1,99 €
Lassiter kauerte hinter dem Felsbrocken am Stolleneingang. Die Stille des Todes erfüllte den Canyon. Nirgends ein Zeichen von Leben. Und doch waren sie da. Sieben Mann. Jeder von ihnen ein Scharfschütze.
Mara kroch bis an Lassiters Seite und berührte zaghaft seinen Arm. Er wandte den Kopf. Das lange schwarze Haar umfloss ihre nackten Schultern. Trotz der Strapazen, die hinter ihr lagen, sah die Tochter des Renegaten noch immer schön und begehrenswert aus.
"Du wirst mir eins von deinen Reservehemden geben müssen", sagte sie leise. "Die Schufte haben mein Kleid völlig zerfetzt."
Lassiter grinste grimmig. Sie würden bald beide kein Hemd mehr brauchen. Sie hatten den Wettlauf verloren - den Wettlauf, bei dem es um Lassiters Kopf und den Schatz des Renegaten ging ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 186
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
LASSITERS WETTLAUF MIT DEM TOD
Vorschau
Impressum
LASSITERS WETTLAUF MIT DEM TOD
von Jack Slade
Lassiter wehrte sich verbissen. Er kämpfte, bis der Gewehrkolben auf seinen Schädel herabsauste. Es war ein Schlag, der ihn bis zu den Zehenspitzen erschütterte. Eine Sekunde stand der große Mann noch aufrecht. Feurige Blitze zuckten vor seinen Augen und schienen seinen Kopf in zwei Hälften gespalten zu haben.
Dann raste der mit Sägemehl bestreute Fußboden des Saloons auf ihn zu. Von dem harten Aufprall spürte er nichts mehr. Reglos blieb er auf dem Bauch liegen.
Der junge Leutnant kniete neben ihm nieder und untersuchte ihn oberflächlich. Gleich darauf hob er den Kopf und sah vorwurfsvoll den Corporal an, der Lassiter niedergeschlagen hatte.
»Hoffentlich haben Sie ihn nicht totgeschlagen, Hennessy«, sagte er. »Colonel Thompsons Befehl lautete, diesen Mann um jeden Preis lebend ins Fort zu bringen.«
Corporal Hennessy nahm Haltung an. Sein junges, von Sommersprossen bedecktes Gesicht zeigte Verlegenheit.
»Jawohl, Sir«, presste er hervor.
Der Leutnant beugte sich wieder über Lassiter und drehte ihn auf den Rücken. Der große Mann hatte die Augen geschlossen. Sein Haar war blutverklebt.
»Tragt ihn rüber ins Fort!«, befahl der Leutnant. »Der Arzt wird sich um ihn kümmern müssen.«
Zwei Soldaten packten Lassiters Arme und schleiften ihn so aus dem Saloon. Der Leutnant und der Rest seiner kleinen Truppe folgten. Als sie verschwunden waren, schien ein Aufatmen durch den niedrigen, verräucherten Raum zu gehen.
Mike O'Toole, der schnauzbärtige Saloonbesitzer, füllte sich ein großes Glas mit Whisky und leerte es mit einem Zug.
»Der höllischste Kampf, den ich je gesehen habe«, sagte er mit Begeisterung. »Wenn der Corporal nicht so hinterlistig zugeschlagen hätte, wäre Lassiter ihnen wahrscheinlich entkommen. Möchte nur wissen, was sie von ihm wollen.«
»Es hängt vielleicht mit dem Überfall auf den Geldtransport zusammen«, meinte ein hagerer, ganz in Leder gekleideter Mann. »Am liebsten hätte ich mich in dieses Spiel eingekauft.«
Mike O'Toole schüttelte den Kopf.
