1,99 €
Mit einer vernichtenden Wucht eines Tornados wirbelte Lassiter durch den Saloon in der Banditenstadt. Rau und rücksichtslos. Er schonte sich selbst so wenig wie seine Gegner. Denn sie hatten Jay in ihrer Gewalt, Lassiters kleinen Sohn.
Jay stand noch immer drüben bei der Tür, festgehalten von der hässlichen dicken Frau. Lassiter hörte die Schreie des Jungen durch den Lärm.
Mit blanken Fäusten kämpfte er weiter. Diese Schufte hatten ihm Waffen und Geld genommen. Und jetzt hatten sie seinen Sohn in ihre Gewalt gebracht. Aus Rache. Und um ihn zu zwingen, für sie mitten in die Hölle zu springen ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 175
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
SIE RAUBTEN LASSITERS SOHN
Vorschau
Impressum
SIE RAUBTENLASSITERS SOHN
von Jack Slade
Lassiter zügelte sein müdes Pferd im Schatten der Baumgruppe auf dem Hügel über der Stadt.
Ein heißer Tag. Ein heißer Ritt.
Seit sieben Tagen war er auf der Flucht.
Wells Fargos Agenten jagten ihn wieder einmal. Unter Führung von Sidney Blood, dem Spezialagenten der mächtigen Company, waren sie hinter ihm her.
Seine Zickzack-Fährte verlief von Osten nach Westen durch das Indianerterritorium. Er hatte alle möglichen Tricks angewendet, um die Verfolger abzuschütteln.
Es schien ihm gelungen zu sein. Trotzdem behielt er weiterhin die Vorsicht des Wolfes bei, der gejagt wird. Diese Vorsicht war ihm zur zweiten Natur geworden und hatte ihm schon mehr als einmal das Leben gerettet.
Lange verharrte er im Sattel und spähte auf die Stadt hinab. Er sah die breite Fahrbahn, die Häuser und den Fluss, der sich am Westrande der Stadt nordwärts schlängelte.
Die Stadt hielt ihren Mittagsschlaf. Auf der Straße war kein Mensch zu sehen. Vor dem General Store stand ein Kastenwagen ohne Pferdegespann. Ein Hund lag schläfrig in der Sonne. Er war das einzige Lebewesen, das Lassiter zwischen den Häusern ausmachen konnte.
Er ließ den Blick am Fluss entlang schweifen. In den grünen Büschen, die das Ufer säumten, nahm er eine Bewegung wahr. Eine Weile spähte er aufmerksam. Dann flog ein Lächeln über seine Züge.
Langsam ritt er an und lenkte sein Pferd auf die Stelle nördlich der Stadt zu. Der Grasteppich dämpfte den Hufschlag. Das Tier witterte das Wasser und drängte nach vorne.
Etwa zwanzig Schritt vom Fluss entfernt zügelte Lassiter es erneut. Er stützte sich lässig auf das Sattelhorn und sah den drei Mädchen zu, die im Fluss schwammen. Lachend bespritzten sie sich gegenseitig mit Wasser. Dann stieg eine von ihnen ans Ufer.
Sie hatte einen schlanken Körper mit festen, nicht allzu großen Brüsten. Etwa achtzehn Jahre alt war sie nach Lassiters Schätzung.
Ihr von der Sonne leicht gebräunter Körper war von glitzernden Wassertropfen bedeckt. Lachend schüttelte sie den Kopf, so dass die langen nassen Strähnen ihres schwarzen Haares hin und her flogen. Ein herrlicher Anblick.
Sie hatte Lassiter noch immer nicht bemerkt, der von Büschen halb verdeckt wurde. Nun wandte sie sich der großen bunten Decke zu, die nahe beim Flussufer ausgebreitet lag. Sie kniete nieder und wollte sich ausstrecken, um faul in der Sonne zu liegen.
Im nächsten Augenblick fuhr sie mit einem Schrei hoch. Es war in derselben Sekunde, als ihre beide Freundinnen ans Ufer kletterten.
Alle drei starrten entsetzt auf denselben Punkt. Nicht in Lassiters Richtung.
