Lassiter Sonder-Edition 76 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sonder-Edition 76 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Das Unheil brach über die Kutsche herein wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Alles passierte so schnell, dass es keine Möglichkeit mehr zur Gegenwehr gab. Es war ein perfekter Überfall. Peitschende Schüsse - schrilles Wiehern - wildes Schlingern des schweren Gefährts - das hässliche Geräusch von berstendem Holz - ein harter, schmetternder Schlag - und zum Schluss tiefe Stille. Die Concord-Kutsche war mit dem rechten Vorderrad gegen einen Felsbrocken geprallt, hatte sich aufgebäumt wie von einer unsichtbaren Riesenfaust gepackt und lag jetzt als Wrack in dem Engpass zwischen den Felsen. Die Stille währte nur Sekunden. Es waren Sekunden lähmenden Entsetzens, denen gleich darauf der Ausbruch der Panik folgte.

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Seitenzahl: 181

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

LASSITER UND DIE RACHE DER KREOLIN

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

Vorschau

Impressum

LASSITER UND DIE RACHE DER KREOLIN

von Jack Slade

Das Unheil brach über die Kutsche herein wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Alles passierte so schnell, dass es keine Möglichkeit mehr zur Gegenwehr gab.

Es war ein perfekter Überfall. Peitschende Schüsse – schrilles Wiehern – wildes Schlingern des schweren Gefährts – das hässliche Geräusch von berstendem Holz – ein harter, schmetternder Schlag – und zum Schluss tiefe Stille.

Die Concord-Kutsche war mit dem rechten Vorderrad gegen einen Felsbrocken geprallt, hatte sich aufgebäumt wie von einer unsichtbaren Riesenfaust gepackt und lag jetzt als Wrack in dem Engpass zwischen den Felsen.

Die Stille währte nur Sekunden. Es waren Sekunden lähmenden Entsetzens, denen gleich darauf der Ausbruch der Panik folgte.

Schrill wiehernd schlugen die Pferde des Sechsergespanns nach allen Seiten aus. Die Tiere wollten davonrasen, aber sie hatten keine Chance, sich aus dem Zuggeschirr zu befreien. Das linke Führpferd war tot. Neben ihm lag angeschossen das zweite Zugtier und wieherte erbärmlich.

Einer der Banditen zielte kurz mit dem Revolver und schoss. Ein Zucken lief durch den Körper des Pferdes, dann lag es ebenfalls still da.

Im Innern der Concord herrschte ein wildes Durcheinander. Die sechs Passagiere waren durch den jähen Ruck und den anschließenden Sturz der Kutsche durcheinandergewirbelt worden wie Herbstlaub unter einem harten Windstoß. Eine Frau schrie in höchster Todesangst. Männer fluchten und stöhnten. Nur zwei von den sechs Passagieren waren still.

Die beiden hatten sich gegenüber auf der linken Seite gesessen, und deshalb lagen sie jetzt ganz unten. Sie lagen wie ein Liebespaar unter dem Durcheinander aus strampelnden Beinen und schlagenden Armen, und das Gewicht über ihnen war so schwer, dass sie beinahe erdrückt wurden.

Der Mann schützte mit seinem Körper die schlanke, schwarzhaarige Frau und stemmte sich mit Macht gegen den lastenden Druck. Das Gesicht der Frau war dicht vor dem seinen, und in ihren weit aufgerissenen Augen las er den Ausdruck von Angst und Verzweiflung.

Er lächelte beruhigend.

»Nur keine Angst, Lady«, sagte er heiser.

»Das ist ein ganz normaler Überfall. So etwas erlebe ich nicht zum ersten Mal.«

Er sprach mit der zuversichtlichen Gelassenheit eines Menschen, der tatsächlich nicht übertrieb und der sich seiner Sache sicher war.

Der Mann war Lassiter.

Mit aller Macht stemmte er sich gegen den lastenden Druck. Er durfte nicht nachgeben. Absätze pressten sich in die Muskulatur seines Rückens. Empfindliche Tritte trafen seinen Nacken und den Hinterkopf. Und noch immer war das Innere der Kutsche vom irren Geschrei der in Panik geratenen Passagiere erfüllt.

