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Lassiter benutzte das Bowiemesser, um ein paar dürre Äste abzuschneiden, als das Steppenhuhn aufflatterte. Wie eine Kugel, die plötzlich Flügel bekommen hat, schoss die Henne in die Luft und stieß dabei einen verrückt klingenden, quakenden Schrei aus.
Lassiter lief das Messer fallen. Noch bevor es den Boden berührte, hatte er bereits gezogen und abgedrückt. Ein einziger Schuss! Der Vogel zuckte mitten im Flug zusammen und begann abzusacken.
Ehe Lassiter die Henne holen ging, nahm er sich die Zeit, die Trommel aus dem seitwärts zu ladenden Colt zu nehmen, die leere Patrone zu entfernen und durch eine neue zu ersetzen.
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Seitenzahl: 184
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
ALS LASSITER SHERIFF WURDE
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
Vorschau
Impressum
ALS LASSITER SHERIFF WURDE
von Jack Slade
Lassiter benutzte das Bowiemesser, um ein paar dürre Äste abzuschneiden, als das Steppenhuhn aufflatterte. Wie eine Kugel, die plötzlich Flügel bekommen hat, schoss die Henne in die Luft und stieß dabei einen verrückt klingenden, quakenden Schrei aus.
Lassiter ließ das Messer fallen. Noch bevor es den Boden berührte, hatte er bereits gezogen und abgedrückt. Ein einziger Schuss! Der Vogel zuckte mitten im Flug zusammen und begann abzusacken.
Ehe Lassiter die Henne holen ging, nahm er sich die Zeit, die Trommel aus dem seitwärts zu ladenden Colt zu nehmen, die leere Patrone zu entfernen und durch eine neue zu ersetzen.
Dieser Roman erschien erstmals im Jahr 1970 als Lassiter-Taschenbuch Nr. 6 als Übersetzung aus dem Amerikanischen. Originaltitel: High Lonesome
Die Waffe war ein 38er Offiziers-Modell. Lassiter hatte sie von einem diebischen Kavallerie-Sergeant bei einem Pokerspiel in El Paso gewonnen. Von einem richtigen Spiel hatte eigentlich kaum die Rede sein können. Lassiter hatte den gerade neu in Umlauf gebrachten Revolver und insgesamt elf Dollar kassiert.
Die Waffe war von kleinerem Kaliber, als Lassiter es gern trug, aber sie war doch wesentlich besser als das altmodische französische Schießeisen, das er dem toten Rurale in Chihuahua abgenommen hatte. Es waren immer noch sehr viele von diesen französischen Waffen in Gebrauch, seit Juarez vor zwanzig Jahren den Kaiser Maximilian voll Blei pumpen ließ, aber fast alle diese Knarren taugten zum Schießen einen Dreck. Der tote Rurale, den die Geier in der Chihuahua-Wüste inzwischen bis auf das Gerippe abgenagt haben dürften, hatte das auch erfahren müssen, und zwar auf die harte Tour, als er die alte Le Page auf Lassiter gerichtet und den Abzug durchgerissen hatte. An sich hätte die alte Kanone auf derartig kurze Entfernung Lassiter glatt das Rückgrat in Fetzen aus dem Körper pusten müssen, stattdessen hatte das Ding ihm jedoch nur eine leichte Schramme an der Seite beigebracht. Der Abzug der alten Le Page hatte sich nur sehr schwer betätigen lassen, und bevor der mexikanische Menschenjäger noch einen Schuss hatte losballern können, war ihm Lassiters Bowiemesser aus einer Entfernung von zwanzig Fuß bereits durch den Hals gedrungen...
Jetzt – eine Woche später – befand sich Lassiter meilenweit nördlich der Grenze im Socorro County von New Mexico. Die Wunde in seiner Seite heilte gut, er hatte eine gute Waffe und auch ein gutes Pferd... und er hatte eben ein Steppenhuhn mit einem einzigen Schuss erlegt. Er hätte zwar einen 45er Peacemaker dem 38er Offiziers-Modell vorgezogen, aber wie der Schuss eben bewiesen hatte, handelte es sich trotz allem um eine verdammt gute Waffe. Eine 38er-Kugel tötet einen Mann genauso schnell und sicher wie eine schwere 45er, wenn man das heiße Blei nur an die richtige Stelle schickt.
