Lehrerbücherei Grundschule: Sprachunterricht heute (19. Auflage) - Horst Bartnitzky - E-Book

Lehrerbücherei Grundschule: Sprachunterricht heute (19. Auflage) E-Book

Horst Bartnitzky

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Beschreibung

Das Buch setzt sich mit Entwicklungen der letzten Jahrzehnte auseinander und diskutiert sie zusammen mit aktuellen Ansätzen, schulpolitischen Vorgaben und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Dabei entsteht ein stimmiges Gesamtkonzept, Traditionelles wie Aktuelles wird hier berücksichtigt. Das Standardwerk im Lehramt Grundschule und Förderschule!Aus dem Inhalt:Lernbereich Sprache: fünf Prinzipien des Sprachunterrichtsdas Fach Deutsch: Entwicklung zu einer Didaktik des sprachlichen Handelnsdie verschiedenen Kompetenzbereiche im DeutschunterrichtAnfangsunterrricht Deutsch"Gute Aufgaben"Leistungsbeurteilunginklusiver Deutschunterricht]

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Lehrerbücherei

Grundschule

Herausgeber

Gabriele Cwik ist Schulrätin in der Schulaufsicht der Stadt Essen und zuständig für Grundschulen.

Dr. Klaus Metzger Schulamtsdirektor, zunächst Fachlicher Leiter des Staatlichen Schulamtes Aichach-Friedberg in Schwaben/Bayern, seit 2014 Landrat im schwäbischen Landkreis Aichach-Friedberg.

Der Autor dieses Bandes:

Dr. h. c. Horst Bartnitzky, Diplompädagoge, war Dezernent für Grundschule und Migranten bei der Bezirksregierung Düsseldorf. Er hat in vielen Funktionen die Entwicklung der Sprachdidaktik begleitet: als Lehrer und Ausbilder, als Vorsitzender von Lehrplankommissionen, als Herausgeber von Schulbüchern und Fachautor.

Horst Bartnitzky

Sprachunterrichtheute

Projektleitung: Gabriele Teubner-Nicolai, Berlin; Dorothee Weylandt, Berlin

Redaktion: Peter Süß, München; Doreen Wilke, Berlin

Gesamtgestaltung: LemmeDESIGN, Berlin

Umschlagfoto: stock.adobe.com/simoneminth

Illustrationen: Kapitel 7 Anfangsunterricht Deutsch - Das Werkzeug „Schreibtabelle“- Schreib-Lese-Rätsel": Liane Oser (Ofen, Sonne, Rose, Rakete) / Kristina Klotz (Esel, Roller, Lampe, Rad); Kapitel 7 Anfangsunterricht Deutsch - Das Werkzeug „Schreibtabelle“ - Abhörwörter: Kristina Klotz (Hahn, Nest, Drache, Banane, Nase, Telefon); Kapitel 8.4 Leistungsbeurteilung - Pädagogische Leistungskultur - Lernstände feststellen: Kristina Klotz (Tulpe, Fliege, Nagel, Stein, Tiger, Igel, Regen, Schrank, Hexe, Esel, Telefon) / Liane Oser (Eule, Pilz, Tor)

www.cornelsen.de

19. Auflage 2019

E-Book (ePUB) Version 1 2020

© 2011 Cornelsen Verlag Scriptor GmbH & Co. KG, Berlin© 2015 Cornelsen Schulverlage GmbH, Berlin

© 2020 Cornelsen Verlag GmbH, Berlin

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu §§ 60 a, 60 b UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung an Schulen oder in Unterrichts- und Lehrmedien (§ 60 b Abs. 3 UrhG) vervielfältigt, insbesondere kopiert oder ein­gescannt, verbreitet oder in ein Netzwerk eingestellt oder sonst öffentlich zugänglich gemacht oder wiedergegeben werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen.

E-Book ISBN 978-3-589-16800-2

Print ISBN 978-3-589-16591-9

Inhalt

Vorwort

1 Der Lernbereich Sprachen

1.1 Die sprachlichen Lernfelder

1.2 Kompetenzbezug als didaktische Grundorientierung

1.3 Fünf Prinzipien des Sprachunterrichts

Prinzip Kompetenzentwicklung

Prinzip Situationsbezug

Prinzip Sozialbezug

Prinzip Bedeutsamkeit der Inhalte

Prinzip Sprachbewusstheit

1.4 Die Besonderheiten der Sprachfelder

Deutsch

Deutsch als Zweitsprache

Fremdsprache

Begegnungssprache

Herkunftssprache

2 Das Fach Deutsch: Entwicklungen zu einer Didaktik des sprachlichen Handelns

2.1 Die Situation ist widersprüchlich bis diffus

2.2 Muttersprachliche Bildung in den 50er und 60er Jahren

2.3 Der erste didaktische Umbruch: Die „kommunikative Wende“

„Fünf Finger sind eine Faust“ – kritische Didaktik

„Streit um das Fernsehprogramm“ – Didaktik der sprachlichen Kommunikation

„Der liebe Wolf und die bösen Geißlein“ – Kreativitätsförderung

2.4 Der zweite didaktische Umbruch:Subjektivismus und Konstruktivismus

Von „kindorientiert“ zu „kindgeleitet“ – Subjektivismus

„Von der Instruktion zur Konstruktion“ – Konstruktivismus

2.5 Heute: Didaktik des sprachlichen Handelns

Fünf Prinzipien

Vier Kompetenzbereiche

3 Kompetenzbereich Sprechen und Zuhören

3.1 „Das Hauptgewicht sollte auf die gesprochene und gehörte Sprache gelegt werden.“

3.2 Alltagskommunikation – Metakommunikation – Projekte

Subjektivismus: Kindergespräche und demokratisches Sprechen

3.3 Aktuelle Akzente

Humane Gesprächskultur

Demokratisches Sprechen

Gesprächsregeln

Verstehend zuhören

Erzählen

Referieren/Präsentieren

Diskutieren

Szenisches Spielen

Sprechübung

3.4 Sprechen und Zuhören – heute

Leitidee

Lernumgebung

Kompetenzen

4 Kompetenzbereich Schreiben –mit Rechtschreiben und Handschrift

4.1 Was unterscheidet das Schreiben vom Sprechen?

4.2 Rückblick: Zweckgebundes Schreiben,sprachliche Intentionen, Schreibprozess

Subjektivismus: Gegen Formalismen und für freies Schreiben

Ergänzungen: Prozesse personalen und kreativen Schreibens

4.3 Aktuelle Akzente

Schreibentwicklung im Grundschulalter

Schreibbegründungen

Schreibsituationen

Schreibprozess

Prozessförderliche Institutionen in der Klasse

Kreatives Schreiben

4.4 Rechtschreiblernen

Rechtschreiben und das Schreiben eigener Texte

Kindgeleiteter Rechtschreibunterricht

Integrierter Rechtschreibunterricht

Tragfähige Grundlagen am Ende der Grundschulzeit

4.5 Handschrift: Schrift und Schreiben

Von normierten Ausgangsschriften zur handgeschriebenen Druckschrift

Grundschrift als Ausgangs- und Entwicklungsschrift

Phasen der Schriftentwicklung

4.6 Schreiben, Rechtschreiben und Handschrift – heute

Leitidee

Lernumgebung

Kompetenzen

5 Kompetenzbereich Lesen –mit Texten und Medien umgehen

5.1 Lesekompetenz hat eine Schlüsselfunktion

5.2 Rückblick: Erfahrungsbezug, weiter Literaturbegriff, kritisches Lesen

Subjektivismus: Gegen verordnetes Lesen und Interpretieren

Konstruktivismus: Leserorientierter Literaturunterricht

5.3 Aktuelle Akzente

Was ist Lesekompetenz?

Begründungen für das Lesen und den Umgang mit Medien

Lesekultur und Leseförderung

Leseerwartungen und Lesemodi

Handelnder Umgang mit Texten

Diskursive Methoden

Zur Textauswahl

Kinderliteratur

Ganzschriften/Langtexte

Sachtexte

Integrierte Medienerziehung

Präferenz von Schrift und Literatur

5.4 Lesen / mit Texten und Medien umgehen – heute

Leitidee

Lernumgebung

Kompetenzen

6 Kompetenzbereich Sprache und Sprachgebrauch untersuchen

6.1 „Fleißig ist ein Tuwort, denn da tut man ja was.“

6.2 Rückblick: Situationsorientierung, experimentelles Untersuchen, Integration und Kurs

6.3 Aktuelle Akzente

Metakommunikation und Metasprache

Andere Sprachen und Sprachvergleiche

Grammatik und operatives Untersuchen

Spielen mit Sprache

Enge und weite Wortfelder

Wortbildungen und Wortarten

Satzbildungen und Satzglieder

6.4 Sprache und Sprachgebrauch untersuchen – heute

Leitidee

Lernumgebung

Kompetenzen

7 Anfangsunterricht Deutsch

Zusammenspiel der Kompetenzbereiche von Anfang an

Lernfelder beim Weg in die Schrift

Schriftspracherwerb mit oder ohne Fibel

Ein möglicher Anfang

Das Werkzeug „Schreibtabelle“

Schreibbegründung und Schreibsituationen

Entwicklung des orthografischen Schreibens

Ausgangsschrift

8 Aktuelle Einzelfragen

8.1 Zur Inhaltlichkeit des Deutschunterrichts

Fachbezogene Inhalte

Überfachliche Inhalte: Lebensweltbezug

Planung mit dem Schlüsselwort „Lebenswelt“

Lebensweltbereich: kulturelle Tradition und Praxis – Thema der Unterrichtseinheit: Märchen

Unterrichtsreflexion

8.2 „Gute Aufgaben“

Kompetenzstufen und Anforderungsbereiche

Fünf Prinzipien des Deutschunterrichts und gute Aufgaben

8.3 Fördern

Kompetenzbezogener Förderunterricht

Kritische Stellen im Lernprozess

8.4 Leistungsbeurteilung

Die „Output-Steuerung“ des Bildungswesens

Klassenarbeiten

Pädagogische Leistungskultur

8.5 Inklusiver Deutschunterricht

Inklusive Didaktik – eine neue Aufgabe?