»Zum Henker!«, brüllte Lassiter erbittert. »Habt ihr denn alle den Verstand verloren? Wir müssen raus aus diesem Kasten, sonst zerquetschen wir uns noch gegenseitig!«

»Ach, seien Sie doch still, Sie blöder Affe!«, keifte die dicke Lady mit einer Stimme, die in ihrer Lautstärke an die Trompeten des Jüngsten Gerichts denken ließ. »Sie haben's gut. Sie liegen gemütlich da unten und können große Töne spucken! Helfen Sie uns lieber, aus diesem verdammten Sarg rauszukommen!«

Sie stand genau auf der hinteren Partie von Lassiters gekrümmtem Rücken. Er schätzte sie auf zweieinhalb Zentner, und ihre spitzen Absätze drückten fast wie Nägel in das Fleisch seines Gesäßes. Es war eine schlimme Tortur. Lassiter kam sich vor wie ein wilder Bronco, der zum ersten Mal die Sporen bekam, und am liebsten hätte er sich mit einem wilden Ruck aufgebäumt, um diese verdammte Last abzuwerfen.

Aber er konnte nichts machen. Er war eingezwängt wie unter einer Gesteinsmasse, und seine steif werdenden Arme waren zu vergleichen mit den Stempeln eines Bergwerksstollens.

Wenn er nur einen Deut nachgab, würde der unvermeidliche Zusammenbruch folgen. Und dann sah es schlecht aus für die schöne Lady, die unter ihm lag.

Unwillkürlich musste er grinsen. Während der letzten drei Etappen auf der Reise von Alamogordo nach El Paso hatte er die schwarzhaarige Schönheit immer wieder heimlich bewundert. Er hatte sich ganz bestimmte Vorstellungen gemacht, denn sie hatte ein Gesicht und eine Figur, die jeden normal empfindenden Mann um den Verstand bringen konnte. Später hatte er versucht, ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen. Aber im selben Moment, als er sprechen wollte, war es passiert. Die Banditen hatten ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Etwas Gutes hatte der Überfall trotzdem. Lassiter war der Lady so nahe gekommen, wie er es nicht erwartet hatte. Er spürte kaum die Schmerzen durch die harten Fußtritte. Er vergaß fast seine Umwelt und dachte keine Sekunde daran, dass draußen vielleicht der Tod auf ihn wartete.

Der Druck auf seinem Körper ließ nach. An den Geräuschen hörte er, dass der erste Passagier die Kutsche verlassen hatte. Keuchend folgte der nächste Mann und dann noch einer.

Zum Schluss stand nur noch die dicke Lady auf Lassiters verlängertem Rücken und rief hysterisch: »So helft mir doch! Ist denn hier kein einziger Gentleman, der Mitleid mit einem schwachen Geschöpf hat? O mein Gott! In was für eine schlechte Gesellschaft bin ich da nur hineingeraten! Hilfe, Gentlemen! Bitte! Helft mir!«

Draußen lachten ein paar Männer. Lassiter drehte den Kopf und sah schräg von unten, wie ein Männerkopf in dem offenstehenden Kutschenschlag auftauchte. Es war ein bärtiger Bursche mit einem breitflächigen Gesicht, das eine wilde Verwegenheit ausstrahlte.

Der Mann lachte breit und zeigte dabei zwei Reihen prächtiger Zähne. Gleichzeitig packte er zu und ergriff die dicke Lady an den Handgelenken.

Die Frau schrie wieder, und Lassiter spürte erleichtert, wie der Druck auf seinem Gesäß nachließ. Er sah, wie sie mit den Beinen strampelte, und er grinste, als sie kreischte: »Heh, Sie da unten, Sie verdammter Lustmolch! Machen Sie gefälligst die Augen zu und schauen Sie nicht einer anständigen Dame unter die Röcke. So etwas gehört sich nicht!«

Lassiter hatte sich bereits wieder der jungen Frau zugewandt, die unter ihm lag. Ihr Anblick reizte ihn doch bedeutend mehr als die weißleinenen, spitzenbesetzten Hosenbeine der Lady.

