Leichenfund im Baugrubengrund - Cindy Jäger - E-Book

Leichenfund im Baugrubengrund E-Book

Cindy Jäger

0,0
3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: Midnight
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Blutige Baugruben und Streuobstwiesen – Hier kommt die gewitzte Hobbyermittlerin Katrin Schimmelpfennig! Auf der Baustelle der Firma Gscheidle auf der Schwäbischen Alb liegt ein Toter. Es ist der Vorsitzende des Weilheimer Gewerbevereins, der sich beim Kampf gegen ein Wohnungsbauprojekt, für das eine Streuobstwiese weichen muss, viele Feinde gemacht hat. Ghobard Gscheidle war der Letzte auf der Baustelle und wird sogleich als Tatverdächtiger verhört, was im Ort für mächtig Tratsch sorgt. Zum Glück ist Katrin Schimmelpfennig, eine alte Freundin der Familie Gscheidle, gerade aus Berlin zu Besuch. Katrin ist eine charmante Mittvierzigerin und sehr gewitzte Betrügerin, die davon lebt, nach dem Geld reicher Männer zu angeln. Soe langweilt sich in der schwäbischen Provinz fast zu Tode und beginnt daher, herumzuschnüffeln. Trotz Problemen mit der schwäbischen Mundart stößt sie auf geheime Machenschaften des alteingesessenen Weilheimer Familienclans Kümmel, die eine Baufirma besitzen. Bald wird eine zweite Leiche gefunden, wieder auf einer Baustelle und es wird nicht der letzte Tote bleiben … Wo die Wiesen blutig sind und Leichen in Baugruben liegen – für Fans von Leberkässemmeln und witzigen Regiokrimis 

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Leichenfund im Baugrubengrund

Die Autorin

Cindy Jäger wurde 1980 geboren und schreibt sich die Welt, wie sie ihr gefällt. Dafür plündert sie die Detektivgeschichten ihrer Kindheit, Popsongs und ihre Zeitgenossen. Sie lebt derzeit in der Nähe von Stuttgart, dort überprüft sie die Qualität von Schleim, Schaltkreisen und Spielfiguren und beschert möglichst vielen Katzen ein sorgloses Leben.

Das Buch

Auf der Baustelle der Firma Gscheidle auf der Schwäbischen Alb liegt ein Toter. Es ist der Vorsitzende des Weilheimer Gewerbevereins, der sich beim Kampf gegen ein Wohnungsbauprojekt, für das eine Streuobstwiese weichen muss, viele Feinde gemacht hat. Ghobard Gscheidle war der Letzte auf der Baustelle und wird sogleich als Tatverdächtiger verhört, was im Ort für mächtig Tratsch sorgt. Zum Glück ist Katrin Schimmelpfennig, eine alte Freundin der Familie Gscheidle, gerade aus Berlin zu Besuch. Katrin, eine charmante Mittvierzigerin und sehr gewitzte Betrügerin, die davon lebt, nach dem Geld reicher Männer zu angeln, langweilt sich in der schwäbischen Provinz zu Tode und beginnt daher, herumzuschnüffeln. Trotz Problemen mit der schwäbischen Mundart stößt sie auf geheime Machenschaften des alteingesessenen Weilheimer Familienclans Kümmel, die eine Baufirma besitzen. Bald wird eine zweite Leiche gefunden, wieder auf einer Baustelle und es wird nicht der letzte Tote bleiben…

Cindy Jäger

Leichenfund im Baugrubengrund

Ein Schwaben-Krimi

Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de

Originalausgabe bei MidnightMidnight ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH,Berlin September 2021 (1)© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021Umschlaggestaltung:zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © Dorothe LunteE-Book powered by pepyrus.comISBN 978-3-95819-313-0

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

Auf einigen Lesegeräten erzeugt das Öffnen dieses E-Books in der aktuellen Formatversion EPUB3 einen Warnhinweis, der auf ein nicht unterstütztes Dateiformat hinweist und vor Darstellungs- und Systemfehlern warnt. Das Öffnen dieses E-Books stellt demgegenüber auf sämtlichen Lesegeräten keine Gefahr dar und ist unbedenklich. Bitte ignorieren Sie etwaige Warnhinweise und wenden sich bei Fragen vertrauensvoll an unseren Verlag! Wir wünschen viel Lesevergnügen.

Hinweis zu UrheberrechtenSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Danksagung

Leseprobe: Zirbenholz und Alpenmord

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Widmung

Di Gschicht ond älle Leit, die wo drin vorkommet, send frei erfonda.

