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Lassiter wickelte eine Zwanzig-Dollar-Note um seinen Zeigefinger und hielt sie dem Mann vor die Nase.
Der Eisenbahnagent beäugte den Schein gierig, schluckte, versuchte Zeit zu gewinnen. Dann berichtete er.
"Ja, ein Privatwagen, den sie an den Schluss von Zug Nummer Achtzehn gekoppelt haben. Das ist ein gemischter Zug, der diese Station um neun Uhr passieren soll. Nach den vorliegenden Meldungen ist er pünktlich..."
Lassiter konnte die Telegrafen-Kurzschrift so gut lesen wie ein Fachmann. Er nickte.
Der Eisenbahnagent redete hastig weiter.
"Sieben-Elf ist die Nummer des Wagens. Er wird von der Bahn ausgeliehen, für hundert Bucks pro Tag. Hat El Paso heute Morgen um sechs Uhr mit dem Zug Nummer Achtzehn verlassen."
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Seitenzahl: 185
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
WENN LASSITER DEN TEUFEL REIZT
Vorschau
Impressum
WENN LASSITERDEN TEUFEL REIZT
von Jack Slade
Lassiter wickelte eine Zwanzig-Dollar-Note um seinen Zeigefinger und hielt sie dem Mann vor die Nase.
Der Eisenbahnagent beäugte den Schein gierig, schluckte, versuchte Zeit zu gewinnen. Dann berichtete er.
»Ja, ein Privatwagen, den sie an den Schluss von Zug Nummer Achtzehn gekoppelt haben. Das ist ein gemischter Zug, der diese Station um neun Uhr passieren soll. Nach den vorliegenden Meldungen ist er pünktlich...«
Lassiter konnte die Telegrafen-Kurzschrift so gut lesen wie ein Fachmann. Er nickte.
Der Eisenbahnagent redete hastig weiter.
»Sieben-Elf ist die Nummer des Wagens. Er wird von der Bahn ausgeliehen, für hundert Bucks pro Tag. Hat El Paso heute Morgen um sechs Uhr mit dem Zug Nummer Achtzehn verlassen.«
Dieser Roman erschien erstmals im Jahr 1974 als Lassiter-Taschenbuch Nr. 51 als Übersetzung aus dem Amerikanischen. Originaltitel: The Badlanders
Er musterte Lassiter mit listigem Fuchsgesicht.
»Ich habe das Gefühl, dass dies nicht gerade eine Neuigkeit für Sie ist – welchen Grund Sie auch haben mögen, danach zu fragen.«
Es stimmte. Lassiter hatte schon woanders Informationen gesammelt, die meisten gekauft, wie jetzt. Um die Sache abzuschließen, sagte er: »Denk nach, ob du dich daran erinnerst, wer für diesen Privatwagen bezahlt.«
Der Agent rieb sich das Kinn.
»Nun, ich denke, dafür müssten Sie etwas tiefer in die Tasche greifen...«
Blitzschnell zog Lassiter seinen 44er und drückte ihm die Mündung auf die Nasenspitze.
Der Agent schnappte nach Luft, seine Augen quollen hervor.
»Rede«, sagte Lassiter sanft, »rede weiter!«
Die Antwort sprudelte nur so hervor. Ein gewisser Luther Purnell hatte die Rechnung für den Privatwagen unterschrieben. Vielleicht lag der Grund nur darin, dass er die angenehmen Seiten des Lebens gern genoss. Aber er bezahlte mit Geld, das er Lassiter gestohlen hatte. Und heute Abend sollte er zur Kasse gebeten werden.
»Hält der Zug hier?«, fragte Lassiter.
»Nur, wenn ich ihm die rote Laterne zeige«, murmelte der Mann.
Ein solcher unvorhergesehener Halt, überlegte Lassiter, würde die Männer im Zug alarmieren, sie wachsam werden lassen. Deshalb entschied er sich gegen diese Möglichkeit.
»Also gut«, sagte er, »du hast die zwanzig Dollar verdient, die ich dir versprach. Aber für den Fall, dass du in Versuchung gerätst, den Mund aufzumachen...«
Er hieb den Lauf des 44ers auf eine Speckrolle im Nacken des Agenten. Wie vom Blitz gefällt, schlug der Mann mit dem Gesicht auf den Boden. Lassiter band ihm die Arme auf den Rücken, stopfte einen Lappen in seinen Mund und schleifte ihn in einen Nebenraum. Jetzt würde er Lute Purnell nicht warnen können. Den Zwanziger, den er sich verdient hatte, stopfte ihm Lassiter in die Westentasche.
