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Der weiße Mann von Del Rio war tot. Er lag auf einem flachen Hügel halb im Gebüsch. Mehrere Indianerpfeile steckten in seinem Körper.
Lassiter starrte auf den Toten hinab, dann sah er Reverend Matthew Herbert an, der neben ihm stand.
»Was sagen Sie da, Prediger?«, knurrte Lassiter grollend.
"Ich habe eben gesagt, dass Sie ihn getötet haben, Mr. Lassiter", antwortete der Pastor. Er stand hochaufgerichtet in seinem schwarzen Schoßrock da und hielt eine Bibel in der Hand. "Sie haben ihn so sicher getötet, als hätten Sie diese Pfeile eigenhändig in ihn hineingeschossen."
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Seitenzahl: 192
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
WAS LASSITER ANPACKT
Vorschau
Impressum
WAS LASSITER ANPACKT
von Jack Slade
Der weiße Mann von Del Rio war tot. Er lag auf einem flachen Hügel halb im Gebüsch. Mehrere Indianerpfeile steckten in seinem Körper.
Lassiter starrte auf den Toten hinab, dann sah er Reverend Matthew Herbert an, der neben ihm stand.
»Was sagen Sie da, Prediger?«, knurrte Lassiter grollend.
»Ich habe eben gesagt, dass Sie ihn getötet haben, Mr. Lassiter«, antwortete der Pastor. Er stand hochaufgerichtet in seinem schwarzen Schoßrock da und hielt eine Bibel in der Hand. »Sie haben ihn so sicher getötet, als hätten Sie diese Pfeile eigenhändig in ihn hineingeschossen.«
Dieser Roman erschien erstmals im Jahr 1971 als Lassiter-Taschenbuch Nr. 9 als Übersetzung aus dem Amerikanischen. Originaltitel: The Man From Del Rio
Lassiters Blick schien Löcher in das ernste, rechtschaffene Gesicht des Geistlichen bohren zu wollen.
Vor drei Tagen hatte Reverend Herbert Lassiter fünfzig Dollar versprochen, um sich von ihm durch diesen Streifen Kiowa-Territorium führen zu lassen. Lassiter hatte ohnehin in diese Richtung gehen wollen und deshalb diese fünfzig Dollar für leicht verdientes Geld gehalten.
Aber das war vor drei Tagen gewesen.
Jetzt hatte Lassiter endgültig genug von Reverend Herbert. So viel süßes Gerede von Jesus oder Predigten über teuflische Sünden hatte er nicht mehr zu hören bekommen, seit er in Shiloh aufgewachsen war.
Und nun versuchte der Reverend auch noch, Lassiter den Tod dieses dummen Bastards in die Schuhe zu schieben!
»Rechnen Sie damit, in den Himmel zu kommen, Pastor?«, fragte Lassiter.
»Und ob!«, antwortete der Reverend stolz.
»Dann werden Sie schon verdammt viel früher dorthin kommen, wenn Sie jetzt nicht den Mund halten!«, sagte Lassiter kalt. Seine Augen verrieten Zorn und Ungeduld. »Hätten Sie die Klappe gehalten, statt diesen Mann mit dem blöden Zuruf zu warnen, dann säßen wir jetzt nicht hier und brauchten nicht auf den Angriff der Kiowa zu warten!«
»Sie haben ja Ihren Mund nicht aufgetan, um ihn zu warnen!«, betonte der Reverend. »Es ist Christenpflicht, seinem Nächsten zu helfen!«
»Yeah, und verdammt viel hat's ihm genutzt, Ihr Geschrei! Ein Christ hat vor allem die Pflicht, am Leben zu bleiben, damit er das Wort des Herrn verbreiten kann. Jetzt muss ich dort hinaus, um die Rothaut unschädlich zu machen, die ich nicht erwischen konnte.«
»Warum?«, fragte Reverend Herbert. »Lassen Sie ihn doch in Ruhe, dann wird er zu seinem Stamm zurückkehren.«
Lassiter schnaubte verächtlich.
»Zwei seiner Blutsbrüder sind getötet worden«, sagte er. »Wenn er ohne Skalp zurückkommt, kann er lieber gleich vergessen, dass er ein Kiowa ist. Man würde ihn bei seinem Stamm nicht einmal mehr als Squaw haben wollen. Und deswegen muss ich ihn erwischen, bevor er uns erwischt, Reverend!«
»Soll ich Sie begleiten?«, fragte Herbert.
