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Big Andy setzte der blonden Frau das Messer an die Kehle. Und er rief: "Wenn du sie liebst, Lassiter, dann lass den Colt fallen und gib auf."
Lassiter zögerte. Er war davon überzeugt, dass dieser verdammte Keeper der Frau die Kehle durchschneiden würde, wenn er etwas unternahm. "Kämpfe, Lassiter!", schrie Ria. "Nimm keine Rücksicht auf mich! Einer von uns beiden muss sowieso sterben!"
Big Andy lachte. Im gleichen Augenblick gellte draußen vor dem Saloon ein grässlicher Schrei auf...
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Seitenzahl: 170
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
LASSITER UND DER TODESSALOON
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
Vorschau
Impressum
LASSITER UNDDER TODESSALOON
von Jack Slade
Zuerst hörte Lassiter einen furchtbaren Schrei. Dann sah er, wie die Tür des Saloons von innen aufgestoßen wurde, und ein Mann segelte nach draußen. Er flog zwei, drei Meter durch die Luft und landete hart auf der heißen Erde. Verkrümmt blieb er liegen, hatte beide Hände vor das Gesicht gepresst und stöhnte.
Lassiter zügelte sein Pferd und blickte vom Sattel aus auf den Mann hinunter. Es war ein großer und kräftiger Bursche, einer von den Typen, die so leicht nicht von den Beinen zu schlagen waren.
»Dieser verdammte Hundesohn!«, knurrte er. »Das wird er mir büßen, dieser großspurige...«
Er verstummte und hob den Kopf.
Jetzt erst bemerkte er, dass er nicht mehr allein war. Er sah Lassiter von unten herauf an, und in seinem Blick war sofort ein tiefes Misstrauen.
Lassiter grinste.
»Hat dich ein Pferd getreten, Mister?«
Der Mann kam schwankend auf die Beine.
»Ein Pferd«, knurrte er wütend. »Wäre es doch nur ein Pferd gewesen! Das war dieser verdammte Hurensohn im San Geronimo. Dieser Glatzkopf sieht aus wie 'n Heiliger, aber in Wirklichkeit ist er der reinste Teufel. Nimm dich in Acht vor ihm, Fremder! Wo Big Andy hinlangt, da wächst kein Gras mehr.«
Auf der Schwelle des Saloons, der den frommen Namen »San Geronimo« trug, erschien ein korpulenter Mann. Er machte auf den ersten Blick einen äußerst gemütlichen Eindruck, wie er so dastand und lächelte. Er hatte die Daumen hinter die breiten Hosenträger gehakt, hielt den Kopf leicht gesenkt und blickte über die Ränder seiner Nickelbrille hinweg, die ihm auf die Nasenspitze gerutscht war.
Er sah tatsächlich aus wie ein Bursche, der kein Wässerchen trüben konnte. Ein richtig gemütlicher Saloonkeeper.
Seine vordere Schädelpartie war völlig kahl. Die Haare, die ihm noch verblieben waren, trug er millimeterkurz geschoren, so dass sie wirkten wie das Käppi eines frommen Mönches.
Äußerlich passte alles zusammen. Das friedfertige Aussehen des beleibten Wirts und die Tatsache, dass dieser Saloon nach einem Heiligen benannt worden war: St. Geronimo.
Der Wirt fixierte Lassiter kurz. Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde. Trotzdem ahnte Lassiter, dass der Keeper in dieser winzigen Zeitspanne mehr Einzelheiten registriert hatte, als es normalen Sterblichen möglich war.
Lassiter blieb ruhig auf seinem grauen Pferd sitzen. Er wartete ab, wie die Sache zwischen dem Wirt und seinem soeben hinausgeworfenen Gast weitergehen würde.
In den meisten dieser Fälle trug man die entstandenen Meinungsverschiedenheiten mit dem Schießeisen aus, aber in diesem winzigen Prärienest herrschten offenbar andere Sitten.
Ohne zu zögern stürmte der Gast auf den Wirt zu und schwang die Fäuste. Dabei stieß er einen Schrei aus, der starke Ähnlichkeit mit wütendem Wolfsgeheul hatte.
»Pass auf, Big Andy! Jetzt mach' ich Hackfleisch aus dir!«
Big Andy stand scheinbar gelassen da. Erst im allerletzten Augenblick nahm er die Daumen hinter den Hosenträgern weg. Und seine Fäuste kamen so schnell, dass man mit den Augen kaum folgen konnte.