»Dein Glück, dass du es nicht getan hast, Cal«, sagte er. »Obwohl diese Siedlung außerhalb der Palisaden steht, gehört sie zum Fort. Und solange wir keinen eigenen Sheriff oder Marshal haben, vertritt die Armee hier das Gesetz. Es ist der Preis dafür, dass wir hier in ihrem Schutz leben. Hättest du dich eingemischt, würdest du Lassiter jetzt Gesellschaft leisten.«
Mike O'Toole hatte natürlich in erster Linie ein geschäftliches Interesse, sich nicht mit der Armee anzulegen. Ihm gehörte der einzige Saloon in der kleinen Ansiedlung neben dem Fort, und die Soldaten brachten manchen Dollar. Auf diese Kundschaft war er angewiesen. Und er wusste genau, dass die Soldaten ihren Whisky auch in der Kantine innerhalb des Forts trinken konnten. Grund genug für O'Toole, jedem Ärger peinlich auszuweichen.
Die Männer im Saloon unterhielten sich noch bis weit nach Mitternacht über Lassiter. Und ihre Vermutung verdichtete sich, dass der große Mann einzig und allein wegen des Überfalls auf den Geldtransport in den Gila Bergen verhaftet worden war. Ein aufsehenerregender Überfall, der vor knapp vier Wochen die Gemüter erregt hatte.
Von den beiden Fahrern und den acht Mann Begleitschutz überlebte niemand. Und Linda Thompson, die achtzehnjährige Tochter des Colonels, die mit der kleinen Truppe gereist war, blieb seit dem Überfall spurlos verschwunden.
»Wenn er da wirklich seine Finger im Spiel hat, gehört er an den nächsten Ast«, sagte einer der Gäste grollend.
»Ich kann einfach nicht daran glauben«, meinte der hagere Cal. »Ich habe schon einiges über Lassiter gehört. Er ist gewiss kein Heiliger. Aber nach allem, was man sich so erzählt, ist er auch kein gottverdammter Mörder. Außerdem wäre er ein Dummkopf, sich ausgerechnet jetzt so nahe an das Fort heranzuwagen, wenn er wirklich an dem Überfall beteiligt gewesen ist.«
Der Keeper zuckte die Schultern.
»Auf jeden Fall wird Colonel Thompson gute Gründe gehabt haben, ihn verhaften zu lassen«, murmelte er. »Der Fortkommandant ist ein gerissener Fuchs. Der überlegt sich jede Handlung zehnmal, bevor er etwas unternimmt.«
Pechschwarze Dunkelheit umgab Lassiter, als er die Augen aufschlug. Minutenlang blieb er reglos auf dem harten Lager liegen. Ein dumpfes Dröhnen erfüllte seinen Kopf. Mit den Fingerspitzen tastete er die Schädeldecke ab. Er stöhnte leicht auf, als er die dicke Beule am Hinterkopf berührte.
Nach einer Weile richtete er sich auf. Mit beiden Händen packte er den Rand des eisernen Pritschengestells und blieb in dieser Haltung so lange auf dem Bettrand sitzen, bis er das Schwindelgefühl überwunden hatte.
Dann erhob er sich. Es war so dunkel, dass man die Hand nicht vor den Augen sehen konnte.
Nach zwei mühseligen Schritten stieß er gegen eine Wand aus sonnengetrockneten Adobelehmziegeln. Er tastete sich daran entlang. Nach links. Berührte wenig später mit den Fingern eine mit Eisenbändern beschlagene Tür.
Er donnerte mit beiden Fäusten dagegen.
Hinter der Tür hörte er Geräusche. Eine kleine Klappe wurde geöffnet. Der Lichtschein einer Laterne fiel durch die Luke und blendete Lassiter. Als sich seine Augen an die plötzliche Helligkeit gewöhnt hatten, sah er ein junges Gesicht unter einer blauen Kavalleristenmütze. Der Soldat grinste Lassiter an.