»Du lieber Himmel... nein!«, lehnte Lassiter sofort schroff ab. »Das hätte mir gerade noch gefehlt! Ich will dem Indianer nicht nach, um ihm eine Predigt zu halten und seine Seele zu retten, sondern um ihn zu töten. Sie bleiben hier, bis ich zurückkomme.«
»Und wenn Sie nicht zurückkommen?«
»Dann suchen Sie ein besonders hübsches Gebet für mich aus«, brummte Lassiter. »Aber was Kurzes, denn Sie werden kaum noch viel Zeit haben, überhaupt ein Gebet zu sprechen.«
Der große Mann ging den schmalen Pfad hinab, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Der Kiowa war im dichten Unterholz des Waldes verschwunden, der überwiegend aus Schwarzeichen bestand. Verrottetes Laub bedeckte den Boden wie ein dicker Teppich, der jedes Geräusch verschluckte.
Lassiter drang geräuschlos wie ein Indianer in den Wald ein. Trotz seiner Größe bewegte er sich ungemein geschmeidig zwischen den Büschen und Sträuchern hindurch, so dass er kaum einen Laut verursachte. Gewandt huschte er von Baum zu Baum. Irgendwo vor ihm musste der Indianer sein.
Lassiter wusste, dass die Kiowa wie alle Indianer, die auf Skalpe aus sind, das Überraschungsmoment genauso raffiniert benutzten wie ein weißer Mann seine Schusswaffe. Und Lassiter wusste auch, dass man als Weißer vor solchen Überraschungen niemals sicher war, auch wenn man noch so sehr darauf gefasst sein mochte.
Der weit zurückgebogene Ast eines jungen Baumes sollte sich gleich als praktischer Anschauungsunterricht und für Lassiter als gehöriger Denkzettel erweisen.
Als der Indianer losließ, schnellte der dünne Ast wie eine Peitschenschnur durch die Luft... genau in dem Augenblick, als Lassiter den Baum erreichte. In automatischer, instinktiver Reaktion riss Lassiter beide Arme hoch und zuckte gleichzeitig zurück, als ihm der Ast ins Gesicht schlug.
Diesen Sekundenbruchteil der Überraschung hatte der Kiowa gebraucht. Mit einem wahren Hechtsatz sprang er Lassiter an und stieß mit dem Messer zu.
Lassiter taumelte unter der Wucht des Anpralls zurück und spürte, wie die scharfe Klinge seinen Jackenärmel zerfetzte, als er mit blitzschneller Körperdrehung dem tödlichen Stoß auswich. Dann riss er ein Knie hoch und rammte es dem Indianer in den Bauch. Der Kiowa verlor den Halt und stürzte nach rechts zu Boden.
Lassiter war erst wieder halb auf den Beinen, als der Indianer erneut mit dem Messer zustoßen wollte. Wieder musste Lassiter sich herumwerfen, und dann war der wütende Kiowa über ihm und warf ihn auf den Boden zurück.
Lassiter bekam das Handgelenk des Indianers zu fassen und hielt es eisern fest. Er stieß mit den Fingern der freien Hand nach den Augen der Rothaut.
Der Indianer heulte vor Schmerz auf und musste von seinem Gegner ablassen.
Lassiter benutzte sein nicht unbeträchtliches Körpergewicht dazu, den Indianer herumzuwälzen, dann knallte er ihm eine Handkante an den Hals.
Der rote Mann gab einen keuchenden Laut von sich und riss den Mund auf.
Lassiter packte mit beiden Händen nach dem Handgelenk des Indianers und drehte es mit aller Gewalt herum.
Der Kiowa ließ das Messer fallen.
Lassiter riss ihn auf die Beine und drosch ihm eine Faust ins Gesicht. Dieser Schlag hätte normalerweise genügt, die meisten Männer außer Gefecht zu setzen und halb umzubringen. Zwar tat er dem Indianer auch nicht gerade gut, aber der rote Krieger war jung, kräftig, zäh und verzweifelt. Er senkte und rammte Lassiter den Kopf in den Leib.
Lassiter wurde gegen den dicken Stamm einer Eiche geschleudert, packte nach dem Haar des Indianers, rutschte jedoch von dessen eingefettetem Skalp ab. Dafür gelang es ihm, mit der anderen Hand den Kopf der Rothaut herumzureißen und ihm einen wuchtigen Faustschlag genau auf die Kinnspitze zu versetzen.