Und Lassiter war der Meinung, dass die richtige Stelle mitten zwischen Wesley Boones unruhigen Augen sein dürfte.
Während Lassiter die Henne über einem kleinen Feuer rösten ließ, nahm er die Patronen aus seiner Winchester. Dann reinigte und ölte er die lange Waffe und lud sie mit frischen Patronen.
Als Lassiter seine Waffen sorgfältig überprüft und in Ordnung gebracht hatte, wurde es allmählich dunkel.
Irgendwo draußen in der Wüste heulte ein Kojote. Sein klagender Schrei zerriss die Stille. Aus einiger Entfernung antwortete ein zweiter Kojote mit langgezogenem Gejaule.
Das halbwilde mexikanische Pferd scharrte unruhig mit den Hufen auf dem Boden herum.
Lassiter sprach beruhigend auf das nervöse Tier ein, während er gewissenhaft das lange Halteseil kontrollierte.
Das Pferd beruhigte sich, aber das Kojotengeheul wollte nicht verstummen.
Das Steppenhuhn war unglaublich zäh, aber Lassiter kaute das Fleisch, ohne sich viel Gedanken dabei zu machen. Lassiter machte sich überhaupt nie viel Gedanken über das, was er gerade aß. Ein Steppenhuhn war immer noch besser als ein Präriehund, und ein frisch gebratenes, saftiges Steak war wiederum besser als ein geröstetes Steppenhuhn. Es war verdammt egal, was man aß; Hauptsache, man blieb davon am Leben. Und genau das gedachte Lassiter zu tun. Nicht, dass das Leben irgendeines Menschen, nicht einmal sein eigenes, so besonders wichtig wäre. Es war ganz einfach so, dass es bei Lassiter zur Gewohnheit geworden war, am Leben zu bleiben... und das so lange wie nur irgend möglich.
Lassiter häufte noch ein paar trockene Zweige auf das Feuer, dann kramte er in seiner Satteltasche herum, um nachzusehen, was von dem Tequila noch übriggeblieben war. Kritisch betrachtete er den Inhalt der Flasche. Vielleicht noch ein Viertelliter. Selbst für Tequila schmeckte das Zeug abscheulich, und es stank womöglich noch übler. Aber auch das machte Lassiter nichts aus.
Es war jetzt dunkel und wurde allmählich bitterkalt, wie es hier draußen in der Wüste nun mal der Fall ist.
Während Lassiter gelegentlich einen Schluck aus der Flasche nahm, wetzte er sein Bowiemesser an einem Stück Speckstein. Als die Klinge scharf genug war, um sich damit rasieren zu können, hatte der restliche Tequila ausgereicht, Lassiter so weit zu entspannen, wie er sich je Entspannung gönnte oder leisten konnte.
Wenn er morgen Glück hatte, würde er Wesley Boone finden und töten. Das hatte Lassiter sich zumindest so ausgerechnet. Er würde Wesley Boone eine Kugel mitten zwischen die unruhigen Augen jagen.
Lassiter hockte dicht am Feuer, hatte sich in seine Decken gewickelt und grinste bei seinen Gedanken unwillkürlich leicht vor sich hin.
Lassiter kannte Wesley Boone nicht. Er hatte auch nichts gegen ihn. Um genau zu sein – Lassiter hatte den Mann überhaupt noch nicht gesehen.
Der fette Saloonkeeper in El Paso, der Lassiter angeheuert hatte, Wesley Boone zu töten oder zurückzubringen, hatte ihm den Mann beschrieben und besonders auf die unruhigen Augen hingewiesen. So jedenfalls hatten die genauen Worte des Mannes gelautet. Unruhige Augen. Lassiter scherte sich an sich einen Dreck um den dicken Saloonkeeper. Ihn interessierte auch nicht die Tatsache, dass Wesley Boone den Bruder dieses Mannes totgeschossen hatte.
Lassiter wusste nur, und das war auch das einzige, was ihn bei dieser ganzen Sache überhaupt interessierte, dass Wesley Boone für ihn zweihundertfünfzig Dollar wert war... ob nun tot oder lebendig.