Der große Mann ritt nach Westen. Puente in New Mexico, die Stadt, die zur Bahnstation gehörte, blieb hinter ihm zurück. Dank seines bildhaften Gedächtnisses kannte Lassiter Tausende von Meilen der Bahnlinien im Westen. In der Nähe der Stadt wartete er auf einer Anhöhe, an die er sich erinnert hatte.
Der Zug Nummer Achtzehn tauchte auf, schnaufte mit geringer Geschwindigkeit die beträchtliche Steigung empor.
Dennoch war der Zug nicht langsam genug. Lassiter konnte es nicht riskieren, vom Boden aus aufzuspringen. Er ritt neben den Waggons her, stieß die Steigbügel weg, packte einen Haltegriff, schwang sich aus dem Sattel und ließ sein Pferd laufen. Es war kein großer Verlust. Der Gaul war weniger wert als das schäbige Sattelzeug, das er trug. Lassiter prallte gegen die Wand eines Kastenwagens, hielt sich fest, um sich dann in den Durchgang zwischen dem ersten und dem zweiten Wagen hinter der Lokomotive zu schieben.
Grelles Mündungsfeuer fauchte auf ihn zu, begleitet vom Singen der Kugel.
Nur wenige Inches vor Lassiters Gesicht fetzte das Blei Holzsplitter aus der Waggonwand.
Der große Mann feuerte seine rechte Faust ab, während er sich mit der Linken an einem eisernen Griff festhielt. Um ihn nicht zu verfehlen, hieb er dem Burschen die Rechte in den Magen. Tief grub sich seine Faust in den hervorquellenden Bauch über der Gürtelschnalle.
Der Mann schrie in jäher Todesangst, wurde vom Heulen der Lokomotiv-Pfeife übertönt. Sofort schlug Lassiter erneut zu. Seine harten Knöchel fanden jetzt das Gesicht des Mannes.
Sekundenlang vollführte der Mann einen wilden Tanz. In der schmalen Lücke zwischen Packwagen und Kastenwagen fanden seine Füße keinen Halt. Er stieß einen gellenden Entsetzensschrei in die Dunkelheit.
Rasch kletterte Lassiter die eisernen Rungen an der Rückwand des Kastenwagens hinauf.
Er erreichte das Wagendach, richtete sich halb auf und spähte zum Ende des Zuges. Aber Lute Purnells zweiter Revolverschwinger war hinter Lassiter, wahrscheinlich auf dem Kohlenhaufen des Tenders.
Zwei, drei Kugeln zischten über Lassiters Kopf hinweg. Doch die Schüsse lagen zu hoch. Der Zug wurde schneller, jagte den jenseitigen Hang des Hügels hinunter und stieß Rußschwaden und schützenden Rauch aus.
Lassiter verzichtete darauf, sich flach zu machen. Er hastete über die Wagendächer und schaffte die halbe Strecke bis zum Ende des Zuges. Der Wind heulte durch die Nacht, blies über die endlose Weite des südlichen New Mexico. Lassiter tauchte in einer Lücke zwischen zwei Wagen unter. Hier war er vor den Kugeln sicher. Nur bei den ersten beiden Wagendurchgängen waren also Wachen postiert gewesen. Weitere waren bei dem Privatwagen zu erwarten.
Was Purnell diesen Halunken zahlte, gehörte in Lassiters Taschen. Er wollte es sich so schnell wie möglich zurückholen.
Er erreichte den letzten Wagen des Zuges.
Er ging in die Knie, kroch langsam darauf zu.
Der Privatwagen hatte eine offene Frontplattform. Durch eine Glasscheibe in der vorderen Tür des Wagens fiel matter Lichtschein, erhellte die Silhouette eines breitschultrigen Mannes, der sich über das Geländer der Plattform hinauslehnte, um nach vorn zu blicken. Vielleicht hatte er die Schüsse gehört und versuchte zu ergründen, ob ihm Gefahr drohte.
Lassiter zog seinen 44er. Es würde ein schwieriger Schuss werden, und er musste sofort treffen – eine Kugel, nicht mehr, um den Mann dort unten aus dem Weg zu räumen.
