1,99 €
Lassiter zügelte das große schwarze Pferd auf der Höhe. Das kühle, duftende Halbdunkel des Tannenwaldes gab ihm genügend Deckung, sodass man ihn von unten auf keinen Fall sehen konnte. Die blaugrüne Oberfläche des kleinen Bergsees glitzerte zwischen den Stämmen. Aus der Blockhütte am Ufer stieg ein dünner Rauchfaden.
Es war ein Bild des Friedens. Aber Lassiter ließ sich nicht täuschen. Seit er die Spuren entdeckt hatte, war er vorsichtig geworden.
Ein Mann in seiner Situation konnte nicht vorsichtig genug sein. Er wurde gejagt. Seit drei Wochen waren sie schon hinter ihm her: Sidney Blood, der Spezialagent von Wells Fargo, mit einem halben Dutzend hartgesottener Burschen. Ein Rudel von Kopfgeldjägern, die sich die hohe Prämie verdienen wollten, die Wells Fargo ausgesetzt hatte. Und Banditen, die erfahren hatten, dass Lassiter mehr als zwanzigtausend Dollar mit sich herumschleppen sollte.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
LASSITER UND DIE SCHÖNE MÖRDERIN
Vorschau
Impressum
LASSITER UNDDIE SCHÖNE MÖRDERIN
von Jack Slade
Lassiter zügelte das große schwarze Pferd auf der Höhe. Das kühle, duftende Halbdunkel des Tannenwaldes gab ihm genügend Deckung, sodass man ihn von unten auf keinen Fall sehen konnte. Die blaugrüne Oberfläche des kleinen Bergsees glitzerte zwischen den Stämmen. Aus der Blockhütte am Ufer stieg ein dünner Rauchfaden.
Es war ein Bild des Friedens. Aber Lassiter ließ sich nicht täuschen. Seit er die Spuren entdeckt hatte, war er vorsichtig geworden.
Ein Mann in seiner Situation konnte nicht vorsichtig genug sein. Er wurde gejagt. Seit drei Wochen waren sie schon hinter ihm her: Sidney Blood, der Spezialagent von Wells Fargo, mit einem halben Dutzend hartgesottener Burschen. Ein Rudel von Kopfgeldjägern, die sich die hohe Prämie verdienen wollten, die Wells Fargo ausgesetzt hatte. Und Banditen, die erfahren hatten, dass Lassiter mehr als zwanzigtausend Dollar mit sich herumschleppen sollte.
Beim Gedanken an das Geld grinste Lassiter vor sich hin. Er hatte die Dollars längst an einem sicheren Ort deponiert. Selbst wenn es ihnen gelang, ihn zu töten, würden sie das Geld niemals finden.
Am Mittag hatte er die Salzwüste durchquert. Eine Mischung aus Salz und weißem Alkalistaub bedeckte seine Haut, seine dunkle Kleidung und das schwarze Fell des Pferdes. Siebzig Meilen war er durch die Gluthölle geritten. Er hatte die Strapazen auf sich genommen, um die Verfolger endgültig abzuschütteln.
Und dann, am Rande der Wüste, war er plötzlich auf die Fährte gestoßen. Spuren von zwei Pferden. Und sie führten in dieselbe Richtung, wo auch sein Ziel lag.
Geduldig wartete er.
Im Stangencorral neben dem Blockhaus standen drei Pferde. Sie hielten sich dicht beieinander im Schatten einer Baumgruppe auf, und ihre großen Körper verschmolzen darin zu einem dunklen Fleck.
Die Tür der Hütte schwang auf, und ein Mann trat ins Freie. Trotz der großen Entfernung erkannte ihn Lassiter sofort. So bewegte sich nur Amos Mackenzie, der alte Trapper. Er war mindestens schon siebzig, aber er wirkte wie ein Fünfzigjähriger. Er war zwei Meter groß, hager und sehnig wie ein Steppenwolf, und sein bärtiges Gesicht war von Wind und Wetter gegerbt.