Lassiter schätzte, dass es wohl eher tot sein dürfte. So wäre es dem fetten Saloonkeeper auch bestimmt am liebsten.
Es war auch nicht gerade ein Kopfgeld-Job, denn das Gesetz in El Paso war der Meinung, dass es sich um einen ziemlich fairen Kampf gehandelt hatte. Es war also keine Belohnung auf den Kopf von Wesley Boone ausgesetzt... bis auf die Summe, die der fette Bruder des Toten zu zahlen bereit war.
Aber ob nun so oder so... Lassiter scherte sich einen Dreck darum.
Er brauchte dieses Geld, und deshalb würde er es auch bekommen.
Zweihundertfünfzig Dollar waren nicht gerade viel nach all den großen Dingern, die Lassiter bereits gedreht hatte, aber Geld war Geld.
Man braucht Kleingeld, wenn man an großes Geld herankommen will. Das große Geld hält manchmal nicht lange vor, weil es manchen Männern nicht genug bedeutet, um es festzuhalten. Und Lassiter war einer dieser Männer. Man braucht Geld, ob nun in Gold oder Banknoten, um sich Weiber und Whisky und eine Mahlzeit leisten zu können, wenn einem nach einem dieser Dinge zumute ist.
Im Moment jedenfalls kamen Lassiter diese zweihundertfünfzig Dollar wie ein Haufen Zaster vor.
Morgen – so hoffte er zumindest – würde er nach McDade reiten und sich dieses Geld verdienen.
Und wenn nicht in McDade, dann eben in irgendeinem anderen Teil vom Socorro County oder sonst wo in New Mexico.
Mit dem Colt in der Hand schlief Lassiter schließlich ein.
Die drei Reiter, von denen Lassiter etwa eine Meile vor McDade angehalten wurde, trugen Deputy-Abzeichen. Das Reden besorgte vorwiegend ein klapperdürrer Mann mit strähnigem Blondhaar. Seine Kleidung erinnerte halb an einen Rindermann, halb an einen Farmer. Einige seiner Vorderzähne fehlten, und so spuckte er beim Sprechen.
»He, halt mal an, Bruder!«, forderte er Lassiter auf, nachdem er hinter einem großen Felsen hervorgekommen war. Er blieb breitbeinig auf der Straße stehen. Ein Schrotgewehr mit doppeltem, abgesägtem Lauf war genau auf Lassiters Bauch gerichtet.
Lassiter hielt es deshalb für angebracht, der Aufforderung des anderen zunächst Folge zu leisten.
»Morgen, Bruder«, sagte der lange Kerl, ohne die Richtung des Gewehrlaufes auch nur im Geringsten zu ändern.
Die anderen beiden Deputies hielten sich links und rechts vom Weg in sicherer Deckung. Alles, was Lassiter von ihnen sehen konnte, waren Hutkrempen und Gewehrläufe.
Lassiter zwang sich zu einem flüchtigen Lächeln. Hier würde es sich bestimmt nicht auszahlen, zu höflich zu sein.
»Morgen, Deputy«, sagte Lassiter. »Sag mal... ist das da vorn etwa zufällig McDade?«
Die schwere Donnerbüchse blieb unverändert auf Lassiters Bauch gerichtet.
»Sicher, Bruder, sicher«, knurrte der lange Deputy. »Das dort vorn ist McDade. Du hast doch auch nicht gedacht, dass es 'ne andere Stadt sein könnte, oder? So viele Städte gibt's nämlich in dieser Gegend gar nicht.«
Der Deputy hielt das Schrotgewehr mit einer Hand ganz ruhig, während er sich mit der anderen den Speichel vom Mund wischte.
Die beiden Schießer hinter den Felsen lachten hämisch über den Witz ihres Kumpans, der offensichtlich ihr Wortführer war und hier das Kommando führte.
Lassiter rührte sich nicht.
»Na, ich hoffe wenigstens, dass es McDade ist«, sagte er. »Ich will nämlich dorthin.«
In dieser Situation gab es nur eins für Lassiter – abwarten und herausfinden, was dieses Trio eigentlich von ihm wollte. Dann würde man schon weitersehen.
