Lassiter Sonder-Edition 23 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sonder-Edition 23 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Lassiter näherte sich dem kleinen Gefängnis von der Rückseite. Der niedrige Bau lag nicht weit vom Strand entfernt, und Lassiter hörte deutlich das monotone Rauschen der Meereswogen, die in unaufhörlichem Rhythmus gegen das Ufer drängten. Aber der große Mann hörte noch etwas anderes. Etwas, das nicht da war. Etwas Vergangenes. Es waren Worte.
"... bis du tot, tot, tot bist!"
Die letzten Worte des Urteilsspruches, den Richter Emanuel Deming am Morgen dieses Tages verkündet hatte.
Lassiter war selbst im Gerichtssaal von Crescent City, der kleinen Stadt am Pazifik, gewesen. Er hatte von Anfang bis Ende Zeuge der Verhandlung gegen Bellinda Shane beigewohnt. Und er wusste, dass er dieses Gesicht niemals vergessen würde.
Eine schöne Frau. Blondes Haar, das bis auf die Schultern fiel. Ein sanftes Gesicht mit braunen Augen.
Sie hatte zugegeben, Cham Carrigan erschossen zu haben.


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Seitenzahl: 175

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

TODESSONG FÜR LASSITER

Vorschau

Impressum

TODESSONG FÜR LASSITER

von Jack Slade

Lassiter näherte sich dem kleinen Gefängnis von der Rückseite. Der niedrige Bau lag nicht weit vom Strand entfernt, und Lassiter hörte deutlich das monotone Rauschen der Meereswogen, die in unaufhörlichem Rhythmus gegen das Ufer drängten. Aber der große Mann hörte noch etwas anderes. Etwas, das nicht da war. Etwas Vergangenes. Es waren Worte.

»... bis du tot, tot, tot bist!«

Die letzten Worte des Urteilsspruches, den Richter Emanuel Deming am Morgen dieses Tages verkündet hatte.

Lassiter war selbst im Gerichtssaal von Crescent City, der kleinen Stadt am Pazifik, gewesen. Er hatte von Anfang bis Ende Zeuge der Verhandlung gegen Bellinda Shane beigewohnt. Und er wusste, dass er dieses Gesicht niemals vergessen würde.

Eine schöne Frau. Blondes Haar, das bis auf die Schultern fiel. Ein sanftes Gesicht mit braunen Augen.

Sie hatte zugegeben, Cham Carrigan erschossen zu haben.

Aber niemand aus der Jury wollte ihr glauben, dass es Notwehr gewesen war. Die Geschworenen waren der einhelligen Meinung, dass der Schuss auf den reichen Mann aus niederen Motiven abgegeben wurde. Aus Habgier.

Bellinda Shane hieß sie.

Sie hatte ein Verhältnis mit dem Toten gehabt. Und er hatte ihr kurz vor seinem Tode zweitausend Morgen Wald in Oregon vermacht.

Niemand wusste, warum er das getan hatte. Niemand erfuhr, warum es zu jenem verhängnisvollen Streit zwischen Carrigan und Bellinda gekommen war.

Immer wieder war sie vom Richter danach gefragt worden. Aber sie hatte beharrlich geschwiegen.

Zweitausend Morgen Waldgebiet. Das bedeutete Geld. Sehr viel Geld. Zumal durch das Gebiet, das Bellinda überschrieben wurde, eines Tages die Eisenbahn führen würde.

Bellinda Shane würde niemals in den Genuss dieses Reichtums gelangen.

Der Galgen wartete auf sie.

Am kommenden Morgen sollte das Urteil vollstreckt werden. Öffentlich. Auf dem Marktplatz der kleinen Stadt an der Küste.

Und wenn Bellinda Shane tot war, fiel der Waldbesitz in Oregon wieder an Carrigans Witwe zurück.

Carrigans Witwe...

Ebenfalls eine schöne Frau. Mitte dreißig. Groß, schlank, rothaarig. Intelligent.

Lucille Carrigan.

Lassiter hatte die schöne Witwe lange beobachtet.

Sie war eine Frau, die genau wusste, was sie wollte. Sie machte ihre Aussagen mit kühler Berechnung. Nichts von Hass gegenüber Bellinda war ihr anzumerken.

