Last Loser in Paris - John Burger - E-Book

Last Loser in Paris E-Book

John Burger

0,0

Beschreibung

Der Roman ist der dritte Band der Last Loser-Serie und unabhängig von der Vorgeschichte unterhaltsam. Erstleserin DC: Es war sehr spannend, ich habe den Roman in nur zwei Tagen gelesen. Die Geschichte um das Rennpferd Last Loser ist eine Fiktion. Der dritte Band ist aber auch ein Zeitdokument: Der Roman spielt in der Schweiz, in Frankreich und in Deutsch-land zur Zeit des Covid-bedingten partiellen Lockdowns. Der Krimi deutet an, wie schwierig heute die Verbrechensbe-kämpfung für die Ermittler und Vollzugsbehörden ist, wenn es sich um eine Bande handelt, die international vernetzt ist und über viel Geld verfügt. Und er erklärt, weshalb der Pferderennsport in der Schweiz in den letzten 50 Jahren an Bedeutung verloren hat und warum der Galopprennsport weltweit mit Problemen zu kämpfen hat.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 174

Veröffentlichungsjahr: 2024

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Andi Bucher ist allein

2. Peggy und Peter im neuen Zuhause

3. Fund im Baustellenwagen

4. Last Loser zurück in Frankreich

5. Neue Perspektiven

6. Ein Brief von Bedeutung

7. Der Buchmacher bleibt vermisst

8. Warnung der Kriminalpolizei

9. Brief von Riss an Séverine

10. Bucher schreibt Séverine

11. Leiche im Regenwassertank

12. Séverine Marlin schöpft Hoffnung

13. Schmuggel von Kunstwerken?

14. Peter wird erneut einvernommen

15. Das Urteil

16. Die Ermittlungen machen Fortschritte

17. Keine Erleichterung

18. Gerüchte über den Schmuggler

19. Ventura

20. Ein Rätsel und ein Verdacht

21. Wettskandal im Fussball ?

22. Gute Nachrichten von Last Loser

23. Bucher wird wieder aktiv

24. Lagebeurteilung in Rotterdam

25. Rätsel um den Tod von Pad Davies

26. Eindringliche Warnung der Polizei

27. Bucher macht sich auf den Weg

28. Hindernissport in der Schweiz

29. Auf der Suche nach einem Versteck

30. Bucher wird abgewiesen

31. Sèverine und Riss in regem Austausch

32. Peter erholt sich

33. Bucher auf der Fahrt zurück

34. Riss geht auf Reisen

35. Der Weg ins Paradies

36. Tagung der Kriminalisten

37. Störenfried

38. Ernüchterung

39. Die Entlassung wird angekündigt

40. Die Planung

41. Riss geniesst Vorrang

42. Der Hund riecht etwas

43. Bucher und die Polizei von Moulins

44. Séverine gerät in eine Zwickmühle

45. Bucher sind die Hände gebunden

46. Séverine und Riss im Chat

47. Frühe Tagwache

48. Wiedersehen

49. Kurze Zweisamkeit

50. Riss tappt im Dunkeln

51. Bucher erneut in Frankreich

52. Pascal und Eveline Duli

53. Last Loser auf Kurs

54. Riss sieht die Gefahr

55. Sophie lebt sich ein

56. Andi klärt auf

57. Das Mosaik nimmt Formen an

58. Ein Spaziergang

59. Hufbeschlag

60. Rob ärgert sich

61. Last Loser in Vittel

62. Riss wieder in der Waldhütte

63. Andi und Séverine verabreden sich

64. Andi und Séverine im Wald

65. Last Loser in Vichy

66. Das Hotel in Lapalisse

67. Die Verfolger haben Lunte gerochen

68. Pascal und Séverine

69. Die Explosion

70. Freude und Erleichterung beim Boss

71. Séverine muss erneut zügeln

72. Bucher muss sich unterordnen

73. Bucher plant die Falle

74. Bucher trifft Riss

75. Der Samstag

76. Rob hat Hoffnung

77. Der grosse Tag

78. Sandras Beobachtung

79. Erleichtert und gelöst

80. Der Mafia ist schwer beizukommen

Epilog

Dank

Über den Autor

Einleitung

Last Loser in Paris ist die Fortsetzung der Kriminalromane Last Loser und Last Loser in St. Moritz. Die bisherigen Ereignisse:

Im ersten Roman: Am Rennpferd Last Loser waren der im Zürcher Oberland wohnhafte Rentner Andi Bucher und die in Frankreich studierende Sandra Keller beteiligt. Ohne deren Wissen vertauschte die Französin Séverine Marlin den Hengst in Irland mit dem gleich aussehenden, in Irland trainierten Rocket. Die beiden Pferde waren völlig unterschiedlicher Klasse. Nachdem der „falsche“ Last Loser als grosser Aussenseiter mit einträglichen Wettquoten drei Rennen gewonnen hatte, flog der Schwindel mit dem Pferdetausch auf. Séverine Marlin hatte eine Selbstanzeige gemacht. Es war ihr unheimlich geworden, nachdem mehrere Personen im Umfeld der beiden Pferde auf mysteriöse Weise das Leben verloren hatten.

Im zweiten Roman machten sich Andi Bucher und sein Freund Viktor Riss auf die Verbrecherjagd, ohne die Polizei miteinzubeziehen. Sie vermuteten den Übeltäter in der Person des irischen Buchmachers Pad Davies. Sie brachten mit ihrem zögerlichen und eigensinnigen Vorgehen Sandra Keller in Lebensgefahr, ohne wirklich vor der Lösung des Falles zu stehen. Als Bucher und Riss endlich die Polizei über die eigenen Ermittlungen informierten und die irische Polizei den Buchmacher verhaften wollte, blieb dieser unauffindbar.

1. Andi Bucher ist allein

Der Rentner Andi Bucher sass im Arbeitszimmer seines Einfamilienhauses. Alleine wie fast immer seit dem Tod seiner Ehefrau. Die Wiese vor dem breiten Fenster war schneebedeckt. Schon während seinen Ferien im Engadin hatte es im Unterland geschneit, mehr als in anderen Jahren. In der vergangenen Nacht waren zehn Zentimeter dazu gekommen. Eigentlich liebte Andi Winterlandschaften und besonders lockeren Neuschnee. Das breite Fenster seines Arbeitszimmers gab bei gutem Wetter einen herrlichen Blick in die Glarner und Innerschweizer Alpen frei.

Aber jetzt war es neblig und trüb. Es war etwas wärmer geworden. Anstelle von federleichten Schneeflocken blies der kräftige Westwind grosse weisse Fetzen quer über die Wiese. Schon bei seinem kurzen Spaziergang mit dem Hund hatte Andi sich das Gesicht vor dem fast waagrecht treibenden Schnee schützen müssen. Es war das nasskalte Wetter, das auch hartgesottene Sportler davon abhält, länger als nötig im Freien zu bleiben.

Die Witterung verstärkte die dumpfe Stimmung, die Andi seit der Rückkehr aus dem Bündnerland bedrückte und wieder auf ihm lastete. Denn Schwermut hatte ihn in der Zeit belastet, als er Vera kennenlernte. Er hatte damals einsehen müssen, dass er zu Depressionen neigte. Nach langem Zögern hatte er bei einem Psychiater Rat geholt. Die Beziehung mit Vera begann unmittelbar vor der Einnahme von Psychopharmaka. Dank der Zuneigung und der Geduld dieser herzlichen Frau gelang es ihm damals, ohne medizinische Hilfe aus dem Tief herauszukommen. Andi interpretierte es später als göttliche Fügung, dass er im entscheidenden Augenblick seines Lebens Vera getroffen hatte.