Hinweis

Übersetzungen ins Schwäbische von Sylvia Scheufele

Prolog

Schon den ganzen Nachmittag lang hatte feiner Nieselregen den Blick auf die Schwäbische Alb getrübt. Nun brauten sich über den Bergen dicke graue Regenwolken zusammen. Der aufkommende Wind verzerrte den vertrauten Klang der Kirchenglocken, die ankündigten, dass es bereits sieben Uhr abends war, und trug stattdessen das Rauschen der nahen Autobahn heran. Den kleinen Ort Weilheim störte das nicht. Er lag inmitten der Wiesen und Hügel und ließ sich weder vom Wetter noch vom Weltgeschehen beeindrucken.

Doch das Weilheimer Idyll war in Gefahr, und Volker Hepperle, vor 67 Jahren hier geboren, wusste nun endlich, von wem sie ausging.

Den ganzen Tag hatte er in Stuttgart verbracht, eine nervtötende und seelenlose Stadt, die er für gewöhnlich mied. Die Fahrt dorthin hatte er jedoch nicht länger hinauszögern können. Er musste Gewissheit haben!

Deshalb hatte er dem Handelsverein in Stuttgart einen Überraschungsbesuch abgestattet und mit dem Schriftführer gesprochen. Dieser hatte ihm Einblicke in Protokolle gewährt, die eigentlich nicht für seine Augen bestimmt waren. Aber da zeigte sich wieder einmal sein Einfluss. Der Name Volker Hepperle war nicht nur den Weilheimern ein Begriff.

Sein ganzes Leben hatte er seinem Heimatort gewidmet. Als Junge hatte er sich beim Laufen angestrengt, um den 1. Platz im Hürdenlauf für den TSV Weilheim zu holen. Dann hatte er die kleine Obstschnapsbrennerei seines Vaters dichtgemacht, um Europas drittgrößter Produzent für Trockenobst zu werden. Obst, das von den zahlreichen Streuobstwiesen am Fuß der Schwäbischen Alb kam. Und zu einer solchen Wiese war er jetzt unterwegs.

Seit er in Stuttgart losgefahren war, trommelte sein Herz unbeschreiblich schnell, und sein Blutdruck stieg mit jedem Kilometer, den er hinter sich gelassen hatte. Auch der Anblick Weilheims besänftigte ihn heute nicht. Er erwog, noch eine Bisoprolol zu nehmen. Stattdessen ließ er das Fenster herunter und nahm einen tiefen Atemzug.

Er lenkte seinen Wagen am Kern des Städtles vorbei, wo Straßenlaternen die Peterskirche und die umliegenden Fachwerkhäuser in heimeliges Licht tauchten. Fast niemand war mehr unterwegs.

Was er in Stuttgart erfahren hatte, war ungeheuerlich. Aber er würde die Person zur Rede stellen, und zwar gleich. Der Junge würde erfahren, was es hieß, sich mit Volker Hepperle anzulegen!

Dass es so ein Kerle überhaupt wagte, seine jahrzehntelangen Bemühungen zu untergraben und den ganzen Ort kaputt zu machen! Aber Volker Hepperle war ein einflussreicher Geschäftsmann, er war Vorsitzender des Weilheimer Gewerbevereins und eine treibende Kraft, wenn es um die Interessen seines Heimatortes ging. Er würde sich ihm in den Weg stellen!

Man muss der Jugend nur den Wert der Heimat begreiflich machen, dachte er, als er das Ortsschild von Weilheim wieder hinter sich ließ.

Scharf bog er links in einen Feldweg ein, der sich an der Limburg, dem Weilheimer Hausberg, vorbeischlängelte. Nach ein paar Minuten kam er am Rand einer Wiese zum Stehen. Wo jetzt noch blühende Apfelbäume standen, würden sich bald Baumaschinen durch den Boden fressen. Der Gedanke daran trieb seinen Blutdruck zusätzlich in die Höhe. Er griff nach seinen Bisoprolol, als jemand an die Scheibe klopfte.

Volker Hepperle stieg aus und nahm erneut einen tiefen Atemzug. Man musste dem Jungen ruhig, aber bestimmt gegenübertreten, dann würde er sich seinen Argumenten, seinen Bitten, nicht verschließen können. Sein Vorsatz währte jedoch nicht lange. Gelassenheit war keine Stärke von Volker Hepperle, war es noch nie gewesen.

»I woiß jetzt älles!«, stieß er anstelle einer Begrüßung hervor.

»Das hast du am Telefon schon gesagt. Und was willst du jetzt machen?«, erwiderte sein Gegenüber.

Volker Hepperle schnappte nach Luft und suchte nach den passenden Worten, um dieser Frechheit zu begegnen. Ihm fielen keine ein, und sein Herz schlug jetzt so laut, dass es ihm fast das Trommelfell zerriss. Sicher musste der Junge es hören. Was, wenn er ihn nicht dazu brachte, das Richtige zu tun? Der Junge hatte Einfluss und Geld. So viel Geld. Volker Hepperles Gedanken rasten genau wie sein Herz.

