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"Weg von hier!", schrie Lassiter dem Girl zu. Dann hielt er das brennende Zündholz an die Lunte. Es zischte und sprühte. Schnell fraß sich die Flamme weiter. Lassiter hob mit beiden Armen das Pulverfass hoch. Die Verfolgermeute war nur noch eine Viertelmeile von ihm entfernt. Lassiter zählte bis zwanzig. Dann stieß er mit aller Kraft die Tonne von sich, sah, wie sie auf den Boden prallte und den Hang hinabrollte. Genau auf die Banditen zu ...
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Seitenzahl: 161
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
LASSITER HEIZT DIE HÖLLE AN
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
XIV
XV
Vorschau
Impressum
LASSITER HEIZTDIE HÖLLE AN
Fest vertäut lag das Riverboat Aurora am Pier von War Path Landing. Fast erstickt vom Rauschen des wild dahinschießenden Flusses und dem dumpfen Dröhnen des mächtigen Schiffsrumpfes, durchdrang das ängstliche Wimmern einer Frau die Nacht. Lassiter drehte lauschend den Kopf.
»Du gemeine, doppelzüngige Hure!«, knurrte eine Männerstimme. »Ich schwöre dir, du hast mich das letzte Mal an der Nase herumgeführt.«
Lautlos öffnete Lassiter die Tür seiner engen Kabine und glitt hinaus. Im fahlen Licht des aufgehenden Mondes erkannte er die Silhouette einer Frau. Nur ein hauchdünnes Negligé verhüllte ihre festen, üppigen Körperformen.
Vor ihr stand ein bärtiger Mann. Mit einem brutalen Griff riss er ihr das zarte Gebilde aus Spitzen vom Leib.
Dieser Roman erschien erstmals im Jahr 1975 als Lassiter-Taschenbuch Nr. 65 in der Übersetzung aus dem Amerikanischen. Originaltitel: Blood River
Die Haut der Frau schimmerte wie bleicher Marmor. Ihre Brüste hoben und senkten sich unter heftigen Atemzügen. Über makellos geformte Schultern fiel die schwere Fülle ihres dunklen Haares.
Wieder ertönte das leise Wimmern. Die Augen der Frau waren weit vor Entsetzen.
Lassiter erinnerte sich sofort.
Er hatte die Frau gesehen, als sie kurz vor Sonnenuntergang an Bord der Aurora kam.
Der Bärtige stieß die Frau von sich. Sie taumelte gegen das Geländer des Kabinendecks. Der Kerl setzte nach und schlug ihr mit dem Handrücken rechts und links ins Gesicht. »Ich werde dich den Fischen zum Fraß vorwerfen, Sweetheart«, zischte er, außer sich vor Wut. »Du hast es nicht anders verdient mit deinen betrügerischen ...«
Lassiter schnellte vor.
Mit ein paar pantherartigen Sätzen erreichte er das seltsame Paar. Seine Linke packte die Schulter des Mannes, die sich hart wie das Holz der Reling anfühlte, und riss sie herum.
Der 44er schimmerte plötzlich in seiner Rechten. Aber Lassiter dachte nicht daran, durch einen Schuss das ganze Boot zu alarmieren.
Der Kolben des Revolvers landete krachend auf dem Schädel des Bärtigen. Der Getroffene verdrehte die Augen und fiel steif vornüber auf die Planken des Kabinendecks.
Lassiters Blick fiel auf die Frau. Sie stand da mit hängenden Armen, wie gelähmt vom Schreck. Ohne den Versuch zu machen, ihre Blöße vor dem plötzlich aufgetauchten Fremden zu bedecken, schaute sie ihn mit großen Augen an.
Sie war barfuß. Warum, zum Teufel, verlässt sie in dieser Aufmachung ihre Kabine, fragte sich Lassiter. Oder hatte der Kerl sie nach draußen gezerrt, um sie in den Kiskadee River zu stoßen? Das hätte den Tod für sie bedeutet. Ein guter Schwimmer konnte sich vielleicht in dieser schäumenden und brodelnden Hölle über Wasser halten, aber die schroff aufsteigenden Canyonwände, die den Kiskadee säumten, machten ein Entkommen unmöglich.