Es klappte nicht so, wie Lassiter es sich vorstellte. Der Zug jagte in diesem Moment durch eine tiefe Schlucht. Das Heulen der Dampfpfeife klang unnatürlich laut, um ein Vielfaches verstärkt. Dicker, schwefliger Rauch kam aus dem Schornstein der Lokomotive, fing sich zwischen den hohen Felswänden. Lassiter begann zu husten, seine Augen tränten. Aber dem Mann unter ihm erging es nicht anders.
Dies war eine Gelegenheit, die er sofort nutzen musste.
An einer Bremsstange ließ sich Lassiter vom Dach des Wagens herab. Mit der Stiefelspitze stieß er sich von der hüpfenden Kupplung ab, schwang sich über eine hüfthohe Kette.
Er prallte gegen den Posten auf der Plattform, der immer noch hustete und sich die Augen rieb.
Lassiter rammte ihm den Unterarm unter das Kinn. Mit dem Rücken krachte der Mann gegen die Vorderwand des Wagens. Den Kopf zurückgebogen, mit den Füßen verzweifelt nach Halt suchend, keuchte er vor Angst, als ihm die Mündung des 44ers ins Gesicht gähnte.
»Runter!«, knurrte Lassiter. »Du steigst aus, Amigo!«
»Um Himmels willen, nein!«, keuchte der Mann und starrte mit ängstlich rollenden Augen auf die Felswand, die bedrohlich nahe vorbeiraste. »Ich werde unter die Räder kommen!«
»Dein Pech«, brummte Lassiter. Er bettelte selbst niemals um Gnade, und er verachtete jene, die es taten.
Aber die Furcht dieses Burschen, vom Zug überrollt zu werden, konnte ihm von Nutzen sein. Mit dem Lauf des 44ers versetzte Lassiter dem Posten kurz nacheinander zwei Ohrfeigen, trieb ihn auf das Trittbrett des Wagens. Blutige Striemen zeichneten sich im Gesicht des Mannes ab.
»Wie viele sind außer dir in diesem Wagen?«, fragte Lassiter.
»Zwei«, stieß der Mann hervor.
»Drinnen?«
»Nein, auf der hinteren Plattform. Dieser verdammte Purnell! Ich habe ihm gesagt, dass er mich nicht hier vorn allein lassen sollte...«
Lassiter zog ihm erneut den Revolverlauf durchs Gesicht. Der Mann stieß einen Entsetzensschrei aus, ruderte verzweifelt mit den Armen, um Halt zu finden.
Lassiter versetzte ihm einen Tritt.
Kopfüber stürzte der Posten vom Zug, als dieser gerade die Schlucht verließ. Lassiter sah, wie der Mann sich überschlug, wie eine Puppe durch die Luft wirbelte – und vielleicht den Rädern entkam. Wenigstens gab es kein Geräusch, das darauf schließen ließ, dass der Mann überrollt wurde. Wenn er Glück hatte, kam er mit ein paar Knochenbrüchen davon. Zum Glück war die Vordertür des Wagens nicht verschlossen. Lassiter zog sie auf, betrat einen Gang, der auf der rechten Seite zum Heck des Wagens führte. Die Wände waren mit dunklem Holz verkleidet, der Fußboden mit rosafarbenem Teppich ausgelegt.
Eine Öllampe, die von der Decke herabhing, schwang durch die Bewegung des Zuges hin und her.
Zur Linken gab es mehrere verschlossene Türen. Lassiter schlich daran vorbei, passierte eine offene Tür, hinter der eine vorbereitete Schlafkoje zu erkennen war. Aber keine Menschenseele war darin zu sehen. Lassiter pirschte sich weiter voran. Der Gang verbreiterte sich und mündete in einen Klubraum.
Zuerst erblickte Lassiter einen Mann in weißem Jackett, dunkelhäutig und mit unbeteiligten Gesichtszügen, der hinter dem Bartresen Gläser polierte.
Seine Augen weiteten sich.
Lassiter hob den 44er, legte den Lauf vor die Lippen.
Weiter hinten, in einem gemütlichen Polstersessel, räkelte sich Lute Purnell persönlich – neben einem Eisbehälter, in dem eine langhalsige Flasche stand. Er hielt ein Sektglas in der einen Hand, eine hellbraune Zigarre in der anderen.