Die Augen des Jungen wirkten kalt, und er schien zu allem entschlossen. Und eigentlich war es kein Junge mehr. Es lag nur an Hepperles fortgeschrittenem Alter, dass ihm alle anderen unendlich jung vorkamen. Mit einem Mal fühlte er sich machtlos. In den letzten Jahren war ihm immer mehr Widerstand entgegengebracht worden, vor allem von den Jüngeren, die dachten, dass er sich dem Fortschritt und der Modernisierung entgegenstellte. Er brach in Schweiß aus und rang immer noch nach Worten.

Er konnte ja nicht wissen, dass dem Jungen ebenfalls fast das Herz aussetzte. Sein fantastischer Plan, den er vor über zwei Jahren ersonnen hatte! Alles lief wie am Schnürchen, und nun war ihm der alte Hepperle auf die Schliche gekommen. Aber wie hatte er davon erfahren? Und hatte er jemandem davon erzählt? Das musste er herausbekommen. Doch er kam nicht mehr dazu, das Wort an den Alten zu richten.

Volker Hepperle wurde plötzlich ganz weiß im Gesicht und griff sich ans Herz. Schwer atmend ließ er sich zurück auf den Fahrersitz sinken und durchsuchte mit zitternder Hand die Tasche seines Sakkos. Er beförderte eine Tablettenschachtel hervor, die ihm jedoch gleich wieder aus der Hand fiel und auf dem Boden landete. Der junge Mann bückte sich, hob die Tabletten auf und drückte eine aus dem Blister. Als er sie Volker Hepperle reichen wollte, hielt er inne. Der Alte hatte kaum noch Farbe im Gesicht, und sein Hemdkragen war schweißnass. Langsam zog er die Hand mit der Tablette zurück und ging ein paar Schritte von ihm weg. Ungläubig blickte Volker Hepperle ihn an, bis ihn die Gewissheit überkam, dass ihm hier, auf dem Feldweg am Fuße der Schwäbischen Alb, keiner helfen würde. Im Gesicht seines Gegenübers zeichnete sich ein eigenartiger Ausdruck ab. Gerade so, als würde er von einer Erkenntnis überwältigt werden, die er selbst noch nicht einordnen konnte. Welche das war, sollte Volker Hepperle aber nicht mehr herausfinden. Er sank in sich zusammen, und nach einem letzten Röcheln nach Luft blieb sein Herz stehen. Unbeweglich saß er in seinem Sitz.

Der junge Mann starrte minutenlang auf den leblosen Körper und lachte. Aber nicht bösartig, vielmehr entrang sich seiner Kehle ein befreiendes Lachen. Das war ein Wink des Schicksals, dachte er. Sein größtes Problem hatte sich vor seinen Augen in Luft aufgelöst. Das Universum wollte ihm damit etwas mitteilen. Von jetzt an würde er sich von nichts und niemandem mehr aufhalten lassen. Alle seine Feinde, alle, die ihm das Leben schwer gemacht hatten, die ihm nachts durch ihre pure Existenz den Schlaf raubten – sie alle würden ebenfalls verschwinden. Er musste es nur gut planen, noch besser als bisher. Langsam zog er sich zurück. Den Tablettenblister, den er bereits angefasst hatte, nahm er mit. Hatte er sonst irgendwas berührt? Er würde über die Wiese zurücklaufen, um auf dem nun regennassen Boden keine Spuren zu hinterlassen. Nach wenigen Metern verlangsamte er seine Schritte. Hepperle einfach hierzulassen, reichte nicht. Er musste sich um die Leiche kümmern, musste sie für seine Zwecke nutzen. Und er wusste auch schon, wie. Wieder musste er lachen, dieses Mal über seine Geistesgegenwart. Seinem Vater hätte der Plan sicher gut gefallen. Die Leute konnten über seinen Vater sagen, was sie wollten, und ihn als impulsiv bezeichnen, dabei ließ er sich nur ungern gute Gelegenheiten entgehen.

Jetzt musste er den alten Hepperle erst einmal nach Weilheim bringen, und alles Weitere würde sich dann ergeben. Von nun an würde ihm niemand mehr auf die Schliche kommen. Sie alle würden nach seiner Pfeife tanzen, und sie würden es nicht einmal merken.

Als er sich an diesem Abend ins Bett legte, schlief er sofort ein. Keine einzige Erinnerung quälte ihn, und er brauchte keine Flurazepam, um in einen schweren traumlosen Schlaf zu fallen, aus dem er am nächsten Morgen völlig gerädert erwachen würde.

