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Lassiter stand aufrecht vor der Hauswand, die Hände auf den Rücken gefesselt. Die drei Männer hoben langsam ihre Gewehre. In ein paar Sekunden würde Lassiter tot sein.
Er blickte an den drei Schuften vorbei auf die beiden Frauen. Debra trug wieder dieses dünne Kleid, durch das die weiße Haut ihres Körpers schimmerte. Die Halbindianerin war wie fast immer nur mit dem schmalen Lendenschurz bekleidet. Selbst jetzt noch für Lassiter ein erregender Anblick.
"Du hast Pech gehabt, Lassiter", sagte Benjamin MacNepp. "Pech, dass du hinter unser Geheimnis gekommen bist. Dafür musst du sterben. Hier und jetzt. Knallt ihn nieder, Männer!"
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Seitenzahl: 177
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
LASSITER UND DIE UNHEIMLICHE FAMILIE
Vorschau
Impressum
LASSITER UND DIEUNHEIMLICHE FAMILIE
von Jack Slade
Von der Kutsche war nur noch ein rauchender Trümmerhaufen übriggeblieben. Eine dünne schwarze Rauchfahne stieg senkrecht in die heiße Luft des Mittags empor und zerfaserte am blauen Himmel.
Die Pferde lagen tot im Zuggeschirr. Von Pfeilen gespickt. Von Kugeln durchbohrt.
Der eine der beiden Fahrer saß zusammengesunken auf dem Sitz. Es sah aus, als schliefe er. Ein gefiederter Pfeilschaft ragte seitlich aus seinem Hals. Noch immer rann Blut aus der Wunde, tränkte sein buntkariertes Baumwollhemd und gerann in der höllischen Hitze zu einer starren Kruste.
Fliegenschwärme umtanzten ihn und die anderen Toten. Sie alle waren skalpiert.
Die Apachen hatten ganze Arbeit geleistet.
Lassiter verharrte auf seinem Pferd und spähte in die Senke hinab. Keine Spur von Leben mehr. Am Himmel kreisten als dunkle Punkte die Geier.
Langsam ritt der große Mann hinunter. Noch immer wachsam, vorsichtig, lauernd.
Er befand sich im Apachengebiet. Am Rande der San Carlos Reservation. Die roten Krieger hatten sich wieder einmal zusammengeschlossen, um dem weißen Mann einen Denkzettel zu erteilen. Wie so oft in den letzten Jahren.
Ihre Stärke war, dass sie in diesem Land aufgewachsen waren. Dies war ihre Heimat. Sie kannten jeden Stein, jeden Baum, jeden Strauch. Sie waren in der Nähe, wenn man sie am wenigsten vermutete. Auch jetzt konnten sie in der Nähe sein. Vielleicht hinter jenem Creosotstrauch dort drüben. Oder in dem Gewirr der großen Felsbrocken, die die Hänge der staubigen Senke bedeckten.
Lassiter witterte ihre Nähe. Er hatte einen siebenten Sinn. Den Instinkt eines Jagdhundes. Oder eines Wolfes.
Während er in die Senke hinabritt, lag das Gewehr quer über seinen Schenkeln. Winchester 73. Eine gute Waffe. Schnell, zuverlässig und leicht zu handhaben.
Unter der Krempe seines Hutes hervor beobachtete der große Mann die Umgebung. Die Sonne brannte heiß auf seinen Nacken. Ringsum herrschte tiefe Stille.
Lassiter zügelte das Pferd vor dem ersten Toten. Das Tier scheute vor dem Blutgeruch. Ein dicker Mann in einem langschößigen schwarzen Tuchrock. Seine weit aufgerissenen Augen spiegelten das Sonnenlicht. Auf seinem Gesicht zeichnete sich noch das Entsetzen ab. Der Mund klaffte vom Todesschrei.
Ein Pfeil ragte aus dem Magen des Mannes. Ein Tomahawk hatte seinen Schädel gespalten. Dort, wo das Haar gewesen war, befand sich nur noch eine blutige Masse. Der Mann war zuerst skalpiert und dann erschlagen worden.