Auch der große Mann sah, was die Mädchen so sehr erschreckt hatte.
Es waren drei Kerle. Sie gehörten zu der Sorte, die Lassiter nicht riechen konnte. Bärtig, verdreckt und verlaust. Satteltramps.
Wahrscheinlich hatten sie darauf gewartet, bis alle drei Mädchen das Wasser verlassen hatten.
Schweigend rannten sie auf die drei zu. Die Mädchen wollten sich ins Wasser retten, aber die Kerle hatten ihnen diesen Weg bereits abgeschnitten.
Jeder von ihnen bekam ein Mädchen zu packen, warf es zu Boden.
Lassiter ritt ein Stück näher. Das Geschrei der Mädchen erfüllte die Luft. Sie wehrten sich verzweifelt gegen die rohe Kraft der drei Kerle. Niemand bemerkte den Reiter. Weder die Mädchen noch die Schufte.
Schweigend sprang der große Mann aus dem Sattel. Noch immer schweigend griff er an.
Es war, als ob ein Tornado heransauste.
Zuerst riss Lassiter den Kerl herum, der auf jenem schwarzhaarigen Mädchen kniete, es auf die Erde presste und seine gierigen Finger in das weiche Fleisch der Brüste krallte.
Der Mann riss den Mund zum Schrei auf, aber kein Ton kam über seine bartumwucherten Lippen.
Lassiters Faust war schneller. Sie krachte dem Kerl auf die Kinnspitze und schickte ihn für die nächsten Minuten ins Reich der Träume.
Jetzt erst bemerkten die anderen beiden Kerle, dass etwas geschehen war, das nicht in ihr Programm passte.
Sie ließen von ihren Opfern ab und stürzten sich mit wütendem Gebrüll dem großen Mann entgegen. Sie wollten nach ihren Revolvern greifen, aber auch diesmal war Lassiter schneller.
Seine Hände schlossen sich wie Klammern um ihre Kehlen.
»Hundesöhne!«, knurrte er und schmetterte ihre Köpfe gegeneinander.
Es gab einen dumpfen Laut. Die beiden bekamen glasige Augen, und als Lassiter sie losließ, sackten sie in sich zusammen.
Die drei Mädchen rannten zu der bunten Decke, auf der sie ihre Kleider abgelegt hatten. Ohne sich erst abzutrocknen, schlüpften sie hinein und drängten sich furchtsam aneinander. Wie ein Rudel Rehe.
Lassiter lächelte ihnen beruhigend zu.
»Sie brauchen keine Angst mehr zu haben«, sagte er. »Diese Schufte werden Ihnen nicht mehr gefährlich.«
»Mein Gott!«, flüsterte das schwarzhaarige Mädchen mit bebender Stimme, die verriet, dass sie noch immer unter der Schockwirkung des Geschehenen litt. »Sie hat uns der Himmel geschickt, Mister...«
Im letzten Wort schwang die unausgesprochene Frage nach dem Namen mit.
Lassiter zog lächelnd den großen, staubbedeckten Hut.
»Mein Name ist Lassiter«, sagte er freundlich. »Kennen Sie diese Kerle?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf.
»Sie sind fremd in dieser Gegend. Wir sehen sie zum ersten Mal.«
Die drei Burschen schlugen kurz hintereinander die Augen auf. Lassiter zog seinen Revolver.
»Aufstehen und die Gurte abschnallen!«, befahl er.
Die drei gehorchten knurrend.
Nachdem ihre Revolver mit den Gurten auf der Erde lagen, steckte Lassiter seine Waffe wieder ins Holster.
Die drei betrachteten ihn voller Heimtücke aus schmalen Augen. Sie lauerten auf eine Chance, schienen sich aber noch nicht zu trauen.
»Verschwindet!«, sagte Lassiter.
Sie starrten ungläubig. Mit allem hatten sie gerechnet, nur nicht damit, dass dieser Mann sie laufenlassen würde.
»Kommt, Jungs!«, knurrte der größte der drei Burschen mit heiserer Stimme. Er hatte rotes Haar und ein hässliches, von roten Bartstoppeln bedecktes Gesicht.