Das Gericht behandelte sie mit Mitgefühl und Respekt. Sie war die reichste Frau in diesem Teil des Landes. Allerdings wäre sie nur noch halb so reich gewesen, wenn man Bellinda Shane nicht für schuldig befunden hätte.

Lassiter sah den hellen Gefängnisbau durch die Dunkelheit schimmern. Hinter ihm war noch immer das monotone Rauschen der Meeresbrandung. Von der Hauptstraße her drangen die lauten Geräusche einer feiernden Menge zu ihm hin.

Seit dem Urteil waren die Saloons überfüllt. Nicht nur die Männer tranken. Auch die honorigen Damen von Crescent City bevölkerten die Saloons.

Das hatte es noch nie gegeben.

Aber für sie war dieses Ereignis ein Sieg. Ihr Hass auf die schöne Bellinda hatte sie schon seit Monaten zu einer verschworenen Gemeinschaft werden lassen.

Bellinda Shane war für die puritanischen Frauen gleichbedeutend mit Sünde und Verfall. Und die Sünde musste mit Feuer und Schwert ausgerottet werden.

Vor einem halben Jahr war Bellinda in die Stadt gekommen. Im ALBATROS, dem großen Tanz-‍, Spiel- und Vergnügungspalast, hatte sie ihr Domizil bezogen. Als Sängerin, Tänzerin – und Spielerin. Wenn sie nicht auf der Bühne stand, saß sie meistens am Pokertisch. Sie war eine gute Spielerin mit langen, geschickten und flinken Fingern.

Lassiter hatte sie manches Mal beobachtet.

Sie gewann viel.

Viele behaupteten, sie müsse schon ein Vermögen zusammengerafft haben. Aber nach ihrer Verhaftung hatte man nur knapp tausend Dollar bei ihr gefunden.

Auch auf diesbezügliche Fragen hatte sie geschwiegen.

Während der ganzen Verhandlung war sie ruhig und selbstbewusst gewesen. Erst als sie den Urteilsspruch hörte, brach sie zusammen. Zwei Männer, der Sheriff und sein Deputy, mussten sie stützen, als sie den Gerichtssaal verließ.

Lassiter glitt lautlos durch die Dunkelheit.

Das Gefängnis war eingeschossig. Die Zellen lagen nach hinten. Die vier kleinen, vergitterten Fenster waren schwarze Löcher in der weißgetünchten Mauer.

Lassiter sprang hoch und bekam die Gitterstäbe eines Fensters zu packen. Er zog sich hoch, bis er mit dem Gesicht die kleine Öffnung erreichte.

»Bellinda!« Seine Stimme war nicht lauter als ein Windhauch. Aber die Frau hatte ihn gehört. Ihre angespannten Nerven registrierten jedes noch so feine Geräusch.

Er nahm Bewegung in der Dunkelheit der Zelle wahr.

Die Frau trat unter das Fenster. Sie blickte hoch. Das einzige, was er von ihr sah, war das blonde Haar.

»Wer sind Sie?«, flüsterte sie. »Was wollen Sie?«

»Sie rausholen.«

»Das hat doch keinen Zweck. Das schaffen Sie niemals. Vorne im Office sind vier Mann, die Wache halten.« Lassiter grinste.

Vier Mann! Er hatte schon vor schwierigeren Problemen gestanden.

»Verhalten Sie sich ruhig!«, flüsterte er. »Was immer auch geschieht. Vor allen Dingen dürfen Sie die Nerven nicht verlieren.«

Er ließ sich wieder hinabgleiten.

Mit ein paar Schritten war er bei der kleinen Hintertür. Sie war verschlossen, aber das Schloss war primitiv.

Lassiter öffnete es mit einem gebogenen Eisenstift. Er arbeitete schnell und geräuschlos. Dann stand er in einem muffig riechenden Gang. Tiefe Finsternis umgab ihn.

Vorsichtig tastete er sich weiter. Bei jedem Schritt setzte er den Fuß sehr langsam auf. Er musste ganz sichergehen, dass er nicht ausgerechnet auf eine knarrende Diele trat.

Er erreichte die Tür am Ende des Ganges. Stimmengemurmel drang an sein Ohr.