Lassiter ließ seinen Blick schweifen. Der Tod hatte reichlich geerntet. Zusammen mit den beiden Fahrern waren sieben Männer und eine ältere Frau den Rothäuten zum Opfer gefallen.
Sie alle sahen gleichermaßen entstellt aus. Kein schöner Anblick.
Der große Mann hob leicht die Zügel. Er konnte hier nicht mehr helfen. Er musste weiter. Nach Maverick. Seiner Schätzung nach waren es noch fünfzehn oder zwanzig Meilen bis zu dieser Stadt. Ein alter Freund wartete dort auf ihn. Jeremy Dawson. Der Mann war in Schwierigkeiten. Und wenn Lassiter einem Freund helfen konnte, dann tat er es.
Er wusste noch nicht, worum es ging. Er hatte lediglich jenen Brief erhalten: Brauche Deine Hilfe. Jeremy Dawson.
Und nun war Lassiter auf diese Postkutsche gestoßen. Auf die Toten. Die nächste Station war die Stadt Maverick. Lassiter würde dort Bescheid sagen. Es war alles, was er tun konnte.
Das Schwirren einer Bogensehne erreichte sein Ohr. Instinktiv duckte er sich, warf sich aus dem Sattel.
Sein Pferd bäumte sich schrill wiehernd auf. Zwei Pfeile waren tief in seine Flanke gedrungen. Eine Gewehrkugel riss das Tier endgültig von den Beinen.
Schwer fiel es auf die Seite, schlegelte mit den Beinen und stieß einen fast menschlich klingenden Todesschrei aus.
Lassiter warf sich hinter dem Tierkörper in Deckung. Drei Apachen waren zwischen den großen Felsen am Hang aufgetaucht. Zwei waren mit Pfeil und Bogen, einer mit einem Gewehr bewaffnet. Braune, sehnige Gestalten. Tiefschwarzes, fettiges Haar, das bis auf die Schultern reichte. Grell bemalte Gesichter.
Lassiter zielte auf den Krieger mit dem Gewehr und traf ihn voll. Der Mann riss beide Arme hoch, ließ das Gewehr fallen, kippte nach vorne. Mit ausgebreiteten Armen blieb er liegen.
Die beiden anderen waren blitzschnell verschwunden. Jetzt lauerten sie hinter ihrer Deckung.
Lassiter spähte angestrengt. Tiefe Stille. Wieder das Schwirren von Bogensehnen. Pfeile hoben sich in die hitzeflirrende Luft und senkten sich auf Lassiter herab. Das eine Geschoss blieb dicht vor seinem Gesicht im Bauch des toten Pferdes stecken. Dem zweiten Pfeil konnte Lassiter nur ausweichen, indem er sich blitzschnell zur Seite rollte.
Wieder Minuten des gegenseitigen Belauerns. Lassiter wartete. Mehr konnte er nicht tun. Er lag flach auf die heiße Erde gepresst. Der Gewehrlauf ruhte auf dem noch warmen Pferdeleib. Der brünierte Lauf glitzerte in der Sonne. Blutgeruch erfüllte die Luft. Blut von Menschen und Tieren.
Lassiter befand sich inmitten einer Welt von Tod und Verderben. Am Himmel kreisten die Geier. Sie warteten. Sie waren sich der Beute sicher. Genauso sicher wie die beiden Apachen.
Sie konnten sich Zeit lassen. Sie konnten den Mann in der Senke belagern, bis er vor Durst und Hitze wahnsinnig wurde. Bis sie Verstärkung bekamen.
Der große Mann musste handeln. Es war die einzige Möglichkeit, dem Verderben zu entrinnen.
In einem jähen Entschluss sprang er auf. Die beiden Apachen stießen überraschte Schreie aus. Damit hatte keiner von ihnen gerechnet. Sie erhoben sich hinter ihrer Deckung, spannten die Bogen.
Lassiter feuerte aus der Hüfte heraus. Nur der eine der beiden Apachen kam noch dazu, seinen Pfeil abzuschießen. Die scharfe Steinspitze streifte Lassiters Rippenbogen und riss eine brennende Furche in seine Haut.
