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Whip Brazeen starrte Lassiter hasserfüllt an. In seiner Rechten lag der kurze Peitschenstiel. Die yardlange Schlangenhautschnur ringelte sich über den Boden.
"Ich werde dich von meinem Grund und Boden peitschen!", schrie der Rancher. "Ich -"
"Versuch es nur", unterbrach ihn Lassiter kalt und hob seinen Revolver. "Eine Kugel wird reichen, um dich zur Hölle zu schicken."
"Tatsächlich?", hörte Lassiter hinter seinem Rücken eine tödlich sanfte Frauenstimme. Gleichzeitig drang das scharfe Knacken eines Revolverhahns an seine Ohren...
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Seitenzahl: 187
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
LASSITER UND DER TEUFELSRANCHER
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
XIV
Vorschau
Impressum
LASSITER UND DER TEUFELSRANCHER
Die Bühne im Keller von Miss Minerva Espys berühmtem Sportpalast in der Prairie Avenue zu Chicago lag im gleißenden Licht der Gaslampen. Zwei blutjunge Frauen wälzten sich keuchend und schwitzend am Boden. Schrill durchbrachen ihre Schmerzensschreie das Gejohle der erregten Menge.
Die Kleider, die sie zu Beginn der Vorstellung getragen hatten, hingen den beißenden, tretenden und kratzenden Frauenzimmern in Fetzen vom Leib. Weißes, mit blutigen Schrammen bedecktes Fleisch war zu sehen.
Die Schwüle in dem niedrigen, rauchgeschwängerten Raum wurde unerträglich. Den Zuschauern schienen die Augen aus dem Kopf zu springen. Durch wüste Rufe machten sie sich Luft.
»Mach sie fertig! Drück ihr die Nase platt!« – »Ich setze einen Hunderter auf die Rothaarige! Wer hält dagegen?« – »Gebt den lahmen Enten die Peitsche. Die schlafen noch dabei ein!«
Dieser Roman erschien erstmals im Jahr 1975 als Lassiter-Taschenbuch Nr. 58 als Übersetzung aus dem Englischen. Originaltitel: Ride Into Hell
Lassiter stand abseits der tobenden Menge, die gierig die flache Bühne umringte. Er hatte keinen Blick für die beiden unglücklichen Dirnen, die ihr Letztes hergaben, um das blutrünstige Publikum zufriedenzustellen und sich gegenseitig zu zerfleischen.
Lassiters Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf einen Mann, der in der vordersten Reihe der Gaffer stand. Er war jung. Ein hübscher Bengel, groß und hager, mit pechschwarzem krausen Haar, einem ovalen Gesicht und einem weichen Kinn. In seinen Augen lag ein eiskalter Glanz.
Seine Kleidung nach Westernmanier wirkte kostspielig und stutzerhaft. Rehfarbene, hautenge Hosen, ein mexikanisches Spitzenhemd und ein auf Taille geschneidertes, dunkles Jackett mit Silberknöpfen. Sein Name war Burke Brazeen. Ein Name, der westlich von Fort Worth und südlich von Denver nur mit äußerstem Respekt genannt wurde. Dabei war er gar nicht der Brazeen, der dem Namen seinen Klang gegeben hatte. Er war nur dessen Sohn.
Aber deswegen beobachtete Lassiter den Knaben nicht. Er gab einen Dreck um Brazeen und seinen Sohn. Burke, der eine halbnackte Puppe aus Miss Minervas Nuttenstall im Arm hielt, trug etwas unter seinem eleganten Jackett.
Und das interessierte Lassiter.
Der Mann trug Schmuck mit sich herum. Diamanten im Werte von hundertfünfzigtausend Dollar, eine Halskette, ein Armband und einen Ring mit einem zehnkarätigen Edelstein.
Ein kesses junges Ding trippelte auf Lassiter zu. Er ging ihr entgegen. Sie stand nun genau zwischen ihm und Burke Brazeen.
»Zigarre, Sir?«
Sie hielt ihm ein Tablett hin.
Aus den Augenwinkeln beobachtete er Brazeen, während er dem Mädchen zulächelte und sich über ihre Waren beugte. Lassiter wählte eine lange, blassgrüne Zigarre aus. Dann zog er ein dickes Bündel Banknoten hervor, um zu zahlen.
Dabei spürte er förmlich die eiskalten Blicke, die ihn angespannt musterten.