Purnell hatte sich abgewandt. Seine Aufmerksamkeit galt einer Frau, die auf einem Diwan saß und auf ihre Hände herabblickte, die sie im Schoß gefaltet hatte.
Lassiter sah, dass sie rötliches Haar hatte, kürzer, als es zurzeit Mode war. Sie trug ein blaues Kleid. Ihre Arme, Schultern und ein beträchtlicher Teil ihrer Brüste waren nackt. Sein Blick wanderte an ihr vorbei, und seine Spannung ließ ein wenig nach. Vor dem Fenster und vor der Tür, die zur hinteren Plattform führte, waren die Vorhänge herabgelassen.
Purnell redete unvermittelt auf die Frau ein.
»Wir haben noch eine verdammt lange Nacht vor uns, bis wir Tucson erreichen. Und dann noch einen höllischen Weg nach Süden. Aber dann wartet ein Sack voll Gold auf uns, Ruby! Yeah, bei Gott, der größte Sack voll Gold, hinter dem jemals ein Mann her war!«
Die Frau antwortete nicht, blickte auch nicht auf. Purnell zog an seiner Zigarre, drehte sich dann zu dem stillen schwarzen Mann hinter der Bar um.
»He, Cato! Wie steht es mit etwas Essbarem? Ich bin hungrig und...«
Seine Stimme brach ab. Seine Augen drohten aus den Höhlen zu treten, als er Lassiter erblickte – seine große, hagere Statur, seine Gesichtszüge, die zu tödlicher Kälte gefroren waren.
Purnell schnappte nach Luft, schluckte krampfhaft. Er kam aus dem Sessel hoch. Sein Äußeres wirkte plump. Er war einen Kopf kleiner als Lassiter, wie ein Dandy gekleidet, mit Stehkragen und Gehrock. Ein Kranz von rötlichem Haar umgab seinen kahlen Schädel, ließ ihn harmlos wirken, wenn man seine berechnenden, hinterlistigen blassen Augen übersah.
Purnells Hand zitterte, verschüttete Sekt. Er schluckte von neuem und warf einen hilfesuchenden Blick zu der hinteren Tür. Seine Lippen öffneten sich, als ob er schreien wollte. Lassiter war mit zwei Schritten bei ihm.
»Wenn du nur zu laut atmest, schlage ich dir den Schädel in zwei Hälften, Purnell! Bete darum, dass niemand durch die Hintertür kommt! Bete, damit du vielleicht noch den nächsten Sonnenaufgang erlebst.«
Er unterstrich seine Worte, indem er dem Mann die Revolvermündung gegen die Augenbraue stieß und hinzufügte: »Du schuldest mir die Hälfte der Einnahmen aus dem Whisky-Geschäft von Matamoras. Ich weiß, dass du mehr als fünfzigtausend kassiert hast. Dann hast du dich damit nach Mexico City, nach Havanna und nach New York abgesetzt. Überall hast du eine Menge davon ausgegeben. Und du bist immer noch damit beschäftigt...«
Lassiter blickte sich um, verzog wütend die Lippen.
»Hundert Bucks pro Tag für diesen Wagen, außerdem das, was du den Revolverschwingern zahlst, damit sie deine dreckige Haut beschützen. Französischer Champagner und eine Luxuspuppe, die dir Gesellschaft leistet...«
Sein kalter Blick haftete sekundenlang auf der rothaarigen Frau. Sie hatte jetzt den Kopf gehoben, beobachtete, hörte zu, zeigte eine seltsame Art von Zufriedenheit über Lassiters raues Auftreten.
»Du hast mein Geld ebenso verschleudert wie deines, Purnell«, sagte Lassiter, »ich bin hier, um mir das wiederzuholen, was du mir gestohlen hast.«
Die Ungeduld kochte in ihm. Fast einen Monat lang hatte er geduldig die Fährte verfolgt. Dann hatte er das Gerücht gehört, dass Purnell in den Südwesten zurückgekehrt war. Was wie ein völlig idiotischer Schachzug aussah, denn Purnell wusste ganz sicher, dass Lassiter nach ihm jagte.
Aber egal, was Purnells Grund für die Rückkehr war: Seine Vorsicht und das Geld, das er für Revolvermänner ausgegeben hatte, waren nutzlos gewesen. Nun musste er sich vor Lassiters Art von Gerichtsbarkeit verantworten. Es gab keinen Aufschub mehr.
