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Vorsicht war sein ständiger Reitgefährte geworden. Sein Pferd verursachte keinen Laut auf dem dicken Nadelpolster, und Unterholz gab es so gut wie gar nicht. Lassiter ging trotzdem keinerlei Risiko ein und ritt äußerst wachsam, das Gewehr schussbereit quer über den Knien. Dies war leeres, verlassenes Land. Er könnte der einzige Mann darin sein. Es machte keinen Unterschied. Er überließ nichts dem Zufall, sondern blieb hellwach. Um am Leben zu bleiben.
Wells Fargo, vor allem der Spezialagent Sidney Blood, wollte ihn. Dringend. Der letzte gegen die Frachtgesellschaft durchgeführte Coup hatte ihr sehr wehgetan, und Blood schwitzte immer noch unter dem Druck von James Humes stummem, aber nachdrücklichem Befehl: Bringen Sie mir Lassiter!
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Seitenzahl: 200
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
WER LASSITER EINE GRUBE GRÄBT
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
XIV
XV
XVI
XVII
Vorschau
Impressum
WER LASSITER EINE GRUBE GRÄBT
von Jack Slade
Vorsicht war sein ständiger Reitgefährte geworden. Sein Pferd verursachte keinen Laut auf dem dicken Nadelpolster, und Unterholz gab es so gut wie gar nicht. Lassiter ging trotzdem keinerlei Risiko ein und ritt äußerst wachsam, das Gewehr schussbereit quer über den Knien. Dies war leeres, verlassenes Land. Er könnte der einzige Mann darin sein. Es machte keinen Unterschied. Er überließ nichts dem Zufall, sondern blieb hellwach. Um am Leben zu bleiben.
Wells Fargo, vor allem der Spezialagent Sidney Blood, wollte ihn. Dringend. Der letzte gegen die Frachtgesellschaft durchgeführte Coup hatte ihr sehr wehgetan, und Blood schwitzte immer noch unter dem Druck von James Humes stummem, aber nachdrücklichem Befehl: Bringen Sie mir Lassiter!
Dieser Roman erschien erstmals im Jahr 1970 als Lassiter-Taschenbuch Nr. 4 als Übersetzung aus dem Amerikanischen. Originaltitel: The Man From Cheyenne
Hume, der Chef der Wells-Fargo-Geheimpolizei, hatte längst aufgehört, es laut zu sagen. Sein Gesicht drückte es aus. Es ließ Sidney Bloods Blut gerinnen.
Für Lassiter war es Zeit, für eine Weile außer Sicht zu bleiben.
Und es gab keinen besseren Ort. Diese Berge waren weit entfernt, rau wie zusammengeknülltes Papier; messerscharfe Grate über Steilhängen; tiefe und enge Canyons. Der dichte Wald bestand aus hohen, geraden Kiefern, die sich dem Sonnenlicht, das nur spärlich bis auf den Grund der Schluchten durchdrang, entgegenreckten. Still war es hier nicht. In jedem Canyon donnerte weißschäumendes Wasser in die Tiefe. Wege waren selten, und Reisende gab es nur wenige.
Und nur wenige wissen von der Hütte, dachte er. Rein zufällig hatte er sie gefunden. Sie hatte früher zu einem Komplex von Blockhütten gehört und der Mannschaft einer Kupfermine als Unterkunft gedient. Die Mine war schon vor vielen Jahren aufgegeben worden. Die Hütte stand ein Stück vom Strom entfernt; inmitten der Bäume, etwa eine halbe Meile schluchtabwärts von der überwucherten Halde, vom Schachteingang entfernt. In dem verfallenen Hauptgebäude dürfte wohl einmal der Manager der Mine gewohnt haben, um so weit wie nur irgend möglich vom Lärm der Fördermaschinen weg zu sein.
Im Westen gab es unzählige solcher verlassener Minen; die Gebäude verrottet, die Schächte mit Wasser gefüllt, Straßen und Wege fortgeschwemmt. Überreste goldener Träume, die nie Wirklichkeit geworden waren.
