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Bull Cannons Faust explodierte an Lassiters Schädel. Er hörte Shellys entsetzten Aufschrei, und durch den Feuerball, der vor seinen Augen zerplatzte, sah er das zähnefletschende Grinsen und die blutunterlaufenen Augen dieser lebendigen Mordmaschine.
Wells Fargo hatte Cannon in den Saloon geschickt und auf Lassiter gehetzt. Die unersättlichen Hundesöhne wussten genau, dass sie erst dann ihr Ziel erreicht hatten, wenn Lassiter vernichtet war. Diese Erkenntnis durchzuckte den großen Mann wie ein Blitzstrahl, als er auf die Dielen krachte und zum zweiten Mal Shellys Schrei hörte. Dieses Ungeheuer würde erst aufhören, wenn es ihn totgeschlagen hatte.
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Seitenzahl: 179
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
LASSITER UND DIE UNERSÄTTLICHEN
Vorschau
Impressum
LASSITER UND DIE UNERSÄTTLICHEN
von Jack Slade
Der Reiter war noch jung. Er lag mit der Brust auf dem Sattelhorn und hielt sich mit beiden Händen am Mähnenkamm seines Pferdes fest. Er war verwundet und ritt um sein Leben. Ununterbrochen peitschten hinter ihm die Schüsse der Verfolgermeute auf. Zwanzig Mann. Die Entfernung zwischen ihnen und dem Gejagten schmolz von Sekunde zu Sekunde mehr zusammen.
»Lauf!«, schrie der Verwundete seinem Pferd in die Ohren, und er stieß ihm seine silbernen Radsporen gegen die Flanken. Die Stute wieherte gepeinigt. Es war ein schlankes, rassiges Tier, aber jetzt war es am Ende seiner Kräfte.
Der Ritt ging einen Hügel hinauf. Dort oben wuchs eine Gruppe von Sycomoren. Der Verfolgte schöpfte neue Hoffnung. Wenn er hinter einem der dicken Stämme in Deckung ging, konnte er sich eine Zeitlang verteidigen. Eine Galgenfrist für ihn. Er war sich darüber klar, dass ihn die zornigen Männer auf der Stelle hängen würden, wenn sie ihn in die Finger bekamen.
Noch drei, vier Längen bis zu den Bäumen. Der junge Reiter grinste verwegen. Gleich würde er ihnen einen Kampf liefern, dass ihnen Hören und Sehen verging.
Ein plötzlicher Ruck ging durch den Körper der Stute. Eine Kugel hatte sie schwer getroffen. Mitten im Lauf überschlug sie sich.
Der Verwundete wurde aus dem Sattel geschleudert. Er kam so unglücklich mit dem Kopf auf, dass er das Bewusstsein verlor.
Als er die Augen aufschlug, umstanden ihn seine Verfolger mit finsteren Gesichtern. Von denen hatte er keine Gnade zu erwarten. Das also war das Ende.
Einer der Männer war bereits dabei, die Schlinge zu knüpfen. Er warf das Seil über einen starken Ast und befestigte es am Stamm.
Der junge Bursche richtete sich auf. Er presste die Lippen zusammen und starrte auf seine Stiefelspitzen. Einer der Männer trat hinter ihn und fesselte ihm die Hände auf den Rücken. Ein breitschultriger, schwarzbärtiger Mann stieß ihn mit dem Fuß an.
»Hast du noch was zu sagen, Clanton?«
Clanton schwieg. Er wusste, dass jedes Wort nur Zeitverschwendung war. Sie hängten ihn so oder so.
Der Schwarzbart gab den Männern ein Zeichen. Zwei von ihnen packten Clanton und setzten ihn auf ein Pferd. Ein schmaler krummbeiniger Kerl schwang sich hinter ihm auf den Pferderücken und streifte Clanton die Schlinge über den Kopf.
Clantons Lippen zitterten plötzlich. Angesichts des nahen Todes fiel aller Trotz von ihm ab. Angst und Verzweiflung hatten ihn gepackt.
»Seid verdammt!«, schrie er. »Seid alle verdammt!«
Seine Stimme überschlug sich, wurde zum Kreischen.