Amos lebte seit einer Ewigkeit hier, und das Land rings um den See war auf seinen Namen eingetragen. Seinen Lebensunterhalt bestritt er von der Pelztierjagd und vom Wildpferdfang.
Lassiter hatte ihn vor drei Jahren kennengelernt. In den Bergen nördlich von Socorro hatten drei Banditen den alten Trapper überfallen und durchsuchten gerade sein Gepäck nach Reichtümern, als Lassiter hinzukam. Nachdem alles vorbei war, tat den Banditen kein Zahn mehr weh. Und Lassiter hatte einen neuen Freund gewonnen.
Langsam ritt er talwärts. Der dicke Nadelteppich zwischen den Bäumen schluckte den Hufschlag. Nach fünf Minuten schimmerte das Grün der Talweide durch die Stämme.
Lassiter sah den alten Trapper am Seeufer stehen. Er hatte gerade seine Angel ausgeworfen und wartete darauf, dass ein Fisch anbiss.
Plötzlich zuckte Amos zusammen. Er warf die Arme hoch, und gleichzeitig drang das Peitschen eines Schusses an Lassiters Ohr.
Amos fiel. Er rollte ein Stück das sandige Ufer hinab und blieb reglos im seichten Wasser liegen.
Lassiter riss die Winchester aus dem Scabbard. Gespannt spähte er ins Tal hinein. Gut hundert Schritt weiter oberhalb brachen zwei Reiter aus dem Wald. Sie preschten auf die Hütte zu, warfen sich aus den Sätteln und verschwanden im Innern der bescheidenen Behausung.
Ein Schrei gellte durch das Tal. Es war die Stimme einer Frau. Lassiter warf noch einen raschen Blick zu Amos Mackenzie hin und ritt auf die Lichtung hinaus.
In der Hütte gellte zum zweiten Mal ein Schrei. Dann zerrten die beiden Kerle das Mädchen ins Freie. Sie wehrte sich nach Kräften, aber gegen die Brutalität der beiden kam sie nicht an. Allerdings beschäftigte sie die Schufte so sehr, dass sie nicht mehr groß auf ihre Umgebung achten konnten.
Lassiter ritt auf die Gruppe zu. Das Gewehr lag vor ihm quer auf den Schenkeln. In seiner lässigen Haltung machte er keineswegs den Eindruck eines Mannes, der kämpfen wollte.
»Hallo«, sagte er sanft. »Störe ich vielleicht?«
Die Sonne stand tief in seinem Rücken. Die beiden wirbelten zu ihm herum. Sie sahen Pferd und Reiter als einen großen, drohenden Schatten über sich. Sie hielten das Mädchen noch immer gepackt. Es zitterte am ganzen Körper. Die weiße Bluse bestand nur noch aus Fetzen.
»Lasst sie los!«, sagte Lassiter.
Die zwei starrten ihn an. Damit hatten sie nicht gerechnet. Er war zu plötzlich, zu unerwartet aufgetaucht. Noch lähmte sie die Überraschung.
Vom Seeufer her hörte Lassiter das Stöhnen des Trappers.
»Mach sie fertig, Lassiter!«, ächzte Amos. »Leg sie um, Amigo!«
Die Fäuste der beiden Kerle lösten sich von dem Mädchen. Es wich zurück bis an die Hüttenwand.
»Gehen Sie rein, Miss!«, sagte Lassiter. »Was jetzt kommt, ist nichts für die Augen einer Frau.«
Seine Worte waren für die beiden wie ein Signal. Ein Ruck ging durch ihre hageren Gestalten, und ihre Hände klatschten auf die Kolben der tiefgeschnallten Revolver.
Lassiter riss den Lauf des Gewehrs herum und feuerte. Die Kugel traf den Burschen, der ihm am nächsten stand, voll in die Brust. Ohne die Wirkung seines Schusses abzuwarten, warf sich Lassiter seitwärts aus dem Sattel.
Der zweite Bandit schoss im selben Augenblick. Seine Kugel flog über das Pferd hinweg. Es wieherte schrill und raste davon.
