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Lassiter hatte das Gefühl, sein Körper wäre bereits abgestorben. Vom Hals bis zu den Fußsohlen schien keine Spur von Leben mehr zu sein. Aber er konnte sehen und den Kopf hin und her bewegen. Und er konnte noch atmen. Nur in ganz kurzen Zügen, denn seine Brust konnte sich nicht mehr heben und senken. Sein ganzer Körper steckte im Sand der Wüste. Eine Tonnenlast presste seinen Brustkorb und den Bauch zusammen.
Die Schufte hatten ihn eingegraben, nachdem sie ihm alles genommen hatten, was er besaß: Geld, Waffen, Pferd und Kleidung. Es war viel Geld, zwanzigtausend Dollar. Und auch sein Pferd, der Sattel und die Waffen stellten einen hohen Wert dar.
Diese verdammten Bastarde! Sie hätten ihn auch erschießen können. Aber das machte ihnen nicht den richtigen Spaß.
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Seitenzahl: 163
Veröffentlichungsjahr: 2024
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LASSITER UND DIE TODESBOTIN
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Impressum
LASSITER UND DIE TODESBOTIN
von Jack Slade
Lassiter hatte das Gefühl, sein Körper wäre bereits abgestorben. Vom Hals bis zu den Fußsohlen schien keine Spur von Leben mehr zu sein. Aber er konnte sehen und den Kopf hin und her bewegen. Und er konnte noch atmen. Nur in ganz kurzen Zügen, denn seine Brust konnte sich nicht mehr heben und senken. Sein ganzer Körper steckte im Sand der Wüste. Eine Tonnenlast presste seinen Brustkorb und den Bauch zusammen.
Die Schufte hatten ihn eingegraben, nachdem sie ihm alles genommen hatten, was er besaß: Geld, Waffen, Pferd und Kleidung. Es war viel Geld, zwanzigtausend Dollar. Und auch sein Pferd, der Sattel und die Waffen stellten einen hohen Wert dar.
Diese verdammten Bastarde! Sie hätten ihn auch erschießen können. Aber das machte ihnen nicht den richtigen Spaß.
Deshalb gruben sie ihn ein bis zum Hals, und jetzt ragte nur noch sein Kopf aus dem glühend heißen Sand.
Die Sonne stand senkrecht über ihm. Brannte erbarmungslos. Hatte bereits den letzten Rest von Feuchtigkeit aus seiner Haut gesogen.
Seine Kehle war völlig ausgetrocknet. Die Zunge war zu einem Stück alten Leders geworden.
Er hatte es längst aufgegeben, sich zu befreien.
Aus eigener Kraft war das unmöglich. Sie hatten ihm ja die Hände auf den Rücken gefesselt.
Wenn sie das nicht getan hätten, wäre ihm noch eine winzige Hoffnung geblieben.
So aber war er verloren.
Zum Sterben verdammt.
Seit zwei Stunden stand er nun bis zum Hals im Sand. Die winzigen, im Sonnenlicht glitzernden Kristalle erschienen ihm groß wie Diamanten. Die Saguaros ragten fünfzig Schritt von ihm entfernt wie riesige Obelisken in das Blau des Himmels.
Winzige Tiere bewegten sich hier und da im Sand. Ameisen, Käfer, die er noch nie zuvor so bewusst bemerkt hatte. Rote Ameisen. Er sah eine Springmaus, die in ihrem Erdloch verschwand. Und dann tauchte zwei Meter von ihm entfernt die Schlange auf. Eine Klapperschlange. Sie rollte sich vor dem Loch der Springmaus zusammen und richtete kurz ihren starren Blick auf den Kopf, der da aus dem Sand ragte.
Lassiter verspürte keine Furcht.
Er befand sich bereits in jenem Zustand, in dem einen Menschen nichts mehr erschüttern kann.
Ihm war alles egal.
Wenn die Schlange kam und ihre Giftzähne in seine Wange oder seinen Hals schlug, wurde sein Leiden nur verkürzt.
Dann wurde ihm vieles erspart.
Er wusste genau, was ihn erwartete.
Der Durst und die gnadenlose Hitze würden ihn in den Wahnsinn treiben. Ein unendlich langsames, unendlich qualvolles Sterben lag vor ihm.
Die ersten roten Ameisen krochen über sein Gesicht. Er spürte die beißenden Stiche.
Immer mehr Ameisen kamen hinzu. Setzten sich in seinen Nasenlöchern, den Augenwinkeln und den Ohren fest.