Nein, am folgenden Morgen wachte er auf, frisch und erholt und zu jeder Schandtat bereit.

Kapitel 1

Abfahrt

Auf Gleis 5 hat Einfahrt ICE 2553 von Berlin-Gesundbrunnen nach Stuttgart Hauptbahnhof, Abfahrtszeit 5 Uhr 33.

Verdammt! Da kam auch schon mein Zug! Schneller laufen war aber keine Option wegen meiner Valentino-Pumps, den zwei Ziehkoffern im Schlepptau sowie meiner Speedy von Louis Vuitton und meiner Chanel 2.55, eine an jedem Arm. Als der Zug einfuhr, stand ich noch nicht mal auf der Rolltreppe!

Ich überzeugte einen müden Anzugträger, der außer einem leichten Bierbauch, einem Aktenkoffer und einem Pappbecher mit Kaffee nichts zu tragen hatte, mir einen Koffer abzunehmen und zu meinem Abteil zu ziehen. Bis zur 1. Klasse war es noch ein ganzes Stück den Bahnsteig entlang, das hätte ich allein nie geschafft. Ich bedankte mich mit einem umwerfenden lächeln, aber der Typ wischte sich nur den Schweiß von der Stirn und trollte sich einfach davon. Kein Lächeln, kein Angebot, mir gerne jederzeit wieder zu helfen, kein Zettel mit seiner Telefonnummer und der Bitte, ihn anzurufen, sobald ich wieder in Berlin war. War das von nun an mein Schicksal?

Ich verstaute meine Koffer in der Gepäckablage, die viel zu klein dafür war. Die Louis Vuitton Speedy nahm ich mit an meinen Platz. Da waren meine Schätze drin, und die Tasche an sich war natürlich auch einiges wert. Erschöpft sank ich in meinem Sitz zurück, aber zur Ruhe kam ich nicht.

Verstohlen blickte ich aus dem Fenster auf den Bahnsteig. War ER mir hierher gefolgt? Saß ER vielleicht sogar im Zug? Während meines Kampfes mit dem Gepäck hatte ich gar nicht auf meine Umgebung geachtet.

Der Zug fuhr los, und ich entspannte mich ein wenig. Es war noch nicht einmal sechs Uhr, da lag ER, mein Stalker, sicher noch bei seiner Frau im Bett und träumte höchstens von mir.

Ein Stalker? Oh, die Arme, denkt ihr jetzt vielleicht. Aber es hat ja irgendwann mal so kommen müssen, das war mir immer klar gewesen! Ich war selbst schuld und hatte ja meine eigene Regel gebrochen, nie etwas mit einem Typen anzufangen, der in Berlin lebte. Aber mit 42 habe ich eben nicht mehr so die Auswahl wie früher!

Jetzt fragt ihr euch bestimmt, wovon ich eigentlich rede. Mein Leben und meine Entscheidungen können die wenigsten Leute nachvollziehen. Aber bis Stuttgart sind es über sechs Stunden Fahrzeit, also warum soll ich euch nicht erzählen, was ich so treibe und wie ich zu meinem Stalker gekommen bin. Vielleicht ist es ganz gut, ausnahmsweise mal von Anfang an ehrlich zu sein. Und falls mir etwas passiert, dann wisst ihr, es war Franz-Martin Schmutzler, 50 plus, Inhaber eines Dentallabors in Berlin-Charlottenburg.

Ich hatte Franz-Martin, wie sagt man gleich, ach ja, beruflich kennengelernt. Mit Zähnen oder Laboren habe ich allerdings nichts zu tun. Ich verdiene mein Geld auf freiberuflicher Basis, indem ich teure Bars, Cafés und Hotelrestaurants besuche. Und da lerne ich dann Männer kennen, die gerade beruflich in Berlin sind. Erst flirte ich ein bisschen mit ihnen und horche sie dabei aus. Tja, und danach nehme ich sie aus. Das bekommen die Typen aber erst mit, wenn sie schon wieder auf dem Weg nach Hause zu ihrer Familie sind, und dann wollen sie die kleine Episode in Berlin lieber schnell vergessen.

Aber das ist doch kein Beruf!, ruft ihr jetzt ganz entsetzt. Du bist eine Betrügerin!

Ach was! Ich bin eine hochspezialisierte, flexibel einsetzbare und sozial kompetente Ansprechpartnerin für Männer, die sich langweilen, die ein wenig Aufmerksamkeit brauchen oder die sich einfach nur wichtigmachen wollen. Mir egal, weshalb sie Zeit mit mir verbringen oder mir ihr Geld geben wollen. Ich bin da offen für fast alles.