Lassiter rollte sich über die Erde. Er sah, wie der Bandit seinen Arm herumriss und ihn erneut aufs Korn nahm.
Das Geschoss aus Lassiters Winchester traf ihn schräg von unten. Es drang unter seinem Kinn ein, durchschlug den Rachen und blieb irgendwo in seinem Schädel stecken.
Der große Mann in der dunklen staubbedeckten Kleidung erhob sich ruhig. Er sah das Mädchen an, das mit schreckensbleichem Gesicht an der Hüttenwand lehnte.
»Sie brauchen keine Angst mehr zu haben, Miss«, sagte er. »Die machen Ihnen keinen Kummer mehr.«
Sie schluckte und nickte verkrampft. Dann sah sie an ihm vorbei zum See hin.
»Amos...«, rief sie aufgeregt, »wir müssen uns um ihn kümmern...!«
Gemeinsam liefen sie zum Ufer. Der alte Trapper hatte sich ein Stück aus dem seichten Wasser herausgearbeitet. Nur seine Beine wurden noch von den Wellen umspült.
Lassiter zog ihn ganz aufs Trockene. Amos war bei Bewusstsein. Die Kugel steckte in seiner Schulter. Wenn sie nicht so schnell wie möglich entfernt wurde, war er verloren.
»Lassiter!«, ächzte der alte Mann. »Du scheinst immer genau im richtigen Augenblick zu kommen.«
»Sprich nicht so viel«, sagte Lassiter. »Das schadet nur.«
Amos schüttelte den Kopf. Er hustete. Blutiger Schaum kam aus seinem Mund.
»Du kannst mir nicht mehr helfen, Lassiter«, sagte er mühsam. »Ich spüre, dass es – dass es zu – Ende geht...«
Seine Stimme wurde immer leiser. Schließlich formte sein Mund nur noch Worte, die nicht zu hören waren. Ein neuer Hustenanfall schüttelte seinen hageren Körper. Wieder trat blutiger Schaum über seine Lippen. Aber seine Augen waren noch sehr klar.
Lassiter schluckte trocken. Er hatte schon viele Männer sterben sehen. Aber das hier war etwas anderes.
»Kann ich noch irgendetwas für dich tun, Amigo?«, fragte er.
Amos nickte schwach.
»Whisky«, flüsterte er. »Holt Whisky. Dann hab' ich's leichter.«
Das Mädchen rannte zur Hütte zurück und kam gleich darauf mit einer halbvollen Whiskyflasche.
Amos trank mühsam. Ein großer Teil der Flüssigkeit rann in seinen struppigen Bart.
Dann begann er wieder zu sprechen. Es war schwer, alles zu verstehen, was er sagte.
»Tu mir einen Gefallen, Lassiter. Einen einzigen Gefallen. Die Frau... Bring sie nach Mexiko... Hilf ihr... Du bist der einzige Mann, der es schaffen kann... Versprichst du es mir, Lassiter? Diesmal kannst du keinen Dollar daran verdienen, Amigo... keinen Cent...«
Lassiter sah ihm in die eisgrauen Augen. Ringsum war es still. Die junge Frau schluchzte unterdrückt.
»Nun, Lassiter?«, flüsterte der Sterbende.
Lassiter kämpfte mit sich selbst um eine Entscheidung. Es fiel ihm schwer, dem alten Mann ein Versprechen zu geben. Er hatte selbst genug Ärger. Und diese Frau würde ihn nur belasten.
Sie berührte seine Schulter mit den Fingerspitzen.
»Hören Sie zu, Lassiter!«, sagte sie hastig. »Ich habe zehntausend Dollar. Das Geld gehört Ihnen, wenn Sie mich über die Grenze bringen.«
»Wer sind Sie überhaupt?«, fragte Lassiter rau. »Warum müssen Sie von hier verschwinden?«
»Ich werde wegen Mordes gesucht«, sagte sie. »Mein Name ist Pilar Quintero.«
Den Namen hatte Lassiter noch nie gehört. Er sagte ihm überhaupt nichts. Aber die Frau stellte eine Verlockung dar.