Lassiter packte ihn am Kragen, zog ihn mit stahlhartem Griff auf die Füße.
»Wahrscheinlich wirst du in Blut bezahlen«, sagte der große Mann gefährlich leise, »es würde mir nichts ausmachen...«
»Nein!«, keuchte Purnell. »Um Gottes willen, Lassiter!«
Er zitterte am ganzen Körper, und seine Zähne klapperten.
»Lass den Allmächtigen aus der Sache heraus«, befahl Lassiter, »und den Teufel ebenfalls. Selbst wenn er deine schmutzige Seele schon besitzt, wird er dir nicht helfen.«
Purnell wand sich.
»Hör mir zu!«, bettelte er. »Ich... ich habe deinen Anteil nicht. Ich bin fast pleite. Habe nicht mehr viel Bargeld... vielleicht tausend...«
Lassiter lockerte den Griff, ließ Purnell zurücksinken. Mit einer geschickten Handbewegung schlug er den Gehrock des Mannes zurück, entdeckte eine längliche Brieftasche in der Innentasche, zog sie heraus und schüttelte sie. Lassiter blickte auf die Geldscheine, die zum Vorschein kamen. Er sagte: »Ich nehme dies als Anzahlung.«
Purnell wimmerte. Dennoch lag in seinem flackernden Blick ein schwacher Glanz von Gehässigkeit.
Lassiter stopfte die Banknoten in seine Jackentasche und ließ die Brieftasche fallen.
»Du schuldest mir jetzt noch vierundzwanzigtausend, Purnell. Sieht immer noch so aus, als ob du in Blut bezahlen müsstest... obwohl ich das Nachsehen haben werde, selbst wenn ich den letzten Tropfen aus deinem fetten Kadaver quetsche.«
»Verdammt, warum kannst du nicht vergessen, was geschehen ist!« Er zog die Schultern hoch, versuchte, seine Selbstsicherheit zurückzugewinnen. »Das Matamoras-Geschäft war ein kleiner Fisch, Lassiter! Ich habe etwas viel Größeres vor. Zehnmal, vielleicht zwanzigmal so viel Gewinn, den wir uns teilen können!«
Lassiter zog die Augenbrauen hoch.
»Wir? Du bist ein größerer Narr, als ich gedacht habe, wenn du glaubst, dass ich auch nur noch ein einziges Mal mit dir zusammenarbeite. Selbst dann nicht, wenn du einen Schlüssel für die Seitentür des US-Schatzamtes hättest, Purnell!«
Der Mann versuchte zu lachen, wurde allmählich beherrschter.
»Ein verrückter Zufall, dass du auf diesen Gedanken kommst«, sagte er, »denn das, wovon ich rede, gehört zu einem Schatzamt. Aber nicht in den Staaten. In Mexiko.«
Lassiter runzelte die Stirn. Er wusste, dass er Zeit vergeudete. Dennoch musste er zugeben, dass sein Interesse geweckt war.
Er zog den Hammer des 44ers zurück. Es gab ein scharfes, metallisches Klicken.
»Rede weiter«, sagte Lassiter, »vielleicht schenke ich dir noch eine Minute. Und du tätest gut daran, mir keinen Unsinn aufzutischen.«
»Keineswegs«, entgegnete Purnell, »hast du schon mal von einem Banditen gehört, unten in der Gegend von Chihuahua und Sonora, den sie Cascabel nennen?«
Die Frau ließ plötzlich einen ärgerlichen Laut hören. Lassiter achtete nicht darauf. Seine Aufmerksamkeit galt Purnell.
»Habe von ihm gehört«, nickte der große Mann.
