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Lassiter und der Sheriff von Sanderson kämpften Rücken an Rücken. Eine kurze, erbitterte Schlacht gegen eine Meute zweibeiniger Wölfe. Hinter sich hörte Lassiter den erstickten Aufschrei des Sheriffs. Er erledigte die letzten beiden Schufte und kümmerte sich dann um Jesse McBride, dessen Gesicht bereits vom Tod gezeichnet war.
"Nimm meinen Stern, Lassiter!", keuchte er. "Nimm ihn und kümmere dich auch um Judy..."
Und Lassiter nahm den Stern. Von nun an war er allein in dieser höllischen Stadt. Auf verlorenem Posten gegen die Giganten.
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Seitenzahl: 173
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
DA NAHM LASSITER DEN STERN
Vorschau
Impressum
DA NAHM LASSITERDEN STERN
von Jack Slade
Lassiter kauerte hinter dem niedrigen Felsbrocken und wartete auf den zweiten Angriff der Comanchen. Die Luft zwischen den steil aufragenden Felswänden des schmalen Canyons war wie flüssiges Blei. Unter Lassiters Knien schien der Sand zu glühen. Die Stacheln eines Cholla-Kaktus hatten sich durch den derben Stoff seiner Hose in das Fleisch des rechten Unterschenkels gebohrt.
Er registrierte den Schmerz nur im Unterbewusstsein. Seine ganze Konzentration galt den Comanchen, die irgendwo dort vorne zwischen den Felsen darauf lauerten, dass er sich eine Blöße gab.
Die Deckung, die ihm der Stein bot, war äußerst dürftig. Sie verurteilte ihn zum regungslosen Verharren. Er wusste, dass sie sofort schießen würden, sobald sie auch nur einen Zipfel von ihm erblickten.
Auch zurückziehen konnte er sich nicht. Hinter ihm war nichts als die tafelglatte, von spärlichem Geröll bedeckte Sandsohle des Canyons. Wenn er also die Deckung verließ, würden sie ihn von ihrem leicht überhöhten Standort aus bald erspähen.
Die Stille ringsum war abgrundtief und zerrte an den Nerven. Kein Geräusch deutete auf die Nähe der Comanchen hin, aber er wusste, dass sie da waren. Es war nicht die Art dieser Krieger, sich zurückzuziehen. Dafür waren sie bekannt. Wenn sie einmal angriffen, kämpften sie bedingungslos und rücksichtslos bis zum Ende weiter.
Lassiter lauschte angespannt. Die Sonne stand senkrecht über ihm und schleuderte ihre Gluthitze auf seinen ungeschützten Kopf und sein Genick. Der Hut lag dort vorne neben seinem toten Pferd. Zehn Schritte von ihm entfernt und doch unerreichbar.
Der süßliche Blutgeruch erfüllte die Luft. Bald würde in der Hitze die Verwesung einsetzen, begleitet von entsetzlichem Gestank, den kein Mensch lange ertragen konnte.
Lassiter fluchte lautlos in sich hinein. Er spürte, wie sich seine Muskeln verkrampften. Er musste bald etwas unternehmen. Irgendetwas. Lieber in einem heftigen Kampf sterben, als hier langsam von der Sonne ausgetrocknet zu werden.
Seine Muskeln spannten sich zum Sprung. Mit der rechten Hand hielt er den Kolbenhals der Winchester umklammert.
Mit einem zornigen Knurren warf er sich nach rechts. Sofort krachten drüben zwischen den Felsen die Schüsse auf. Kugeln schlugen dicht vor ihm in den Sand. Er stieß einen gellenden Schrei aus, breitete die Arme aus und ließ sich steif nach vorne fallen.
Die Comanchen hörten auf zu schießen. Munition war bei ihnen Mangelware. Jede einzelne Patrone war eine Kostbarkeit.
Er hörte, wie sie sich mit kehligen Rufen verständigten. Aus den Wortfetzen, die zu ihm herüberwehten, entnahm er, dass sie ihres Sieges sicher waren.