Die vier Wächter unterhielten sich gedämpft.

Es waren der Sheriff, sein Deputy und zwei Bürger der Stadt, die man zu Deputies auf Zeit ernannt hatte.

Lassiter legte die Hand auf den Türknauf. Gleich musste alles sehr schnell gehen.

Draußen auf der Hauptstraße wimmelte es in dieser Nacht von Menschen. Und durch die beiden Fenster zur Straße hin hatte man einen guten Einblick in das Domizil des Sheriffs.

Mit einem Ruck stieß Lassiter die Tür auf.

Die vier Männer blickten erstaunt hoch. Die Überraschung lähmte sie. Sie hatten nicht mit einem Befreiungsversuch gerechnet. Die Meinung der Bürger von Crescent City war einhellig gegen die Mörderin gerichtet.

Selbst die Männer, die ihr noch vor Wochen sehnsüchtige Blicke nachgeworfen hatten, wollten sich jetzt an nichts mehr erinnern.

Lassiter sprang auf die vier Männer zu.

Er hielt den Revolver in der Faust. Einen der Männer streckte er mit einem schnellen Hieb zu Boden. In der nächsten Sekunde saß er selbst auf dem Platz des Mannes, mit dem Rücken zum Fenster hin. So konnte von der Straße aus niemand sehen, dass er einen Revolver auf die drei anderen gerichtet hielt.

»Keine Bewegung!«, sagte er kalt.

Die drei atmeten heftig.

»Was wollen Sie?«, fragte der Sheriff. »Wer gibt Ihnen das Recht, hier gewaltsam einzudringen?«

»Ich«, murmelte Lassiter und grinste. »Ich gebe mir das Recht. Und nun raten Sie mal, warum ich gekommen bin, Sheriff.«

Draußen blieben ein paar Passanten stehen.

Sie waren stark angetrunken.

»Alles in Ordnung, Sheriff?«, rief einer der Männer.

Lassiter hob die Mündung des Revolvers etwas an. Sie zeigte jetzt genau auf die Stirn des Sheriffs.

»Antworten Sie, Mann!«, raunte Lassiter. »Aber richtig.«

Dem Sheriff waren Schweißtropfen auf die Stirn getreten. »Alles in Ordnung, Männer!«, rief er heiser.

Die Männer draußen lachten.

»Was ist los, Sam?«, fragte einer laut. »Bist du erkältet? Oder bekommst du jetzt auf einmal das große Zittern, weil du einer Frau den Strick um den Hals legen musst?«

»Geht nach Hause!«, rief der Sheriff und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn.

Die Gruppe draußen entfernte sich.

»Gut gemacht, Sheriff«, lobte Lassiter. »Damit haben Sie Ihr Leben gerettet. – Und jetzt stehen Sie auf und holen Bellinda Shane heraus. Versuchen Sie aber keine Tricks. Sonst gibt es morgen in Crescent City eine große Beerdigung.«

Der Sheriff erhob sich. Er nickte verkrampft.

»Ich möchte wissen, was Sie sich einbilden, Mister«, sagte er dann. »Glauben Sie etwa im Ernst, dass Sie weit kommen werden?«

»Lassen Sie das meine Sorge sein, Sheriff. Und jetzt verschwinden Sie. Ich habe nicht viel Zeit.«

Der Mann, den Lassiter niedergeschlagen hatte, lag noch immer reglos.

Der Sheriff verschwand durch die Tür zum Zellengang.

Lassiter nahm den beiden Männern, die noch bei ihm waren, die Revolver ab.

Der Sheriff kam mit Bellinda Shane zurück.

Ihr Blick fiel auf Lassiter.

»Sie?«, rief sie überrascht.

Lassiter nickte.

»Gehen Sie zur Hintertür, Bellinda!«, sagte er. »Warten Sie dort auf mich.«

Sie schien das alles noch nicht fassen zu können. Dem Tod so nahe und jetzt wieder frei. Das alles war wie ein schlimmer Traum.

Sie schritt auf die Tür zu. Zufällig fiel ihr Blick zum Fenster hin. Ihre Augen weiteten sich.

Lassiter erfasste das Signal. Er warf sich herum. Mündungslichter zuckten draußen auf. Schüsse peitschten. Scheiben zerschellten klirrend.