Die „Baustellen“ für die Realisierung inklusiver Deutschdidaktik

Literatur

Vorwort

Dieses Buch trägt den Titel „Sprachunterricht heute“. Das mag irritieren, geht es doch in der Hauptsache um den Deutschunterricht. Und doch stimmt der Titel, weil hier auch das Sprachprinzip in allen Fächern der Grundschule mit gemeint ist – in aktueller Terminologie: sprachsensibler Unterricht. Zudem verstehe ich den Deutschunterricht als ein Lernfeld im Lernbereich Sprachen, zu dem auch Fremd- und Herkunftssprachen gehören. Das soll zumindest am Anfang kurz geklärt werden.

Ansonsten ist der Schwerpunkt die Deutschdidaktik, und die hat es wahrlich in sich. In den letzten fünfzig Jahren hat sie sich mehrfach gewandelt – bisherige Konzepte wurden über den Haufen geworfen, neue Konzepte traten an die Stelle: Statt Dichterverehrung – kritisches Lesen, statt Aufsatzunterricht – freies Schreiben …

Auch gegenwärtig gibt es die Tendenz zu didaktischen Wenden, wie in den letzten Jahren mit der Output-Orientierung, der Verbreitung silbenbasierter Lese- und Rechtschreibkonzepte, der Debatte um den lautorientierten Einstieg in die Schriftsprache.

Ist alles Neue per se richtig und alles Bisherige per se falsch oder ist es andersherum? Nein, Einseitigkeiten und Verabsolutierung des einen wie des anderen sind nicht Kennzeichen professioneller Lehrerarbeit. Neue Ansätze und Konzepte müssen auf ihre Tauglichkeit für ein stimmiges Gesamtkonzept bedacht werden. Dabei ist das Bewusstsein für Zusammenhänge so wichtig wie der kritische Umgang mit der didaktischen Schatzkiste, die sich in der Sprachdidaktik in über hundert Jahren reichlich gefüllt hat.

Zu solchem professionellen Denken und Handeln soll dieses Buch beitragen. Es greift auf Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zurück und diskutiert sie zusammen mit aktuellen Ansätzen, schulpolitischen Vorgaben und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Dabei geht es um ein stimmiges Gesamtkonzept, bei dem Traditionelles wie Aktuelles gewichtet, übernommen, revidiert oder ausgeschieden wird.

„Sprachunterricht heute“ ist von der ersten Auflage 1987 an rasch ein Standardwerk im Lehramt Grundschule und Förderschule geworden. Ich hoffe, es kann auch in dieser wiederum aktualisierten Fassung zur didaktischen Orientierung und zur professionellen Arbeit beitragen.

Horst Bartnitzky

1 Der Lernbereich Sprachen

1.1 Die sprachlichen Lernfelder

Sprachunterricht war früher identisch mit Deutschunterricht. Mit dem Begriff „Sprachunterricht“ wurde ein Bedeutungszusammenhang zum Begriff der „Sprachgemeinschaft“ geschaffen, die sich durch die eine gemeinsame Sprache definiert: die Muttersprache, hierzulande eben Deutsch als muttersprachlicher Unterricht. Sprachunterricht heute muss dagegen den Blick auf verschiedene Sprachen weiten, die in unserer Gesellschaft und im Leben der Schulkinder eine Rolle spielen.

Englisch ist als internationale Verständigungssprache in der globalisierten Welt eine Lingua franca. Hierzulande ist sie in den meisten Bundesländern bereits in der Grundschule die erste Fremdsprache, tendenziell schon ab Klasse 1. In einigen Bundesländern ist aus regionalen bzw. historischen Gründen eine andere Sprache die erste Fremdsprache, wie etwa im Saarland Französisch. Hinzu kommen Herkunftssprachen von Kindern, die selbst, ihre Eltern oder Großeltern aus nicht deutschsprachigen Ländern stammen. Die Fähigkeiten in diesen Sprachen zu fördern, kann für diese Kinder biografisch wichtig sein. Für die Gesellschaft ist es bedeutungsvoll, vermehren diese Sprachen doch die in der Gesellschaft vorhandenen sprachlichen Ressourcen.

Ein besonderes Arbeitsfeld ist Deutsch als Zweitsprache für Kinder, die nicht mit Deutsch als Familiensprache aufwachsen. Dabei wurde in den letzten Jahren deutlich, dass für Bildungserfolg nicht die Fähigkeit zu alltäglicher Kommunikation ausreicht. Vielmehr muss Deutsch auch auf der Ebene der Bildungssprache vermittelt werden, die erst das Verstehen fachlicher und literarischer Texte, den Umgang mit formaler und abstrahierender Sprache möglich macht. Auch wurde eine Einsicht der 60er Jahre wieder aktualisiert, dass viele Kinder aus bildungsferneren Milieus, eben auch Kinder aus Deutsch sprechenden Familien, über Bildungssprache (damals hieß das „elaborierter Sprachcode“) wenig oder gar nicht verfügen. Auch sie sind zur Wahrung ihrer Bildungschancen auf den Erwerb der Bildungssprache angewiesen.

Alle Kinder begegnen in ihrer Lebens- und Erfahrungswelt anderen Sprachen als der deutschen Standardsprache: durch Kinder mit anderen Herkunftssprachen in der Klasse, durch die Sprache der Nachbarn im grenznahen Raum, bei Sprachbegegnungen im Urlaub, durch Lieder und Schriftzüge im Ortsbild, durch Dialekte. Das sind Begegnungssprachen.

Lernbereich Sprache

Deutsch

einschließlich Deutsch als Bildungssprache / Deutsch als Zweitsprache

nichtdeutsche

Herkunftssprachen

internationale

Verständigungssprache,

z. B. Englisch als Weltsprache, die Sprache der Nachbarn im grenz­nahen Bereich

Begegnung mit Sprachen

als Fenster zwischen Sprachen, denen Kinder in der Lebenswelt begegnen

Kurz: Sprachunterricht heute ist ein Lernbereich, der die verschiedenen, oben aufgezeigten Sprachfelder zusammenfasst. Sprachlicher Grundschulunterricht ist mithin mehrsprachiger Unterricht.

Allerdings liegt das Hauptgewicht auf dem Deutschunterricht und, damit verbunden, auf dem Aspekt der Bildungssprache, denn Deutsch als Landessprache ist die tragende Arbeits- und Gesellschaftssprache. Von ihren deutschsprachigen Kompetenzen hängt für alle Kinder erfolgreiches, weiterführendes Lernen ab; sie ermöglichen die Teilhabe am integrierten gesellschaftlichen und kulturellen Leben.

1.2 Kompetenzbezug als didaktische Grundorientierung

Jeder moderne Sprachunterricht ist kompetenzbezogener Unterricht. Seitdem die Kultusministerkonferenz bundesweite Bildungsstandards, z. B. im Fach Deutsch, für den Primarbereich verbindlich machte und dabei den Kompetenzbezug zugrunde legte, gilt dies auch amtlich (KMK 2005). Didaktisch ist der kompetenzbezogene Sprachunterricht längst verankert. Das drückt sich etwa im Begriff der „Didaktik des sprachlichen Handelns“ aus und wird für die Deutsch-Didaktik später noch zu belegen sein.

Der gegenwärtige Gebrauch des Kompetenzbegriffs ist durchaus schillernd. In der aktuellen Bildungsforschung, hier besonders deutlich in den didaktischen Festlegungen der internationalen und nationalen Leistungsuntersuchungen wie PISA, IGLU oder VERA, wird ein Kompetenzbegriff benutzt, der sich auf „Erträge des schulischen Unterrichts“ bezieht. Diese Formulierung stammt von Franz Weinert, dessen Definition häufig von Bildungsforschern bestätigend zitiert wird:

Dabei versteht man unter Kompetenzen die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen [= gewollten] und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können. (Weinert 2001, 27 f.)

Grundschuldidaktischer Konsens ist heute, dass Kinder an erlebbar sinnvollen Aufgaben eigenaktiv arbeiten. Lerntheoretischer Hintergrund ist der gemäßigte Konstruktivismus: „Wir verstehen heute Lernen nicht mehr als passiven Prozess des Aufnehmens von Information, sondern als aktiven Prozess der Konstruktion von Erkenntnissen und Vorstellungen.“ (Speck-Hamdan in: Bartnitzky u. a. 2009, 175) Bildungstheoretischer Hintergrund ist die „Erziehung zur Selbstständigkeit“ und die damit verbundene „selbstmotivierende, konstruktive und tätige Rolle des Lernenden“ (Jürgens 2008, 69).

Bei einem solchen Unterrichtsverständnis kommen Kompetenzen aber nicht erst als „Erträge des Unterrichts“ zum Tragen. Sie sind nicht nur Unterrichtsergebnisse, sondern Ausgangspunkt von Unterricht und prozessbestimmendes Merkmal. Kinder besitzen zu jeder Schulzeit bereits Kompetenzen, die durch motivierende Lernarrangements, Lernumgebungen und Aufgaben aktiviert werden können. Während der Lernarbeit entwickeln die Kinder ihre Kompetenzen weiter: Sie werden bestätigt, erweitert, ergänzt, neu strukturiert. Dies zeigt sich in den Arbeitsprozessen der Kinder ebenso wie in ihren Ergebnissen. Als Beispiel möge ein schreibanregender Unterricht dienen, in dem die Kinder Texte planen, entwerfen, sich über ihre Texte miteinander beraten und sie für eine Veröffentlichung überarbeiten. Schreibkompetenzen zeigen und entwickeln die Kinder hier über alle Phasen des Unterrichts.

Legt man ein Verständnis von Kompetenz als Ergebnis des Lernens zugrunde, dann mag der Unterricht einzelne Lernziele verfolgen, die sich am Ende als „Ertrag“ zur Kompetenz fügen mögen. Entsprechend wurde bei der Kommentierung der PISA-Studie formuliert: In den ersten Schuljahren seien die Techniken des Lesens und des Schreibens zu vermitteln, in der Sekundarstufe entwickele sich daraus die Lese- und Schreibkompetenz (vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2001, 76).

Geht man dagegen von einem Verständnis von Kompetenzen als durchgehende didaktische Orientierung aus, dann werden Kinder von Anfang an zu eigenaktiver Arbeit angestiftet. Entsprechend werden die Kinder beim Schriftspracherwerb von Beginn an zum eigenen Verschriften angeregt und damit in ihrer Schreibkompetenz gefördert.

