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Der schwere vierschrötige Mann stand im Dunkel des schmalen Ganges und spähte durch die weitgeöffnete Tür nach draußen. Die Staubwolke meldete einen Reiter, der sich auf der verlassenen Postkutschenstraße dem Haus näherte. "Lange gedauert", knurrte der Bursche hinter ihm. Er war dünn wie eine Telegrafenstange, aber mit stahlharten Muskeln. Das Gesicht voller Narben, die Augen stechend. Er trat dicht an den Vierschrötigen heran. "Was denkst du, Tucson? Wird's ein Reinfall? Oder ein Bombengeschäft?" Tucson spie in den Staub. "Wir werden sehen." Er wandte den Kopf. "Ist dein Gaul außer Sicht?" Der Ältere nickte. Kichernd fuhr er fort: "Früher oder später kommen sie alle hier lang, was, Tucson?" "Yeah", antwortete Tucson und grinste. "Früher oder später ..."
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Seitenzahl: 170
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
LASSITER PACKT DEN SCHIENENWOLF
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
XIV
XV
XVI
XVII
XVIII
Vorschau
Impressum
LASSITER PACKT DEN SCHIENENWOLF
von Jack Slade
Der schwere vierschrötige Mann stand im Dunkel des schmalen Ganges und spähte durch die weitgeöffnete Tür nach draußen. Die Staubwolke meldete einen Reiter, der sich auf der verlassenen Postkutschenstraße dem Haus näherte.
»Lange gedauert«, knurrte der Bursche hinter ihm. Er war dünn wie eine Telegrafenmast, aber mit stahlharten Muskeln. Das Gesicht voller Narben, die Augen stechend. Er trat dicht an den Vierschrötigen heran. »Was denkst du, Tucson? Wird's ein Reinfall? Oder ein Bombengeschäft?«
Tucson spie in den Staub. »Wir werden sehen.« Er wandte den Kopf. »Ist dein Gaul außer Sicht?«
Der Ältere nickte. Kichernd fuhr er fort: »Früher oder später kommen sie alle hier lang, was, Tucson?«
»Yeah«, antwortete Tucson und grinste. »Früher oder später ...«
Das alte Adobegebäude lag am Rande einer einsamen Mulde. Zerklüftete Felsen ragten hinter ihm empor. Ein absterbender Kastanienbaum streckte die verdorrten Äste über einen leeren Corral. Der Platz hatte einmal als Postkutschenstation gedient. Das verblichene Schild über dem Eingang erinnerte noch daran. APACHE JUNCTION war darauf zu lesen.
Lassiters Blick fiel auf die verwitterten Lettern, während er die ehemalige Postkutschenstraße herunterkam. Das letzte Mal, als er diesen Weg genommen hatte, war das Haus unbewohnt gewesen. Jetzt schien wieder jemand darin zu leben.
Aus den Augenwinkeln spähte Lassiter zum Hof hinüber, während er von der Straße abbog und auf das Haus zuritt. Er bemerkte die Mexikanerin, die ihn vom rückwärtig gelegenen Schweinestall aus neugierig beobachtete. Sie trug eine tief ausgeschnittene Bluse, die den Ansatz ihrer schweren Brüste zeigte. Sie hielt seinem Blick stand und machte keine Anstalten, sich vor ihm zu verbergen. Erst als der große Mann nur wenige Schritte von ihr entfernt war, machte sie mit schwingenden Röcken kehrt und kippte den mit Spülwasser gefüllten Kübel den heftig grunzenden Tieren in den Trog.
Lassiter schaute der Frau nach. Es war lange her, dachte er und spürte, wie ihn das Verlangen packte. Aber er bezwang sich. Es gab Wichtigeres, als hier die Zeit zu vertrödeln.
Seine Augen wanderten zurück. Den Hang hinunter. Über die weiße Hölle, aus der er kam. Fünfzig Meilen dürre, wasserlose Wüste. Wildes zerklüftetes Felsgestein. Gewiss, es gab einen bequemeren Weg nach Eagle Junction, dicht an der mexikanischen Grenze entlang. Aber der hätte ihn einige Tage mehr gekostet. Und er hatte keine Zeit.
