aus. Um Sidney Blood kümmerte er sich überhaupt nicht. In einer solchen Lage war jeder sich selbst der nächste. Lassiter fühlte sich dem Agenten nicht einmal zu Dank verpflichtet. Es war sein Job, Feinde von Wells Fargo zu jagen. Lassiters Job war es, der Company Ärger zu bereiten.
Für Sentimentalität hatte er nichts übrig. Das Verhältnis zwischen ihm und Blood war das von zwei eiskalten, unerbittlichen Pokerspielern. Jeder Trick, jeder Bluff war erlaubt. Diesmal hatte Lassiter nicht geblufft. Er hatte nur seine letzte gute Karte ausgespielt: Sidney Bloods Wunsch, am Leben zu bleiben.
Zwei Schritt vor Lassiter wuchs einer der Indianer aus dem Boden. In dem langen schwarzen Haar steckte eine Adlerfeder. Er trug schenkellange Mokassins, lederne, fransenbesetzte Leggins, und eine Bärentatze hing am Lederriemen auf seiner nackten, eingefetteten Brust. Der Rote riss das alte Spencergewehr hoch. Lassiter war schneller und jagte ihm eine Kugel aus der Winchester durch die Brust.
Der Krieger schrie guttural einige Worte. Lassiter verstand sie nicht. Im Süden kannte er einige Indianerdialekte, die Sprache der nördlichen Stämme war ihm fremd. Er wusste lediglich, dass es sich um eine Horde von Schwarzfuß-Indianern handelte, die wieder einmal das Kriegsbeil ausgegraben hatten.
Lassiter lief weiter. Hinter ihm zwischen den Felsen feuerte Sidney Blood aus seinem Revolver. Dort, wo Lassiter den Mann mit der Adlerfeder niedergeschossen hatte, erhob sich lautes Geschrei. Überall verstummte das Schießen.
Lassiter rannte zu Sidney Blood zurück. Er kam an dem Ort des kurzen Schusswechsels zwischen ihm und dem Indianer vorbei. Er sah, wie die Krieger den Mann aufhoben und klagend mit ihm davonzogen. Jetzt erst wurde sich Lassiter der Tatsache bewusst, dass er den Häuptling dieser Bande schwer verwundet oder gar getötet hatte.
Sidney Blood war dabei, sich einen notdürftigen Verband um seine Schulter zu schlingen. Als Lassiter kam, hob er einen der beiden Revolver auf, die neben ihm lagen. Lassiter richtete die Mündung der Winchester auf den Agenten.
»Lassen Sie das fallen, Blood!«
»Es hat keinen Zweck, Lassiter! Ergeben Sie sich! Einmal bekomme ich Sie doch! Ein Mann wie Sie kann nicht ewig so viel Glück haben...«
Lassiter lächelte kalt.
»Werfen Sie den Colt weg, Blood! Ich hole mir jetzt die Waffe, und dann trennen sich unsere Wege.«
Er hob das Gewehr noch etwas an.
»Sie wollen mich hier allein nur mit einem Revolver in der Wildnis zurücklassen?«, rief Sidney Blood.
»Das hätten Sie sich früher überlegen müssen«, gab Lassiter zurück. »Warum sind Sie mir gefolgt? Es ist Ihre eigene Schuld.«
Sidney Blood ließ den Revolver fallen. Er sah ein, dass er gegen Lassiters Winchester nicht ankommen konnte.
»Es sind höchstens noch dreißig Meilen bis zur nächsten Stadt«, sagte Lassiter, während er den Revolver in sein leeres Holster steckte. »Das dürfte ohne weiteres zu schaffen sein, Sidney.«
»Eines Tages erwische ich Sie doch noch, Lassiter. Einmal machen auch Sie Ihren Fehler.«
Mit großen Schritten ging Lassiter davon und verschwand zwischen den Felsen.
Bei seinem toten Pferd machte er kurz halt und trennte mit dem Messer das Futter des Sattels auf. Zweitausend Dollar waren darin versteckt. Für die erste Zeit würde das genügen. Danach musste er sich nach neuen Verdienstmöglichkeiten umsehen. Er war ein Mann, dessen abenteuerliches Leben viel Geld verschlang.
Der große, einsame Mann ging nordwärts. Es war die Richtung, aus der er mit Sidney Blood gekommen war. Es war besser für ihn, wenn er die nächsten Wochen in Kanada untertauchte, was ja auch vorher seine Absicht gewesen war. In der letzten Zeit hatte es wieder einmal zu viel Wirbel um seinen Namen gegeben.