Er atmete erleichtert auf.

»Jetzt können wir endlich aussteigen, Madame«, sagte er.

Zum ersten Mal sah er sie lächeln.

»Ich danke Ihnen, Mister«, hauchte sie. »Die ganze Zeit über hatte ich schon Angst, zerquetscht zu werden. Wenn Sie nicht gewesen wären, hätte ich jetzt bestimmt ein paar Knochenbrüche.«

Sie runzelte kurz die Stirn, schien über etwas nachzudenken. Dann sagte sie entschlossen: »Ich bin Miriam Carnaby. Unverheiratet. Ihre Anrede passt also nicht so ganz. Nennen Sie mich einfach bei meinem Vornamen, Mister ...«

Sie ließ das letzte Wort fragend nachklingen.

»Lassiter«, murmelte er, während er sich aus seiner unbequemen Lage erhob und froh war, sich endlich wieder bewegen zu können. »Ganz einfach Lassiter. So nennen mich meine Freunde, Mädchen.«

Er half ihr auf die Füße. Das war ziemlich umständlich in dem schmalen Raum zwischen den Sitzbänken, und als sie dann beide standen, waren sie sich wieder genauso nahe wie zuvor.

Miriam Carnabys Mund war halb geöffnet. Ihre Lippen schimmerten erregend in den Sonnenstrahlen, die von oben auf ihren Kopf fielen.

Was für ein Weib!

Sie gefiel ihm.

Eine Erregung packte ihn, wie er sie schon seit langem nicht mehr verspürt hatte. Und er konnte sich nicht mehr zurückhalten. Er zog sie fest an sich und küsste sie auf den Mund.

Sie erwiderte den Kuss. Drückte ihren schlanken Körper gegen seine hagere, sehnige Gestalt. Mit einem Schlag schien ihre ganze Leidenschaft auszubrechen wie ein Vulkan.

Lassiter genoss es. Er dachte nicht an die Banditen und nicht an irgendeine Gefahr. Am liebsten wäre er mit Miriam Carnaby in der umgestürzten Kutsche geblieben und hätte sich einen Dreck um das geschert, was da draußen los war.

Sein Wunsch ging nicht in Erfüllung.

Eine raue Stimme riss sie aus ihrer Verzauberung.

»Heh, Lassiter, du alter Strauchritter! Kannst du schon wieder den Hals nicht vollkriegen?«

Lassiter hob den Kopf. Oben in der Öffnung sah er das Gesicht eines Mannes, den er schon lange kannte. Und diesen Mann hätte er am allerwenigsten hier im Grenzland erwartet.

»Victor Parloff!«, sagte er überrascht. »Bist du es wirklich, oder handelt es sich um einen Doppelgänger?«

Der andere grinste breit.

»Dein Gedächtnis hat dich nicht im Stich gelassen«, sagte er mit seiner eigenartigen, unverwechselbaren Stimme, die sehr kehlig und abgehackt klang, als fiele es ihm schwer, die einzelnen Wörter exakt auszusprechen. »Ich bin es wirklich, Amigo Lassiter. Ein schöner Zufall ist es, dass wir uns hier treffen.«

»Du kennst diesen Banditen?«, flüsterte das Mädchen kaum hörbar.

Lassiter nickte gelassen.

»Ja«, sagte er laut. »Das ist Victor Parloff. Ein alter Amigo von mir. Ich bin sicher, dass wir uns auch heute verstehen werden, wie das schon immer der Fall war.«

Victor Parloff grinste wölfisch.

»Du bist noch immer der alte Witzbold, Lassiter«, sagte er. »Und das macht mir eine Menge Spaß. Ja, du hast recht, alter Junge. Wir beide werden uns bestimmt gut verstehen. – Und jetzt kriecht endlich raus aus dem Kasten! Da drin könnte es euch sonst zu heiß werden.«

Lassiter packte das Mädchen um die Hüften und hob es hoch. Oben streckte Victor Parloff die Hände aus und half Miriam nach oben.