»Nun, vor etwa zwei Wochen fuhr ein Zug von Chihuahua City nach Süden. Der Inhalt eines der Waggons war eine Million US-Dollar wert, oder sogar noch mehr – hauptsächlich Gold- und Silberbarren. Das ganze Zeug lag in den Stahlkammern von Chihuahua. Aber Porfirio Diaz, der Präsident, machte sich Sorgen wegen einer Revolution, die dort oben ausbrechen könnte. Deshalb ließ er das Zeug nach Süden transportieren, um es im Schatzamt von Mexico City unterzubringen. Cascabel überfiel diesen Zug. Er schnappte sich die ganze Ladung. Und er hat sie noch immer. Er und seine Meute. Irgendwo in der Sierra sitzen sie mit dem Zeug fest und haben noch keine Ahnung, wie sie es zu Geld machen sollen.«
»So?«, fragte Lassiter. »Und wie stellst du es dir vor? In der Sierra zwischen Chihuahua und Sonora gibt es Tausende von Bergen. Willst du dich auf einen der Berge stellen und pfeifen? In der Hoffnung, dass Cascabel hergerannt kommt und dir untertänigst seine Beute aushändigt?«
»Nein!«, rief Purnell. »Wir werfen unsere Angel nach ihm aus, Lassiter, und er wird anbeißen. Bei Gott, er wird! Denn ich habe den Köder, der ihn herbeilocken wird, sobald er ihn nur wittert!«
Er deutete an Lassiter vorbei und fügte hinzu: »Da ist der Köder, von dem ich rede. Sie war Cascabels Gefährtin, und sie hat ihn verlassen. Er wird alles tun, wird jeden Preis zahlen, um sie zurückzubekommen!«
II
Lassiter hatte wildere Vorschläge gehört und hatte gesehen, wie in einigen Fällen dennoch beträchtlicher Profit herausgekommen war. Er nahm sich die Zeit, die Frau näher zu betrachten. Jetzt machte sie zum ersten Mal den Mund auf.
»Ich werde nicht zurückgehen... niemals!«
Ihre Wangen röteten sich, und ihre Stimme zitterte vor Bitterkeit. Ihr ungewöhnlich kurzes Haar schimmerte im Lampenlicht wie Mahagoni. Sie hatte eine bemerkenswerte Figur, die durch ihr enges Kleid noch betont wurde. Ihre Brüste waren wie kleine reife Melonen, die sich aufrecht gegen dünnen Stoff drängten. Sie hatte weiche Hüften und lange, schlanke Beine. Lassiter hatte blonde und rothaarige Mexikanerinnen gekannt. Dieses Girl war jedoch Amerikanerin. Man hörte es an ihrem Akzent.
Sie war aufgesprungen, starrte die beiden Männer an. Ihre Fäuste waren geballt, ihre Lippen bewegten sich in unterdrücktem Zorn.
Purnell kicherte.
»Ich habe sie in diesem Dreckloch jenseits der Grenze von El Paso geschnappt, in Juarez«, informierte er Lassiter, »hat mich fünfhundert Bucks gekostet. Die musste ich der Frau zahlen, die ihr soweit dabei geholfen hatte, aus Mexiko herauszukommen. Sie heißt Ruby Hilliard, und sie ist Cascabels Gefährtin, wie ich sagte. Du kannst dich darauf verlassen, dass ich mich hundertprozentig davon überzeugt habe. Sie ist von ihm weggerannt, und er will sie zurückhaben – um jeden Preis. Vielleicht, um sie zu vergiften, wenn sie ihm nicht gefügig ist.«
Der Mann lachte über seinen dümmlichen Witz. Cascabel, wie einer der zahlreichen Banditen genannt wurde, die Mexiko unsicher machten, war das spanische Wort für Klapperschlange.
Purnells Stimme wurde jetzt lebhaft, geschäftstüchtig.
»Ich habe alles geplant. Wir fahren nach Süden, verbreiten das Gerücht, dass wir die Frau haben. Dadurch wird er auf uns aufmerksam, und wir haben die Chance, die Beute aus dem Zugüberfall zu übernehmen. Es dürfte leicht sein, ihn davon zu überzeugen, dass wir alles aus Mexiko herausbringen können, um es in hartes Bargeld umzuwandeln – für Cascabel, natürlich.«
Purnell lachte in sich hinein, machte damit deutlich, dass Cascabel leer ausgehen sollte, höchstens abgesehen von der Frau. Dann rieb er sich das Kinn mit dem Daumen, und seine kleinen, blassen Augen wurden berechnend, als sie Lassiter fixierten. Sein Tonfall wurde munterer. »Ein guter Anteil für dich... yeah, fifty-fifty, wie beim Matamoras-Geschäft. Hm, nach Abzug der Kosten allerdings. Ich habe Kontaktmänner in Tucson und Nogales, die eingeschaltet werden müssen, damit wir mit dem Zeug heil zurück über die Grenze kommen.«
Vielleicht war es der Grund gewesen, den Privatwagen zu mieten, um jene Kontaktmänner zu beeindrucken.