Der Zugbegleiter kam, und ich zückte mein Smartphone, um ihm das Ticket zu präsentieren, aber er wollte nur wissen, ob er mir einen Kaffee bringen dürfte. Durfte er.

Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, die Männer. Wenn ihr jetzt denkt, dass es mir nur ums Geld geht, dann liegt ihr falsch. Natürlich muss ich meine Miete zahlen, und ich will mir wenigstens ein paar von den Luxus-Handtaschen und Designer-Schuhen kaufen, die es überall gibt. Und meine Schwester Steffi hatte es mit ihrem Fußpflegesalon in letzter Zeit auch nicht leicht, und ich musste zeitweise das Geld für uns beide verdienen. Was auch nicht mehr so einfach ist, seit alle auf Online-Seminare umgestiegen sind, anstatt sich in sauteuren Hotels zu treffen, um zu fachsimpeln und sich danach an der Bar von mir abfüllen und ausnehmen zu lassen.

Aber ich habe von den Typen nicht nur das Geld abgegriffen, sondern auch von ihnen gelernt. Segeln zum Beispiel, oder alles über Computer und Smartphones, wie ein multinationaler Konzern funktioniert, wie man im Fünf-Sterne-Restaurant den passenden Wein auswählt und in welche Designertaschen man investieren sollte (zum Beispiel die Chanel 2.55 und die Speedy von Louis Vuitton). Das alles habe ich von den Männern gelernt. Und ich habe ein bisschen was von der Welt gesehen. Von zu Hause aus sind wir nie in den Urlaub gefahren, und auch ein guter Schulabschluss war nicht unbedingt eine Priorität in meinem Elternhaus. Aber nach über zwanzig Jahren in diversen Berliner Bars und Restaurants habe ich mir ein ziemlich umfassendes Allgemeinwissen angeeignet.

Mein Kaffee kam, und ich nahm gierig einen viel zu heißen Schluck. Kaffeesorten und Herkunftsländer konnte ich auch bestimmen, das hatte ich von einem Feinkost-Importeur aus Hamburg gelernt. Netter Kerl, großzügig und so viel Enthusiasmus für Kaffeebohnen! Das war jetzt auch schon wieder drei, vier Jahre her.

Seit ich nicht mehr zur Jugend zählte, war es noch schwieriger geworden, wirklich fette Fische an Land zu ziehen. Männer, die so oberflächlich sind und sich für ein bisschen Aufmerksamkeit ausnehmen lassen, wollen lieber von einer jungen Frau angehimmelt werden. Und von denen gab es in Berlin mehr als genug. Das war auch der Grund, warum ich mit meinem Vorsatz gebrochen hatte, immer nur etwas mit Durchreisenden anzufangen. Aber Franz-Martin war einfach unwiderstehlich gewesen. Unverkennbar in der Midlife-Crisis, hatte er sich vom Zahntechniker hochgearbeitet und sein ganzes Leben lang geschuftet, um sich sein eigenes Dentallabor aufzubauen. Damit war er so erfolgreich gewesen, dass Kunden aus der ganzen Welt zu ihm kamen und ihm jeden Preis zahlten. Franz-Martin schwamm im Geld, hatte eine Stadtvilla samt Fuhrpark. Nur Spaß hatte er keinen. Völlig verzweifelt war er, als ich ihn traf. Ich hätte leichtes Spiel mit ihm haben sollen, denn Spaß hatte man mit mir immer!

Ich weiß auch gar nicht, wie alles so aus dem Ruder laufen konnte. Nachdem Franz-Martin und ich in Berlin durch sämtliche Clubs und Geschäfte gezogen waren, uns auf dem Berliner Stadtring ein Wettrennen in zwei seiner Porsche geliefert und mehrere Wochenenden in den Metropolen der Welt verbracht hatten, hatte sich das Blatt gewendet.

Franz-Martin hatte irgendwie davon erfahren, wie ich meinen Lebensunterhalt verdiente. Aber wieso machte er mir jetzt das Leben zur Hölle? Was hatte das mit Spaß zu tun? Wie mich meine Menschenkenntnis so täuschen konnte, ist mir ein absolutes Rätsel.

Mit seinen Textnachrichten fing es an. Erst schrieb er mir, wie sehr er mich vermisste, und ein paar Stunden später drohte er, mich anzuzeigen oder mir schlimme Dinge anzutun! Daraufhin schrieb ich ihm nicht mehr, aber die Sache war noch nicht ausgestanden. Neben seinen ominösen Nachrichten hatte er in all meinen Stammlocations Steckbriefe von mir ausgehängt, um die Männer vor mir zu warnen! Krank, oder? Ein Barkeeper hatte sogar die Security holen lassen, aber nicht, um die Steckbriefe zu entfernen, sondern um mich hinauszuwerfen. Eifersüchtige Opfer sind wirklich die Schlimmsten!