Für ein paar Sekunden war Lassiter allein. Zu seinen Füßen lag seine Winchester, und in seinem Holster steckte noch immer der schwere Remington-Revolver. Unwillkürlich legte er die Hand auf den Kolben der Waffe, aber dann erkannte er, dass es keinen Zweck haben würde. Schon an dem Gelächter und den vielen rauen Männerstimmen draußen erkannte er, dass es völlig sinnlos war, irgendetwas zu versuchen.

Es gab nur eine ganz bestimmte Möglichkeit für ihn. Er musste versuchen, sie zu nutzen.

Victor Parloff war zwar ein ganz verkommener, hinterhältiger Hurensohn, aber auch er hatte seine schwachen Stellen, an denen man ihn packen konnte, wenn man es geschickt anfing.

Als Lassiter sich bückte und sein Gewehr in die Hand nahm, erschien oben in der Öffnung wieder das bärtige Gesicht des Banditen.

»Was ist los, Amigo?«, fragte er grinsend. »Willst du einen alten Amigo in die Ewigen Jagdgründe schicken?«

Ihre Blicke trafen sich. Victor Parloff besaß hellblaue, eisig wirkende Augen. Es war der Blick einer Schlange. Er war ein grausamer, gefühlloser Mann. Einer von der Sorte, die in der Lage waren, ihre eigene Mutter dem Teufel zu verkaufen.

Vor drei Jahren hatte Lassiter ihn in El Paso kennengelernt. Es war eine Situation, die Lassiter so schnell nicht vergessen würde. Jetzt, als er den Banditen ansah, erinnerte er sich wieder deutlich an verschiedene Einzelheiten.

Victor Parloff saß auf einem ungesattelten Pferd. Um seinen Hals lag die Schlinge. Um das Pferd herum stand eine aufgebrachte, wütende Menschenmenge. Man wollte ihn hängen sehen. Angeblich hatte er mit anderen Banditen eine Bank überfallen, und zwei Angestellte waren bei diesem Überfall erschossen worden.

Es schien keine Rettung mehr zu geben für Parloff. Und es war verdammt erstaunlich, wie gelassen er von dem Pferd herab auf die Menschen blickte, die seinen Tod wünschten.

Er lächelte sogar so gelassen wie ein Mann, der eben eine besonders gute Nachricht gehört hatte. Ihn schien es nicht im Geringsten zu berühren, dass er sterben musste.

Im letzten Augenblick war dann die Rettung gekommen. Ein US-Marshal, der die Lynchjustiz verhindert hatte. Und Victor Parloff war ordnungsgemäß vor Gericht gestellt worden. Eine Beteiligung an jenem Banküberfall war ihm nicht nachzuweisen und noch weniger ein Mord. Aber es gab einige andere Verbrechen, derentwegen er gesucht wurde. Und das hatte gereicht, um ihn für zehn Jahre hinter Gitter zu schicken.

Daran dachte Lassiter, während er lächelnd zu dem bärtigen Banditen hochblickte, und gleichzeitig schossen noch einige andere Gedanken durch seinen Kopf.

Seine Chance! Es gab nur eine einzige Möglichkeit für ihn. Er wusste jetzt noch nicht, ob es klappen würde, aber er wollte es wenigstens versuchen. Und er sagte gelassen: »Dich töten, Victor? Hältst du mich etwa für einen verdammten Hundesohn, der sich plötzlich auf die andere Seite des Zauns gestellt hat? – Heh, Junge, ich denke, wir sind noch immer von der gleichen Art. Wir sind Raben mit dem gleichen schwarzen Gefieder. Deshalb sehe ich keinen Anlass, auf dich und deine Compañeros loszugehen.«

»Raben«, murmelte Victor Parloff langsam. »Ja, Lassiter. Wir sind Raben mit schwarzem Gefieder. Aber wir sind auch Wölfe. Und die zerreißen sich gegenseitig, wenn der Winter hart und der Hunger so groß ist, dass sie keinen anderen Ausweg mehr wissen.«

Er hatte recht. Denn er war nicht nur ein hinterhältiger, sondern auch ein verdammt schlauer Bursche. Das war wohl auch der Grund, warum er es immer wieder schaffte, dem Galgen zu entrinnen.