Für Lassiter war sie ideal. Eine Hütte, die nur aus einem Raum bestand; mit einer kleinen Küche, die als Schuppen angebaut war. Es gab einen verrosteten Herd und ein steinernes Abwaschbecken. Durch einen Trog rann ständig Wasser in dieses Becken. Es gab immer noch genügend knochentrockenes, bereits zugeschnittenes Brennholz. Im Hauptraum stand ein dickbauchiger Ofen; er wurde im Winter benutzt, wenn sich der Schnee bis zu den Dachrinnen auftürmte. Ein Tisch mit Bänken; zwei Pritschen übereinander.
Lassiter hatte den Unrat, der sich im Laufe der Zeit angesammelt hatte, ausgeräumt, seine Deckenrolle auf die untere Pritsche geworfen und es sich hier gemütlich wie zu Hause gemacht.
Unterhalb der Hütte floss der Strom etwas langsamer und verbreiterte sich zu sumpfigen Teichen, die durch eine Reihe Biberdämme gebildet wurden. Hundert Acres stilles, seichtes Gewässer; umgeben von Espen und mit Forellen gefüllt. Fleisch gab es genügend in den Bergen.
Alles in allem also ein Ort, mit dem ein Mann durchaus zufrieden sein konnte.
Lassiter war dankbar dafür. Doch er wurde schon wieder ruhelos. Einen ganzen Monat an einem Ort zu bleiben, das war sehr lange für ihn.
Die Sonne war untergegangen; der Tag neigte sich dem Ende entgegen.
Lassiter hatte ihn mit der Jagd in den Bergen verbracht und eine junge Hirschkuh erlegt. Jetzt ritt er den Canyon hinab, das Wildbret über den Pferderumpf gebunden. Unterhalb der Halde hielt er an, häutete das Tier ab, entfernte die Eingeweide und warf sich die sechzig Pfund Fleisch über eine Schulter. Dann ging er zurück in den Schacht.
Das Bauholz war zwar schon verrottet, aber es hielt immer noch. Die Gleise, auf denen die kleinen Erzloren gefahren waren, bildeten nur noch rostige Streifen. Als Mine interessierte es Lassiter nicht, aber der Schacht kam ihm doch sehr gelegen, denn hier in der kühlen, trockenen Luft konnte er sein Fleisch aufhängen. Die Stelle, die er sich dafür aussuchte, befand sich viel zu tief unter der Erde, um von Fliegen heimgesucht zu werden. Hier unten würde sich das Wildbret gut halten.
Nachdem Lassiter das Fleisch aufgehängt hatte, kehrte er zu seinem Pferd zurück, schnitt die Leber aus den Eingeweiden, vergrub den Rest mit dem Fell zusammen im Abfall der Halde, wusch die Leber, reinigte seine Hände vom Blut und ritt den felsigen Hang hinab, der den rasch dahinfließenden Strom begrenzte.
Am Rande der kleinen Lichtung hielt er vorsichtshalber an.
Die alte Spannung machte sich bei ihm sofort wieder bemerkbar, als er ein Pferd im Pfahlkorral entdeckte. Sein eigenes Pferd wurde unruhig. Er sprach leise und besänftigend auf das Tier ein, saß regungslos im Sattel und studierte aufmerksam das fremde Pferd. Das Brandzeichen auf der schwarzen Hüfte kannte er nicht. Er sah zur Hütte hinüber. Aus dem verrosteten Ofenrohr kräuselte leichter Rauch und verlor sich in den Schatten der Bäume.
Lassiter hatte Gesellschaft bekommen.