»Ich muss nur eben dem Sergeant melden, dass du schon wieder auf den Beinen bist«, sagte er. »Mann, du musst dich ja gewehrt haben wie ein Tiger. Die Beule am Kopf hättest du dir ersparen können.«
»Verschwinde schon und mach deine Meldung!«, knurrte Lassiter böse. »Es wird Zeit, dass ich aus diesem Loch herauskomme. Warum habt ihr mich überhaupt hier eingebuchtet?«
»Das wird dir der Colonel selbst sagen«, erwiderte der Soldat und schlug die Klappe wieder zu.
Lassiter tastete sich zurück zur Pritsche und legte sich wieder hin. Er suchte in seinen Taschen nach Zigarillos und Streichhölzern. Vergebens. Man hatte ihm alles weggenommen. Auch die gut zweitausend Dollar, die er besessen hatte.
Er erinnerte sich, wie er in Mike O'Tooles kleinen Saloon gekommen war. Er hatte dort übernachten wollen. Als er beim Abendessen saß, kam jener Leutnant mit acht Soldaten herein. Der Leutnant redete ihn mit seinem Namen an und erklärte ihn für verhaftet.
Lassiter widersetzte sich. Es kam zu einer handfesten Prügelei. Geschossen wurde nicht. Ein Zeichen dafür, dass man ihn um jeden Preis lebend haben wollte.
Warum das alles?
Er war gespannt auf die Erklärung.
Etwa eine halbe Stunde verging, bis die Tür geöffnet wurde. Ein Sergeant betrat den Raum. Hinter ihm vier Soldaten mit Gewehren.
»Ich habe Befehl, Sie zum Colonel zu bringen«, erklärte der Sergeant mit knarrender Stimme. »Seien Sie vernünftig und leisten Sie keinen Widerstand, Mr. Lassiter!«
Der große Mann stand langsam auf. Er grinste den bärbeißigen Sergeant an. Er hatte nicht die Absicht, noch einmal um sich zu schlagen. Im Moment standen seine Chancen zu schlecht. Außerdem interessierte ihn brennend, was hier überhaupt gespielt wurde.
Er war auf seine Begegnung mit dem Kommandanten von Fort Thomas gespannt.
An der Seite des Sergeants verließ er das finstere Loch. Sie kamen in einen schmalen Gang, der von mattem Laternenlicht erleuchtet war. Links und rechts zweigten weitere Türen ab, hinter denen Lassiter ähnliche Zellen vermutete wie die, in der sie ihn eingesperrt hatten.
»Unser Gefängnis für besonders schwere Fälle«, erklärte der Sergeant. »Völlig ausbruchsicher. Von hier ist uns noch keiner entwischt. Sie brauchen sich also keine falschen Hoffnungen zu machen, Lassiter.«
Sie erreichten eine schmale Steintreppe und stiegen nach oben. Am oberen Ende der Treppe standen zwei Wachtposten. Draußen vor der Tür des niedrigen Adobebaus wieder zwei.
Lassiter musste bei sich dem Sergeant recht geben. Aus diesem Gefängnis zu entkommen, war wirklich unmöglich.
Es war jetzt etwa acht Uhr am Morgen. Lassiter schätzte die Zeit nach dem Sonnenstand. Das grelle Licht blendete ihn, und er musste kurz die Augen schließen.
Dann ließ er seinen Blick schweifen. Er sah das weiträumige Parade- und Exerzierfeld. Überall gellten raue Befehle. Junge Rekruten wurden von Ausbildern gedrillt. Drüben bei den langgestreckten Ställen wurden Pferde marschbereit gemacht. Ein Trompetensignal stieg schmetternd in den klaren Morgenhimmel.
Lassiter und der Sergeant, gefolgt von den vier Soldaten, schritten auf das Kommandantengebäude zu. In der Schreibstube meldete sich der Sergeant mit seinem Gefangenen bei dem Adjutanten. Knapp zwei Minuten später wurde Lassiter in das Arbeitszimmer des Kommandanten geführt.