Lassiter fragte sich, ob der andere seine Absicht durchschaut hatte. Wenn das der Fall war, würde es bitter werden für ihn.

»Was hat das alles zu bedeuten?«, fragte Lassiter. »Lohnt sich dieser Aufwand überhaupt? Soviel ich weiß, wird mit dieser Kutsche kein Gold transportiert. Und auch keine Dollars. Oder sollte ich mich da irren?«

»Du irrst dich«, sagte Parloff. »Im Kasten unter dem Kutschbock befindet sich eine eiserne Kiste. Darin sind fünfzigtausend Dollar. Und das ist doch eigentlich eine ganze Menge. Findest du nicht auch?«

»Na ja, sagen wir, es geht«, gab Lassiter grinsend zurück. »Ich hab schon Leute gesehen, die fettere Happen geschluckt haben, Victor.«

»Ich weiß, ich weiß. Ein gewisser Mr. Lassiter zum Beispiel. Ich finde, du nimmst den Mund ganz schön voll, Mister. Aber was soll's? Ich habe keine Lust, mich mit dir zu streiten. Jeder muss ja irgendwie sehen, wie er zurechtkommt. – Steig jetzt aus, Amigo. Aber gib mir erst deine Winchester. Mit dem Kolben voran natürlich, und ...«

Er unterbrach sich. Seinem Gesicht war anzusehen, dass ihm plötzlich ein anderer, offensichtlich besserer Gedanke gekommen war.

»Nein, du kannst die Waffen behalten«, fuhr er nach kurzem Zögern fort. »Ich glaube nicht, dass du uns schaden kannst. Im Gegenteil. Vorhin hast du ja selbst behauptet, dass wir von derselben Art sind. Und selbst wenn du es wolltest, könntest du uns nicht gefährlich werden. Wir sind einfach zu viele. Überleg dir also gut, was du tust. Einen guten Mann könnte ich übrigens noch gebrauchen.«

»Kein schlechter Vorschlag«, brummte Lassiter. »Würde es sich auch lohnen, Victor?«

»Du wirst es bestimmt nicht bereuen. Mein Wort darauf. – Na, was ist? Hast du deine Entscheidung getroffen?«

Lassiter nickte. »In Ordnung, Amigo. Ich bin sicher, dass wir uns verstehen werden! Aber was sagen deine Compañeros dazu?«

Victor Parloff grinste verwegen.

»Die haben nichts zu sagen«, erklärte er in seiner abgehackten Art. »Der Boss bin ich nämlich, Lassiter. Ich hoffe, auch das hast du richtig verstanden.«

»Ich bin nicht taub«, sagte Lassiter und machte sich an den Aufstieg, nachdem er Victor Parloff seine Winchester gereicht hatte. Das Gewehr war doch ziemlich hinderlich beim Klettern.

Eine Minute später stand er draußen bei den anderen, und Victor gab ihm die Winchester zurück.

Die Kutsche war umzingelt von gefährlich aussehenden Männern. Die meisten von ihnen waren bärtig und verdreckt. Man sah ihnen an, dass sie schon lange kein richtiges Bad mehr genommen hatten. Es waren Desperados von der übelsten Sorte. Buschräuber und Halsabschneider, die ihr Gewissen und ihr Gefühl für Ehre und Anstand schon vor längerer Zeit über den Zaun geworfen hatten.

»Heh, Boss!«, rief einer mit knarrender Stimme. »Was soll denn das bedeuten? Warum gibst du ihm das Gewehr zurück?«

»Halt's Maul, Jonas!«, fuhr ihn Victor an. »Das hier ist mein alter Amigo Lassiter. Bei ihm können wir uns immerhin bedanken, dass alles so reibungslos über die Bühne gegangen ist.«

Verdammter Hundesohn!, dachte Lassiter. So also soll der Hase laufen!