Der Indianer geriet ins Stolpern.
Lassiter jagte ihm eine glasharte Rechte in den Leib.
Der Kiowa krümmte sich vor Schmerz.
Lassiter riss ein Knie hoch und rammte es dem anderen unters Kinn. Er ließ einen rechten Aufwärtshaken folgen, der unter der Kinnlade des Indianers landete.
Der Kiowa brach nach vorn zusammen und blieb auf dem Boden liegen. Sein Körper zuckte noch wie eine Schlange, der man den Kopf abgeschlagen hat.
Lassiter zog das Bowiemesser aus der Lederscheide an der Hüfte und stieß zu.
Er verzog angewidert das Gesicht, brachte einen Arm an die Nase und schnupperte daran.
Zu den Dingen, die Lassiter besonders hasste, wenn er sich mit einem Indianer auf einen Nahkampf einlassen musste, gehörte es vor allem, dass man hinterher jedes Mal nach rohem Fisch und Büffelfett stank.
Lassiter wischte das Messer am Lendentuch des Indianers ab, schob es in die Scheide zurück und ging lässig auf die Stelle zu, wo Reverend Herbert auf ihn wartete. Er sagte nichts. Der Reverend warf nur einen Blick in Lassiters Gesicht und wusste Bescheid. Er fragte nichts.
»Und nun wollen wir doch mal sehen, ob wir herausbekommen, wer dieser gottverdammte Narr war«, knurrte Lassiter. Er drehte den weißen Mann um, der vor kurzem von den Kiowa getötet worden war. Mit praktischen Griffen, die auf viel Erfahrung schließen ließen, durchsuchte er die Taschen des Toten. Der Mann trug gute Kleidung. Seine Wäsche war frisch gewaschen und gebügelt. Um einen Weidestrolch handelte es sich also bestimmt nicht.
In der inneren Jackentasche fand Lassiter einen fein säuberlich zusammengefalteten Brief. Er öffnete ihn und las:
Mr. Abraham Kinder,
Wheelford, Texas
Lieber Mr. Kinder,
der Überbringer dieses Briefes ist Amos Seward von Del Rio. Er ist der richtige Typ von Mann, den ich für Sie finden sollte... angesehen, ehrlich, zuverlässig. Er ist mit Ihrem Vorschlag einverstanden: Fünfhundert Dollar als Anzahlung für seine Dienste, der Rest, wenn alles klappt. Viel Glück!
Ihr alter Freund
Robert Anderson
Lassiter hätte jetzt beinahe gelächelt. Beinahe. Nachdenklich faltete er den Brief wieder zusammen und steckte ihn in die Tasche. Fünfhundert Dollar war verdammt gutes Geld... und er könnte es wahrhaftig brauchen. Wenn er sich dafür als Amos Seward ausgeben musste, würde er es eben tun. Außerdem stand in diesem Brief ja auch noch etwas von mehr Geld.
Wheelford lag nördlich von hier am Madison River, etwa einen halben Tagesritt von dem Ort entfernt, wohin er den Reverend bringen sollte.
Der Fluss markierte offiziell das Ende des Kiowa-Territoriums, was die Indianer jedoch nicht daran hinderte, gelegentlich auch kleine räuberische Ausflüge auf der anderen Seite zu unternehmen.
Lassiter hob den Kopf und sah, wie der Reverend ihn aufmerksam beobachtete.
»Nun, Mr. Lassiter...?«, fragte der Geistliche. »Haben Sie den Namen des armen Mannes herausbekommen?«
»Amos Seward von Del Rio«, brummte Lassiter.
»Stand in diesem Brief auch, wohin er wollte?«
»Das war ein Gefängnis-Entlassungsschein«, log Lassiter, ohne dabei mit der Wimper zu zucken. »Es geht gegen meine christliche Natur, einen Mann zu begraben und die Beweise für seine vergangenen Sünden in seiner Tasche zu lassen.«
»Sehr lobenswert, Mr. Lassiter«, sagte Reverend Herbert. »Sehen Sie, es steckt doch sehr viel Gutes in Ihnen.«
Lassiter grinste nur und schwang sich auf sein Pferd, ein gutes, ausdauerndes Tier, das er in Jefferson City von einem ehemaligen Rosshändler gekauft hatte.
»Machen wir uns lieber schleunigst aus dem Staube«, sagte er.
Der Reverend sah ihn schockiert an.
