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Zwei Menschen lagen auf der kleinen Lichtung. Gefesselt. Nackt. Ohne Hoffnung. Die Stricke, die sich gleichzeitig um beide Körper wanden, drückten tief in die Haut.
Sie lagen da, wie man sie überrascht hatte.
Der Mond stand voll über ihnen. Er leuchtete auf die beiden Gefesselten und auf die sieben maskierten Männer.
Das Mädchen wimmerte leise. Ein großes schlankes Mädchen mit kaffeebrauner Haut.
Die Maskierten lachten, als die Peitsche zum ersten Mal die Luft zerschnitt und sich um ihre Körper ringelte.
Der große hagere Mann an der Seite des Mädchens gab keinen Ton von sich. Er war Schmerzen gewöhnt. Er hatte in seinem Leben schon mehr durchgemacht.
Der große Mann war Lassiter.
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Seitenzahl: 171
Veröffentlichungsjahr: 2023
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LASSITER UND DIE KAPUZENBANDE
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Impressum
LASSITER UND DIE KAPUZENBANDE
von Jack Slade
Zwei Menschen lagen auf der kleinen Lichtung. Gefesselt. Nackt. Ohne Hoffnung. Die Stricke, die sich gleichzeitig um beide Körper wanden, drückten tief in die Haut.
Sie lagen da, wie man sie überrascht hatte.
Der Mond stand voll über ihnen. Er leuchtete auf die beiden Gefesselten und auf die sieben maskierten Männer.
Das Mädchen wimmerte leise. Ein großes schlankes Mädchen mit kaffeebrauner Haut.
Die Maskierten lachten, als die Peitsche zum ersten Mal die Luft zerschnitt und sich um ihre Körper ringelte.
Der große hagere Mann an der Seite des Mädchens gab keinen Ton von sich. Er war Schmerzen gewöhnt. Er hatte in seinem Leben schon mehr durchgemacht.
Der große Mann war Lassiter.
Stumm und verbissen arbeitete er an dem Strick, der seine Handgelenke zusammenschnürte. Er wusste, dass er eine Chance hatte, diese Fessel zu sprengen. Viel Übung schienen diese Maskierten noch nicht zu haben. Vielleicht hatten sie auch noch keinen Mann wie Lassiter kennengelernt.
Vor einer Stunde war er in der Hütte der Schwarzen überrascht worden. Mitten in der Nacht. Er hatte nicht damit gerechnet, dass die gegnerische Partei so schnell zuschlagen würde. Nach allem, was man ihm erzählt hatte, schien es sich bei seinem augenblicklichen Job überhaupt nur um eine alltägliche Angelegenheit zu handeln.
Vielleicht hatte man ihm das nur gesagt, um ihn zu überreden.
Auf jeden Fall war er jetzt vom Gegenteil überzeugt.
Das Mädchen schrie auf, als die Peitschenschnur erneut auf sie herabsauste. Ihr Körper zuckte.
»Ruhig, Dita«, murmelte Lassiter.
Dita Troilus. Er kannte sie erst seit vier oder fünf Stunden. Er hatte sie sofort aufgesucht, nachdem er in die Stadt gekommen war. Cove in Arkansas. Eine kleine Stadt, nur ein paar Meilen von der Oklahoma-Grenze entfernt.
Dita hatte ihm vom ersten Augenblick an gefallen. Und er ihr auch. Sie war ein rassiges Mädchen. Langbeinig. Schlanke runde Schenkel einer Gazelle. Das Haar nicht so kraus wie bei echten Schwarzen. Sie war eine Mulattin.
Lassiter erwähnte seinen Auftrag mit keinem Wort. Er nannte nur seinen Namen. Das hatte genügt.
Nach dem Essen gingen sie schlafen. Das Mädchen war feurig, voller Leidenschaft.
Und dann kamen plötzlich die Maskierten. Sie trugen spitze, kapuzenförmige Masken und lange weiße Umhänge. Die Kleidung des Geheimbundes Ku-Klux-Klan.
