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Das Gesicht der Frau war nicht mehr zu erkennen. Auch ihr Körper sah schrecklich zugerichtet aus. Aber sie trug noch das Medaillon und den Ring. Daran erkannte Lassiter sie.
"Dolores!" Er flüsterte es nur. Mehr konnte er nicht sagen. Zorn und Bitterkeit schnürten ihm die Kehle zusammen. Er war kaum in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Aber tief in seinem Herzen formte sich ein finsterer Schwur:
RACHE FÜR DOLORES!
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Seitenzahl: 163
Veröffentlichungsjahr: 2024
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ALS LASSITER DOLORES RÄCHTE
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Impressum
ALS LASSITERDOLORES RÄCHTE
Der weiße Körper hob sich deutlich vom gelbtrüben Wasser ab. Er wurde von den Wellen hin und her bewegt, blieb aber weiterhin im Geäst des im Wasser liegenden Baumes hängen.
Es war die Leiche einer Frau.
Lassiter erkannte es, obwohl der Abend schon dämmerte und der Körper fast zehn Schritt von ihm entfernt in der Krone des umgestürzten Baumes hing.
Nach kurzem Zögern trieb er sein schwarzes Pferd in den Fluss. Wenn er Glück hatte, war das Wasser an dieser Stelle nicht zu tief, sodass er mit dem Pferd bis an die Frau herankam.
Er schaffte es.
Je näher er der Toten kam, desto schwerer bedrückte ihn eine dumpfe Ahnung. Diese Ahnung war vom ersten Augenblick an da, und sie ließ sich nicht verdrängen.
Und dann sah er die schreckliche Wahrheit.
Das Gesicht der Toten war zwar nicht mehr zu erkennen. Auch der Körper sah übel zugerichtet aus.
Aber sie trug noch das Medaillon an dem goldenen Halskettchen, und an ihrem Finger steckte noch ein Ring, den Lassiter ebenso gut kannte wie das Medaillon.
Es waren die einzigen Dinge, die man ihr gelassen hatte.
Lassiter zog die Tote ganz aus dem Wasser, legte sie vor sich auf das Pferd.
Seine Augen brannten. Bitterkeit und Zorn schnürten seine Kehle zusammen. Er war kaum in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen.
»Dolores«, flüsterte er heiser, »arme Dolores...«
Es waren seine ganzen Worte. Aber gleichzeitig formte er in seinem Herzen einen finsteren Schwur.
Rache für Dolores.
Er trieb sein Pferd wieder auf das Ufer zurück. Fast behutsam ließ er Dolores zur Erde hinab. Minutenlang betrachtete er sie. Der furchtbare Anblick brannte sich in sein Gehirn ein. Dieses Bild würde er niemals vergessen.
Es war das Übelste, was er jemals gesehen hatte. Und das bedeutete für einen Mann wie ihn eine ganze Menge.
Er nahm seinen Packen vom Pferd, rollte ihn auf und holte seinen langen gelben Staubmantel hervor. Darin hüllte er die Frau ein. Anderen Menschen sollte nach Möglichkeit dieser Anblick erspart bleiben.
Sein Gesicht zeigte harte Anspannung.
Er zwang sich wieder zu ruhigem Nachdenken.
Jetzt und in der Zukunft durfte er sich auf keinen Fall von blinden Hassgefühlen und wütenden Rachegedanken leiten lassen.
Nur durch eiskaltes Nachdenken und ebenso eiskalte Handlungsweise konnte es ihm gelingen, den Mörder von Dolores zu finden.
Vor einigen Wochen hatte er einen Brief von ihr erhalten. Sie schrieb ihm, dass Frederick Belt, ihr Mann, ermordet worden war. Und dass sie sich selbst ebenfalls bedroht fühlte.
Sie bat ihn nicht um Hilfe, aber beim Lesen dieses Briefes hatte er doch deutlich gespürt, wie verzweifelt sie war.
Und nun lag sie da, eingehüllt in den gelben Staubmantel. Stumm und mit einem Gesichtsausdruck, der die Höllenqualen festgehalten hatte, die Dolores in den letzten Augenblicken ihres Lebens noch hatte erdulden müssen.