»Und was willst du in McDade, he?«, fragte der Deputy.
»Ist das nicht meine Privatangelegenheit?«, fragte Lassiter zurück. Er ließ der anderen Seite eine Minute Zeit, um so zum Ausdruck zu bringen, dass sie von ihm nur erfahren würden, was er ihnen erzählen wollte. »Aber da ihr ja das Gesetz zu vertreten scheint, ist deine Frage wohl einigermaßen berechtigt. Ich habe die Absicht, in McDade einen Mann zu treffen.«
»Einen Freund?«, fragte der Deputy mit verdammt feuchter Aussprache.
»Nein, Deputy«, gab Lassiter zu. »Einen Freund nicht gerade. Nur einen Mann, mit dem ich mich ganz gern mal 'ne Weile unterhalten möchte. Aber nachdem ich dir nun bereitwillig Auskunft über mich gegeben habe, könntest du mir jetzt verraten, was ihr von mir wollt, oder?«
Lassiters Stimme war bei den letzten Worten eine Nuance schärfer geworden.
Der Deputy packte das Schrotgewehr prompt etwas fester. Er sah nach links und rechts, um sich zu überzeugen, dass seine Freunde ihm Deckung gaben.
Ein feiges Großmaul, dachte Lassiter. Aber wozu einen Kampf provozieren?
»Mein Geschäft betrifft natürlich das Gesetz«, antwortete der Lange ziemlich bombastisch. Höhnisch fuhr er fort: »Und deswegen möchte ich ganz gern den Namen dieses Mannes wissen, den du treffen willst. Sonst kannst du gleich wieder kehrtmachen und dorthin zurückreiten, woher du gekommen bist. hab' ich mich jetzt klar und deutlich genug ausgedrückt, Bruder?«
Lassiter lächelte. Diesmal brauchte er sich nicht dazu zu zwingen. Er war auf einmal sehr entspannt. Sein gesunder Menschenverstand sagte ihm, dass es ratsam sein dürfte, hier immer hübsch sachte vorzugehen. Schließlich war er nicht nach einem langen, beschwerlichen Ritt hierhergekommen, um sich auf eine dumme Kraftprobe mit drei Deputies einzulassen, die nicht gerade Geisteslichter zu sein schienen. Das würde ihm keinerlei Profit bringen. Das einzige, was er sich in diesem Fall erhoffen könnte, wäre vielleicht ein Zurechtstutzen dieses Großmauls. Möglicherweise könnte er auch noch einen der beiden anderen Deputies ausschalten, aber dann würde es auch ihn erwischen.
Das sagte ihm der Teil seines Gehirns, in dem der gesunde Menschenverstand zu Hause war. Manchmal hörte Lassiter sogar darauf, mitunter aber auch nicht. Im Moment war er jedoch trailmüde und stank vor Schweiß. Es war ein langer Ritt gewesen von El Paso bis hierher. Wenn Lassiter daran zurückdachte, so trug das nicht gerade dazu bei, seine Laune zu verbessern.
»Du meinst also, dass du mich sonst zurückschicken würdest, was?«, sagte Lassiter, und jetzt hörte sich seine Stimme eiskalt an. Seine Hände hielten die Zügel straff gespannt. »Na, vielleicht solltest du lieber gründlich darüber nachdenken, bevor du das versuchst.«
Der lange Deputy war aber nicht nur ein Großmaul, sondern auch ein vorsichtiger Mann.
»Haltet ihn gut in Schach, Boys!«, rief er seinen Leuten zu, dann wandte er sich wieder an Lassiter. »Willst du dich etwa mit dem Gesetz anlegen, he? Ich habe das Recht, dir jede Frage zu stellen, die mir gerade einfällt. Wenn du sie nicht beantworten willst, wirst du auch nicht nach McDade kommen. Ist das klar? Sag also gefälligst dein Sprüchlein auf, Mister, oder reite in die entgegengesetzte Richtung weiter, verstanden? Und das ist ein Befehl, Bruder!«
Sieh mal an, dachte Lassiter beinahe belustigt. Mal heißt's Mister, mal Bruder.