Der Angreifer wurde zurückgeschleudert. Er überschlug sich zweimal und blieb erneut liegen.
Big Andy lächelte freundlich. Gemächlich holte er eine angerauchte Zigarre aus seiner Hosentasche und zündete sie wieder an. Dann rückte er seine verrutschte Nickelbrille zurecht und blickte zu Lassiter hoch.
»Willkommen in Crow Station, Mister«, sagte er. »Ich bin der Besitzer dieses Saloons. Bei mir gibt es alles, was ein Mann sich wünschen kann.«
Lassiter grinste.
»Wirklich alles?«
Big Andy runzelte kurz die Stirn.
»Für wen halten Sie mich, Mister?«, fragte er, und die qualmende Zigarre wippte dabei zwischen seinen Lippen auf und ab. »Wenn ich sage alles, dann meine ich auch alles.«
Gerade kam der Niedergeschlagene ächzend hoch. Er rieb sich mit einer Hand über das schmerzende Kinn und verzog das Gesicht zu einem gequälten Grinsen.
»Zum Teufel, Andy!«, fluchte er. »Was ist denn auf einmal mit dir los? Warum spielst du plötzlich den wilden Mann? Hat dir deine blonde Lady heut Morgen was in den Kaffee getan?«
Big Andy nahm kurz die Zigarre aus dem Mund.
Und er lächelte zufrieden.
»Ah, endlich ist es so weit«, sagte er. »Es ist doch immer wieder dasselbe mit dir, Will. Wenn du deinen wilden Tag hast, gibst du erst Ruhe, wenn man dir den Kopf mal wieder richtig durcheinandergerüttelt hat. Es ist für dich anscheinend die einzige Medizin, Curly Will Leemountain. Du kannst jetzt von mir aus wieder reinkommen. Und wenn du Lust hast, kannst du dich bis zum Kragenknopf voll laufen lassen. Ich habe das Gefühl, als ob du für den Rest dieses schönen Tages friedlich bleiben wirst und nicht wieder anfängst, aus meinem Saloon Kleinholz zu machen. Vorhin sind übrigens wieder drei Stühle zu Bruch gegangen.«
»Die mach' ich wieder ganz«, brummte Curly Will Leemountain und ging schwankend auf den Saloon zu.
Big Andy wandte sich wieder Lassiter zu.
»Curly Will ist im Grunde ein feiner Bursche«, sagte er. »Er wird nur hin und wieder zu übermütig. – Sie kommen von Süden herauf, Mister?«
Die letzte Frage klang harmlos, kam jedoch schnell und überfallartig. Wieder ein Beweis dafür, dass dieser Wirt mit allen Wassern gewaschen war.
Lassiter nickte leicht.
»Ja, von Süden«, sagte er wahrheitsgemäß.
»Und Sie wollen weiter nach Norden?«
»Vielleicht.«
»Dann will ich Ihnen einen guten Rat geben«, sagte Big Andy. »Reiten Sie nicht ins Indianergebiet! Erstens ist das von der Regierung verboten worden. Zweitens ist noch kein Weißer wieder zurückgekehrt, der ins Indianerland geritten ist.«
Die Warnung war überflüssig, weil Lassiter sich auskannte. Trotzdem sagte er verbindlich: »Gut, dass Sie mir das gesagt haben, Andy. Also werde ich einen anderen Weg wählen.«
»Haben Sie es eilig, Mister?«, fragte Big Andy beiläufig.
Lassiter grinste.
»Sie sind verdammt neugierig, Andy.«
Der Wirt konnte seinen Ärger nicht ganz verbergen. Lassiter sah ihm an, dass er aufbrausen wollte, sich aber im letzten Augenblick beherrschte.
»Neugier gehört zu meinem Beruf«, meinte er. »Ich interessiere mich für jeden Mann, der hier durchkommt. Aber wenn Sie nicht antworten wollen, dann behalten Sie es eben für sich. Von mir aus können Sie...«
»Sie brauchen nicht weiterzureiten, Mister«, brummte er dann. »Vielleicht ist das hier sogar für Sie die Endstation.«
Lassiter drehte den Kopf. Auf dem Hügelkamm im Norden der Ansiedlung war eine Reiterkette aufgetaucht.
Indianer! Man erkannte es deutlich an den Federbüschen oder einzelnen Federn, die sich scharf vor dem blauen Himmel abhoben. »Kiowa?«, fragte Lassiter.