Sie setzten sich in Bewegung. Plötzlich zauberte der Rothaarige ein Messer unter seinem zerschlissenen Cordrock hervor. Mit einem Schrei schleuderte er die funkelnde Klinge auf Lassiter zu.
Die drei Mädchen schrien entsetzt auf.
Lassiter warf sich reaktionsschnell zur Seite. Die Klinge verfehlte ihn um Haaresbreite und bohrte sich hinter ihm in den schlanken Stamm einer Esche.
Gleichzeitig griffen ihn die drei Kerle erneut an. Jetzt wollten sie es wissen.
Der Rothaarige bückte sich nach seinem Revolver, während seine Kumpane auf Lassiter zurannten.
Jetzt erst zog Lassiter seinen Revolver. Es blieb ihm keine andere Wahl, als zu schießen. Der Rothaarige hatte bereits seine Waffe in der Hand und schwang den Arm hoch.
Lassiters Kugel riss ihn halb um die eigene Achse und warf ihn auf die Erde.
Die beiden anderen Kerle blieben wie erstarrt stehen. Lassiter stürzte sich auf sie.
»Verdammt sollt ihr sein!«, sagte er wütend und schlug sie mit dem Lauf seines Sechsschüssers von den Beinen.
Der Rothaarige lag stöhnend auf der Erde. Mühsam versuchte er, die Hand mit dem Revolver noch einmal anzuheben. Es gelang ihm nur halb. Lassiter sprang auf ihn zu und trat ihm die Waffe aus der Hand.
Dann nahm er die drei Revolver und warf sie in den Fluss.
»Ich sollte euch alle drei hinterherwerfen«, sagte er. »Etwas Besseres habt ihr im Grunde nicht verdient.«
Der Rothaarige grinste bösartig. Er sagte kein Wort, aber seine Augen sprachen Bände.
Lassiter wandte sich den drei Mädchen zu.
»Wenn Sie wollen, begleite ich Sie nach Hause«, sagte er. »Sicherlich wohnen Sie in der Stadt.«
Die drei nickten und setzten sich in Bewegung. Er nahm das Pferd am Zügel und zog es hinter sich her. Als sie sich ein Stück von den drei Kerlen entfernt hatten, blieben die Mädchen stehen. Sie befanden sich noch zwischen den Büschen, so dass sie von der Stadt aus nicht gesehen werden konnten.
»Ich bin Katie Simpson«, begann das schwarzhaarige Mädchen. Es deutete auf seine blonden Begleiterinnen und fuhr fort: »Meine Freundinnen Ann und Susan Berkley. Zwillinge, wie Sie sicherlich schon bemerkt haben, Mr. Lassiter. Meinem Vater gehört das Hotel. Ann und Susan sind die Töchter des Besitzers vom General Store. Wenn Sie irgendetwas benötigen, möchten wir uns gerne dankbar zeigen und Ihnen helfen.«
Lassiter schüttelte lächelnd den Kopf. Er brauchte nichts. Sein letzter Job in Arkansas hatte ihm so viel Geld eingebracht, dass er die nächsten Monate bequem davon leben konnte.
Auf Katies Gesicht schwebte ebenfalls ein Lächeln. Ihre Augen schimmerten.
Sie war ein schönes, begehrenswertes Mädchen.
Vor Lassiters Augen stieg das Bild auf, wie er sie gesehen hatte, als sie aus dem Fluss gestiegen war. Ein schlanker, sonnengebräunter Mädchenkörper, auf dessen Haut die Wassertropfen in der Sonne glitzerten.
»Wir haben noch eine Bitte, Mr. Lassiter«, fuhr Katie fort. »Es wäre nett, wenn Sie zu keinem Menschen in der Stadt über den Vorfall reden würden.«
Lassiter nickte.