Lassiter hatte das alles erst richtig registriert, nachdem er aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht war. Irgendein harter Gegenstand hatte seinen Hinterkopf getroffen, als er vom gemeinsamen Lager springen wollte.
Auf dieser Waldlichtung hatte er zum ersten Mal die Augen wieder aufgeschlagen.
Der Mann mit der Peitsche hörte auf zu schlagen. Ein anderer Maskierter stieß Lassiter mit dem Fuß in die Seite.
»Ich habe euch die Peitsche schmecken lassen, damit ihr wisst, was euch erwartet«, sagte er mit tiefer Stimme. »Wenn ihr vernünftig seid, werden wir euch nur teeren und federn. Andernfalls werdet ihr obendrein auch noch gehängt.«
Lassiter zerrte an seinen Fesseln. Der Strick um die Handgelenke hatte sich schon ein wenig gelockert.
»Was wollt ihr überhaupt?«, fragte er. Seine Stimme klang angestrengt. Aber das erweckte keinen Verdacht. Die Maskierten führten es auf seine Schmerzen zurück.
Sie kannten eben Lassiter noch nicht.
»Man hat dich gerufen«, sagte der Maskierte. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
Lassiter nickte.
»Du bist gut informiert«, sagte er spöttisch.
»Dein Name?«
»Lassiter.«
»Aus Texas?«
»Im Augenblick ja.«
Der Maskierte versetzte ihm erneut einen Tritt.
»Ich will genaue Antworten. Volpone hat dich herbestellt, nicht wahr?«
Lassiter hatte den Namen zwar noch nie gehört, bejahte aber trotzdem. In Wirklichkeit hatte er noch nicht mal eine Ahnung, warum ihn jener Mann in El Paso beauftragt hatte, nach Arkansas zu reisen. Er wusste bisher lediglich, dass er zu Dita Troilus gehen sollte.
Dieses Mädchen würde ihn mit neuen Informationen versorgen, hieß es vor einigen Wochen.
Er schien ein verteufelt heißes Eisen angepackt zu haben. Jetzt war es zum Aussteigen zu spät. Aber Lassiter wäre wahrscheinlich auch dann nicht ausgestiegen, wenn er um die ganze Gefährlichkeit seines Auftrags gewusst hätte.
Der Maskierte lachte zufrieden unter seiner Kapuzenmaske.
»Damit wäre dann alles klar«, sagte er. »Du bist ein Dummkopf, Lassiter. Mich wundert nur, warum man ausgerechnet einen Typ wie dich für diese Sache gewonnen hat.«
»Warum bin ich ein Dummkopf?«, fragte Lassiter harmlos. »Ich habe doch die Wahrheit gesagt.«
»Gewiss«, sagte der Maskierte wie eine zufrieden schnurrende Katze, »deshalb werden wir dich auch hängen.«
»Heh!«, protestierte Lassiter. »Das war aber nicht vereinbart.«
»Es ist trotzdem besser«, sagte der Maskierte. »Für uns.«
Lassiter hatte die Hände frei.
Die Maskierten bemerkten es nicht, da er mit dem Gesicht zum Mädchen lag. Und seine Hände befanden sich zwischen ihrem und seinem Körper.
»Lasst wenigstens das Mädchen frei!«, sagte Lassiter, um die Maskierten abzulenken. »Was habt ihr schon davon, wenn ihr sie tötet?«
Der Anführer lachte spöttisch.
»Deine Sorgen möchte ich haben«, sagte er. »An deiner Stelle würde ich um mein eigenes Leben betteln. Warum winselst du nicht, Texaner? Vielleicht stimmst du uns dadurch um.«
»Ich glaube nicht, dass es Zweck hat«, sagte Lassiter lässig. »Jedenfalls nicht bei euch.«
Der breite Rücken eines der Maskierten verdunkelte den Mond. Auch das bewies Lassiter, dass diese Männer nicht über allzu viel Erfahrung verfügten. Ein gerissenerer Mann hätte sich auf die andere Seite der Gefesselten gestellt. So, dass er jede Einzelheit im Mondlicht erkennen konnte.