»Was denn?«, rief er. »Wollen Sie den Mann etwa nicht begraben?«
»Dafür lasse ich Mutter Natur sorgen«, erwiderte Lassiter ungerührt. »Los, los, Mann, steigen Sie endlich auf! Oder wollen Sie sich vielleicht doch noch von einem Kiowa einen Pfeil in Ihren dicken Arsch jagen lassen?«
»Lassen Sie mich wenigstens noch ein paar Worte für die arme Seele sprechen!«, protestierte der Geistliche.
Lassiter dirigierte sein Pferd bereits herum.
»Meinetwegen tun Sie das«, knurrte Lassiter. »Vielleicht sehen wir uns dann zufällig mal irgendwo wieder. Vielleicht!« Er ritt in raschem Trott davon. Als er doch noch einen Blick zurückwarf, sah er, wie der Reverend bereits halb im Sattel war und sich anschickte, ihm zu folgen.
Kurz darauf ritt Reverend Herbert neben Lassiter her.
»Sie sind ein Mann von merkwürdigen Gegensätzen, Lassiter«, sagte Herbert. »Der Teufel und der Herr streiten sich um Ihre Seele.«
»Yeah«, grollte Lassiter. »So wird's wohl sein. Aber Ihre Seite hat schon lange verloren, Reverend.«
Lassiter warf seinem Begleiter einen Blick zu und sah, dass jener schon den Mund öffnete, um wieder irgendeinen frommen Spruch aus der Bibel zu zitieren.
»Halten Sie die Klappe, Reverend«, kam Lassiter dem anderen zuvor. »Ich muss nachdenken.«
Und Lassiter dachte sogar sehr angestrengt nach, bis man den Madison River erreichte, wo der Reverend ihm die zweite Hälfte der versprochenen fünfzig Dollar gab.
»Ich bin Ihnen sehr verbunden, Mr. Lassiter«, sagte Reverend Herbert. »Vielleicht treffen wir uns einmal wieder. Ich werde eine ganze Weile in diesem Territorium herumreiten. Hoffentlich haben diese letzten drei Tage in meiner Gesellschaft wenigstens etwas Gutes bei Ihnen bewirkt.«
»Doch, doch, Reverend«, erwiderte Lassiter grinsend. »Ich bin zu einem ganz neuen Menschen geworden.« Danach riss er sein Pferd herum und ritt in nördlicher Richtung am Ufer des Madison River entlang.
Als er in Wheelford eintraf, saß er genauso kerzengerade im Sattel, wie es Amos Seward von Del Rio getan hatte, als er durchs Kiowa-Territorium geritten war.
II
Wheelford war eine Überraschung für den hünenhaften Mann. Nicht dass sich die Stadt von anderen Orten so sehr unterschieden hätte; sie war ganz einfach sauberer und machte einen ordentlichen Eindruck.
Lassiter sah ein paar Betrunkene auf staubigen Veranden herumliegen. Das Hotel war frisch gestrichen worden. Vielleicht war der kleine Armee-Posten, den Lassiter etwa eine Meile vor der Stadt gesehen hatte, für die Ordnung hier verantwortlich.
Es war bereits später Nachmittag, und die Sonne warf schon lange Schatten.
Lassiter hielt sich kerzengerade im Sattel und dachte schon daran, vor dem Saloon abzusteigen, um sich ein bisschen zu erkundigen, als sein Blick auf das große Schaufenster eines Ladens auf der anderen Straßenseite fiel. Er las: Abraham Kinder — Anwalt — Landvermesser. Lassiter ritt hinüber, stieg ab, band sein Pferd an der Verandabrüstung an und ging ins Office. Es war ein großer Raum mit zwei Ledersesseln vor einem Schreibtisch. Vier Leute waren anwesend. Lassiter musterte alle sehr rasch. Das machte er immer. Zuerst prägte er sich das Wichtigste ein. Die Details hatten Zeit bis später.
Der Mann hinter dem alten Schreibtisch hatte weißes Haar, war ziemlich groß und saß in Hemdsärmeln da. Durchdringende, blaue Augen sahen ruhig zu ihm herüber.
Vor dem Fenster saßen zwei Cowboys.
Neben dem Mann am Schreibtisch stand ein Mädchen in Levis und losem rotem Hemd, unter dem sich sehr große Brüste abzeichneten. Das Haar schimmerte golden wie reifer Weizen in der Morgensonne.