»Ich verstehe«, sagte er. »Solche Berichte bringen unbescholtene Mädchen leicht in Verruf.«
»So ist es«, murmelte Katie. »Nackt im Fluss zu baden, sehen viele ältere Leute als eine schwere Sünde an. Reverend Paulsen würde es glatt in seiner nächsten Sonntagspredigt erwähnen, und die jungen Burschen von Hansford würden uns keine ruhige Minute mehr gönnen.«
»Bleibt nur zu hoffen, dass diese drei Kerle auch schweigen«, sagte Lassiter.
Katie Simpson schüttelte den Kopf.
»Ich glaube nicht, dass sie es wagen werden, sich in der Stadt auch nur blicken zu lassen«, meinte sie. »Haben Sie vor, einige Zeit in Hansford zu bleiben, Mr. Lassiter, oder sind Sie nur auf der Durchreise?«
Lassiter zuckte die Schultern.
»Vielleicht bleibe ich ein paar Tage«, murmelte er und schwang sich in den Sattel. »Ich gehöre zu den Leuten, die keine bestimmten Pläne haben. Bis später, meine Damen. Es ist sicherlich besser, wenn wir nicht gemeinsam zur Stadt kommen.«
Katie sah ihn von unten herauf an. Ihre vollen Lippen waren halb geöffnet. In den großen braunen Augen las er einen sehnsüchtigen Ausdruck. Er ahnte ihre Gedanken.
»Wir haben ein gutes Hotel mit schönen Zimmern«, sagte sie ziemlich unzweideutig. »Das sollten Sie wenigstens eine Nacht lang genießen, Mr. Lassiter.«
»Ich werde sehen, was sich machen lässt«, murmelte er. »Wie schon gesagt, es kommt nicht auf mich allein an.«
Er dachte an die Verfolger, die er gestern in der Frühe abgeschüttelt hatte. Vielleicht hatten sie die Jagd aufgegeben. Vielleicht tauchten sie noch heute in der Stadt Hansford auf.
Die drei Mädchen verließen den Gebüschstreifen und schritten auf die Stadt zu. Lassiter wartete, bis sie zwischen den Häusern verschwunden waren. Dann ritt er los.
In der Stadt war es noch immer ruhig. Auf der sonnendurchglühten Fahrbahn stand noch immer der Kastenwagen vor dem Store. Noch immer lag der gefleckte Hund träge im Sand und ließ sich von der Sonne bescheinen.
Lassiter ritt langsam durch die staubige Fahrbahn. Er saß leicht vornübergebeugt im Sattel. Die breite Krempe seines dunklen Hutes bedeckte sein Gesicht.
Er schien müde und abgekämpft zu sein, aber in Wirklichkeit war er hellwach, und nichts entging ihm beiderseits der Straße.
Hier und da sah er Männer, die im Schatten der Vorbaudächer träge in leinwandbespannten Stühlen saßen. Er bemerkte teils aufmerksame, teil misstrauische Blicke. Die drei Mädchen waren verschwunden.
Er ritt am Sheriff's Office vorbei. Durch die verstaubten Fensterscheiben nahm er den Schatten eines Mannes wahr, der gerade ein Glas oder eine Tasse an den Mund führte. Der Sheriff oder sein Gehilfe.
An dem großen schwarzen Brett links der Tür hing ein Sammelsurium von Steckbriefen. Lassiter ließ seinen Blick darüber gleiten, entdeckte einige bekannte Namen, seinen eigenen jedoch nicht.
Es wäre auch ungewöhnlich gewesen, wenn er jetzt noch vom Gesetz gesucht wurde. Seit seiner Affäre mit Wells Fargo war schon viel Zeit vergangen, und das Gesetz hatte kaum noch Interesse an ihm. Nur Wells Fargo war noch immer scharf auf seinen Skalp.
Sie würden ihn niemals zur Ruhe kommen lassen.
Und er selbst würde auch keine Gelegenheit auslassen, ihnen einen empfindlichen Schlag zu versetzen.
Sie hatten ihm zu übel mitgespielt. Seine Existenz vernichtet, sein Leben in völlig andere Bahnen gelenkt. Niemals würde er das Bild seines Partners vergessen. Wie er ihn gefunden hatte, nachdem er sich aus Verzweiflung das Leben genommen hatte.