Miss Minerva Espy persönlich war auf ihn aufmerksam geworden. Die wohlbeleibte, blonde Dame, die ihren mächtigen Körper in ein kastanienbraunes Abendkleid gezwängt hatte, ließ ihn nicht mehr aus den Augen.
Lassiter spielte den Ahnungslosen. Er ließ sich von der Kleinen Feuer geben, zog einen Zehner aus dem Packen Geldscheine und steckte ihr die Note in den Ausschnitt. Ein erfreutes Gekicher war die Antwort.
Im Weggehen flüsterte sie hastig: »Mister, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist, verschwinden Sie – auf der Stelle.«
Genüsslich paffte Lassiter den Rauch aus, während er dem Girl einen Klaps auf das junge, feste Hinterteil versetzte. Dabei bemerkte er Miss Minerva, die irgendjemand im Dunkel des Treppenaufgangs einen unauffälligen Wink gab.
Sie hat das Geld erspäht und handelt, dachte Lassiter. Ihren scharfen Augen konnten die fünfhundert Dollar nicht entgangen sein, die er achtlos in die Seitentasche seines Rockes geschoben hatte. Da er ohne Begleitung hier war und die Frau ihn nicht kannte, hatte sie ihm kurzerhand eine nette Beule am Hinterkopf zugedacht. Sollte er die Geschichte heil überstehen, würde er sich am nächsten Tag irgendwo in der Stadt mit leeren Taschen wiederfinden.
Der gelbhaarige Feger hatte seine Fleischmassen inzwischen auf die enge, niedrige Bühne befördert. Ihre Hand erhoben, gebot Miss Minerva Ruhe. Lassiter betrachtete die füllige Gestalt in dem braunen Abendkleid kritisch. Er fragte sich, ob sie etwa die halbbetrunkene Schnalle auf Burke Brazeen angesetzt hatte, um bei ihm das kleine Vermögen an Diamanten abzustauben.
Vielleicht, vielleicht auch nicht. Jedenfalls musste Burke auch früher schon hier gewesen sein. Denn er hatte das Juweliergeschäft von DeMeers Brothers verlassen und war schnurstracks zu Miss Minervas Sportpalast geeilt.
Miss Minerva schien von Burke Brazeen keine besondere Notiz zu nehmen. Auch Lassiter beachtete sie nicht. Mit einer heiseren, ein wenig versoffen klingenden Stimme verkündete sie: »Ladys and Gents! Wir stellen Ihnen heute Abend zwei sportliche, junge Damen vor, die in diesem Kampf das letzte hergeben werden, um Sie, hochverehrtes Publikum, zu befriedigen...«
Es folgten einige weitere zweideutige Bemerkungen, die als Scherze gedacht waren. Dann wies Miss Minerva mit einer weitausholenden Handbewegung auf die beiden Frauen, die einen Augenblick verschnauften und sich mit stumpfen, angstvollen Blicken anglotzten.
Die beiden, posaunte Miss Minerva, hätten sich dummerweise in ein und denselben Mann verliebt. Und nun müsse eine von ihnen das Feld räumen. Sie seien übereingekommen, dass die Verliererin mit einem Dampfer den Mississippi runter nach New Orleans abgeschoben würde. Und das sei, wie man wisse, die letzte Station vor der Hölle der Sklaverei auf den karibischen Inseln.
Wieder vollführte die Dame des Hauses eine gebieterische Geste. Die Fleischmassen an ihr wabbelten wie Gelatine. Mit vor Ergriffenheit bebender Stimme rief sie: »All right, meine Täubchen. Auf in den Kampf!«
Die beiden Kämpferinnen umkreisten sich mit einigen lauernden Schritten. Dann stürzten sie aufeinander los. Ihre Schmerzensschreie gellten. Ausgerissene Haarbüschel flogen zu Boden. Die Auseinandersetzung näherte sich dem Höhepunkt. Sie taumelten in einem Nebel von Schmerz und Erschöpfung. Im nächsten Augenblick würde eine von ihnen auf die Bretter gehen und keuchend alle viere von sich strecken.
Und in diesem Moment würde Miss Minerva ihre ganze Aufmerksamkeit Lassiter widmen – und dem Packen Geldscheine in seiner Rocktasche.
Lassiter erkannte die vierschrötige Gestalt, die plötzlich aus dem Halbdunkel am Fuß der Treppe hervortrat. Das Gesicht und der glattrasierte Kopf des Gorillas waren voller Narben.