Der Apache stieß einen gellenden Kriegsschrei aus, als er sah, wie Lassiter leicht schwankte. In der Rechten schwang er das Kriegsbeil und rannte auf den Weißen zu.
Lassiter zielte ruhig. Die erste Kugel traf den Indianer in die Brust. Aber er fiel noch nicht. Er hatte noch die Kraft, den Tomahawk auf den Feind zu schleudern.
Die Streitaxt verfehlte Lassiter nur knapp. Der Indianer riss das Messer aus dem Gürtel. Blut floss aus der Kugelwunde in seiner Brust. Er war schwer getroffen, aber der Hass auf den weißen Mann hielt ihn weiterhin auf den Beinen.
Mit dem Messer in der Faust wankte er heran.
Lassiter schoss noch einmal. Es war das Ende für den Apachen. Er war tot, bevor er auf die Erde krachte.
Alle drei waren tot. Sie stellten für Lassiter keine Gefahr mehr dar. Und nichts ließ auf die Nähe von anderen Indianern schließen.
Der große Mann schulterte sein Gewehr und ging zu seinem toten Pferd zurück. Er nahm die blecherne Wasserflasche vom Sattel und trank. Whisky wäre ihm jetzt lieber gewesen. Aber die Whiskyflasche befand sich in der linken Satteltasche. Unter dem schweren Pferdekadaver. Unmöglich, da heranzukommen.
Er hängte sich die Wasserflasche am Riemen über die linke Schulter und marschierte davon. Zuerst hielt er Ausschau nach den Mustangs der Apachen, aber offensichtlich waren die Krieger unberitten gewesen. Diese Wüstenindianer waren geborene Läufer. In ihrem ausdauernden Wolfstrab legten sie weitere Strecken zurück als manches Pferd. Es waren unglaublich zähe und ausdauernde Männer.
Es blieb Lassiter nichts anderes übrig, als den Rest seines Weges zu Fuß hinter sich zu bringen. Es machte ihm nicht viel aus. Er hatte schon ganz andere Strecken marschieren müssen. Die fünfzehn oder zwanzig Meilen, die vor ihm lagen, waren vergleichsweise eine harmlose Angelegenheit.
Ein wüstenartiger Landstrich breitete sich vor ihm aus. Heißer, glitzernder Sand, Kakteen, dürre Sträucher und vereinzelte Josuah-Bäume. Gefährliche Schlangen und Skorpione konnten den Tod bringen.
Der Postkutschenweg beschrieb einen weiten Bogen nach Osten. Es gab für Lassiter zwei Möglichkeiten. Entweder auf dem Weg zu bleiben oder geradewegs in die Wüste hineinzumarschieren und damit abzukürzen. Lassiter entschied sich für die zweite Möglichkeit.
Er marschierte in die Wüste hinein. Nach Süden. Er hatte nicht viel mehr als eine halbe Meile zurückgelegt, als er auf die Fährte stieß. Spuren unbeschlagener Pferdehufe. Spuren von Indianerpferden. Und noch etwas sah Lassiter. Ein roter Stofffetzen hob sich deutlich vom hellen Sand der Wüste ab.
Lassiter hob das Tuch auf und schnupperte daran. Es roch nach herbem Parfüm. Ein Fetzen aus dem Kleid einer Frau.
Die Fährte führte nach Westen in die Wüste hinein. Lassiter kombinierte. Eine weiße Frau in den Händen von Apachen. Und die Spur kam von Norden. Aus der Richtung, aus der auch Lassiter gekommen war. Das bedeutete, dass es sich bei dieser Frau um die einzige Überlebende des Postkutschenüberfalls handelte.
Entschlossen setzte sich der große Mann wieder in Bewegung. Er folgte der Fährte der Indianer. Er hätte weiter nach Süden marschieren können, ohne sich um die Frau zu kümmern. Es widerstrebte ihm. Er hatte in seinem Leben schon zu viel gesehen. Er wusste, wie Indianer weiße Gefangene zu behandeln pflegten. Auch Frauen gegenüber waren sie meistens sehr grausam.