Wells Fargo war ein gefräßiger, unersättlicher Moloch. Die Company duldete keine Konkurrenz an ihrer Seite. Sie wollte allein das gesamte Post- und Frachtwagennetz des Westens beherrschen.
Deshalb hatten sie auch Lassiter vernichtet, der zusammen mit seinem Partner jene Linie in Colorado gegründet hatte.
Und Lassiter hatte zurückgeschlagen. Er hatte Geldtransporte überfallen und Panzerschränke geknackt. In wenigen Monaten war er zur größten Gefahr für Wells Fargo geworden.
Es war schon lange her, seit er zum letzten Mal mit der Company zusammengestoßen war, aber sobald ihn ihre Agenten irgendwo ausfindig machten, begann erneut die große Jagd.
Daran war vor allen Dingen Sidney Blood schuld. Spezialagent von Wells Fargo. Genannt der Bluthund. Für ihn war die Jagd auf Lassiter zu einer Prestigeangelegenheit geworden.
Sidney Blood hasste Lassiter. Seinetwegen hatte er schon manche Rüge von den großen Bossen in San Francisco einstecken müssen. Ausgerechnet er, der fähigste Agent von allen, hatte es nicht geschafft, das Wild Lassiter zu stellen und zu erlegen.
Deshalb war Lassiter seit langem nicht mehr nur sein beruflicher, sondern auch sein persönlicher Feind. Aber neben dem tiefen Hass gab es noch etwas anderes zwischen ihnen: tiefen Respekt voreinander.
Blood hätte Lassiter schon mehr als einmal töten können. Umgekehrt war es genauso. Wie oft hatte Lassiter schon mit der Waffe in der Hand dem unterlegenen Blood gegenübergestanden!
Während Lassiter auf den Mietstall zuritt, überkamen ihn diese Gedanken. Das Knarren des breiten Tors holte ihn in die Gegenwart zurück. Ein dürrer, glatzköpfiger Mann mit dem Gesicht eines vertrockneten Apfels und in verwachsenem Overall erschien in der dunklen Öffnung. Er musste vor kurzem noch im Stroh geschlafen haben. Man sah es den Halmen an, die an seinen Kleidern hingen.
Lassiter überließ dem Mann das Pferd und folgte ihm in den Stall, um sich die anderen Tiere anzusehen.
»Sind vor mir Fremde angekommen?«, fragte er, während sein Blick über die Boxen glitt.
Das verschrumpelte Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. Aber der dürre Mann gab keine Antwort.
Lassiter holte einen Silberdollar aus der Tasche. Die Münze glänzte matt im Zwielicht.
»Gestern Abend kam einer«, sagte der Schrumpfapfel schnell. »Nur einer, Mister. Der Rote da gehört ihm.«
Lassiter sah sich das Pferd an. Von seinen sieben Verfolgern hatte keiner einen Fuchs geritten.
»Wie sah der Mann aus?«
»Nicht so groß wie Sie, Mister. Hat schwarzes Haar und trägt schwarze Kleidung. Sieht aus wie ein Revolvermann. Scheint ein gefährlicher Bursche zu sein.«
Lassiter gab dem Stallburschen den Dollar, lud sich seine Gepäckrolle auf die linke Schulter und nahm das Gewehr in die Rechte. So verließ er den Stall.
Im gleichen Augenblick tauchte weiter oberhalb auf dem Vorbau des Panhandle-Saloons ein Mann auf. Lassiter war vom Sonnenlicht etwas geblendet und sah nur die Umrisse des Mannes.
Ruhig ging er weiter. Sein erstes Ziel war das Hotel. Er wollte im zum Hotel gehörenden Speiserestaurant essen, ein Zimmer nehmen, baden, die verstaubte Kleidung wechseln und im Übrigen die Nacht über in der Stadt bleiben. Wenigstens für diese eine Nacht.
Die schwarzhaarige Katie Simpson war eine Verlockung, der ein Mann nicht so leicht widerstehen konnte.
Der Mann unter dem Vorbaudach des Panhandle-Saloons stand unbeweglich wie eine Statue.