Das könnte durchaus in Ordnung sein. Hier oben in den einsamen Bergen hatte jeder das Recht, in einer Weidehütte oder im Gebäude einer stillgelegten Mine Zuflucht zu suchen. Ein ungeschriebenes Gesetz besagte lediglich, dass jeder Besucher eine derartige Unterkunft in ordentlichem Zustand zurückließ und sie nach Möglichkeit auch mit ein paar Lebensmitteln, die er selbst entbehren konnte, ausrüstete. Der Besucher könnte ein Jäger sein. Oder jemand, der auf der Durchreise war. Oder ein Mann wie Lassiter, der sich für einige Zeit verstecken musste.
Es könnte aber auch Ärger bedeuten. Vielleicht hatte ihn einer der Express-Agenten hier aufgestöbert, um ihn zu töten.
Lassiter zog sich etwas tiefer zwischen die Bäume zurück, hielt erneut an und nahm sich die Zeit, nach irgendwelchen anderen Lebenszeichen zu suchen. Doch außerhalb der Hütte rührte sich nichts. Nur ein Eichhörnchen huschte über Lassiters Kopf von Ast zu Ast. Außer dem leisen Rascheln im Laub war nur das Rauschen des Flusses zu hören.
Lassiter schlug einen Bogen und stieg auf der Rückseite des Korrals ab. Hier band er sein Pferd an. Auf dieser Seite der Hütte gab es kein Fenster. Er ging auf die Ecke zu, dann blieb er abrupt stehen. Im tiefen Schatten lag ein Sattel auf dem Boden. Ein Frauensattel.
Lassiter holte tief Luft. Er hatte seit langem keine Frau mehr gehabt. Es war schon zu lange her. Eine Frau hatte er nicht einmal mehr zu Gesicht bekommen. Und hier oben in den Bergen war gewiss nicht der Ort, eine Frau zu erwarten. Es könnte sich also durchaus um eine Falle handeln. Um einen Trick von Sidney Blood. Der Spezialagent von Wells Fargo hatte schon wiederholt Frauen benutzt, um Lassiter in eine Falle zu locken.
Er schob die Leber unters Hemd, nahm das Gewehr in die linke Hand und zog mit der rechten Hand den Colt aus dem Holster. Wie ein Gespenst huschte er lautlos an der Wand entlang und bog um die Ecke. Lautlos öffnete er die Tür einen Spalt und wartete auf irgendeine Reaktion. Nichts geschah. Da stieß er die Tür weit auf.
Der Raum lag im Halbdunkel. Gegen den schwarzen Hintergrund des Ofens zeichnete sich der weiße Stoff ab, der auf den Tisch geworfen war.
Lassiter ging hinein.
Auf dem Fußboden lagen das Kleid und die Unterwäsche sowie die Reitstiefel einer Frau.
Er sah sich im Raum um, konnte die Frau selbst aber nicht sehen.
Vielleicht war sie zum Fluss gegangen, um dort ein Bad zu nehmen.
Lassiters Hüften begannen zu zucken.
Das Wasser war eiskalt; geschmolzener Schnee, der von den Bergen herabströmte. Eine Frau, die in solchem Wasser badete, konnte man nur bewundern.
Vielleicht hatte sie sich aber auch Wasser auf dem Küchenherd heiß gemacht und wusch sich dort.
Lassiter schlich auf Zehenspitzen hinüber. Schwache Wärme schlug ihm entgegen. Im Becken unter dem sprudelnden Trog stand ein Kessel, den Lassiter nicht dorthin gestellt hatte. Er reinigte alle Utensilien sofort nach Gebrauch. Seine Ausrüstung war jederzeit bereit für einen augenblicklichen Aufbruch.
Lassiter kehrte in den Hauptraum zurück. Er war sorglos gewesen. Zwar hatte er gesehen, dass der Vorhang an der unteren Pritsche zugezogen war, aber er hatte nicht sonderlich darauf geachtet. Seit er hier war, hatte er diesen Vorhang nicht ein einziges Mal zugezogen.