»Er wird euch beide töten!«, rief die Frau. »Und ich hoffe, dass er es langsam tut!«
Purnell überhörte es, redete weiter auf Lassiter ein. »Ich brauche das Geld, das du mir weggenommen hast. Also gib es mir zurück, und wir fangen neu an.«
Er streckte die Hand aus. Seine Miene zeigte ein vertrauensseliges Lächeln.
Lassiter erinnerte sich, dass er von einem großen Eisenbahnraub irgendwo in der Gegend von Chihuahua gehört hatte. Er hatte nicht nach weiteren Einzelheiten geforscht, hatte sich nicht dafür interessiert. Aber jetzt lagen die Dinge anders.
»Mach schon!«, stieß Purnell hervor. »Es ist die beste Chance, die dir jemals geboten wurde. Also greif zu, bevor ich meine Meinung ändere! Und du brauchst nicht zu denken, dass du hier auf die gleiche Weise herauskommst, wie du eingedrungen bist. Wenn ich nicht Anweisung gebe...«
»Halt den Mund!«, knurrte Lassiter. Er überlegte, wie viel Zeit er noch hatte. Denn jede weitere Minute, die er in dem Wagen blieb, erhöhte die Gefahr. Purnells Gesicht überzog sich mit Zornesröte.
»Warum, zum Teufel!«
Lassiter zog ihm den Revolverlauf durchs Gesicht. Die Wucht des Hiebes reichte aus, um Purnell einen Schritt zurückwanken zu lassen.
Er rieb sich die Wange, schoss einen finsteren Blick auf den großen Mann ab. Ein öliger Blutstropfen quoll aus der aufgerissenen Haut hervor.
Lassiter sah die Landkarte vor seinem geistigen Auge. Der Zug rollte der nächsten Stadt entgegen. Tiburon war noch acht bis zehn Minuten entfernt. Würde dieser Zug in Tiburon halten?
Die Frau musterte Lassiter jetzt mit verändertem Gesichtsausdruck – mit Hoffnung, so schien es, obwohl sie es kaum wagen konnte, zu hoffen.
Lassiters innere Spannung wuchs. Er wusste, dass er eine Entscheidung treffen musste, handeln musste. Aber wenn er zu rasch handelte, konnte es mit einer Katastrophe enden.
Er ging zur Bar hinüber und beobachtete die Vorgänge vor dem Fenster und der hinteren Tür, obwohl er nicht damit rechnete, dass einer der Burschen von der Heckplattform auftauchte. Schon eher war Verdruss zu erwarten, der von der Vorderseite des Wagens kommen würde.
Er gab dem Schwarzen hinter der Bar ein Handzeichen.
»Cato, einen Drink! Zwei Fingerbreit!«
Mit unerschütterlicher Miene schenkte Cato ein. Lassiter nahm das Glas, nippte daran. Purnell räusperte sich. Lassiter behielt ihn im Auge, den 44er auf ihn gerichtet.
»Zum Teufel, was willst du denn noch?«, fragte Purnell mit hoher, schriller Stimme. »Ich habe dir ein gutes Angebot gemacht. Steckt dir die Sache von Matamoras immer noch in den Knochen? Dann werde ich den Einsatz erhöhen. Aber du kannst mich nicht wie ein Stück Dreck behandeln!«
Die letzten Worte hatte er geschrien. Und er wich zurück, auf die gegenüberliegende Seite des Wagens. Lassiter erkannte, dass Purnell irgendein anderes Geräusch damit übertönen wollte. Er brauchte nicht mehr als eine Sekunde, um zu wissen, um was für ein Geräusch es sich handelte. Denn Purnell hatte angespannt auf das Öffnen der vorderen Tür gewartet.
Lassiter ging in die Knie. Dann kroch er rasch auf den Gang zu.
Purnell schrie eine Warnung.
Aber es war zu spät für den Burschen, der mit schussbereitem Revolver in den Wagen gestürmt kam.
Lassiter schnellte los, nutzte die Bewegung des anderen ebenso wie die eigene. Er rammte dem Kerl die Mündung des Revolvers in den Magen, ein Hieb, der einen Mann in neunundneunzig von hundert Fällen absolut kampfuntüchtig machte.