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Da kamen sie. Ein gespenstischer Anblick: schwarz vermummte Gestalten im bleichen Mondlicht. Die Armee der Unsichtbaren. Die Teufel der Nacht. Und zwischen ihnen die beiden entführten Mädchen. Dem Tod geweiht wie alle anderen, die jemals dieser unheimlichen Bande in die Hände gefallen waren.
Lassiter presste sich gegen die steile Felswand des Canyons. Höchstens fünf Fuß lagen zwischen ihm und dem Rand der Schlucht. Die Banditen waren eine Minute zu früh gekommen. Wenn sie ihn jetzt entdeckten, gab es kaum noch eine Chance für ihn und die beiden Mädchen.
Und dann gellte der Schrei, peitschten die ersten Schüsse. Kugeln schlugen dicht neben Lassiter in das Gestein. Sein Leben war keinen Cent mehr wert...
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Seitenzahl: 175
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
LASSITER UND DIE TEUFEL DER NACHT
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Impressum
LASSITER UND DIE TEUFEL DER NACHT
von Jack Slade
Lassiter schlug die Augen auf. Sein Kopf dröhnte. Er lag auf dem Bauch, unter sich kalte feuchte Planken.
Er war nackt. Wind strich vom Fluss her über seine Haut. Er hörte das Rauschen des Wassers, hörte, wie unter ihm die Wellen schmatzend und gurgelnd an den Stützpfosten des überdachten Anlegesteges leckten.
Und er hörte Stimmen.
»Soll ich ihm noch eine Kugel in den Kopf jagen?«, fragte jemand.
Lassiter erkannte Red Jim Bannocks Stimme. Es war der Sohn des bärtigen Fährmanns. Ebenso verkommen und gewaltig wie sein Vater Harry Bannock, der jetzt heiser auflachte.
»Nicht nötig, Red«, sagte er. »Der ist noch immer bewusstlos. Komm, pack mit an! Er soll noch was davon haben. Jedenfalls hoffe ich, dass er nicht gleich ersäuft, dieser Hundesohn.«
Seine Stiefelspitze traf Lassiters Körper. Der große Mann spürte den Schmerz kaum. Er blieb reglos liegen. Er wusste, dass Kampf im Augenblick sinnlos war. Die Schufte hatten ihm zu sehr zugesetzt. In seinem Zustand würde er sich kaum auf den Beinen halten können.
Und die beiden Bannocks waren stark wie Büffel.
Seine einzige Chance war der Fluss. Er wusste ja jetzt, was sie mit ihm vorhatten. Wenn sie aber merkten, dass er noch etwas Widerstandskraft besaß, jagten sie ihm vielleicht doch noch eine Kugel in den Kopf, bevor sie ihn ins Wasser warfen.
Jetzt packten ihn die beiden an. Einer nahm die Handgelenke zwischen seine Pranken, der andere die Fußknöchel.
»Wenn er nicht schon hier oben ersäuft, werden ihn die Stromschnellen zu Pemmikan zerreiben«, sagte Red Jim. »Und anschließend bekommen die Alligatoren wieder mal eine ordentliche Mahlzeit. Das ist...«
Mehr hörte Lassiter nicht mehr. Er flog durch die Luft und klatschte ins Wasser. Eiskaltes Schmelzwasser, das jetzt im Frühjahr aus den Bergen herabfloss.
Die reißende Strömung erfasste Lassiter, wirbelte ihn ein paar Mal herum, so dass er sofort die Orientierung verlor.
Er wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Verzweifelt kämpfte er. Die eisige Kälte biss sich in seiner Haut fest wie ein wütendes Tier und lähmte seine Muskeln.
Rings um ihn herum war tiefe Dunkelheit. Und Wasser. Nichts als trübes, lehmiges Wasser, durch das auch bei Sonnenschein nicht viel Helligkeit gedrungen wäre. Aber jetzt war Nacht, und die treibenden Wolken ließen nur hin und wieder etwas Mondlicht auf die Erde fallen.