Ungefähr vor vier Stunden war die Frau mit einer einzigen Reisetasche an Bord gekommen. Der Besitzer dieses altersschwachen Seelenverkäufers, ein wohlbeleibter, drolliger Typ mit rötlich schimmerndem Backenbart und knallroter Nase, hatte seine Mütze tief vor ihr gezogen, den dazugehörenden Kratzfuß gemacht und sie mit einem Schwall von Worten empfangen. »Oh, Mrs. Follard, Madam. Willkommen an Bord der Aurora. Ich bin Captain Isaac Strunk, wie Sie sich von Ihrer letzten Reise stromaufwärts sicher noch erinnern werden. Tja, das sind jetzt auch schon zwei Jahre her. Sie waren damals noch in Begleitung des Colonels. Bei der Gelegenheit möchte ich nicht versäumen, Ihnen meine Anteilnahme zu dem herben Verlust Ihres hochgeschätzten Gatten auszusprechen.«
»Ich danke Ihnen«, hatte sie geantwortet und die Augen niedergeschlagen, die von einem rauchigen Grau waren, wie Lassiter feststellte. »Würden Sie die Freundlichkeit haben und mir meine Kabine zeigen?«
Follard ...
Lassiter kannte diesen Namen bereits. Anson Brett in Denver hatte ihn genau informiert.
Seit einem Jahr war sie Witwe. Als sie in ihrem hellgrauen Reisekostüm hinter Captain Strunk herschritt, machte sie allerdings kaum den Eindruck einer trauernden Hinterbliebenen. Der knöchellange Rock bewegte sich rhythmisch im Takt ihrer schaukelnden Hüften, und unter dem feinen Stoff zeichnete sich deutlich die Form ihrer runden Schenkel ab, die Lassiter nun im Licht des Mondes unverhüllt vor sich hatte.
»Kommen Sie«, sagte Lassiter. »Ich bringe Sie hinein.«
Verwirrt blickte die Frau den großen Mann an. »Wer – sind Sie?«, kam es stockend von ihren Lippen. Aber noch bevor Lassiter antworten konnte, glitten ihre Augen über die Gestalt, die reglos zu ihren Füßen lag. Ein Beben erfasste sie. »Ist er – tot?«, wollte sie wissen.
»Nein«, entgegnete der große Mann.
»Dann töte ihn!«, brach es aus ihr hervor. »Jetzt. Auf der Stelle.«
Unversöhnlicher Hass schwang in ihrer Stimme. Das schöne Gesicht wirkte wie versteinert. Sie warf sich Lassiter an die Brust und umklammerte seine Arme.
»Ich gehe mit Ihnen, wohin Sie wollen, tue alles, was Sie von mir verlangen, wenn Sie ihn nur umbringen. Jagen Sie dem Kerl eine Kugel in den Kopf und werfen Sie ihn in den Fluss!«
Sie benutzte ein Parfum, das nach Flieder duftete. Lassiter spürte den festen Druck ihrer Brüste. Sie bot sich ihm an, und der große Mann spürte, wie das Verlangen in ihm wuchs.
Dennoch trat er einen Schritt zurück und machte sich von ihr frei.
»Weshalb?«, fragte er scharf. »Was für einen Grund haben Sie, seinen Tod zu wünschen?«
Die Frau gab keine Antwort. Sie starrte auf den Mann am Boden, drückte ihre Rechte zur Faust geballt gegen die Zähne und begann unschlüssig an einem Fingerknöchel zu nagen. Dann flüsterte sie: »Bitte, tun Sie es. Er wollte mich umbringen ... ich schulde ihm nichts ...«
Lassiters Blick wanderte spähend das Deck entlang. Es war alles ruhig. Nichts rührte sich.
»Fehlanzeige, Lady. Werde nicht einmal den kleinen Finger krumm machen, solange Sie mir nicht seinen Namen verraten und mir einen wirklich stichhaltigen Grund nennen, weshalb Sie ihn ersäufen wollen ...«
Eine dunkle Gestalt bog um die Ecke, geduckt huschte sie über den Kabinengang heran. Im letzten Augenblick wandte Lassiter den Kopf, sah den Mann, der hinter ihm zum Sprung ansetzte.