Colonel Boyd Thompson war ein hochgewachsener, grauhaariger Mann mit breiten Schultern und klugen Augen. Nachdenklich musterte er Lassiter. Dabei zuckte ein kaum wahrnehmbares Lächeln um seine Mundwinkel.
»Das ist er, Sir«, meldete der Sergeant.
Der Colonel nickte kurz. Er öffnete ein Seitenfach seines Schreibtisches und holte mehrere Gegenstände hervor, die er auf dem Tisch ausbreitete.
»Ihr Eigentum, Mr. Lassiter?«, fragte er sanft.
Lassiter nickte. Ja, das alles waren seine persönlichen Sachen. Revolver und Gewehr. Die beiden Satteltaschen. Die goldene Taschenuhr. Die Packung mit den Zigarillos. Und die Schweinsledermappe, in der sich sein Geld und einige Papiere befanden.
»Ich verlange eine Erklärung, Colonel!«, sagte er ruhig. »Mit welchem Recht sind Ihre Leute über mich hergefallen?«
Der Colonel zog das dicke Dollarbündel aus der Ledermappe.
»Von wem haben Sie dieses Geld, Mr. Lassiter?«
»Darüber bin ich keine Rechenschaft schuldig, Colonel.«
Der Offizier lehnte sich zurück. Sein Blick wurde eisig.
»Ich habe natürlich auch andere Mittel, Sie zum Reden zu bringen, Lassiter«, sagte er sanft. »An Ihrer Stelle würde ich nicht so verstockt sein. Ihr Schweigen könnte Sie leicht an den Galgen bringen.«
Lassiter beugte sich vor und stützte sich auf die Schreibtischplatte. Er witterte Verdruss. Dunkle Ahnungen stiegen in ihm auf. Dieses verdammte Geld konnte ihn tatsächlich an den Galgen bringen, wenn seine Vermutung stimmte.
Sein Blick fiel auf den Revolver. Die Waffe lag nicht weit von seiner rechten Hand entfernt. Geladen. Der Colonel war verdammt leichtsinnig.
Lassiter griff nach dem Päckchen mit den Zigarillos und zündete sich eins davon an. Tief atmete er den Rauch ein. Hinter ihm war es ruhig geblieben. Die Soldaten schienen sich sehr sicher zu fühlen. Ob sie nicht daran dachten, dass er auch hätte nach dem Revolver greifen können statt nur nach dem Rauchzeug?
»Woher haben Sie dieses Geld?«, fragte der Colonel erneut.
»Ich habe es nicht gestohlen«, erwiderte Lassiter. »Ich habe auch niemanden überfallen. Genügt Ihnen das, Colonel?«
Der Offizier schüttelte den Kopf.
»Dafür, dass es um Ihren Hals geht, führen Sie eine verteufelt kecke Sprache, Lassiter«, sagte er. »Dieses Geld hier stammt aus der Beute, die bei dem Überfall auf einen Geldtransport der Armee gemacht wurde. Vor vier Wochen. Acht Männer wurden dabei getötet. Meine Tochter Linda verschwand spurlos.«
Mit dieser Mitteilung hatte Lassiter gerechnet. Er hatte von diesem Überfall gehört. Eine verdammt heiße Sache.
»Damit habe ich nichts zu tun, Colonel«, sagte er ruhig.
Hinter sich hörte er den Sergeant grimmig lachen.
»Mit solch einer Antwort können Sie Ihre Unschuld kaum beweisen, Lassiter«, sagte er.
»Ich weiß«, murmelte Lassiter.
Er war jetzt eiskalt bis ins Mark. Welche Antwort er auch immer gab, man würde ihn weiterhin wie einen Verbrecher behandeln. Er saß in der Klemme, weil man dieses Geld bei ihm gefunden hatte. Niemals würde es ihm gelingen, zu beweisen, dass er mit der Sache wirklich nichts zu tun hatte.