»Mr. Kinder?«, fragte Lassiter.
»Yeah«, antwortete der Mann hinter dem Schreibtisch und stand auf. Er hatte große, kräftige Hände und war trotz seiner Jahre zweifellos noch ein sehr rüstiger Mann.
Lassiter zog den zusammengefalteten Brief aus der Tasche und reichte ihn dem Mann.
Während Mr. Kinder den Brief auseinanderfaltete und las, sah sich Lassiter etwas gründlicher im Raum um. Besonders lange musterte er das Mädchen, das seinem Blick gelassen standhielt und genauso prüfend erwiderte.
Lassiter lächelte höflich und freundlich.
Die Augen des Mädchens verrieten kühles, spöttisches Interesse. Sie verrieten Lassiter aber auch noch verschiedenes andere. Solche Augen hatte er schon oft gesehen, vor allem bei Frauen, denen es Spaß macht, die Männer an der Nase herumzuführen.
Lassiter wandte seinen Blick schließlich vom Mädchen ab, doch nicht ohne zuvor rasch noch einmal die üppigen Brüste anerkennend gemustert zu haben, die sich trotz des losen Hemds fest gegen den Stoff pressten.
Er wandte seine Aufmerksamkeit nun den beiden Cowboys am Fenster zu. Sie hockten auf der breiten Fensterbank. Der größere von ihnen hatte harte Augen und ein arrogant vorgeschobenes Kinn. Lassiter kannte diesen Typ. Wahrscheinlich Vormann auf irgendeiner Ranch und anderen Männern gegenüber härter als unbedingt nötig, in Wirklichkeit aber längst nicht so hart, wie er von sich selbst glaubte.
Lassiter sah wieder zu Mr. Kinder hinüber, der ihn jetzt prüfend und eindringlich anstarrte, um ihn einer gründlichen Inspektion zu unterziehen.
»Freut mich, dass Sie sicher hier angekommen sind, Seward«, sagte Kinder und streckte Lassiter die rechte Hand entgegen.
Lassiter umschloss sie mit eisenhartem Griff.
»Und ich bin froh, endlich hier zu sein, Sir«, sagte er und erstickte beinahe am letzten Wort.
»Das ist meine Tochter Ellen«, stellte Kinder das Mädchen an seiner Seite vor.
Lassiter tippte kurz an die Hutkrempe; gerade mit dem allernotwendigsten Anflug von Respekt, wie es Amos Seward wohl auch getan hätte.
Das Mädchen nickte nur und sah Lassiter leicht amüsiert an.
Es hatte die gleichen blauen und durchdringenden Augen wie der Vater.
»Ich bin froh, dass Anderson Sie für diesen Job gewinnen konnte, Amos«, fuhr Kinder fort. Sein Blick studierte immer noch aufmerksam den großen Mann vor dem Schreibtisch. »Was haben Sie denn gerade getan, als Bob Sie fand?«
»Ich war auf der Suche nach 'nem neuen Job«, antwortete Lassiter.
»Na, das war ja dann gut für uns beide, was?«, meinte Kinder. »Haben Sie schon mal auf 'ner Ranch gearbeitet?«
»Ein bisschen«, sagte Lassiter und bemühte sich dabei, den harten Tonfall aus seiner Stimme herauszuhalten.
»Ich hab 'ne Ranch draußen vor der Stadt«, sagte Kinder. »Wenn diese Sache hier vorbei ist, werden Sie vielleicht Lust haben, für mich zu arbeiten.«
Normalerweise hätte Lassiter den anderen jetzt aufgefordert, den Schmus wegzulassen und lieber sofort zur Sache zu kommen, aber er erinnerte sich gerade noch rechtzeitig genug daran, dass er die Rolle von Amos Seward zu spielen hatte.
»Ich werd's mir bestimmt überlegen«, sagte er deshalb nur.
»Kennen Sie Anderson schon lange?«, wollte Kinder jetzt wissen.
»Nein«, sagte Lassiter, dem es immer schwerer fiel, seinen Ärger zu unterdrücken. Dieser Kinder bezweckte doch irgendetwas mit seinem freundlichen Gehabe, dachte Lassiter. Die nächste Bemerkung des weißhaarigen Mannes bestätigte seinen Verdacht.
»Hat er Ihnen erzählt, dass ich in diesem Territorium Richter war, bevor ich mich zur Ruhe setzte?«, fragte Kinder.