II
Box Elder war ein Prärienest von der Sorte, die Lassiter schon zu Dutzenden kennengelernt hatte. Eine breite Fahrbahn zwischen zwei Reihen mehr oder weniger brüchiger Häuser, zwei Saloons, ein General Store, ein Hotel und protzige Fassaden, die mehr versprachen, als in Wirklichkeit hinter ihnen steckte.
SILVERMOON stand auf einer der Fassaden in verschnörkelten Buchstaben, und unter diesem Namen war das Versprechen zu lesen, dass es in diesem Saloon den besten Whisky, das kühlste Bier, die größten Steaks und die schönsten Mädchen von Montana gäbe.
Es war Abend, als Lassiter über die Mainstreet dieser kleinen Stadt marschierte. Trotz des stundenlangen Fußmarschs verspürte er noch keine Ermüdungserscheinungen. Er war schon längere Strecken unter bedeutend schwierigeren Bedingungen gegangen.
Er wollte die Schwingtür aufstoßen, aber im Inneren des Saloons kam ihm jemand zuvor. Mit einem Krachen flogen die beiden Flügel nach außen und knallten gegen die Hauswand. Gleichzeitig flog ein Mann dicht an Lassiter vorbei, überschlug sich auf den Dielen des Vorbaus und landete schließlich auf der Straße.
Ebenso blitzschnell, wie er gekommen war, stand der Mann wieder auf den Beinen. Er trug die raue Tracht eines Weidereiters, und in einem Holster auf der rechten Hüfte steckte ein Revolver. Der Kolben der Waffe war vom vielen Gebrauch abgegriffen, und die Art, wie der Cowboy sich nun wieder auf den Saloon zu bewegte, war typisch für einen Mann vom schnellen Eisen.
Lassiter blieb in der Dunkelheit rechts von der Schwingtür stehen. Die oberen Hälften der Türflügel waren zurückgeklappt und an der Hauswand befestigt worden, wie das im Sommer auch hier im Norden üblich war, um genügend frische Luft in das verräucherte Innere eines solchen Etablissements zu lassen.
Der Cowboy sprang wieder in den Saloon. Geduckt blieb er stehen. Die Rechte hing gespreizt wenige Zoll über dem Kolben.
Die Gäste an der Theke waren zur Seite gesprungen. Der Keeper und die drei geschminkten Barmädchen waren in der Versenkung verschwunden. Nur ein Mann stand jetzt noch am Tresen. Er wandte dem jungen Cowboy verächtlich den Rücken zu.
»Dreh dich um, Saunders!«, schrie der Cowboy, und seine Stimme überschlug sich dabei. »Jetzt geht es um alles!«
Der Mann namens Saunders drehte sich langsam. Mit dem Rücken lehnte er sich lässig gegen den Tresen. In der linken Hand hielt er ein leeres Glas, in der rechten eine Whiskyflasche. Der Mann war etwas über zwei Meter groß, breitschultrig und ungewöhnlich muskulös. Seine langsamen Bewegungen erinnerten an einen Bären. Aber auch Bären konnten unerhört schnell sein, wenn man sie reizte. Lassiter wusste das aus Erfahrung.
Er war gespannt, ob dieser Saunders den bevorstehenden Kampf gewinnen würde.
Saunders ließ sich Zeit. Bedächtig füllte er sein Glas.
»Was kläffst du so, Kleiner?«, fragte er mit tiefer Stimme. »Hast wohl noch immer nicht genug, was?«
Im Saloon war es still.
»Stell die Flasche und das Glas weg!«, schrie der Cowboy. Er war sehr erregt. »Jetzt will ich wissen, wie schnell du mit deinem Revolver bist, Saunders.«
»Du willst dich also unbedingt mit mir schießen? Ich warne dich, Kleiner. Geh lieber heim zu deiner Mammy und wein dich da aus!«
Dem Jungen stieg eine Blutwelle ins Gesicht. Einige der Umstehenden lachten. Der Junge verlor die Beherrschung. Er zog seinen Colt mit dem abgewetzten Kolben. Und er war sehr schnell.
Aber auch der bärenhafte Mann an der Theke bewegte sich, nicht besonders auffällig, dafür jedoch umso wirkungsvoller.
Man konnte es kaum mit dem Auge verfolgen. Aus dem Handgelenk warf er die Flasche auf den jungen Cowboy. Das Wurfgeschoss hatte noch erst den halben Weg zurückgelegt, als Saunders auch schon den Revolver aus dem Holster gerissen hatte.
Die beiden Schüsse vermischten sich zu einem einzigen Donnerschlag. Saunders Kugel traf den Jungen voll. Er wurde vom Einschlag durcheinander gerüttelt. Er taumelte zuerst zurück, versuchte verzweifelt, sich auf den Füßen zu halten, kämpfte sich wie ein Betrunkener zwei, drei Schritte vorwärts, versuchte verzweifelt den Revolver anzuheben, feuerte die Trommel des Revolvers leer und brach danach in die Knie.
