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Die Exekution fand im Morgengrauen statt. Colonel Grant, der Kommandant des Forts, hatte es so angeordnet. Es war eine nüchterne Hinrichtung, ohne den sonst üblichen Aufwand. Ohne Trommelwirbel und feierliche Kommandos. Man hatte wenig Zeit. Im Fort herrschte der Kriegszustand.
Die Besatzung war von der Außenwelt völlig abgeschnitten. Außerhalb der Palisaden bereiteten sich an die tausend Sioux und Cheyenne auf ihren nächsten Angriff vor.
Die fünf Männer, die sterben sollten, standen nebeneinander. Hinter ihnen gähnte die Grube, die sie während der letzten Nachtstunden selbst hatten ausheben müssen.
Fünf Männer in blauen Uniformhosen und hellgrauen Flanellhemden. Ihre Hüte und Uniformröcke hatten sie vorher ausziehen müssen. Diese Sachen wurden noch gebraucht.
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Seitenzahl: 162
Veröffentlichungsjahr: 2024
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LASSITER UND DER DESERTEUR DES SATANS
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Impressum
LASSITER UND DERDESERTEUR DES SATANS
Die Exekution fand im Morgengrauen statt. Colonel Grant, der Kommandant des Forts, hatte es so angeordnet. Es war eine nüchterne Hinrichtung, ohne den sonst üblichen Aufwand. Ohne Trommelwirbel und feierliche Kommandos. Man hatte wenig Zeit. Im Fort herrschte der Kriegszustand.
Die Besatzung war von der Außenwelt völlig abgeschnitten. Außerhalb der Palisaden bereiteten sich an die tausend Sioux und Cheyenne auf ihren nächsten Angriff vor.
Die fünf Männer, die sterben sollten, standen nebeneinander. Hinter ihnen gähnte die Grube, die sie während der letzten Nachtstunden selbst hatten ausheben müssen.
Fünf Männer in blauen Uniformhosen und hellgrauen Flanellhemden. Ihre Hüte und Uniformröcke hatten sie vorher ausziehen müssen. Diese Sachen wurden noch gebraucht.
Auf dem rechten Flügel der Todeskandidaten stand Lassiter. Er hatte nicht beweisen können, dass er kein richtiger Soldat und somit auch kein Deserteur war.
Die Patrouille hatte ihn zusammen mit den anderen aufgegriffen. Und das genügte dem Militärgericht.
Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen.
Lassiters vier Leidensgenossen starrten dumpf vor sich hin. Man hatte ihnen die Hände auf dem Rücken gefesselt, ihnen aber keine Augenbinden angelegt.
Zwanzig Schritte von ihnen entfernt war das Gatling-Maschinengewehr aufgebaut worden. Der Soldat dahinter legte die Munitionskette ein und richtete die Mündung der automatischen Waffe auf den Mann am linken Flügel.
Lassiter beobachtete mit eiskalter Ruhe die Vorbereitungen. Er hatte nur noch eine hauchdünne Chance, und die wollte er nützen.
Der Schütze würde den Lauf einmal von links nach rechts schwenken, und danach würde es für die fünf vorbei sein.
Unvermittelt begann die Gatling zu hämmern und schleuderte ihre todbringenden Bleigarben in die Delinquentenreihe hinein.
Lassiter ließ sich nach hinten fallen. Er war sehr schnell. Trotzdem erwischten ihn zwei der Geschosse. Eins an der Hüfte, eine zweite Kugel durchschlug seine Schulter.
Zusammen mit zwei anderen stürzte er in die Grube. Die beiden anderen wurden an Händen und Füßen gepackt und mit Schwung auf Lassiter und seine beiden Nebenleute hinabgeworfen.
Einer landete hart auf Lassiter und deckte ihn mit seinem Körper zu.
Er musste die Zähne fest zusammenbeißen, um nicht laut aufzuschreien vor Schmerz.
Von oben hörte er Stimmen. Jemand schnarrte einen Befehl. Ein paar Schüsse krachten, und Lassiter spürte, wie der Mann über ihm zusammenzuckte.
Dann war es still.
Schaufeln begannen im aufgeworfenen Dreck zu knirschen, und die ersten Erdklumpen regneten auf die Hingerichteten hinab.
Lassiters Nackenhaare sträubten sich.
Er konnte sich leicht ausmalen, was nun geschehen würde. Er verfluchte sich für den Gedanken, dem Tod ein Schnippchen geschlagen zu haben.