Lassiter sah, dass es ungefähr ein Dutzend Mustangs waren. Und eines der Pferde trug doppelte Last. Es musste das Tier des Kriegers ein, der jene Frau in seiner Gewalt hatte.
Wenn sie Glück hatte, nahm er sie mit in sein Dorf und machte sie zu seiner Squaw. Dann musste sie arbeiten wie ein Pferd, würde regelmäßig ihre Prügel beziehen und in ein paar Jahren wie eine alte Frau aussehen. Lassiter kannte das. Er hatte schon Frauen gesehen, die aus indianischer Gefangenschaft befreit worden waren.
Das war es also, was diese Frau erwartete, wenn sie Glück hatte. Wahrscheinlicher war jedoch, dass Schlimmeres auf sie zukam. Vergewaltigung, Folter und schließlich der erlösende Tod.
Von nun an war Lassiter äußerst wachsam. Das Gewehr hing zwar weiterhin am Riemen um seine Schulter, aber die Mündung zeigte nach vorne, und Lassiters Hand lag auf dem Kolbenhals. Im Notfall würde er blitzschnell schießen können.
Eine Stunde verrann. Es war vier Uhr am Nachmittag und noch immer höllisch heiß.
Wieder einmal blieb Lassiter stehen, um einen Schluck aus der Wasserflasche zu nehmen.
In diesem Augenblick hörte er den Schrei. Er gellte über den heißen Sand und zerflatterte zitternd in der hitzeflimmernden Luft.
Lassiter schraubte die Flasche wieder zu und setzte sich in Bewegung. Und wieder hörte er den Schrei.
Lassiter sah sechs Indianer an dem kleinen Wasserloch. Sechs rote Männer und die Frau. Die Krieger trugen lederne, fransenbesetzte Beinkleider. Ihre Oberkörper waren nackt und mit Kriegsfarben bemalt. Einer hatte ein Stirnband und eine Adlerfeder.
Die Frau war groß und schlank. Ihr rotes Reisekostüm bestand nur noch aus Fetzen. Es gab mehr von ihrem Körper frei, als es bedeckte. Eine verdammt schöne Frau. Makellose Figur, weiße Haut. Sie sah aus wie eine Mexikanerin.
Die Indianer hatten ihr die Hände auf den Rücken gefesselt. Sie versuchte, sich von der heißen Erde zu erheben, wurde aber brutal wieder zurückgestoßen. Einer der Indianer beugte sich über sie und riss ihr die letzten Fetzen ihrer Bekleidung vom Körper.
Sie wand sich am Boden. Ihre schwarze Scham stach deutlich von der weißen Haut von Bauch und Schenkeln ab. Ein erregender Anblick. Trotz der Gefahr verspürte Lassiter ein heißes Verlangen.
Der Indianer mit dem Stirnband kniete neben der Frau nieder. Er streichelte zuerst ihre Brüste. Dann glitten seine Hände tiefer, bis er die Stelle zwischen ihren Schenkeln erreicht hatte.
Die Frau schrie plötzlich. Sie krümmte sich und wollte aufspringen, doch er stieß sie zurück. Seine harten Hände klatschten in ihr Gesicht.
Lassiter visierte den Mann an. Sechs Indianer waren dort unten. Das musste zu schaffen sein.
Aber wo waren die anderen? Lassiter hatte an der Fährte erkannt, dass es mehr Reiter gewesen waren. Etwa ein Dutzend. Wenn die anderen noch so nahe beim Wasserloch waren, dass sie die Schüsse hören konnten, würden sie sofort zurückkehren. Und dann wurde es bitter für Lassiter.
Es war also riskant für ihn, jetzt zu schießen.
Andererseits musste er der Frau dort unten helfen. Er wusste, was die Indianer gleich mit ihr anstellen würden. Er musste ihr in dieser Situation beistehen.
Über den Lauf seines Gewehrs hinweg visierte er den Rücken des Indianers an, der neben der Frau kniete. Sie schrie jetzt nicht mehr, sondern wimmerte nur noch. In ihrem schönen Gesicht stand die Todesangst. Die Indianer lachten.