»Du hast getötet, Billy Clanton«, sagte der Schwarzbart. »Und wir bestrafen dich nach dem alten Gesetz: Auge um Auge, Zahn um Zahn.«
Er hatte seine kurzstielige Reitpeitsche vom Gürtel genommen und stellte sich hinter dem Pferd auf. Die geflochtene Lederschnur pfiff durch die Luft und landete klatschend auf dem Fell des Pferdes.
Gleichzeitig mit dem Knall der Peitsche donnerten Schüsse auf. Drei, vier Schüsse, in blitzschneller Folge abgefeuert.
Die Henker standen wie erstarrt. Der Strick, an dem Billy Clanton hing, zerriss dicht über seinem Kopf. Hart kam der junge Bursche auf der Erde auf.
Benommen blieb er liegen. Er sah nicht den Reiter, der zwischen den Bäumen aufgetaucht war. Es war ein großer Mann, dunkel gekleidet und mit einem hageren Gesicht. In der linken Hand hielt er den Revolver, in der rechten eine doppelläufige Schrotflinte mit abgesägten Läufen.
Die Henker richteten ihre Gewehre auf ihn, aber niemand wagte zu schießen. Noch nicht.
Die Schrotflinte sprach eine allzu deutliche Sprache. Und die zwanzig Männer standen so dicht beisammen, dass mindestens ein halbes Dutzend von ihnen getroffen wurde, wenn dieser Fremde die beiden Ladungen gehackten Bleis in sie hineinjagte.
Ruhig schob der große Mann jetzt den Revolver hinter den Hosenbund. Dann holte er ein Zigarillo aus der Brusttasche seines Wildlederrocks, riss am Sattelleder ein Zündholz an und begann zu rauchen.
Die Henker lösten sich aus ihrer Erstarrung. Der schwarzbärtige Anführer sagte rau: »Was wollen Sie hier, Mann? Warum mischen Sie sich in unsere Angelegenheiten? Verschwinden Sie, oder wir pumpen Sie voll Blei.«
Der große Mann grinste. Dass er zwanzig Männern gegenüberstand, schien ihn nicht im Geringsten zu beeindrucken.
»Das könnt ihr ja mal versuchen«, sagte er lässig. »Aber ich werde dann noch ein paar von euch mitnehmen.«
»Ist Ihnen das Leben eines Mörders so viel wert?«, knurrte der Schwarzbart. »Kennen Sie ihn etwa?«
Billy Clanton war inzwischen wieder zu sich gekommen. Er hob den Kopf und musterte nachdenklich den großen Mann.
»Lassiter?«, rief er überrascht. »Dich schickt der Himmel.«
»Lassiter?«, fragte der Schwarzbart. »Sie sind wirklich Lassiter?«
Der große Mann grinste.
»Was dagegen?«
Der andere schüttelte den Kopf. Er bemühte sich um einen gleichgültigen Gesichtsausdruck, aber Lassiter sah deutlich die Gier in seinen hellblauen Augen.
Auch die anderen Henker hatten eine angespannte Haltung angenommen. Lassiter! Der Name bedeutete im Augenblick viel Geld. Wells Fargo hatte eine Prämie auf seinen Kopf ausgesetzt, die höher war als alles bisher Dagewesene. Fünfzigtausend Dollar – tot oder lebendig.
»Verschwindet jetzt!«, sagte Lassiter.
Der Schwarzbart senkte sein Gewehr und ging zu seinem Pferd. Seinen Begleitern nickte er kurz zu und forderte sie auf, ihm zu folgen. Als er im Sattel saß, blickte er Lassiter noch einmal herausfordernd an.
»Wir sehen uns wieder, Lassiter«, sagte er rau. »Die Prämie, die auf deinen Kopf ausgesetzt ist, lassen wir uns nicht entgehen. Und Billy Clanton entkommt uns ebenso wenig.«
Lassiter nickte gelassen. Er sagte nichts und wartete, bis die Meute verschwunden war. Dann stieg er vom Pferd und warf die Schrotflinte achtlos auf die Erde.