Er war ihnen wehrlos ausgeliefert.
Er verfluchte die Banditen, dass sie ihn nicht erschossen hatten.
Er verdammte sich selbst, dass er so arglos in ihre Falle geritten war.
Aber es hatte ihn auch niemand gewarnt, als er von Wellton aus nach Süden aufgebrochen war. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass sich ausgerechnet in diesem gottverlassenen Landstrich eine Bande aufhielt.
Drüben in dem schmalen, von Felsen gesäumten Arroyo hatten sie ihm die Falle gestellt, ihn mit einem Lasso gefangen.
Im nächsten Augenblick waren sie über ihm. Einer versetzte ihm einen Hieb mit dem Gewehrkolben gegen den Schädel, und als er später aufwachte, lag er gefesselt im heißen Sand.
Sieben Mann standen um ihn herum.
Sie hatten ihm bereits alles genommen, während er bewusstlos gewesen war, auch seine Kleidung.
Nackt und gefesselt lag er da, und sie begannen mit dem Verhör.
Er hatte die Kerle nie zuvor gesehen.
Aber sie hielten ihn für ihren Feind. Für einen Staatenreiter oder Spezialagenten der Regierung, den ein Sonderauftrag in den Südwesten von Arizona geschickt hatte.
Er hatte sie nicht vom Gegenteil überzeugen können.
Und nun krabbelten die roten Ameisen bereits in seiner Nase, und sie waren schlimmer als der Durst und glühende Sonnenhitze.
Er wusste nicht einmal, wer diese Schufte waren, denen er das alles zu verdanken hatte.
Sie hatten auf seine Frage nur höhnisch gelacht und waren dann davongeritten.
Ein unheimliches Rudel...
Lassiter hatte die Augen fest geschlossen.
Zum ersten Mal in seinem Leben sehnte er den Tod herbei. Denn was er hier aushalten musste, war selbst für ihn zu viel.
Er spürte noch, wie sein Körper immer leichter wurde. Er hatte das Gefühl zu schweben und sich mehr und mehr in nichts aufzulösen.
Aus!, dachte er. So sieht also das Ende aus.
Dann hörte er dumpfe, pochende Geräusche.
Gaukelten ihm seine Sinne bereits Halluzinationen vor, oder waren das vielleicht schon Geräusche aus einer anderen Welt, aus dem Jenseits?
Oder war dieses Pochen tatsächlich Hufschlag?
Waren die Banditen zurückgekommen, um sich an der letzten Phase seines entsetzlichen Sterbens zu weiden?
Sein Kopf war nach vorne gesunken.
Er wollte den Kopf anheben und die Augen öffnen. Aber es gelang ihm nicht. Er war völlig am Ende.
Er glaubte, eine tiefe Stimme zu hören, doch er konnte nicht mehr zwischen Wirklichkeit und Sinnestäuschung unterscheiden. Ihm war alles völlig egal.
Und dann floss etwas Kühles über sein Gesicht.
Wasser!
Es war wie ein Schock.
Jemand fasste in sein Haar und bog seinen Kopf nach hinten.
»Der lebt noch«, hörte er eine tiefe Stimme sagen. »Gib die Wasserflasche, Lys!«
Gleich darauf berührte die Öffnung der Blechflasche Lassiters Lippen. Wasser floss in seinen Mund.
Lassiter versuchte zu schlucken, aber seine Kehle war zusammengeklebt. Er behielt einen Teil der lebenspendenden Flüssigkeit im Mund und ließ sie einwirken. Er spürte, wie sich seine Schleimhäute vollsogen, wie die zu Leder gewordene Zunge wieder zu gehorchen begann.
Endlich gelang ihm dann der erste Schluck. Es war ein wohltuender Schmerz, als das Wasser in seinen Magen hinablief.
Er öffnete die brennenden Augen. Sah zwei Gesichter über sich. Die Gesichter eines Mannes und einer Frau.
Die Frau war knapp dreißig. Sie hatte pechschwarzes Haar und ein Gesicht von herber Schönheit. Einen schmalen, etwas gebogenen Nasenrücken. Hohe Wangenknochen und dunkle Augen. Eine Frau mit leicht asiatischem oder indianischem Einschlag.
Der Mann war groß und breitschultrig. Er trug eine fransenbesetzte Wildlederhose und ein blaues Hemd, das vorne offenstand und die stark behaarte Brust freigab.
Ein wuchtiger Mann.