Lassiter krümmte langsam den Zeigefinger und spürte, wie der Hahn der Waffe den Druckpunkt erreichte. Er schoss nicht gern, aber ihm blieb keine andere Wahl. Es ging um das Leben dieser Frau.
Der Indianer bäumte sich auf, als ihn die Kugel zwischen die Schulterblätter traf. Er drehte sich halb um die eigene Achse, ruderte mit den Armen in der Luft und fiel dann steif nach vorne.
Alles spielte sich innerhalb von Sekunden ab. Lassiter feuerte sofort weiter. Die Schüsse kamen in einer Serie wie aus einem Schnellfeuergewehr.
Die Indianer rannten schreiend auseinander. Panik hatte sie erfasst. Der Überfall kam zu plötzlich, zu überraschend.
Lassiter traf noch zwei von ihnen. Und dann brach über ihn selbst das Verhängnis herein. Von hinten. Wie ein Blitzstrahl durchzuckte ihn noch die Erkenntnis, dass er vorhin das Gelände in seinem Rücken nicht genügend kontrolliert hatte – ein entscheidender Fehler!
Er hörte noch das Geräusch der heranjagenden Schritte, warf sich herum, um den Angriff abzufangen, aber es war zu spät.
Bevor Lassiter seine Winchester durchladen konnte, traf eine Kriegskeule seinen Kopf. Er sah Millionen wirbelnder Sterne. Wie aus weiter Ferne hörte der große Mann das Geheul der Indianer.
Dann schlug er mit dem Gesicht in den Sand, und dann war es Nacht um ihn herum.
Als er die Augen aufschlug, war er mit Lederriemen gefesselt. Er lag auf dem Rücken. Grelles Sonnenlicht stach in seine Augen und blendete ihn.
Er drehte den Kopf. Wenige Schritte entfernt lag die Frau. Sie sah ihn gequält an.
»Wird man uns töten?«, fragte sie leise.
Lassiter nickte. »Ich nehme es an«, sagte er trocken.
Von der anderen Seite näherte sich ihm einer der Indianer und versetzte ihm einen Fußtritt in die Seite.
»Du wirst viele Tode sterben, Hundesohn«, sagte er kehlig.
»Das glaube ich dir aufs Wort«, knurrte Lassiter.
Der Indianer war der Mann mit dem bunten Stirnband und der Adlerfeder. Der Anführer der Horde.
»Du hast drei meiner Krieger getötet«, sagte er. »Du wirst ihnen in die Ewigen Jagdgründe folgen und ihr Sklave sein.«
Lassiter grinste verächtlich. Er hatte sich längst damit abgefunden, dass er sterben musste.
Nur ein Wunder konnte ihn noch retten.
Aber Wunder waren eine Seltenheit.
Lassiter hatte alles riskiert und dabei verloren. Jetzt nützte weder Fluchen noch Selbstmitleid. Das Schicksal hatte zugeschlagen.
Durch die leicht gespreizten Beine des Häuptlings sah er, welche Vorbereitungen die anderen Krieger trafen. Er wusste, was auf ihn zukam. Ein langes, qualvolles Sterben.
Die Indianer hatten ein Loch ausgehoben. Jetzt packten sie ihn und schleiften ihn dorthin. Sie stellten ihn hinein. Es war so tief, dass er bis zum Hals in der Erde verschwand. Dann schaufelten sie wieder den Sand hinein. Nach ein paar Minuten war er völlig von Sand umschlossen. Auch wenn er nicht gefesselt gewesen wäre, hätte er sich nicht mehr bewegen können.
Der Sand schien sich an seinem Körper wie ein großes Untier festgesaugt zu haben. Er ließ seine Beine schwer wie Blei erscheinen. Er lastete auf Schultern und Rücken und drückte seinen Brustkorb zusammen. Und die Sonne brannte auf Lassiters ungeschützten Kopf.
Ein höllisches Gefühl.