Eine Frau hielt sich dort auf, die er treffen wollte.
Und ein Mann, den er jagte.
Vor dem verwitterten Hitchrack hielt er an und verharrte einen Moment bewegungslos im Sattel. Er war erschöpft. Die unmenschliche Anstrengung des Weges, den er hinter sich hatte, lastete auf ihm.
Dann wandte er den Kopf, blickte zurück in die Richtung, aus der er gekommen war. Die scharfen Augen wanderten spähend. Aber niemand zeigte sich. Der Trail hinter ihm war leer. Zwei Tage hatte er keinen Menschen zu Gesicht bekommen. Aber die Unruhe und Spannung waren keine Sekunde von ihm gewichen.
Irgendjemand – einem Schatten gleich – war ihm auf den Fersen.
Wer?
Lassiters Lippen verzogen sich zu einem kalten, maskenhaften Lächeln.
Alles der Reihe nach!
Er rutschte aus dem Sattel und hob die Klappe der Satteltasche. Als er aufblickte, spürte er ein Prickeln zwischen den Schulterblättern. Sein Blick umfasste die trostlose Fassade der ehemaligen Postkutschenstation.
Nichts Verdächtiges regte sich.
Das Fenster war verschmiert und voller Fliegendreck. Nicht auszumachen, was dahinter vorging.
Lassiter holte den kleinen Lederbeutel aus der Satteltasche und steckte ihn unters Hemd. Kein Vermögen, das zu verlieren war. Aber er besaß nicht mehr.
Der große Mann setzte sich in Bewegung, schlang die Pferdeleine um den Haltebalken und betrat das Haus.
Es war kühl drinnen. Halbdunkel herrschte. Lassiter verhielt den Schritt, um seine Augen an die neuen Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Seine Rechte fiel auf den Kolben des Revolvers.
Eine massige Gestalt bewegte sich hinter der aus rohen Planken gezimmerten Bar. Der Mann hielt einen schmutzigen Lappen in der Hand und wischte hastig über den Tresen.
Der andere räkelte sich in einem Stuhl, den Ellbogen auf einen wackeligen Tisch gestützt. Er hatte nicht aufgeblickt, als Lassiter eintrat.
Lassiter stiefelte auf die Bar zu.
»Whisky!«, verlangte er. »Und was zu essen!«
Tucson angelte eine Flasche aus dem Regal an der Wand, stellte ein Glas vor Lassiter hin und goss ein. »Bohnen. Das einzige, was in der Küche ist.«
Lassiter zuckte die Achseln. »Gut, Bohnen.« Er trank langsam. Wie Feuer rann das scharfe Gesöff die ausgetrocknete, staubige Kehle hinunter. Wohltuende Wärme durchströmte seinen Magen. Der harte Klumpen darin löste sich auf. Seit zwei Tagen hatte der große Mann keinen Bissen mehr zu sich genommen.
Tucson blickte hinüber zu dem Mann in der Ecke. »Kümmere dich um seinen Gaul, Goss ...«
Der alte Mann rappelte sich hoch.
»Nein!«, sagte Lassiter knapp. »Nicht jetzt!«
Der Alte ließ sich wieder in den Stuhl fallen.
Tucson rief: »Maria!« Es kam keine Antwort aus der Küche, und er brummte: »Verdammtes Weibsbild!« Mit einem Knurren stampfte er in die Küche.
Lassiter wartete ab, sein Blick glitt über Goss. Der alte Mann starrte verschlafen in sein leeres Bierglas. Er war nicht schwatzhaft, und das gefiel Lassiter. Zur Unterhaltung war er im Augenblick nicht aufgelegt.
Tucson kam zurück und setzte eine Holzschüssel vor Lassiter. »Die Bohnen werden noch warm gemacht für Sie«, sagte er. »Tun Sie 'ne Prise Chili rein, dann geht's!«
Lassiter nickte.