Jetzt wurde er lebendig begraben. Die Grube war so tief, dass er sich aus eigener Kraft nicht mehr hocharbeiten konnte, wenn erst der ganze Dreck auf ihnen lastete. Und über ihm lag noch der Tote. Es war ein schwerer Mann von mehr als zwei Zentnern Gewicht. Er hieß Al Benders und hatte in den letzten Wochen seines Lebens zur illegalen Armee des desertierten Majors Jason Dark gehört.
Lassiter war erst vor ein paar Tagen zu diesen Renegaten gestoßen.
Nur mit einer Unterhose bekleidet, hatte er ihr geheimes Lager in den Bergen erreicht. Ein Trupp Cheyenne war hinter ihm her gewesen, und sie hätten ihn mit Sicherheit auch wieder eingefangen, wenn er nicht bei den Rebellen Zuflucht gefunden hätte.
Sie konnten Leute wie ihn gebrauchen und hatten ihn sofort bei sich aufgenommen. Schon am ersten Tag wurde er in eine Uniform gesteckt und trug auf dem blauen Rock die Streifen eines Korporals.
Lassiter ließ es mit sich geschehen. Er betrachtete sein Verweilen bei den Rebellen nur als vorübergehende Angelegenheit und nahm sich vor, bei passender Gelegenheit zu verschwinden.
Jetzt lag er in einem Massengrab inmitten von Toten. War bereits von einer dünnen Erdschicht bedeckt.
Er spielte mit dem Gedanken, sich zu bewegen. Den Körper über sich wegzustoßen und sich bemerkbar zu machen.
Eine gnädige Kugel würde besser sein, als hier in der schwarzen Tiefe langsam und qualvoll zu krepieren.
Das Kugelloch in seiner Schulter schmerzte brennend. In seiner getroffenen Hüfte war ein dumpfes Pochen.
Die Dreckklumpen regneten auf sie herunter. Aus weiter Ferne hörte er das ärgerliche Fluchen der Soldaten, die diese Arbeit verrichten mussten.
Und dann fielen plötzlich keine Erdschollen mehr herab.
Kampfeslärm brandete auf. Viele hundert Indianer hatten mit dem Angriff begonnen. Gellendes Geheul stieg in die klare Morgenluft.
Lassiter hörte ein paar Flüche. Befehle wurden gebrüllt.
»Miles – Brown – Callaghan – Smitter! An die Palisaden! Jeder Mann wird gebraucht.«
Die Grube, in der die Männer lagen, befand sich am äußersten Rande des kleinen Fort-Friedhofes, nur wenige Schritte von der äußeren westlichen Palisadenwand entfernt. Lassiter stemmte sich hoch.
Er spürte kaum etwas von den Schmerzen in seinem Körper. Sein ganzes Denken war nur von dem verbissenen Willen beseelt, erst einmal aus diesem Loch herauszukommen.
Al Benders, der über ihm lag, war schwerer, als er gedacht hatte. Es kostete Lassiter ungeheure Anstrengung, unter dem toten Deserteur hervorzukommen.
Schließlich hatte er es doch geschafft. Sein Hemd und seine blaue Hose waren blutverschmiert. Dreck rieselte an seinem Körper herunter.
Vorsichtig spähte er über den Rand der Grube. Überall wurde erbittert gekämpft. An verschiedenen Stellen waren die Indianer bereits über die Palisaden geklettert. Zwei Unterkunftsbaracken waren durch Brandpfeile in Flammen gesetzt worden.
Zwei Schritte von Lassiter entfernt hockte ein verwundeter Soldat. Er hatte sich ein Stück zurückgezogen, weil er für den Nahkampf an den Palisaden nicht mehr zu gebrauchen war, und war jetzt dabei, sein Gewehr nachzuladen.
Zufällig drehte er den Kopf um und sah Lassiter ins Gesicht.
Der Soldat riss Mund und Augen weit auf. Lassiters Anblick war für ihn schrecklicher als alle grell bemalten roten Teufel und furchterregender als das Kriegsgeheul aus vielen hundert Indianerkehlen.
Lassiters Gesicht war voll von Blut und Dreck. Das dunkle, verklebte Haar hing ihm wirr in die Stirn. Seine Augen funkelten.
Lassiter grinste den Soldaten an.
Dann winkte er ihm beruhigend zu und sagte: »Ich bin eben nicht umzubringen, Junge. Pass auf! Ich komme jetzt aus diesem Loch. Und wenn du auf die Idee kommen solltest, auf mich zu schießen, so wird dich gleich darauf der Satan holen.« Er zog sich hoch.