Er stellte sein Gewehr an die Wand, behielt den Revolver in der Hand und ging vorsichtig auf die Pritsche zu. Nachdem er einen Moment gelauscht hatte, aber nichts hören konnte, weil das Rauschen des Flusses zu stark war, streckte er eine Hand aus und zog den Vorhang leise zurück.
Das Licht reichte noch aus, um ihn die Frau erkennen zu lassen. Sie lag auf dem Rücken. Ein blondes Mädchen mit recht hübschem Gesicht. Es musste ihm beim Schlafen wohl zu warm geworden sein, denn es hatte die Decke bis zu den Knien abgestreift.
Das Mädchen schlief splitternackt.
Falls es sich um eine Wells-Fargo-Agentin handeln sollte, müsste sie eigentlich gefeuert werden. Es sei denn, dass sie einen Komplizen irgendwo draußen zwischen den Bäumen versteckt hatte.
Das hatte noch Zeit. Lassiter stand da und bewunderte erst einmal dieses Mädchen. Das alte, vertraute Verlangen quoll sofort wieder in ihm auf und wurde immer stärker. Er brauchte Frauen. Ganz besonders unter gefährlichen Umständen. Diese hier sah besser aus als die meisten anderen, denen er sonst begegnet war. Die Brüste wirkten wie große Birnen mit rosa, nicht braunen Warzen, die so steif aufgerichtet waren, als träumte dieses Mädchen gerade von einem Mann. Die Haut war weiß und spannte sich glatt und straff über wohlgeformten Schultern und Armen und einem leicht gewölbten, kräftigen Leib.
Lassiter stand wartend da, bis dunkle Schatten den Raum füllten und die Umrisse des schlafenden Mädchens verschwimmen ließen. Dann ging er noch einmal hinaus und sah sich in der näheren Umgebung der Hütte sehr gründlich um. Er konnte jedoch kein anderes menschliches Wesen hier draußen entdecken.
Da ging er wieder hinein, legte die Leber auf den Tisch, hängte seinen Waffengurt an den Wandhaken und zog sich aus. Er warf die Decke von den Füßen des schlafenden Mädchens und legte sich daneben. Seine rechte Hand hielt immer noch den Revolver.
Lassiter spürte die Körperwärme des Mädchens und nahm den natürlichen Duft wahr. Er beugte sich darüber und genoss es.
Als er mit der freien Hand von der Schulter des Mädchens abwärts strich, wachte es auf. Die Augen verrieten heftiges Erschrecken.
Lassiter wartete auf einen Schrei oder Warnruf, der ihm verraten würde, dass dieses Mädchen nichts weiter als ein Lockvogel war.
Nichts geschah. Sie rückte nur etwas von ihm ab und stemmte sich auf einen Ellbogen, um im Halbdunkel sein Gesicht besser sehen zu können. Dann wanderte ihr Blick an ihrem schlanken, nackten Körper hinab. Sie ließ sich wieder zurückfallen und lachte.
Er bestieg sie. Er hatte noch nie eine Frau gehabt, die dabei gelacht hatte. Doch dieses Lachen brach mit einem schrillen, hohen Ton jäh ab. Und dann war sie bei ihm, stumm vor Hunger. Kräftig, aufreizend, seinem Drängen entgegenkommend, kämpfte sie wie ein Fisch unter ihm... mit ihm, nicht gegen ihn. Es dauerte lange und war gut. Sie übertraf ihn noch und holte das Letzte aus ihm heraus, bis auch sie restlose Erfüllung gefunden hatte.
Sie blieben anschließend liegen, wie sie waren; von müder, aber zufriedener Leere erfüllt. Nachdem sie sich eine Weile ausgeruht hatten, küsste er sie.
Und in der rechten Hand hatte er immer noch den Revolver.
Es war vollkommen dunkel geworden, als er endlich aufstand und die Lampe anzündete. Er drehte sich um und sah sie an. Sie lag wie eine träge Katze da, verlängerte ihre Entspannung und musterte ihn. Obwohl sie die Waffe in seiner Hand sah, sagte sie nichts dazu. Mit der lässigen Geschmeidigkeit einer Wildkatze stand sie schließlich auf, ging zum Tisch und zog sich langsam an.