Langsam, unendlich langsam würde sein Körper absterben. Bis dann nur noch in seinem Kopf Leben war. Lebendig begraben! Vielleicht machte ihn der Durst wahnsinnig. Vielleicht befreite ihn eine Ohnmacht von den Qualen. Oder es kamen hungrige Wüstenwölfe, die ihre Zähne in seinen Hals schlugen und ihn dann ausscharrten, um seinen Leichnam zu verschlingen.
Die Sonne stand inzwischen schon ziemlich tief. Nach Lassiters Schätzung war es etwa sechs Uhr.
Die Indianer kümmerten sich nicht mehr um ihn. Sie gingen hinüber zu der nackten Frau.
Lassiter musste zusehen. Zuerst warf sich der Häuptling über sie. Sie wehrte sich nicht. Im Gegenteil, sie kam ihm entgegen. Eine kluge Frau. Denn dadurch ersparte sie sich unnötige Quälereien.
Nach dem Häuptling kamen die anderen Rothäute an die Reihe. Sie alle taten es mit übertriebener, fast tierischer Hast. Für die Frau war es gut so. Auf diese Weise konnte sie alles besser ertragen.
Anschließend ging ein Apache zum Wassertümpel. Er nahm dünne Lederriemen aus dem Wasser.
Lassiter wusste, was nun folgen würde. Die Frau wurde mit den nassen Riemen gefesselt. Einen davon schlangen ihr die Indianer um den Hals.
So ließen sie die Frau liegen. Auch sie war zu einem qualvollen Sterben verurteilt. Die Riemen würden austrocknen und sich langsam zusammenziehen. Bis ihre Glieder abstarben. Bis sich die Schnur um ihren Hals so fest zusammengezogen hatte, dass sie keine Luft mehr bekam.
Mit unbewegten Gesichtern gingen die Indianer zu ihren Tieren. Sie schnürten die drei Toten auf Pferderücken fest. Dann saßen sie auf und ritten davon.
Es wurde still am Wasserloch. Am Himmel erschienen dunkle Punkte. Geier. Sie witterten bereits ihre Beute.
Die Frau lag fünf oder sechs Schritte von Lassiter entfernt. Sie stöhnte und wimmerte. Ihre weiße Brust hob und senkte sich unter heftigen Atemzügen.
In Lassiter glomm ein Hoffnungsfunke auf. Die Frau konnte für ihn Rettung bedeuten. Die Chancen standen eins zu tausend, aber er wollte es wenigstens versuchen. Er musste es versuchen.
Lassiter war ein Mann, der niemals aufgab. Wenn auch nur noch ein Funke Leben in ihm war, kämpfte er weiter. »Kannst du dich bewegen?«, rief er ihr zu.
Sie schüttelte mutlos den Kopf.
»Ich habe es schon versucht. Es geht nicht. Ich bin verloren.«
»Wenn du weiter so jammerst, dann ganz bestimmt«, fauchte Lassiter zornig. »Reiß dich zusammen. Vielleicht haben wir noch eine winzige Chance. Wir sollten es wenigstens versuchen, sie zu nutzen.«
»Wie denn?«, jammerte sie. »Wie denn nur?«
»Spann deinen Körper an! Du musst dich herumrollen! Auf mich zu! Wenn du es bis zu mir schaffst, werde ich versuchen, mit den Zähnen die Knoten zu lösen.«
Die Frau strengte sich an. Sie tat genau das, was Lassiter ihr gesagt hatte. Sie kam halb herum, sank aber wieder zurück. »Ich glaube, ich schaffe es nicht.«
»Du musst!«, schrie Lassiter. »Es geht um dein Leben. Denk immer daran! Die Stricke werden sich immer mehr zusammenziehen. Die Schnur um den Hals wird dir allmählich die Luft wegnehmen. Du wirst jämmerlich ersticken. Dann kommen die Geier. Sieh mal zum Himmel hinauf. Dort oben kreisen sie schon. Sie warten nur darauf, dass du nicht mehr atmest. Dann kommen sie herab und zerhacken dich mit ihren krummen Schnäbeln. Stell dir mal vor, wie du dann aussehen wirst. Schon in ein paar Stunden kann es soweit sein.«
Mit Absicht schilderte er die Folgen in aller Deutlichkeit. Grausam und kompromisslos. Nur so konnte er den Willen der Frau aufpeitschen. Es war die einzige Möglichkeit, ihren Widerstand zu mobilisieren. Sie musste vor Angst halb wahnsinnig werden.