Es gab nur eine einzige Möglichkeit für ihn. Er musste handeln.
So schnell wie möglich.
Der Colonel sah ihn eindringlich an.
»Mr. Lassiter«, sagte er beschwörend, »wenn Sie wirklich unschuldig sind, dann helfen Sie uns um Himmels willen weiter. Sagen Sie uns, von wem Sie dieses Geld bekommen haben. Es geht darum, ein abscheuliches Verbrechen aufzuklären. Und um das Leben meiner Tochter. Helfen Sie uns, Lassiter!«
In seiner Stimme schwang Verzweiflung mit. Die Sorge eines Vaters um sein Kind.
»Selbst wenn ich Ihnen den Namen des Mannes nenne, der mir das Geld gegeben hat, wird es Ihnen kaum nützen«, erwiderte Lassiter. »Ich mache Ihnen einen Gegenvorschlag, Colonel. Lassen Sie mich reiten, und ich werde den Mann suchen.«
Der Colonel schüttelte den Kopf.
»Darauf will und darf ich mich nicht einlassen«, sagte er kühl. »Es widerspräche den Vorschriften. Ich muss Sie so lange festhalten, bis endgültig geklärt ist, ob Sie schuldig sind oder nicht.«
Lassiter zuckte die Schultern.
Was konnte er jetzt noch tun? Hier nutzten auch tausend Worte nicht mehr viel. Selbst wenn er alles erzählte, würde man ihm nicht glauben. Eine ganz natürlich Sache. Jeder Verbrecher versuchte sich durch verwegene Lügen aus der Affäre zu ziehen. Auch ihm würde man unterstellen, gelogen zu haben, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Er konnte diesen Männern deshalb noch nicht mal einen Vorwurf machen.
Er blickte kurz über die Schulter. Die vier Soldaten hatten ihre Gewehre noch nicht durchgeladen. Ihre Wachsamkeit war nicht besonders groß. Hier mitten im Fort schienen sie sich ausgesprochen sicher zu fühlen.
Der Sergeant grinste ihn gutmütig an.
»Nun reden Sie schon, Lassiter«, sagte er. »Wenn Sie wirklich unschuldig sind, wird sich das irgendwann herausstellen. Sie haben doch überhaupt nichts zu befürchten.«
»Sicher habe ich das«, sagte Lassiter. »Erstens lasse ich mich nicht gerne einsperren. Zweitens sind schon genug Männer gehängt worden, gegen die weniger Indizien sprachen als gegen mich.«
Während er noch das letzte Wort sprach, sprang er nach vorne. Mit der linken Hand stützte er sich auf die Schreibtischplatte, bekam mit der rechten seinen Revolver zu fassen und flankte über den Tisch.
Alles ging ungeheuer schnell.
Bevor sich die Männer von ihrer Überraschung erholt hatten, stand Lassiter hinter dem Colonel und presste ihm die Revolvermündung gegen die Schläfe.
Der Sergeant und die vier Soldaten standen wie erstarrt. Der Colonel war blass geworden. Auch er wagte keine Bewegung.
»Sie werden jetzt alles tun, was ich sage, Colonel«, sagte Lassiter. »Oder die Armee wird bald einen neuen Kommandanten für dieses Fort brauchen.«
Der Colonel nickte krampfhaft.
»Was Sie vorhaben, ist trotzdem Wahnsinn, Lassiter«, sagte er heiser. »Sie haben keine Chance, das Fort lebend zu verlassen.«
»Abwarten«, knurrte Lassiter. »Sergeant, Sie gehen jetzt mit Ihren Leuten nach draußen. Satteln Sie mein Pferd und lassen Sie es mit Proviant für eine Woche beladen. Stellen Sie ein zweites Pferd für Colonel Thompson bereit. Er wird mich ein Stück begleiten.«
Der Sergeant sah seinen Vorgesetzten fragend an.