»Soll er jetzt das Pferd tränken?«
»Nein!« Lassiters Blick ruhte auf dem Alten. »Ich wünsche euch beide in der Nähe. Liebe Gesellschaft beim Essen.«
Der Vierschrötige hob fast unmerklich die Schultern. Dann griff er nach dem Lappen und fuhr fort, über den Tresen zu wischen.
Lassiter war hungrig. Gierig machte er sich über die Bohnen her. Im Nu hatte er die Schüssel leer. Das scharfe mexikanische Gewürz brannte auf der Zunge. Er kippte zwei weitere Gläser Whisky hinterher und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. Dann fischte er ein Geldstück aus dem Lederbeutel und warf es auf die Holzplatte.
»Ich habe zwei leere Wasserflaschen«, erklärte er, »und ein durstiges Pferd. Sie können sich jetzt darum kümmern.«
Tucson gab dem Alten einen Wink. »Goss besorgt das schon.«
»Du wirst ihm dabei helfen!«
Tucsons Reaktion zeigte keine Überraschung. »Hölle und Teufel«, brummte er nur, »warum so misstrauisch, Fremder?«
Sie traten in die glutheiße Sonne hinaus. Es war Mittag. Noch hatte die Hitze den Höhepunkt nicht überschritten. Lassiter stand abseits und schaute den beiden zu, wie sie seinem Rotfuchs Wasser gaben und seine Blechbehälter füllten.
Falls sie sich für den Geldbeutel interessierten, er würde ihnen den Spaß verderben.
Aber keiner machte eine verdächtige Bewegung.
Lassiter schwang sich in den Sattel und ritt los.
Er war bereits zwei Stunden unterwegs in der gleißenden Hölle, als er die Stiche in der Magengrube spürte. Kalter Schweiß perlte auf seiner Stirn. Die Schmerzen wurden unerträglich. Lassiter wusste, was geschehen war.
Er blickte zurück und bemerkte die beiden Reiter. Flimmernde Punkte, die durch die wabernden Hitzeschleier näher rückten.
Sie waren hinter ihm her.
In Lassiters Gesicht zuckte es. Ihm ging ein Licht auf.
Der Chilipfeffer, durchfuhr es ihn. Auf alles hatte er geachtet, nur darauf nicht. Damit hatten sie ihn reingelegt. Mit einer Prise Strychnin – groß genug, ihn zu töten.
Der Schweiß brach aus allen Poren. Kalte Schauder schüttelten ihn. Lassiter drehte den Kopf, aber Tucson und Goss schienen keine Eile zu haben. Sie warteten, bis er aus dem Sattel kippte. Dann würden sie herankommen.
Der brennende Schmerz in seinem Magen kehrte zurück. Tödliche Übelkeit würgte ihn. Das stoppelbärtige Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse der Pein.
Verdammt, sie würden ihn nicht zu fassen kriegen. Nicht jetzt. Niemals.
Er hielt sich nur noch mühsam auf dem Rücken des Tieres und lenkte es die Böschung eines Arroyo hinunter. Mit letzter Kraft ließ er sich zu Boden gleiten. Häuptling Pasquinadas Frauen hatten ihn einige Dinge gelehrt.
Er stolperte vorwärts, bis er das winzige Wüstenkraut fand, nach dem er suchte. Seine Finger krallten sich um die Pflanze. Er riss sie aus. Spürte den bitteren Geschmack auf der Zunge, als seine Zähne die zarten Stängel zermalmten.
Die Wirkung erfolgte fast gleichzeitig. Sein Magen revoltierte. Unter irrsinnigen Krämpfen erbrach er sich. Sein Körper war schweißgebadet. Erschöpft blieb der große Mann liegen, starrte hinauf zur messingfarbenen Kuppel des Himmels und lauschte dem Rasseln seines Atems. Bleigewichte lasteten auf seiner Brust.