Saunders hatte seinen Sechsschüsser bereits wieder im Holster verschwinden lassen. Ruhig leerte er sein Glas, das er in der Hand gehalten hatte, während er schoss.
Der Cowboy presste beide Hände auf den Magen und schrie furchtbar. Er wälzte sich noch ein paar Sekunden auf dem sägemehlbestreuten Fußboden, dann streckte er sich und lag still.
»Eine Runde für alle!«, rief der große, breitschultrige Saunders. »Oder ist hier noch jemand, der Ärger mit Johnny Crows Leuten haben möchte?«
Johnny Crow – den Namen hatte Lassiter schon einige Male gehört, seit er sich in Montana aufhielt. Es war ein berüchtigter Name. Meistens nannte man den Mann jedoch anders. Nämlich Bastard-Johnny, denn er war ein Halbblut.
Wenn nur die Hälfte von dem stimmte, was man sich über Bastard-Johnny erzählte, stellte er berühmte Banditen wie Jesse James, Sam Bass oder die Reno-Brüder in den Schatten.
Der bärenhafte Saunders dort an der Theke war also einer von seinen Männern.
Lassiter betrat den Saloon. Der tote Cowboy lag unmittelbar vor der Tür auf dem Gesicht. Eine Blutlache hatte sich unter seinem Körper ausgebreitet. Lassiter musste über ihn hinwegsteigen.
Die Menschen im Saloon betrachteten ihn neugierig und mit Misstrauen. Er hielt die Winchester in der Linken. Der Lauf zeigte nach unten. Er stellte sich an einen freien Platz am Tresen und bestellte Whisky. Ein schlankes, blondhaariges Mädchen bediente ihn. Sie war von einer natürlichen, herben Schönheit und schien nicht recht in diesen Saloon zu passen. Sie hatte keine Schminke im Gesicht aufgetragen, und ihr langes blondes Haar fiel locker auf die Schultern herab. Sie lächelte Lassiter freundlich zu, aber es war nicht mehr als ein geschäftsmäßiges Lächeln. Für den Mann Lassiter schien sie kein Interesse zu haben, nur für den Kunden Lassiter. Vielleicht hatte sie überhaupt mit Männern nicht viel im Sinn.
Lassiter spürte das deutlich, und das alte Verlangen stieg in ihm auf. Solche Mädchen reizten ihn am meisten. Lassiter war ein Mann, der den Kampf liebte.
»Trinken Sie ein Glas auf meine Rechnung, Miss«, sagte er.
Die Männer am Tresen, die ihn noch immer schweigend beobachteten, hatten seine Worte gehört. Das Mädchen nahm eine Flasche mit grünem Likör aus dem Regal und füllte sich ein Glas.
Der Whisky tat Lassiter gut und füllte seinen Körper mit Wärme. Er schob dem Mädchen ein Goldstück hin und sagte: »Der Rest ist für Sie! Jetzt möchte ich erst was essen, Miss. Sicher werden Sie mir dabei Gesellschaft leisten.«
Sie nickte unmerklich. Er hatte die Worte in einem Ton ausgesprochen, der keinen Widerspruch duldete.
Er drehte sich um und steuerte auf einen freien Tisch zu. Er spürte die Spannung, die sich ausgebreitet hatte. Noch immer lag der Erschossene in der Nähe der Tür.
Ein älterer Mann kam herein. Er trug einen schwarzen, flachkronigen Hut. Unter der breiten Krempe kontrastierte weißes Haar, das über die Ohren reichte. Der Mann war mindestens fünfundfünfzig Jahre alt, und er machte den äußeren Eindruck eines Predigers. Lassiter hätte darauf geschworen, einen Reverend vor sich zu haben, wenn nicht der Stern am Gehrock des Mannes gewesen wäre. Das Abzeichen zeichnete sich deutlich von dem schwarzen Tuch ab. Eine Waffe war nicht zu sehen, aber das besagte überhaupt nichts. Vielleicht hatte er einen Revolver unter dem langschößigen Rock versteckt.
Missbilligend und kopfschüttelnd blieb er vor dem Toten stehen und blickte lange auf ihn hinab.
»Wer hat ihn erschossen?«, fragte er leise.
Der Bär Saunders trat vor.
»Ich war es, Marshal. Es war Notwehr.«
»Warum wollte er sich mit Ihnen schießen, Mr. Saunders?« Der seltsame Marshal behandelte den vierschrötigen Mann sehr höflich und respektvoll.