»Und du traust dir zu, mich dazu zu bringen?«, fragte Lassiter nun sehr scharf. »Na, dann versuch's doch mal, Deputy! Du mit deiner imponierenden Donnerbüchse!«
Der lange Deputy war nahe genug, um Lassiters Augen erkennen zu können, doch er ließ sich davon nicht warnen, sondern verfiel wieder in seinen prahlerischen Tonfall.
»Jetzt hör mir mal gut zu, Mister...«, begann er.
Lassiters Hand lag leicht auf seinem Oberschenkel.
»Benutze diese Kanone!«, unterbrach er den anderen. »Oder geh mir aus dem Wege! Aber schieße ja nicht daneben oder zu langsam, Bruder! Und das meine ich ganz im Ernst!«
Lassiter lauschte auf den Wind. Heiß, trocken, leblos. Ein toter Mann in dieser Wüste blieb auf immer ein toter Mann. Eine willkommene Beute für Geier und Kojoten.
Das schien auch der Deputy zu begreifen. Er ließ das Schrotgewehr sinken und versuchte, seine Feigheit mit offizieller Pompösität zu kaschieren.
»Lasst diesen Hitzkopf durch, Boys!«, rief er seinen Begleitern zu, und diesmal sprühte kein Speichel aus seinem ausgetrockneten Mund. »Wir sind das Gesetz, und es ist nicht unsere Aufgabe, eine Schießerei anzufangen. Wir müssen an unsere Abzeichen denken.«
Lassiter dachte noch immer nicht daran, irgendein Risiko einzugehen. Er sagte: »Das ist eine sehr vernünftige Einstellung, Deputy. Warum sollte sich ein Mann umbringen lassen, nur weil er ein kleines Stück Blech an der Weste trägt, was?«
Der Lange funkelte ihn wütend an.
»Wenn du nach McDade kommst, wirst du verdammt schnell ein paar Fragen beantworten müssen, Mister! Sheriff O'Neal ist nicht so vernünftig wie ich.«
»Ach?«, meinte Lassiter spöttisch. »Hältst du dich dafür?«
»Wart's nur ab!«, antwortete der Deputy. »Sheriff O'Neal wirst du schon Rede und Antwort stehen müssen, Mister!« In seiner großsprecherischen Art fügte er hinzu: »Du bildest dir wohl ein, so einfach nach McDade reiten zu können, was? Um dort zu treiben, was dir gerade so passt, he? Na, du wirst schon sehen! Du wirst jede Frage verdammt schnell beantworten, die O'Neal auf dem Herzen hat, Bruder! Und von Sheriff O'Neal hast du bestimmt schon was gehört, möchte ich meinen.«
Lassiter fand die Sache allmählich langweilig. So erging es ihm immer, wenn sich eine gespannte Situation schließlich doch wieder in Nichts auflöste.
Natürlich hatte Lassiter schon von O'Neal gehört, aber er hatte den Mann noch nie persönlich getroffen. Die meisten Dinge, die er über ihn gehört hatte, waren gar nicht so gut. O'Neal hatte sich in wilden Städten von Kansas und Oklahoma einen Namen gemacht. Ganz so jung konnte der berühmte Gesetzesvertreter also nicht mehr sein. Aber vielleicht machte ihn gerade das umso gefährlicher.
»Ich kenne den Namen«, sagte Lassiter. »Und nachdem wir uns bisher so nett unterhalten haben, will ich dir jetzt auch den Namen des Mannes verraten, mit dem ich mich in McDade zu treffen gedenke. Er lautet Wesley Boone... und wie ich gehört habe, soll er verdammt gut mit einem Schießeisen umzugehen verstehen.«
Lassiter begriff sofort, dass er eben einen wunden Punkt berührt hatte, wenngleich er nicht wusste, wieso.
Der lange Deputy – ob nun feige oder nicht – schien jedenfalls einen Moment lang durchaus bereit zu sein, jetzt doch noch seine Donnerbüchse zu benutzen. Er tat es dann aber doch nicht.
»Nie von ihm gehört«, log er.
Lassiter ritt weiter.
Vor ihm lag McDade.