Sie war gut zum Beobachten. Ohne Eile und anmutig in jeder Bewegung.
Lassiter beurteilte ihre Kleidung. Nicht billig, aber auch nicht protzig. Aber keine Kleidung für einen Ritt durch diese Berge. Bis auf die Stiefel. Aber auch sie verrieten ihm nur, dass sie unvorbereitet hierhergekommen war. Nicht woher, nicht warum. Keinen Grund, warum sie in Stadtkleidung und vierzig Meilen von der nächsten Stadt entfernt jetzt in der Nacht hier oben war.
Beide sprachen kein Wort.
Lassiter zog sich ebenfalls an, ging in die Küche, machte Feuer, zündete eine Laterne an und ging damit zum ausgetrockneten Brunnen hinaus, wo er den Kessel mit den gekochten Bohnen aufgehängt hatte. An diesem kühlen Ort konnten sie nicht so leicht verderben. Außerdem waren sie davor geschützt, von Waschbären gestohlen zu werden. Man musste schon ein bisschen erfinderisch sein, wenn man sich nicht von Waschbären ausplündern lassen wollte.
Lassiter kam in die Küche zurück. Das Mädchen war bereits dabei, die Leber zu zerschneiden. Sie arbeiteten Seite an Seite und bereiteten sich eine Abendmahlzeit, die sie gemeinsam am Tisch verzehrten. Das Mädchen schien genauso ausgehungert zu sein wie Lassiter. Als er mit dem Essen fertig war, drehte er sich eine Zigarette, machte ein paar tiefe Züge und studierte durch den Rauch hindurch das Gesicht des Mädchens.
Sie lehnte sich auf der Bank zurück und lächelte.
»Das war ein voller Tag«, sagte sie. »Und ich habe bestimmt nicht damit gerechnet, dass er so enden würde. Aber ich bin froh, dass ich deine Hütte gefunden habe.«
Ihre Stimme gefiel ihm. Ihm gefiel überhaupt alles, was er bisher von ihr kannte. Aber das war nicht genug. Sie könnte immer noch eine Gefahr für ihn darstellen.
»Mein Pferd hatte sich einen Stein in den Huf getreten. Ich habe ihn herausgepolkt, aber ich wusste, dass es bald lahmen würde, wenn ich ihm keine Ruhe gönnte. Als ich um die Biegung kam, sah ich die Hütte. Ich hielt sie zunächst für verlassen. Dass sie bewohnt ist, merkte ich erst, als ich hereinkam.«
»Und dann?«
Sie zuckte die Schultern.
»Ich hatte doch gar keine andere Wahl, sondern konnte nur hoffen, dass der Bewohner mich für eine Nacht bei sich aufnehmen würde.« Sie lachte gutmütig. »Mit einem solchen Bekanntwerden hatte ich allerdings nicht gerechnet.«
Um Lassiters Lippen zuckte es kurz, doch seine Wachsamkeit ließ noch nicht nach.
»Bekanntwerden...?«, wiederholte er. »Bisher habe ich deinen Namen noch nicht zu hören bekommen.«
»Ich habe dich ja auch nicht nach deinem Namen gefragt, oder? Ich würde ihn dir sowieso nicht glauben, selbst wenn du ihn mir jetzt nennen würdest.«
»Und warum nicht? Was weißt du von mir?«
»Dass du dich versteckst. Du bist bestimmt nicht hier, um in der alten, verlassenen Mine zu arbeiten. Ich habe mich dort ein bisschen umgesehen. In diesem Schacht hat seit Jahren niemand mehr gearbeitet.«
»Und was ist mit dir? Versteckst du dich etwa auch?«
Jetzt schien sie sich in sich selbst zurückzuziehen. Ihr Gesicht zeigte einen verschlossenen Ausdruck.