Die ersten zwei bis drei Monate nach dem Tod von Vera waren wegen den Herausforderungen, welche ihr Hinschied an administrativen Arbeiten und an neuen zusätzlichen Pflichten im Haus mit sich brachten, einigermassen leicht vorübergegangen. Auch weil er nun alleine für den Hund zu sorgen hatte. Ausserdem hatte er vorsorglich den Kontakt zu seinen Kollegen der Männerriege intensiviert und entschieden, Unterricht mit der Klavierhandorgel zu nehmen, welche Vera ihm zum 50. Geburtstag geschenkt hatte. Hinzu waren im vergangenen Jahr die Turbulenzen gekommen, die der Rücktausch der beiden Vollblüter Last Loser und Rocket und die zweite Karriere seines Last Loser verursacht hatten. Vor allem die Abklärungen, wer hinter dem Betrug, den mysteriösen Todesfällen und Mordversuchen stand. Dann die Erkenntnis, dass der irische Buchmacher Pad Davies der Drahtzieher gewesen sein musste. All dies hatte dazu beigetragen, das Alleinsein leichter zu ertragen. Aber schon in den Wochen vor seiner Abreise ins Engadin war er mehrmals in eine Lethargie verfallen. Jetzt war es wieder da, dieses dumpfe Gefühl, die Übelkeit und das Bauchweh, welche zu Schlaflosigkeit, aber immer wieder auch zu Übermüdung führten.

Wäre sein Hund Silvano nicht gewesen, wäre er in diesen Tagen vermutlich nur selten aus dem Haus gegangen. So war er gezwungen, mindestens zweimal am Tag seine gewohnten Spazierwege abzuschreiten. Er traf dabei immer wieder auch auf andere Hundehalter, überwiegend Frauen im gesetzten Alter. Hie und da kam es zu einer kurzen Unterhaltung. Sie drehte sich meistens um die Hunde. Zwei dieser Hundehalterinnen, denen er häufig begegnete, begannen an ihm und an seinem Leben zunehmend Interesse zu zeigen. Die Kontakte hätte er vertiefen können. Aber die eine, die er eigentlich recht attraktiv fand, wirkte mit ihrer Redseligkeit so aufdringlich, dass er stets eine Ausrede erfinden musste, um das Gespräch beenden und sich verabschieden zu können. Und die andere, eine soweit herzliche, kleine, rundliche Dame, war so phlegmatisch, dass sich Bucher eine weitergehende Bekanntschaft schlicht nicht vorstellen konnte. Vermutlich war er in seiner langen Ehe hinsichtlich Zweisamkeit anspruchsvoll und verwöhnt geworden, ohne dies realisiert zu haben. Die Ehe mit Vera war zwar mitunter langweilig geworden. Aber erst jetzt, wo Vera nicht mehr da war, spürte er, wie viel sie ihm bedeutet und wie sehr er sich in ihrer Nähe geborgen gefühlt hatte. Und er erinnerte sich daran, wie lange es seinerzeit gedauert hatte, bis er auf die für ihn passende Lebenspartnerin gestossen war. So auf die Schnelle würde er keine weibliche Bekanntschaft mit langfristiger Perspektive machen.

Um besonders in trüben Tagen wie heute weniger in depressive Stimmung zu verfallen, hatte er für die nächsten zwei Wochen einige Treffen verabredet. Er hatte im Engadin einmal mehr gespürt, dass gesellschaftliche Kontakte sein Leiden linderten. Selbst Begegnungen wie mit dem eigenartigen Paar im Restaurant des Segelclubs von St. Moritz waren Abwechslungen gewesen, welche ablenkten. Aber nun war überall vom gefährlichen Virus Covid zu lesen, das sich nicht nur in Italien ausgebreitet hatte, sondern nun auch auf Frankreich und die Schweiz übergriff. Der Bundesrat mahnte zur Vorsicht und rief dazu auf, unnötige Kontakte zu meiden. Die Treffen der Männerriege waren bereits abgesagt worden, die Jassrunden1 auch. Sein Freund Viktor Riss hatte sich vorsichtshalber in seine vier Wände zurückgezogen. Die Unterhaltung mit Pferdesport am Computer wurde auch spärlicher. Es war die Rede davon, dass in Frankreich die Pferderennsaison unterbrochen werde. Wo führte das hin?