Lassiter ruderte kräftig mit den Armen. Ein Glück, dass sie ihn nicht gefesselt hatten. Aber vielleicht wussten sie, dass das nicht nötig war. Sie mussten es wissen. Sie kannten ja den Fluss, wohnten schon so viele Jahre hier.
Wieder einmal wurde Lassiter von einem Strudel herumgewirbelt. Noch immer war sein Kopf unter Wasser. Seine Lungen drohten zu platzen. Lange würde er es nicht mehr aushalten. Nur noch Sekunden.
Mit dem Kopf stieß er gegen etwas Hartes. Er streckte die Hände aus, spürte Geäst und nasses Laub zwischen den Fingern.
Er zog sich hoch.
Spürte, wie sein Kopf über die Wasseroberfläche kam. Riss weit den Mund auf und pumpte Luft in seine Lunge.
Eine Weile hielt er sich am Geäst des Baumes fest. Eine Weide. Mit ihrem ganzen Wurzelwerk hatte der Fluss sie aus dem Ufer gerissen. Trieb nun mit Tonnen von Dreck und anderem Treibholz dem Missouri entgegen.
Lassiter spürte, wie seine Zähne klapperten. Seine Hände waren kalt und steif. Die Kälte schien seinen Körper erstarren zu lassen.
Er dachte an die Worte des rothaarigen Bannock. Jim hatte von Stromschnellen gesprochen.
Aus der Ferne hörte Lassiter ein dumpfes Brausen und Donnern, das die Geräusche der Wellen um Lassiter herum übertönte. Wenn er dort hineingeriet, würde sein Körper mit tödlicher Sicherheit zerschmettert werden.
Er spähte durch die Dunkelheit. Für Sekunden brach Mondlicht durch die treibenden Wolken und zeigte Lassiter, dass er sich nur zwanzig Meter vom rechten Ufer entfernt befand.
Die Strömung schien hier noch reißender zu sein als oben beim Fährhaus. Trotzdem riskierte Lassiter den erneuten Sprung ins Wasser. Er musste es tun. Es war seine einzige Chance.
Jetzt kam er besser zurecht als vorhin.
Die wenigen Minuten auf dem Baumstamm hatten ihm etwas von seiner Kraft zurückgegeben. Und das eisige Wasser hatte seinen Kopf wieder klar werden lassen.
Mit kräftigen Stößen arbeitete er sich dem Ufer entgegen. Im letzten Augenblick sah er von rechts ein großes Holzstück auf sich zu treiben. Blitzschnell tauchte er weg und entging so dem Zusammenstoß.
Das Donnern und Brausen der Stromschnellen wurde lauter und die Kraft der Strömung stärker. Lassiters Arme peitschten das Wasser.
Er war am Ende seiner Kraft, als er endlich das Ufer erreichte.
Er warf sich zwischen die Büsche und blieb eine Weile schweratmend auf dem Bauch liegen. Langsam beruhigten sich seine keuchenden Lungen wieder. Er entspannte sich, grinste wild.
Sie hatten ihm alles genommen. Sein Geld, seine Kleidung, seine Waffen und sein Pferd. Nur sein Leben hatten sie ihm nicht nehmen können. Und das war mehr wert als alles andere. Die anderen Sachen würde er sich zurückholen.
»Hundesöhne!«, knurrte er vor sich hin, während er sich erhob.
Zuerst knickte er ein Bündel dünner Weidenzweige ab und peitschte damit seinen Rücken, den Bauch, die Beine. Er spürte, wie seine durchkühlte Haut zu glühen begann. Wärme kehrte in den Körper zurück.
Dann lief er los. Am Flussufer entlang. Er wollte zurück zum Fährhaus.
Plötzlich spürte er, wie der Boden unter seinen Füßen weich wurde. Er schritt zögernder weiter, sank tiefer in den Morast ein, der sich sofort an seinen Füßen festsaugte.