Dann hörte er, wie sie auf ihn zukamen. Ihre Schritte knirschten im heißen Sand. Sie waren zu dritt.
Lassiter wartete eiskalt. Gleich kam es darauf an, genau im richtigen Augenblick anzugreifen. Es war seine einzige Chance, am Leben zu bleiben.
Je näher sie kamen, desto langsamer wurden ihre Schritte. Sie waren immer noch mit großem Misstrauen erfüllt. Jetzt blieben sie stehen. Sie sagten nichts.
Die Entfernung zwischen ihnen und Lassiter betrug ungefähr fünf Schritte. Er merkte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Er konnte sich das Bild genau vorstellen. Wie sie sich mit Blicken verständigten. Wie sie ihre schussbereiten Gewehre auf ihn gerichtet hielten.
»Er ist tot«, sagte einer der Krieger. »Ich werde mir seinen Skalp und seine Waffen holen.«
Lassiter kannte einige Indianer-Dialekte. Auch den der Comanchen.
»Ich sehe kein Blut«, sagte ein anderer Comanche. »Lass uns vorsichtig sein, Bruder.«
»Ich habe ihn in die Brust getroffen«, sagte der erste Sprecher überzeugt. »Die Kugel steckt in seinem Herzen. Unter seinem Körper ist der Sand mit seinem Blut durchtränkt, aber das kannst du nicht sehen.«
Danach hörte Lassiter wieder Schritte. Nur einer kam auf ihn zu. Bestimmt der Krieger, der so überzeugt war, ihn erledigt zu haben. Die anderen blieben zurück und gaben ihm Deckung.
Der Comanche blieb dicht neben Lassiter stehen. Er schob einen Fuß unter den Körper des großen Mannes, um ihn auf den Rücken zu drehen. Dabei grunzte er zufrieden vor sich hin. Der Geruch von Tierfett, Knoblauch und andere Ausdünstungen stiegen Lassiter in die Nase.
Er machte sich schwer. Trotzdem schaffte es der Comanche, ihn mit dem Fuß auf den Rücken zu drehen.
Während Lassiter herumrollte, zog er seinen Revolver. Es sah zuerst aus, als ob seine Hand zufällig auf den Kolben gerutscht wäre. Als er dann aber die Waffe aus dem Holster riss, weiteten sich die Augen des Indianers erschrocken.
Er stieß einen lauten Schrei aus, sprang einen Schritt zurück und wollte schießen.
Lassiter war schneller. Seine Kugel traf den Comanchen mitten in die Brust. Er feuerte zwar noch sein Gewehr ab, aber die Kugel richtete keinen Schaden an.
Inzwischen hatte sich Lassiter bereits herumgeworfen. Er sah die verzerrten Gesichter der anderen zwei Comanchen. Ihre altmodischen Gewehre donnerten auf. Springfield-Gewehre, einschüssig. Eine Kugel fuhr mit heißem Brennen über Lassiters rechte Hüfte. Die andere verfehlte seinen Kopf nur knapp. So knapp, dass er den Luftzug des Geschosses an seinem linken Ohr spürte.
Flach auf der heißen Erde liegend, schoss er zurück. Er sah, wie die beiden Krieger unter dem Einschlag der Kugeln zusammenzuckten. Sie ließen die Gewehre fallen. Gleich darauf brach der eine zusammen. Der andere riss das Kriegsbeil aus dem zottigen Fellgürtel und schleuderte es auf Lassiter.
Der große Mann rollte sich gedankenschnell zur Seite. Die scharfe Schneide des Tomahawks pflügte den Sand an der Stelle, wo eben noch Lassiters Kopf gelegen hatte.
Der verwundete Comanche schrie wütend und griff nach seinem Messer. Schwankend stand er da und hob langsam den Arm. Lassiter zielte mit dem Revolver, aber er brauchte nicht mehr zu schießen. Der Indianer hatte plötzlich keine Kraft mehr. Sein Arm mit dem Messer sank schlaff herab. Seine schwarzen Augen nahmen einen starren Ausdruck an. Dann brach er in die Knie und fiel langsam nach vorne.