Die Umstände waren bedrückend. Je mehr Bucher sinnierte, desto tiefer wurde das Loch, in dem er sich befand. Es gab wenig Perspektiven auf Abwechslung, vor allem ohne Aussicht, sich irgendwo nützlich machen zu können. Was bringt ein materiell sorgenloses Rentnerleben in einem schönen und grossen Einfamilienhaus an prächtiger Wohnlage, wenn man keine Beschäftigung hat und man sich nirgends einbringen kann? Eigentlich gab es nur zwei Aspekte, die etwas Hoffnung liessen: Die Karriere seines Vollblüters Last Loser zum einen und vielleicht einmal ein Wiedersehen mit Séverine Marlin zum anderen. Aber Last Loser war nun nach Frankreich zurückgekehrt. Ob er nach seinem überraschenden Erfolg am White Turf in St. Moritz schon bald wieder Rennen laufen konnte oder eine Erholungspause benötigte, war ungewiss. Und weshalb hatte er eigentlich immer Séverine Marlin im Kopf? Sie war im Gefängnis, und ein Wiedersehen innert nützlicher Frist war eine Illusion. War es nicht gefühllos, so kurz nach dem Tod seiner Gattin immer wieder an diese Frau zu denken, die ihn hintergangen und ausgenützt hatte?

1 sich zum Kartenspiel Jass treffen

2. Peggy und Peter im neuen Zuhause

Peggy Stuck und ihr Freund Peter Miller waren sich schon einige Tage vor Weihnachten 2019 einig gewesen, möglichst schnell von England und Irland nach Kalifornien auszuwandern. Sie befürchteten Reaktionen des Buchmachers Pad Davies, dem Arbeitgeber von Peter, weil sie dessen Plan, unmittelbar vor dem Rennen anlässlich der Identifikation einzelne Rennpferde zu dopen, nicht befolgt hatten. Sie hatten den Flug nach Los Angeles bereits gebucht, als Peggy vor ihrer Haustüre betäubt und in den Kühlraum des Londoner Bestattungsinstituts gebracht wurde.

Kurz vor Jahreswechsel waren sie abgeflogen. Peggy hatte sich körperlich von der Unterkühlung schnell erholt. Der Vorfall belastete sie aber psychisch stark. In Los Angeles fühlte sich Peggy sicherer. Kurz vor ihrer Abreise hatte die britische Behörde ihr aus Sicherheitsgründen erlaubt, eine Namensänderung vorzunehmen und ihr einen Pass auf den Namen Peggy Wood ausgestellt. Die Fluggesellschaft war angewiesen worden, die Namensänderung der Passagierin zu genehmigen. So war Peggy als Miss Wood in die USA eingereist. Die Briten hatten zudem versichert, dass Peggy und Peter in Kalifornien wenn immer möglich unbehelligt bleiben würden und der Ort ihres Aufenthalts nur im Notfall mitgeteilt werde.

Peggy und Peter waren vorübergehend in einem Vorort von Los Angeles bei der mit Peggy befreundeten Tierärztin untergebracht. Zwei Wochen später konnten sie eine kleine Zweizimmerwohnung in Arkadia, ebenfalls einem Vorort von Los Angeles, beziehen. Peggy fand dank Vermittlung ihrer Freundin schon wenige Tage später bei einer grossen Kleintierpraxis eine Stelle als Pet-Nurse. Mehr Mühe, eine Beschäftigung zu finden, hatte Peter, weil er zwar einen amerikanischen Pass, aber kein Arbeitszeugnis vorweisen konnte. Er wollte Nachforschungen über seine Tätigkeit in Irland vermeiden, um den neuen Aufenthaltsort nicht preiszugeben. Mit schlecht bezahlter Handlangerarbeit im Dienste eines Gartenbauunternehmens kam er zu einem kleinen Einkommen, das zusammen mit Peggys Lohn vorerst genügte, den Lebensunterhalt zu bestreiten.