»Tun Sie, was er verlangt hat, Sergeant!«, befahl der Colonel. »Beeilen Sie sich!«
Der Sergeant salutierte und verließ mit den Soldaten den Raum.
Nun war Lassiter mit dem Offizier allein.
»Ich bewundere Ihren Mut, Lassiter«, sagte Thompson. »Trotzdem ist es Wahnsinn, was Sie tun. Sie haben nicht die Spur einer Chance. Sie werden mich jetzt als Geisel mitschleppen und auch fürs Erste einen guten Vorsprung herausholen. Aber irgendwann werden Sie mich freilassen. Und von diesem Augenblick an werden Sie keine ruhige Minute mehr haben. Ganz Arizona wird Jagd auf Sie machen. Warum, zum Teufel, weigern Sie sich, mit mir zusammenzuarbeiten?«
Lassiter grinste.
»Was Sie mir vorgeschlagen haben, hat kaum etwas mit Zusammenarbeit zu tun, Colonel«, sagte er. »Ich liebe die Freiheit. Das Leben ist viel zu kurz, um auch nur eine Minute freiwillig in diesem finsteren Loch zu verbringen, das man hier Gefängnis nennt.«
Der Colonel schwieg. Draußen auf dem Paradefeld war es lebendig geworden. Laute Kommandos ertönten. Männer rannten über den Platz. Große Aufregung und Ratlosigkeit überall.
Lassiter steckte seine Sachen ein und hing sich die Winchester am Schulterriemen auf den Rücken. Während dieser Tätigkeit blieb die Mündung des großkalibrigen Remington-Revolvers unverwandt auf den Colonel gerichtet.
Der Hammer der Waffe war gespannt.
»Und vergessen Sie nicht, Ihren Leuten zu sagen, dass sie vorsichtig sein sollen«, warnte Lassiter. »Wenn ich angegriffen werde, sind Sie ebenfalls verloren.«
Die Tür wurde aufgestoßen. Drei Offiziere kamen herein. Ein Captain und zwei Leutnants. Einer von ihnen war jener Mann, der Lassiters Verhaftung geleitet hatte.
Colonel Boyd Thompson zuckte bedauernd die Schultern.
»Es ist zwecklos, irgendetwas zu unternehmen, meine Herren«, sagte er. »Deshalb befehle ich Ihnen, vorerst Ruhe zu bewahren und nichts gegen Mr. Lassiter zu unternehmen. Sind draußen alle Vorbereitungen getroffen worden? Stehen die beiden Pferde bereit?«
Die drei Offiziere nickten. Die Situation war Ihnen ausgesprochen peinlich. So etwas hätten sie nie für möglich gehalten. Zorn und Hilflosigkeit verschlugen ihnen die Sprache.
»Captain Burns!«, wandte sich der Colonel an den Ranghöchsten der drei Offiziere.
»Ja, Sir?«
»Sie übernehmen bis zu meiner Rückkehr das Kommando. Ich bitte um strikte Einhaltung meiner Befehle. Es darf erst dann etwas unternommen werden, wenn ich zurückgekehrt bin.«
»Zu Befehl, Sir.«
Der Captain salutierte kurz und verließ mit den beiden Leutnants den Raum.
Lassiter wunderte sich über die gelassene Ruhe und Besonnenheit des Kommandanten. Irgendetwas war hier faul. Dieser Mann führte etwas ganz Bestimmtes im Schilde.
»Gehen wir!«
Der Colonel schritt vor ihm her. Lassiter folgte ihm in einem halben Schritt Abstand und ließ ihn keine Sekunde aus den Augen. Die beiden Pferde standen gesattelt vor der Kommandantur. Als erster zog sich der Colonel in den Sattel der braunen Stute, die für ihn bereitgestellt worden war. Dann schwang sich Lassiter auf den Rücken seines struppigen grauen Wallachs. Es war ein zähes und schnelles Tier, das er vor drei Wochen in Utah gekauft hatte.