Im fremdsprachlichen Unterricht würden im ersten Verständnis in den Anfangsjahren vor allem Vokabeln und Redestrukturen eingeübt, um sie später in lebensnahen Situationen zu verwenden. Im zweiten Verständnis dagegen werden von Anfang an auch, durch Bildimpulse gestützt, Geschichten erzählt, die Verstehensstrategien der Kinder herausfordern, auch wenn sie nicht jedes Wort und jede Wendung verstehen (Methode des Storytelling); und es werden handlungsorientierte Lernaufgaben gestellt, bei denen die Verständigung, nicht die Sprachrichtigkeit im Vordergrund steht (Task-based learning).

Das von Weinert in seiner Definition geforderte Zusammenspiel der Fähigkeiten, Fertigkeiten, Motivationen, sozialen Handlungsweisen und des verantwortlichen Handelns gilt dann nicht nur für das Ergebnis, die „Erträge“, sondern von Anfang an.

Kompetentes Handeln bedeutet also vom ersten Schultag an: Fähigkeiten und Fertigkeiten, Kenntnisse und Strategien, Einstellungen und Verantwortlichkeiten aktivieren, die zur sachgerechten und verantwortlichen Lösung einer komplexen, lebenspraktischen Aufgabe nötig sind. Kompetenzen sind die Dispositionen, die solcherart kompetentes Handeln möglich machen machen. Kompetenzentwicklung heißt dann: Die vorhandenen Kompetenzen durch sinnstiftende Aufgaben aktivieren und erweitern.

Noch einmal das Beispiel des Anfangsunterrichts in Deutsch: Das Schreibenwollen, das Durchlautieren der Wörter, die Segmentierung von Lauten, die Zuordnung zu Buchstaben, die Schreibmotorik, die Blattgestaltung für ein gemeinsames Buch, das Anschauen und Lesen der Arbeiten anderer Kinder – all dies zeichnet diese Arbeit für Schreibanfänger als hochkom­plexe Anforderung aus, die als sinnhaft erfahren werden kann. Schreibkompetenz zeigt sich hier individuell bereits in der Nussschale.

Im Fremdsprachenunterricht wird diese Komplexität z. B. bei der Gestaltung eines eigenen Bilderbuchs, bei der Inszenierung eines Raps, bei einem Darstellungsprojekt, wie z. B. einer Modenschau, ­deutlich.

1.3 Fünf Prinzipien des Sprachunterrichts

Legen wir den umfassenden Kompetenzbegriff für alle Sprachfelder des Lern­bereichs Sprache zugrunde, dann vereinen ihn fünf gemeinsame Prinzipien:

Kompetenzentwicklung, ausgehend von vorhandenen Kompetenzen und sie weiterentwickelnd;Situationsbezug als Herausforderung für authentisches Sprachhandeln;Sozialbezug in der Lerngruppe;Bedeutsamkeit der Inhalte, subjektiv erfahrbar;Sprachbewusstheit als Meta-Ebene des sprachlichen Handelns.

Prinzip Kompetenzentwicklung

Alle Kinder besitzen bereits Sprachkompetenzen, also Fähigkeiten und Erfahrungen, wenn sie in die Schule kommen: in mündlicher Verständigung, in Bezug auf Sprachstrukturen und Sprechstrategien, in der Deutung nicht sprachlicher Verständigung, in der Mediennutzung, oft schon im Zugang zur Schriftsprache, immer in Bezug auf eine, bisweilen auch im Umgang mit mehreren Sprachen. Die individuell vorhandenen Kompetenzen müssen wahrgenommen und herausgefordert werden. Indem die Kinder auch in neuen Situationen Sprache verwenden, entwickeln sie ihre bisherigen Fähigkeiten weiter und bauen sie aus. Wenn Kinder dagegen zunächst als Tabula rasa betrachtet werden, dann verringert sich die Chance, dass sie ihre schon vorhandenen Kräfte aktivieren, anspannen und an eigenaktiver Arbeit wachsen können.

Prinzip Situationsbezug

Sprachliches Handeln bedarf der herausfordernden Situationen. Sie müssen so gewählt sein, dass sie für die Kinder funktional sind, also den Sinn stiften, sprachlich authentisch zu agieren. Wenn Kinder in einem vorgeblich modernen Unterricht nur Arbeitshefte ausfüllen, Karteikarten abarbeiten, vom Buch ins Heft ohne Bezug zu herausfordernden Situationen arbeiten, dann ist dies ebenso hinderlich wie ein rein frontal geführter Abfrageunterricht alter Prägung fernab von lebensvollen Situationen.

Prinzip Sozialbezug

Sozialbezüge stellen anregende und akzeptierende Geselligkeit her, bieten Vorbilder und Muster für elaboriertes Sprechen, für Lesen und Schreiben als lebenswichtige Tätigkeiten, für Wortschatz und Syntax. Ein kardinaler didaktischer „Kunstfehler“ dieser Jahre ist die Vereinzelung der Kinder, um vermeintlich dem Gebot der Individualisierung zu entsprechen. Kindern werden dadurch wichtige Lernchancen genommen.

Prinzip Bedeutsamkeit der Inhalte

Bedeutsam können Inhalte sein, die von den Kindern subjektiv als wichtig erfahren werden, aber auch Inhalte, die objektiv für Gegenwart und Zukunft bedeutsam sind, wie Schlüsselthemen und die Teilhabe an der kulturellen Welt. Hier besteht die didaktische Kunst gerade darin, sie auch für die Kinder subjektiv als wichtig erfahrbar zu machen.

Im Einzelnen sind dies:

Alltagserfahrungen der Kinder;Sacherfahrungen der Kinder;fantasievoller Umgang mit Sprache;kulturelle Traditionen und kulturelle Praxis.

Die gegenwärtige Bildungsforschung sowie die Bildungsstandards sind in ihrem Kompetenzverständnis weitgehend inhaltlich unbestimmt. Das kann zu dem Verständnis führen, dass Inhalte und Themen des Unterrichts beliebig seien. Damit würde die Schule wichtige anthropogene wie gesellschaftliche Aufträge aufgeben: neben der Arbeit an persönlichen Interessenschwerpunkten auch die Mitgestaltung und Mitverantwortung bei der eigenen Lebensführung sowie bei wichtigen Themen der Gegenwart, wie Streit und Regelung, selbstbestimmender Umgang mit Medien oder Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen. Ebenso würde der Auftrag aufgegeben, kulturelles Erbe an die nächste Generation zu vermitteln, also z. B. literarische Textsorten (etwa Gedichte, Schalkgeschichten, Märchen), Kinderbuchklassiker oder Beispieltexte kulturell bedeutender Autorinnen und Autoren.

Prinzip Sprachbewusstheit

Gemeinsame Verständigung über Sprachgebrauch und Sprache, Klärung sprachbezogener Probleme erfordern Nachdenken über Sprache und die Entwicklung eines fachsprachlichen Repertoires. Damit wird auch eine Voraussetzung für einen souveränen und eigenverantwortlichen Umgang mit Sprache geschaffen.

1.4 Die Besonderheiten der Sprachfelder

Neben den Gemeinsamkeiten haben die verschiedenen Sprachfelder auch ihre spezifischen Aufgaben und didaktischen Konzepte.

Deutsch

Die deutsche Sprache wird zumeist vor- und außerschulisch unangeleitet, also implizit erworben. Auch die Schule schafft Situationen für nicht angeleitetes Sprachlernen und Sprachverwenden, z. B. bei Gesprächen der Kinder untereinander, beim freien Lesen und Schreiben, durch eine lernwirksame Lernumgebung. Daneben arrangiert der Deutschunterricht angeleitete, explizite Lernprozesse durch Erarbeitungen und Aufgaben, durch Übungen und Lerngespräche.

Neben der Förderung alltagskommunikativer Kompetenzen beginnt in der Grundschule die Entwicklung bildungssprachlicher Fähigkeiten, die für den weiteren Bildungsgang unentbehrlich sind: Die Kinder werden befähigt, auch komplexere sprachliche Strukturen und Muster auf Wort-, Satz- und Textebene rezeptiv zu verstehen und aktiv zu verwenden; Sprache wird als Instrument des Denkens bewusst in Gebrauch genommen. Dies ist Aufgabe des Deutschunterrichts, aber auch Auftrag der anderen Lernbereiche.

Deutsch als Zweitsprache

Kinder, die Deutsch als Zweitsprache erwerben, haben bereits eine sprachliche Entwicklung in ihrer jeweiligen Familiensprache als Muttersprache. Deutsch tritt als Arbeits- und Zielsprache hinzu. Auf der Basis der Alltagskommunikation müssen auch hier bildungssprachliche Fähigkeiten entwickelt werden.

Das implizite Sprachlernen in deutschsprachiger Lernumgebung wird ergänzt durch angeleitetes, also explizites Sprachlernen. Die Besonderheiten der deutschen Sprache müssen dabei vor allem in den Blick genommen werden. Auch hier gilt, dass dies ein Auftrag für alle Lernbereiche ist.

Rückgriffe auf die Familiensprache sind, soweit dies möglich ist, besonders hilfreich.

Literatur und Adressen

Guadatiello, Angela / Speck-Hamdan, Angelika (2013): Bildungssprache – Deutsch als Zweitsprache fördern. Heft 3 in: Bartnitzky, Horst u. a. 2013): Individuell fördern – Kompetenzen stärken ab Klasse 3. Grundschulverband: Frankfurt a. M.

Beide Veröffentlichungen orientieren über Besonderheiten und Schwierigkeiten der deutschen Sprache für Kinder nicht deutscher Herkunft. Mit unterrichtspraktischen Beispielen zeigen die Autorinnen Möglichkeiten auf, wie beim Sprachlernen und -verwenden diese Schwierigkeiten als „kritische Stellen“ im Lernprozess bewältigt werden können. Das Buch von Hoffmann/Weis legt dabei einen Schwerpunkt auf generatives Sprechen und Schreiben, das Heft von Guadatiello/Speck-Hamdan auf integrative Förderideen.

Hoffman, Reinhild / Weis, Ingrid (2015): Deutsch als Zweitsprache – alle Kinder lernen Deutsch. Cornelsen Scriptor: Berlin.

Rösch, Heidi (2009): Deutsch als Zweitsprache. In: Bartnitzky, Horst / Brügelmann, Hans u. a. (Hrsg.): Kursbuch Grundschule. Grundschul­verband: Frankfurt am Main, S. 476–496.