Er wusste, was das bedeutete. Das war einer dieser verdammten Sümpfe. Wer sich hier hineinwagte, war rettungslos verloren.
Der große Mann fluchte leise. Das konnte für ihn einen weiten Umweg bedeuten. Er bückte sich, stieß seine Hand in den schwarzen Morast. Er war angenehm warm.
Mit beiden Händen holte er immer mehr Schlamm heraus und verteilte ihn gleichmäßig auf seinem Körper. Das wirkte wie eine zweite Haut. Es war zwar kein ausreichender Schutz gegen die Kälte, aber doch recht angenehm für Lassiter.
Nachdem er sich von Kopf bis Fuß eingerieben hatte, marschierte er weiter durch die Dunkelheit. An manchen Stellen musste er durch dichtes Gestrüpp. Zweige peitschten sein Gesicht. Dornen rissen seine Haut auf.
Der Himmel begann sich aufzuhellen. Der Tag kündigte sich an. Lassiter blickte an sich herab. Er sah fast aus wie ein Schwarzer.
Wieder musste er einem Sumpfstreifen ausweichen. Er wurde nach links abgedrängt und entfernte sich so immer weiter vom Fluss und dem Fährhaus.
Lassiter legte keine Pause ein. Er wusste, dass er nur dann am Leben blieb, wenn er sich ständig bewegte.
Seine Füße brannten höllisch. Er atmete auf, als er einen dunklen Kiefernwald erreichte. Auf dem dicken weichen Nadelteppich war das Gehen eine Wohltat. Auch kam hier der Wind nicht so stark durch. Die Luft war bedeutend wärmer.
Nach einer Weile sah er ein Licht durch die Stämme schimmern. Sein Schritt wurde langsamer, vorsichtiger. Am Waldrand blieb er stehen, vom Unterholz gedeckt.
Dort vorne standen ein kleines Haus und eine alte Scheune. Aus einem der Fenster des Hauses fiel Licht. Nach Lassiters Schätzung musste es jetzt etwa sechs Uhr am Morgen sein.
Plötzlich hörte Lassiter das Knurren. Dann ein dumpfes, wütendes Hundegebell. Ein großer, schwarzer und zottiger Hund löste sich aus dem Schatten der Scheune und rannte auf Lassiter zu.
Der große Mann sah sich nach einer Waffe um. Nichts Geeignetes lag in seiner Nähe. Kein knorriger Ast, kein brauchbares Stück Holz.
Schnell kam der Hund näher. Ein großes, zähnefletschendes Tier.
Es brach durch das Unterholz und sprang Lassiter knurrend an.
Lassiter schwang das Bein vor. Sein Fuß prallte gegen die breite Brust des Hundes, der sich jaulend überschlug.
Aber sofort war er wieder auf den Beinen und griff erneut an. Diesmal warf sich ihm Lassiter entgegen. Im selben Augenblick, als die Bestie an ihm hochsprang, bekam der Mann den zottigen Hals zu packen. Mit der linken Hand. Die rechte zuckte von oben auf die lange Schnauze. Hart presste er Daumen und Zeigefinger hinter den langen Reißzähnen auf die Lefzen.
So konnte er nicht mehr zubeißen.
Jaulend versuchte der Hund, sich aus dem klammernden Griff zu befreien. Die Krallen rissen Schrammen über Lassiters Brust. Es war ein starkes und gewandtes Tier.
Lassiter stieß das Tier zu Boden und presste es auf die Erde. Es war von beiden Seiten ein erbitterter, verzweifelter Kampf.
Allmählich wurden die Bewegungen des Hundes kraftloser. Lassiters klammernde Faust schnürte ihm die Luft ab.
Das Tier legte den Kopf auf die Seite und sah Lassiter aus seinen braunen Augen fast flehend an. Das Knurren war in ein leises, klägliches Jaulen übergegangen.