Sein Bart und das Haupthaar waren grau. Aber es war nicht das Grau des Alters, sondern eher das etwas ins Schwarze gehende Grau eines Timber-Wolfes.
Er lachte breit.
»Du hast Glück gehabt, Mann«, sagte er. »Wenn wir erst ein paar Stunden später hier vorbeigekommen wären, hättest du den nächsten Sonnenaufgang nicht mehr erlebt.«
Lassiter versuchte ein Grinsen. Es wurde eine klägliche Grimasse. Jeder Muskel schmerzte in seinem verbrannten, von Ameisen zerbissenen Gesicht.
»Den Spaten, Lys!«, sagte der Mann.
Sie reichte ihm den kurzen Klappspaten, und er begann mit der Arbeit. Als er Lassiter bis zu den Hüften freigeschaufelt hatte, griff er ihm unter die Arme und zog ihn nach oben.
Er musste über ungewöhnliche Kräfte verfügen. Kaum ein anderer Mann hätte das geschafft, denn die Sandmassen lagen so fest um Lassiters untere Körperpartien wie der Gipsabdruck des Bildhauers um die Form.
Und Lassiter selbst war fast zweihundert Pfund schwer.
Jetzt lag er auf dem Rücken.
Die Frau hatte eine Decke ausgebreitet, auf die ihn der Mann gelegt hatte. Sie kam mit einem Wasserschlauch aus Ziegenleder, tränkte ein Tuch mit Wasser und rieb Lassiters Körper ab. Sie arbeitete schweigend, und hin und wieder legte sie das Tuch beiseite und massierte seine starr gewordenen Muskeln mit bloßen Händen.
Der Mann kauerte sich neben Lassiters Kopf in den Sand und entkorkte eine Whiskyflasche.
»Auch 'nen Schluck?«, fragte er. »Könnte dir vielleicht ganz guttun. Kommt allerdings ganz darauf an, was du gewöhnt bist.«
Lassiter streckte die Hand aus. Es war wie ein Wunder, dass er die abgestorbenen Gliedmaßen schon wieder bewegen konnte.
Er nahm einen vorsichtigen Schluck. Der Whisky brannte in seiner Kehle wie Höllenfeuer, aber er belebte auch.
Der Grauhaarige nahm die Flasche wieder zurück und trank ebenfalls.
Die Frau massierte gerade die hartgewordene Muskulatur von Lassiters rechtem Oberschenkel.
Lassiter spürte auf angenehme Art, wie wieder Leben und Wärme in seinen Körper zurückkehrten.
»Ich habe euch beiden eine Menge zu verdanken«, sagte er. »Hoffentlich kann ich das jemals wieder gutmachen. Übrigens – mein Name ist Lassiter. Komme von Norden, von Wellton. Wollte nach San Luis.«
»Reb Longfellow«, sagte der Grauhaarige. »Das ist meine Frau Lys. Wir wohnen fünfzehn Meilen östlich von hier. In den Gila-Bergen. Wir werden Sie mit uns nehmen.«
Sein Blick glitt über Lassiters zerschundenen Körper. An vielen Stellen war die Haut aufgerissen unter den Peitschenschlägen, die ihm einer der Kerle verabreicht hatte.
»Ich nehme an, du bist der Phantom-Bande in die Hände gefallen«, meinte Reb Longfellow. »Das ist so ihre Art. Sie erschießen nur selten ihre Opfer. Die meisten sterben auf die gleiche oder eine ähnliche Art wie du.«
»Die Phantom-Bande?«, fragte Lassiter.
Er hörte den Namen zum ersten Mal.
Reb Longfellow nickte.
»Man nennt sie auch Geisterreiter oder Gespensterreiter. Sie sind die Herren dieser Wüste. Bis weit nach Mexiko hinein. Manchmal tauchen sie auch drüben in Kalifornien auf und holen sich dort ihre Beute. Eine verdammt gefährliche Horde.« Lassiter grinste verzerrt.
»Ich habe es erleben müssen«, murmelte er. »Jetzt schulden sie mir einiges. Ein Pferd, Sattel, Waffen, Munition, Kleidung und die übrige Ausrüstung. Und zwanzigtausend Dollar.«
Es war eine für dieses Land außergewöhnlich hohe Summe, die er da nannte, aber Reb Longfellow zuckte mit keiner Wimper. Entweder ließ ihn Geld ziemlich kalt, oder er hatte selbst genug davon.