Lassiter wollte herumwirbeln, als der Angreifer ihm bereits eine Schulter in den Rücken rammte. Die Wucht des Anpralls zwang Lassiter auf die Knie.
Nicht viel hätte gefehlt, und der große Mann wäre von dem Unbekannten, der sich auf nackten Füßen lautlos angeschlichen hatte, überrumpelt und über die Reling gestoßen worden.
Mit beiden Händen fing Lassiter den Sturz ab, sprang in die Hocke und war blitzschnell wieder auf den Beinen. Keine Sekunde zu früh. Sein Gegner setzte zu einem neuen Rammstoß an.
Ein rascher Sidestep, instinktiv von Lassiter ausgeführt, und der Stoß ging ins Leere. Der große Mann fuhr herum.
Der andere prallte gegen die Reling, stieß sich geistesgegenwärtig davon ab, kreiselte um die eigene Achse und rückte geduckt auf Lassiter zu. Das Gesicht zu einem höhnischen Grinsen verzogen, knurrte er: »Sprich ein Gebet, du Bastard! Dein letztes Stündlein hat geschlagen. In wenigen Augenblicken fährst du zur Hölle!«
Lassiter lächelte dünn. Er fürchtete keinen Gegner, den er vor sich sah. Jetzt war er selbst in der Position des Überlegenen.
Er sollte sich irren.
Der Bärtige, den Lassiter mit einem Hieb seines 44ers außer Gefecht gesetzt hatte, war aus seiner Ohnmacht erwacht. Er rappelte sich auf, pumpte seine Lungen voll Luft und kam seinem Kumpan zur Hilfe.
Er schleuderte die Frau zur Seite und rief: »Überlass ihn mir, Suggs. Ich mache Hackfleisch aus dem Dreckskerl.«
Für einen kurzen Moment wurde Suggs abgelenkt. Lassiter nutzte die Chance und drosch ihm die Faust, die noch den Revolver umspannte, in den Bauch. Suggs taumelte rückwärts. Zum ersten Mal hatte Lassiter Zeit, sich den Burschen näher anzusehen.
Der große Mann sah ein kantiges Kinn, buschige Augenbrauen, ein von Narben übersätes Gesicht. Suggs trug keinen Hut, das Haar fiel ihm in langen Strähnen auf die Schultern.
Lassiters Hieb hätte einen Bären zu Fall bringen können, aber Suggs schüttelte sich und wollte erneut zum Angriff übergehen.
Der andere streckte den Arm aus und hielt den Narbengesichtigen fest. »Lass mich an ihn ran!«, keuchte er.
»Eine Sekunde noch, Sir«, japste Suggs, »dann können Sie dem Hundesohn den Rest geben.«
Er hatte den Mund zu weit aufgerissen. Eine Sekunde später war's um ihn geschehen.
Suggs hechtete, die Hände zum Würgegriff geformt, auf Lassiter zu.
Der große Mann ließ plötzlich seinen Colt fallen, ging federnd in die Knie, umklammerte gedankenschnell das rechte Handgelenk seines Gegners und schleuderte ihn über die Achsel.
In hohem Bogen flog das Narbengesicht über die Reling, sauste etwa zwanzig Fuß in die Tiefe und tauchte lautlos in den rauschenden Fluten des Kiskadee unter.
Lassiter wirbelte zu dem Bärtigen herum und schoss seine Faust auf ihn ab. Der Schlag landete genau unter dem Kinn des Mannes und warf ihn einige Schritte zurück.
Lassiter bückte sich und fasste seinen Revolver, den er auf die Planken des Kabinendecks geworfen hatte. Dann rückte er dem andern auf die Pelle, um – wenn nötig mit dem Revolverkolben – einige Erklärungen über den ganzen Vorfall aus ihm herauszuprügeln.
Das war ein Fehler, wie sich auf der Stelle zeigte. Er hätte den Kerl besser mit dem Finger am Abzug in Schach gehalten und zu einem Geständnis gezwungen.
Dieser Gedanke kam ihm, als die Frau plötzlich aufsprang, auf ihn zu rannte und sich fest an ihn drängte. Sie umklammerte den großen Mann mit beiden Armen und stieß dabei einen erstickten Schrei aus.