Eine verdammt schöne Mörderin, dachte er und richtete seinen Blick wieder auf Amos.
»Was ist nun, Lassiter?«, flüsterte der alte Mann. »Ich habe nicht mehr viel Zeit. Wirst du einem Freund seine letzte Bitte erfüllen?«
»Dir scheint viel an dem Mädchen gelegen zu sein«, sagte Lassiter. »Immerhin ist sie eine Mörderin.«
»Sie ist kein Mädchen mehr«, ächzte Amos. »Sie war verheiratet. Ein halbes Jahr lang. Lass dir von ihr alles erklären. Es war ihr Mann, den sie umgelegt hat. John Patterson, der Großrancher...«
Er musste wieder husten. Sein Körper bäumte sich auf.
»Lassiter!«, schrie er beschwörend. Es klang wie der letzte Schrei eines Ertrinkenden.
Lassiter nickte entschlossen.
»Es ist gut, Amos«, sagte er. »Ich werde die Sache in Ordnung bringen. Du kannst dich auf mich verlassen.«
Der Alte sank zurück. Sein Körper streckte sich. Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
»Ich habe es gewusst, Lassiter«, flüsterte er. »Du wirst es schaffen...« Es waren seine letzten Worte.
Das Lächeln lag noch um seine Lippen, als er schon längst mit gebrochenen Augen den Himmel anstarrte.
Lassiter drückte ihm die Augen zu.
»Vorbei«, murmelte er, und seine Stimme klang heiser. »Ich werde ihm ein Grab ausheben.«
Er stand auf und ging zur Hütte hinüber. Er fand einen Spaten und schaufelte unweit der Hütte auf einer kleinen Bodenerhebung das Grab für Amos Mackenzie. Während er arbeitete, kauerte Pilar Quintero neben dem Toten und weinte...
II
Es war dunkel, als Lassiter endlich mit seiner Arbeit fertig war. Auch den beiden toten Banditen hatte er ein Grab gegeben. Er hatte die Absicht, noch ein paar Tage in diesem Tal zu bleiben, deshalb unterzog er sich noch dieser Mühe.
Die Hütte war in zwei Räume unterteilt. In dem einen befanden sich ein großer Tisch, ein selbstgebastelter Schrank, ein paar Stühle und die Feuerstelle unter einem gemauerten Kamin. An den Wänden hingen Felle von Bären und Hirschen und ließen den Raum behaglich wirken.
Nebenan befanden sich die beiden Schlafstellen. Es waren zwei einfache Holzbetten. Mit Heu gefüllte Leinensäcke dienten als Matratzen.
Lassiter musste unwillkürlich an Amos denken, als er die Betten betrachtete. Früher hatte er immer das Bordell in Socorro aufgesucht. Dieser Ritt war ihm wohl in der letzten Zeit erspart geblieben.
»Sind Sie schon lange hier?«, fragte er.
Sie sah ihn offen an.
»Amos war ein guter Mann«, sagte sie. »Ich hatte ihm viel zu verdanken. Vor zwei Monaten fand ich seine Hütte. Wollen Sie noch mehr wissen, Señor?«
Lassiter schüttelte den Kopf.
»Machen Sie uns was zu essen«, sagte er. »Ich habe ein gewaltiges Loch in meinem Bauch.«
Während sie an der Feuerstelle stand und einen mächtigen Wapitibraten in der Pfanne schmoren ließ, beobachtete er sie. Ihre Bewegungen waren anmutig und geschmeidig. Sie trug eine engsitzende blaue Levishose, die ihre gutgeformten Hüften deutlich zur Geltung brachte. Im Widerschein des Feuers erkannte er, dass sie unter der frischen weißen Bluse nichts weiter anhatte.
Das war also die Frau des ermordeten Ranchers John Patterson. Vor ein paar Monaten hatte er bereits von dieser Affäre gehört. Er hatte auch schon an mehreren Orten ihren Steckbrief gesehen. Der Gouverneur zahlte zweitausend Dollar für ihren Kopf. Und Donald Patterson, der Bruder des toten Ranchers, hatte die Belohnung auf achttausend festgesetzt. Insgesamt waren das zehntausend. Eine Summe, die sich lohnte.