»Na also«, brummte Lassiter und ließ das Tier los. »Hoffentlich hast du deine Lektion gelernt.«
Der schwarze Hund hatte begriffen, dass dieser Mann stärker war. Er schien zu den klugen Hunden zu gehören. Er kam auf die Füße, warf Lassiter noch einen scheuen Blick zu und drehte dann mit eingezogenem Schwanz ab.
Lassiter spähte zum Haus hinüber. Dort drüben schien man von dem Zwischenfall nichts bemerkt zu haben. Vielleicht waren sie auch daran gewöhnt, dass der Hund öfter vom Hof zum nahen Wald rannte, wenn er einen Hasen oder ein anderes jagdbares Tier gewittert hatte.
Er verließ den Wald und hielt sich zunächst so, dass die Scheune ihn vor eventuellen Blicken vom Haus her deckte.
Das letzte kurze Stück zwischen Scheune und Haus legte er mit ein paar schnellen Sprüngen zurück.
Die Tür war nicht verschlossen. Er öffnete sie langsam und lautlos. In dem schmalen, fensterlosen Flur blieb er stehen. Die linke Tür stand einen Spalt offen. Lassiter sah eine Frau und zwei Männer. Die Frau kam gerade mit einer Kanne vom Herd herüber und stellte sie den beiden Männern hin. Der Geruch von frisch gekochtem Kaffee stieg Lassiter in die Nase.
Er stieß die Tür mit einem Ruck auf und trat ein. Mit einem einzigen Blick überflog er die ganze Einrichtung des Raumes. Es war Wohnraum und Küche in einem. Das Mobiliar war derb, aber es strahlte eine behagliche Atmosphäre aus. An der Wand hinter dem Tisch hing ein großes buntes Bild, auf dem eine Schlachtszene dargestellt war. »Custers letzter Kampf« stand darunter.
An einer anderen Wand hing ein großes Bärenfell. Nicht weit davon stand der Gewehrständer.
Lassiter nahm das alles mit einem einzigen Blick in sich auf.
Die Frau und die beiden Männer starrten ihn an wie ein Gespenst.
»Guten Morgen«, sagte Lassiter trocken.
Die zwei Männer sahen gefährlich aus. Bärtige Gestalten mit kräftigen Fäusten.
Lassiter wusste, dass es hart für ihn werden würde, wenn es zu einem Kampf kommen sollte.
»Wer sind Sie?«, knurrte der eine Mann. »Woher kommen Sie?«
»Lassiter mein Name. Habe einen Spaziergang durch die Sümpfe gemacht. Können Sie mir 'ne Hose und 'n Hemd ausleihen?«
»Mein Gott!«, rief die Frau, die sich jetzt erst von ihrem Schreck erholt hatte. »Sie sind ja völlig nackt.«
Lassiter nickte gelassen.
Die zwei Männer am Tisch blickten plötzlich misstrauisch. Der eine sah den anderen bedeutungsvoll an.
Es war wie ein stummer Gedankenaustausch. Sie schienen beide eine ganz bestimmte Idee zu haben.
»Wir haben keine Hosen und auch sonst nichts zu verschenken«, sagte der Ältere von den beiden. »Verschwinden Sie, Mann! Das hier ist ein anständiges Haus.«
Lassiter ging auf den Tisch zu. Er nahm die Kaffeekanne und füllte sich eine der großen Tassen. Während er trank, sah er aus den Augenwinkeln, wie sich die Frau langsam vom Herd entfernte und sich dem Gewehrständer näherte.
Gleichzeitig rückten die zwei Männer ihre Stühle zurück und standen auf. Sie versperrten Lassiter den Weg.
»Verdammt gastfreundliches Haus«, sagte er sarkastisch und setzte die Tasse ab. Im nächsten Augenblick krachte seine Rechte gegen das Kinn des älteren Mannes. Der wurde zurückgeschleudert bis zur Wand und lehnte sich mit glasigen Augen dagegen. Man sah ihm deutlich an, dass er sich nur noch mit Mühe auf den Beinen hielt.