»Das war verdammt knapp«, ächzte Billy Clanton, während Lassiter ihm die Handfesseln durchschnitt. »Ein Glück, dass du die Greener dabei hattest. Mit einer normalen Waffe hättest du Sam Darkin und seine Meute nicht so einschüchtern können. Das hätte ein Blutbad gegeben.«
Lassiter schüttelte den Kopf.
»Das glaube ich kaum, Billy.«
»Warum?«
»Die Flinte ist nicht geladen.«
Billy starrte verblüfft. Dann brach er in Gelächter aus. Er konnte sich kaum beruhigen.
»Wir müssen weiter«, sagte Lassiter. »Da sind nämlich noch ein paar Hombres hinter mir her. Die lassen mich schon seit Santa Fé nicht mehr zur Ruhe kommen.«
Billy Clanton wurde ernst.
»Bei uns bist du in Sicherheit«, meinte er. »Die Clantons haben noch nie einen Freund im Stich gelassen. Old Man wird sich freuen, wenn er dich sieht.«
Er wollte aufstehen, sank aber ächzend wieder zurück. Der Blutverlust und der Sturz vom Pferd hatten ihn ziemlich mitgenommen.
Lassiter sah nach der Wunde. Die Kugel hatte die Schulter glatt durchschlagen. Er holte Whisky aus seiner Satteltasche, nahm erst selbst einen Schluck, gab sie dann Billy. Nachdem der sich ebenfalls gestärkt hatte, goss Lassiter Whisky über die Wunde. Billy stieß einen pfeifenden Laut aus und biss die Zähne zusammen, dass es knirschte.
»Du bist ja ein richtiger Pferdedoktor«, ächzte er.
»Es musste sein«, erwiderte Lassiter trocken. Er griff Billy unter die Arme und half ihm auf die Füße. Er wollte mit ihm zu seinem schwarzen Pferd. Es war ein kräftiges Tier, dem die doppelte Belastung nicht viel ausmachen würde.
Als sie die ersten Schritte zurückgelegt hatten, hörte Lassiter Hufschlag. Er ließ Billy los. Der junge Bursche schwankte hin und her, griff haltsuchend nach vorne, drehte sich halb um die eigene Achse und fiel der Länge nach zu Boden.
»Ich kann nicht mehr alleine stehen«, keuchte er. »Vor meinen Augen dreht sich alles. Ich glaube, bei dem Sturz vom Pferd hat mein Kopf ziemlich was abbekommen.«
»Gehirnerschütterung«, sagte Lassiter. »Da musst du ruhig liegenbleiben. Ist das einzige Gegenmittel.«
Er ging zu seinem Pferd und zog die Winchester aus dem Scabbard. Mit dem Gewehr in der Hand trat er an den Rand der Baumgruppe. Von Osten näherten sich Reiter. Acht Mann. Lassiters Jäger.
Sie waren noch eine knappe Meile entfernt und ritten schnell. In ein paar Minuten würde es zum Kampf kommen.
Lassiter wusste, was dort für Männer auf seiner Fährte ritten. Allesamt harte, erfahrene Burschen. Bluthunde. Kopfgeldjäger. Sie hatten sich in die Fährte verbissen und würden erst dann aufgeben, wenn sie ihr Wild gestellt hatten. Natürlich wusste jeder von ihnen, dass er auch sein eigenes Leben bei dieser Jagd aufs Spiel setzte. Aber das hielt sie nicht zurück.
Der Preis, der am Ende wartete, lockte viel zu sehr.
Hinter sich hörte Lassiter jetzt Geräusche. Er drehte den Kopf.
Billy Clanton hatte sich in Bewegung gesetzt. Er kroch auf sein totes Pferd zu. Dort lag sein Revolver im Gras, den er beim Sturz vom Pferd verloren hatte. Und im Scabbard steckte das Gewehr, dessen Kolben an der Flanke des toten Tieres herausragte. Der schwere Körper lastete auf dem Lauf.
Verbissen versuchte Billy, das Gewehr unter dem Tier wegzuziehen, aber er schaffte es nicht. Er war eben noch längst nicht wieder im Vollbesitz seiner Kräfte.
Lassiter lief zu ihm hin und half ihm. Grinsend nahm Billy sein Gewehr in Empfang.