»Er nannte mich einen Mörder und Banditen«, sagte Saunders. »Der Junge behauptete steif und fest, ich wäre einer von Johnny Crows Banditen, und ich hätte seinen Bruder Harry erschossen. Die Beleidigung konnte ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen, Marshal, nicht wahr?« Saunders lächelte spöttisch und schien die Zustimmung des Gesetzeshüters zu erwarten.
Der Marshal nickte.
»Und was geschah dann, Mr. Saunders?«
Saunders zuckte die Achseln.
»Ich habe ihm eine Maulschelle verpasst und ihn dann aus dem Saloon geworfen. Nach ein paar Sekunden war er schon wieder drin. Diesmal wollte er es genau wissen. Er zog den Revolver, Marshal...«
»Gibt es Zeugen?«
»Glauben Sie mir etwa nicht?«, brauste Saunders auf.
»Alles muss seine Richtigkeit haben. Ich muss ein Protokoll aufsetzen. Das Protokoll muss von mindestens zwei Zeugen unterschrieben werden. Ich tue nur meine Pflicht, Mr. Saunders.«
Der Marshal schien Angst vor diesem Mann zu haben. Lassiter beobachtete die Szene innerlich belustigt. Sämtliche Männer an der Theke meldeten sich als Zeugen. Der Sternträger, der aussah wie ein Reverend, war zufrieden. Er deutete auf zwei Männer.
»Mac und William, ihr beide könnt morgen ins Office kommen, um zu unterschreiben. Ich werde jetzt zu Earl Deckers Mutter reiten und ihr die traurige Nachricht überbringen. Jetzt hat sie nur noch einen Sohn. Hoffentlich ist der wenigstens vernünftig. Sonst...«
Die letzten Worte waren nur noch ein unverständliches Gemurmel. Der Marshal drehte steifbeinig ab und verließ den Saloon. Bald darauf rumpelte draußen ein Gefährt heran. Der Totengräber kam herein. Drei Männer halfen ihm, den toten Cowboy nach draußen zu tragen.
Jetzt kam wieder Stimmung in dem großen, langgestreckten Raum auf. Auf der kleinen Bühne im Hintergrund schwang sich ein magerer Klavierspieler auf seinen Hocker und begann die Tasten zu bearbeiten. Er gab sich die größte Mühe, laut genug zu spielen, um die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das gelang ihm jedoch erst, als eine Gruppe von sechs leichtbekleideten Mädchen über die Bretter der Bühne hopste und die mehr oder weniger wohlgeformten Beine schwang.
Zumindest starrten jetzt alle Männer wie gebannt in seine Richtung. Jedoch war anzunehmen, dass sie noch immer nicht ihre Ohren, sondern nur die Augen arbeiten ließen.
Das blonde Mädchen setzte sich zu Lassiter an den Tisch, nachdem sie ihm ein großes Steak serviert hatte.
Sie deutete mit einer Kopfbewegung zur Bühne hin.
»Interessiert Sie das nicht?«
»Im Augenblick habe ich Hunger.«
Sie sah ihn forschend an.
»Oder sind Sie bessere Sachen gewöhnt?«
»Das auch.«
Er verzehrte sein Steak schnell und gründlich.
»Was möchtest du trinken?«, fragte er anschließend.
»Ich weiß nicht, was Sie bezahlen können.«
Er lachte. »Sei nicht so förmlich, Mädchen. Ich möchte dich heute Abend noch näher kennenlernen.«
Sie wurde rot. Abrupt stand sie auf.
»Am besten, Sie suchen sich dafür eine andere, Mister«, sagte sie abweisend. »Hier im Saloon gibt es genug weibliche Personen, die für dreißig Dollar gerne...«
»Ich will aber keine dreißig Dollar bezahlen«, sagte er. »Ich möchte überhaupt nichts dafür bezahlen, wenn mir die Frau gefällt, mit der ich schlafe. Es gibt genug andere Möglichkeiten, sich zu revanchieren. Und jetzt hol uns was zu trinken. Egal, was es ist. Mir bringst du eine Flasche Whisky mit. Bourbon.«
Das Mädchen verschwand. Man sah ihr deutlich an, dass sie nervös und über irgendetwas beunruhigt war. Sie sprach mit dem Wirt. Der dicke Mann schüttelte den Kopf. Er stellte eine Flasche Bourbon, eine Flasche Sekt und die entsprechenden Gläser auf ein silbernes Tablett.
Lassiter grinste zufrieden, als sie zurückkam.
»Auf gute Freundschaft«, sagte er und hob sein Glas. »Du kannst mich Lassiter nennen.«
Der Name schien ihr nichts zu sagen.
»Ich bin Barbara O'Toole«, murmelte sie. Das Lächeln, das sie dabei aufsetzte, wirkte verkrampft.