Er beging also schon den ersten großen Fehler.
Sein zweiter Fehler war seine Sorglosigkeit. In dem Bewusstsein, die anderen hinter sich zu haben, fühlte er sich zu sicher.
Mit ein paar Messerschnitten durchtrennte er das lange Seil, das sich um die Körper Lassiters und des Mädchens wand.
Lassiter spannte die Muskeln.
»Hoch mit dir!«, knurrte der Maskierte und stieß Lassiter die Faust gegen den Rücken.
Lassiter wirbelte herum.
Alles ging unglaublich schnell. Er packte den Maskierten mit der Linken an der Kehle und zog ihm mit der Rechten den Revolver aus dem offenen Holster.
Der Maskierte schrie gequält. Er war wie gelähmt, dachte in seiner Überraschung nicht an Gegenwehr.
Schon hatte Lassiter ihn im Würgegriff. Sein linker Unterarm drückte gegen den Kehlkopf des Maskierten. So kam er mit ihm auf die Füße.
Der Mann röchelte.
Er wusste genau, dass Lassiter nur noch etwas fester zuzudrücken brauchte, um ihm die Luft für immer zu nehmen.
Die anderen Maskierten standen wie erstarrt. Keiner von ihnen hatte mit dem plötzlichen Ausfall des Gefangenen gerechnet.
An seinem Mann vorbei zielte Lassiter mit dem Revolver auf die Gruppe. Sie standen im Halbkreis, etwa fünf Schritt von ihm entfernt. Einer hielt das Lasso in der Hand, an dem Lassiter hängen sollte.
Lassiter richtete seine Aufmerksamkeit in erster Linie auf den hochgewachsenen Anführer der Lyncher. Dieser Mann erschien ihm als der Gefährlichste von allen.
Er stand still wie die anderen, aber seine Hände befanden sich unter dem weiten Umhang.
»Du hast keine Chance«, sagte er. »Greift an, Männer!«
Gleich nach diesen Worten donnerte sein Revolver auf. Er hatte ihn unter dem Umhang abgefeuert. Die Feuerlanze durchschlug den weißen Stoff. Der Mann in Lassiters Würgegriff zuckte zusammen und wurde schlaff.
Lassiter schoss sofort zurück. Er traf den Boss der Maskierten mitten in die Brust.
Er schrie und brach zusammen.
Nun griffen auch die anderen an. Sie rissen ihre Revolver unter den Umhängen hervor.
Lassiter packte den Körper des erschossenen Mannes und schleuderte ihn den anderen entgegen. Der vorderste Maskierte kam nicht mehr zum Schuss. Der Körper des eigenen Komplizen prallte gegen ihn und riss ihn zu Boden.
Die Revolver der anderen vier donnerten auf. Lassiter warf sich auf die Erde. Im Liegen schoss er, bis die Trommel des Revolvers leer war.
Dann war es still auf der Lichtung.
Der Anführer und jener Mann, den der Anführer niedergestreckt hatte, lagen reglos da. Sie waren tot. Drei weitere hockten getroffen auf der Erde und stöhnten schmerzerfüllt.
Die letzten beiden Männer hatten die Flucht ergriffen. Ihnen saß der Schrecken tief in den Knochen. Sie würden wahrscheinlich noch Stunden brauchen, bis sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatten.
Lassiter ging zu den Verwundeten, nahm ihnen die Revolver ab und zerrte ihnen anschließend die Kapuzenmasken von den Köpfen.
Und dann sah er ihre Gesichter.
Aber es war nicht das, was er erwartet hatte. Was er sah, waren keine hartgesottenen Verbrechervisagen, sondern die Dutzendgesichter biederer Bürger.
Ängstlich blickten sie Lassiter von unten herauf an. In ihren Augen flackerte die Panik von Todeskandidaten, die auf den Henker warteten. Sie schienen davon überzeugt zu sein, dass ihr Leben keinen rostigen Cent mehr wert war.