Die Stadt hieß zwar McDade – mochte der Teufel wissen, wer dieser McDade gewesen war –, aber sie sah eher nach einer mexikanischen Ansiedlung aus. Das dürfte sie früher wohl auch gewesen sein, dachte Lassiter. Jetzt war es jedenfalls eine hässliche Mischung aus verfallenden Adobebauten und ungestrichenen Holzhäusern. Es gab zwei Saloons, eine Bank, ein Hotel, einen Mietstall, einen Leichenbestatter. Die Stadt war düster, sonnendurchglüht und dreckig. An sich hätte sie jetzt einen leeren und verlassenen Eindruck machen müssen, wie es mexikanische Ortschaften zu dieser Tageszeit immer tun. Das Gegenteil war der Fall. Das Kaff schien an Menschen zu ersticken.
Als erstes fielen Lassiter die vielen harten Burschen auf, die mit tiefgeschnallten Waffen herumliefen. Überall entdeckte er diese Typen. Sie lungerten herum, spuckten auf die Straße, rauchten und schienen nur darauf zu warten, dass irgendetwas passieren sollte.
Lassiter kam zu der Feststellung, dass er noch nie eine derartige Ansammlung zwielichtiger Gestalten in einer einzigen jämmerlichen, stinkenden Stadt angetroffen hatte. Es sah ganz so aus, als hätten sich alle Killer und Möchte-gern-Killer des Südwestens hier getroffen, um sich für einen Krieg anmustern zu lassen.
In den beiden Saloons mit den falschen Fassaden herrschte Hochbetrieb.
Im ersten, dem Socorro Palace, spielte eine mexikanische Blaskapelle gerade einen Walzer.
Lassiter entschied, dass das mechanische Klavier im McDade-Paradise weniger hart in den Ohren dröhnte, und deshalb ging er dorthin.
Zwei mexikanische Bandoleros saßen auf den Verandastufen und teilten sich eine Flasche Schnaps. Sie zogen ihre Beine ein, um Lassiter vorbeizulassen. Ihre spöttischen Bemerkungen über seine schäbigen Klamotten ignorierte Lassiter.
Drin hämmerte der Pianospieler gerade »Gelbe Rose von Texas« im Quickstep-Tempo herunter.
Vier oder fünf Bravos schwenkten die gleiche Anzahl von grellgeschminkten Mädchen auf dem schmutzigen Bretterboden herum.
Es stank ganz erbärmlich nach schalem Bier, billigem Fusel, Tabakrauch und schweißverklebten Körpern, die schon seit langem kein Bad mehr gesehen hatten.
Lassiter bahnte sich mit den Ellbogen einen Weg zur Mahagoni-Theke und schrie laut nach einem Bier.
Die Menge der Gäste hielt drei Barkeeper in Atem.
Lassiter musste seine Bestellung wiederholen und dabei noch lauter als vorher schreien, um sich bei dem Lärm überhaupt verständlich machen zu können.
Die Hartgesottenen neben Lassiter musterten ihn misstrauisch.
Wie eine Horde Kater, die nur darauf lauern, endlich irgendwie in Aktion treten zu können, dachte Lassiter.
Das Bier war nicht gut; es war auch nicht kalt. Es war weiter nichts als nass.
Aber nach dem langen Ritt von El Paso bis hierher schmeckte es Lassiter trotzdem wie Champagner.
Lassiter hoffte nur, dass ihm niemand sein Pferd klauen würde, während er hier an der Theke stand und Bier trank.
Üblicherweise war das Pferd eines Mannes in jeder Stadt fast so gut wie sicher, aber hier...
Yeah, das war schon eine rechte Höllenstadt, die Sheriff O'Neal zu leiten und in Schach zu halten hatte.
Während Lassiter sein zweites Bier trank, kam eines der Mädchen zu ihm herüber und bat ihn, einen Drink für sie zu spendieren. Das Frauenzimmer war teils Indianerin, teils irgendwas anderes. Dieses andere hätte gut und gern auch chinesischer Einschlag sein können. Nur ein gottverdammter Lügner hätte sie als schön bezeichnen können. Sie war nicht mal hübsch. Aber sie war wenigstens noch jung und roch mehr nach starkem Parfüm als nach irgendetwas anderem.