Hinter sich hörte Lassiter den Sheriff aufschreien. Er war von einer Kugel von draußen getroffen worden.

Lassiter jagte ein paar Schüsse zu den Fenstern hin und fegte die Kerosinlampe vom Tisch. Der gläserne Zylinder zerschellte. Petroleum breitete sich auf dem hölzernen Fußboden aus und fand im ausgetrockneten Fußboden willkommene Nahrung.

Das alles war innerhalb von zwei oder drei Sekunden geschehen.

Jetzt musste Lassiter zusehen, dass er verschwand.

Mit zwei langen Sprüngen war er bei der Tür, die zum hinteren Ausgang führte. Bellinda befand sich schon in dem finsteren Gang. Gemeinsam hetzten sie ins Freie, während hinter ihnen die Hölle ausbrach.

Überall peitschten Schüsse. Männer schrien. Frauen kreischten hysterisch. Die Nachricht verbreitete sich innerhalb von Minuten in Crescent City. Die Stadt verwandelte sich in ein Tollhaus.

Lassiter erreichte mit dem Mädchen die beiden Pferde, die er draußen am Stadtrand zurückgelassen hatte.

Sie schwangen sich in die Sättel.

Bellinda trug ein einfaches blaues Leinenkleid, das zum Reiten nicht sehr vorteilhaft war.

Auch daran hatte Lassiter gedacht. In dem Packen, der hinter dem Sattel der Frau aufgeschnallt war, befanden sich Männerkleider.

»Die ersten paar Stunden müssen Sie bleiben, wie Sie sind«, sagte Lassiter, während sie anritten. »Sobald wir einen Vorsprung gewonnen haben, können Sie sich umziehen.«

Zum Glück war sie eine gute Reiterin. Mühelos hielt sie sich bei dem schnellen Galopp an Lassiters Seite. Die Stadt blieb hinter ihnen in der Dunkelheit zurück.

Sie ritten nach Norden.

Lassiter ließ die Pferde in bestimmten Abständen Schritt gehen. Auf schwierigem Gelände führten sie die Tiere am Zügel hinter sich her. Sie mussten mit den Kräften der Vierbeiner sehr sparsam umgehen.

Als der Morgen graute, rasteten sie zum ersten Mal.

Bellinda war erschöpft.

»So weit bin ich noch nie auf einmal geritten«, sagte sie und ließ sich ins Gras sinken. »Ich kann kaum noch sitzen oder stehen. Am liebsten möchte ich einfach hier liegenbleiben und schlafen. In einem Stück schlafen.«

»Dazu werden Sie kaum Gelegenheit haben«, murmelte Lassiter.

Sie befanden sich inmitten einer Baumgruppe auf einem Hügel. Wenige Meilen von der Küste entfernt. In der Ferne dehnte sich das blaue Meer, von den Linien der weißen Schaumkronen durchzogen. Sonnenlicht glitzerte auf der unendlichen Wasserfläche.

Lassiter holte etwas Proviant aus den Satteltaschen. Er hatte sich für eine gute Woche mit Lebensmitteln eingedeckt, in erster Linie Konserven.

Sie aßen schweigend. Nachher reichte ihr Lassiter die Whiskyflasche. »Hier, trinken Sie. Das wird Ihnen guttun.« Sie sah ihn dankbar an.

Beim Trinken verschluckte sie sich und bekam einen heftigen Hustenanfall.

Der große Mann klopfte ihr ein paarmal auf den Rücken, bis sie wieder richtig atmen konnte.

»Tut mir leid«, sagte sie verlegen, »aber ich bin es nicht gewöhnt, aus der Flasche zu trinken.«

»Daran werden Sie sich gewöhnen müssen«, sagte er. »Das süße Leben ist vorerst vorbei, schätze ich.«

Er ging zu ihrem Pferd, öffnete den Packen und gab ihr die Kleider, die er für sie gekauft hatte. Eine derbe Levishose, kariertes Baumwollhemd, Reitstiefel und Stetson.

»Ziehen Sie sich um«, sagte er. »In Ihrem jetzigen Aufzug werden Sie in der Wildnis Schwierigkeiten bekommen.«

Erst blickte sie auf die Sachen, dann auf den Mann und dann wieder auf die Sachen.