Dann wich der Zustand totaler Erschöpfung. Lassiter richtete sich auf, kam auf die Füße. Schlaff wie ein Waschlappen. Unter Aufbietung der letzten Kraft zog er sich in den Sattel und ritt aus dem Arroyo hinaus.
Tucson und Goss waren nähergekommen. Nahe genug, dass Lassiter sie deutlich ausmachen konnte. Sie zügelten ihre Pferde, als sie Lassiter aus dem Flussbett auftauchen sahen.
Die beiden hatten keine Eile.
Der große Mann hielt sich eine kurze Strecke aufrecht, dann erfasste ihn aufs Neue eine würgende Übelkeit. Er kippte vornüber. Krallte sich in die Mähne des Rotbraunen. Aber seine Hände gehorchten ihm nicht mehr. Er rutschte kopfüber aus dem Sattel und landete in dem knöcheltiefen Staub.
Erschrocken wieherte das Tier auf und wich zurück.
Lassiter biss die Zähne aufeinander. Er konnte hier nicht liegen bleiben. Ein Leichtes für einen Gewehrschützen, ihn mit Blei vollzupumpen.
Er rappelte sich hoch. Taumelte vorwärts. Seine Stiefel zogen lange Schleifspuren in den Staub. Er schleppte sich bis an den Rand eines Wasserlaufs und blickte hinunter. Sein Blick war getrübt. Er spürte plötzlich das Gewicht des Revolvergurtes. Mit zitternden Händen hakte Lassiter das Schloss auf und ließ den Gurt zu Boden fallen. Er torkelte die flache Böschung hinunter, machte ein halbes Dutzend Schritte in das Bachbett hinein.
Dann brach er zusammen.
Tucson und Goss näherten sich langsam dem Uferrand. Sie warfen einen Blick auf die reglose Gestalt, und Tucson meinte: »Hat sich länger auf den Beinen gehalten, als ich glaubte. Was ich ihm unter die Bohnen gerührt habe, reichte aus, um dem Kerl schon vor einer Stunde den Garaus zu machen.«
Goss zog die Rifle aus dem Scabbard und trieb sein Pferd die Uferböschung hinunter. Tucson folgte.
»Werde seiner Qual ein Ende bereiten«, sagte Goss und setzte Lassiter die Gewehrmündung an die Schläfe.
Der große Mann rollte auf den Rücken und feuerte. Das Geschoss des Derringers traf Goss genau zwischen die Augen. Tucson riss vor Entsetzen den Mund auf. Lassiters zweite Kugel drang dem Vierschrötigen ins Herz. Die beiden Reiter schwankten und fielen dann aus den Sätteln.
Lassiter stemmte sich hoch. Auf allen vieren robbte er ein Stück auf den Rand des trockenen Wasserlaufs zu. Die Sonne brannte erbarmungslos auf ihn hernieder. Erneut zogen sich seine Magenmuskeln in wilden Krämpfen zusammen. Würgender Brechreiz stieg in ihm auf.
Der Derringer entglitt seiner Hand. Wie ein todwundes Tier kroch er weiter. Bis er einen schattigen Platz fand. Irgendeine Mulde im Bachbett. Erschöpft blieb der große Mann liegen. Zusammengerollt wie ein Ball. Während das Gift sich ungehemmt in seinem Körper austobte.
Die Nacht sank herab. Langsam entwich die Hitze aus der weiten baumlosen Ebene.
Lassiter kam auf die Füße. Die beiden Tiere von Tucson und Goss waren verschwunden. Vermutlich hatten sie sich in Richtung Apache Junction davongemacht. Aber sein Rotfuchs wartete geduldig einige Yards von ihm entfernt.
Lassiters Kehle war ausgedörrt. Er schraubte den Verschluss von einer der beiden Wasserflaschen und ließ das kostbare Nass langsam über die aufgesprungenen Lippen fließen. Er trank in vorsichtigen Schlucken. Spürte, wie der Magen sich gegen die aufgenommene Flüssigkeit wehrte.