»Ich würde die Finger davon lassen«, sagte er. »Man nennt sie nicht umsonst Gespensterreiter oder ähnlich. Das sind Kerle wie die Schatten. Du kannst sie einfach nicht fassen. Das haben schon viele versucht.«
»Hast du keine Angst vor ihnen?«, fragte Lassiter. »Sie könnten zurückkommen, um nachzusehen, ob ich schon im Jenseits bin. Sie würden es dir übel ankreiden, dass du mir geholfen hast.«
Longfellow zuckte die Schultern.
»Wenn es so ist, haben wir allesamt Pech gehabt. Ich habe nur das getan, was ich für meine Pflicht als Christenmensch hielt.« Er lächelte zu seinen Worten.
Dieser Mann war Lassiter sympathisch. Vom ersten Augenblick ihres Kennenlernens an.
Reb Longfellow war ein ruhiger, in sich gefestigter Mensch, den man jedoch als Gegner nicht unterschätzen durfte.
Die Frau knetete gerade Lassiters Fußspitzen durch und war dann damit fertig.
»Steh auf, Lassiter!«, sagte sie. »Was du jetzt brauchst, ist Bewegung. Die Muskulatur muss endgültig locker werden.«
»Danke, Lys«, sagte er. »Du hast mich gut durchgeknetet. So eine Wohltat bekommt man nicht alle Tage zu spüren. Wenn ich mal wieder Geld habe, werde ich dir was Schönes schenken.«
Sie lächelte belustigt.
»Ich habe alles, was ein Mensch braucht«, sagte sie schlicht. »Ich habe einen guten Mann, Glück, Zufriedenheit und Geborgenheit. Ich brauchte noch nie Hunger zu leiden, und ich habe Kleidung. Ich...«
Sie unterbrach sich. Ihr Blick glitt über Lassiters nackten Körper.
»Ich werde dir aus der Decke eine Hose zurechtschneiden«, sagte sie. »Dann reitet es sich bequemer, und du bist vor der Sonne einigermaßen geschützt.«
Lassiter sah zu den Pferden der beiden hinüber. Es waren insgesamt vier Tiere. Zwei Reitpferde und zwei Packmulis.
»Du wirst auf einem der Mulis reiten müssen«, sagte Reb Longfellow. »Die Lasten, die zu viel für das Tier sind, verteilen wir auf unsere Pferde und das andere Muli.«
Lassiter stand auf, machte ein paar Schritte, reckte seinen sehnigen Körper, schwang die Arme wie Windmühlenflügel durch die Luft, machte ein Dutzend Kniebeugen.
Seine Sehnen und Muskeln gehorchten ihm schon wieder ausgezeichnet. Dank Lys Longfellows Massage.
Die Frau hatte gerade die Decke vom Boden aufgenommen.
Reb Longfellow nickte Lassiter zu, und sie gingen gemeinsam zu den Pferden hinüber.
Und dann waren plötzlich die Reiter da.
Drei Mann!
Sie waren lautlos drüben zwischen den mächtigen Saguaros aufgetaucht. Lassiter sah sie aus den Augenwinkeln, aber auch Longfellow hatte sie bereits bemerkt.
Die drei verharrten zwischen den Säulenkakteen. Sie hielten Gewehre in den Händen, und ihre Pferde standen reglos.
Es waren gut dressierte Tiere.
Reb Longfellow ging ruhig weiter bis zu dem einen Packmuli.
»Tu so, als wären sie nicht da«, flüsterte er Lassiter zu, ohne die Lippen zu bewegen. »In dem Packen hier sind zwei nagelneue Winchestergewehre. Ich habe sie in San Luis gekauft. Beide sind geladen. Das ist unsere einzige Chance.«
Lassiter verstand.
In den Scabbards der beiden Reitpferde steckten auch Gewehre. Aber wenn sie versuchten, an diese Waffen heranzukommen, würden die drei Banditen dort drüben mit Sicherheit sofort anfangen zu schießen.
Ja, es handelte sich um Banditen. Das hatte Lassiter sofort erkannt. Es waren drei Reiter, die zu der Bande gehörten, von der Lassiter eingegraben worden war.
Sie gingen zu dem einen Packmuli, als hätten sie die Phantom-Reiter immer noch nicht bemerkt.
Fünfzig Schritt waren die drei entfernt.
Sie konnten jede Einzelheit beobachten.
Als Reb Longfellow die Hand an eine der Gurtschnallen des Gepäcks legte, meldete sich einer der drei Kerle.
»Halt, Mister! Keine falsche Bewegung, oder du hast in der nächsten Sekunde ein Loch im Schädel.«
Scheinbar erstaunt drehten sich Lassiter, Reb Longfellow und die junge Frau zu den drei Reitern um.