Es war mehr als eine Woche her, seit Lassiter in El Paso zum letzten Mal eine Frau gehabt hatte. Und eine Woche war so ziemlich der längste Zeitraum, den Lassiter ohne eine Frau aushalten konnte. Danach wurde er gereizt und gemein. Dann neigte er dazu, auf andere – und meistens tödliche – Art seine Spannung irgendwie loszuwerden.
Dieses Weibsbild hier dürfte schon recht sein, dachte er.
Das Mädchen hatte einen komischen Akzent.
Lassiter hoffte nur, dass sie nicht zu diesen Saloon-Girls gehörte, die jedem Kunden gleich ihre Lebensgeschichte auf die Nase binden wollten. Huren dieser Art waren noch schlimmer als ein ganzer Sack Flöhe.
»Sieh mal, ich hab' eigens für dich einen Tisch reserviert«, sagte sie und lächelte dabei. Sie hatte zwei Reihen glänzendweißer Zähne.
Lassiter stellte sachlich-nüchtern, aber auch fachmännisch fest, dass die Figur ebenfalls gut war. Nach einer Woche auf dem Trail hatte er nichts gegen Frauen einzuwenden, die aufdringlich nach billigem Parfüm rochen und sich Makassar-Öl ins Haar schmierten, um es scheinen zu lassen. Und überhaupt... wie lange dauerte es schon, bei einer Frau seine Spannung loszuwerden?
Ein schmieriger, kleiner mexikanischer Kellner brachte eine Flasche und zwei Gläser.
Lassiter akzeptierte den Preis widerspruchslos. Für diesen Betrag hätte er im besten Saloon von El Paso drei Flaschen erstklassigen Schnaps kaufen können.
Der dicke Saloonkeeper, der Lassiter nach McDade geschickt hatte, um mit Wesley Boone abzurechnen, hatte ihm fünfzig Dollar Vorschuss gegeben. Die Hälfte davon hatte Lassiter schon wieder ausgegeben. Er zerbrach sich deswegen nicht weiter den Kopf.
»Hast du zufällig auch 'nen Namen, Süße?«, fragte Lassiter. An sich war es piep egal, wie sich dieses käufliche Frauenzimmer nannte. Aber schließlich muss ein Mann auch was reden, wenn er mit einer Frau zusammen eine Flasche leeren will, auch wenn es sich bei dieser Frau nur um eine halbblütige Hure in irgendeinem schäbigen Saloon handelt.
Einmal ein Mann aus dem Süden, immer ein Gentleman, verhöhnte sich Lassiter im Stillen selbst.
Das Mädchen kippte ein Glas voll von diesem scheußlichen Fusel. Sie verzog dabei ein wenig das Gesicht, aber nicht allzu sehr. Sie schien das Zeug recht gut gewöhnt zu sein.
»Ich heiße Maria«, sagte sie. »Jedenfalls rufen mich hier alle so. Wahrscheinlich glauben alle Amerikaner, dass mexikanische Mädchen Maria heißen.«
»Na, und stimmt das etwa nicht?«, fragte Lassiter, den die Unterhaltung bereits langweilte.
Das Mädchen starrte ihn wütend an.
»Mein wirklicher Name lautet Serafina! Aber du kannst mich ruhig auch Maria nennen, wenn du's so willst.«
Lassiter leerte sein zweites Glas.
»Na, na, immer hübsch sachte, Süße«, meinte er besänftigend. »Ich würde sagen, dass Serafina ein genauso hübscher Name ist wie Maria. So, und nun wollen wir beide mal zusehen, dass wir die Flasche leer bekommen, damit wir mit dem anderen Geschäft anfangen können.«
Das Mädchen kicherte.
Während sie die Flasche leerten, erkundigte sich Lassiter, was zum Teufel eigentlich hier in McDade los sei.
Vielleicht wäre das Mädchen jetzt nervös oder gar ängstlich geworden, wenn ihr der reichlich genossene Schnaps nicht die Zunge gelockert hätte. Sie wurde zwar trotz allem noch ein bisschen unruhig, aber das gab sich sehr rasch.
»Du willst doch nicht etwa sagen, dass du keine Ahnung hast?«, fragte sie.
»Diesem Umstand kannst du ja leicht abhelfen, indem du mich ein bisschen informierst«, antwortete Lassiter.