Der Rotfuchs trottete heran, stieß mit weichen Nüstern gegen seine Schulter und gab ein klägliches Wiehern von sich.
Der große Mann goss Wasser in seinen Hut und hielt ihn dem Pferd unters Maul. Das Tier trank gierig.
Lassiter ging zurück und hob seinen Derringer auf, schob ihn unters Hemd. Patronengurt und Revolverholster fand er dort, wo er sie abgelegt hatte. Er schlang den Gurt um die Hüfte. Die Magenmuskeln schmerzten, als sei er von einem Maulesel getreten worden.
Aber er lebte noch!
Er zog sich in den Sattel und setzte seinen Ritt durch die Wüste fort.
Lassiter rechnete damit, Eagle Junction noch vor morgen Mittag zu erreichen. Falls das Tier durchhielt.
Er hoffte, Christy Maguire würde noch auf ihn warten.
Die Girls beobachteten ihn, als er den kahlen, langgestreckten Bergrücken herunterkam. Eine hagere Gestalt, die einen lahmenden Gaul an der Leine führte. Sie hatten sich vor ihren niedrigen Behausungen ausgebreitet. Nur notdürftig mit grellfarbenen, abgetragenen Kimonos bekleidet.
Eine Rothaarige, groß und füllig, wusch sich unter der knarrenden Pumpe das Haar. Das Wasser rann in einen Waschzuber, schwappte über und wurde von der verbrannten Erde gierig aufgesogen. Mit dem Rücken gegen die weißen Wände ihrer Adobehütten gelehnt, blinzelten sie träge in das gleißende Licht der Mittagssonne. Für den Mann, der sich ihnen langsam näherte, brachten sie nur ein müdes Interesse auf. Dennoch wandten sie den Blick nicht von ihm.
Niemand kam auf diesem Weg nach Eagle Junction.
Es sei denn, dass es sich um einen Schwachkopf handelte.
Hinter den Dirnenhäusern stießen die beiden Schornsteine der Tularosa Mining & Smelting Company dicke Rauchwolken in den Himmel. Wie zerfetzte gelbbraune Fahnen wehten sie über die am Rand der Wüste gelegenen Hügel. Um das mächtige Holzgerüst des Wasserturmes duckten sich die armseligen Bretterhütten und Lehmbauten des Ortes. Der Name prangte in großen Lettern auf dem Wasserturm und war meilenweit zu sehen: EAGLE JUNCTION.
Im Westen erschien der blaugraue Rauch einer Lokomotive am Horizont. Wie eine vielgliedrige Raupe kroch der Zug durch die öde, hitzeflimmernde Ebene auf Eagle Junction zu.
Immer noch hingen die Augen der Mädchen an dem Fremden, der von Norden her auf die Stadt zukam. Die Entfernung war zu groß, um Einzelheiten zu erkennen. Aber seine Haltung verriet eine verbissene Zielstrebigkeit.
Er war auf dem Weg nach Eagle Junction, und nichts würde sich ihm entgegenstellen können.
Plötzlich strauchelte das Pferd hinter ihm und fiel zu Boden. Der Mann verhielt seinen Schritt und blickte auf das Tier, das vor ihm auf dem Rücken lag und alle viere von sich streckte. Die Wüste hatte das Tier getötet. Der Mann hatte ihr widerstanden.
Die Mädchen hoben die Köpfe, als der schwache Knall eines Gewehrschusses von dem entfernten Berghang zu ihnen herüberdrang.
Der Mann setzte sich wieder in Bewegung. Er hatte sich den Sattel auf die Schulter geladen. In der Rechten trug er die Rifle. Hinter ihm erschienen über der Hügelkuppe zwei Aasgeier. Schwarze Punkte am Himmel. Totenvögel, die sofort damit begannen, ihr Opfer einzukreisen.
Die Mädchen verloren kein Wort über den Vorfall. Die Wüste war gnadenlos. Man wusste das. Es beunruhigte niemand mehr.