»Heh, was bedeutet denn das?«, rief Longfellow. »Soll das etwa ein Überfall sein?«
Die drei lachten.
»Du bist Reb Longfellow, wie?«, rief ihr Sprecher. »Der Mann aus den Bergen, nicht wahr? Und du hast diesen Mann da ausgegraben.«
Reb Longfellow nickte ruhig.
»Ja«, rief er, »ich habe ihm geholfen! Hättet ihr das an meiner Stelle etwa nicht getan?«
Der Anführer der drei nickte höhnisch.
»Nein!«, lautete seine Antwort. »Denn wir waren es, die ihn eingegraben haben.«
Der Sprecher war ein hagerer Bursche mit einem rötlichen, von der Sonne verbrannten Gesicht. Ein richtiges Fuchsgesicht, mit unaufrichtig und verschlagen blickenden Augen.
»Und was nun?«, fragte Reb Longfellow ruhig. »Wollt ihr ihn noch einmal eingraben?«
»Du bist ein schlauer Kopf, Longfellow. Schick ihn zu uns rüber! Ihr beide hättet zwar eine Strafe verdient, aber wir lassen euch ziehen, wenn ihr uns keine Schwierigkeiten macht.«
»Pass auf, Lassiter!«, zischte Longfellow. Und laut rief er: »Einverstanden. Ich jage ihn zu euch rüber!«
Nach diesen Worten zog er seinen Revolver und richtete die Mündung auf Lassiter.
»Hau ab!«, fuhr er ihn laut genug an, sodass die drei Reiter jedes Wort hören konnten. »Verschwinde! Tut mir verdammt leid, dass ich dir deine Lügengeschichte geglaubt und dich ausgegraben habe. Wenn ich gewusst hätte, dass du ein Feind der Phantom-Reiter bist, hätte ich das nicht getan.«
»Was hat er dir denn erzählt?«, rief der Banditenführer.
»Er hat behauptet, er wäre ein Angehöriger der Phantom-Mannschaft«, gab Longfellow zurück. »Er wäre einer Horde Pimal-Apachen in die Hände gefallen. Deshalb habe ich ihn ausgebuddelt.«
»Dieser verdammte Lügner! Schick ihn jetzt rüber! Lauf, Lassiter! Oder ich mache dir Beine!«
Er hob das Gewehr.
Nun befand sich Lassiter zwischen zwei Schießeisen.
Für Sekunden war er verwirrt.
Reb Longfellow hatte gesprochen wie ein Mann, der nichts anderes als seine eigene Haut retten wollte. Alles klang so verdammt echt.
Sollte sich Lassiter in ihm so getäuscht haben?
Gerade hob Longfellow seinen Revolver etwas an.
»Hau ab, Mann!«, brüllte er. »Oder du hast gleich ein Loch zwischen den Rippen!«
Lassiter setzte sich schweigend in Bewegung.
Um zu den drei Banditen zu kommen, musste er an Longfellows Pferd vorbei. Es war ein wild aussehender, sehniger Pinto. Und aus dem Scabbard am Sattel ragte das Gewehr.
Als er mit dem Pinto auf gleicher Höhe war, setzte Lassiter alles auf eine Karte. Jetzt oder nie!
Lieber hier sterben, als noch einmal in die Klauen dieser Teufel zu geraten!
Er duckte sich im vollen Lauf und schnellte von der heißen Erde ab. Er flog durch die Luft. Schüsse krachten auf, und im Krachen der Schüsse landete er im Sattel des Pintos.
Das aufgeschreckte Tier bockte, warf sich herum und raste los. Auf die Banditen zu.
Lassiter riss die Winchester aus dem Scabbard, repetierte durch.
Der Pinto streckte sich. Kugeln flogen links und rechts an Lassiter vorbei.
Er schrie auf und ließ sich seitwärts aus dem Sattel fallen. Das Gewehr nahm er mit.
Er schlug im Sand auf. Es war kein harter Fall. Feine Sandkörner wirbelten hoch und hüllten ihn ein wie in einer Wolke.
Das triumphierende Geschrei der drei Banditen drang an sein Ohr.
Jetzt lag er im Sand, und sie konnten nicht sehen, dass er das Gewehr bereits zur Schulter gerissen hatte. Nicht mehr als zwei oder drei Sekunden waren seit seinem tollkühnen Todessprung vergangen.