»Kiowa und Comanchen«, gab Big Andy zurück. »Nehmen Sie Ihre Waffen und alles andere, was Ihnen wertvoll erscheint. Ihren Gaul können Sie nicht mehr in Sicherheit bringen. Dafür ist es zu spät.«
Lassiter glitt vom Pferd und sattelte es schnell ab. Als er damit fertig war, sah er, wie sich die Indianer in Bewegung setzten. Sie schwärmten in breiter Formation aus und schickten sich an, die Ansiedlung völlig einzukreisen.
Es waren etwa vierzig Krieger nach Lassiters Schätzung. Dagegen gab es in Crow Station anscheinend nur zwei Männer, mit denen zusammen sich Lassiter der Übermacht entgegenstellen konnte. Jedenfalls hatte er bis jetzt außer Big Andy und dem wilden Curly Will Leemountain noch keinen weiteren Mann gesehen. Das konnte ja herrlich werden.
Lassiter versetzte seinem Pferd einen Klaps und verschwand gleich darauf im Saloon. Im Obergeschoss donnerte gerade ein schweres Gewehr auf. Unmittelbar danach krachten an mehreren Stellen weitere Schüsse. Ein sicheres Zeichen dafür, dass Lassiter, Big Andy und Curly Will nicht die einzigen Verteidiger von Crow Station waren.
Bei der Tür stand eine blonde Frau.
»Kommen Sie schnell!«, drängte sie. »Wir ziehen uns alle ins Obergeschoss zurück. Da sind wir sicherer.«
Sie war etwa dreißig, trug einen langen blauen Rock und eine weiße, tief ausgeschnittene Bluse. Sie bot einen reizvollen Anblick, und Lassiter dachte unwillkürlich daran, dass er schon viel zu lange nicht mehr mit einer Frau zusammen gewesen war.
Er ließ seinen Sattel mit dem Packen zu Boden gleiten, nahm die Winchester an sich und holte ein paar Schachteln mit Munition aus den Satteltaschen.
»Gehen Sie nur, Lady«, sagte er. »Ich halte es für besser, wenn wenigstens einer hier unten die Stellung hält.«
»Sind Sie lebensmüde?«, rief die Blonde.
»Nein. Aber ich habe nicht das erste Mal mit Indianern zu tun. Wenn die hier unten an die Schnapsvorräte rankommen, werden sie erst richtig wild. Dann machen sie uns ein Feuerchen an, dass wir im Obergeschoss bei lebendigem Leibe geröstet werden. Dann will ich doch lieber hier unten an einer Kugel sterben. – Wie viele Männer gibt es in diesem Nest noch außer Andy und Curly Will?«
»Noch zwei. Einer drüben im Mietstall. Der andere im General Store.«
Das waren insgesamt fünf Mann. Sie würden wie die Teufel kämpfen müssen, wenn sie gegen die Übermacht bestehen wollten.
Lassiter spähte über die brusthohen Flügel der Schwingtür hinweg. Er hörte donnernden Hufschlag und das Krachen von Schüssen, aber von den Indianern war noch nichts zu sehen.
Sein Pferd trottete auf die Tränke vor dem Mietstall zu. Es war ein gutes Tier, und Lassiter war ziemlich sicher, dass die Indianer es mitnehmen würden, wenn sie sich von hier zurückzogen. Er hoffte es sogar. Aus einem ganz bestimmten Grunde.
Allerdings würde die Verwirklichung dieser Hoffnung nur dann ihren Zweck erfüllen, wenn er am Leben blieb. Fiel er in diesem Kampf, spielte es auch keine Rolle mehr, ob sie das Pferd mitnahmen oder nicht. Dann war eben alles umsonst gewesen, und er hatte zu viel riskiert mit seinem Ritt ins Niemandsland.
Er stieß einen Türflügel auf und trat hinaus auf den überdachten Vorbau. Die Indianer, die im grellen Sonnenlicht ritten, würden ihn wohl nicht sofort entdecken, da er im Schatten stand.
Jetzt sah er sie kommen.
Sie kamen von drei Seiten. Eine Gruppe brach drüben neben dem Mietstall auf den großen Platz zwischen den Gebäuden ein. Zwei andere Horden kamen von links und von rechts.
Lassiter begann sofort zu schießen. Die Schüsse krachten in rasender Reihenfolge, und durch den Pulverrauch sah er, wie drei, vier Indianer von ihren Mustangs fielen. Zwei Pferde überschlugen sich aus vollem Lauf, und ihre Reiter flogen katzengewandt aus den Sätteln und wollten sich in Sicherheit bringen.
Sie kamen nicht weit.