Lassiter war diesen Weg schon einmal gekommen. Nicht, weil es ihm Spaß machte, durch diese Hölle aus Staub und Sonnenglut zu reiten. Aber er gewann auf diese Weise zwei ganze Tage.
Auch dieses Mal drängte die Zeit. Er war sowieso nicht sicher, ob Christy noch auf ihn wartete.
Der große Mann warf den Sattel ab. Sein Blick wanderte über die Stadt, die zu seinen Füßen lag. Unwirtlich, hässlich, nichts weiter als ein Stützpunkt der Southern-Pacific-Eisenbahn. Gleich dahinter lag Mexiko. Meilenweit führten die Gleise dicht an der mexikanischen Grenze entlang. Von Eagle Junction ging es dann in weitem Bogen nordwärts, wo sie dann zu guter Letzt auf die Atchison-&-Topeka-Linie stießen.
So war es vor Jahren gewesen. Inzwischen hatte sich vieles geändert, wie Lassiter feststellen musste.
Die Stadt hatte sich mächtig ausgedehnt. Lassiter erinnerte sich an den Wasserturm und die Schuppen der Eisenbahngesellschaft. Aber die Minen- und Schmelzanlagen waren neu für ihn. Eine neue Strecke führte im Süden aus der Stadt hinaus, überquerte mit Hilfe einer neuen Brücke eine tiefe Felsschlucht und lief direkt nach Mexiko.
Auch die weißen Adobehütten vor ihm kannte er noch nicht. Damals war in Eagle Junction noch nicht so viel los gewesen, um einem halben Dutzend Girls zufriedenstellende Verdienstmöglichkeiten zu bieten.
Der große Mann fuhr mit der Hand durchs Gesicht. Der drei Tage alte Staub auf der ledergegerbten Haut fühlte sich an wie Sandpapier. Seine Augen waren rot gerändert. Der Magen brannte höllisch. Die Zunge lag ihm ausgetrocknet und hart im Mund.
Lassiter blickte den Weg zurück, den er gekommen war. Hitze brütete über dem langgestreckten, kahlen Felshang. Die Geier ließen sich mit flatternden Schwingen nieder und schlugen ihre spitzen Schnäbel in den Pferdekadaver.
Lassiter wartete. Dann zeigte sich die Gestalt eines Reiters über dem Felsgrat. Ein Phantom, das sich unscharf gegen den wolkenlosen Himmel abhob. Zu weit von dem großen Mann entfernt, dass er hätte erkennen können, ob es sich um Mann, Frau oder Teufel handelte.
Lassiter lächelte bitter. Er lud seinen Sattel wieder auf die Schulter und setzte sich in Bewegung. Langsam schritt er auf die weißen Hütten zu. Eine Schar halbbekleideter Mädchen stob quietschend davon.
Geradewegs steuerte der große Mann auf die Pumpe zu, warf den Sattel ab und schob die Rothaarige beiseite. Er steckte den Kopf unter den vollen Strahl. In dünnen Rinnsalen lief ihm das Wasser in den Mund. Es schmeckte nach Salz und Eisen. Er trank in kleinen, vorsichtigen Schlucken.
Die Frau sah ihm neugierig zu, die Hände in die Hüften gestemmt. Sie war fast so groß wie Lassiter.
Ärgerlich stieß sie hervor: »He du, das hier ist keine öffentliche Badestube, verdammt noch mal ...«
Lassiters Blick ließ sie verstummen. Ihr Gesicht verriet Feindseligkeit, als sie zurückwich. Die Übrigen hingen in den Fenstern und starrten herüber.
Ein Vagabund. Ein Satteltramp. Jemand, der auf der Flucht vor dem Gesetz nordwärts wollte, über die Grenze, hinein nach Mexiko.
Nichts Besonderes für sie.
Oder sonst eine verkrachte Existenz, die hoffte, hier oben noch einmal Boden unter die Füße zu kriegen.