Der Soldat bewegte die Lippen, ohne dass ein Laut zu hören war.
Für ihn war Lassiter ein finsterer Dämon. Ein Teufel. Ein von den Toten auferstandenes Ungeheuer, das gegen Kugeln und Bajonettstiche gefeit war.
Er schlug hastig ein Kreuzzeichen, als Lassiter sich über den Rand der Grube schwang.
Außer ihm hatte niemand Lassiter bemerkt. Bis jetzt noch nicht. Alle waren viel zu sehr damit beschäftigt, den Angriff der Sioux und Cheyenne abzuwehren.
Lassiter rannte an dem Verwundeten vorbei auf die Palisaden zu. Niemand achtete im Kampfgetümmel auf ihn. Oben auf der schützenden Umzäunung waren gerade wieder Indianer aufgetaucht, aber ein Kugelhagel trieb sie zurück.
Überall lagen tote und verwundete Männer. Blutgeruch erfüllte die Luft. Schreie gellten zum Himmel. Männer krümmten sich in wahnsinnigen Schmerzen und schluchzten wie hilflose Kinder. Und über allem brandete der infernalische Lärm, und Pulverdampf und aufwirbelnder Staub verdeckte die Konturen.
Lassiter kniete neben einem Gefallenen nieder. Es war ein junger Soldat, höchstens neunzehn Jahre.
Auf seinem bleichen Gesicht lag noch die Anspannung des Kampfes. Die Sekunden der Angst, die er kurz vor seinem Tode durchgemacht hatte, waren ausgedrückt durch den verzerrten, zum Schrei geöffneten Mund und die weit aufgerissenen Augen.
Lassiter schnallte dem Toten das Koppel mit der daran hängenden Revolvertasche ab, nahm das siebenschüssige Spencer-Gewehr und die Patronentasche an sich, zog sich zum Schluss den blauen Rock des Gefallenen an und stülpte sich den Feldhut auf den Kopf.
Ungeachtet seiner beiden Kugelwunden warf er sich in den Kampf. Vor ihm tauchten aus den Staubschleiern zwei Soldaten auf. Beide bewegten sich rückwärts und waren dabei, ihre leergeschossenen Gewehre nachzuladen.
Drei, vier Indianer setzten ihnen nach. Sie waren mit Tomahawks, Lanzen und Bogen bewaffnet.
Lassiter feuerte sein Spencer-Gewehr aus dem Hüftanschlag ab. Zwei der Indianer traf er, die anderen zwei wurden von den beiden Soldaten von den Beinen geschossen.
Verbissener, gnadenloser Kampf von beiden Seiten. Lassiter stürmte weiter vor, gefolgt von den zwei anderen Soldaten.
Die Indianer hier an der Westseite der Palisaden wurden abgeschlagen. Nur wenige konnten sich retten. Die plötzliche Stille wirkte erdrückend.
Lassiter lehnte sich schweratmend gegen die mächtigen Stämme der Palisadenwand. Vor seinen Augen tanzten bunte Ringe. Seine Knie zitterten, drohten jeden Augenblick einzuknicken.
Er hatte gekämpft wie ein Teufel. Hatte seine letzten Kraftreserven mobilisiert und sich den Roten bedingungslos entgegengeworfen. Und ohne sich dessen richtig bewusst zu werden, hatte er mit scharfer Stimme Kommandos gebrüllt wie ein richtiger Offizier. Er war ja auch im Bürgerkrieg Offizier gewesen. Zuletzt Captain. Als junger Mann von knapp zwanzig Jahren.
Die alte Erfahrung war in ihm durchgebrochen.
Er schloss die Augen und spürte trotzdem weiterhin die vielen Blicke auf sich ruhen.
Überall innerhalb der Palisaden war es jetzt still geworden. Der erste Angriff der Indianer war abgeschlagen worden. Aber alle waren sich über ihre Lage im Klaren. Wenn nicht bald Ersatz kam, waren sie verloren. Dieses Fort war wie eine kleine Insel im von Orkanen durchtobten Ozean. Oder, besser gesagt, wie ein winziges Boot auf der sturmgepeitschten See.
Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie endgültig erledigt waren. Und aus diesem Gedanken resultierte auch die gespenstische Stille, die über Fort Quarry lag.