»Denen werden wir Feuer unter dem Hintern machen«, knurrte er. »Wie viele sind es eigentlich?«
»Schätze, acht. War auf die Entfernung noch nicht so genau auszumachen. Hank Jenkins ist ihr Anführer.«
Billy Clanton pfiff leise durch die Zähne.
»Der Texaner?«
Lassiter nickte.
»Dann wird es hart«, murmelte Billy und kroch vorwärts. »Ich kann mich zwar noch immer nicht auf den Beinen halten«, keuchte er unterwegs, »aber meine Hände sind so ruhig wie immer.«
Lassiter schritt schnell voraus. Als er am Rand der Baumgruppe ankam, hatten sich die Reiter bis auf etwa fünfhundert Schritt genähert. Der große Mann konnte jetzt die einzelnen Gestalten voneinander unterscheiden. Vorhin war der Pulk eine einzige dunkle Masse gewesen.
Was er sah, entlockte ihm einen leisen Fluch.
»Nervös?«, fragte Billy Clanton, der gerade an Lassiters Seite aufgetaucht war. »Vorhin hattest du bessere Nerven.«
»Vorhin ging es auch gegen Männer«, knurrte Lassiter. »Diesmal ist eine Frau mit im Spiel. Siehst du sie?«
Billy Clanton kniff die Augen zusammen.
»Der eine Reiter in der Mitte könnte eine Frau sein. Ziemlich schlanke Figur und für einen Mann zu langes Haar unter der Hutkrempe.«
Lassiter nickte.
»Das ist sie. Shelly Carrigan. Eine meiner besten Freundinnen. Und Tochter eines Mannes, der mal mein Partner war. Sam Carrigan hat mir vor zwei Jahren das Leben gerettet, ist aber selbst dabei draufgegangen. Seitdem habe ich mich ein wenig um das Mädchen gekümmert. Habe ihr geholfen, eine Existenz aufzubauen. In Albuquerque besitzt sie ein kleines Hotel. Jetzt haben Jenkins und seine Schufte sie entführt.«
»Bist du sicher, dass sie es ist?«
»Ich habe gute Augen«, murmelte Lassiter.
»Was jetzt?«
»Abwarten.«
Billy zog das Gewehr an die Schulter und visierte einen der Reiter an. Sein Finger lag am Abzug.
»Sie haben uns noch nicht entdeckt«, sagte er kampfeslustig. »Wenn wir schnell schießen, haben wir die Hälfte von ihnen aus dem Sattel geputzt, bevor sie sich in Deckung bringen können.«
Lassiter legte die Hand auf Billys Gewehrlauf und drückte ihn nach unten.
»Du scheinst nicht zu wissen, was für Schufte das sind, Billy. Hank Jenkins hat den Abschaum der Grenze um sich versammelt. Ringo Killeen, Jack Patterson, Toby MacFadden und Jerry Curlman, um nur ein paar der Namen zu nennen. Sobald die ersten Schüsse fallen, ist Shelly Carrigan verloren. Diese Burschen machen sich nichts daraus, einem wehrlosen Mädchen die Kehle durchzuschneiden.«
»Willst du dich vielleicht für das Mädchen opfern?«, fragte Billy spöttisch. »Von der Seite kenne ich dich ja noch gar nicht. Seit wann bist du sentimental geworden? Sei doch vernünftig, alter Freund. Uns bleibt nichts anderes übrig, als zu kämpfen.«
»Nein.«
Die Reiter waren inzwischen auf zweihundert Schritt heran. Es wäre in diesem Augenblick für Lassiter und Billy Clanton nicht schwer gewesen, einige der Banditen aus den Sätteln zu putzen. Die Banditen hatten die beiden auf dem Hügel noch immer nicht bemerkt. Arglos kamen sie heran, das Mädchen in ihrer Mitte.
Lassiter rechnete blitzschnell seine Chancen durch. Und die Chancen des Mädchens. Wenn sie Glück hatten, konnten sie die Banditen tatsächlich überrumpeln.
Während er selbst noch zögerte, hatte Billy Clanton seinen Entschluss gefasst. Er stieß einen leisen Fluch aus, und sein Gewehr donnerte auf.