Sekunden später tauchte der andere auf. Ein hagerer, dunkelhäutiger Bursche mit einer Augenklappe und einem gefährlichen Grinsen unter dem struppigen Schnurrbart.
Lassiter überlegte nicht lange.
Er hatte zwar hier in Chicago den Revolvergurt mit den tiefgeschnallten Colts nicht angelegt. Aber in einer dafür vorgesehenen Hüfttasche trug er einen 44er Revolver. Seine Hand schob sich in die Nähe der Waffe, während er langsam vor den angreifenden Gorillas zurückwich.
Lassiter erreichte Burke Brazeen und trat ihm mit voller Wucht auf die Zehen.
Wütend vor Schmerz schrie der junge Mann auf. »Pass doch auf, wo du deine Quadratlatschen hinstellst, du dämlicher Kerl!«
Aus den Augenwinkeln bemerkte Lassiter drüben am Treppenaufgang eine plötzliche Bewegung.
Er sah die hinreißende Gestalt einer Frau. Das leuchtend blaue Kleid umschloss sie wie eine zweite Haut. Ein schwarzer Pagenkopf umrahmte das goldbraune Gesicht mit dem rotschimmernden Mund.
Lassiter starrte die Frau an und spürte, wie eine Woge des Verlangens ihn erfasste. Er verwünschte Brazeen und seine Diamanten. Er verspürte den unwiderstehlichen Wunsch, zu ihr zu gehen und sie mit auf sein Hotelzimmer zu nehmen.
Stattdessen lächelte er Brazeen an und murmelte: »Tut mir leid, Amigo!«
Seine Faust, die den 44er umschloss, kam hoch. Es sah aus, als klopfe er dem jungen Mann auf die Schulter. In Wirklichkeit traf der Schlag dessen Nacken. Burke verdrehte die Augen, als er Lassiter in die Arme sank.
Lassiter fing ihn auf und rief: »Platz frei! Nun gehen Sie schon auf die Seite...«
Er lud sich den jungen Brazeen auf die linke Hüfte und setzte sich in Richtung Treppenaufgang in Bewegung.
Einen Augenblick lang dachte Lassiter, er würde es schaffen.
Miss Minervas Rausschmeißer waren aus dem Konzept geraten und schienen unschlüssig. Und auf der Bühne lag die Rothaarige besiegt unter ihrer Nebenbuhlerin und stieß einen langgezogenen, durchdringenden Schrei aus, während diese ihr unbarmherzig sämtliche Fingernägel durch das Gesicht zog. Die Augen des Publikums hingen gebannt an dem Geschehen auf der Bühne. Alles drängte und schob sich nach vorne. Ein irrer, fieberhafter Glanz stand in den Gesichtern der Menschen.
Der Kerl, der auf die Rote gesetzt hatte, versuchte in den Ring zu klettern und schrie wie von Sinnen: »Du gottverdammte, feige Schickse! Ich werde dir...«
Lassiter quetschte sich mit seiner Last durch die Menge. Wer ihm in den Weg kam, wurde rücksichtslos beiseite gestoßen.
Ein gebieterischer Wink Miss Minervas riss die beiden Typen aus ihrer Erstarrung. Sie gaben sich einen Ruck und rollten auf ihn zu.
Der mit dem Narbengesicht und dem Glatzkopf war ihm am nächsten. Lassiter lächelte ihn freundlich an. »Hallo, Kumpel, nett von dir, mir zu helfen, den Kleinen an die frische Luft zu bringen. Hat ein ganz schönes Gewicht...«
Der Mann schnitt eine Grimasse. Sie wirkte gequält. Sein affenartiger Arm mit der mächtigen Pranke kam vor.
Lächelnd und während er noch redete, schwang Lassiter den 44er. Aber obwohl hinter der eisenbewehrten Faust allerhand Saft steckte, landete er sie nicht auf dem Schädel des Angreifers. Aus Erfahrung wusste er, dass solche Burschen gewöhnlich einen Kopf wie aus Stahl besaßen.
Lassiters Schlag donnerte dem Kerl in den Bauch.
Miss Minervas Gorilla schnappte nach Luft, zwei Reihen gelber Zahnstümpfe wurden sichtbar. Dann folgte ein Ächzen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht sackte er zu Boden.