Sie stieß einen entsetzten Schrei nach seinen Worten aus und bäumte sich erneut in ihren Fesseln auf.
Diesmal schaffte sie es. Jetzt lag sie auf dem Bauch. Und wieder spannte sie sich, warf sich erneut keuchend herum.
Die Entfernung zwischen ihr und Lassiter schrumpfte zusammen. Als sie die halbe Strecke geschafft hatte, blieb sie erschöpft liegen. Ihre Haut war durch die Reibung mit dem heißen Sand stark gerötet.
»Ich kann nicht mehr«, ächzte sie.
»Sieh nach oben!«, schrie Lassiter sie an. »Die Geier! Denk an die Geier! Sie werden dir die Augen aushacken. Mach weiter! Du schaffst es. Ich weiß genau, dass du nicht aufgeben wirst.«
Seine drastischen Worte gaben ihr neue Kraft. Und wieder rollte sie sich herum. Jedes Mal war ihre Anstrengung von einem gequälten Stöhnen begleitet.
Und dann lag sie endlich dicht vor Lassiters Gesicht. Die gefesselten Hände vor seinen Zähnen.
Nun begann seine Arbeit.
Er grub seine Zähne in den Knoten, zerrte daran. Er knurrte wie ein Puma, der sich in seine Jagdbeute verbissen hat. Schweiß rann über sein Gesicht. Schwer lastete der Sand auf seinem Körper, lähmte seine Kraft.
Die Sonne hing dicht über den Berggraten im Westen. Der Horizont leuchtete in roten, gelben und violetten Farben. »Schaffst du es?«, keuchte die Frau.
Lassiter konnte nicht antworten. Er hatte den Knoten bereits ein Stück gelockert und zerrte weiter daran. Die Lederschnur gab langsam nach. Der erste Erfolg zeigte sich.
Verbissen zerrte der große Mann weiter. Er hatte das Gefühl, seine Zähne würden einzeln herausbrechen.
Und dann waren die Hände der Frau frei. Sie schrie auf vor Schmerz, als das Blut in die Finger schoss. Lassiter kannte dieses Gefühl. Es war, als ob man plötzlich eine Million winziger Nadeln unter der Haut hätte.
Die Frau konnte nun aus eigener Kraft den Knoten des Riemens öffnen, der ihre Arme an den Körper schnürte. Es war ein hartes Stück Arbeit, aber sie schaffte es.
Es war dunkel, als sie sich endlich wieder frei bewegen konnte. Zunächst jedoch blieb sie eine Weile reglos im Sand liegen. Sie war am Ende ihrer Kraft.
Als sie sich dann endlich erholt hatte, begann sie Lassiter freizubuddeln. Als einziges Werkzeug hatte sie ihre Hände. Sie arbeitete schweigend und verbissen.
Lassiter konnte ihr nicht helfen. Es dauerte Stunden, bis er endlich befreit war.
Erschöpft lagen beide nebeneinander im Sand. Der kühle Nachtwind strich über ihre Körper. Lassiter stand schließlich auf und ging zum Tümpel. Er zog sich aus, stieg ins Wasser und wusch sich von Kopf bis Fuß.
Es erfrischte ihn. Die Frau folgte seinem Beispiel. Sie schien kaum noch unter dem Geschehenen zu leiden. Sie hatte sich erstaunlich schnell wieder gefangen.
Lassiter war wieder in seine Kleider geschlüpft. Er hockte am Rand des Tümpels und beobachtete die Frau, deren schöner Körper im Mondlicht schimmerte.
Sie bewegte sich völlig ungeniert vor seinen Augen. Es schien ihr nichts auszumachen, dass sie noch immer nackt war.