Sie brachen dicht neben ihren Tieren zusammen und blieben ebenfalls reglos auf der heißen Erde liegen.
Zwischen den Häusern der kleinen Ansiedlung war die Hölle los. Das schrille Geheul der Kiowa und Comanchen erfüllte die Luft. Halbnackte Krieger stürzten aus den primitiven Fellsätteln. Bunte Federbüsche flatterten im Reitwind. Struppige Mustangs bäumten sich getroffen auf.
Lassiter wurde von zwei Kugeln gestreift, verspürte aber kaum einen Schmerz in der Hitze des Kampfes.
Schießend zog er sich zur Schwingtür zurück. Als er die letzte Kugel aus dem Lauf gejagt hatte, rettete er sich mit einem verzweifelten Sprung ins Innere des Saloons.
Er hörte triumphierendes Geheul. Sah einige Reiter unmittelbar vor dem Vorbau auftauchen. Die Rothäute sprangen in vollem Galopp von ihren Tieren und landeten in der Nähe der Schwingtür auf den Bohlen.
Nun trat das ein, was Lassiter anfangs schon befürchtet hatte. Die roten Teufel wollten in den Saloon. Sie glaubten Lassiter erledigt und wussten, dass sie mit den Verteidigern im Obergeschoss leichtes Spiel haben würde.
Lassiter sah die ersten grellbemalten Gesichter hinter der Tür auftauchen. Er riss die Winchester hoch, aber im selben Augenblick fiel ihm siedend heiß wieder ein, dass er erst nachladen musste.
Er ließ das Gewehr fallen und griff nach seinem Revolver.
Die Flügel der Schwingtür wurden aufgestoßen, und drei Kiowa drangen gleichzeitig ein.
Lassiter zögerte keine Sekunde. Ihm blieb keine andere Wahl. Es ging ums nackte Leben. Er oder die Indianer. Deshalb musste er hart und schonungslos sein.
Sein Remington-Revolver donnerte auf. Er schoss so lange, bis keine Kugel mehr in der Trommel war.
Drei Rothäute blieben zurück. Sie lagen in der Nähe der Tür und bewegten sich nicht mehr.
Lassiter wollte nachladen, aber ihm blieb keine Zeit mehr dazu. Denn schon tauchten zwei weitere Krieger auf. Zwei Kiowa. Das erkannte Lassiter an der Kriegsbemalung und den schlanken, hochgewachsenen Gestalten. Comanchen waren kleiner, gedrungener.
Jeder hielt ein Gewehr in den Händen. Es waren Spencer-Karabiner, siebenschüssige, wie sie noch immer von Teilen der Armee verwendet wurden.
Die beiden Kiowa feuerten sofort, als sie Lassiter sahen. Allerdings zielten sie nicht sorgfältig genug. Glaubten das auf die kurze Distanz nicht nötig zu haben.
Lassiter konnte selbst nicht schießen. Seine Winchester lag auf dem Fußboden, und sie war genauso leergeschossen wie sein Revolver.
Jetzt konnte ihm nur Schnelligkeit helfen. Mit einem wilden Sprung zog er sich hinter den Tresen zurück, als die Spencer-Gewehre der Kiowa aufbrüllten.
Im nächsten Augenblick war er in Deckung. Er stieß gegen ein Flaschenregal, und ein halbes Dutzend verschiedener Flaschen landete auf seinem Rücken oder neben ihm auf dem Boden.
Er hörte die enttäuschten Schreie der Kiowa und griff nach seinem schweren Bowiemesser. Blitzschnell richtete er sich hinter seiner Deckung auf und schleuderte das Messer.
Die zweischneidige Klinge bohrte sich dem einen Indianer in die Brust. Er stand schwankend da, und sein grellbemaltes Gesicht war auf schreckliche Weise verzerrt.
Der andere feuerte sofort, aber Lassiter war bereits wieder hinter der Theke verschwunden. Und wieder blieb ihm keine Zeit, den Revolver nachzuladen.
Er hörte Schritte. Der Kiowa rannte auf die Theke zu. Er hatte Lassiters Misere erkannt und wollte die Situation nützen.
Lassiter griff nach dem nächstbesten Gegenstand. Es war eine volle Whiskyflasche. Jim Beam. Guter Bourbon aus Kentucky.
Mit der Flasche in der Hand kam er hoch und sah den Kiowa nur noch zwei Schritt von sich entfernt.