Blitzschnell fuhr Lassiter herum und wandte sich dem anderen zu. Im selben Moment stieß Burke Brazeen stöhnend die Luft aus und begann schwach um sich zu treten. Lassiter machte einen Schritt zur Seite. Der Schläger mit der Augenklappe stürzte von links auf ihn zu. Drohend ruderte er mit den Armen durch die Luft. In der Rechten funkelte die lange, schmale Klinge eines Messers.
Miss Minerva, die ebenfalls auf ihn losstürmte, wollte Blut sehen. Lassiters Blut.
Er fasste Burke Brazeen fester. Ihn aus dieser Hölle hinauszukriegen, schien beinahe aussichtslos.
Da tauchte plötzlich das Girl mit dem dunklen Pagenkopf hinter dem Einäugigen auf. Sie warf Lassiter einen schnellen Blick zu. An ihrem Arm bemerkte er eine Beuteltasche. Aber sie machte keine Anstalten, sie zu öffnen. Stattdessen beugte sie sich nach vorne und raffte ihr Kleid hoch. Seidenstrümpfe schimmerten. Und das leuchtende Weiß ihrer nackten Schenkel.
Und noch etwas erkannte Lassiter.
Ein zierliches Holster, das sie über dem Knie befestigt hatte. Das Girl zog den kleinen Derringer, holte aus und ließ den Kolben der Waffe mit aller Wucht auf den Schädel des Gorillas niedersausen.
Der Kerl ging wie ein Korkenzieher zu Boden. Noch sauberer als sein Kollege.
Mit einer rauchigen Altstimme wandte sich die Frau an Lassiter: »Schnell, schaffen Sie den Trottel hier raus. Ich halte den blondhaarigen Drachen in Schach.«
Lassiter nickte und zerrte Burke Brazeen, der sich schwach zur Wehr setzte, die Stufen der Kellertreppe hoch.
Das Girl glitt neben Miss Minerva. Es sah aus, als legte sie der stattlichen Besitzerin des Sportpalastes freundschaftlich den Arm um die Schulter. Aber die andere Hand rammte Miss Minerva den Lauf des Derringers in die Seite. »Halte die Klappe, meine Teure! Der kleinste Muckser, und ich blase dir eine Kugel zwischen die Rippen.«
In diesem Augenblick brach hinter ihnen ein mörderischer Tumult aus. Der Rothaarigen war es gelungen, den Spieß umzudrehen. Erbarmungslos drosch sie auf ihre Gegnerin ein, sodass beide Hals über Kopf von der Bühne ins Publikum stürzten.
Das Girl in Blau kräuselte verächtlich die Lippen. Ihre kohlschwarzen Augen blitzten. »Diese Anfängerinnen!«, sagte sie. »Die hätte ich mit dem kleinen Finger erledigt!«
Lassiter glaubte ihr.
Er bedauerte, dass ihm keine Zeit mehr blieb, sie näher kennenzulernen. Aber vielleicht reichte die Zeit, um zu erfahren, wie sie unter ihrem hautengen, blauen Kleid aussah und was sie veranlasst hatte, ihm zu Hilfe zu kommen.
Sie kamen durch eine langgestreckte, geräumige Halle. An den Wänden hingen riesige Gemälde mit üppigen, nackten Frauenkörpern. Schwere, rote Vorhänge verdeckten die Fenster. Die vier passierten den glotzäugigen Portier, der einen entsetzten Kratzfuß machte, und stiegen die Stufen hinunter auf den hölzernen Sidewalk.
Hier draußen herrschte eine drückende sommerliche Schwüle. Das Girl lockerte seinen Griff um Miss Minerva. Die Dicke machte ihrem angestauten Zorn Luft: »By God, das werdet ihr mir büßen. Ich mache Hackfleisch aus euch beiden, sobald ihr mir in die Finger kommt. Und glaubt mir, ich werde euch schnappen. Mir entwischt ihr nicht. Gleich, wohin ihr euch verkriecht.«
Das Girl versetzte der Alten eine schallende Ohrfeige. »Halt den Rand, du keifende Hexe!«
Lassiter stieß einen durchdringenden Pfiff aus. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ratterte eine Kutsche vorbei, drehte und hielt quietschend neben ihnen an.
Burke Brazeen bekam das große Würgen, und er klappte regelrecht in der Mitte zusammen. Lassiter brauchte beide Hände, um ihn auf die Füße zu stellen. Ein schmales, längliches Etui rutschte Burke dabei aus dem Jackett hervor, fiel zu Boden und sprang auf. Das Licht einer nahen Straßenlaterne brach sich mit kaltem Glitzern in den großkörnigen Diamanten, die aus dem Etui in den Staub fielen.