Uninteressant. An dem war kein müder Dollar zu verdienen. Sie wandten sich ab.
Lassiter betätigte den Pumpenschwengel und ließ das Wasser erneut in breitem Strahl über Nacken und Schultern laufen. Begierig saugte die ausgedörrte Haut das herrliche Nass ein. Die Erfrischung tat ihm gut. Wenigstens für einen Augenblick. Er richtete sich auf, schüttelte den Sand aus dem Halstuch und wischte das Gesicht ab. Seine Augen wanderten zu dem Hang hinüber. Der Reiter war inzwischen näher gekommen. Er befand sich in der Höhe des Pferdekadavers. Die Totenvögel fuhren kreischend auf, zogen ungeduldige Kreise hinter ihm und ließen sich erneut auf ihrer Beute nieder.
Lassiter drehte sich zu der Rothaarigen um, die ihre Siebensachen zusammenpackte. Er hielt eine Goldmünze in der Hand. »Hast du Zeit?«
Die Rothaarige blickte überrascht auf. Prüfend glitt der Blick ihrer grünen Katzenaugen über den großen Mann. Lassiter machte einen heruntergekommenen Eindruck, und wahrscheinlich stank er wie ein Ziegenbock. Aber sie konnte es sich nicht leisten, wählerisch zu sein.
Sie nickte und wies auf die Hütten. »Komm herein!«
Lassiter schulterte seinen Sattel und folgte ihr. Die Tür stand offen. Der Boden bestand aus gestampftem Lehm. Er war sauber. Der Raum war gerade so groß, dass ein Eisenbett und ein Waschständer Platz darin fanden. Ein verblasster Druck hing an der mit Fliegendreck besäten Wand und zeigte die Büßerin Maria Magdalena, die vor dem Kreuz kniete. In der Ecke stand ein messingbeschlagener Koffer. Lassiter vermutete, dass er die einzigen Habseligkeiten des Mädchens enthielt.
Die Rothaarige begann, den Gürtel ihres Kimonos zu lösen. Weit klaffte der Seidenmantel auseinander. Lassiter hatte keinen Blick für die Reize, die sich ihm freimütig darboten. Er lehnte an der Wand und blickte nach draußen.
Der Reiter kam stetig näher.
Genau auf dem Weg, den Lassiter genommen hatte. Ein kleiner, gedrungener Kerl, der sein Pferd erbarmungslos vorwärtstrieb. Er saß im Sattel wie jemand, dem das Reiten verhasst ist. Eine verbeulte Melone, dick mit weißem Salzstaub bepudert, bedeckte den kugelrunden Kopf. Dünnes strohblondes Haar unter der schmalen Hutkrempe. Und blassgraue Augen.
Ein Schießeisen, das in einem Schulterhalfter saß. Ein 44er Remington-Karabiner ragte aus dem Sattelschuh.
Lassiter runzelte die Stirn.
Ein Eisenbahndetektiv?
Sah ganz so aus!
Jedenfalls kein Wells-Fargo-Agent. Keiner, den er kannte, um genau zu sein.
Der Große stieß sich von der Wand ab und schritt zur Tür. Die Rothaarige rief: »He!« Sie stand neben dem schmalen Bett. Nur noch mit den jadefarbenen mexikanischen Ohrringen bekleidet. Sie besaß füllige Formen. Ihre Brüste hingen schwer herab.
Lassiter warf das Zehn-Dollar-Goldstück auf die Bettdecke und trat nach draußen, um den ankommenden Reiter in Empfang zu nehmen.
Der Mann zügelte das Pferd. Seine Augen ruhten auf Lassiter, die Hände lagen unbeweglich auf dem Sattelhorn. Eine Zeitlang musterte er das Gesicht des großen Mannes, die Rechte, in der die Rifle ruhte.
»Yeah?«, sagte der Kerl mit einer flachen, müden Stimme. Er zeigte Überraschung, keine Angst.
»Wie war die Reise?«
»Anstrengend«, entgegnete der Kleine.