Er wunderte sich. Dieses Mädchen war tatsächlich verlegen. Sie genierte sich, vor den Augen eines Mannes die Kleider zu wechseln.

»Beeilen Sie sich«, sagte Lassiter. »Wir haben nicht mehr viel Zeit. Die Verfolger werden nicht mehr lange auf sich warten lassen.«

Zögernd öffnete sie ihr Kleid oben am Hals. Unwillkürlich fiel sein Blick auf die Ansätze ihres Busens.

Erregung packte ihn. Sie wurde rot.

»Lassiter!«, sagte sie. In dem einen Wort schwang eine große Bitte mit.

»Na gut«, brummte Lassiter und wandte ihr den Rücken zu.

Er grinste vor sich hin. Hinter sich hörte er das Rascheln von Kleidern. Obwohl er grinste, war er von einem leisen Grimm erfüllt.

Seit drei Wochen kannte er nun diese Frau. Sie war ihm gleich bei seinem ersten Besuch im ALBATROS ins Auge gefallen. Er hatte sie beim Singen bewundert. Er hatte sie zu einem Drink eingeladen, und sie hatte sich für ein paar Minuten zu ihm gesetzt. Nur für ein paar Minuten. Dann hatte sie sich höflich, aber bestimmt verabschiedet.

Diese Frau war anders. So etwas hatte Lassiter noch nicht erlebt. Sie war freundlich zu den Männern, zu allen Männern. Aber sobald sie bemerkte, dass der Mann die Absicht hatte, mit ihr zu schlafen, sagte sie ihm mit netten Worten, dass er sie bitte in Ruhe lassen möchte.

Diese Frau reizte Lassiter. Weil sie anders war. Sie lag wie Rauschgift in seinem Blut.

Jedes Mal, wenn er sie sah, packte ihn Erregung.

Er versuchte alles, um an sie heranzukommen.

Umsonst.

Er setzte sich mit ihr Abend für Abend an den Spieltisch. Er machte ihr Komplimente und ließ es zu, dass sie ihn beim Poker schlug.

Und jedes Mal, wenn er ein bisschen zu deutlich wurde, ließ sie ihn abblitzen.

Es gab scheinbar nur einen Mann, den sie liebte.

Cham Carrigan. Der König der Wälder, wie man ihn genannt hatte. Einer der reichsten Männer des Westens.

Der Mann, den sie erschossen hatte.

Lassiter war sicher, einem Geheimnis auf der Spur zu sein.

»Sie können sich umdrehen«, sagte Bellinda.

Er sah sie an. In der Hose und dem Männerhemd sah sie aus wie ein Junge. Sie hatte sich das Haar hochgesteckt. Es wurde von dem breitkrempigen, flachen Hut verborgen.

Das Hemd war so weit, dass nur ein scharfer Beobachter ihre Brüste bemerkte. Und als sie sich jetzt noch die ärmellose Lammfelljacke überzog, war auch das letzte äußere Merkmal ihrer Weiblichkeit verschwunden.

»Wie gefalle ich Ihnen?«, fragte sie kokett.

»Wie man's nimmt«, sagte er. »Ich weiß ja, wie Sie in Wirklichkeit aussehen.«

Seine Stimme klang rau. Das Verlangen in ihm wuchs.

»Warum sehen Sie mich so an?«, fragte sie. »Ich weiß, was Sie in diesem Augenblick denken. Sie möchten mich in die Arme nehmen. Sie möchten alles von mir haben.«

»Ja«, sagte er offen.

Sie sah ihn mit ihren großen braunen Augen an.

»Sie haben mir das Leben gerettet«, sagte sie leise. »Sie haben das Recht, jetzt eine bestimmte Art von Dankbarkeit von mir zu erwarten...«

Sie machte eine Pause, räusperte sich.

Dann gab sie sich einen Ruck.

»Wenn Sie wollen«, sagte sie mit zitternder Stimme und irgendwie zornig, »dann nehmen Sie mich, Lassiter.«

Er lächelte und schüttelte den Kopf.