Miss Minerva stieß einen überraschten Schrei aus und wollte sich auf den Reichtum stürzen, der ihr so unerwartet in die Augen sprang.
Wieder schlug das Girl zu. Diesmal mit der Waffe in der flachen Hand. Ächzend sank die habgierige Matrone zu Boden.
Dann glitt die Schwarzhaarige auf die Steine zu und klaubte sie mit geschickten Fingern auf. Es geschah zu flink für Lassiter, der sich um Burke kümmern musste. Er konnte die Stücke nicht mehr zählen.
Aber das Mädchen ließ sie nur wieder in das Etui zurückkullern und drückte es ihm in die Hand.
»Bring ihn raus hier«, drängte sie Lassiter. »Schnell, mach schon!«
Der große Mann nickte, packte Burke und stemmte ihn hoch, sodass er auf den Knien in der Kutsche landete.
Dann blickte Lassiter das Mädchen an. Ihre Lippen öffneten sich. In den Augen blitzte es auf. Sie warf sich ihm entgegen. Er spürte den heftigen Druck ihres biegsamen und erstaunlich festen Körpers. Der zarte Duft eines betörenden Parfüms drang ihm in die Nase. Ihr Mund presste sich auf den seinen. Dann wich sie zurück.
»Du musst fort«, keuchte sie.
Lassiter schob Burke ein Stück weiter in die Kutsche hinein und sprang hinterher. Die Rig rollte an, und der Kutscher gab seinem Pferd die Peitsche, sodass es in einen scharfen Trab fiel.
»Wohin soll's gehen, Sir?«, fragte der Fahrer.
»Interocean Hotel«, antwortete Lassiter.
Er schaute zurück. Miss Minerva lag noch immer bewusstlos auf den Portalstufen ihres stadtbekannten Etablissements, aber das Girl im blauen Seidenkleid war verschwunden. So plötzlich, wie es aufgetaucht war.
Zurück blieben einige Fragen, auf die es wohl keine Antwort mehr geben würde.
Lassiter beugte sich vor, um Burke auf den Sitz zu ziehen. Auf dem Boden der Kabine entdeckte er eine Brieftasche aus feinem Leder, die Burke aus der Jacke gefallen war. Ein dickes Bündel Geldscheine quoll aus der Ledertasche hervor.
Wie es sich für den Erben eines mächtigen Rinderimperiums gehörte, schleppte Burke Brazeen Geld in der Höhe einer vierstelligen Zahl mit sich herum. Er hätte ein weit lohnenswerteres Opfer abgegeben als Lassiter.
Aber was nicht war, konnte noch werden.
Lassiter zweifelte nicht daran, dass im Laufe des Abends noch genügend geschehen würde, um Burke Brazeen um seine Diamanten und Dollars zu erleichtern.
Als Lassiter den Packen Scheine aufhob, durchzuckte ihn ein Gedanke.
Er rief dem Fahrer zu: »Zum C. & N. W. Depot. Mach deinem Klepper Beine!«
Aufatmend lehnte der große Mann sich in den gepolsterten Sitz zurück. Sein kritischer Blick ruhte auf Burke Brazeen. Lassiter knurrte vor sich hin: »Bin gespannt, was ein Sonderzug nach New Mexico kostet. Aber das werd' ich noch rauskriegen. Und du wirst zahlen, mein Freundchen!«
North-Western-Bahnhof in Chicago.
Etwas abseits des Labyrinths aus Schienensträngen und Bahnsteigen paffte die Lokomotive mächtige Rauchballen in die Luft. Zischend entwich der weiße Qualm, als der Lokführer die Ventile prüfte.
An das fauchende und stampfende Dampfross waren zwei Packwagen angekoppelt. Außerdem ein reich verzierter Personenwagen mit Messinggeländer und einer Aussichtsplattform an beiden Enden.
Mindestens drei Wagen seien erforderlich, hatte der Rangiermeister erklärt. Andernfalls sei der Zug zu leicht und würde in der Kurve aus den Schienen gehoben.
Der letzte war der Privatwagen des Präsidenten der Eisenbahnlinie. Kostete hundert Dollar Miete pro Tag. Wenn er ihn für eine ganze Woche und länger benötige, läge die Taxe natürlich günstiger.