Auf dem großen Paradefeld herrschte tiefe Stille. Mehr als zweihundert Augenpaare beobachteten die beiden Männer, die nun langsam anritten.
Lassiter wurde sein ungutes Gefühl nicht los. Das alles verlief für seinen Geschmack bedeutend zu glatt.
Die ruhige Gelassenheit des Colonels passte zu dieser Situation wie Zucker auf ein Pfeffersteak.
Die beiden Männer ritten nordwärts. Das Fort blieb hinter den Hügeln zurück. Nach etwa fünf Meilen hielt Lassiter an.
»Sie können zurückreiten, Colonel«, sagte er. »Es ist gut, dass Sie so vernünftig waren. Glauben Sie noch immer, dass ich an dem Überfall und an der Entführung Ihrer Tochter beteiligt gewesen bin?«
Der Colonel stützte beide Hände auf das Sattelhorn und beugte sich vor. Er sah Lassiter hart an.
»Das einzige, was ich glaube, ist die Tatsache, dass Sie Geld besitzen, das aus dem Überfall stammt«, sagte er. »Wenn Sie wirklich unschuldig sind, warum haben Sie sich dann nicht bereit erklärt, mit uns zusammenzuarbeiten?«
Lassiter grinste spöttisch.
»Wenn ich wirklich der Mann wäre, für den Sie mich halten, würde ich Sie jetzt umlegen, Colonel. Wie sind Sie eigentlich dahintergekommen, woher dieses Geld stammt?«
»Jemand hat uns einen heißen Tipp gegeben«, murmelte Thompson. »Ich habe Sie beobachten lassen. Gestern waren Sie in San Carlos und deckten sich mit Proviant und Munition ein. Sie zahlten mit einem Hundertdollarschein. Anhand der Nummer konnten wir sofort feststellen, dass es eine der geraubten Banknoten war. So einfach war das, Mister.«
Lassiter nickte versonnen. Er dachte an den Mann, von dem er das Geld bekommen hatte.
»Wer gab Ihnen den Tipp, Colonel?«, fragte er.
»Ich bekam einen Brief. Anonym. Aufgegeben in Tucson. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
Wieder nickte Lassiter. Er begann die Zusammenhänge zu ahnen. Jemand versuchte, ihn auf gemeine und hinterlistige Art an den Galgen zu bringen. Ein Mann, der ihn hasste. Der aber zu feige war, ihm selbst gegenüberzutreten.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Colonel«, sagte er rau. »Wir sollten einen Waffenstillstand schließen. In dieser Zeit werde ich alles versuchen, Ihnen Ihre Tochter wohlbehalten zurückzubringen. Denn in erster Linie geht es Ihnen doch um Linda.«
»Unmöglich«, stieß der Colonel hervor. »Niemals kann ich mit Ihnen gemeinsame Sache machen. Selbst wenn ich das wollte, ginge es nicht. Schließlich bin ich nicht der liebe Gott. Ich habe mich an meine Dienstvorschriften zu halten. Ich muss dem General melden, was geschehen ist. Danach beginnt eine gewaltige Maschinerie zu arbeiten. Sie haben durch Ihr Verhalten eine Lawine ins Rollen gebracht, die durch nichts mehr zu stoppen ist.«
Lassiter empfand Sympathie für den Offizier. Sicher wäre Thompson gern auf Lassiters Vorschlag eingegangen. Ein Mann, der bereit war, alles in seinen Kräften stehende zu tun, um seine Tochter zu retten. Aber ihm waren die Hände gebunden. Es war so, wie er es eben ausgedrückt hatte. Die Lawine konnte nicht mehr aufgehalten werden.
Es war jetzt kurz nach elf am Vormittag. Die Sonne glühte am wolkenlosen Himmel. In der staubigen Senke lastete drückende Schwüle und machte selbst das Atmen zur Qual.