Lassiter richtete sich auf. Er streckte sich und knetete seinen verkrampften Nacken. Allmählich wurden seine Muskeln wieder locker.
Nacheinander untersuchte er die drei Comanchen. Keiner war mehr am Leben. Sie hatten so gekämpft, wie es ihre Art war. Sieg oder Tod, etwas anderes gab es nicht für diese stolzen Krieger.
Lassiter verspürte keinen Zorn auf die Männer. Er kannte die Situation der Indianer nur zu gut. Ihre ganzen Kämpfe in den letzten Jahren waren nicht mehr als das letzte, verzweifelte Aufbäumen eines zum Untergang verurteilten Volkes, dem die weißen Einwanderer alles genommen hatten. Er konnte verstehen, dass sie nun mit Grausamkeit und gnadenlosem Hass gegen alle Weißen vorgingen.
Jeder der drei trug einen Skalp hinter dem Fellgürtel. Es waren die Skalps weißer Männer. Noch ziemlich frisch. Es bedeutete, dass die drei von einem Überfall zurückgekehrt waren. Vielleicht waren sie die Späher eines größeren Trupps, der jeden Moment auftauchen konnte. Es wurde Zeit für Lassiter, dass er wegkam.
Zwischen den Felsen fand er die struppigen Mustangs der Comanchen. Er suchte sich das stärkste Tier heraus, einen Pinto-Wallach, nahm ihm den mit Schaffell überzogenen Holzsattel und das aus Haaren geflochtene Kopfgeschirr ab und legte ihm den Sattel seines erschossenen Pferdes auf.
Dann ritt er weiter. Vor sich im Sand sah er die Spuren der drei Indianermustangs. Sie waren aus der Richtung gekommen, in die er nun ritt. Sorgfältig beobachtete er ständig seine Umgebung.
Am Morgen, als er den Rio Grande überquert hatte, hatte er noch nicht gewusst, dass die Comanchen wieder auf den Kriegspfad gegangen waren. Das war auch der Grund für seine Sorglosigkeit gewesen, die ihn beinahe das Leben gekostet hatte.
Plötzlich waren die drei vor ihm aufgetaucht. Zwischen diesen Felsen. Sie waren genauso überrascht wie er selbst. Allerdings waren sie ihm gegenüber im Vorteil, weil sie ihre Gewehre schon in den Händen hielten. Nachdem sie ihm das Pferd unter dem Hintern weggeschossen hatten, konnte er sich gerade noch hinter dem Stein in Deckung bringen.
Nach einer Stunde entdeckte er weitere Spuren. Eine Gruppe von ungefähr zwanzig Reitern hatte hier gehalten und sich dann getrennt. Nach drei verschiedenen Richtungen waren sie auseinandergeritten. Und von Osten waren sie gekommen.
Lassiter ritt ostwärts. Die roten Berge mit ihren sandigen Canyons blieben hinter ihm zurück. Er ritt über sanft geschwungene, mit gelbem Gras bedeckte Hügel und durch Täler mit winzigen Rinnsalen. Wenn überhaupt, so war dieses Land nur dünn besiedelt.
Im Norden erblickte Lassiter eine dünne graue Schlangenlinie, die sich durch das gelbe Grasland wand. Das musste eine Straße sein.
Er lenkte sein Pferd darauf zu. Die Spuren der Comanchen hatte er inzwischen aus den Augen verloren. Es war, als hätten ihre Pferde auf einmal Flügel bekommen.
Noch etwa zwei Meilen bis zu der Straße, die von Osten nach Westen verlief. Weit und breit war noch immer nichts zu entdecken, das auf eine menschliche Ansiedlung schließen ließ.
Bis Lassiter dann plötzlich die Rauchfahne entdeckte. Irgendwo weiter nördlich zwischen den Hügeln.