Er wartete, bis Lassiter sich ihm genau gegenüber auf dem anderen Gehsteig befand.
»Heh, Lassiter!«, rief er.
Der große Mann blieb stehen und wandte sich dem anderen lässig zu. Nach der Beschreibung des Stallburschen musste es der Dunkelgekleidete sein, der am Vorabend hier angekommen war.
Seine Haltung ließ keinen Zweifel an dem, was er vorhatte. Die rechte Hand hing hinter dem Kolben des tiefgeschnallten Revolvers. Er grinste überheblich. Und er hatte allen Grund dazu. Er war im Vorteil. Lassiter hatte kaum eine Chance gegen ihn. Auf der linken Schulter trug er seine Gepäckrolle. Seine rechte Hand schloss sich um den Kolbenhals der Winchester.
Unmöglich, so zu schießen. Dazu brauchte man beide Hände. Die eine zum Repetieren, die andere zum Abdrücken.
Lassiters zweite Möglichkeit war es, die Winchester und den Packen einfach fallen zu lassen und blitzschnell den Revolver zu ziehen.
Aber auch dann würde der Dunkelgekleidete schneller sein.
Lassiter war sicher, dass er einem ganz ausgekochten Halunken gegenüberstand. Allein die Position, die er für den Kampf gewählt hatte, bewies es. Er hatte Lassiter so gestellt, dass jener in die Sonne blicken musste, wenn es zum Schusswechsel kam.
»Gehörtest du zu den sieben?«, fragte Lassiter.
Der andere schüttelte den Kopf.
»Ich erledige meine Geschäfte stets allein«, sagte er. »Deshalb habe ich auch bis heute noch immer Erfolg gehabt. Bliss Kilroy mein Name. Gehöre seit zwei Monaten zur Spezialtruppe der Company. Die Sache hier wird mich ein schönes Stück weiterbringen. Schätze, dass mich Donald Hume auf Bloods Posten befördert.«
Bliss Kilroy!
Den Namen hörte Lassiter nicht zum ersten Mal. Ein gefährlicher Mann. Seine Heimat war Arizona. Wenn nur ein Teil von dem stimmte, was man sich dort über ihn erzählte, war Lassiter schon jetzt ein toter Mann.
»Scheinst ein kluger Junge zu sein«, gab Lassiter zurück.
Kilroy lachte leise.
»War kein Kunststück, Lassiter. Gestern Morgen erhielt ich in Amarillo ein Telegramm aus Dodge. Blood teilte mit, dass er deine Spur im Reservat verloren habe. Er sei einer Spur nach Norden gefolgt. Über die Kansas-Grenze Richtung Dodge City.«
»Es war ein hartes Stück Arbeit, diese Fährte zu legen«, sagte Lassiter. »Ich hätte trotzdem nicht geglaubt, dass der Bluthund darauf hereinfallen würde.«
»Er ist es aber«, sagte Kilroy kalt. »Sein Pech – mein Glück. Dadurch werde ich bald Boss der Sicherheitsabteilung von Wells Fargo sein. Als ich das Telegramm erhielt, habe ich mir zuerst mal sorgfältig die Landkarte angesehen. Ich war ziemlich sicher, dass du in diesem Teil des Panhandles auftauchen würdest. Hier ist man noch immer ziemlich sicher, wenn man gejagt wird.«
Sie unterhielten sich wie zwei alte Bekannte, die sich zufällig nach Jahren begegnet sind. Nicht wie zwei Männer, die wussten, dass es in der nächsten Sekunde um Leben und Tod gehen würde. Das war der Grund, warum noch niemand auf sie aufmerksam geworden war.
»Willst du mich erschießen, Kilroy?«, fragte Lassiter sanft.
»Das kommt ganz auf dich an, Lassiter. Du kannst dich ja auch ergeben. Dann bekommst du eine faire Verhandlung und alles, was noch dazu gehört.«
»Ich weiß«, sagte Lassiter trocken. »Lebenslang Gefängnis oder einen Strick um den Hals.«
Er hielt den Kopf leicht gesenkt, so dass die breite Stetsonkrempe seine Augen beschattete. Inzwischen hatte er sich an das grelle Licht der Sonne gewöhnt.