»Zum Teufel mit dir!«, knurrte Lassiter und ließ die schwere Flasche durch die Luft wirbeln. Sie landete hart am Kopf des Indianers. Der ließ sein Gewehr fallen und riss beide Hände vors Gesicht.
So ging er in die Knie, fiel langsam nach vorne und blieb liegen.
Lassiter konnte jetzt endlich seinen Revolver aufladen. Er stopfte auch noch das Magazin der Winchester mit Patronen voll und rannte dann wieder zur Tür.
Draußen wurde noch immer geschossen, aber längst nicht mehr so stark wie zu Beginn des Kampfes. Der Lärm ebbte mehr und mehr ab, und die Kiowa und Comanchen zogen sich fluchtartig zurück.
Lassiter grinste, als er sah, dass sich einer auf sein graues Pferd geschwungen hatte und auf dem Tier davonjagte. Er hätte den Indianer jetzt noch vom Pferderücken holen können, aber er verzichtete gerne darauf. Aus einem ganz bestimmten Grund.
Dieses Pferd gehörte ihm nicht. Er hatte es gestohlen. In Amarillo, nachdem er dort aus dem Gefängnis ausgebrochen war. Und er wusste, dass seine Verfolger noch längst nicht aufgegeben hatten. Vielleicht tauchten sie schon bald hier im sogenannten Niemandsland auf. Wenn dann das graue Pferd nicht zu sehen war, würden sie wohl kaum weiter nach ihm in Crow Station suchen.
Im Grunde genommen war hier jeder Outlaw in Sicherheit, und kein Gesetzesvertreter hatte in diesem Landstreifen irgendwelche Befugnisse. Aber Marshal Ken Baxter war ein verdammt harter Bursche. Wenn er Lassiter erst einmal gestellt hatte, würde er ihn auch nach Texas zurückbringen – oder aber töten.
Denn Richard Belden, den Lassiter angeblich ermordet hatte, war ein angesehener Mann gewesen. Ein sehr angesehener und reicher Mann, dessen Familie hohe Belohnungen auf Lassiters Kopf ausgesetzt hatte.
Daran dachte Lassiter, während draußen die letzten Schüsse fielen. Hinter sich hörte er ein unterdrücktes Stöhnen und wurde so aus seinen Gedanken gerissen.
Der Kiowa, den er mit der Flasche niedergeschmettert hatte, bewegte sich gerade ächzend.
Lassiter kniete bei ihm nieder und drehte ihn auf den Rücken. Er sah in ein blutüberströmtes Gesicht, auf dem die grellen Kriegsfarben durcheinandergelaufen waren.
»Whisky!«, ächzte der Indianer. »Whisky...«
Lassiter holte eine Flasche vom Tresen und setzte sie dem schwerverletzten Kiowa an die Lippen. Der Mann trank gierig, als handelte es sich um klares Quellwasser.
Schließlich grinste er breit. Der scharfe Alkohol hatte ihm geholfen und ließ ihn die wahnsinnigen Schmerzen in seinem Schädel vergessen. Und half ihm wahrscheinlich auch, leichter zu sterben.
»Du großer Krieger«, ächzte er kehlig. »Du guter Mann. Big Andy kein guter Mann, er böser Mann. Er uns nicht geben guten Whisky...«
Er atmete keuchend und griff mit beiden Händen nach der Flasche, die ihm Lassiter auch ließ.
Lassiter horchte auf. Der Kiowa hatte da gerade etwas gesagt, was äußerst interessant war. Und was Lassiters Ahnung bestätigte. Endlich war er auf eine heiße Spur gestoßen.
»Warum gibt er euch keinen Whisky?«, fragte er.
Der Kiowa grinste wieder verzerrt.
»Wir nicht haben Gold und bunte Steine wie andere«, ächzte er. »Wir nur können geben Rinder, Felle, Mustangs. Aber Big Andy will Gold. Nur Gold und bunte Steine. Deshalb wir wollten uns holen Whisky auf andere Weise...«
Er setzte wieder die Flasche an die Lippen und trank in langen, gurgelnden Zügen.
»Aah!«, stöhnte er dann. »Whisky gut – sehr gut...«
Die Flasche war leer und glitt aus seinen Händen. Ein Zittern durchlief seinen muskulösen Körper. Dann bäumte er sich auf, als kämpfte er noch einmal mit aller Gewalt gegen den Tod an.
Es war zwecklos.
Seine Stunde war gekommen.
Kraftlos sank er zurück und blieb liegen. Der Tod hatte wieder einmal gesiegt.