»Ich stelle keine Fragen, aber ich beantworte auch keine. Wir haben uns getroffen. Wir waren gut füreinander. Morgen früh reite ich weiter. Das genügt mir, und es wird auch dir genügen müssen.«
Er widersprach nicht. Natürlich hätte er Antworten aus ihr herausquetschen können, aber es schien ihm dafür einen besseren Weg zu geben. Zumindest hatte sie niemanden sonst bei sich, mit dem sie zusammenarbeitete. Eine solche Person hätte inzwischen bestimmt längst eingegriffen.
Lassiter brachte das Geschirr in die Küche. Das Mädchen wusch ab, er trocknete ab.
Dann nahm er sie wieder mit auf die Pritsche.
Diesmal ließen sie sich mehr Zeit und erforschten einander etwas gründlicher. Als sie erschöpft waren, schliefen sie engumschlungen ein.
Lassiter erwachte zuerst. Es gehörte zu seinen Prinzipien, nie länger als bis zum Tagesanbruch zu schlafen. Niemals – es sei denn, dass er sich absolut sicher fühlen konnte.
Nackt griff er nach einem Handtuch und nach der selbstgefertigten Angelrute, dann ging er zum Fluss. Er hörte, wie ihm das Mädchen folgte.
Lassiter watete ein Stück ins Wasser, suchte mit den Füßen nach einem festen Halt, spürte die reißende Strömung um seine Hüften, duckte sich, tauchte den Kopf unter Wasser und schrubbte sich anschließend gründlich ab.
Das Mädchen folgte seinem Beispiel, balancierte wie eine Nymphe von Stein zu Stein auf dem Grunde des Flusses und beklagte sich mit keinem Wort über das eiskalte Wasser. Sie bearbeitete rasch, aber ebenfalls sehr gründlich ihren Körper, dann rannte sie zur Hütte zurück und stahl dabei Lassiter das Handtuch.
Er patschte ans Ufer zurück. Sein Körper war vom eisigen Bad stark gerötet.
Lassiter nahm die Angelrute vom Boden auf und ging damit zum obersten Biberdamm. Er fing sehr rasch vier Forellen und trug sie zur Hütte zurück, um sie hier mit einem Messer zu säubern.
Das Mädchen hatte sich inzwischen angezogen und stand am Herd. Die blasse Haut war vom Feuer lebhaft gerötet.
Lassiter schnupperte genießerisch den Duft von frischem Kaffee und einigen in der Pfanne gerösteten Zwiebacken.
Schweigend aßen sie, als gäbe es zwischen ihnen nichts mehr zu sagen; wie Fremde, die zufällig auf einer Kutschenstation am selben Tisch saßen.
Anschließend wusch das Mädchen ab, richtete das Bett her und wandte sich der Tür zu.
»Danke für die Übernachtung. Ich muss jetzt weiter.«
Lassiter sagte nichts, griff nach einer Rolle Seil und ging auf das Mädchen zu. Sie zog verständnislos die Brauen hoch.
»Ich möchte wissen, wer du bist«, sagte Lassiter. »Und was du hier oben zu suchen hast.«
»Tut mir leid.«
Seine Hand zuckte nach vorn und bekam ihr Handgelenk zu fassen. Ziemlich grob riss er ihren Arm auf den Rücken.
»Wenn du dich nicht wehrst, wird es nicht weh tun«, sagte er. »Ich werde dich jetzt fesseln... um sicher sein zu können, dass du auch noch hier bist, wenn ich wieder zurückkomme.«
Sie warf den Kopf herum, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Ihre Lippen waren zurückgezogen und zeigten zwei Reihen makellos weißer Zähne. Ihr Gesicht wirkte jetzt sehr hässlich.
»Das wirst du nicht wagen!«, flammte sie ihn an.