Der Zug hielt in Leipzig, und die Tür zu meinem Abteil wurde aufgeschoben. Ein Mittvierziger verstaute seinen Handgepäckkoffer von Rimowa (teure Marke, aber nicht protzig) und nahm schräg gegenüber Platz. Kein Ehering, blank geputzte Schuhe der Marke Floris van Bommel. Die hatte ich schon Dutzende Male an Männerfüßen gesehen — und immer bei jenen, die modisch erscheinen wollten, aber keinen Geschmack hatten. Dazu ein makelloser Anzug, vermutlich Schurwolle (auch nicht billig), das Sakko etwas um die Mitte herum, aber nicht viel. Dass er Geld hatte, sah man. Aber war er auch eine gute Partie? Ich sah, wie er eine Thermoskanne aus einem Aktenkoffer holte. Vermutlich warf er sich für seine hochkarätige Firma in Schale und bekam die Fahrt in der ersten Klasse erstattet, aber die 3,50 für einen Becher Kaffee im Zug wollte er nicht selbst bezahlen? Also eher nicht.

Weshalb machte ich mir eigentlich Gedanken? Die paar Stunden Fahrt würden sowieso nicht ausreichen, irgendjemandem Geld abzuknöpfen. Und ich hatte eigentlich auch gar keine Lust dazu.

Außerdem muss ich ja meine Geschichte noch zu Ende erzählen. Also zurück zu dem Desaster in Berlin. Ich musste mir wegen Franz-Martin ein neues Jagdrevier suchen, und meine Erfolgsquote war gleich null. Ob mich meine potenziellen Opfer erkannt hatten oder ob es meine plötzliche Unsicherheit war? Keine Ahnung. Als ich gestern Abend mal wieder unverrichteter Dinge nach Hause kam, klebte jedenfalls einer dieser Steckbriefe an meiner Wohnungstür, und auf der Rückseite stand: Ich mach dich fertig, Schlampe!

Das war der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Franz-Martin wusste, wo ich wohnte, und war sogar hier gewesen! Wie hatte er das nur herausgefunden? Ich verwendete nie, NIE, NIEMALS meinen richtigen Namen. Erstens zu meiner Sicherheit, und zweitens verbreitete Katrin Schimmelpfennig für meine Zwecke einfach nicht das richtige Flair. Ich nannte mich Cathérine Simon oder Katja Sidorowna, das waren Namen, auf die die meisten Typen sofort ansprangen. Franz-Martin musste mir jedenfalls aus einer der Bars nach Hause gefolgt sein, und ich hatte es nicht gemerkt! Ist das nicht gruselig? Noch jetzt, in einiger Entfernung zu Berlin, schüttelte es mich, wenn ich daran dachte.

Und so hatte ich mich dazu entschlossen, meine Zelte in Berlin abzubrechen, zumindest vorübergehend. Wo ich hingehen sollte, war einfach: zu meiner Freundin Eva nach Weilheim.

Wenn man selber immer darauf aus ist, die Leute auszunehmen, muss man sich wenigstens anständige Menschen als Freunde aussuchen. Und ihr könnt euch sicher vorstellen, dass man solche Leute in meiner Branche eher selten trifft. Eva war jedenfalls der Inbegriff der Anständigkeit, und ich kannte sie seit über zwanzig Jahren. Damals war sie nach Potsdam gekommen, um Sport zu studieren und am Olympiastützpunkt zu trainieren. Weil Geld bei uns zu Hause immer knapp gewesen war, hatte meine Mutter das Zimmer meiner großen Schwester Steffi untervermietet, sobald sie ausgezogen war. Eva war eingezogen, und wir freundeten uns an. Ihr Ehrgeiz färbte auf mich ab, auch wenn ich mit Sport an sich nie was am Hut hatte. Stattdessen machte ich eine Friseurausbildung und lernte dort meinen ersten wohlhabenden Typen kennen. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich zog nach Berlin, und Eva kehrte nach ihrem Studium wieder nach Stuttgart zurück und lebte seit ihrer Heirat in Weilheim. Obwohl wir uns so lange kannten, war ich noch nie dort gewesen. Einmal wäre es fast dazu gekommen – ich sollte Trauzeugin bei ihrer Hochzeit sein. Aber als sich sowohl Evas Familie als auch die ihres Verlobten in ihren Vorstellungen übertrafen und die Hochzeitsfeier immer größer wurde, da waren die beiden einfach abgehauen und hatten still und heimlich bei mir in Berlin geheiratet. Es war der schönste Tag in meinem Leben gewesen, als Eva und Ghobard zu mir durchgebrannt waren!