»Nicht so, Bellinda«, sagte er ruhig. »Nicht so...«

»Warum nicht?«

»Dann könnte ich ebenso gut in ein Bordell gehen«, sagte er rau. »Und das ist nicht das, was ich von Ihnen möchte. Können Sie das verstehen?«

Sie setzte sich wieder auf die Erde.

Lassiter betrachtete sie schweigend. Sie hatte den schönen Kopf etwas gesenkt und blickte auf ihre Stiefel.

Nach einer Weile murmelte sie: »Warum haben Sie das getan, Lassiter? Ausgerechnet Sie?«

»Ich brauche Geld«, sagte er. »Viel Geld. Ich bin sicher, dass ich durch Sie einiges verdienen kann.«

Ihr Kopf ruckte hoch. Etwas wie Enttäuschung lag in ihrem Blick. Um ihre Mundwinkel zuckte es.

»Sie – haben es nicht getan, weil ich Ihnen gefalle?«

Er grinste.

Sicher, er hatte ihre Befreiung auch gewagt, weil sie ihm gefiel. Aber auch, um ein gutes Geschäft zu machen.

»Sie sind reich, Bellinda«, sagte er. »Ich habe es während der Verhandlung erfahren. Solange Sie leben, gehört Ihnen das Waldgebiet, das Ihnen Cham Carrigan überschrieben hat. Und Sie haben viel Geld beim Spiel gewonnen. Wo sind diese Dollars?«

»Lassiter!«, rief sie erschrocken.

»Keine Sorge, Miss«, sagte er. »Ich habe Sie nicht aus dem Gefängnis geholt, um Sie anschließend auszurauben. Trotzdem möchte ich meinen Anteil, wenn alles vorbei ist.«

»Wie meinen Sie das: Wenn alles vorbei ist?«

»Wenn es uns gelungen ist, zu beweisen, dass Sie Cham Carrigan tatsächlich in Notwehr erschossen haben.«

»Sie glauben daran, dass ich unschuldig bin?«, flüsterte sie ungläubig. Sie schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht. Alles spricht doch gegen mich.«

»Sie haben nicht alles vor Gericht ausgesagt«, erwiderte er hart. »Warum haben Sie der Jury nicht die volle Wahrheit erzählt? So, wie es wirklich gewesen ist zwischen Ihnen und Cham Carrigan.«

Sie lächelte bitter.

»Dann hätten sie mich erst recht verurteilt«, murmelte sie. »Sie scheinen ein aufmerksamer Beobachter zu sein, Lassiter. Was haben Sie sonst noch herausgefunden?«

»Dass die schöne rothaarige Witwe eine ausgesprochene Teufelin ist«, sagte er. »Es gibt keinen Menschen in Crescent City, der Ihren Tod sehnlicher herbeigewünscht hat als Lucille Carrigan. Sie ist ungewöhnlich klug und berechnend. Und dazu eiskalt. Sie hat immer wieder versucht, die Jury zu beeinflussen. Sie hat es allerdings so raffiniert angefangen, dass die Geschworenen selbst es nicht bemerkt haben. Sie hat ihren Mann als einen gutmütigen Burschen hingestellt, den eine zweifelhafte Dame namens Bellinda Shane ins Verderben gelockt hat. Sie hat ausgesagt, dass sie sich kurz vor seiner Ermordung mit ihm versöhnt habe, und dass er zu Ihnen hingegangen sei, um jene Schenkungsurkunde zurückzuverlangen. – Wie aber war es wirklich, Bellinda?«

»Wie kommen Sie auf die Vermutung, dass es anders gewesen sein könnte?«

»Weil ich kein Brett vor dem Kopf habe«, sagte er rau. »Zwischen Lucille und ihrem Mann herrschte in der letzten Zeit alles andere als ein herzliches Verhältnis. Die Ursache aber waren Sie, Bellinda. Carrigan wollte Sie doch heiraten, nicht wahr?«

Sie nickte.

»Er liebte Sie«, fuhr er fort, »und Sie liebten ihn. Sie bevorzugten ihn vor allen anderen Männern, die Sie verehrten. Sie...«

Bellinda schüttelte den Kopf.

»Ich habe ihn nicht geliebt«, sagte sie leise. »Niemals...«

Er runzelte die Stirn.