Einer der Soldaten in Lassiters Nähe krächzte plötzlich heiser: »Verdammt will ich sein, aber ist das nicht einer von diesen Deserteuren, die heute früh...«
Er verstummte. Lassiter hatte die Augen wieder geöffnet und sah ihn an. Der Schwächeanfall war vorüber. Er hatte nicht mehr das Gefühl, zu Boden stürzen zu müssen. Seine Knie zitterten nicht mehr. Er atmete wieder ruhiger, gleichmäßiger.
Er grinste wild.
»Warum sprichst du nicht weiter, Korporal? Seit wann hat ein Soldat Angst vor einem Toten?«
Von der anderen Seite kamen ein Sergeant und ein Captain auf die kleine Gruppe der Überlebenden zu, die es in diesem Teil des Forts noch gab. Von fünfundzwanzig Mann waren es noch sechzehn, und von denen wiederum waren nur noch zehn Mann kampffähig.
Der Captain blickte anerkennend in die Runde.
»Ihr habt gut gekämpft, Männer«, sagte er. Sein Blick fiel auf den Leutnant, der diese Abteilung geführt hatte, und dann auf den Sergeant der Gruppe. Die beiden lagen reglos vor den Palisaden. Sie waren gefallen, kurz bevor Lassiter aufgetaucht war und sich in den Kampf gestürzt hatte.
Sein Eingreifen hatte dem Kampf einen anderen Verlauf gegeben. Das erkannte jeder an.
»Ich habe gesehen, dass hier vorübergehend ein gewaltiges Durcheinander war«, fuhr der Captain fort. »Ihr wart mächtig ins Schwimmen geraten. Ich war schon drauf und dran, euch Verstärkung zu schicken. Und dann kam plötzlich wieder Ordnung in das Durcheinander. Wem haben wir das zu verdanken? Ich werde den Mann zur Beförderung vorschlagen.«
Der Captain war ein breitschultriger, bärtiger Mann. Einer von der kernigen Sorte, die den Mannschaften am liebsten war.
Die Soldaten schwiegen. Alle starrten auf Lassiter.
Der große Mann schob sich den Hut etwas aus der Stirn und sah den Captain offen an.
Der Captain trat auf ihn zu. Schweigend. Fixierte ihn aus kurzer Distanz eine ganze Weile. Nichts in seinem Gesicht verriet, was er in diesen Minuten dachte.
»Wie haben Sie das geschafft, Mann?«, fragte er schließlich. Er sprach sehr ruhig, schien weder überrascht noch zornig zu sein.
Lassiter grinste.
Die eingetrocknete Schicht von Blut und Dreck auf seinem Gesicht riss auseinander, und er sah aus, als wäre er geradewegs aus der Hölle gekommen.
»Glück, Captain«, sagte er dann trocken. »Und wenn ich es recht bedenke, müsste ich mich jetzt noch nachträglich bei den Indianern bedanken. Wenn sie nicht rechtzeitig angegriffen hätten, läge ich jetzt noch immer unter Al Benders und etwa sechs Fuß Erde.«
»Interessant«, brummte der Captain. »Und warum haben Sie dann nicht versucht, so schnell wie möglich zu verschwinden? In dem allgemeinen Durcheinander wäre das doch nicht besonders schwierig gewesen. Als geübter Deserteur...«
»Captain!«, unterbrach ihn Lassiter rau. »Ich habe vor dem Militärgericht ausgesagt, dass ich niemals Angehöriger dieser Armee war. Also bin ich auch nie desertiert.«
Der Captain ließ sich nicht beeindrucken.
»Und wo haben Sie dann gelernt, eine Truppe zu kommandieren?«, fragte er gelassen.
»Unter General Stonewall Jackson«, erwiderte Lassiter. »In den letzten beiden Kriegsjahren war ich dabei. Ich wurde in einem Schnellkursus für Offiziere ausgebildet. Aber das Wesentliche erlernte ich auf dem Schlachtfeld. Genügt Ihnen das, Captain?«
»Soweit es Ihre Vergangenheit betrifft, ja«, sagte der Captain. »Ich bin sogar geneigt, Ihnen diese Geschichte zu glauben. Aber ich möchte mit Ihnen über das Jetzt sprechen, Lassiter. Warum sind Sie nicht geflohen? Sie sind zum Tode verurteilt worden.«
Lassiter deutete mit dem Daumen über seine Schulter.