Zuerst war es nur ein dünner weißer Schleier, wurde jedoch bald schon größer, entwickelte sich zu einem dunklen Rauchpilz, der sich vor den hellblauen Himmel schob.
Nun hörte Lassiter auch die Schüsse. Dünn wie Peitschenknalle wehten sie zu ihm herüber.
Er ritt schneller. Der erbeutete Pinto zeigte, dass er ein guter Renner war. Die Entfernung schmolz rasch zusammen. Das Donnern der Schüsse verstärkte sich. Dazwischen hörte Lassiter das Kriegsgeheul von Indianern beim Angriff.
Vor sich sah er wenig später die brennenden Gebäude. Direkt an der Überlandstraße. Eine Pferdewechselstation. Der Stall, die Scheune und die Wagenremise standen in hellen Flammen. Es konnte nur noch Minuten dauern, bis das Feuer auch auf das Stationsgebäude übergriff.
Lassiter zügelte den Mustang hinter einer Baumgruppe und spähte zwischen den Stämmen hindurch in die Senke hinab. Das Gewehr lag bereits an seiner Schulter. Aber dann schüttelte er plötzlich den Kopf.
Im Haus war gerade der letzte Schuss gefallen. Da kam jede Hilfe zu spät. Falls Lassiter jetzt noch auf die Comanchen losging, konnte er sein Testament machen.
Er sah, wie drei Indianer in das Stationsgebäude liefen, und hörte gleich darauf ihre Schreie. Ein Teil der anderen folgte ihnen. Der Rest der Horde trieb die Pferde und die Rinder aus den Corrals hinter der Station.
Die Flammen griffen auf das Haus über. Ein Comanche zerrte ein blondhaariges Mädchen aus dem Haus. Sie schrie wie wahnsinnig. Sie wehrte sich verzweifelt. Der Comanche warf sie zu Boden, setzte das Knie auf ihren Rücken und fesselte ihr die Hände.
Andere Indianer schleppten Vorräte aus dem Haus. Säcke mit Mehl, Zucker und Salz. Waffen, Munition und Fässer, in denen wahrscheinlich Whisky war.
Der Indianer, der das Mädchen herausgeschleppt hatte, schien der Anführer der Horde zu sein. Ein großer, muskulöser Mann mit einer Feder im pechschwarzen Haar, dessen Enden er zu zwei Zöpfen geflochten hatte, die links und rechts an seinen Wangen herabfielen und bis auf seine nackte Brust reichten.
Er ließ jetzt von dem Mädchen ab und rief den anderen etwas zu. Wahrscheinlich Befehle. Die Comanchen arbeiteten in fieberhafter Hast. Sie hörten erst auf, das Haus auszuplündern, als die ersten Balken funkenstiebend zusammenstürzten.
Das Mädchen erhob sich mühsam und rannte davon. Der Comanchenhäuptling sah es im letzten Moment und setzte ihr mit großen Sprüngen nach. Als er sie eingeholt hatte, packte er sie am langen blonden Haar und schleifte sie zurück auf den Platz vor dem brennenden Haus.
Lassiter visierte den Häuptling an, ließ dann aber das Gewehr wieder sinken. Es war sinnlos. Jetzt konnte er dem Mädchen noch nicht helfen. Es wäre für sie beide Selbstmord gewesen.
Die Comanchen luden die erbeuteten Waren auf die Pferde. Dann saßen sie auf und zogen westwärts davon. Das gefangene Mädchen ritt neben dem Anführer. Ihr standen üble Zeiten bevor. Sie war außergewöhnlich schön. Wahrscheinlich hatte der Anführer die Absicht, sie für sich zu behalten. Vielleicht verkaufte er sie auch an eine der Comanchero-Banden, die neben anderen schmutzigen Geschäften auch mit Menschen handelten.
Lassiter holte seinen Pinto und ritt hinunter zur Station. Das Hauptgebäude stand noch immer in lodernden Flammen. In der Nähe des Hauses lagen die verkohlten Trümmer einer Überland-Kutsche. Sie musste kurz vor dem Überfall hier eingetroffen sein. Es bedeutete, dass nicht nur die Bewohner der Station, sondern auch Fahrer und Passagiere der Stage den Comanchen zum Opfer gefallen waren.