Nun blieb auch Lassiter keine andere Wahl mehr. Blitzschnell feuerte er mehrere Schüsse hintereinander ab. Banditen fielen schreiend von ihren Pferden. Fünf Sättel leerten sich unter den Kugeln Lassiters und des jungen Billy Clanton.
Aber drei von ihnen entkamen. Zusammen mit Shelly.
Hank Jenkins, der Anführer der wilden Horde, hatte unheimlich schnell reagiert, als der erste Schuss gefallen war.
Mit einem wilden Schrei landete er hinter dem Mädchen auf dem Pferderücken. Er presste Shelly eng an sich und lenkte das Pferd aus dem Schussbereich.
Lassiter konnte es nicht wagen, ihm eine Kugel in den Rücken zu jagen. Das Geschoss konnte durch seinen Körper schlagen und Shelly verletzen oder gar töten.
Grimmig starrten Lassiter und Billy hinter den drei Männern her, die sich hinter einer Bodenwelle in Sicherheit brachten.
Billy Clanton sah Lassiter an und zuckte bedauernd die Schultern.
»Jetzt möchtest du wohl am liebsten Hackfleisch aus mir machen, wie?«, fragte er heiser.
Lassiter winkte ab.
»Jetzt ist es passiert«, sagte er rau.
Er starrte zu den fünf Männern hinunter, die sie aus den Sätteln geholt hatten. Sie lagen reglos. Die Pferde waren in ihrer Angst ein Stück weggelaufen und knabberten an den dürren Grasspitzen.
Hank Jenkins, Ringo Killeen und Rio, das Halbblut, waren entkommen. Die Grausamsten und Gefährlichsten der Bande.
»Ich könnte losreiten und Old Man und die Jungens holen«, schlug Billy vor. »Dann hätten die drei keine Chance mehr.«
Drüben hinter der Bodenwelle gellte Shellys Schrei und zerflatterte in der klaren Luft des Nachmittags. Es klang entsetzlich.
»Hundesöhne!«, knurrte Lassiter.
»Soll ich reiten?«, fragte Billy Clanton. »Es ist deine einzige Chance und die des Mädchens.«
»Und deine«, ergänzte Lassiter.
Billy sah ihn zornig an.
»Willst du damit sagen, dass ich die Absicht habe, nur mein Leben in Sicherheit zu bringen?«
»Ich habe einen besseren Vorschlag«, knurrte Lassiter. »Ich werde mit den Schuften verhandeln. Sie sollen das Mädchen freilassen und dir mit ihr zusammen freien Abzug zusichern.«
»Traust du dem Wort eines Banditen?«, fragte Billy. »Sobald du dich gestellt hast, werden sie nicht mehr daran denken, Shelly freizulassen. Und mich lassen sie erst recht nicht ziehen. Die haben doch den Bauch voller Wut, weil fünf von ihnen ins Gras beißen mussten.«
Lassiter nickte. Der Junge hatte recht. Den drei Schuften dort drüben durfte er auf keinen Fall trauen.
»Bis wann kannst du mit den anderen hier sein, Billy?«
»Frühestens um Mitternacht.«
»Kannst du überhaupt wieder alleine im Sattel sitzen?« Billy grinste wild.
»Mein Kopf ist wieder einigermaßen klar«, antwortete er. »Vielleicht liegt das an dem Pulverdampf, der vorhin meine Nase gekitzelt hat. So was wirkt manchmal Wunder.«
Er kroch ein Stück in den tiefen Schatten der Bäume zurück und richtete sich langsam auf. Er schwankte zwar noch ein wenig, blieb aber auf den Beinen. Diesmal fiel er nicht wieder um.
Er zog sich in den Sattel und ritt langsam den westlichen Hang des Hügels hinab. Lassiter sah ihm nach. Er dachte an die Männer, die Billy Clanton hängen wollten. Wenn sie ihm unterwegs auflauerten, war der Junge verloren. Und dann stand es auch schlecht um Lassiter und das Mädchen.