»Sicher«, sagte Kilroy. »Das eine oder das andere erwartet dich auf jeden Fall.«
Dann zog er. Die schwarze Mündung seines großkalibrigen Revolvers zeigte auf Lassiter, der ruhig stehengeblieben war. Wenn er sich bewegt hätte, wäre er jetzt schon ein toter Mann.
Es war erstaunlich, wie schnell Kilroy seine Waffe aus dem Holster gezaubert hatte. Ein wirklich erstklassiger Revolvermann. Einer der ganz Großen dieser Zeit.
Langsam kam er über die Straße, Lassiter unverwandt im Auge behaltend. Er schien genau zu wissen, wie gefährlich der große Mann war. Lassiter war davon überzeugt, dass Kilroy bei der ersten verdächtigen Bewegung schießen würde.
Ruhig ließ ihn Lassiter herankommen. Er wusste genau, wann ein Mann passen musste. Das hier war eine von jenen aussichtslosen Situationen.
»Du bist vernünftiger, als ich gedacht habe«, sagte Kilroy. »Ich nehme an, du rechnest dir für unterwegs eine Chance aus, wenn ich dich nach San Francisco bringe. Aber ich bin anders als Blood. Ihm konntest du schon ein paar Mal entkommen. Mir wird das nicht passieren. Ich schwöre es dir.«
Lassiter nickte gleichmütig. Er schien resigniert zu haben. In Wirklichkeit waren seine Nerven aufs Äußerste angespannt. Nichts an ihm deutete darauf hin, wie sehr er sich konzentrierte.
Jetzt trennten Kilroy nur noch zwei Schritte von der Gehsteigkante, auf der Lassiter stand.
Er hielt an.
»Lass das Gewehr fallen!«, befahl er.
Die Waffe polterte auf die Bretter des Gehsteigs.
»Und jetzt den Packen!«
Lassiter nickte. Ohne das Gewehr in der Rechten fühlte er sich schon bedeutend wohler. Der Arm hing schlaff herab. Sein Handgelenk berührte den perlmuttbeschlagenen Kolben des Remington Colts.
»Ich warne dich«, sagte Kilroy.
»Schon gut«, murmelte Lassiter. »Mach dir nur nicht gleich in die Hosen!«
Er ließ den anderen seine Verachtung deutlich spüren. Eine Blutwelle schoss in das Gesicht des Revolvermannes.
»Mir wäre es anders auch lieber gewesen«, knurrte er. »Aber ich habe leider meine Anweisungen von Wells Fargo. Die Company möchte vermeiden, dass die Mitglieder ihrer Spezialtruppe in den Ruf von Schießern kommen. Ich hätte dir sonst eine Chance zum Ziehen gegeben. Dann wärst du jetzt schon eine Leiche.«
»Kein Mensch kann ewig leben«, sagte Lassiter spöttisch und tat so, als ließe er den Packen von der Schulter gleiten. Aus dieser Bewegung heraus explodierte er.
Der Packen flog auf den Revolvermann zu. Gleichzeitig warf sich Lassiter zur Seite.
Kilroys Colt donnerte auf. Die erste Kugel streifte Lassiters linken Arm. Die schwere Gepäckrolle prallte im gleichen Sekundenbruchteil gegen Bliss Kilroys Körper. Die Rolle war schwer und brachte den schwarzgekleideten Mann ins Taumeln.
Seine zweite Kugel flog weit an Lassiter vorbei.
Und dann hatte auch Lassiter gezogen. Als Bliss Kilroy sich gefangen hatte und zum dritten Mal schoss, feuerte auch Lassiter.
Die Mündungslichter kreuzten sich. Durch den Pulverrauch sah Lassiter, wie Bliss Kilroy schwankte. Aber er gab noch nicht auf. Ein Zeichen dafür, dass ihn die Kugel nicht schwer getroffen hatte.
Schwankend kam er durch die Wolke von Pulverdampf, und sein Revolver donnerte noch zweimal auf.