In diesem Kompendium wird ein Überblick über Problemlage, didaktische Grund­sätze und methodische Verfahren von Deutsch als Zweitsprache gegeben.

Viele Hinweise und Hilfen finden sich im Internet unter dem Suchbegriff: Deutsch als Zweitsprache Grundschule.

Einen Arbeitsschwerpunkt in Deutsch als Zweitsprache haben die RAAs, die Regionalen Arbeitsstellen zur Förderung von Kindern aus Zuwandererfamilien. Sie wurden z. T., so in Nordrhein-Westfalen, inzwischen umbenannt in Kommunale Integrationszentren. Diese Einrichtungen haben seit den 1980er Jahren vielfältiges Material erarbeitet, das bestellt werden kann oder im Internet zur Verfügung steht. Besteht eine solche Einrichtung am Ort, ist ein direkter Kontakt zweckmäßig.

Fremdsprache

Die erste Fremdsprache ist im Unterschied zur Mutter- bzw. Familiensprache in der Regel keine praktizierte Sprache in der Lebenswelt der Kinder. Unangeleitete Sprachlernsituationen entfallen zumeist. Die Fremdsprache wird vorwiegend angeleitet in der schulischen Situation verwendet. Der Fremdsprachenunterricht bietet dabei neue Lernchancen: Er ist Modell für bewusstes Sprachenlernen, für den Erwerb fachbezogener Lern- und Arbeitstechniken, die für den Fremdsprachenunterricht spezifisch sind, z. B. das Erlernen von Strategien zur Texterschließung, zur Verständigung, auch für den Fall, dass man nicht alle Wörter und Strukturen versteht, und für Lerntechniken zum Einprägen und Anwenden von Lexik und Strukturen.

Literatur und Adressen

Grau, Maike / Legutke, Michael K. (Hrsg.) (2008): Fremdsprachen in der Grundschule. Auf dem Weg zu einer neuen Lern- und Leistungskultur. Grundschulverband: Frankfurt a. M.

Grundschulgemäße Prinzipien des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen werden beschrieben und mit Praxisbeispielen, insbesondere zum Englischunterricht, konkretisiert. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Ermittlung von Lernentwicklungen und Lernständen der Kinder. Verschiedene Möglichkeiten werden dazu vorgestellt: gezielte Beobachtungen, Portfolios, Einschätzung durch die Kinder.

Legutke, Michael u. a. (2009): Fremdsprachenunterricht. In: Bartnitzky, Horst / Brügelmann, Hans u. a. (Hrsg.): Kursbuch Grundschule. Grundschulverband: Frankfurt am Main, 489–525.

In dem Kompendium wird mit dem Schwerpunkt Englischunterricht ein Überblick über Ziele, Konzepte, Inhalte und methodische Verfahren des „frühen Fremdsprachenunterrichts“ gegeben.

Mindt, Dieter / Schlüter, Norbert (2007): Ergebnisorientierter Englischunterricht. Cornelsen Scriptor: Berlin.

Der Band argumentiert von der Anschlussfähigkeit des Grundschul-Englisch für den nachfolgenden Unterricht her. Entsprechend werden Sprachlernziele formuliert und Themen vorgeschlagen, ein Mindestwortschatz, grundlegende grammatische Strukturen, Redemittel und Sprachstrukturen für die Klassen 3 und 4 aufgezeigt. Prinzipien eines grundschulgemäßen Englischunterrichts werden vorgestellt. Ausführlichere Praxisbeispiele findet man allerdings nicht.

Mit dem Suchbegriff: Englisch in der Grundschule lassen sich viele Hinweise und Anregungen von Verlagen und Kultusministerien finden.

Begegnungssprache

Anders als in den bisherigen Sprachfeldern ist hier nicht die aufbauende Förderung spezifischer, kommunikativer Fähigkeiten in einer bestimmten Sprache das Ziel. Vielmehr werden Erfahrungen mit Sprachen, die Kindern in der Lebenswelt begegnen, einbezogen; die Lust der Kinder, mit Klängen, Wörtern und Strukturen verschiedener Sprachen umzugehen, wird gestärkt. Praxisbeispiele sind die Begrüßung in mehreren Sprachen, Lieder und Verse, Zahlen und Redensweisen, Dialoge und Geschichten, Drucksachen und Bilderbücher. Welche Sprache wann und wie einbezogen wird, ist situativ bedingt.

Herkunftssprache

Wie beim Fach Deutsch werden unangeleiteter und angeleiteter Unterricht kombiniert. Alle didaktischen Konzepte und Methoden des Deutschunterrichts gelten auch hier. Anders ist, dass es sich bei den Herkunftssprachen um ein fakultatives Sprachfeld handelt. Beide Fächer – Deutsch und Herkunftssprache – gewinnen Lernchancen, wenn das Sprachlernen miteinander koordiniert werden kann.

Literatur und Adressen

Spezielle fachdidaktische Literatur ist außer in einzelnen Aufsätzen nicht zu finden. Es gibt unterrichtspraktisch anregende, aktuelle Lehrpläne, z. B. aus Hamburg. Es gibt aktuelle Lehrpläne, die eine Didaktik des herkunftsprachlichen Unterrichts formulieren, sowie unterrichtspraktische Anregungen geben, z. B. die Bildungspläne aus Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen. Suchbegriff ist: herkunftsprachlicher Unterricht + das jeweilige Land.

2 Das Fach Deutsch: Entwicklungen zu einer Didaktik des sprachlichen Handelns

2.1 Die Situation ist widersprüchlich bis diffus

Unterschiedliche Praxistendenzen sind derzeit zu beobachten: Aufsatzunterricht mit festgelegten Stilmerkmalen hier (Einleitung, Höhepunkt, Schluss; keine Wortwiederholungen und „Zeitenhopser“), freies Schreiben da; phänomen- oder silbenbasierter Rechtschreibunterricht hier, an den Schreibwörtern der Kinder orientierter Unterricht da; Vernachlässigung der Orthografie bis in die Klasse 3 hinein hier, Beachtung der Rechtschreibung von Anfang an da; an Lehrwerken orientierter Unterricht hier, Unterricht mit Karteien und Arbeitsblättern da; integrativer und themenbezogener Unterricht hier, getrennte Arbeitsgänge beim Schreiben, Rechtschreiben, Lesen, Grammatikunterricht da usw. Traditionelle Konzepte mischen sich mit aktuellen, wohldurchdachte didaktische Konzepte mit Modernismen, kluge Lernarrangements mit Aktivismus.

Hinzu kommen Entscheidungen der Bildungspolitik und Arbeiten eines Teils der Bildungsforschung: Bereits 2001 legte sich die Kultusministerkonferenz nach den enttäuschenden Ergebnissen der ersten PISA-Studie auf die „Output“-Steuerung der Schule fest, eine Festlegung, die bis heute gilt (siehe "Die „Output-Steuerung“ des Bildungswesens"). Dies führte bildungspolitisch u. a. zu den flächendeckenden Vergleichsarbeiten (VERA) und in Folge zu vielen Testformaten in Lehrwerken der Verlage; mit der internationalen Vergleichsstudie IGLU wurde ein Lesekonzept zum Modell, das allein durch testbare Aufgaben bestimmt wird (siehe "Lesekompetenz des „Literacy“-Konzepts").

Durch diese besondere Wertsetzung testbezogener Leistungsprüfungen wurden und werden didaktische Errungenschaften in den Hintergrund gedrängt: Die testbestimmte Trennung in Lern- und Leistungssituationen missachtet die reichhaltigen Möglichkeiten, individuelle Lernentwicklungen durch Beobachtung, Diagnose der Arbeitsdokumente der Kinder, durch Lerngespräche festzustellen – also während der Lernarbeit und im dialogischen Austausch mit den Kindern. Das testtaugliche Lesemodell verdrängt das mehrdimensionale Lesekonzept, für das nicht testbare Kompetenzen konstituierend sind wie Lesemotivation, individueller Zugang zu Literatur, Kreativität und Lesekommunikation (siehe "Begründungen für das Lesen und den Umgang mit Medien").

Insgesamt ist das didaktische Erscheinungsbild des Faches Deutsch also widersprüchlich bis diffus. Dies ist didaktisch unbefriedigend und schadet der Sicherung und Entwicklung von Unterrichtsqualität. Deshalb ist ein didaktisch stimmiges Gesamtkonzept des Deutschunterrichts in der Grund­schule notwendig.

Es muss die aktuelle didaktische Entwicklung und die Einsichten der Grundschulforschung berücksichtigen, dabei aber alle Arbeitsbereiche des Sprachunterrichts einbeziehen, auch solche, die zur Zeit nicht im Blickpunkt des didaktischen Interesses stehen.Es muss die Schatzkammer der Didaktikgeschichte in die Überlegungen einbeziehen: Was ist aus heutiger Sicht überholt? Was ist nach wie vor wert, im Repertoire gehalten zu werden? Was sollte – neu gewendet und gewichtet – in aktuelle Konzepte integriert werden?Mit Blick auf frühere Streitfälle kann auch der Blick auf aktuelle Dogmatismen und didaktische Verengungen geschärft werden: Wo stecken in aktuellen Ansätzen Einseitigkeiten, wo dogmatische Positionen, die wir in Kenntnis der Genese überwinden oder aufbrechen können?

2.2 Muttersprachliche Bildung in den 50er und 60er Jahren

Welche Ziele verfolgt der Deutschunterricht? Und wie sind diese Ziele am besten zu erreichen?

Nach dem Zweiten Weltkrieg bis weit in die 60er Jahre hinein waren die Antworten auf diese Fragen unstrittig: Ziel des „muttersprachlichen Unterrichts“ war die sprachliche Persönlichkeit. Dabei hatte der Begriff der Muttersprache zentrale Bedeutung. Ansatzpunkt waren sprachphilosophische Überlegungen des 19. Jahrhunderts, insbesondere dieWilhelm von Humboldts: Muttersprache ist demnach die Sprache der Menschen, die zu einer historisch entstandenen Sprachgemeinschaft gehören. Über die Jahrhunderte hinweg wurde die Muttersprache, wie sie sich heute darstellt, von den Angehörigen der Sprachgemeinschaft entwickelt. Damit wurde sie auch von Weltbild, Werten und Denkweisen der Sprachgemeinschaft geprägt; sie wirkt mit dieser Ausprägung auf die Angehörigen der Sprachgemeinschaft zurück. Das Kind wächst somit zugleich mit seiner sprachlichen Entwicklung in das Weltbild und die geistigen Möglichkeiten seiner Sprachgemeinschaft hinein.