Lassiter stand neben dem Trittbrett und blaffte ungeduldig: »Weshalb geht es nicht weiter, Mister? Wenn ich Ihnen solch ein Heidengeld zahle für eine Reise nach Westen, dann sollte es gleich losgehen. Nicht erst morgen oder zu Weihnachten.«
»Es braucht seine Zeit, bis der Kessel unter Druck steht. Und sauber soll der Laden auch sein, ehe die Fahrt beginnt«, meinte der Rangiermeister. »Sagen wir in einer – hm – halben Stunde. So lange müssen Sie sich noch gedulden.«
Lassiter zückte einen weiteren Schein aus Burke Brazeens zusammengeschmolzenem Banknotenbündel, steckte ihn dem Mann zu und sagte: »In fünfzehn Minuten. Setzen Sie Dampf dahinter, dass wir fortkommen.«
Lassiters Nerven waren zum Zerreißen gespannt.
Burke lag drinnen im Wagen auf einer Liege aus blauem Brokat und schnarchte. Aber er konnte jeden Augenblick aufwachen und den wilden Affen losmachen. Besonders dann, wenn er dahinterkam, dass er bereits wieder auf dem Weg nach New Mexico war – zweifellos früher als vorgesehen – und dass der unfreiwillige Spaß ihn zweitausend Dollar kosten würde.
Doch dann erschien ein Grinsen auf Lassiters Gesicht bei der Vorstellung, ein Gimpel wie Burke Brazeen könne ihm auch nur den geringsten Ärger machen.
Das Gefühl einer wachsenden Spannung und der sichere Instinkt für die drohende Gefahr mussten eine andere Ursache haben.
Gereizt schritt er auf dem Bahnsteig auf und ab.
Seine Zigarre, für die er zehn Dollar bezahlt hatte, war ausgegangen, stellte er fest. Ärgerlich zündete er sie wieder an.
Seine Gedanken wanderten zurück zu den Vorgängen des gestrigen Tages. Er sah die heruntergekommene Fassade dieses Hauses in der State Street vor sich. Das schäbige Office der DeMeers Brothers, das sie benutzten, um ihren Kunden Sand in die Augen zu streuen. Denn die Juwelen brachten ihnen einen enormen Profit, die sie den Millionären aus dem Westen verkauften. Und die Rinderbarone behängten ihre Frauen mit solchen Klunkern wie Christbäume.
Gustav und Ferdinand DeMeers, zwei behäbige Holländer aus Amsterdam, hatten Lassiter eine Nachricht ins Interocean Hotel gesandt mit der Bitte, sie unverzüglich aufzusuchen.
Er war hingegangen. Von früheren Gelegenheiten wusste er, dass Besuche dieser Art für ihn äußerst einträglich gewesen waren. Und er hatte eine schnelle und nennenswerte Auffüllung seiner Kasse vertragen können. Er war nämlich blank.
Mit rund Zwölftausend in der Tasche wollte er sich in die Vergnügungen dieser von wildem Leben pulsierenden Stadt stürzen.
Fehlanzeige. Gleich in der ersten Nacht war er vier miesen, kleinen Betrügern auf den Leim gegangen. Sie hatten ihn bis aufs Hemd ausgezogen. Dabei waren die Kerle so raffiniert vorgegangen, dass er ihnen nicht mal auf die Schliche kam.
Sechshundert lumpige Dollar waren ihm geblieben.
Unter diesen Umständen stand er dem Vorschlag der Gebrüder DeMeers äußerst aufgeschlossen gegenüber. Vor allem auch, weil er den vier Kartenhaien seine Niederlage nicht verzeihen konnte und sich bei ihnen zu revanchieren gedachte.
Gustav DeMeers war schließlich mit dem Auftrag herausgerückt.
»Wilmer Brazeen...«, hatte er geschnauft. »Könnte Ihnen vielleicht bekannt sein...«
Lassiter schüttelte den Kopf.
Nein, er war dem Mann bisher nie begegnet. Und er legte auch keinen Wert drauf, es nachzuholen. Lebensmüde war er noch nicht. Überall im Westen kannte man Wilmer Brazeen. Sie nannten ihn Whip, die Peitsche. Ständig trug er eine Bullpeitsche mit sich herum. Man sagte, er habe mehrere Menschen damit zu Tode geprügelt.