Es dauerte nur einen Augenblick und Lassiter hatte sich aus der Umklammerung der Frau befreit. Aber die winzige Zeitspanne genügte dem Bärtigen.
Mit der Rechten berührte er das Geländer und flankte hinüber. Wie eine Tigerkatze war Lassiter an der Reling. Er beugte sich weit vor. Nichts und niemand war mehr zu sehen. Direkt unter ihm lag das Passagierdeck. Es nahm die ganze Breite des Flussbootes ein und ragte etwas vor. Der Flüchtende konnte dort aufgesetzt und sich aus dem Staub gemacht haben. Genauso gut konnte er auch in den Fluss gesprungen sein.
Laute Schritte näherten sich dem Achterschiff und rissen Lassiter aus seinem Grübeln. Eine raue Stimme schrie: »He, was ist das für ein Radau dahinten?«
Der große Mann stieß sich von der Reling ab und drehte sich zu der Frau um. Sie blickte ihn hilflos an. Er fasste sie am Arm und zog sie mit sich. Sie setzte ihm nur schwachen Widerstand entgegen, dann ließ sie sich willig in seine Kabine drängen. Lassiter schloss die Tür hinter sich und trat einen Schritt zur Seite, den 44er schussbereit in der Rechten.
Die Petroleumlampe brannte noch. In ihrem schwachen Schein sah er die Frau, die mit angezogenen Knien auf der niedrigen Schlafkoje hockte und versuchte, mit den Fetzen, die von ihrem Negligé übriggeblieben waren, Schultern und Brüste zu bedecken.
Lassiter legte den Lauf seines Revolvers an die Lippen und zischte warnend: »Still! Keinen Laut!«
Schritte polterten über die Holzplanken. Vor seiner Tür verstummten sie. Eine heisere Stimme sagte: »Nichts! Dabei bin ich sicher, einige Kerls gesehen zu haben, die sich mächtig in die Wolle geraten waren.«
Dann trampelte jemand über das Steuerhausdeck. Captain Strunk meldete sich. »Ist bei Mrs. Follard alles in Ordnung? Wehe, wenn irgendein Mistkerl versucht hat, die Lady zu belästigen!«
»Wenn's der Fall war, hat sie es ohne einen Muckser mit sich geschehen lassen«, antwortete der Heisere. »Soll ich bei ihr anklopfen und sie fragen?«
»Bist du noch zu retten, Mann?«, erscholl es von oben. »Sie könnte mitten im besten Schlaf liegen. Sorg lieber dafür, dass du diesen elenden Brüllaffen das Maul stopfst, wenn sie gleich stinkbesoffen an Bord torkeln.«
Über ihnen auf dem Steuerhausdeck entfernten sich Schritte.
Isaac Strunk zog sich zurück. Einige Sekunden später entfernten sich auch die Männer vor Lassiters Kabine.
Lassiter steckte den 44er in seinen Gürtel. Dann knöpfte er sein Hemd auf und streifte es ab. Er ging zu dem Eisenständer, der die Waschschüssel trug, nahm einige Hände voll Wasser und wusch sich den Schweiß aus dem Gesicht. Als er sich abtrocknete, sah er aus den Augenwinkeln, wie die Frau sich von der Koje erhob und mit raschen Schritten zur Tür huschte. Lassiter drehte den Kopf.
Erschrocken blieb sie stehen, ihre Zunge fuhr hastig über die Lippen. »Bitte, lassen Sie mich gehen. Ich schreie sonst.«
Ohne die Drohung zu beachten, musterte Lassiter die Frau wohlgefällig, hingerissen vom Anblick so viel weiblicher Schönheit, die sich ihm hier fast unverhüllt darbot.
Wie der große Mann von Anson Brett erfahren hatte, war ihr Vorname Amy. Sie war die Witwe von Colonel Follard, Jason Follard, der vor etwas mehr als einem Jahr mit einem Frachtwagen der Armee und zweihunderttausend Dollar, die ebenfalls der U. S. Army gehörten, im Brule River umgekommen war. Möglicherweise konnte ihm das Geld auch gestohlen worden sein. Wenn ja, wusste niemand, wer sich die hübsche Summe unter den Nagel gerissen hatte.