Für die sprachliche Entwicklung ist nun folgender Gedanke wichtig: Die Sprache darf dem Kind nicht von außen aufgesetzt werden, z. B. in Wörtern, die in ihrer äußeren Form vokabelähnlich gelernt werden. Vielmehr muss das Kind die sprachlichen Möglichkeiten seiner Muttersprache für sich selbst entwickeln und dabei eine Stimmigkeit zwischen dem, was es sagen will, und dem sprachlichen Ausdruck dafür herstellen und empfinden. Diese Entsprechung zwischen Gemeintem und sprachlicher Form, zwischen „Sinngehalt“ und „Sinngestalt“, wurde mit einem Begriff Humboldts als innere Sprachform bezeichnet, als eine Sprachform also, die von innen heraus bestimmt wird.

Aus dieser idealistischen Sprachphilosophie des 19. Jahrhunderts konnte nicht unmittelbar eine Sprachdidaktik abgeleitet werden. Aber sie wurde zum geistigen Überbau für die Konzeption der Muttersprachlichen Bildung.

1927 griff Walter Seidemann den Gedanken der „inneren Sprachform“ auf und forderte für den Deutschunterricht, dass er „innere Sprachbildung“ sein müsse (vgl. Seidemann 1927). LeoWeisgerber führte diese Gedanken nach dem Zweiten Weltkrieg fort (vgl. Weisgerber 1949, 1963). Die Begriffe „Muttersprache“ und „innere Sprachbildung“ wurden zu didaktischen Leitsternen zahlloser Methodiken. Sie ergänzten den sprachphilosophischen Überbau durch didaktische und methodische Setzungen: Unter Muttersprache wurde die hochsprachliche Variante verstanden; die Äußerungsformen waren an Sprachvorbildern orientiert.

Im mündlichen Unterricht repräsentierte vor allem der Lehrer durch sein Sprachvorbild Form und Wert der Muttersprache. Dieser Bereich wurde als Sprachpflege, als Gesprächs- und Sprecherziehung verstanden. Im Rahmen der literarischen Erziehung waren dichterische Texte wichtige Repräsentanten muttersprachlichen Kulturgutes, an denen die Stimmigkeit von „Sinngehalt und Sinngestalt“ erfahrbar war. Texte außerhalb dieses in Form und Inhalt als vorbildhaft verstandenen Schriftgutes wurden in den Unterricht nicht einbezogen, zum Teil fielen sie unter strenges Verdikt, etwa durch pauschale Abwertung als „Schundliteratur“, wie es u. a. mit Comics geschah.Dichterische Texte waren zugleich Vorbilder für die eigene „Stilpflege“ in der „Aufsatzerziehung“, beim „schriftlichen Sprachgestalten“. Die „Sprachbildung“ mit ihren Teilen der unbewussteren „Sprechübung“ und der bewussten „Sprachbetrachtung“ sollte sprachpflegerisch wirken: Die Schüler sollten einerseits Sprach- und Satzmuster der Hochsprache üben sowie ihr Gefühl für die hochsprachliche Norm entwickeln und festigen. Sie sollten andererseits „Einsicht in den Bau der Sprache“ gewinnen. Dadurch sollten sie fähiger werden, ihren Sprachgebrauch selbst zu kontrollieren, der hochsprachlichen Norm anzupassen und die Möglichkeiten der Muttersprache zu erkennen.

2.3 Der erste didaktische Umbruch: Die „kommunikative Wende“

In der zweiten Hälfte der 60er Jahre stellten neue Erkenntnisse, wissenschaftliche Diskussionen und ein linksintellektueller Zeitgeist den Absolutheitsanspruch der „Muttersprachlichen Bildung“ im Sinne Leo Weisgerbers und anderer radikal infrage. So klärten Untersuchungen der Sprachsoziologie darüber auf, dass es die eine Sprachgemeinschaft und die eine Muttersprache gar nicht gibt. Erheblichen Einfluss auf die Diskussion nahmen Beiträge von Basil Bernstein, der zwischen dem „restringierten Code“ bei Angehörigen der Unterschicht und dem „elaborierten Code“ bei Angehörigen der Mittelschicht unterschied, hierzulande vor allem bekannt geworden durch Ulrich Oevermann (vgl. Oevermann 1969). Zugespitzt könnte die Kritik am Konzept der Muttersprachlichen Bildung von hierher lauten: Was als die Muttersprache bezeichnet wird, ist Muttersprache und mit ihr auch Weltbild einer bürgerlichen Schicht.

Aus der Vielfalt der didaktischen Anstöße, Ansätze, Entwürfe und Konzepte entwickelten sich Konzeptionen des Deutschunterrichts, die sich im Weiteren als mehr oder weniger konsens- und tragfähig erwiesen. Einige Konzeptionen und Ansätze, die für die Entwicklung zum Sprachunterricht heute von besonderer Bedeutung sind, seien im Folgenden skizziert.

„Fünf Finger sind eine Faust“ – kritische Didaktik

Mit dem sozialistischen Sprachbild der Faust wird in Sprichwörtern wie diesem die Macht der Solidarität verdeutlicht.

Die von den Universitäten Ende der 60er Jahre ausgehende Politisierung des Denkens und Handelns, die aufklärende Bedeutung der „kritischen Theorie“ erfasste weite Teile der Intellektuellen. Für den Bildungsbereich prägte, zumindest aber beeinflusste dieser emanzipationsbewusste Aufbruch die Lehrerbildung, die Curriculumdiskussion, die Medien sowie die jüngere und jüngste Lehrergeneration. Veränderung der Gesellschaft in Richtung auf Demokratisierung in allen Bereichen und Emanzipation des Individuums durch politisches Handeln erschien möglich, wenn dies im Erziehungs- und Bildungsbereich „von Grund auf“ angelegt würde. Für die Deutschdidaktik gaben die 1970 gegründete Zeitschrift „Diskussion Deutsch“ (Frankfurt am Main) und die Veröffentlichungen des „Bremer Kollektivs“ wichtige Orientierungen (Bremer Kollektiv 1974 a und b).

Didaktisch-methodische Konsequenz für den Bereich der Grundschule war eine verstärkte Thematisierung von kindlichen Lebenssituationen und der sie bedingenden Hintergründe, z. B. Wohnsituation auf dem Hintergrund von Mietwucher, Elternverhalten auf dem Hintergrund von Abhängigkeiten am Arbeitsplatz der Eltern, Manipulation durch Werbung, durch Boulevardzeitungen. Was soziolinguistisch zunächst als „restringierter Code“ der Unterschicht bewertet worden war, das wurde hier nicht als Defizit verstanden, sondern als Differenz zur Sprache der Mittelschicht. Der Eigenwert dieser Sprache für die Solidarität der Angehörigen dieser Schicht wurde besonders herausgestrichen. „Hochsprache“ als Ziel war daher zumindest fragwürdig.

Unmittelbare Breitenwirkung erreichte diese politische Didaktik des Deutschunterrichts in der Grundschule nicht. Zum einen erschwerte der intellektuelle Anspruch die kindgemäße Verwirklichung im Unterricht der ersten Schuljahre. Kindgemäße Unterrichtsmodelle dieses Ansatzes, die nicht Meinungen aufzwangen, waren selten. Zum anderen aber zeigte sich in den Folgejahren, dass eine exponiert politische Didaktik keinen gesellschaftlichen Konsens findet. Ein Anlauf, auf Lehrpläne einzuwirken, scheiterte (Hessische Rahmenrichtlinien); Unterrichtswerke, die auch nur in der Nähe zur politischen Didaktik standen, gerieten ins tagespolitische Kreuzfeuer.

Bedeutsam allerdings waren die Auswirkungen dieses Ansatzes auf das didaktische Denken allgemein: Die Grundorientierung am Anliegen zunehmender Emanzipation, der Einbezug von sozialen Situationen und Texten aus dem Lebensalltag der Kinder, Ziele wie eigene Interessen erkennen und wahrnehmen, Texte kritisch lesen können – diese Intentionen wurden von der „Didaktik der sprachlichen Kommunikation“ aufgegriffen und integriert.

„Streit um das Fernsehprogramm“ – Didaktik der sprachlichen Kommunikation

Das Zitat stammt aus einem Sprachbuch, das eine Alltagssituation unter Geschwistern zum Thema von Rollenspielen machte.

Die Didaktik der sprachlichen Kommunikation entwickelte sich zur gleichen Zeit wie die „kritische Didaktik“, ihr ähnlich in vielen Zielen, Inhalten und Verfahren, aber nicht exponiert sozialistisch, sondern eher sozialliberal orientiert. Sie nahm ihren Ausgang einmal von der Infragestellung der sprachphilosophisch begründeten Muttersprachlichen Bildung und griff die Forderungen der internationalen Curriculumbewegung auf. Gefordert war die Revision des Curriculums und ein neues Verständnis von schulischen Zielen: nicht als Bildungswissen, sondern als Qualifikation, um Lebenssituationen zu bewältigen. Übrigens wurde dieser Entwicklungsstrang in der gegenwärtigen didaktischen Diskussion wieder aufgegriffen. Statt Qualifikation ist nunmehr der Begriff der Kompetenz leitend.

Qualifikation bedeutete im Selbstverständnis der emanzipationsbewussten Aufbruchstimmung weniger Anpassungsleistung, als vielmehr Fähigkeiten wie eigene Interessen erkennen und vertreten, Äußerungen anderer kritisch einschätzen usw. Gleichzeitig interessierten sich auch die Sprach- und Literaturwissenschaften, insbesondere die sich etablierende Linguistik, zunehmend mehr für die Verwendung von Sprache und Texten, gerade auch in Alltagssituationen.

Diese Strömungen zusammengenommen führten zu didaktischen Konzepten, die im zentralen Stellenwert „Kommunikation“ übereinstimmten. Ihre aufklärerische Grundintention fand im entsprechenden Zeitgeist Anfang der 70er Jahre rasche Zustimmung. Dadurch konnte die Didaktik der sprachlichen Kommunikation den Platz einnehmen, der durch den Sockelsturz der sprachphilosophisch begründeten Muttersprachlichen Bildung entstanden war.