Lassiter schüttelte den Kopf. Er überlegte, ob diese so lässig getroffene Feststellung wirklich so lässig gemeint war.
»Nun, jetzt sind Sie jedenfalls hier, Amos, und das ist wohl das Wichtigste«, schloss Kinder. »Über alle Einzelheiten können wir morgen früh sprechen. Im Moment muss ich noch ein paar Schriftstücke erledigen, und Sie werden doch gewiss auch recht müde sein, was?«
»Bin ich«, log Lassiter. »Da wäre nur noch eins, Mr. Kinder... ich möchte die Abmachungen zwischen uns lieber sofort klären, damit wir beide sicher sein können, dass wir uns gegenseitig richtig verstehen.«
»Und ich dachte, Bob hätte schon alles mit Ihnen geklärt«, sagte Kinder, und jetzt hörte es sich leicht überrascht an. Er warf einen Blick auf den Brief und fügte hinzu: »Hier steht doch, dass Sie einverstanden sind und...«
»Ich weiß«, unterbrach ihn Lassiter kurz. »Aber ich möchte es trotzdem ganz gern noch mal von Ihnen persönlich hören. Ich meine, im Moment habe ich doch nur Andersons Wort, dass er in Ihrem Auftrag gesprochen hat.«
Kinder sah einen Moment nachdenklich drein, dann lächelte er.
»Das ist vernünftig genug«, sagte er. »Also gut: Sie bekommen fünfhundert für Ihre Dienste, die Hälfte im Voraus. Außerdem zehn Prozent von dem Geld, das bei dieser Sache herausspringt. Natürlich hoffe ich, dass etwas dabei herausspringen wird.«
Lassiters Gedanken jagten sich. Jetzt hatte er zwar auch noch nicht viel mehr erfahren, aber er wollte sich auch nicht zu auffällig nach Dingen erkundigen, die ihm offensichtlich bereits bekannt sein müssten. Jedenfalls handelte es sich nicht nur um fünfhundert Dollar. Das hatte zwar auch schon im Brief gestanden, aber Kinder hatte es jetzt nochmals ausdrücklich bestätigt.
»Nehmen Sie sich ein Zimmer im Hotel, Amos«, sagte Kinder. »Sagen Sie Bescheid, dass ich's bezahle.«
»Sehr verbunden«, sagte Lassiter. Er wollte sich umdrehen, sah aber erst noch einmal zu Ellen Kinder hinüber. Der leicht amüsierte Ausdruck in den Augen des Mädchens hatte sich nicht verändert. Hoffentlich kann sie meine Gedanken nicht lesen, dachte Lassiter. Er wollte diesen Job möglichst ohne Nebenprobleme durchführen.
Lassiter ging hinaus. Im Großen und Ganzen war er mit seiner Vorstellung zufrieden. Er griff nach den Zügeln seines Pferdes und führte es zum Hotel-Stall.
»Ich werde Ihr Pferd absatteln, Mister«, erbot sich der Stalljunge und griff dabei auch schon nach den Zügeln.
Lassiter schnippte dem Jungen eine Münze zu.
Es war jetzt fast dunkel.
Lassiter ging ins Hotel, ließ sich ein Zimmer geben und ging dann über die Straße in den Saloon.
Ein paar Cowboys standen an der Bar. An zwei Tischen wurde gepokert. Viel Betrieb war noch nicht. Dafür war es noch zu früh.
In einer Ecke saßen fünf Mädchen, deren Gesichter viel zu viel Make-up zeigten. Die jüngeren versuchten älter, die älteren jünger auszusehen. Ihre Augen drückten ganz unverhohlene Einladungen aus.
Lassiter hatte fünfzig Dollar in der Tasche und die Aussicht, bald noch etwas mehr zu bekommen. Die Kleine mit dem strammen, runden Arsch interessierte ihn. Nun, mal sehen, dachte er.
Lassiter nickte ihr kurz zu. Sie stand sofort auf und kam zu ihm herüber. Er schüttelte jedoch den Kopf. Das Mädchen blieb zögernd stehen, runzelte die Stirn, zuckte hochmütig die Schultern und machte wieder kehrt.
Lassiter hatte sich gerade noch rechtzeitig genug an seine Rolle als Amos Seward erinnert.