Zweien nahm er die Umhänge weg, warf sich selbst einen über die Schultern und gab den anderen dem Mädchen.
Die drei Männer waren nicht einmal schwer verwundet. Lassiter hatte selbst schon schlimmere Verwundungen gehabt. Es war mehr der Schock, der diese Männer lähmte, der sie nicht daran denken ließ, irgendwelchen Widerstand zu leisten.
Der Schock machte sie fertig.
Lassiter ging zu den beiden Toten. Der Anführer besaß ein hageres, zerfurchtes Gesicht. Auch jetzt noch strahlte es Wagemut und Kühnheit aus. Ein Ausdruck des Staunens lag auf den Zügen. So, als könnte er es einfach nicht fassen.
Dieser Mann musste eine wichtige Persönlichkeit gewesen sein. Allein schon seine Kleidung bewies es.
Lassiter winkte das Mädchen heran.
»Kennst du ihn, Dita?«
Sie nickte.
»Ted Grant«, murmelte sie. »Der älteste Sohn von Theodore Grant, dem reichsten Mann in dieser Gegend. Einer unserer erbittertsten Feinde. Lass uns gehen, Lassiter. Die anderen werden Verstärkung holen. Bald wird hier der Teufel los sein.«
Lassiter deutete auf die drei Verwundeten.
»Welche Rolle spielen sie?«
»Mitläufer«, sagte sie verächtlich. »Blinde Fanatiker. Alles Leute, die etwas zu verlieren haben. Sie fürchten die Kleinen in diesem Lande. Sie fühlen ihre Machtpositionen bedroht. Sie wollen uns nicht vernichten, da sie uns brauchen. Sie wollen nur weiterhin ihre Stiefel auf unser Genick pressen und uns in den Staub drücken.«
Sie sprach leise. Nur Lassiter konnte ihre Worte verstehen.
Er dachte an die Worte jenes Mannes, den er in El Paso kennengelernt hatte. Paul Delaney, Rechtsanwalt. Freund von Lassiters Freund Benito Sanchez. Bei Benito hatten sie sich zum ersten Mal gegenübergestanden. Bei Benito, in dessen Familie Lassiters Sohn aufwuchs. Jay Lassiter. Er war inzwischen drei Jahre alt geworden. In regelmäßigen Abständen besuchte ihn Lassiter. Er hing an diesem Kind. Es war das Kostbarste, das er auf dieser Welt kannte.
Alles, was er tat, geschah im Grunde für den Jungen. Er sollte es einmal besser haben.
Dem Rechtsanwalt Paul Delaney hatte Benito Lassiters Geschichte erzählt. Wie Lassiters große Fehde mit Wells Fargo begonnen hatte. Wie er von der mächtigen Gesellschaft zugrunde gerichtet worden war. Wie Lassiter zurückgeschlagen hatte, um zu seinem Recht zu kommen.
In Sekundenschnelle zuckten all diese Gedanken durch Lassiters Gehirn. Flüchtige Bilder, die sich zu einem Ganzen aneinanderreihten. Er sah seinen Partner, der sich erhängt hatte, weil er keinen Ausweg mehr wusste. Er sah sich selbst, wie er von Wells Fargo in die Enge getrieben wurde. Als er alles aufgeben musste, das er sich in mühevoller Arbeit aufgebaut hatte.
Bilder einer rauen, blutigen Vergangenheit. Bilder eines unerbittlichen Kampfes um das nackte Dasein, ums Überleben.
Die Zeit hatte Lassiter geformt. Eine gnadenlose Umwelt hatte aus ihm den Mann gemacht, der er jetzt war.
Wells Fargo hatte ihm alles genommen, was er besessen hatte. Wells Fargo hatte sein Leben zerstört. Sein Leben und das, was er sich vom Leben erhofft hatte.
Diese übermächtige Gesellschaft war nichts anderes als ein gefräßiger, unersättlicher Polyp mit Millionen von großen und kleinen Armen. Diese Company verkörperte die Macht des Geldes in einer Zeit, die sich im Umbruch befand.