Peter behielt seine private irische Mailadresse bei. Er benutzte sie mit Vorsicht und ausschliesslich für Kontakte mit seinem besten ehemaligen Arbeits-kollegen, ohne aber in der Korrespondenz seinen Aufenthaltsort zu erwähnen. Sein Kollege informierte ihn Ende Februar über das Abtauchen des Chefs und die Ermittlungen der Polizei vor Ort. Die Informationen bestärkten Peter in der Überzeugung, mit dem Wegzug die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Er sollte allerdings später die bittere Erfahrung machen, dass er beim Verwischen seiner Spuren in Irland und England zu wenig sorgfältig vorgegangen war.

3. Fund im Baustellenwagen

Während stürmische und kalte Winde die Ostschweiz heimsuchten, erlebten 400 Kilometer nordöstlich davon die Bewohner des nordbayrischen Herzogenaurach Vorboten des Frühlings. Ein für die Jahreszeit ausgesprochen sonniger und warmer Sonntagnachmittag in den ersten Märztagen 2020 lockte die fünfköpfige Familie Schmid des Stadtteils Haundorf zu einem Spaziergang. Die Ansteckungsgefahr der neuen Covid-Pandemie schränkte die Freizeitprogramme stark ein. Es herrschte Unsicherheit. Welches Verhalten einer Familie gestattet und zweckmässig war, konnte den teils widersprüchlichen Informationen der Behörden über die Entwicklung der Pandemie nicht entnommen werden. Anders als auf den im Westen des Ortsteils im Naturschutzgebiet angelegten Wegen liess der Feldweg im Osten, unweit der etwas lärmigen Autobahn Würzburg-Erlangen, wenig Spaziergänger erwarten. So war es auch. Nur einsame Jogger kreuzten ab und zu den Weg.

Claudia Schmid schob den Kinderwagen mit der einjährigen Tochter. Ihr Ehemann Tom war einige Schritte voraus; er rannte immer wieder den Zwillingen hinterher. Die beiden Knaben waren fünf Jahre älter als das Mädchen und bereits recht geschickte, aber auch furchtlose Radfahrer. Trotz den Unebenheiten des Feldwegs kurvten sie hin und her. Zuweilen radelten sie in hohem Tempo davon, um dann wieder bedrohlich schnell in Richtung der Eltern und des Kinderwagens zurückzufahren.

Ein verlassener, alter Baustellenwagen fand die Aufmerksamkeit der Knaben. Er stand einige Meter vom Feldweg entfernt in der Wiese und machte einen vernachlässigten Eindruck. Die dunkelblaue Farbe blätterte ab, das Walmdach war rostig, das Glas des Fensters fehlte. Die Chance, einen Blick ins Innere dieses geheimnisvollen Gefährts zu werfen, weckte die Neugier der Knaben.

Die Türe des Baustellenwagens war mit einem Schloss verriegelt. Vor ihr stand ein Tritt aus dünnen Stahlrohren und einem dünnen Brett. Gemeinsam trugen die Knaben den Tritt vor das Fenster. Der Vater, der inzwischen fast wieder zu den Knaben aufgeschlossen hatte, liess sie gewähren. Der Tritt war breit genug, dass beide Knaben sich vor das Fenster hochziehen und ins Innere des Wagens spähen konnten. Es dauerte nicht lange, bis beide fast gleichzeitig vom Tritt hinuntersprangen und aufgeregt fuchtelnd zum Vater rannten: „Vati, da liegt jemand drin im Wagen, ganz ohne Kleider und bewegt sich nicht. Komm und schau!“

Der Vater ging zum Fenster des Baustellenwagens. Tatsächlich, man sah auf dem Boden liegend, der Oberkörper mit der Brust zur Wand gedreht, einen nackten Körper. Bei dem wenigen Licht, das durchs Fenster in den Wagen drang, war nicht eindeutig zu erkennen, ob es sich um einen Mann oder um eine Frau handelte. Dem Vater wurde leicht übel. Wortlos ging er zu seiner Ehefrau, die auf der Höhe des Baustellenwagens mit dem Kinderwagen und dem Mädchen stehen geblieben war. Die Knaben hielten sich an der Mutter fest, und alle blickten den Vater geschockt oder fragend an.