Lassiter hob sie auf und legte sie über den Rist des Pferdes. Dann schwang er sich in den Sattel und ritt an. Er nahm den Weg, den er gekommen war. Einen schmalen, teilweise zugewachsenen Pfad, der die meiste Strecke unmittelbar am Fluss entlanglief und kaum benutzt wurde. Die meisten Reiter nahmen den breiteren und bequemeren Wagenweg, der von der Stadt Ferryton aus nordwestwärts führte.
Drei Stunden Ritt bis Ferryton lagen vor Lassiter. Bis zur Belt-Ranch, die sein ursprüngliches Ziel gewesen war, hätte er nur noch etwa eine Stunde gebraucht, doch Lassiter hielt es für besser, zunächst einmal den Sheriff zu informieren.
Der Mond ging auf und leuchtete durch das Geäst des Waldstreifens, der den Fluss säumte. Immer wieder starrte Lassiter auf seine traurige Last hinab.
Unwillkürlich stiegen Erinnerungen aus schöneren, glücklicheren Tagen in ihm auf.
Er hatte Dolores vor zwei Jahren in Colorado kennengelernt. Sie war damals zweiundzwanzig, ein nettes, natürliches Mädchen. Sie war ohne Eltern aufgewachsen. Bei ihrem Onkel, einem Hotelier. Sie hatte sich sofort in Lassiter verliebt, aber er überzeugte sie davon, dass er nicht der richtige Mann zum Heiraten für sie war.
Sie trennten sich in bester Freundschaft, und er hinterließ ihr die Adresse seines Freundes Benito Sanchez in El Paso. Sie hatte ihn darum gebeten, weil sie ihm bei Gelegenheit einmal schreiben wollte.
Den ersten Brief hatte er schon drei Monate später von ihr bekommen. Sie teilte ihm voller Freude mit, dass sie den Mann fürs Leben gefunden hätte. Frederick Belt, einen wohlhabenden jungen Rancher aus Idaho.
In dem zweiten Brief schrieb sie ihm dann vom plötzlichen Tod ihres Mannes. Über die näheren Umstände erfuhr er nichts.
Ob er auf die gleiche schreckliche Art wie Dolores umgekommen war? Lassiter beschloss, den Sheriff in Ferryton danach zu fragen. Er war gespannt, wie die Antwort lauten würde.
Die Zeit verrann, während diese Gedanken durch seinen Kopf gingen.
Gegen zehn Uhr am Abend näherte er sich der kleinen Stadt am Fluss. Sie bestand aus zwei Teilen, die durch eine Holzbrücke miteinander verbunden waren.
Im Mondlicht tauchten drei Reiter auf, als er nur noch hundert Schritt von den ersten Häusern entfernt war.
Die drei hielten genau auf ihn zu. Sie saßen auf schnellen, aber ungepflegten Pferden, und Lassiter sah bärtige Gesichter unter breitkrempigen Hüten.
Alle drei machten einen gefährlichen und herausfordernden Eindruck.
Als sich Lassiter ihnen näherte, zügelten sie ihre Pferde. Grinsend sahen sie ihm entgegen.
Er kannte sie. Hatte sie am Mittag in der Stadt gesehen, als er dort seine Rast eingelegt hatte.
Wollten sie etwas von ihm? Ihr Grinsen gefiel ihm nicht.
Und warum hatten sie überhaupt angehalten?
Waren sie vielleicht angetrunken und wollten sich einen der üblichen derben Cowboyspäße mit ihm erlauben?
Auf jeden Fall versperrten sie ihm den Weg. Sie hatten ihre Pferde so dirigiert, dass er nur an ihnen vorbeikam, wenn er einen Bogen schlug und durch die dichten, zum Teil dornigen Büsche ritt, die rechts des Weges wucherten.
Nach links konnte er nicht ausweichen. Links vom Weg war das Flussufer, und es war an dieser Stelle sehr steil.
Eine halbe Pferdelänge vor den drei Burschen hielt er nun ebenfalls an.
»Ist was?«, fragte er rau. »Oder wollt ihr was Besonderes von mir? Gebt den Weg frei, Leute! Ich habe keine Zeit für irgendwelche Späße.«
Die drei duckten sich unwillkürlich. Das Grinsen erstarrte auf ihren Gesichtern. Jetzt sahen sie lauernd und bösartig aus. Sie hatten eine Ähnlichkeit mit hungrigen Wölfen.