»O doch. Ich wage eine ganze Menge, meine Liebe. Vor allem aber kann ich keinerlei Risiko eingehen. Vielleicht bist du wirklich nur ganz zufällig hier oben und auf diese Hütte gestoßen. Möglicherweise wurdest du aber auch hergeschickt. Das muss ich wissen. Willst du es mir freiwillig sagen?«
»Geh zum Teufel!«
»Eine Schande, eine so schöne Frau fluchen zu hören.«
Er nahm sie kurzerhand auf die Arme, trug sie zur Pritsche zurück, warf sie auf den Rücken und stemmte ein Knie auf ihren Bauch.
Sie wehrte sich verbissen, schrie und kreischte und verfluchte ihn.
Aber es war niemand hier, der sie hätte hören können.
Lassiter fesselte sie rasch und geschickt.
Ihre Augen starrten ihn hasserfüllt an.
Er küsste sie auf die Nasenspitze. Hätte er versucht, sie auf den Mund zu küssen, hätte sie ihn bestimmt gebissen. Als er sich umdrehte und die Hütte verlassen wollte, rief sie ihm nach: »Und was ist, wenn du nicht zurückkommst? Dann werde ich hier verhungern!«
Er füllte eine leere Whiskyflasche mit Wasser und stellte sie in ihre Reichweite.
»Keine Bange, ich werde wiederkommen.«
»Und wenn nicht?«
»Dann werden wir eben beide tot sein.«
Lassiter ritt den Canyon hinab und folgte ihren Spuren. Das war nicht schwer. Niemand sonst war seit Monaten hier entlanggekommen. Die überwucherte Straße wand sich am Grunde der V-förmigen Schlucht dahin, überquerte den Fluss, führte wieder über ihn zurück und verlief mal auf dem einen, mal auf dem anderen Ufer.
Früher hatte es hier solide Brücken aus dicken Baumstämmen gegeben, um das Gewicht der mit Erz beladenen Wagen tragen zu können, die eine Fahrt von siebzig Meilen bis zur Aufbereitungsanlage hatten zurücklegen müssen. Frühjahrsüberschwemmungen hatten diese Brücken längst fortgerissen und die Stämme stromabwärts geschwemmt. Die Minenstraße mündete nach etwa zwanzig Meilen in eine breitere Straße ein, die aus einem zweiten Canyon kam und nach Westen führte.
Diese größere Straße war von einer Holzfäller-Gesellschaft gebaut worden, aber auch sie hatte das Geschäft schon vor vielen Jahren aufgegeben.
An dieser Stelle stieg Lassiter ab und sah sich gründlich nach beiden Richtungen um, um festzustellen, woher das Mädchen gekommen war. Er brauchte nicht lange zu suchen, bis er an einer weicheren Stelle der ansonsten knochenharten Holzfäller-Straße Hufabdrücke fand.
Das Mädchen war also aus dieser Richtung gekommen.
Lassiter folgte den Spuren nach Westen. Gegen Sonnenuntergang erreichte er die Hauptstraße, die von Norden nach Süden führte, und zwar von Cheyenne im Norden über die Berge bis nach Calhoun am südlichen Ende des breiten Tals.
Jetzt war Lassiter etwa vierzig Meilen von seiner Hütte entfernt.
Wieder stieg er ab. Hier hatte er es mit einer Straße zu tun, auf der ständig lebhafter Verkehr herrschte. Im Gewirr der unzähligen Spuren konnte er die Hufabdrücke des Pferdes, das vom Mädchen geritten worden war, nicht mehr identifizieren. Er kehrte zur Holzfäller-Straße zurück und studierte hier nochmals äußerst gründlich alle Spuren. Da sie auf der südlichen Seite geritten war, schien sie vom Süden gekommen zu sein und war nach rechts abgebogen.
Lassiter ritt weiter nach Calhoun, das etwa zwölf Meilen entfernt war. Die Sonne versank hinter den westlichen Berggipfeln. Die Nacht brach herein. Der durchdringende Kieferngeruch wurde allmählich durch den süßen Duft hohen Grases ersetzt. Das Tal verbreiterte sich.