Wieder hörte Lassiter Shellys gellenden Schrei. Wut packte ihn bei dem Gedanken, was die Schufte jetzt wohl mit ihr anstellten. Vielleicht wurde sie gerade vergewaltigt und gequält.
Nach dem Schrei nahm Lassiter eine Bewegung dort drüben wahr. Zuerst erschien Shelly auf der Bodenwelle.
»Vorwärts mit dir!«, hörte er gleich darauf Hank Jenkins' raue Stimme. »Zeig dich dem Bastard! Er soll sehen, was wir mit dir anstellen, wenn er sich nicht ergibt.«
Einer der Kerle versetzte Shelly einen heftigen Stoß. Sie wurde vorwärtsgetrieben und stolperte das letzte Stück bis auf den höchsten Punkt der Bodenwelle.
Anfangs hatte Lassiter nur ihren Kopf gesehen. Nun sah er sie ganz. Die Banditen hatten ihr alle Kleider vom Körper gerissen. Auch die Stiefel hatten sie ihr ausgezogen. Mit nackten Füßen musste sie sich durch spitze Steine und Dornen einen Weg suchen. Wenn sie in eine der messerscharfen Chollas trat, würde sie unsägliche Schmerzen erleiden müssen.
Jetzt blieb sie stehen. Sie konnte nicht mehr weiter. Der Strick um den Hals hinderte sie daran. Ihr weißer Körper leuchtete im grellen Sonnenlicht. Lassiter sah sie zum ersten Mal nackt. Er hatte es nie für möglich gehalten, dass sie solch einen vollendeten Körper besaß. Sie hatte sich aber auch immer entsprechend gekleidet. Immer nur lange, weit geschnittene Kleider, wie sie nun einmal von braven Frauen getragen wurden. Außerdem hatte sich Lassiter niemals Gedanken über Shelly als weibliches Wesen gemacht. Sie war die Tochter seines Freundes, und er hatte ihr nach dem Tod Sam Carrigans kräftig geholfen, sich eine Existenz aufzubauen. Bei seinem letzten Besuch hatte sie ihm sogar eine Andeutung über einen jungen Mann gemacht, in den sie sich verliebt hatte.
Jetzt stand sie da. Einen Strick um den Hals. Ohne Hut. Ohne schützende Stiefel an den Füßen. Schutzlos der gnadenlosen Sonnenhitze und den gierigen Blicken der drei Schufte ausgesetzt.
Wut packte Lassiter.
Wenn sich das Blatt jemals wenden wollte, so würde er die drei Hundesöhne bitter bezahlen lassen für das, was sie getan hatten.
Shelly hatte den Kopf gesenkt. Sie schluchzte. Ihre Schultern zuckten. Sie schämte sich. Das war für sie vielleicht schlimmer als alles andere, was sie ertragen musste.
»Shelly!«, rief Lassiter. »Kopf hoch, Mädchen! Du wirst bald wieder frei sein.«
»Das liegt ganz an dir!«, schrie Hank Jenkins höhnisch. »Lass deine Waffen dort drüben liegen, und dann komm langsam und mit erhobenen Händen, damit wir dich gefangen nehmen können.«
»Lass das Mädchen frei, Jenkins!«, gab Lassiter zurück. »Anschließend können wir unsere Meinungsverschiedenheiten wie Männer austragen. Eine verdammte Schweinerei von dir, das Mädchen in die Sache hineinzuziehen.«
Höhnisches Gelächter der drei Banditen war die Antwort. Sie waren sich ihrer Position voll bewusst. Und Lassiter war überzeugt davon, dass sie nicht daran dachten, Shelly wirklich freizulassen. Sie mussten ja damit rechnen, dass Shelly sie durch ihre Aussage in Bedrängnis brachte. Das konnten sie sich nicht leisten.
Shelly Carrigan musste sterben. Genau wie Lassiter.
Der große Mann durchdachte seine Möglichkeiten. Einen Trumpf hatte er noch in der Hand, nämlich seine Beute. Das war sein Köder für die drei Halunken. Damit konnte er sie eventuell hinhalten.
Natürlich wollten die Banditen auch dieses Geld haben. Es war eine größere Summe als die von Wells Fargo ausgesetzte Belohnung. Erst wenn sie das hatten, würden sie Lassiter töten. Und das Mädchen.