Wütend griff der andere Mann an. Wütend darüber, dass Lassiter ihnen mit seinem überraschenden Angriff zuvorgekommen war und ihnen das Konzept verdorben hatte.
Seine Faust landete auf Lassiters Magenpartie.
Lassiter ließ sich nicht auf einen Schlagabtausch ein, sondern packte mit beiden Händen das Handgelenk des Gegners. Es war die linke Hand, die gerade wie ein Geschoss auf seinen Kopf zuflog.
Der Mann wurde herumgeschleudert. Er stieß einen dumpfen Schrei aus. Dann flog er durch die Luft auf die Frau zu, die gerade ein Gewehr an sich gerissen hatte und es durchladen wollte. Der Mann prallte gegen sie, und gemeinsam gingen sie zu Boden.
Lassiter sprang auf sie zu. Er hob das Gewehr auf, das der Frau entfallen war.
Als sich die drei endlich von ihrem Schock erholt hatten, saß Lassiter bereits wieder am Tisch. Er nahm einen Schluck vom heißen Kaffee und deutete auf den Herd, wo Eier in der Pfanne brutzelten.
»Machen Sie weiter, Madam!«, sagte er. »Sonst verbrennen die ganzen Eier noch. Außerdem bin ich hungrig.«
Eingeschüchtert ging die Frau zum Herd. Lassiter lehnte sich auf dem breiten Stuhl zurück. Die beiden Männer lauerten tückisch. Das Gewehr lag griffbereit vor Lassiter auf dem Tisch.
Der eine der Männer hatte ungefähr die gleiche Figur wie Lassiter. »Du holst mir jetzt ein paar Sachen zum Anziehen!«, sagte Lassiter zu ihm. »Aber lass dir keine Dummheiten einfallen. Ist das deine Frau?«
Der Mann nickte mürrisch. Er war der Jüngere von den beiden. Ungefähr um die Dreißig. Den anderen schätzte Lassiter um fünf Jahre älter. Es schienen Brüder zu sein.
»Das ist ein Überfall, was Sie hier machen, Lassiter«, sagte der Mann, der ihm die Sachen holen sollte. »Ich werde dafür sorgen, dass Sie gejagt werden. Was wollen Sie überhaupt in dieser Gegend?«
»Einen Freund besuchen«, sagte Lassiter. »Aber das geht dich einen Dreck an. Verschwinde jetzt!«
Der Mann ging und knallte die Tür hinter sich zu.
Lassiter ließ den anderen Mann und die Frau nicht aus den Augen. Er sah ihnen an, dass sie auf eine Chance lauerten.
Die Frau legte Eier, Schinken und Brot auf einen Holzteller und stellte ihn vor Lassiter auf den Tisch. Während er aß, sah er sich die Frau genauer an. Das rote Haar und das etwas zu knochige Gesicht weckten unangenehme Erinnerungen in ihm.
»Wo bin ich hier?«, fragte er. »Wer seid ihr?«
»Ich bin Mary O'Leary«, sagte die Frau heiser. »Das da ist Jake, mein Schwager. Mein Mann heißt Bill.«
»Sie haben eine gewisse Ähnlichkeit mit jemandem, den ich kürzlich kennengelernt habe«, murmelte Lassiter.
Die Frau zuckte unmerklich zusammen.
»Wo?«, fragte sie unsicher. Sie schien zu wissen, was Lassiter mit seinen Worten meinte.
Lassiter grinste.
»Bei Harry Bannock«, sagte er. »Im Fährhaus am Fluss.«
Mary O'Leary warf ihrem Schwager einen schnellen Blick zu. Beide waren jetzt sichtlich nervös.
»Sag's ihm nur, Mary«, meinte Jake. »Das kann er doch wissen, dass du Harrys Tochter bist.«
»Lenas Schwester also«, sagte Lassiter und schob sich ein großes Stück Schinken zwischen die Zähne. »Lena ist ein temperamentvolles Mädchen. Wenn Sie auch solche Qualitäten haben, Mary, dürfte sich Ihr Mann ja kaum beklagen können.«
Die Frau presste die Lippen zusammen und drehte Lassiter den Rücken zu. Der große Mann grinste.