»Was ist wirklich gewesen, Bellinda?«, fragte Lassiter. »Sie müssen mir alles sagen. Die ganze Wahrheit.«

»Ich hasste Carrigan«, begann sie zögernd. »Ich hasste ihn wie keinen zweiten Menschen auf dieser Welt. Ich wollte ihn vernichten. Seine Frau hatte vollkommen recht, als sie vor Gericht aussagte, ich hätte mich mit Absicht an ihn herangemacht.«

Sie senkte den Kopf, schwieg eine Weile.

Lassiter wartete, bis sie wieder zu sprechen begann.

Ihre ersten Worte hatten ihn überrascht. Er war gespannt, was jetzt noch folgen würde.

»Ich wollte ihn ruinieren und demütigen«, sagte sie leise. »Ich wollte ihm so übel mitspielen, wie er vor fünf Jahren meinem Vater mitgespielt hat. Damals war ich noch ein Mädchen und habe die Zusammenhänge nie recht begriffen. Ich wusste nur, dass Dad plötzlich ein armer Mann war. Durch verschiedene Manipulationen hatte ihn sein ehemaliger Partner und späterer Konkurrent Cham Carrigan aufs Kreuz gelegt. Carrigan war ein gerissener Fuchs, Lassiter. Er beherrschte sämtliche Tricks. Und er schreckte auch vor nichts zurück. Er brachte es sogar fertig, meinen Vater wegen angeblicher Steuerhinterziehung anzuzeigen. Das stimmte sogar. Denn in seiner Not hatte Vater versucht, noch einmal das Steuer herumzureißen, indem er das fürs Finanzamt vorgesehene Geld in sein Unternehmen steckte. Es waren zweihunderttausend Dollar. – In seiner Wut erschoss er einen der beiden Sheriffs, die ihn verhaften wollten. Den anderen verwundete er ziemlich schwer. Dann floh er in die Berge. Wir haben ihn seit jenem Tag nicht wieder gesehen. Wir haben auch nichts mehr von ihm gehört. Wahrscheinlich ist er längst tot.«

Sie schwieg erschöpft.

Die Erinnerung an die Vergangenheit bedrückte sie.

»Und Ihre Mutter?«, murmelte Lassiter.

»Sie lebt«, sagte Bellinda leise. »Ihr habe ich jedes Mal das Geld geschickt, das ich am Pokertisch gewann. Damit sie einigermaßen gut leben kann. Auch das ist jetzt wohl vorbei.«

»Nichts ist vorbei«, knurrte Lassiter. Er empfand Mitgefühl für dieses Mädchen, dem das Schicksal so übel mitgespielt hatte.

Jetzt verstand er auch endlich, warum sie dem Gericht nicht die volle Wahrheit hatte sagen können.

Es war ihre einzige Hoffnung gewesen, dass ihr Schuss auf Carrigan doch noch als Notwehr anerkannt wurde. Eine trügerische Hoffnung allerdings, wie sich am Schluss der Verhandlung herausgestellt hatte.

Der Einfluss der schönen Witwe war doch zu stark gewesen.

»Eins verstehe ich noch immer nicht«, murmelte Lassiter. »Sie sagten eben, Cham Carrigan wäre ein mit allen Tricks vertrauter Mann gewesen. Warum war er dann so leichtsinnig, Ihnen die Hälfte seines Besitzes zu überschreiben?«

»Wir wollten heiraten«, sagte sie. »Das heißt, Cham Carrigan wollte mich heiraten. Zum Schein ging ich auf sein Angebot ein. – Sie wissen sicherlich, wie schwer es in diesem Lande ist, eine Scheidung durchzusetzen. Außerdem wird ein Mann finanziell immer sehr belastet. Um das in Grenzen zu halten, zog Cham einen Teil seines Vermögens heraus und überschrieb dieses für die Zukunft sehr wichtige Waldgebiet auf meinen Namen. Er hätte es wahrscheinlich nicht getan, wenn ihn nicht das Verlangen nach mir so mit Blindheit geschlagen hätte.«

Lassiter nickte.

»Das kann ich verstehen«, sagte er. »Und was geschah dann? Wie kam es zu diesem verhängnisvollen Schuss?«