Lassiter grinste wütend vor sich hin.
»Hundesöhne!«, knurrte er.
Dann kam er langsam hinter seiner Deckung hervor. Shelly stand noch immer zwischen den Büschen auf der Bodenwelle. Sonnenlicht umfloss ihren schlanken Körper.
»Ich komme!«, rief Lassiter. »Lasst jetzt Shelly frei!«
Hinter dem Mädchen entstand Bewegung. Hank Jenkins tauchte auf. Er hielt sich allerdings so geschickt hinter ihr, dass sie ihn mit ihrem Körper deckte.
Der Lauf seines Gewehrs zeigte an ihr vorbei auf Lassiter.
»Wirf deine Waffen weg!«, rief er.
Lassiter blieb stehen. Er ließ die Winchester fallen. Dann zog er den großen Remington-Revolver aus dem Holster und warf ihn ebenfalls auf die Erde. Er dachte an den Derringer, den er im Stiefelschaft verborgen hatte. Aber viel erhoffte er sich davon nicht. Diese Halunken würden auf der Hut sein. Sie kannten ihn. Sie wussten, dass er gefährlicher als zehn Klapperschlangen war. So schnell würden sie nicht auf einen Trick hereinfallen.
Er blickte in das hagere, glattrasierte Gesicht des Banditenführers. Die graublauen Augen starrten kalt und bösartig.
Nur kurz wandte er jetzt den Kopf und sagte: »Nehmt ihn euch vor, Partner! Die Giftzähne habe ich ihm gezogen. Seid aber trotzdem vorsichtig. Lassiter ist ein Bastard, der erst aufgibt, wenn er nicht mehr atmen kann.«
Lassiter sah jetzt die beiden anderen Schufte. Auch sie hatten ihre Gewehre schussbereit auf ihn gerichtet. Neben Shelly blieben sie stehen.
»Weitergehen!«, befahl Jenkins und meinte Lassiter.
Der große Mann setzte sich in Bewegung. Shelly sah ihn an. Ihr schönes Gesicht war von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit gezeichnet. Auch sie wusste, dass Lassiter jetzt verloren war.
Lassiter stellte erleichtert fest, dass seine Vermutung stimmte. Die Banditen hatten nicht die Absicht, ihn jetzt schon zu töten. Wenn das der Fall wäre, hätten sie ihn längst niedergeknallt.
Wieder hörte er das leise Wimmern des Mädchens. Seine Wut steigerte sich. Noch fünf Schritt bis zu der kleinen Gruppe. Der dunkelgekleidete Ringo Killeen und Rio, das Halbblut, ließen ihn nicht aus den Augen. Sie grinsten schmierig. Die Gewissheit, endlich über Lassiter triumphiert zu haben, berauschte sie.
Die Mündung von Killeens Gewehr stieß gegen Lassiters Bauch. Der große Mann blieb stehen. Rio, das Halbblut, ging um Lassiter herum und näherte sich ihm von hinten. Er tastete Lassiters Körper nach versteckten Waffen ab, fand aber nur die beiden großen Messer.
Die Stiefel untersuchte er nicht.
Lassiter schöpfte neue Hoffnung. Er gab sich noch längst nicht geschlagen. Es war seine Art, zu kämpfen, solange noch ein Funken Leben in ihm war.
Er warf einen Blick zu Hank Jenkins. Der Schuft hatte sein Gewehr gesenkt. Er hielt es lässig in der Rechten. Den linken Arm schlang er jetzt um Shellys Hüften und versuchte so, das Mädchen an sich zu ziehen.
Sie schrie auf und wich vor ihm zurück. Sie konnte sich wieder bewegen, denn es war ja niemand mehr da, der das Lasso hielt.
Hank Jenkins ließ sein Gewehr fallen. Gierig setzte er dem Mädchen nach. Er bekam mit beiden Händen seine Schultern zu packen und riss es mit einem Ruck zu sich heran. Er presste die rechte Hand hart gegen seinen Rücken und griff mit der Linken in sein volles blondes Haar.
»Katze!«, keuchte er. »Dich werde ich zähmen.«