»Lassiter«, sagte Jake O'Leary böse, »sind Sie etwa mit dem alten Harry aneinandergeraten, dass Sie hier nackt durch die Gegend spazieren? Hat er Ihnen die Kleider abgenommen und Sie in die Sümpfe gejagt?«
Jake wusste mehr. Lassiter durchschaute ihn. Der Bursche wollte hier etwas verharmlosen.
Sein Bruder Bill kam herein. Er trug ein Bündel Kleider auf dem Arm. Mürrisch warf er die Sachen auf den Tisch.
»Dafür wirst du bezahlen, Lassiter.« Lassiter nickte.
»Das werde ich bestimmt, O'Leary.«
»Er kommt vom Fährhaus«, sagte Mary. »Muss irgendwas mit Lena gehabt haben.«
O'Leary reagierte ähnlich nervös wie vorhin die beiden. Er räusperte sich und sah Lassiter unsicher an.
»Wer sich mit den Bannocks anlegt, ist erledigt, Lassiter«, sagte er dann heiser.
Lassiter war mit dem Essen fertig. Er trank den Rest des Kaffees und ließ sich von der Frau Whisky bringen.
Die drei standen unschlüssig da. Sie spürten die Gefahr, die von diesem großen Mann ausging.
Lassiter schaute an sich herab. Der schwarze Schlamm war auf seiner Haut getrocknet und an einigen Stellen schon abgeplatzt.
»Und jetzt brauche ich ein Bad«, sagte er. »Ihr habt doch einen Badezuber? Holt ihn herein. Und Sie, Mary, setzen schon mal Wasser auf.«
Die Brüder O'Leary nickten bereitwillig. Sie witterten eine Chance. Wenn Lassiter erst im Zuber saß, konnte er sie nicht mehr so gut im Auge behalten.
Während das Bad vorbereitet wurde, zogen an Lassiter die Bilder vom vergangenen Nachmittag und vom Abend vorbei. Gegen fünf hatte er den Fluss erreicht und sich übersetzen lassen. Der Fährmann war ein freundlicher Mann. Als es anfing zu regnen, bemerkte er beiläufig, dass Lassiter in seinem Haus übernachten könne. Die nächste Stadt würde er vor Mitternacht auf keinen Fall erreichen.
Lassiter nahm das Angebot an. Harry Bannock hatte häufig Reisende zu Gast. Das brachte ihm, wie er sagte, immer ein paar Dollars Nebenverdienst, die er gut gebrauchen konnte.
Das Essen war gut, der Whisky schmeckte auch, und das Zimmer sah ordentlich aus. Bannocks Tochter Lena servierte das Essen. Das temperamentvolle Mädchen gefiel Lassiter. Sie war vom Gesicht her zwar keine ausgesprochene Schönheit, aber dafür stellte ihre Figur vieles von dem in den Schatten, was Lassiter schon gesehen hatte. Außerdem war es wieder ein paar Wochen her, seit er zum letzten Mal mit einer Frau zusammen gewesen war.
Am Abend kam dann, was kommen musste.
Lassiter schlief mit Lena. Er ging einfach auf ihr Zimmer, als sie bereits im Bett lag, und Lassiter erlebte ein paar Stunden mit ihr, die er so schnell nicht vergessen würde.
Inzwischen jedoch hatte der alte Bannock genug Zeit, Lassiters Gepäck zu durchwühlen. Dabei fand er die fünftausend Dollar Anzahlung, die Lassiter von einem gewissen Frank Patterson erhalten hatte, und einen Brief von diesem Patterson.