Nur dieses blonde Mädchen – vielleicht war es auch eine junge Frau – hatte das Massaker überlebt.
Lassiter führte den Pinto zum Brunnen. Zuerst pumpte er Wasser in die Pferdetränke. Dann zog er sich das Hemd aus und erfrischte sich selbst unter dem kalten Strahl.
In seiner Nähe loderten noch immer die Flammen. Funkenstiebend brachen Wände zusammen. Das Dach stürzte ein. Dichter Rauch stieg zum Himmel empor. In ein paar Stunden würde man hier nur noch einen verkohlten Trümmerhaufen vorfinden.
Lassiter betrachtete den Mustang. Es war ein zähes Tier, brauchte aber trotzdem eine Ruhepause. Mindestens eine halbe Stunde. Vor ihm lag ein harter und gefahrvoller Ritt. Da musste das Pferd genauso gut in Schuss sein wie die Waffen.
Durch das Prasseln des Feuers hörte Lassiter pochende Geräusche. Er drehte sich um.
Von Osten her näherten sich zwei Reiter. Sie schienen es sehr eilig zu haben.
Wenige Schritte vor Lassiter hielten sie an. Beide machten den Eindruck hungriger Wölfe. Misstrauisch sahen sie Lassiter an.
»Comanchen?«, fragte einer. Lassiter nickte.
Der Mann deutete auf Lassiters Mustang.
»Es soll Burschen geben, die mit den Comanchen gemeinsame Sache machen«, sagte er. »Dieser Pinto ist ein Indianer-Mustang. Wie kommen Sie an dieses Tier, Mister?« Lassiter grinste.
»Was geht dich das an?«, fragte er lässig. »Ihr solltet lieber eure Gäule herumnehmen und zur nächsten Stadt zurückreiten. Der zuständige Sheriff muss informiert werden.« Die beiden starrten finster.
»Du wirst uns begleiten«, sagte der Hagere mit dem pechschwarzen Vollbart. »Das könnte dir so passen, dich aus dem Staube zu machen, wenn wir weggeritten sind.«
Lassiters Hand berührte den Revolverkolben.
»Verschwindet!«, sagte er rau.
Die zwei nahmen eine angespannte Haltung ein. Sie spürten deutlich die Gefahr, die von diesem großen Mann ausströmte.
»Er scheint was zu verbergen zu haben, Tom«, sagte der Bärtige zu seinem Partner.
Der andere nickte. Er war ebenfalls groß und hager und unterschied sich eigentlich nur durch den Bart von seinem Partner.
»Das Gefühl habe ich auch, Harry«, meinte er. »Trotzdem bin ich dafür, dass wir uns nicht weiter um ihn kümmern. Whitman wird uns den Kopf von den Schultern reißen, wenn wir uns nicht genau an seine Befehle halten. Du weißt, dass wir uns durch nichts und niemanden aufhalten lassen sollen. Das andere ist wichtiger. In der Stadt wird man sowieso bald merken, dass die Kutsche überfällig ist. Und dann wird man auch was unternehmen. Aber das ist Sache von Wells Fargo.«
Bei der Nennung des Namens Whitman horchte Lassiter auf. Whitman hieß auch der Mann, den er suchte. Dessentwegen er in diese Gegend gekommen war. Seit drei Wochen war er hinter diesem Hundesohn her.
»Ist Whitman euer Boss?«, fragte er.
Der bärtige Harry nickte.
»Richard Whitman«, sagte er stolz. »Er besitzt die größte Ranch in diesem Teil von Texas. Zwischen Sanderson und dem Rio Grande gehört ihm alles Land.«
Lassiter bemerkte hinter den beiden eine schattenhafte Bewegung. In der Nähe des schwelenden Trümmerhaufens, der bis vor kurzem noch eine Pferdewechselstation von Wells Fargo gewesen war.