Kinder hatte als Ex-Richter bestimmt überall hier in der Stadt Freunde. Der Barkeeper dürfte zweifellos einer davon sein. Was Klatsch anbelangte, so dürfte sich Wheelford wohl kaum von anderen Orten unterscheiden. Der angesehene, ehrliche, zuverlässige Amos Seward würde wohl kaum mit dem erstbesten Saloon-Girl ins Bett gehen, kaum dass er in der Stadt eingetroffen war.
Verdammt, fluchte Lassiter im Stillen vor sich hin. Nicht mal 'n bisschen Spaß kann man haben!
Er bestellte sich einen doppelten Whisky und ein dickes Roastbeef-Sandwich.
An einem kleinen Tisch in der Ecke aß und trank er. Die aufreizend-einladenden Blicke der Mädchen ignorierte er.
Lassiter wollte den Saloon schon wieder verlassen, als er die beiden Cowboys hereinkommen sah, die er vorher in Kinders Office gesehen hatte. Der große Mann mit den harten Augen ließ seinen Blick rasch durch den Raum wandern. Als er Lassiter entdeckte, zögerte er kurz, dann ging er weiter zum Tresen. Der andere Mann folgte ihm.
Lassiter stand auf, zahlte und verließ den Saloon durch die Schwingtür.
In seinem Hotelzimmer schloss er die Tür hinter sich ab, legte seinen Waffengurt neben dem Kissen aufs Bett und zog sich aus.
Anschließend gönnte er sich den Luxus eines ausgiebigen Bades, bevor er zu Bett ging und seine langen Gliedmaßen wohlig streckte.
Was zum Teufel!, sagte er sich. Ein gesunder Schlaf dürfte für ihn jetzt besser sein als ein Ringkampf mit einem Paar gemieteter Titten!
Lassiter hatte an sich nicht allzu viel für Huren übrig, und meistens brauchte er sie auch gar nicht. Bei Frauen hatte er im allgemeinen Glück.
Das Bett war gut. Lassiter fühlte sich ausnehmend wohl, und wenn er auch noch immer nicht wusste, worum es sich bei diesem Job eigentlich handelte, so versprach die Sache zumindest hinreichenden Profit. Er würde es schon noch früh genug erfahren.
Lassiter wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, als an die Tür geklopft wurde. Vielleicht ein paar Stunden. Seine rechte Hand griff sofort nach dem Colt neben dem Kissen. Er zog den Hammer mit dem Daumen zurück, bevor er die Augen noch richtig offen hatte.
»He, Seward!«, rief jemand draußen vor der Tür. »Nachricht von Mr. Kinder!«
Lassiter stand auf, zog die Hose an und ging zur Tür. Auf halbem Wege blieb er stehen und sah auf den 45er in seiner rechten Hand. Er kehrte noch einmal zum Bett zurück und schob die Waffe wieder ins Holster.
Amos Seward wäre wohl kaum der Typ von Mann gewesen, die Tür zu öffnen und dabei einen gespannten Colt in der Hand zu halten... und schon gar nicht, wenn es sich bei dem Besucher um einen Boten des neuen Arbeitgebers handelte.
Lassiter grinste und war stolz auf sich, weil er seine Rolle schon so gut spielte.
Er öffnete die Tür.
Die beiden Männer drängten ungestüm herein und stießen Lassiter grob ins Zimmer zurück.
Der große Bursche mit den harten Augen hatte einen Walker-Colt in der Faust und hielt ihn Lassiter vors Gesicht. Der andere Mann hatte ebenfalls eine Waffe gezogen. Der Hartäugige trat etwas zurück und schlug die Tür mit dem Fuß zu.
»Nimm seinen Waffengurt und leg ihn dort drüben auf die Kommode!«, rief er seinem Partner zu.
»He, was soll das alles?«, knurrte Lassiter. »Sagten Sie nicht was von 'ner Nachricht von Mr. Kinder?« Er spielte immer noch die Rolle von Amos Seward, obwohl er spürte, dass es kaum noch Zweck hatte.
»Stimmt«, grinste der große Cowboy. »Mr. Kinder möchte gern wissen, wer Sie sind. Wir sollen's für ihn herausfinden.«
Lassiter hätte jetzt am liebsten eine laute Verwünschung ausgestoßen. Zum Teufel, was war hier schiefgegangen? Hatte vielleicht jemand den toten Seward gefunden und in die Stadt gebracht?
»Ich hab Mr. Kinder doch schon gesagt, wer ich bin«, grollte Lassiter. »Außerdem hat's doch im Brief gestanden, den ich ihm gebracht habe.«