Für den Bereich der Grundschule kam hinzu, dass den grundschulpädagogischen Forderungen nach mehr Wissenschaftsorientierung kommunikationstheoretisch entsprochen werden konnte, dass aber gleichzeitig der zentrale Stellenwert der Kommunikation den lernpsychologischen Grundsätzen nach Umweltorientierung und handelndem Lernen entsprach (zur Didaktikdiskussion der 70er Jahre siehe Bartnitzky 2009 a, 24 ff.). Damit war das eingetreten, was heute im Rückblick als „kommunikative Wende“ des Deutschunterrichts bezeichnet wird. In der Lehrerbildung nahmen die Bücher von Behr, Groenwoldt, Nündel, Röseler und Schlotthaus eine wichtige Rolle ein (Behr, Groenwoldt u. a. 1972, 1975).

Drei didaktische Ansätze flossen dann in diese Entwicklung ein:

Der neu belebte Projektgedanke: Als Projekt galt eine von der Lerngruppe gemeinsam geplante und verantwortete Aktion, die eine von der Gruppe gewünschte Veränderung bewirken sollte. Dies konnte das Bemühen sein, eine Fußgängerampel an einem gefährlichen Übergang aufzustellen, den Spielplatz zu säubern und Geräte instand zu setzen, aber auch den eigenen Schullandheimaufenthalt zu gestalten, eine Klassenzeitung herauszugeben. Hierbei waren von der Sache und vom Ablauf des Geschehens her immer wieder kommunikative Handlungen nötig: Pläne entwerfen, Briefe und Plakate schreiben, Verordnungen, Adressenverzeichnisse, Briefe lesen, Zwischenbilanzen ziehen, Interviews führen usw.Die Entdeckung der Freinet-Pädagogik für die Schule hierzulande: Dabei galt zunächst das besondere Interesse einigen kommunikationsträchtigen Elementen der Freinet-Pädagogik: der Klassenkorrespondenz und der Druckerei. Erst später mit der Ausbreitung der Freinet-Gruppen und dem Subjektivismus wurde der Freinet-Ansatz grundsätzlicher wahrgenommen: „Den Kindern das Wort geben“ – dieses Motto wurde inzwischen zum geflügelten Wort. Das verstärkte didaktische Interesse an der Unterrichtskommunikation: Besonders einflussreich war hierzu die sogenannte „Aachener Gruppe“; eine wichtige Veröffentlichung, die aus diesen Bemühungen hervorging, war die von Böttcher, Otto, Sitta und Tymister (Böttcher/Otto u. a. 1976).

Diese drei Ansätze regten die Kommunikation in der Klasse an, machten sie zu einer wichtigen Lernsituation und boten inhaltliche sowie methodische Anregungen, die zu einem auch für die Kinder als sinnvoll erfahrenen Sprechen, Schreiben, Lesen, Sprachuntersuchen führten. Damit verhalfen sie dem „kommunikativen Ansatz“ zu einem großen Repertoire an unterrichtlichen Möglichkeiten, das zum Teil inzwischen wieder verlorengegangen ist und ins Bewusstsein zurückgeholt werden muss.

„Der liebe Wolf und die bösen Geißlein“ – Kreativitätsförderung

Mit dem Zitat einer Märchenvariante wird das Spiel mit vertrauten Mustern gekennzeichnet, das zu neuen, ungewöhnlichen Aspekten führen kann. Die Frage, wie Kreativität zu fördern sei, wurde in den 60er Jahren in den USA diskutiert und mit Lernprogrammen beantwortet. Dies geschah zunächst aus dem Trauma heraus, gegenüber der damaligen UdSSR in technologischen Rückstand geraten zu sein („Sputnik-Schock“). Entsprechende Ansätze wurden mit zeitlicher Verzögerung auch hierzulande diskutiert. Dabei herrschte pädagogisches Einvernehmen darüber, dass kreative Prozesse durch entsprechende Anregungen bei allen Kindern in Gang gesetzt werden können und dass dies insbesondere Prozesse seien, bei denen vorgegebene Muster, Strukturen oder Erwartungen durchbrochen werden. Solche Prozesse können im Sprachunterricht sein: spielerischer Umgang mit Sprache (konkrete Poesie, Reime), Veränderungen von Texten (Perspektivenwechsel, Rollentausch, Erfindung unerwarteter Schlüsse), freie Assoziationen (Kettengeschichten, sprachliche Assoziationen zu Musik).

Wichtige Literatur hierzu legten z. B. Pielow und Sanner vor (Pielow/Sanner 1973). Kreativitätsförderung wurde zunächst von Anhängern der kritischen Didaktik aufgegriffen, weil die Bemühungen, gegebene Normen infrage zu stellen, hier einen didaktisch-spielerischen Zugriff fanden. Er wurde im Weiteren als wichtige Ergänzung zur Tendenz kommunikationsdidaktischer Konzepte verstanden, das Schreiben auf pragmatische Texte zu begrenzen. Heute stellt sich übrigens die Ergänzungsfrage umgekehrt: In einem lebensweltorientierten Unterricht muss das derzeit bevorzugte kreative Schreiben um pragmatische Texte ergänzt werden.

2.4 Der zweite didaktische Umbruch:Subjektivismus und Konstruktivismus

Von „kindorientiert“ zu „kindgeleitet“ – Subjektivismus

Sowohl die Muttersprachliche Bildung als auch die Didaktik der sprachlichen Kommunikation nahmen für sich in Anspruch, „vom Kind aus“ zu denken. Dieser Ausgangspunkt vom Kind her „verleitet aber dazu“, wie Barbara Kochan urteilt, „nicht vom wirklichen Kind, sondern von einem Bild des Kindes auszugehen, das uns in der trügerischen Sicherheit wiegt, das Kind – auch das jeweilige Kind – zu kennen“ (Kochan 1998, 92).

Vom Ende der 70er Jahre an zeichnete sich in einigen Feldern der Grundschuldidaktik demgegenüber eine Umorientierung ab: Der Blick wurde auf die Kinder als Subjekte ihres eigenen Lernens gerichtet. Um es mit einer Formel Barbara Kochans zu beschreiben: „vom Unterricht für Kinder zum Unterricht mit Kindern“ (Kochan 1998, 86). Ein Einstieg in diesen Blickwechsel war die andere Sichtweise von Fehlern – nicht als „Verfehlung“, wie es der Blick von außen, sondern als Schritt im Lernprozess, wie es der Blick vom Lerner aus nahelegt. PankrazBlesi wies schon 1979 an Leseproben nach, dass Fehler beim Lesen nicht als Versagen bewertet werden dürfen, sondern dass sie „ein Fenster auf den Lernprozess“ öffnen: „Verlesungen“ zeigen, welche Lesestrategien ein Kind bereits erworben hat, wie es mit ihnen experimentiert (vgl. Blesi 1986, 16 ff.). Barbara Kochan resümierte 1981 erste didaktische Ansätze zu einem kindgeleiteten Rechtschreibunterricht im Unterschied zum seinerzeit didaktisch vorherrschenden normgeleiteten. Fehler sind „nicht mehr voreilig und einseitig als Verfehlungen, sondern auch als Hinweise auf Lernaktivitäten und -strategien anzusehen, zu verstehen und zu würdigen.“ (Kochan 1981, 158)

Anregungen dazu waren aus dem angelsächsischen Sprachraum gekommen. Sie führten hierzulande zu einer wachsenden Zahl von Untersuchungen über den eigenaktiven Schriftspracherwerb von Kindern – eine Entwicklung, die bis heute anhält. Diese Hinwendung zu den Lernprozessen der Kinder stellte zum Teil bisheriges didaktisches Denken auf den Kopf:

Auch Schulanfänger sind bereits Lernexperten, schließlich lernen sie täglich und intensiv bereits seit sechs Jahren. Sie sollten ihren Lernweg auch in der Schule weitergehen dürfen. Dies bedeutet z. B. für den Schriftspracherwerb: Er beginnt nicht in der Schule mit dem ersten Buchstaben, dem dann sukzessive weitere Buchstaben folgen, sondern es werden Schreibsituationen geschaffen, sodass die Kinder von Anfang an eigenaktiv ihren Weg in die Buchstabenschrift gehen und fortsetzen.Die Wege und Strategien der Kinder sind teilweise andere, als die bisherige Didaktik angenommen hat. So nähern sie sich über Entwicklungsstufen der normgerechten Schreibung, anstatt orthografische „Wort­bilder“ zu speichern; sie verwenden die Antiqua-Schrift (gedruckte Großbuchstaben) statt der vermeintlich prägnanteren Mischung von Groß- und Kleinbuchstaben.Fehler sind dabei nicht möglichst zu vermeiden, sondern zuzulassen und zu interpretieren, was sie als Lernleistung bereits offenbaren. Kinder, die zunächst lautentsprechend, möglicherweise nur mit Konsonanten schreiben („FT“ oder „FATA“ für „Vater“), beginnen damit keine Karriere als „Legastheniker“, sondern zeigen, dass sie auf eigenaktivem Weg in die Schrift sind, und sie zeigen, was sie schon können.

Besonders bekannt wurde der Ansatz des kindgeleiteten Schriftspracherwerbs durch Hans Brügelmanns Projekt „Kinder auf dem Weg zur Schrift“ (Brügelmann, zuerst 1983).

Zeitgleich wurde grundschulpädagogisch mit gleicher Blickrichtung über die Konzepte innerer Differenzierung weitergedacht. Bis dahin hatte der Lehrer oder die Lehrerin über die Differenzierung entschieden: wer von den Kindern mehr Aufgaben bekam (quantitative Differenzierung), wer leichtere oder schwierigere Aufgaben lösen sollte (qualitative Differenzierung). Mit der radikalen Orientierung am Kind wurde nun von den Kindern her differenziert: „Kinder differenzieren sich selbst“ wurde die Option. Konzepte freier Arbeit wurden diskutiert und verbreiteten sich in Schulen, auch als Ergänzung gegenüber der vom Lehrer durchgeplanten Wochenplanarbeit. „Freie Arbeit“ sollte helfen, „individuelle Interessen und selbstgesteuerte Aktivitäten“ der Kinder zu entwickeln (Lichtenstein-Rother/Röbe 1982, 208). Sprachunterrichtlich entsprechende Stichwörter dieser „subjektiven Wende“ waren freies Schreiben und freies Lesen, später Fantasiereisen mit ihrer subjektiven, inneren Vorstellungsbildung oder individuelle Lesetagebücher.