Jetzt tauchte zwischen den Büschen ein Mann auf. Auf seinem blauen Hemd funkelte der Sheriffstern.
Jetzt repetierte er das Gewehr durch, das er in den Händen hielt.
Die Köpfe der beiden Reiter flogen herum. Es sah aus, als ob sie ihre Revolver ziehen wollten, aber im letzten Moment hielten sie sich zurück. Sie erkannten, dass sie im Augenblick keine Chance hatten.
»Schnallt ab!«, sagte der Sheriff. »Und dann reitet ihr zurück! Ihr habt Pech gehabt.«
»Wo ist Lee?«, schrie der bärtige Harry. »Was hast du mit Lee Whitman gemacht, McBride?«
»Es geht ihm gut«, sagte Sheriff McBride. »Allerdings nicht mehr lange. Wenn ich ihn erst in der County-Hauptstadt abgeliefert habe, wird es keinem gelingen, ihn noch einmal herauszuholen. Lee wird hängen, wie er es verdient hat.«
»Du bist ein Idiot, McBride«, sagte Harry grinsend. »Bis Marfa sind es noch dreißig Meilen. Wenn dich Whitmans Leute nicht erwischen, dann schaffen es die Comanchen.«
»Und dann stirbt Lee zusammen mit mir«, erwiderte McBride lässig. »Tut jetzt, was ich gesagt habe!«
Die zwei griffen zögernd nach den Schnallen ihrer Revolvergurte. Sie lauerten noch immer auf ihre Chance, aber das Gewehr des Sheriffs redete eine unmissverständliche Sprache.
Lassiter nickte dem Sheriff zu und ging zu seinem Pferd. Während er die Winchester aus dem Scabbard zog, sagte er: »Sie können auf mich zählen, McBride.«
Und dann sah er oben zwischen den Büschen am Rande der Senke etwas aufblitzen. Ein kurzes Funkeln im Sonnenlicht nur, aber Lassiter sagte es genug.
»Achtung, McBride!«, schrie er.
Der Sheriff reagierte gedankenschnell. Er warf sich zu Boden. Am Rand der Senke peitschten zwei Schüsse auf. Im gleichen Augenblick riss Lassiter sein Gewehr an die Schulter und feuerte auf die Mündungslichter dort oben. Zwei gellende Schreie bewiesen, dass er getroffen hatte. Aus den Büschen lösten sich zwei Gestalten, machten ein paar torkelnde Schritte und brachen dann zusammen.
Sheriff McBride kniete jetzt am Boden und hatte sein Gewehr noch immer auf Tom und Harry gerichtet. Die zwei saßen wie erstarrt in ihren Sätteln. Die Revolvergurte lagen bereits neben ihren Pferden auf der Erde.
Lassiter schwang sich auf seinen Mustang und ritt den Hang hinauf. Neben den beiden niedergeschossenen Männern saß er ab. Mit schmerzverzerrten Gesichtern kauerten sie im ausgedörrten Gras. Den einen hatte es am Oberschenkel und am rechten Arm erwischt. Der zweite hatte eine Kugel in der Schulter stecken.
»Daran ist noch keiner gestorben«, sagte Lassiter und sammelte ihre Waffen ein. »Ihr gehört auch zu Richard Whitmans Mannschaft?«
Die beiden nickten finster.
»Du hättest dich besser nicht eingemischt, Mister«, sagte der eine. »Jetzt stehst du zusammen mit McBride auf Whitmans Liste.« Lassiter grinste.
»Ich bin an Kummer gewöhnt«, sagte er. »Wenn ihr euren Boss wiederseht, so bestellt ihm einen Gruß von Lassiter. Sagt ihm, dass ich ebenso viel Interesse wie der Sheriff habe, Lee Whitman an den Galgen zu bringen.«
»Das werdet ihr niemals schaffen«, keuchte der eine Verwundete.