„Eine nackte Person liegt im Wagen. Sie regt sich nicht, und so wie sie liegt und weil sie nackt ist, muss sie durch die Türe oder durchs Fenster ins Innere gestossen worden sein. Ich benachrichtige die Polizei.“

Während der Vater mit seinem Handy die Nummer der Polizei wählte, blieben die beiden Buben verwirrt neben der Mutter stehen. Das Gespräch des Vaters mit der Polizei dauerte nicht lange.

„Geht zurück nach Hause. Ich bleibe hier, bis die Polizei eintrifft. Dann komme ich auch nach Hause.“

Als der Vater zwei Stunden später zur Familie zurückkehrte, begegnete ihm eine ungewöhnliche Stille. Die Buben fanden Ablenkung bei einem Videogame. Die Mutter löste Sudoku. Nur die einjährige Brigitta war emsig und ohne Unterbruch mit ihren Puppen beschäftigt. Den sonderbaren Fund beim Spaziergang hatte sie nicht mitbekommen. Der Vater richtete seine Information an die Ehefrau und die beiden Knaben:

„Die Polizei stellte fest, dass es sich um eine Frau handelt. Ich wurde gebeten, morgen auf dem Polizeiposten das Protokoll über meine Aussagen zu unterschreiben. Am besten ist für uns, wenn wir versuchen, diesen Ausflug zu vergessen.“

Tom Schmid ahnte nicht, dass die Entdeckung der Knaben ein wertvolles Puzzleteil für die Aufdeckung eines weltumspannenden Verbrechernetzes war.

4. Last Loser zurück in Frankreich

Nachdem in der letzten Februarwoche 2020 der fünfjährige Vollblüter Last Loser, der Sieger der Skikjöring-Trophy am White Turf von St. Moritz, nach Frankreich zurückgekehrt war, herrschte im Grossraum Paris bittere Kälte. Auf der weitläufigen Trainingszentrale von Chantilly-Lamorlay, im Norden von Paris, war das Training von Rennpferden wegen des gefrorenen Bodens bis anfangs März stark erschwert. Die Trainerin Karen Berg nutzte den Konditionsvorteil, den sich Last Loser im Engadin geholt hatte. Sie liess den Wallach bereits drei Wochen nach dem letzten Rennen in St. Moritz in Deauville laufen.

Die Mitbesitzerin Sandra Keller hätte gerne darauf verzichtet, den Renntag in Deauville zu besuchen. Sie hatte für Ausflüge keine Lust mehr. Der lebensbedrohende Vorfall im Skigebiet vom Piz Nair steckte ihr in den Knochen. Auch wenn der Skifahrer bei seinem Versuch, sie den Hang hinunter zu stossen, das Leben verloren hatte und diese Person sie nicht mehr behelligen konnte; es war unheimlich zu wissen, dass jemand ihr nachstellte. Zudem war ihr immer noch nicht klar, weshalb man es auf sie abgesehen hatte.

Die französische Kriminalpolizei konnte Sandra Keller schliesslich doch noch davon überzeugen, als Besucherin ans Rennen von Last Loser nach Deauville zu fahren. Sie sollte als Lockvogel für den zur Verhaftung ausgeschriebenen, aber wie vom Erdboden verschwundenen Buchmacher Pad Davies herhalten. Die Polizei übernahm die Reisekosten und beschattete Sandra den ganzen Tag mit einer Equipe in Zivil.