Unwillkürlich hatte Lassiter einen heftigen Widerwillen verspürt, als der Name dieses Mannes fiel. Nicht nur wegen der Bullpeitsche.
Lassiter misstraute grundsätzlich allen Reichen. Er hatte noch keinen gefunden, der seinen Reichtum nicht dazu benutzte, sich hemmungslos jeden Wunsch zu erfüllen.
Der andere DeMeers, Ferdinand, hatte erklärt: »Mr. Brazeen ist im Begriff, ein zweites Mal zu heiraten. Eine junge Dame namens Miss Constance Nix.«
»Soll er tun. Ich wünsche ihm viel Glück. Das kann er nämlich gebrauchen bei einem solchen Vorhaben.« Lassiter konnte sich ein hämisches Grinsen bei diesen Worten nicht verkneifen. »Und was hat das mit mir zu tun?«
Dann hatte er verstanden. Einer der Brüder hatte ein schwarzes Samttuch vor ihm ausgebreitet, ein schmales, längliches Etui hervorgeholt, geöffnet und den Inhalt Stück für Stück auf die Samtunterlage gelegt.
Geblendet von dem kalten Feuer, das die Steine ausstrahlten, hatte Lassiter sich mit einem Ausruf der Bewunderung niedergebeugt, um diese Kostbarkeiten aus der Nähe zu betrachten, die nicht nur einen unschätzbaren Wert besaßen, sondern von einer hinreißenden Schönheit waren. Lassiter hatte einige Ahnung von Diamanten. Er hatte selbst ein paarmal damit gehandelt und schätzte sie sehr. Die Dinger besaßen einen ungeheuren Wert und beanspruchten nur wenig Platz.
Es handelte sich um eine diamantenbesetzte Halskette, ein Armband mit mehreren Reihen dicht nebeneinandergefasster Steine und um einen Ring, der einen Zehnkaräter trug.
Ohne ein Wort zu sagen, streckte Lassiter die Hand aus, und jemand reichte ihm eine Lupe. Fasziniert betrachtete Lassiter den ungewöhnlichen schönen zehnkarätigen Stein, nickte bewundernd und gab das Glas zurück.
»Eine erstklassige Arbeit. Meisterhaft geschliffen. Und wie hoch...«
»Die drei Stücke kommen auf hundertundfünfzigtausend Dollar«, hatte Gustav gesagt. »Mr. Brazeens Geschenk für seine Braut.«
»Zahlbar nach Auslieferung an Mr. Brazeen«, fuhr Ferdinand fort. »Natürlich besitzt er einen unbegrenzten Kredit in unserem Haus. Wir hatten bereits in der Vergangenheit geschäftlich mit Mr. Brazeen zu tun.«
Lassiter pfiff durch die Zähne. Ein verdammt kostspieliger Flitter, dachte er, den dieser Whip Brazeen seinen Nutten umhängt, wenn er sich in der Stadt mit ihnen die Nacht um die Ohren schlägt. So gesehen war es gar kein so umwerfendes Geschenk, das er seiner Auserwählten machen wollte.
Lassiter meinte: »Eigentlich sehe ich noch nicht genau, wo hier das Problem liegt. Packen Sie den Kram ein, geben ihn auf die Post, und warten Sie in Ruhe, bis Brazeens Scheck eintrudelt...«
»Nein«, rief Gustav verzweifelt. »Sein Sohn Burke ist in Chicago. Gerade von New Mexico hier eingetroffen. Schickte uns eine Nachricht, dass er die Stücke heute Abend abholen wird, um sie persönlich seinem Vater zu überbringen. Wenn das...«
Seine Stimme überschlug sich. Beide wischten sich eifrig den Schweiß von der Stirn. Sie hatten Angst, Burke könne unterwegs etwas zustoßen. Mit einem Vermögen an Diamanten in der Tasche.
Und sie wagten es nicht, dem Sohn von Whip Brazeen eine Absage zu geben. Andererseits fürchteten sie, Burke könne ausgeraubt werden oder den Schmuck verlieren. Und dann konnten sie sich ihr Geld an den Hut stecken.
Nun war klar, was die beiden von Lassiter wollten.
Er sollte dafür sorgen, dass der Schmuck sicher in Whip Brazeens Hände gelangte.
Wie das im Einzelnen geschehen konnte und was sie ihm für diesen Job zu zahlen gedachten, davon schienen sie noch keine genauen Vorstellungen zu haben.