Durch die aufgewirbelten Sandschleier zielte er auf den Anführer der drei Kerle.
Im Donnern des Schusses bäumte sich der Bandit im Sattel auf und stürzte vom Pferd.
Der zweite Bandit fiel fast im gleichen Augenblick.
Der schwere Revolver von Reb Longfellow hatte gesprochen.
Der dritte Bursche riss sein Pferd herum und wollte fliehen. Er hatte eingesehen, dass Kampf keinen Sinn mehr hatte.
Lassiters Kugel erwischte das Pferd. Er traf es im vollen Lauf. Das Tier knickte jäh in den Vorderbeinen ein, und sein Reiter rettete sich durch einen verzweifelten Sprung.
Lassiter schnellte hoch und rannte auf ihn zu.
Der Bandit kam katzengewandt hoch und griff nach seinem Revolver. Lassiter war schneller. Mit dem Gewehrlauf traf er das Handgelenk des Banditen, und der ließ aufstöhnend den Revolver fallen.
Dann blickte er in die Gewehrmündung und wagte nicht mehr, sich zu rühren. In seinen verschlagenen Augen flackerte die Angst.
Lassiter musterte ihn kurz und sachlich. Der Mann hatte etwa seine Größe. Die Kleidung dürfte ihm einigermaßen passen.
»Ausziehen!«, befahl er.
Der Bandit bekam große Augen.
»Was?«, fragte er gedehnt.
Lassiter grinste böse.
»Jetzt wirst du eingegraben!«, sagte er. »Das ist meine Rache.«
Natürlich hatte er nicht die Absicht, diese Drohung in die Tat umzusetzen. Er gehörte nicht zu den Menschen, die immer und um jeden Preis Gleiches mit Gleichem vergelten wollten.
Aber die Angst sollte der Bandit wenigstens zu spüren bekommen.
»Nein!«, keuchte er. »Das kannst du doch mit mir nicht machen. Das wäre mein Tod.«
Lassiter nickte trocken.
»Was denn sonst?«, knurrte er. »Hattet ihr etwa vor, mich in ein weiches Himmelbett zu legen?«
Reb Longfellow kam herbei.
»Was ist los, Lassiter?«, fragte er. »Willst du ihn tatsächlich eingraben?«
»Er soll sich ausziehen«, sagte Lassiter. »Ich brauche seine Kleider. Anschließend wird er eingegraben.«
Longfellow sah ihn erstaunt an.
»Sollte ich mich so in dir getäuscht haben?«, schien sein Blick zu sagen.
Lassiter stieß den Gefangenen mit der Gewehrmündung an. Der Bursche sah einigermaßen gepflegt aus, und es würde Lassiter nichts ausmachen, seine Kleidungsstücke zu benutzen.
»Zum letzten Mal!«, sagte er. »Oder ich besorge mir die Sachen selber. Auf die raue Tour.«
Der Bandit seufzte gequält.
Lys Longfellow war nun ebenfalls zu Lassiter und ihrem Mann getreten. Und der Bandit wurde unsicher.
Aber dann begann er, sich auszuziehen. Das Hemd, die Hose, die Stiefel. Alles.
»Pass auf ihn auf, Reb!«, sagte Lassiter und schlüpfte in die Kleider des Banditen.
Das Hemd war etwas knapp in den Schultern, die Hose etwas zu kurz und die Stiefel saßen recht eng an Lassiters Füßen.
Aber es war immerhin noch besser, als nackt durch die Wüste zu laufen.
Der Bandit sah ihn furchtsam an. Erwartungsbang.
Er glaubte noch immer an die Ernsthaftigkeit von Lassiters Drohung, ihn eingraben zu wollen.
»Du gehörst also zur Phantom-Bande«, murmelte Lassiter. »Zu diesen Schuften, die man Geisterreiter oder Gespensterreiter nennt.«
Der Bandit nickte unsicher, besann sich dann und schüttelte heftig den Kopf, stammelte ein paar Silben, die man nicht verstehen konnte.
»Dein Name?«, fragte Lassiter.
»Sam Brady.«
»Wer ist euer Boss?«
»Ich kenne ihn nicht.«
»Du lügst!«
Sam Bradys Augen flackerten.
»Ich schwöre es!«, rief er. »Ich habe El Azote nie gesehen.«
»Heißt so euer Boss?«
»So nennt er sich. Aber ich habe ihn trotzdem niemals gesehen. Nur ein paar Mann aus der Bande kennen ihn. Vielleicht drei oder vier.«
Lassiter sah ihn forschend an.