Der mittlere Reiter sagte knurrend: »Ich nehme an, du weißt nicht, mit wem du es hier zu tun hast. Sonst würdest du nicht so eine große Lippe riskieren. Wir sind keine dahergelaufenen Satteltramps, sondern wir gehören zur Deadwood-Ranch. Ich...«
»Das interessiert mich nicht«, unterbrach ihn Lassiter rau. »Ich habe es eilig. Wenn du mir unbedingt deine Lebensgeschichte erzählen willst, Mann, so kannst du das später erledigen. Nun?«
Während er sprach, nahm er die rechte Hand vom Zügel. Sie hing jetzt in der Nähe seines Revolvers.
»Sei vorsichtig, Mister!«, warnte ihn der Sprecher der drei. »Ich bin nicht von gestern, was das Schießen angeht. Schon mal was von Tex Mohawk gehört?«
Lassiter nickte.
Von diesem berüchtigten Revolvermann war ihm schon eine ganze Menge zu Ohren gekommen. Der gehörte zu den allerschnellsten Schützen, die es im Westen gab.
Gegen ihn würde Lassiter einen sehr schweren Stand haben. Und da er es nicht nur mit Mohawk zu tun hatte, würde ein Kampf mit Sicherheit sein Ende bedeuten.
Trotzdem ließ er sich nicht einschüchtern.
»Ich weiß, dass du so gut wie unschlagbar bist, Mohawk«, sagte er gelassen. »Trotzdem bin ich bereit, es darauf ankommen zu lassen. Ich habe noch nie gekniffen. So etwas liegt mir nicht.«
Tex Mohawk grinste breit.
»Sieh mal einer an«, knurrte er. »Du möchtest also tatsächlich in dieser Stadt begraben werden.«
Lassiter blieb nach außen hin völlig unbeeindruckt.
Er zuckte die Schultern.
»Möglich, dass ich hier ein Grab bekommen werde«, sagte er. »Aber ich werde dann nicht der einzige sein, für den der Totengräber ein Loch ausbuddeln muss. Wollen wir wetten?«
Der Revolvermann bekam schmale Augen.
Etwas warnte ihn. Sein Instinkt sagte ihm, dass er sich vor diesem großen Fremden in acht nehmen musste. Dass der auch jedes Wort so meinte, wie er es sagte. Deutlich spürte er die Härte, die von Lassiter ausging.
»Wer bist du?«, fragte er. »Lass mich deinen Namen wissen.«
»Lassiter.« Die drei bekamen große Augen.
Tex Mohawk machte einen unschlüssigen Eindruck. Er schien plötzlich nicht mehr so unbedingt auf einen Kampf aus zu sein.
»Ja«, sagte er nach einer kurzen Pause, »von dir habe ich schon gehört, Lassiter. Du bist der Mann, der allein den Kampf gegen Wells Fargo aufgenommen hat, nachdem die Company ihm sein Geschäft ruiniert hatte. Man hat sich überall darüber erzählt. Deshalb glaube ich dir jetzt auch, dass du es wirklich ernst meinst und es tatsächlich darauf ankommen lassen würdest.«
Er entspannte sich, griff in die Brusttasche seines Cordrocks, holte Tabak und Papier hervor und drehte sich eine Zigarette.
»Aber ich bin nicht auf Streit aus«, fuhr er ruhig fort. »Wir sahen nur im Mondlicht die seltsame Last auf deinem Pferd. Deshalb wollten wir dir nur ein wenig auf den Zahn fühlen. Du hast einen Toten bei dir. Wo hast du ihn gefunden?«
»Es ist eine Frau«, erwiderte Lassiter.
Die drei Reiter starrten ihn betroffen an. Es kam so gut wie nie vor, dass in diesem Land Frauen ermordet wurden. Deshalb überraschte sie die Nachricht so sehr.
»Eine Frau?«, murmelte Tex Mohawk gedehnt. Und ungläubig. »Das ist – das ist doch...«
Er verstummte heiser und kopfschüttelnd.
»Sie lag im Fluss«, erklärte Lassiter. »Jemand hat sie furchtbar zugerichtet. Ich erkannte sie nur noch an einem Ring wieder und an einem Medaillon, das sie am Hals trug.«
»Du kennst sie?«, fragte Tex Mohawk.
»Dolores Belt«, sagte Lassiter.
Minutenlanges Schweigen folgte seinen Worten.
Tex Mohawk trieb sein Pferd an Lassiters Seite und lüftete kurz den Staubmantel, in den die Tote eingehüllt war. Sofort ließ er das Stück Stoff wieder fallen.