Da fiel mir ein, dass ich mich vielleicht bei Eva ankündigen sollte. Ich schrieb ihr schnell eine Nachricht, und wenige Minuten später erhielt ich die Antwort: Nimm die S 1 nach Kirchheim, ich hole dich dort ab. Ich freue mich schon.

Das war Eva. Praktisch, herzlich, und sie stellte keine dummen Fragen. Mit einem Mal fiel die ganze Anspannung von mir ab. Ich faltete meinen Paschminaschal zu einem Kissen und schlief trotz Kaffee sofort ein.

Kapitel 2

Was soll hier schon passieren?

Umgeben von meinem Gepäck, saß ich in der S-Bahn nach Kirchheim. Ich schrieb Eva eine Nachricht, dass ich pünktlich angekommen war, erhielt dieses Mal aber keine Antwort. Sicher war Eva noch bei einem ihrer Sportkurse, oder sie hatte bei ihrem Mann im Büro zu tun.

Als ich in Kirchheim ankam, lag bereits ein ganzes Stück schwäbische Provinz hinter mir. Nach Eva hielt ich auf dem Bahnhofsvorplatz vergeblich Ausschau. Ich wartete zehn Minuten, dann rief ich sie an, aber sie nahm nicht ab. Das war ungewöhnlich. Eva war äußerst zuverlässig, und wenn sie sagt, sie ist da, dann ist sie auch da. Und eher zehn Minuten zu früh als zu spät.

Plötzlich war die Anspannung wieder da. Irgendetwas musste passiert sein! Meine Güte, Katrin, denkt ihr jetzt bestimmt. Da platzt du holterdiepolter in ihre Welt und erwartest auch noch, dass sie sofort bei Fuß steht? Aber eure schlechte Meinung über mich könnt ihr euch für später aufheben, wenn ihr mich besser kennt. Es waren einfach die Erfahrungen der letzten Wochen, die mich gleich mit dem Schlimmsten rechnen ließen.

Aber was sollte in Weilheim schon passieren? Vermutlich hatte Eva nur viel zu tun und die Uhrzeit durcheinandergebracht.

Ich schleppte mein Gepäck zurück in die Bahnhofshalle, wo ich die Wahl hatte zwischen einem mit Regalen und Ständern vollgestopften Zeitungskiosk und einem Backbistro. Ich entschied mich fürs Bistro, wo man von automatischen Schiebetüren leider nichts hielt. Nur mit Mühe zwängte ich mich mit meinen Koffern hinein. Zu Hilfe kam mir niemand, alle glotzten nur. Aber das war verständlich. Nachdem ich gestern Nacht wegen des Steckbriefs an meiner Tür in Panik ausgebrochen war, hatte ich nur schnell das Nötigste gepackt und keine Zeit darauf verschwendet, mich umzuziehen.

Deshalb stand ich jetzt in meinem schwarzen Lieblingspaillettenkleid und Nieten-Pumps im Kirchheimer Backbistro. Ich stellte meine ganzen Gepäckstücke unter einem der Stehtische ab und zog mir erst mal die Lippen nach. Roter Lippenstift gibt jedem Outfit den letzten Schliff, egal, ob ihr ein Paillettenkleid tragt oder Jeans und T-Shirt. In Berlin hatte ich peinlich genau darauf geachtet, immer präsentabel auszusehen, und mehr als einmal hatte sich das ausgezahlt. Wie damals, als mir in der Drogerie beim Klopapier Kaufen dieser Zeitungsmogul über den Weg gelaufen war, seinen Namen habe ich vergessen. Er war jedenfalls von München aus zur Berlinale eingeflogen und hatte sein ganzes Gepäck verloren. Ich war dann mit ihm shoppen, und der Typ hatte nicht nur für sich eine komplett neue Garderobe im KaDeWe gekauft, sondern auch für mich (darunter auch das schwarze Paillettenkleid). Zur Berlinale hatte er mich dann leider nicht mitgenommen, doch mein Kleiderschrank dankt ihm heute noch!

Aber egal, das war in einem anderen Leben gewesen. Ich nahm die Theke in Augenschein und erwartete eine Auslage voller halb vertrockneter Käsebrötchen und eingefallener Apfeltaschen. Viel Hunger hatte ich ohnehin nicht. Es war ja erst kurz vor eins, da schälte ich mich für gewöhnlich gerade erst aus der Bettdecke. Aber Überraschung! Die belegten Brötchen sahen frisch und die süßen Teilchen wirklich lecker aus. Und die Bedienung war so freundlich, und es wirkte gar nicht aufgesetzt, das würde mir in Berlin keiner glauben.