»Warum hast du ihn getötet?«, fragte Lassiter.
»Es war Notwehr.«
»Das sagen alle.«
»Ich weiß. Und ich kann nicht einmal das Gegenteil beweisen. Du hast John Patterson nicht gekannt, Lassiter. Niemand hat seinen wahren Charakter gekannt.«
Sie wandte sich wieder der Feuerstelle zu. Mit Zufriedenheit konstatierte er, dass sie vom Señor zur vertraulichen Anrede übergegangen war.
»Ich stamme aus einer armen Familie«, fuhr sie nach einer Weile fort. »Aus Juarez. Ich arbeitete als Kellnerin in einer Bar in El Paso. Dort lernten wir uns kennen. Wenig später machte er mir einen Heiratsantrag. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ich mich gefreut habe, Lassiter. Ich, die arme kleine Pilar Quintero, sollte die Frau eines reichen Mannes werden. Herrin auf einer großen Ranch. Weißt du, was das für mich bedeutete, Lassiter?«
Sie kam auf den Tisch zu. Sie griff nach seinem Whiskyglas und trank einen kleinen Schluck.
»Und dann?«, fragte er.
»Ich lebte wie in einem Gefängnis. Keinen Schritt durfte ich ohne Begleitung tun. Er ließ mich nicht einmal allein in die Stadt fahren. Er war krankhaft eifersüchtig. Wenn ich auch nur einen anderen Mann freundlich anblickte, bekam ich anschließend Prügel. Hier...«
Sie knöpfte die Bluse auf und zeigte ihm ihren Rücken. Überall waren die Narben von Peitschenhieben zu sehen.
»Das wird bald ganz verschwunden sein«, tröstete er sie. »Es tut deiner Schönheit keinen Abbruch.«
Sie drehte sich wieder um. Sekundenlang konnte er ihre Brüste bewundern. Ihre seidige Haut wies einen zarten Bronzeton auf, ein Zeichen dafür, dass Indioblut in ihren Adern floss. Kreolinnen legten Wert auf eine makellos weiße Haut. Sie betrachteten es als Zeichen der Vornehmheit. Selbst das Gesicht durfte keinem Sonnenstrahl ausgesetzt werden.
»Das Leben wurde unerträglich«, fuhr Pilar fort, während sie ihre Bluse zuknöpfte. »Eines Tages kam Chico Lopez auf die Ranch. Chico war mein Freund aus Juarez. Er bekam einen Posten als Pferdeknecht. Eines Abends schlich er auf mein Zimmer. John überraschte uns und erschoss Chico. Anschließend wollte er mich erwürgen. Ich bekam seinen Colt zu fassen und erschoss ihn. Noch in derselben Nacht bin ich geflohen. Dabei habe ich alles Geld mitgenommen, das ich finden konnte. Zehntausend Dollar, Lassiter. Sie gehören dir, wenn du mich nach Mexiko bringst.«
»Ich könnte sie dir so abnehmen. Hast du keine Angst davor?« Sie schüttelte den Kopf.
»Ich vertraue dir, Lassiter.«
Er grinste. In seinem Kopf formte sich ein Plan. Er dachte noch über diesen Plan nach, als er schon im Bett lag.
Pilar kam etwas später. Sie zog sich aus und legte sich neben ihn.
»Nicht jetzt«, murmelte er schläfrig. »Morgen vielleicht...«
Er schlief sofort ein. Als er wach wurde, schien die Sonne durch die beiden kleinen Fenster an der Ostseite. Aus der Küche wehte der Duft von Schinken und gebratenen Eiern zu ihm hin.
Der große Mann stand auf und ging nach nebenan. In Pilars Blick lag Bewunderung, als sie seinen muskulösen, narbenbedeckten Körper betrachtete. Bewunderung und Verlangen.
Sie frühstückten. Jetzt erst fiel ihm auf, wie schmutzig und verschwitzt er noch immer von dem langen Ritt war, der hinter ihm lag.