Und Lassiter hatte Wells Fargo getrotzt. In die Enge getrieben, gedemütigt, verbittert, hatte er immer wieder um sich geschlagen. Postkutschen überfallen, Panzerschränke geknackt.
Immer wieder hatte er Wells Fargo Niederlagen zugefügt. Und sie jagten ihn. Sie setzten ihren besten Mann auf ihn an. Sidney Blood, den Spezialagenten. Lassiters Nemesis. Sein unerbittlichster Feind. Sidney Blood, genannt der Bluthund.
Lassiter hatte ihn vor zwei Monaten zum letzten Mal abgeschüttelt. Er war wieder einmal nach El Paso gegangen. Um seinen Sohn Jay zu sehen. Um sich auszuruhen.
Wells Fargo schien ihn vergessen zu haben. Irgendwann würden sie wieder aneinandergeraten, dessen war sich Lassiter sicher. Es war wie ein unabwendbares Schicksal, dass er immer wieder mit Wells Fargo und Sidney Blood zusammenstieß.
Lassiter hatte für kurze Zeit in El Paso Ruhe gefunden. Bis er dann Paul Delaney kennengelernt hatte. Und Paul hatte Lassiters Geschichte gehört.
»Sie sind der richtige Mann für uns«, hatte Delaney gesagt. »Sie könnten unser Problem lösen.«
Und Lassiter hatte ja gesagt. Für das Versprechen, fünftausend Dollar zu bekommen, hatte er den Auftrag angenommen, nach Arkansas zu reisen und sich dort mit Dita Troilus in Verbindung zu setzen.
Mehr hatte Lassiter nicht von Delaney erfahren. Delaney wollte ihm kurz vor Lassiters Abreise weitere Informationen mit auf den Weg geben. Er kam nicht mehr dazu. Mitten in El Paso wurde er aus dem Hinterhalt erschossen.
Lassiter fand ihn, als er sterbend in einer finsteren Gasse lag. Nicht weit entfernt von Benitos Haus. Er erinnerte sich wieder an Pauls Worte: »Geh nach Arkansas, Lassiter! Versprich es mir! Hilf diesen Leuten! Sie brauchen Hilfe, Lassiter...«
Lassiter versprach es.
Und jetzt war er in Arkansas. In der Nähe der Stadt Cove, unweit der Grenze des Indianer-Territoriums. Auf einer vom Mondlicht beschienenen Lichtung.
Er legte dem Mädchen den Arm um die Schultern.
»Lass uns gehen, Dita!« Eine halbe Stunde später erreichten sie Ditas kleines Haus am Stadtrand.
Lassiter zog seine Kleider an, tastete nach seinem Geld. Vierhundert Dollar hatte er noch besessen. Sie waren verschwunden. Seine Waffen und die Munition waren noch vorhanden.
Er setzte sich auf einen der beiden Korbstühle. Das Mädchen stellte eine Flasche und Gläser auf den Tisch. Sie verzichteten auf Licht. Ihnen genügte der Mondschein, der durch die kleinen Fenster fiel.
»Erzähle!«, sagte er. Sie sah ihn erstaunt an.
»Ich denke, du weißt alles?« Sie ging ins Nebenzimmer und kam mit einem Brief zurück. »Das letzte Schreiben von Paul Delaney«, sagte sie leise. »Er teilt mit, dass er den richtigen Mann gefunden hätte. Seitdem haben wir nichts mehr von ihm gehört.«
»Paul ist tot«, murmelte er.
Sie senkte den Kopf. Diese Nachricht traf sie schwer.
»Wir alle haben es geahnt«, sagte sie leise nach Minuten des Schweigens. »Es musste einfach so kommen. Paul hat zu viel gewusst. Er war der einzige Mann, der ihnen richtig gefährlich werden konnte. Deshalb mussten sie ihn aus dem Weg räumen.«
»Ich muss alles wissen, Dita«, sagte er. »Was war mit Paul wirklich los?«
»Hat er es dir denn nicht erzählt?«, fragte sie verwundert.