Lassiter trat auf die Frau zu. Wieder drang der Geruch Ihres Parfums verführerisch in seine Nase. »Wer war der Bursche, der Sie in den Kiskadee werfen wollte? Raus mit der Sprache, Madam! Und weshalb sollte ich ihn töten?«
Sie kniff die Lippen zusammen und schwieg.
»Und der andere Typ namens Suggs ... wer war das? Warum mischte er sich ein?«
Amy Follard gab immer noch keine Antwort.
Lassiter pachte sie bei der Schulter und meinte: »Du wirst reden. Jetzt oder nachher, das ist mir gleichgültig. Dann bringen wir eben zuerst das andere hinter uns, vielleicht ist es dann leichter für dich.«
Ein fast unmerkliches Beben lief durch ihren Körper, aber sie sprach kein Wort.
Er drängte sie zu der Schlafstelle zurück und ließ sich neben ihr nieder.
Fordernd glitten Lassiters Hände über die samtene Haut der Frau, verwirrten sie mit ihrem geschickten, ruhelosen Spiel und ließen Amy Follard keinen Zweifel mehr über das, was der große Mann von ihr wollte.
Es schien Lassiter, als stöhne sie leise. Mit etwas Optimismus konnte man sogar den Eindruck haben, als schmiege sie sich in einer schüchternen Bewegung an ihn. Jedenfalls machte sie keinen Versuch mehr zu fliehen.
Hart presste er den Mund auf die Lippen der Frau und streifte ihr das halbzerfetzte Negligé von den Schultern.
Das Boot erzitterte unaufhörlich unter dem Anprall der reißenden Strömung des Kiskadee Rivers. Rhythmisch pendelte die Lampe hin und her. Die Flamme zuckte unruhig, und tanzende Schatten huschten über die Kabinenwände.
Es würde eine Nacht werden, wie er sie liebte, dachte der große Mann. Und auch Amy Follard sollte auf ihre Kosten kommen. Lassiter war sicher, dass sie danach ganz von selbst auspacken würde.
Als Lassiter in sie eindringen wollte, stieß die Frau einen entsetzten Schrei aus.
Ein harter Glanz leuchtete aus ihren Augen.
Verriet er Hass oder Leidenschaft?
Schwer zu sagen, dachte Lassiter. Aber weshalb sich darüber den Kopf zerbrechen?
Er nahm sie.
Hart, fordernd und ungestüm, wie es seine Art war.
Erschöpft sank der große Mann neben der Frau auf die Koje. Er spürte das feine Zittern, das in Amy Follard nachklang. Sie hatte die Augen fest geschlossen. Ihr Atem ging schwer und keuchend.
Mit einem harten Griff umklammerte Lassiter ihren Arm.
Dann begann er erneut seine Fragen zu stellen.
Diesmal gab sie bereitwillig Antwort.
Entweder sie hatte ihren Sinn geändert – oder sie hatte sich inzwischen ein paar passende Lügen zurechtgelegt.
»Suggs war der Bursche meines Mannes, als der Colonel das Kommando über Fort Furlong in Montana hatte. Ich habe diesen Menschen länger als ein Jahr nicht mehr gesehen – ihn allerdings sofort wiedererkannt.«
»So. Und der andere Typ?«
»Das war Clyde Mungo. Er lebte ebenfalls in Furlong. Das heißt, die meiste Zeit war er unterwegs und handelte mit den Indianern.«
Lassiter erinnerte sich daran, dass Anson Brett in Denver ihm erzählt hatte, vermutlich sei damals nicht nur die Staatskasse, sondern auch noch das Geld mehrerer indianischer Handelsstationen verlorengegangen.
»Aber was wollten Mungo und Suggs von dir?«, fragte Lassiter.