Mitten in der Nacht fielen die beiden Bannocks dann über Lassiter her. Als er gerade einmal kurz die Augen zugemacht hatte. Sie gaben ihm erst einen Hieb über den Schädel, warteten, bis er halbwegs wieder zu sich gekommen war, und fielen dann über ihn her, als wollten sie ihn in Stücke schlagen.
Lassiter hatte keine Chance.
Jetzt fragte er sich nur, warum ihn die beiden umbringen wollten. Das hatten sie ihm nicht verraten. Sie hatten ihm lediglich immer wieder in die Ohren gestopft, dass er ein ganz verdammter Hurensohn sei, der in diesem Land nichts zu suchen hätte.
Waren die fünftausend Dollar der Grund oder der Brief von diesem Frank Patterson, den Lassiter bei sich trug?
Oder vielleicht sogar die hübsche Lena, über die der alte Bannock eifersüchtig wachte?
Lassiter wusste, dass er es herausfinden würde. Hier am Fluss schien einiges los zu sein. Bedeutend mehr, als in Frank Pattersons Brief mitgeteilt worden war.
Der Badezuber stand jetzt mitten im Raum, gefüllt mit Wasser. Die Frau und die zwei Männer sahen ihn auffordernd an. In ihren Augen las er den Ausdruck stummen Lauerns.
Er grinste und stand auf. Mit dem Gewehr in der Hand stieg er in den Badezuber. Er saß so, dass er die drei ständig im Auge behalten konnte. Dann begann er seelenruhig, seinen Körper zu säubern.
Als er etwas später in Bill O'Learys Kleider geschlüpft war, fühlte er sich wie ein neuer Mensch. Die Strapazen der vergangenen Nacht waren wie weggewischt.
»Lassiter«, sagte Bill O'Leary, »jetzt hast du uns zwar noch am Lasso. Und es wird dir wohl auch gelingen, diese Ranch ohne eine Kugel im Bauch zu verlassen.«
»Sicher werde ich das«, sagte Lassiter. »Deshalb gehst du jetzt und sattelst mir ein Pferd. Wie weit ist es eigentlich bis zum Fährhaus?«
»Fünfzehn Meilen. Wenn die Sümpfe nicht dazwischenlägen, wären es höchstens fünf Meilen.«
»Fünfzehn Meilen«, murmelte Lassiter nachdenklich. »Und wie weit ist es bis zur Ranch von Patterson?«
»Du willst zu Patterson?«, fragte O'Leary überrascht. »Das bedeutet also, dass du aus einem bestimmten Grund in diese Gegend gekommen bist. Jetzt verstehe ich alles. Du bist Pattersons neuer Mann.«
»Hast du was dagegen, O'Leary? Ich habe zwar noch keine Ahnung, was in dieser Gegend los ist. Aber ihr und die Bannocks scheint nicht gerade gut auf ihn zu sprechen zu sein.«
»Patterson ist ein Hundesohn. Und wer für ihn kämpft, ist auch einer. Dir wird es nicht besser ergehen als all den anderen, die er ins Land geholt hat. Als letzte bisher mussten Cal Ballard und seine fünf texanischen Raureiter dran glauben. Sechs schnelle Texaner, Lassiter. Sie kamen nach Montana und starben. Genau wie viele andere. Bildest du dir vielleicht ein, dir würde es besser ergehen? Bist du eigentlich ganz allein? Oder werden noch andere kommen?«
Lassiter grinste.
»Das müsst ihr selbst herausfinden. Warum habt ihr eigentlich Patterson nicht längst auf seiner Ranch ausgeräuchert, wenn er solch ein Schuft ist? Wenn ich euch recht verstanden habe, dürfte das doch gar nicht schwer sein.«
»Wir?«, fragte Bill O'Leary schnell. »Wir haben damit nichts zu tun. Wir gehören nicht zu diesen Teufeln der...« Unwillig wischte er mit der Hand durch die Luft. »Ah, zum Teufel, lass es dir von Patterson selbst erzählen.«
Hier schien wirklich einiges los zu sein. Lassiter hatte es von Anfang an geahnt...