Lassiter schüttelte den Kopf.
»Vielleicht wollte er es nicht. Vielleicht ist er nicht mehr dazu gekommen.«
Trotz des schwachen Lichts sah er, dass Tränen in ihren Augen standen. Sie musste Paul Delaney sehr gern gehabt haben.
»Er gehörte zum Geheimbund«, begann sie nach einer Weile zu erzählen. »Er war ein sogenannter Meister, also einer der maßgeblichen Männer in dieser Organisation. Anfangs glaubte er, für eine gute Sache zu kämpfen. Für Freiheit und Gerechtigkeit. Er war in diesem Sinne erzogen worden. Eines Tages merkte er dann, dass er auf der falschen Seite stand. Es geschah, nachdem er mich kennengelernt hatte.«
Sie hob das Glas zum Mund. Ihre Hand zitterte.
»Du hast ihn geliebt?«, fragte Lassiter.
Sie nickte.
»Er war ein guter Mann«, flüsterte sie. »Er wollte mich heiraten, obwohl ich eine andere Hautfarbe habe als er. Der Geheimbund befahl ihm, sich von mir zu trennen, oder er müsste sterben. Paul trat aus der Organisation aus. In den Augen des Geheimbundes ist dies ein Verbrechen, das mit dem Tode bestraft wird. Er floh nach Westen. In Texas wollte er Männer anwerben, die bereit waren, für die gute Sache zu kämpfen. In El Paso müssen sie ihn dann aufgestöbert haben.«
Sie schwieg erschöpft. Tränen rannen über ihre dunklen Wangen.
»Wer ist Volpone?«, fragte Lassiter. »Wer ist der Mann, dessen Namen der Anführer der Kapuzenmänner genannt hat?«
»Isaak Volpone«, sagte sie. »Ein guter alter Mann. Er lebt auf einer kleinen Farm weiter westlich. Zehn Meilen von der Stadt entfernt. Früher war er der Richter für dieses County. Er bemühte sich immer, gerecht zu sein. Er sprach seine Urteile ohne Rücksicht auf den Namen des Mannes, der gerade vor Gericht stand. Er wurde den einflussreichen Leuten im County unbequem. Sie sorgten dafür, dass er bei der letzten Wahl nicht wiedergewählt wurde. Sie beeinflussten die Wähler mit Gewalt und Terror. Menschen, die sich offen zu Volpone bekannten, wurden überfallen und verprügelt. Jetzt lebt Volpone draußen auf der kleinen Farm, die er gekauft hat. Er hat die Sache der anderen Farmer und Kleinrancher zu der seinen gemacht. Er ist der geistige Vater des Kampfes, den wir führen.«
»Wir?«, murmelte Lassiter. »Wer gehört alles dazu?«
»Die Kleinen in diesem Lande. Die Getretenen und Gedemütigten. Alle diejenigen, die sich der Macht der Grants und ihres Anhangs nicht beugen wollen. Dazu gehören auch die Menschen mit anderer Hautfarbe. Schwarze und Mischlinge sind für die Grants der letzte Dreck. Sie können es nicht verwinden, dass der Krieg eine Änderung gebracht hat. Dass sie die Schwarzen nicht mehr wie Hunde halten können. Dadurch fühlen sie sich in ihrer Ehre gekränkt. Dadurch haben sie vor allen Dingen viel von ihrem Reichtum eingebüßt.«
»Und was soll ich hier?«, fragte Lassiter. »Soll ich etwa für euch meine Haut hinhalten?«
Das Mädchen nickte.
»Alle haben zusammengelegt«, sagte sie. »Viele haben ihre letzten Ersparnisse geopfert. Fünftausend Dollar sind bei der Sammlung eingegangen. Kannst du dir vorstellen, wie verzweifelt diese Menschen sind, Lassiter? Hätten sie sonst vielleicht ihr Letztes gegeben?«
»Wisst ihr überhaupt, ob ich der richtige Mann bin?«
Sie nickte überzeugt und schob ihm den Brief hin.