Sie antwortete mit einer Gegenfrage. »Hast du schon davon gehört, was im Mai vor einem Jahr bei Horsehead Crossing am Brule River passierte?«
»Bekam hier und da einiges mit. Wäre interessant, was Genaueres darüber zu erfahren.«
»Mein Mann, der den Transport leitete, sprang ins Wasser und versuchte den untergehenden Wagen – es war der mit dem Geld – zu retten. Es kostete ihn das Leben. Der Colonel ertrank in den Fluten. Seine Leiche wurde nicht wiedergefunden. Mungo glaubt nicht, dass es so geschehen ist. Er denkt, ich habe das Geld – oder wüsste, wo es ist. Und er will das Geld an sich bringen. Um es zu bekommen, geht er über Leichen. Was Suggs angeht, vermute ich, dass er mit Mungo gemeinsame Sache macht.«
Aus irgendeinem Grund wurde Lassiter den Verdacht nicht los, an ihrer Geschichte sei etwas faul. Aber so sehr er sich den Kopf darüber zerbrach, er bekam den Grund nicht in den Griff.
Mit einem Satz sprang er von der Koje und ging zur Kabinentür, um etwas frische Luft in den engen Raum hereinzulassen. Die schroffen Canyonwände gaben ein winziges Stück nachtdunklen Himmels frei, in dem zahlreiche Sterne funkelten. Vom Landesteg drangen grölende Stimmen. Die ersten Betrunkenen kehrten zurück. Sie hatten den Aufenthalt in War Path Landing dazu benutzt, sich an Land volllaufen zu lassen. Manche würden die Kurve nicht mehr kriegen, sie würden zurückbleiben, wenn die Aurora am nächsten Morgen weiter flussaufwärts stampfte.
»Ich fuhr zu meinen Leuten nach Maryland«, begann Amy Follard wieder. »Aber ich konnte mich zu Hause nicht mehr einleben. Nach fünf Jahren Aufenthalt in den verschiedensten Garnisonen war dieses Land hier meine Heimat geworden. Deshalb bin ich zurückgekehrt. Dann tauchte in dieser Nacht plötzlich Mungo auf und behauptete, ich sei nur gekommen, um das Geld aus dem Versteck zu holen und mich damit aus dem Staub zu machen ...«
Ihre Stimme überschlug sich.
Das passt vorne und hinten nicht, dachte Lassiter. Wenn Mungo wirklich nicht wusste, wo die Armeekasse verborgen war, wieso wollte er die Frau töten, bevor er die Lage des Verstecks aus ihr herausgequetscht hatte?
Lassiter ging zu dem Waschständer, goss Wasser in die Schüssel und begann sich gründlich einzuseifen. Über die Schulter sagte er: »Well, jetzt verstehe ich, weshalb ich ihm eine Kugel in den Kopf jagen sollte. Wenn man bedenkt, was er dir alles antun wollte, ist dieser Wunsch durchaus verständlich.«
In Wirklichkeit kaufte der große Mann ihr die Geschichte nicht ab. Vor allem war da noch ein Punkt, für den sie bis jetzt keine Erklärung gegeben hatte. Was hatte sie mitten in der Nacht auf Deck zu suchen, nur mit diesem hauchdünnen Dingsbums bekleidet? Sie wollte doch nicht behaupten, sie habe auf den Mann nur gewartet, um sich von ihm verprügeln zu lassen. Lassiter war gespannt, welches Lügenmärchen Amy Follard ihm jetzt auftischen würde.
Er kam nicht mehr zu der Frage. Als er sich zu ihr umwandte, war sie verschwunden. Das, was von ihrem Negligé übriggeblieben war, hatte sie mitgenommen.
Ein dünnes Lächeln umspielte Lassiters Lippen. Sie hatte die Gelegenheit, zu entschlüpfen, die er ihr geboten hatte, prompt ergriffen.
Ein weiteres Einzelstück in dem Puzzle, das er zusammensetzen musste.
Lassiter zog sich an und verließ ebenfalls die Kabine.
Lautlos glitt er den Kabinengang entlang. Dicht beim Schaufelrad machte er halt und drückte sich tief in eine stockfinstere Ecke hinein.
Hier machte Lassiter es sich bequem und wartete. Falls Clyde Mungo den Sprung über die Reling überlebt hatte und Lust verspürte, in dieser Nacht dem Schiff einen zweiten Besuch abzustatten, würde er gleich ein Empfangskomitee vorfinden.
Während Lassiters Geduld auf eine harte Probe gestellt wurde, ließ er noch einmal die Geschehnisse in Denver vor vier Tagen Revue passieren.