Nach dem Frühstück nahm er seine Waffen und ging zum See. Pilar begleitete ihn. Ihr schlanker brauner Körper schnellte vom Ufer ab und teilte das Wasser. Lassiter sprang hinter ihr her. Er holte sie ein und presste sie an sich. Trotz des kühlen Wassers spürte er ein starkes Pochen in seinen Lenden.
Eigentlich müsste das auch gehen, dachte er und versuchte es. Es war nicht einfach.
Nach ein paar Minuten wusste er, dass Pilar nicht nur eine ausgezeichnete Schwimmerin war.
Später lagen sie am Ufer und ließen sich von der heißen Sonne bescheinen. Lassiter hatte sich lange nicht mehr so wohl gefühlt...
Zwei Tage danach verließen sie das Tal. Pilar hatte ihn angefleht, noch zu bleiben, aber Lassiter war dagegen.
»Ich habe versprochen, dich nach Mexiko zu bringen«, sagte er. »Und das werde ich auch tun.«
Sie ritten nach Süden. Bis zur Grenze waren es noch gut zweihundert Meilen. Pilar kannte sich in diesem Teil von New Mexico nicht aus. Dafür wusste Lassiter umso besser Bescheid.
Am späten Nachmittag näherten sie sich der Stadt Socorro. Gut eine halbe Meile davor hielt Lassiter an.
»Warte hier auf mich«, sagte er. »Ich werde jetzt in die Stadt reiten und mich um Proviant kümmern.«
»Du willst mich hier allein zurücklassen?«
Sie befanden sich auf einem Hügel, der mit Bäumen und Büschen dicht bewachsen war. Man hatte nach allen Seiten einen guten Ausblick, ohne selbst gesehen zu werden.
»Warte hier!«, sagte er noch einmal. »In spätestens einer Stunde bin ich wieder hier.«
Mit dem Packmuli, das er aus Amos Mackenzies Corral mitgenommen hatte, ritt er davon.
Die Sonne stand tief, als er sich zwischen den ersten Häusern der langgestreckten Mainstreet von Socorro befand. Er hielt vor dem erstbesten Store an und legte dem Verkäufer eine lange Liste von Gegenständen hin, die er benötigte. Der Mann überflog die Bestellung und sah hin und wieder verwundert auf. Dann beeilte er sich, alles heranzuschaffen, was dieser große Fremde haben wollte.
Anschließend zog Lassiter weiter. Zuerst hielt er vor dem »Longhorn-Saloon« und stellte sich an den Tresen. Er hoffte, aus den Gesprächen der Männer irgendetwas zu erfahren, das für ihn wichtig sein könnte. Aber es waren nur wenige Gäste anwesend, die die meiste Zeit still vor sich hin schwiegen.
Er setzte sich wieder auf sein Pferd, nahm die Longe des Packmulis und ritt hinüber zum Sheriff's Office. Sein erster Blick fiel auf den Steckbrief, auf dem der Name Pilar Patterson leuchtete. Darunter stand die Belohnung.
Lassiter betrat das Office. Der Sheriff war ein breitschultriger, kahlköpfiger Mann von etwa fünfzig Jahren. Er war gekleidet wie ein Weidereiter: grobkariertes Baumwollhemd, abgewetzte Dungareehosen und hochhackige Stiefel. Nur die ledernen Chaps fehlten.
Der Sheriff stopfte gerade seine Pfeife. Er dachte nicht daran, diese Tätigkeit wegen Lassiters Eintreten zu unterbrechen.
»Ich habe diese Frau«, sagte Lassiter.
»So?«
»Ja, Pilar Patterson.«
Der Sheriff hielt das Streichholz an den Tabak. Mit der ersten Rauchwolke breitete sich eine undefinierbare Geruchsmischung im Office aus. Nun war es Lassiter klar, warum es in diesem Raum weder Fliegen noch andere Insekten gab.