Lassiter antwortete nicht mehr. Mit den Revolvern und Gewehren der Männer schwang er sich wieder auf den Pinto und ritt zurück.
Der Sheriff hatte inzwischen die beiden Gefangenen absitzen lassen. Ihre Waffen lagen auf der Erde.
»Kümmert euch um eure Partner!«, sagte Lassiter. Dann nahm er die Revolver und Gewehre an sich und schleuderte sie zwischen die rauchenden Trümmer des Stationsgebäudes.
Tom und Harry schritten mürrisch zu ihren verwundeten Freunden. Der Sheriff ging zum Rand der Senke zurück und kam bald darauf mit zwei Pferden zurück. Auf dem einen Pferd saß Lee Whitman. Lassiter erkannte ihn sofort wieder. Er sah, wie Whitman erschrak.
»Lassiter«, rief er heiser, »das war alles ein Irrtum vor zwei Monaten in Del Rio! Glaub mir, ich wollte das wirklich nicht. Ich wollte dich nicht hereinlegen. Ich...«
»Halt das Maul, Hurensohn!«, unterbrach ihn Lassiter.
Sheriff McBride sah Lassiter grinsend an.
»Ich sehe, dass ich mir eine gegenseitige Vorstellung ersparen kann«, sagte er. »Sie sind also Lassiter. Und ich bin Jesse McBride, Sheriff von Sanderson. Ich habe einiges von Ihnen gehört, Lassiter.«
»Hoffentlich auch etwas Gutes«, sagte Lassiter.
»Das auch«, sagte McBride. »Und was das andere angeht, so habe ich das Gefühl, als ob manche Leute gewaltig zu Übertreibungen neigen. Deine Auseinandersetzungen mit Wells Fargo zum Beispiel haben einen ziemlichen Wirbel verursacht.«
»Sprechen wir lieber von der Gegenwart«, murmelte Lassiter. »Ich hasse es, alte Geschichten aufzuwärmen. Glaubst du, dass du die dreißig Meilen bis Marfa schaffen kannst?«
McBride zuckte die Schultern.
»Das wäre der richtige Job für dich, Lassiter.« Er deutete auf die schwelenden Trümmer. »Eigentlich müsste ich jetzt nach Sanderson zurück und die Leute warnen.« Lassiter winkte ab.
»Dafür werden Whitmans Leute sorgen. Falls man nicht schon vorher der Kutsche Männer entgegenschickt.«
McBride blickte auf den Gefangenen. Lee Whitmans spitzes Fuchsgesicht hatte einen tückischen Ausdruck angenommen. In seinen Augen leuchtete Hoffnung.
»Jetzt weißt du nicht mehr, was du machen sollst, McBride«, sagte er gehässig. »Jetzt bist du mit deiner Weisheit am Ende. Es ist deine verdammte Pflicht, nach Sanderson zurückzureiten. Du bist als Sheriff für die Sicherheit der Stadt verantwortlich.«
McBride blieb ruhig. Er war ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren. Er hatte blaue Augen, einen sandfarbenen Schnurrbart und eine schmale, scharfgekrümmte Adlernase, die seinem Gesicht einen verwegenen Zug gab. Zweifellos ein harter, mutiger Mann.
»Du brauchst mich nicht auf meine Pflichten aufmerksam zu machen, Lee Whitman«, erwiderte er rau. »Und du brauchst dir auch keine falschen Hoffnungen zu machen. Ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht, um dich einem neutralen Gericht vorzuführen. Deshalb werden wir jetzt weiterreiten. Kommst du mit, Lassiter? Wie mir scheint, hast du auch ein Interesse daran, dass er bestraft wird.«
»Das habe ich«, gab Lassiter zurück. »Seinetwegen werde ich vom Sheriff in Del Rio steckbrieflich gesucht. Eigentlich müsste dieser Steckbrief doch auch bei dir angekommen sein, McBride.«
Jesse McBride hob scheinheilig die Brauen.
»Nicht, dass ich wüsste«, sagte er gedehnt. Danach grinste er listig.