Lassiter überholte zwei Frachtwagen. Eine Maultierkolonne und vier Reiter kamen ihm entgegen. Man wechselte einige unverbindliche Grußworte in der Dunkelheit.
Dann tauchten Calhouns Lichter schimmernd auf. Die Stadt bestand aus zwei Häuserreihen, die eine breite, staubige Straße flankierten. In der Hauptsache einstöckige Holzgebäude, denen noch nie die Wohltat eines Farbanstrichs zuteilgeworden war. Ein paar zweistöckige Bauwerke. Dazwischen, wie fehlende Zähne, grasüberwucherte Stellen.
Nach Lassiters Schätzung musste es fast zehn Uhr sein, aber noch brannten in einem halben Dutzend Geschäften die Lampen. Er wunderte sich ein wenig, warum die Läden so lange geöffnet hatten. Etwa ein halbes Hundert Pferde standen an den Haltestangen angebunden, und Lassiter zählte mindestens zwanzig Wagen. Als er die gedämpfte Musik hörte, begriff er, was hier los war. Irgendwo in der Stadt fand ein Tanzvergnügen statt; also musste heute Samstag sein.
Calhoun war Rinderstadt und Versorgungsstelle zugleich. Letzteres für über vierzig Rancher, für drei Holzfäller-Mannschaften und für eine Handvoll kleinerer Minen, die überall in den Bergen versteckt lagen. Als Stadt war Calhoun also so gut, wie Städte unter solchen Umständen hier draußen sein konnten.
Lassiter war bisher noch nicht hier gewesen. Er wusste auch nicht, ob das Mädchen aus dieser Stadt gekommen sein mochte. Er konnte nur beurteilen, dass sie von irgendwo südlich der alten Holzfäller-Straße gekommen war. Aber er musste unbedingt herausbekommen, wer sie war; ob sie zufällig auf seine Hütte gestoßen oder von jemandem, der ihn dort oben vermutete, geschickt worden war. Mit dieser Möglichkeit musste Lassiter rechnen, und solange er keine absolute Gewissheit hatte, konnte er dort oben nicht weiterleben. Selbst wenn sie nicht von Wells Fargo sein sollte, so musste er doch versuchen, zu erfahren, ob ihm irgendein anderer Feind auf den Fersen war.
Langsam ritt er die Straße entlang und beobachtete aufmerksam die in silbriges Mondlicht getauchten Häuser, die Wagen und vor allem die Männer, die vor den offenen Ladentüren herumlungerten.
Die Musik wurde allmählich immer lauter. Sie kam aus dem zweiten Stockwerk eines hölzernen Gebäudes, dessen Fassade das Oddfellows-Symbol zeigte. Am Fuße der Treppe drängten sich Männer auf dem Gehsteig zusammen. Hier und da wanderte eine Flasche von Hand zu Hand.
Niemand schenkte dem einzelnen Reiter irgendwelche Beachtung.
Etwas weiter unten brannte noch Licht im Office der Express-Gesellschaft.
Lassiter fand einen halben Block weiter noch einen freien Platz zwischen zwei Wagen. Er stieg ab, schlang die Zügel um die Haltestange und betrat den Gehsteig. Vor einem Saloon kam er an mehreren Männern vorbei, die ihr Geld offensichtlich schon ausgegeben, aber noch keine Lust hatten, die Stadt wieder zu verlassen, solange der Tanz noch im Gange war.
Das Express-Office hatte sehr breite Fenster. Lassiter konnte einen schweren, massiven Geldschrank an der Rückwand erkennen. Hinter einem hohen Schreibtisch saß ein Mann und beschäftigte sich offensichtlich mit Ladelisten. Diesen Mann hatte Lassiter noch nie gesehen. Er ging hinein.
Der Agent sah auf, schob den Bleistift in den Mund und kaute darauf herum.
»Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«