„Von der Instruktion zur Konstruktion“ – Konstruktivismus

Die Hinwendung zum Kind als Subjekt seines Lernens war keine sprachdidaktische Spezialität, sondern stellt sich von heute her betrachtet wie der Vorbote zu einer lerntheoretischen Neuorientierung dar, die international diskutiert wird: In den 90er Jahren erhielten Erkenntnistheorien eine neue Wertschätzung, die davon ausgehen, dass bei unserer Wahrnehmung von Welt nicht etwas Vorhandenes abgebildet wird, sondern dass jeder sie für sich neu konstruiert und deshalb individuell wahrnimmt. Auf das Lernen und die Schule bezogen heißt das: Sprachbilder wie Stoffvermittlung, Speicherung von Wissen sind falsch, weil sie Wissen verdinglichen – als würde zum bisherigen Wissen neues lediglich addiert. Der Konstruktivismus geht demgegenüber von der Grunderkenntnis aus, „dass Wissen ‚nie als solches von einer Person zur anderen übermittelt werden‘ kann, weil ‚die einzige Art und Weise, in der ein Organismus Wissen erwerben kann, darin besteht, es selbst aufzubauen oder für sich selbst zu konstruieren.‘“ (Glasersfeld in: Müller 1996, 62).

Inzwischen gibt es eine Reihe unterschiedlicher, konstruktivistischer Lerntheorien von radikal bis moderat, die aber hier nicht weiter skizziert werden (siehe z. B. Müller 1996, 24 ff.). Schulpädagogisch hat sich durch­gesetzt, was als „gemäßigter Konstruktivismus“ bezeichnet wird (vgl. Speck-Hamdan in: Bartnitzky u. a. 2009, 175). Hier interessiert der Zusammenhang mit der sprachdidaktischen Diskussion.

Die didaktischen Ansätze des Subjektivismus wurden durch die Konstruktivismus-Diskussion erheblich unterstützt und zusätzlich lernpsychologisch legitimiert. Insbesondere vier Aspekte sind hier von besonderer Bedeutung:

der Blick auf die eigenaktiven Lernprozesse der Kinder, die beim Schriftspracherwerb durch Forschung und Praxisentwicklung zu offenkundigen Neuorientierungen geführt haben;die Wichtigkeit von Begründungen für Kinder, eigenaktiv tätig zu sein, die z. B. Schreibprojekte und Interessenförderung, überhaupt: authentische Sprachhandlungssituationen ins Spiel bringen;die Notwendigkeit, vielfältig anregende Lernwelten zu schaffen, wie z. B. den Aufbau einer Schreib-Lese-Kultur und einer zum Schreiben und Lesen animierenden Lernumgebung (siehe z. B. Müller 1996, 81 ff.);die Meta-Ebene, also das Bewusstsein vom eigenen Lernen und die Metakommunikation, das bedeutet soziale Auseinandersetzungen und Selbstvergewisserungen über Erfahrungen, Sichtweisen, Lernprozesse und Lerndokumente (siehe z. B. Müller 1996, 103); von hier erhalten soziale Lernsituationen, wie Gesprächskreise, Klassenrat, Schreibkonferenzen, ihre auch sprachdidaktische Bedeutung, ebenso individuelle Lern­situationen wie das Schreiben von Lerntexten oder Lesetagebüchern.

Die gegenwärtige Diskussion macht folgende Fragen offenkundig: Wie können die individuellen Lernentwicklungen und Lernwege der Kinder verlässlich festgestellt und interpretiert werden? Welche unterschiedlichen Hilfen und Anregungen brau­chen Kinder auf ihren eigenen Lernwegen? Inwieweit muss eigenaktives Lernen durch direktiven Unterricht ergänzt werden? Mit anderen Worten: Inwieweit ist erfolgreicher Unterricht auf das Zusammenspiel von Instruktion und Konstruktion angewiesen?

2.5 Heute: Didaktik des sprachlichen Handelns

Fünf Prinzipien

Deutschunterricht im heutigen Verständnis aktiviert die derzeitigen deutschsprachlichen Möglichkeiten der Kinder und regt ihre Weiterentwicklung an. Er ist so angelegt, dass Kinder sprachlich authentisch agieren und ihre Sprachfähigkeiten in für sie sinnvollen Situationen nutzen sowie weiterentwickeln mit dem Ziel:

die eigenen Lebenssituationen besser zu bewältigen und die eigenen Lebens­welterfahrungen zu erweitern,die Lebenssituationen in sozialen Zusammenhängen zu gestalten sowie die eigenen Möglichkeiten durch Auseinandersetzung mit anderen zu erweitern,an kultureller Tradition und kultureller Praxis auch miterlebend und mitgestaltend teilzuhaben.

An den Verben „bewältigen“, „erweitern“, „gestalten“, „miterleben“ und „teilhaben“ wird deutlich, dass der Umgang mit Sprache ein eigenaktiver und handelnder Prozess ist. Das didaktische Konzept des Deutschunterrichts ist damit treffend mit der Formel „Didaktik des sprachlichen Handelns“ zu kennzeichnen.

Die fünf Prinzipien, die alle Sprachfelder im Lernbereich Sprachen bestimmen (siehe 1.3 "Fünf Prinzipien des Sprachunterrichts"), kennzeichnen in spezifischer Ausprägung auch den Deutschunterricht. Sie werden teilweise vom Kind, zum Teil von der sozialen Gruppe und vom Gegenstand her akzentuiert.

Prinzip Kompetenzentwicklung

Die Kinder haben bereits Sprachkompetenzen, wenn sie in die Schule kommen: in mündlicher Verständigung, in der Mediennutzung, oft auch im Zugang zur Schriftsprache. Kinder mit Migrationshintergrund besitzen solche Kompetenzen möglicherweise in der deutschen Sprache weniger oder gar nicht, dafür aber in ihrer Familiensprache. Die Kompetenzen besitzen die Kinder zwar individuell auf verschiedenen Niveaus, aber es sind immer Sprachhandlungskompetenzen, mit denen sie im bisherigen Lebensalltag zurechtkommen. Die vorhandenen Kompetenzen müssen wahrgenommen und herausgefordert werden. Ihre Weiterentwicklung ist der zentrale Auftrag des Deutschunterrichts – und als Sprachprinzip auch Aufgabe aller anderen Fächer (aktuelles Stichwort: sprachsensibler Unterricht).

Ein ausführlicher erforschtes und praxisentwickeltes Beispiel ist der Weg der Kinder in die Schrift (siehe "Lernfelder beim Weg in die Schrift"). Das Sprachentwicklungs­prinzip gilt darüber hinaus für den Deutschunterricht generell und muss auf alle Aufgabenbereiche hin beachtet werden. Aus den Erfahrungen im Schriftspracherwerb ist dabei auch der Zusammenhang von eigenaktivem Lernen und Unterstützungen zu bedenken, also das Zusammenspiel von Instruktion und Konstruktion in einem interaktiv wirksamen Lernarrangement.

Seine Sprache entwickeln muss das Kind schon selbst, dies kann es aber nicht von allein. Siehe hierzu die folgenden Prinzipien.

Prinzip Situationsbezug

Dieses Prinzip knüpft an eine Grundforderung der Didaktik der sprachlichen Kommunikation an, führt aber über den engen Adressatenbezug hinaus: Sprachliches Handeln der Kinder bedarf der herausfordernden Situationen. Die Situationen müssen so gewählt sein, dass sie für die Kinder den Sinn stiften, authentisch zu handeln. Es sind zunächst die vielfältigen Situationen des Klassenlebens, die immer dann entstehen, wenn das Leben und Lernen in der Klasse/Schule auch als Aufgabe gemeinsamer Gestaltung von Kindern und Lehrerin/Lehrer verstanden wird: von der Gestaltung des Miteinanders, der Entwicklung von Bräuchen bis zu Vereinbarungen und Reflexionen über Unterrichtsthemen, über didaktische Formen (z. B. freie Arbeit oder Werkstatt), über besondere Unternehmungen.

Der Unterricht im engeren Sinne erzeugt dann Situationen für authentisches Handeln, wenn er für die Kinder zum Ernstfall wird: Eine Aufgabe fordert sie heraus, ein vorzeigbares Werk am Ende ist ein gewolltes Arbeitsziel, Experimentier- und Erfindungslust sind geweckt. Das Kind will etwas schreiben, etwas lesen, etwas anderen mitteilen, etwas präsentieren, etwas üben, um es dann besser zu können.

Tragfähig für weiteres Lernen wird der Situationsbezug, wenn die allgemeine Lernsituation so entwickelt werden kann, dass vielfältiges sprachliches Handeln ein Grundmotiv für die Kinder ist und Unterrichtsstrukturen die Situationen vorprägen. Dies können z. B. die Entwicklung einer Lese-Schreib-Kultur, feste Lesezeiten, eingeführte Leserituale oder institutionalisierte Gesprächsforen (Morgenkreis, Versammlung, Klassenrat, Schreibkonferenz) sein. Dieser generelle Situationsbezug erleichtert, dass der jeweils konkrete Situationsbezug hergestellt werden kann.

Prinzip Sozialbezug

Sozialbezug ist eine grundlegende Bedingung, damit Kinder sich überhaupt entwickeln können. Im Unterricht sind Sozialbezüge bedeutsam, die anregende und akzeptierende Geselligkeit herstellen, die das Leben und Lernen als gemeinsame Aufgabe verstehen, die Vorbilder und Muster für elaboriertes Sprechen, für Lesen und Schreiben als lebenswichtige Tätigkeiten, für Nachdenklichkeit vermitteln. Viele konkrete Situationen entstehen in solchen generell modulierten, sozialen Bezügen, z. B. wenn Kinder zur Vorleserunde zusammenkommen, wenn sie zu zweit einen Text mit dem Computer schreiben, wenn sie gemeinsam einen Arbeitsschritt planen, wenn sie eine Schreibkonferenz durchführen.

Je vielfältiger die Sozialbezüge in der Schule entwickelt werden können, umso reichhaltiger entstehen Situationen und Handlungsmöglichkeiten. Dies ist eine wichtige Begründung für komplexere Unterrichtsorganisationen wie Projektarbeit oder freie Arbeit, aber auch für tradierte wie Vorlesen, Vortragen und Zuhören, Lehrgespräche mit konzentriert geführtem Dialog.