Aber er protestierte nicht. Das würde jetzt sowieso keinen Zweck mehr haben. Victor hatte ihn als Desperado abgestempelt. Jetzt konnten ihn auch tausend heilige Eide nicht mehr reinwaschen.

In den Augen der übrigen Passagiere gehörte er von jetzt an dazu. Er war ein Bandit, der mit der Kutsche gereist war, um von seinem Platz aus eingreifen zu können, falls irgendetwas schief ging.

So würden auch die späteren Zeugenaussagen lauten, das stand jetzt schon so gut wie fest.

Der Mann namens Jonas grinste verstehend.

»Ach so ist das, Boss«, brummte er. »Ich verstehe ...«

Lassiter blickte zum Kutschbock hinüber. Der Fahrer hing mit dem Oberkörper über dem Seitengestänge. Seine Hände waren um das Eisen gekrampft, und keine Spur von Leben war mehr in ihm. Als er getroffen worden war, musste er sich in seiner Not an dem Geländer festgehalten haben, und nun hielt er es noch im Tod umkrallt.

Ein Stück weiter zurück lag der Begleitfahrer. Er war ebenfalls tot, wie Lassiter mit einem Blick feststellte. Mehrere Kugeln hatten den Mann getroffen und ihn vom Bock gefegt.

Victor Parloff sagte etwas zu seinen Leuten, und sofort machten sich zwei Mann daran, den Kutscher zur Seite zu schieben und den Kasten unter dem Sitz zu öffnen. Mit triumphierendem Grinsen holten sie die schwere Eisenkiste heraus, von der Victor vorhin Lassiter erzählt hatte.

Ein anderer Mann kam mit einem kurzen Stemmeisen und schob es unter den Kistendeckel. Er spannte seine Muskeln und begann zu fluchen, aber der Deckel hob sich um keinen Millimeter.

»Dummkopf!«, knurrte Victor.

»Tritt mal zur Seite, Crab!«

Dann hob er ein wenig sein Gewehr und begann zu schießen. Knatternd fegten die Kugeln gegen das schwere Schloss und rissen es auseinander.

»So wird das gemacht«, sagte er anschließend zufrieden. »Du musst noch eine ganze Menge lernen, Crab.«

Crab bekam einen roten Kopf und öffnete den Deckel endgültig. Alle sahen jetzt das Geld. Mit Banderolen versehene Dollarbündel und in blaues Papier gepackte Münzrollen.

»Wells Fargo wird wieder mal rot sehen«, grinste Victor. »Wie gefällt dir das, Lassiter? Da muss einem wie dir doch das Herz im Leibe lachen. Was ist los? Freust du dich nicht?«

Er lachte meckernd, schien aber nicht an einer Antwort interessiert zu sein. Denn er wandte sich jetzt den Passagieren zu, die in einer Reihe vor der umgestürzten Kutsche standen und voller Angst der nahen Zukunft entgegensahen.

Es waren drei Männer, die dicke Frau und Miriam Carnaby. Einer der Männer war ein Whiskyvertreter aus St. Louis, sein Nebenmann ein Viehzüchter aus Arizona und der dritte ein hagerer Spieler, dessen Job es war, anderen Leuten beim Pokern das Geld aus den Taschen zu locken. Die dicke Lady war eine Mrs. Emily Winsgate aus Albuquerque, und sie war unterwegs, um ihre Schwester in El Paso zu besuchen. Das alles hatte Lassiter während der Fahrt gegen seinen Willen erfahren müssen, und er hatte die Erzählungen seiner Mitreisenden auf sich genommen wie einen unvermeidlichen Regenguss.

Nur von Miriam Carnaby wusste er bisher nicht mehr als den Namen, den er vor etwa fünf Minuten in der Kutsche erfahren hatte. Dabei war sie der einzige Mensch, der ihn in dieser Gesellschaft interessiert hatte.