»Was meinen Sie wohl, Captain, was mir da draußen passiert wäre?«
»Hm, der Gedanke hat etwas für sich. Es ist natürlich angenehmer, standrechtlich erschossen, als von den Sioux getötet zu werden. Bedeutend angenehmer.«
»Was haben Sie mit mir vor, Captain?«, fragte Lassiter. »Wollen Sie tatsächlich dieses idiotische Urteil zum zweiten Mal vollstrecken lassen? Oder möchten Sie nicht lieber, dass ich Ihnen weiterhin helfe? Im Moment ist jeder Mann wichtig, der hier im Fort noch ein Gewehr oder einen Revolver abfeuern kann.«
Der Captain zuckte die Schultern.
»Darüber kann ich nicht entscheiden, Lassiter. Der Kommandant dieses Forts ist Colonel Grant.«
»Und was ist Ihre persönliche Meinung, Captain?«
»Ich glaube, dass wir Ihnen unrecht getan haben«, antwortete der Captain ohne Umschweife. »Ich werde vorschlagen, den Prozess gegen Sie neu anzusetzen. Bis dahin möchte ich, dass Sie auf Ihrem Posten bleiben. Als Vertreter des gefallenen Leutnants. Ich werde nachher dem Colonel Meldung machen. Einverstanden?«
Lassiter grinste erleichtert.
»Einverstanden, Captain.«
Der Offizier salutierte zackig. Lassiter legte nur lässig die Fingerspitzen an die Krempe seines Hutes.
Dann gab Lassiter die ersten Befehle. Die Toten und Verwundeten wurden weggeschafft, während er selbst ständig zusammen mit einem Teil der kampffähigen Männer auf Posten blieb. Erst als alles erledigt war und es noch immer ruhig blieb, ließ er für sich nach einem Sanitäter schicken, der seine Wunden versorgen sollte.
Er fühlte sich bedeutend wohler, nachdem die Kugellöcher ausgewaschen, desinfiziert und mit kräftigen Verbänden versehen waren. Einer der Soldaten kam zu ihm hin und reichte ihm seine fellbezogene Feldflasche.
»Trinken Sie, Sir!«, sagte er grinsend. »Es ist gutes, klares Brunnenwasser.«
Lassiter verzog keine Miene, als er den Whisky auf der Zunge spürte. Es war verteufelt scharfer, selbstgebrannter Whisky, trotzdem schmeckte er ausgezeichnet und belebte die müden Lebensgeister.
»Einen feinen Brunnen habt ihr hier«, sagte er und gab dem Mann die Flasche zurück. »Aber sauf nicht zu viel davon, Kamerad, sonst bist du nachher nicht mehr ganz bei der Sache.«
»Macht überhaupt nichts«, gab der Soldat zurück. »Dann merke ich wenigstens nicht mehr viel davon.«
Er setzte die Flasche erneut an und trank gierig.
Lassiter riss sie ihm aus den Händen.
»Das reicht für die nächsten zwei Stunden!«, sagte er scharf.
»Heh!«, brauste der Mann auf. »Was fällt dir ein! Du brauchst dich hier nicht wie ein aufgeblasener Ochsenfrosch aufzuspielen. Du bist nicht mehr als wir alle. Eher noch weniger. Wie ich den Colonel kenne, lässt er dich garantiert noch zu den anderen legen, wenn das alles vorbei ist. So, du hergelaufener Tramp, jetzt gibst du mir meine Flasche wieder!«
Er streckte die Hand aus.
Lassiter schüttelte lässig den Kopf und schraubte den Verschluss zu.
»Später, mein Junge«, sagte er.
Der Mann stürzte sich auf ihn. Er war ein kräftiger Bursche mit ein paar Fäusten wie Schmiedehämmer.
»Verdammt will ich sein!«, schnaufte er. »Ich werde dich...«
Weiter kam er nicht. Lassiter schlug völlig unvermittelt zu. Er traf genau die Kinnspitze des Soldaten, und der taumelte zurück und setzte sich auf den Hosenboden.
Sofort war er wieder auf den Beinen.
»Dich bring' ich um!«, knurrte er. »Dich schlage ich ungespitzt in die Erde.«
Ungestüm wirbelte er heran. Im allerletzten Augenblick glitt Lassiter nach der Seite weg und streckte ein Bein aus.
In seiner blinden Wut rannte der Soldat ins Leere. Er stolperte über Lassiters Bein, fiel nach vorne und krachte mit dem Schädel gegen die Palisadenwand.
Benommen kam er wieder auf die Füße, drehte sich wieder zu Lassiter um, schüttelte ungläubig den Kopf.