»Verdammt!«, sagte er heiser. »Wer mag das getan haben?«
Er war ein hartgesottener Mann, aber der Anblick war auch ihm sichtlich an die Nerven gegangen.
»Ich muss jetzt weiter«, brummte Lassiter.
»Was hast du vor?«
»Natürlich werde ich den Sheriff informieren.«
Der Revolvermann wischte verächtlich mit der Rechten durch die Luft.
»Bartlett ist ein alter Trottel. Der wird dir auch nicht helfen können. Am besten, du bringst die Frau gleich zum Totengräber.«
Lassiter schüttelte den Kopf.
»Ich weiß schon, was ich zu tun habe«, sagte er und trieb sein Pferd an.
Die drei Burschen dachten nicht daran, ihn aufzuhalten. Sie saßen noch immer wie benommen auf ihren Pferden. Erst als Lassiter ein gutes Stück entfernt war, sagte Tex Mohawk: »Ich möchte nur verdammt gerne wissen, warum er in diese Gegend gekommen ist. Ich bin sicher, dass ihn die Frau gerufen hat. Warum sollte er sie sonst kennen. Und wenn ich nicht irre, wird er uns noch manchen Kummer bringen.«
»Was willst du damit sagen?«, knurrte Jesse Price, einer seiner Begleiter, mürrisch. »Wir haben doch mit dem Tod der Frau nichts zu tun. Im Gegenteil – ich finde, dass so was eine ganz verdammte Schweinerei ist. Du nicht auch, Tom?«
Tom Kelly, der dritte Mann, nickte.
»Trotzdem hat Tex recht«, sagte er. »Auf den alten Eli wird wieder mal ein übles Licht fallen. Und Sheriff Bartlett ist nicht der alte Trottel, als den du ihn hingestellt hast, Tex. Ich erinnere mich noch genau, was für unangenehme Fragen er Eli Deadwood gestellt hat, nachdem Frederick Belt gefunden worden war. Es war doch ganz offensichtlich, dass er unseren Boss verdächtigte, etwas mit dem Mord zu tun zu haben.«
Tex Mohawk winkte unwirsch ab.
»Das beweist noch lange nicht, dass Bartlett kein Trottel ist«, sagte er verächtlich. »Jeder andere Dummkopf hätte nicht anders gehandelt. So was ist schließlich kein Kunststück. Jedes Kind weiß, dass sich unser Boss und Frederick Belt nicht riechen konnten. Dass zwischen den beiden Familien eine uralte Feindschaft herrschte. Trotzdem hat Eli Deadwood saubere Hände. Nie und nimmer traue ich ihm den Mord an einer Frau zu.«
»Aber wer, zum Teufel, könnte es getan haben?«, brummte Jesse Price. »So eine junge und schöne Frau! Völlig unsinnig ist das alles. Verdammt noch mal! Wir alle drei sind keine frommen Pilger, und wir haben schon manches heiße Ding gedreht. Aber so was...«
Er verstummte kopfschüttelnd.
Sein Freund Tom Kelly meinte: »In dieser Gegend wird es bestimmt bald einigen Wirbel geben. Habt ihr diesem Lassiter in die Augen gesehen? Der denkt im Augenblick an nichts anderes als an Rache. Wahrscheinlich wird er auf den ersten Verdächtigen wie ein Verrückter losgehen. Wir sollten in den nächsten Tagen gut auf den alten Eli aufpassen, denke ich.«
»Das werden wir auch«, entschied Tex Mohawk, der Vormann auf der Ranch von Eli Deadwood war. »Passt auf! Ihr zwei reitet auf dem schnellsten Weg zur Ranch und sagt dem Boss Bescheid. Ich werde zurück in die Stadt reiten und mich noch einmal mit Lassiter unterhalten. Ich bin sicher, dass ihm Bartlett dann schon alles brühwarm erzählt hat.«
»Und wenn Lassiter wild wird und auf den Rancher losgehen will?«, fragte Jesse Price.
»Dann erledige ich ihn«, sagte Tex Mohawk kalt. »Dafür werde ich schließlich von Eli Deadwood bezahlt.«
Nach diesen Worten hob er die Hand und ritt an. Die beiden anderen Reiter ließen ihre Pferde in entgegengesetzter Richtung antraben.