»Du kannst ja selbst lesen, was Paul schreibt«, sagte sie. »Paul verstand sich auf Menschen. Er hat sich noch niemals geirrt. Wenn du liest, wie begeistert er über dich schreibt, wirst du stolz sein. Du darfst sogar darauf stolz sein.«
Lassiter schob den Brief achtlos von sich.
»Und wenn ich kein Interesse habe?«, murmelte er.
Sie lächelte überlegen.
»Dir bleibt wohl keine andere Wahl mehr«, sagte sie. »Du hast Ted Grant erschossen, den ältesten Sohn von Theodore Grant. Seinen Lieblingssohn. Jetzt musst du kämpfen. Ob du willst oder nicht. Selbst Flucht ist zwecklos. Sie würden dich verfolgen. Und irgendwann würden sie dich zum Kampf stellen.«
Lassiter nickte.
Das Mädchen gefiel ihm. Nicht nur wegen ihrer Schönheit. Auch wegen ihrer Leidenschaft und Überzeugungskraft.
»Ich glaube, du hättest mich auch rumgekriegt, wenn das nicht passiert wäre«, sagte er grinsend. »Treten die Grants und ihr Anhang eigentlich öffentlich in Erscheinung? Oder verüben sie ihre Verbrechen nur in den Nächten und unter dem Schutz ihrer Kapuzen?«
»Nur heimlich«, sagte sie. »Nach außen hin sind die Grants ehrbare Leute. Obwohl jedermann weiß, dass sie hinter den verschiedenen Lynchmorden der letzten Zeit stecken, wagt niemand, es offen auszusprechen. Alle Leute fürchten sich. Jeder hat Angst, er könnte der nächste sein, der eines Morgens mit einem Strick um den Hals gefunden wird.«
Lassiter stand auf und zog die Mulattin an sich heran.
»Wir sollten für den Rest dieser Nacht zu Bett gehen«, sagte er. »Morgen reite ich dann zu Isaak Volpone. Ich halte es für wichtig, zuerst mit ihm zu sprechen.«
Sie schmiegte sich an ihn. Durch das dünne Leinenkleid spürte er die Wärme ihrer Haut und die Rundungen ihres Körpers.
Ihr Kuss war weich und voller Leidenschaft.
Sie gingen in die kleine Schlafkammer. Um das kleine Haus herrschte tiefe Stille. Die Stadt schlief. Niemand außer den Beteiligten hatte etwas von dem Drama bemerkt, das sich auf der Lichtung vor der Stadt abgespielt hatte.
»Ich habe Angst«, flüsterte Dita.
Lassiter setzte sich auf die Bettkante und zog das Mädchen zu sich hinab. Wie immer während oder kurz nach besonders gefährlichen Situationen packte ihn das Verlangen besonders heftig.
»Noch einmal lassen wir uns nicht überraschen«, sagte er beruhigend. »Diesmal werde ich auf der Hut sein. Ich konnte am Abend ja nicht wissen, dass sie so schnell angreifen würden.«
Er streifte ihr das Kleid über den Kopf. Ihre braune Haut glänzte in dem Streifen des Mondlichts, das durch das schmale Fenster fiel. Dita gab sich dem großen Mann hin mit der ganzen Leidenschaft, der sie fähig war.
Bis sie endlich schliefen. Lassiters Sinne waren auch im Schlaf noch angespannt. Er wusste, dass er bei geringsten verdächtigen Geräuschen aufwachen würde.
Diese Art zu schlafen hatte er in der Wildnis gelernt. Harte, entbehrungsreiche Abenteuer hatten seinem Leben ihren Stempel aufgedrückt.
Die Nacht verrann jedoch, ohne dass etwas geschah. Als es in der Stadt lebendig wurde, erwachten auch die beiden Menschen in dem kleinen Haus am Stadtrand.
Während Dita das Frühstück zubereitete und Lassiter sich vor dem kleinen Spiegel rasierte, kam eine Reitergruppe von Norden her auf die Stadt zu.