»Zum Teufel, Lassiter«, knurrte er. »Du spielst dich ja hier auf, als wärst du einer von den Offizieren. Du nimmst dir verdammt viel heraus. He, Jungens! Was haltet ihr von dem? Sollen wir uns das gefallen lassen?«
Lassiter war blitzschnell bei ihm und setzte ihm erneut die Faust ans Kinn. Diesmal mit Präzision und auch mit der erforderlichen Wucht.
Der Mann sackte zusammen und blieb liegen.
Ruhig wandte sich Lassiter den anderen zu.
»Der Captain hat mir für diesen Abschnitt das Kommando übertragen«, sagte er scharf. »Und ich habe den Auftrag angenommen, Männer. So etwas verpflichtet. Ich bin dafür verantwortlich, dass hier die Stellung gehalten wird und dass möglichst viele von euch ihr Leben behalten. Das ist aber nicht möglich, wenn ihr euch bis an den Kragenknopf voll Whisky pumpt. Habt ihr das verstanden?«
Die Männer nickten.
Der Korporal trat einen Schritt vor und sagte: »Sie sind schon in Ordnung, Sir. Wir stehen voll hinter Ihnen.«
Lassiter winkte ab.
»Den Sir kannst du dir sparen, Kamerad«, sagte er. »Das gilt auch für alle anderen. Ich bin kein Offizier. Trotzdem müsst ihr genau auf meine Kommandos hören. Einer muss nun mal die Befehle geben. So etwas lässt sich im Krieg nicht vermeiden.«
Hinter ihm rappelte sich der Niedergeschlagene hoch.
»Ich hab' deine letzten Worte gehört«, sagte er. »Du hast recht, Lassiter. Aber ich glaube, uns verdammten Iren muss man immer erst was auf die Birne geben, damit wir endlich begreifen.«
Er kam um Lassiter herum und streckte ihm die Hand hin. Lassiter nahm das Friedensangebot an.
»Schon gut«, murmelte er grinsend. »Aber jetzt kannst du auch einen Schluck vertragen, schätze ich. Da, nimm!«
Er gab dem Soldaten die Flasche zurück, und der nahm einen kleinen Schluck.
»Du bist tatsächlich in Ordnung, Lassiter«, sagte er und wischte sich über den Mund. »Einen Offizier wie dich könnten wir gut für immer hier gebrauchen.«
Der bärbeißige Captain näherte sich.
»Irgendwelche Schwierigkeiten, Lassiter?«, fragte er.
Lassiter schüttelte den Kopf.
»Nicht, dass ich wüsste, Captain. Ich habe den Jungs nur gesagt, dass ich bis auf weiteres hier der Boss bin. Oder ist der Colonel nicht damit einverstanden?«
Der Captain grinste.
»Es ist mir gelungen, ihn zu überzeugen«, erwiderte er. »Werden Sie mit diesen zehn Männern hier die Stellung halten können?«
Lassiter zuckte die Schultern.
»Ich hoffe es, Captain.«
Der Captain ging wieder zurück. Lassiter betrachtete die kleine Streitmacht, die ihm bis auf weiteres unterstellt war.
Zehn Männer. Das war nicht viel, wenn man sie mit der Anzahl der Feinde draußen vor dem Fort verglich.
Aber er hatte auch längst erkannt, dass jeder dieser zehn ein hartgesottener Kämpfer war. Das hatten sie schon vorher beim ersten Ansturm der Indianer bewiesen.
Er wusste, dass er sich auf sie verlassen konnte.
Zuerst prägte er sich ihre Namen ein. Es war wichtig, um im richtigen Moment auch dem richtigen Mann zurufen zu können, was er zu tun hatte. Dann setzte er ihnen seinen Schlachtplan auseinander.
Als er mit seinen Plänen fertig war, entwickelten die Männer eine fieberhafte Tätigkeit. Sie trafen ihre Vorbereitungen. Die Waffen und die Munition der Gefallenen wurden eingesammelt. Lassiter ging zusammen mit Corporal Joe Brack zu Captain Berger hinüber und bat um eines der schweren Gatling-Gewehre.
Der Captain schüttelte den Kopf.
»Tut mir leid«, sagte er. »Die vier Kanonen werden hier dringender gebraucht. Auf das Haupttor und auf die Ostflanke konzentrieren sich alle Angriffe der Roten. Sie müssen schon versuchen, so fertig zu werden, Lassiter.«
»Haben Sie wenigstens ein paar Pulverfässer übrig, Captain?«
»Was wollen Sie denn damit?«
»Manchmal kommen mir verrückte Ideen, Captain. Zum Beispiel könnte man mit Pulver...«
Er wurde unterbrochen.