II
Sheriff Bartlett war ein grauhaariger Mann von gut fünfzig Jahren, aber längst nicht der »alte Trottel«, als den ihn der Vormann der Deadwood-Ranch beschrieben hatte.
Lassiter hatte einen guten Blick für Menschen.
Dieser Sheriff war eine Mischung zwischen einem erfahrenen Bussard und einem alten, weisen Uhu. Ihm konnte man so leicht nichts vormachen.
Gemeinsam hatten sie Dolores zum Leichenbestatter gebracht und waren dann in den nächstbesten Saloon gegangen.
Jetzt saßen sie an einem kleinen Ecktisch, und zwischen ihnen stand eine Whiskyflasche. Beide hatten schon lange nicht mehr einen scharfen Drink so bitternötig gehabt.
Schon nach ein paar Minuten war die Flasche zur Hälfte geleert. Und jetzt erst begann Lassiter mit seinem Bericht. Er erzählte alles. Auch, dass ihm Dolores diesen Brief geschrieben hatte.
»Sie kannten sie sehr gut?«, fragte Bartlett.
Lassiter nickte.
»Wir waren miteinander befreundet. Für kurze Zeit.«
»Verliebt?«
»Dolores ganz bestimmt.«
»Jetzt wollen Sie Rache, wie?«, brummte der Sheriff.
»Würden Sie an meiner Stelle anders denken, Sheriff?«
Bartlett hob sein Glas.
»Nennen Sie mich Earnest. Das hört sich nicht so förmlich an.«
Sie tranken.
Dann sagte Lassiter: »Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet, Earnest. Sind Sie nicht der Meinung, dass dieses scheußliche Verbrechen gerächt werden muss?«
»Das Gesetz nennt so etwas Sühne, nicht Rache«, sagte Bartlett. »Selbstverständlich werde ich alles versuchen, um den oder die Mörder zu fassen und nach Möglichkeit vor den Richter zu schleppen.«
»Haben Sie schon irgendeinen Anhaltspunkt, Earnest? Hatten Frederick und Dolores Belt Feinde?«
Der Sheriff zuckte die breiten Schultern.
»Ich weiß nicht, ob es gut ist, Ihnen die Wahrheit zu sagen.«
Lassiter sah ihm fest in die Augen.
»Sagen Sie mir alles, Earnest. Wenn Sie es nicht tun, werde ich es von anderen erfahren. Und dann bestimmt nicht mit der notwendigen Objektivität.«
»Hm«, brummte der Sheriff, »da haben Sie natürlich recht. Also gut, Lassiter. Frederick Belt hatte einen Feind. Der Mann heißt Eli Deadwood. Er besitzt ebenfalls eine Ranch. Weiter nördlich am Fluss. Die beiden Familien befehden sich seit mindestens einem halben Jahrhundert. Eli Deadwood und Jonathan Belt kamen als erste in dieses Land und bauten ihre Ranches auf. Eines Tages ist es dann zum ersten Streit gekommen. Vielleicht um ein Stück Land, vielleicht auch nur um ein paar Rinder, die sich verlaufen hatten. Vielleicht auch irgendetwas anderes. Das weiß heute keiner mehr genau. Als nämlich diese Stadt gegründet wurde, war der Krieg schon im vollen Gange. Eli Deadwood hatte drei Söhne und sechs Enkelsöhne. Und eine Enkeltochter. Sie ist die einzige, die noch lebt aus seiner Nachkommenschaft. Seine männlichen Nachkommen sind alle eines gewaltsamen Todes gestorben. Genau wie die Söhne und Enkelsöhne des alten Jonathan Belt. Frederick Belt war der letzte aus dieser Sippe. Und man hat die Familie jetzt endgültig vernichtet, indem man Dolores ermordet hat.«
Sheriff Earnest Bartlett räusperte sich. Das war für seine Begriffe eine verdammt lange Rede gewesen, und jetzt brauchte er einen Drink, um seine Kehle anzufeuchten.
Er betrachtete Lassiter aufmerksam und schien auf eine Antwort zu warten.
Als Lassiter noch immer schwieg, wurde Bartlett ungeduldig.
»Was ist los? Liegt jetzt nicht alles sonnenklar auf der Hand?«
»Ich habe mich schon immer vor überschnellen Urteilen gehütet«, sagte Lassiter. »Sie kennen die Verhältnisse besser als ich, Earnest. Wenn Sie sicher wären, dass Eli Deadwood dieser Mörder ist, dann hätten Sie ihn längst verhaftet. Zumindest wären Sie jetzt schon unterwegs zu seiner Ranch.«
Der Sheriff lächelte zufrieden vor sich hin.