Lassiter ging zum Tresen, entkorkte eine Flasche Bourbon und füllte sich ein großes Glas. Als er trank, kamen Big Andy, die große blonde Frau und Curly Will Leemountain die Treppe hinunter, die sich am linken Ende des langgestreckten Schankraumes befand.
Drei jüngere, schwarzhaarige Mädchen folgten ihnen. Zwei von ihnen schienen mexikanischer Abstammung zu sein. Die dritte war ein Halbblut-Mädchen. Sie hatte besonders langes, glattes Haar und etwas von dem kühnen Gesichtsprofil der Kiowa. Lassiter war sicher, dass ein Elternteil des Mädchens Kiowa war.
Sie gefiel ihm besonders gut, und er lächelte ihr zu. Sie lächelte zurück, schlug aber gleich darauf die Augen nieder, als hätte sie etwas Verbotenes getan.
Big Andy warf einen kurzen Blick auf die toten Indianer und wandte sich dann Lassiter zu. Sein Gesicht war geschwärzt vom Pulverrauch, und sein linker Hemdsärmel war blutdurchtränkt.
Anerkennend nickte er Lassiter zu und sagte: »Gute Arbeit, Fremder. Das war eine ausgezeichnete Idee von dir, hier unten zu bleiben. – Ria hat mir bereits alles erzählt.«
Er winkte der blonden Frau kurz zu. »Mach mal die Gläser voll, Ria! Jeder kann trinken, was er möchte. Und auch so viel, wie er haben will. Gib mir mal meine Kiste!«
Die blonde Frau holte eine große Zigarrenkiste unter dem Tresen hervor. Big Andy nahm sich eine von den dicken schwarzen Zigarren und bot auch den beiden anderen Männern an. Lassiter nahm eine. Curly Will Leemountain lehnte dankend ab.
»Dafür werde ich mich an den Getränken schadlos halten«, lachte er. Sein Gesicht und sein rötlichblondes Haar waren vom Pulverrauch gezeichnet. Man sah ihm deutlich an, dass er so wild und verbissen gekämpft hatte wie alle anderen. Er hielt den Kopf leicht gesenkt wie ein angriffslustiger Stier, und das krause Haar, dem er sicherlich den Beinamen Curly zu verdanken hatte, stand steil nach oben gerichtet.
Die blonde Ria hatte die Gläser gefüllt. Alle tranken Whisky, auch die drei schwarzhaarigen Mädchen, von denen keins viel älter als zwanzig Jahre war.
Zwei weitere Männer betraten den Saloon. Sie blieben stehen, blickten zuerst auf Lassiter, dann auf die fünf toten Indianer. Und zum Schluss richteten sie ihre Augen wieder auf Lassiter.
Es waren zwei sehr unterschiedliche Männer. Der eine war groß, muskulös und breitschultrig. Der andere erschien neben dem Langen relativ klein, machte aber trotzdem einen kraftvollen und geschmeidigen Eindruck. Seine dunklen Augen blickten listig.
Er grinste und deutete auf Lassiter.
»Ich nehme an, der Gent hat deinen Saloon vor einem ziemlich großen Schaden bewahrt, Andy«, meinte er. »Ich konnte vom Store aus beobachten, wie er hier unten gekämpft hat. Tolle Leistung. Das macht ihm so schnell keiner nach.«
Er ging auf Lassiter zu und streckte ihm die Hand hin.
»Paolo Stanzani«, stellte er sich vor. »Das ist mein richtiger Name. Aber die Leute hier haben Schwierigkeiten, ihn richtig auszusprechen. Deshalb nennt man mich einfach Paul, wie das hierzulande üblich ist.«
Lassiter erwiderte den Händedruck.
»Ich bin Lassiter«, sagte er ruhig.
Gleich darauf war es still im St. Geronimo Saloon.
Die vier Männer warfen sich vielsagende Blicke zu.
Lassiter wandte sich gelassen dem Tresen zu und schob der blonden Ria sein leeres Glas hin. Mit der linken Hand. Seine Rechte hing dicht hinter dem Revolverkolben.
»Mach noch mal voll, Schwester!«, sagte er in die Stille hinein.
Die blonde Frau goss ihm Whisky ins Glas. Lassiter nahm es in die Hand und lehnte sich wieder mit dem Rücken gegen den Tresen.
»Was ist los?«, fragte er grinsend. »Was steht ihr da und starrt? Ja, ihr habt richtig gehört. Ich bin Lassiter. Was ist schon dabei?«
Curly Will Leemountain lachte scheppernd.