Prinzip Bedeutsamkeit der Inhalte

Sprachliches Handeln ist immer auch auf bedeutsame Inhalte gerichtet, wenn nicht verbaler Aktionismus gefördert werden soll. Bedeutsam können Inhalte sein, die subjektiv als wichtig von den Kindern erlebt werden: die Klärung eines aktuellen Streits, das Gespräch über eine anregende Fernsehsendung, der eigene Text für das Klassentagebuch, der Unterricht über ein animierendes Thema (z. B. Dinosaurier, amerikanische Ureinwohner, Pferde).

Bedeutsam sind aber auch Inhalte, die objektiv für Gegenwart und Zukunft der Kinder wichtig sind. Hierzu gehören Schlüsselthemen wie Frieden als Aufgabe, Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, Arbeit und Arbeitslosigkeit, selbstbewusster und kritischer Umgang mit Medien. Diese objektiv bedeutsamen Inhalte müssen in der Wahrnehmung der Kinder subjektiv bedeutsam werden, um mit und an ihnen zu lernen.

Hierzu zählt auch die Teilhabe an der kulturellen Welt. Die Schule leistet in der Weitergabe von kultureller Tradition einen wichtigen Beitrag zu einem historischen Verständnis der eigenen Existenz und zur Fähigkeit, am kulturellen Leben teilnehmen zu können. In einer internationaler werdenden Gesellschaft darf dies aber nicht auf das deutschsprachige kulturelle Erbe begrenzt sein. Auch Sprachen und literarische Traditionen anderer Länder müssen einbezogen werden, vor allem der Länder, die durch die Kinder in der jeweiligen Klasse vertreten sind. Beispiele hierzu sind Unterricht in Begegnungssprachen und der Einbezug von Kinderliteratur, Fabeln, Redensarten aus anderen Ländern. Die Traditionsvermittlung ist im Übrigen mit dem Sockelsturz der Muttersprachlichen Bildung und der Verachtung von sogenannter „Kanonliteratur“ in der Deutschdidaktik verlorengegangen; die Diskussion hierzu ist aber wieder aufzunehmen.

Prinzip Sprachbewusstheit

Eigenverantwortlicher Umgang mit Sprache erfordert die Fähigkeit, sich über Sprache und Sprachhandeln miteinander zu verständigen, selber sein Sprachhandeln zu planen, zu steuern und zu reflektieren. Grundschulkinder müssen dazu lernen, Sprache und Sprachhandeln zum Gegenstand des Nachdenkens zu machen. Kinder praktizieren dies, wenn sie z. B. der Struktur der Buchstabenschrift auf die Spur kommen, wenn sie Freude am Sprachspiel haben, wenn sie über Streitsituationen nachdenken, wenn sie sich über einen Text beraten oder einen eigenen Text überarbeiten.

Für den Unterricht wurden in allen Didaktikkonzepten aktivierende Möglichkeiten für Grundschulkinder entwickelt. Einige Beispiele: die strukturierende Arbeit mit Wortfeldern in der Muttersprachlichen Bildung, der Wechsel zwischen Rollenspiel und Gespräch, die Verständigung über Unterricht in der Didaktik der sprachlichen Kommunikation, lernergeleitete Arbeitsweisen (wie Schreibkonferenz und Lesetagebuch) nach der subjektivistischen Wende. Diesen Schatz an Methoden gilt es zu sichern.

Vier Kompetenzbereiche

Deutschunterricht, der den fünf Prinzipien folgt, ist notwendigerweise integrativer Unterricht. Situationen oder bedeutsame Inhalte etwa sind nicht nach den Bereichen des Faches zu sortieren: Wenn die Kinder lesen, dann mögen sie auch über Gelesenes sprechen, können zum Schreiben angeregt werden. Überhaupt erwachsen die reichsten Möglichkeiten sprachlichen Handelns in komplexen Situationen mit vielen Sozialbezügen, die vielfältige Handlungsmöglichkeiten begründen und provozieren: miteinander sprechen und etwas erlesen, etwas aufschreiben und darüber nachdenken, andere befragen, die Ergebnisse auswerten und präsentieren usw. Die aktuelle Diskussion um den Schriftspracherwerb unterstreicht die Bedeutung des Wechselspiels von Lesen und Schreiben und darin wiederum integriert die Entwicklung des Rechtschreibens. Dies alles spricht dafür, eine andere, nämlich integrativ orientierte Gliederung des Faches vorzunehmen anstelle der traditionellen Zugriffe auf Sprache als eigene Fachbereiche, nämlich: Sprechen – Schreiben – Lesen – Nachdenken.

Dennoch liegt bisher keine überzeugende Alternative vor. Auch die Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Primarbereich weisen die fachlichen Bereiche im Einzelnen als „Kompetenzbereiche des Faches Deutsch“ aus, betonen dann aber: „Die Kompetenzbereiche sind im Sinne eines integrativen Deutschunterrichts aufeinander bezogen.“ (KMK 2005, 7 f.) Vielleicht bietet sich die getrennte Darstellung der Bereiche auch deshalb an, weil sie bei aller integrativen Durchdringung doch auch ihre spezifischen Ziele und Lernprozesse haben. Ich folge deshalb zunächst der traditionellen Einteilung, wohl wissend, dass, wie so oft, „alles mit allem zusammenhängt“.

Sprechen und Zuhören

Die Mündlichkeit ist Ausgangspunkt des Deutschunterrichts, weil die Kinder hier ihre sprachlichen Fähigkeiten am weitesten fortgeschritten entwickelt haben. Sie ist Medium des Unterrichts, weil in der Mündlichkeit der überwiegende Teil des Unterrichts, insbesondere Austausch, Erarbeitung und Verständigung, stattfindet; außerdem ist sie ein wichtiger Zielbereich.

Die Bildungsstandards nennen hierzu:

Zu anderen sprechenVerstehend zuhörenGespräche führenSzenisch spielenÜber Lernen sprechen

Schreiben

Im Bereich Schreiben ist von Anfang an das Handhaben von Schrift sowie das Rechtschreibenlernen integriert, weil nur dadurch die Sinnhaftigkeit des Schreibens eigener Texte hergestellt werden kann. Wenn Kinder Gründe für das Schreiben haben, dann begründet dies auch das Erlernen der Schrift; wenn Kinder Gründe für die Veröffentlichung von Texten haben, dann fördert dies auch die Orientierung an der normierten Rechtschreibung.

Die Bildungsstandards nennen als Teilkompetenzen:

Über Schreibfertigkeiten verfügenRichtig schreibenTexte planenTexte schreibenTexte überarbeiten

Lesen – mit Texten und Medien umgehen

Der Umgangsbegriff akzentuiert das Sprachhandeln mit Texten jenseits einer Verehrungsdidaktik. Das Gegenstandsfeld „Texte“ wird erweitert um den Begriff „Medien“. Dabei wird ein weiter Textbegriff zugrunde gelegt, der alle Texte umfasst, die in den verschiedenen, für Grundschulkinder relevanten Medien präsentiert werden, also auch Hör- und Sehtexte. Der Begriff „Medien“ soll verdeutlichen, dass auch medienspezifische Zuschnitte, Präsentationen und Vermarktungen Gegenstände des Unterrichts sind. Das Lesenlernen ist von Anfang an integriert, wie auch Handschrift und Rechtschreiben im Schreiben.

Die Bildungsstandards nennen als Teilkompetenzen:

Über Lesefähigkeiten verfügenTexte erschließenTexte präsentieren

Sprache und Sprachgebrauch untersuchen

Das Untersuchen von Sprache fördert die Sprachbewusstheit in allen Fachbereichen. Deshalb ist dieser Bereich in die übrigen als Meta-Ebene integriert. Die gesonderte Bearbeitung soll die besondere Bedeutung des experimentierenden und nachdenklichen Umgangs mit Sprachhandeln und Sprachsystem unterstreichen. Zugleich soll sie helfen, das spezifische, didaktische Repertoire dieses Zugriffs auf Sprache zu sortieren.

Die Bildungsstandards nennen als Teilkompetenzen:

Grundlegende sprachliche Strukturen und Begriffe kennenSprachliche Verständigung untersuchenAn Wörtern, Sätzen, Texten arbeitenGemeinsamkeiten und Unterschiede von Sprachen entdecken

Die Abbildung zu Beginn des Unterkapitels "Vier Kompetenzbereiche" soll die Zusammenhänge verdeutlichen:

Sprechen und Zuhören (Mündlichkeit) haben zentrale Bedeutung, weil sie neben eigener Zielsetzung Medium für die Verständigung im schulischen Alltag, im Unterricht generell sowie für alle Bereiche des Deutschunterrichts sind.Schreiben und Lesen sind korrespondierende Bereiche, zwei Seiten derselben Medaille Schriftlichkeit. Beiden liegt die Buchstabenschrift mit ihren strukturellen Eigenheiten in der deutschen Schriftsprache zugrunde. Beide tendieren, im Unterschied zur Mündlichkeit, zu sprachlicher Elaboriertheit. Zudem regt das Lesen oft das Schreiben an; immer wird Geschriebenes (hoffentlich) auch gelesen.Sprache und Sprachgebrauch untersuchen ist die Meta-Ebene in den drei Bereichen, bezieht sich also sowohl auf die Mündlichkeit als auch auf die Schriftlichkeit mit den Bereichen Lesen und Schreiben.

Die Bildungsstandards ergänzen diese Kompetenzbereiche in einem Schaubild um den Bereich Methoden und Arbeitstechniken (KMK 2005, 7). Dabei wird aber wiederum auf den integrativen Zusammenhang verwiesen: „Sachbezogenes, methodenbezogenes und soziales Lernen sind im Deutschunterricht der Grundschule untrennbar miteinander verbunden.“ (8)

Sprechen und Zuhören

zu anderen sprechenverstehend zuhörenGespräche führenszenisch spielenüber Lernen sprechen

Schreiben

über Schreibfertigkeiten verfügenrichtig schreibenTexte planenTexte schreibenTexte überarbeiten

Lesen – mit Texten und Medien umgehen

über Lesefähigkeiten verfügenüber Leseerfahrungen verfügenTexte erschließenTexte präsentieren

Methoden und Arbeitstechniken

Methoden und Arbeitstechniken werden jeweils in Zusammenhang mit den Inhalten jedes einzelnen Kompetenzbereichs erworben.

Sprache und Sprachgebrauch untersuchen