»Durchsuchen!«, befahl Victor Parloff, und die Banditen machten sich sofort an die Arbeit. Gegenwehr war für die Männer aus der Kutsche völlig zwecklos. Der Spieler wurde seinen Revolver los, den er im Schulterholster trug, und dem Viehzüchter nahmen sie den Colt ab, den er unter seiner Cordjacke im Hosenbund stecken hatte.

Dann wurden die drei Männer gründlich nach Geld und anderen Wertgegenständen durchsucht, und es kamen insgesamt noch einmal gut zweitausend Dollar, eine goldene und zwei silberne Taschenuhren und drei mehr oder weniger wertvolle Ringe zusammen.

Die dicke Emily Winsgate atmete bereits erleichtert auf. Sie war wohl der Meinung, als Frau würde sie von den Wegelagerern verschont werden. Aber das war ein Irrtum.

Sie kreischte schrill, als sich ihr ein Bandit näherte, und sie wollte sich umdrehen und in ihrer Panik davonlaufen.

Das war natürlich eine Rechnung, die nicht aufging. Der Bandit war ein großer, bärenhafter Bursche. Er bewegte sich ziemlich tapsig und trotzdem mit einer erstaunlichen Schnelligkeit.

Emily Winsgate konnte seinem Zugriff nicht entrinnen. Sie schrie noch lauter und kreischender, als er sie gepackt hatte, und sie wollte ihm in ihrer Not einen gemeinen Tritt versetzen.

Der Mann lachte dröhnend, und im nächsten Augenblick lag sie vor ihm auf der heißen Erde. Es war ein Anblick, der zum Lachen reizte, obwohl alles bitterer Ernst war.

»Zeig es ihr, Hank!«, grölte einer der Banditen. »Die Dicke müsste genau die richtige Kragenweite für dich sein.«

Lachend rollte der hünenhafte Mann die Frau auf den Bauch. Sie schrie wie am Spieß. Seine Hände glitten über ihren Körper und suchten an allen möglichen Stellen nach Schmuck und versteckten Dollars. Aber seine Ausbeute war gering. Er schnaufte enttäuscht, als er schließlich von der Lady abließ, und sagte brummig: »Am liebsten würde ich dich mitnehmen, Dicke. So eine wie dich habe ich mir schon immer gewünscht.«

Emily Winsgate kam keuchend auf die Beine. Ihr mächtiger Busen wogte auf und ab, und es sah aus, als wollte sie sich mit ihrer ganzen Körperfülle auf jenen Hank stürzen.

Sie überlegte es sich dann aber anders und richtete ihren gesammelten Zorn auf Lassiter. Ihre Augen sprühten Blitze, als sie ihn ansah, und anklagend rief sie: »Du bist an allem schuld, Lassiter. Nur du allein. Dein Boss hat es eben selbst gesagt. Und ich werde dafür sorgen, dass bald das ganze Land weiß, was für ein Teufel du bist. – Ha, Lassiter! Deinen Namen höre ich heute nicht zum ersten Mal. Alle Welt weiß, dass du ein abgefeimter Schurke bist. Bald wird es zu Ende sein mit dir. Ich werde keine Ruhe geben, bis sie dich gestellt und unter den Galgen geführt haben. Das schwöre ich hiermit bei allem, was mir heilig ist.«

Lassiter grinste ein wenig verzerrt. In was für eine verdammte Lage war er da wieder geraten! Da hatte er sich mal ausnahmsweise eine Kutsche genommen, um schneller nach El Paso zu kommen, und ausgerechnet diese Fahrt musste ihm zum Verhängnis werden.

Es klebte an ihm wie ein Fluch, der ihn wahrscheinlich bis ans Ende seiner Tage begleiten sollte.

Wells Fargo wurde immer wieder für ihn zum Schicksal. Mit Wells Fargo hatte alles angefangen, und mit Wells Fargo würde wohl eines Tages alles enden. Verdammte Welt!