»Interessant«, sagte der Sheriff. »Wo haben Sie sie denn aufgegabelt?«
»Das tut nichts zur Sache. Wann kann ich mit meiner Belohnung rechnen?«
»Die zweitausend, die der Gouverneur ausgesetzt hat, sofort. Den Rest gibt Ihnen Donald Patterson.«
»Ich liefere die Frau erst aus, wenn das Geld vollständig bereitliegt.« Der Sheriff lächelte.
»Sie haben Glück, Mister. Patterson hält sich in der Stadt auf. Sie können ja mit ihm sprechen. Sie finden ihn im Hotel.« Er sah Lassiter nachdenklich an. »Und Ihr Name, Mister? Schließlich muss ich nachher eintragen, an wen ich die Belohnung ausgezahlt habe.«
»Doolittle«, erwiderte Lassiter. »Tobias Doolittle, Denver.«
»Okay, Mr. Doolittle. Dann wünsche ich Ihnen viel Glück bei Ihrer Besprechung mit Patterson. Das Hotel liegt ein Stück weiter die Straße runter. Auf der linken Seite.«
Lassiter bedankte sich und ritt zum Hotel. Es war ein protziger, zweigeschossiger Holzbau mit grüner Fassade. Patterson befand sich im Speisesaal und nahm sein Abendessen zu sich. Er war ein großer Mann, breitschultrig und muskulös. Er trug ein weißes, sorgfältig plissiertes Hemd mit schwarzer Schleife. Eine Waffe war nicht an ihm zu sehen. Er war um die Vierzig, und sein volles, dunkles Haar war von silbernen Bahnen durchzogen. Sein Mund wirkte etwas verkniffen. Die Augen strahlten Härte aus.
Er war allein.
Lassiter nahm unaufgefordert Platz. Der Rancher sah ihn unwillig an.
»Ich kann mich nicht erinnern, jemand eingeladen zu haben«, schnarrte er. »Verschwinden Sie also, bevor ich Sie rausschmeißen lasse.«
Lassiter griff nach der Bourbon-Flasche, die auf dem Tisch stand, und trank ungeniert einen langen Zug daraus. Dem Rancher schwollen die Schläfenadern an. Er stand kurz vor der Explosion. Als er anfangen wollte zu schreien, sagte Lassiter schnell: »Ich habe Pilar.«
Pattersons Miene veränderte sich schlagartig. Die hektische Röte verschwand aus seinem Gesicht. Er beugte sich vor und blickte Lassiter lauernd an.
»Wo ist sie?«
»Haben Sie die Belohnung?«, gab Lassiter trocken zurück.
»Das Geld liegt in der Bank. Ich kann es jederzeit besorgen.«
»Dann schicken Sie jemanden, der es abholt. In ein paar Stunden werde ich mit Pilar in der Stadt sein. Wir treffen uns beim Sheriff. Einverstanden?«
Patterson war ein misstrauischer Bursche.
»Wer sagt mir, dass Sie mir die Wahrheit erzählt haben, Mister? Wer sind Sie überhaupt?«
Lassiter nannte seinen falschen Namen. Dann sagte er: »Ich verstehe Ihr Misstrauen nicht, Patterson. Wenn es nicht die richtige Frau ist, brauchen Sie mir die Belohnung nicht zu geben. So einfach ist das.«
Er nahm noch einen Schluck aus der Flasche und stand auf.
»Noch etwas«, sagte er, »sollten Sie versuchen, mich übers Ohr zu hauen, sind Sie ein toter Mann, Patterson.«
Der Rancher grinste. »Ich bin ein Ehrenmann, Doolittle. Wann werden Sie im Office sein?«
»Sagen wir um Mitternacht.«
Es waren noch vier Stunden bis dahin. Lassiter hätte in einer halben Stunde mit der Frau zurück sein können, aber er war vorsichtig. Patterson sollte ruhig glauben, dass sich die Frau zwei Reitstunden von Socorro entfernt befand.
Ruhig ging er nach draußen, schwang sich auf seinen Rappen und ritt mit dem Packmuli im Schlepp aus der Stadt.
Er sah Pilar deutlich an, dass sie sich Sorgen um ihn gemacht hatte.