Lassiter dachte an die dunklen, schattenspendenden Wälder weiter im Norden, an klare Gebirgsbäche und grünes Gras.
»Leben Sie wohl, Colonel«, sagte er und hob leicht die Hand zum Gruß. »Sie werden wieder von mir hören.«
»Bedeutet das, dass Sie vorhaben, jene Banditen zu jagen?«
Lassiter zuckte die Schultern.
»Ich schätze, mir bleibt nichts anderes übrig, Colonel«, meinte er. »Schließlich geht es um meinen Kopf.«
Er hob die Zügel. Der Wallach setzte sich in Bewegung. Im gleichen Moment nahm Lassiter das Aufblitzen wahr. Oben am Ostrand der Senke. Aufblitzen von Metall im Sonnenlicht.
Lassiter reagierte blitzschnell. Er packte die Winchester, riss sie aus dem Scabbard und warf sich vom Pferd.
Im gleichen Augenblick krachte der Schuss oben zwischen den Felsen.
Lassiter rollte über die harte Erde, erreichte einen Felsbrocken als Deckung. Schnell schob er das Gewehr über die Kante, zielte auf die Stelle, wo er kurz zuvor das metallische Aufblitzen erspäht hatte, jagte zwei Kugeln hinauf.
Keine Reaktion. Dort oben blieb es still. Lassiter spähte zum Colonel hin. Was er sah, jagte ihm einen gewaltigen Schreck ein. Der Colonel saß zusammengekrümmt im Sattel. Beide Hände auf die Brust gepresst. Das hagere Gesicht schmerzverzerrt.
Von oben drang höhnisches Gelächter an Lassiters Ohren. Dann vernahm er Hufschlag. Der heimtückische Schütze suchte das Weite.
Lassiter sprang zum Colonel. Thompson war nach vorne gesunken. Seine Hände umkrampften das Sattelhorn. Langsam sank er jetzt zur Seite, konnte sich nicht mehr halten.
Der große Mann kam rechtzeitig, um ihn aufzufangen. Vorsichtig ließ er ihn auf die Erde sinken, legte ihn auf den Rücken.
Die Kugel war dem Colonel mitten in die Brust gedrungen. Das weiße Hemd des Offiziers war blutgetränkt. Sein Gesicht war vom nahen Tod gezeichnet.
Hier war nichts mehr zu machen. Lassiter erkannte das mit dem ersten Blick. Er hatte schon viele Männer sterben sehen.
Colonel Boyd Thompson sah Lassiter mit seltsam klaren Augen an.
»Warum?«, ächzte er. »Warum hat man auf mich geschossen?«
»Weil der Mann mich mehr hasst als alles andere auf der Welt«, erwiderte Lassiter. »Er will mich mit aller Gewalt an den Galgen bringen. Jeder wird jetzt glauben, ich hätte sie niedergeschossen, Colonel.«
Thompson nickte krampfhaft.
»Es geht zu Ende«, flüsterte er. »Ich spüre es. Sie müssen fliehen, Lassiter! Kümmern Sie sich nicht mehr um mich! Wenn man Sie erwischt, wird man Sie hängen. Reiten Sie!«
Er schob die rechte Hand unter seine blaue Uniformjacke. Mühsam holte er eine schmale Ledermappe hervor, reichte sie Lassiter.
»Hier drin finden Sie ein Bild von Linda«, flüsterte er. »Ich weiß jetzt, dass Sie unschuldig sind, Lassiter. Suchen Sie meine Tochter! Versprechen Sie es einem Sterbenden!«
»Reden Sie keinen Unsinn, Colonel!«, sagte Lassiter heiser. »Sie sind nicht so schwer verwundet, dass Sie daran sterben müssen. Ich werde Sie jetzt verbinden und dann zurück zum Fort bringen. Der Doc wird Sie wieder zurechtflicken.«