Lassiters Antwort gefiel ihm.
»Ich war übrigens bei Eli Deadwood und habe mich erkundigt«, erklärte er. »Unmittelbar nach dem Mord an Frederick Belt. Er wurde übrigens in einem ähnlichen Zustand gefunden wie Dolores. Ich habe Eli Deadwood ein paar gefährliche Fragen gestellt. Aber ihm war nichts nachzuweisen. Entweder ist er ein ganz gerissener Fuchs, oder aber er ist wirklich unschuldig an den Morden.«
»Und was glauben Sie persönlich?«
Earnest Bartlett wurde ernst.
»Eine private Meinung ist für einen Gesetzeshüter nicht erlaubt und auch nicht ausschlaggebend«, sagte er. »Wo kämen wir hin, wenn jeder Sheriff, jeder Marshal einen Verdächtigen aufgrund persönlicher Meinung festnehmen dürfte. Wenn jeder Richter in der Lage wäre, einen Angeklagten nach seinem Gefühl zu verurteilen statt aufgrund einwandfreier Beweise. Nein, Lassiter, das geht nicht. Genauso wenig wie es geht, dass Sie sich jetzt auf privaten Rachefeldzug begeben. Sagen Sie nichts! Ich kann mich in Ihre Gefühle gut hineinversetzen. Es ist Ihr gutes Recht, jetzt erbittert und wütend zu sein auf diese gemeinen Mörder. Aber ich verspreche Ihnen, dass ich unnachsichtig gegen Sie vorgehen werde, wenn Sie sich etwas gegen das Gesetz zuschulden kommen lassen.«
»Ein offenes Wort, Earnest«, sagte Lassiter. »Aber Sie können beruhigt sein. Ich habe nicht die Absicht, ebenfalls zum Mörder zu werden. Ich werde versuchen, Ihnen den Mörder auszuliefern.«
»Oder aber Sie werden eines Tages aus dem Fluss gefischt wie Frederick und Dolores«, sagte der Sheriff trocken.
Lassiter nickte.
»Das wäre natürlich auch eine Möglichkeit.«
»Ich kann Sie nicht hindern an dem, was Sie vorhaben«, murmelte der Sheriff. »Aber seien Sie vorsichtig. Wir haben es hier mit einer unheimlichen Macht zu tun. Da sitzt irgendwo eine tödliche Spinne und lauert auf ihre Opfer. Aber man kann sie weder sehen noch greifen. Sie begeben sich in Lebensgefahr, Lassiter.«
Der große Mann drehte sein Whiskyglas zwischen den Fingern.
»Dolores war ein feines Mädchen«, sagte er. »Und sicherlich auch eine ebenso feine Frau. Ich habe es ihr geschworen, als ich sie aus dem Fluss holte. Ich werde sie rächen.«
»Und was haben Sie als erstes vor?«
»Morgen werde ich zu Eli Deadwood reiten.«
»Dann springen Sie ihm aber um Himmels willen nicht gleich an die Kehle.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ich habe von Ihnen gehört, Lassiter. Es heißt, Sie wären ein heißblütiger Bursche. Ein Mann, der es niemals besonders genau nimmt. Ich denke beispielsweise an Ihre Affäre mit Wells Fargo.«
»Das gehört der Vergangenheit an, Earnest.«
»Sie werden nicht mehr von Wells Fargo gesucht?«
»Die Steckbriefe wurden zurückgezogen. Ich habe der Company in letzter Zeit hin und wieder sogar einen Gefallen getan. Allerdings gegen meinen Willen. Da wollte ich ein fettes Geschäft machen und musste mich zum Schluss mit der Belohnung zufriedengeben.« Der Sheriff grinste.
»Gewissermaßen wurden Sie also zum betrogenen Betrüger«, meinte er. »Da ist übrigens noch etwas, was sich auf Eli Deadwood bezieht. Der alte Bursche hat ein paar Revolvermänner auf seiner Lohnliste. Ihr Vormann ist Tex Mohawk, ein verdammt zwielichtiger Bursche, aber seinem Boss treu ergeben. Der würde Ihnen sofort eine Kugel in den Kopf jagen, wenn er merkte, dass es seinem Boss an den Kragen geht.«