Gegen starke Gegner gewann Last Loser ein gut dotiertes Handicap. Vor und nach dem Rennen hielt sich Sandra Keller weisungsgemäss in der Nähe ihres Pferdes auf. Der Buchmacher trat nicht in Erscheinung. Von den Rennbahn-Besuchern schien niemand an Sandra Keller interessiert zu sein.

5. Neue Perspektiven

Mit dem Sieg in Deauville ging für Last Loser die erste Saisonhälfte unerwartet früh zu Ende. Die Pandemie Covid legte den Rennbetrieb auch in Frankreich lahm.

Die beiden Besitzer von Last Loser und die Trainerin waren sich schon vor der Expedition ins Engadin darüber einig gewesen, dass ein Aufenthalt von fast drei Wochen auf 1800 Höhenmetern die Formkurve eines Pferdes stark beeinflusst. Aufgrund ihrer Erfahrungen rechnete die Trainerin damit, dass das Pferd seine Form bis maximal sechs Wochen nach dem Höhentraining halten konnte und dann eine längere Pause notwendig war. Schon vor dem Abstecher ins Engadin hatte die Trainerin festgehalten, dass Last Loser als Pferd, das sehr ruhig und ausgeglichen ist und sich in allen Gangarten in absolutem Gleichgewicht bewegt, ein gutes Hindernispferd sein könnte. Allerdings sei sie nicht die richtige Person, um das Pferd für den Hindernissport auszubilden.

Der Unterbruch der Rennsaison gab vorzeitig Anlass, für den Wallach einen Hindernistrainer zu suchen. Sandra Keller trat Ende März in Vichy ihre erste Stelle als Physiotherapeutin an. Da lag es nahe, einen Trainer in der Auvergne zu suchen, zumal im nördlichen Teil der Auvergne viele für Hindernispferde spezialisierte Trainer arbeiteten. Das Training in dieser Region hatte auch für Andi Bucher Vorteile. Die Auvergne war von der Schweiz aus schneller erreichbar als Chantilly, sie war für das Training von Hindernispferden bekannt und die Kosten des Rennpferde-Trainings waren merklich tiefer als in der Agglomeration der französischen Hauptstadt. Andi erinnerte sich an den nach Frankreich ausgewanderten Westschweizer Henry Dupont, mit dem er seinerzeit Rennen bestritten hatte und der südlich von Moulins auf privatem Gelände zwei Dutzend Pferde trainierte.

Als Bucher der Mitbesitzerin telefonisch den Vorschlag unterbreitete, den Wallach im Raum Moulins ins Training zu geben, war Sandra Keller sofort begeistert: „Das wäre ja wunderbar. Und der Hindernisrennsport hat mich schon lange interessiert. Last Loser könnte dann auch in der Schweiz Hindernisrennen laufen.“

„Ich muss deine Erwartungen schon etwas dämpfen“, meinte Andi. „In der Schweiz gibt es immer weniger Hindernisrennen. Und in jedem der wenigen Rennen hat es praktisch immer eines oder zwei sehr gute Pferde. Da müsste unser Wallach schon sehr gut werden, wenn wir nicht zum Vornherein hohe Spesen und wenig Ertrag in Kauf nehmen wollen. Aber darüber können wir uns unterhalten, wenn Last Loser seine ersten Hindernisstarts in Frankreich hinter sich hat.“

6. Ein Brief von Bedeutung

Die Hausglocke läutete, der Hund sprang auf und raste an die Haustüre. Nachdem Andi Bucher ihn an die Leine genommen hatte, um ihn beim Öffnen der Haustüre unter Kontrolle zu haben, sah er durch das Fenster, wie das Auto des Postboten davonfuhr. Vor der Haustüre lag ein kleines Paket. Es trug französische Briefmarken. Wohl Broschüren von France Galop, dachte Andi. Als er das Paket aufhob, konnte er die Absenderadresse lesen: Georges et Susanne Marlin. Die Sendung stammte von den Eltern von Séverine Marlin.