Ich nahm einen weiteren Kaffee und eine Butterbrezel – ein guter Einstand für meinen ersten Besuch im Ländle! Hmmm … die Brezel war noch warm, mit dicken Salzkörnern bestückt, und die Butter rundete das Ganze perfekt ab. Ich schlang sie förmlich hinunter.

Hin und wieder schaute ich nach, ob sich Eva gemeldet hatte. Als ich sie wieder nicht erreichte, schrieb ich ihr eine Nachricht und nahm ein Taxi.

Eva wohnte mit ihrer Familie in einem Reihenhaus am Stadtrand von Weilheim. Ich klingelte mehrmals, aber niemand öffnete. Gut, dass ich das Taxi noch nicht weggeschickt hatte. Evas Mann Ghobard hatte in Weilheim einen kleinen Sanitärbetrieb, bestimmt würde ich dort jemanden antreffen. Ich googelte die Adresse und gab sie dem Taxifahrer. Nach zwei Minuten waren wir im Ortszentrum. Weilheim war sehr überschaubar. Und irgendwie unwirklich. Liebevoll erhaltene Fachwerkhäuser, makelloses Straßenpflaster, Blumenkübel, in denen nicht ein welkes Blatt zu sehen war, und Menschen, die gemessenen Schrittes herumliefen und sich freundlich grüßten. Ein Musterort an Ordnung, Behaglichkeit und maßvoller Lebensfreude. Da war ich völlig fehl am Platz! Was willst du abgewrackte Trickbetrügerin denn hier?, schienen mich die schmucken Gassen mit den niedlichen Läden zu fragen. Aber ich ließ mich davon nicht beeindrucken. Außerdem fiel mir zwischendurch immer wieder auf, dass aufgegebene Geschäfte und Restaurants wie faulige Lücken in einem ansonsten makellosen Gebiss klafften. Ein seltsamer Anblick.

Flaschner Gscheidle prangte über Ghobards Geschäftsräumen. Durch die Scheibe hielt ich nach Eva Ausschau, während der Taxifahrer mein Gepäck ausräumte und es freundlicherweise in den Laden trug. Ich ließ ihn mit einem fürstlichen Trinkgeld ziehen. Wenn man auf die Großzügigkeit anderer baut, muss man selbst großzügig sein, sonst wirkt man ganz schnell verzweifelt! Aber das nur als kleiner Tipp nebenbei, falls ihr auch damit anfangen wollt, ein paar Typen auszunehmen.

Ich hörte Eva, bevor ich sie sah. Am Telefon vertröstete sie einen Kunden. Anscheinend konnte Ghobard einen Termin nicht wahrnehmen. Da war etwas in ihrer Stimme, das nicht zu ihr passte.

»Eva?«, rief ich, als sie aufgelegt hatte.

Sofort tauchte hinter einem Regal mit verschiedenen Knie-Rohren ihr strubbeliger Bubikopf auf, ganz so, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Anscheinend war sie ganz schön durch den Wind.

»Oh, Katrin!«, rief sie. »Ich habe dich ganz vergessen.« Sie kam auf mich zugestürzt und zog mich in eine ihrer herzlichen Umarmungen.

»Schön, dass du da bist«, sagte sie lächelnd, aber in ihren Augen glitzerte es.

Wann hatte ich Eva das letzte Mal weinen sehen? Damals vor über zwanzig Jahren, als sie die Qualifikation für die Deutschen Meisterschaften im Siebenkampf ganz knapp verpasst hatte? Aber da hatte sie nur ein paarmal geschluckt und dann denen, die es geschafft hatten, ganz ehrlich gratuliert. Eva war viel zu pragmatisch für Tränen und sprühte, im Gegensatz zu mir, vor bodenständigem Optimismus.

Wer oder was hatte Eva so zugesetzt, dass sie nun Tränen in den Augen hatte, und zwar nicht vor Freude?

»Setz dich doch erst mal«, meinte sie nun fahrig, während ihr Kopf zwischen Telefon und Ladentür hin und her zuckte. Draußen blieben Leute stehen und schauten durch die Scheibe zu uns hinein. Als Eva ihren Blick auffing, gingen sie schnell weiter.

»Ist was mit den Kindern?«, fragte ich vorsichtig und ließ mich auf einen Bürostuhl plumpsen.

Zu meiner Erleichterung schüttelte Eva den Kopf. »Es ist Ghobard … er ist bei der Polizei«, presste sie hervor.

»Und … was macht er da?«, fragte ich überrascht.

Da klingelte das Telefon. Eva nahm hastig ab und sagte, dass sie zurückrufen würde.

Draußen drückten schon wieder Leute ihre Gesichter gegen die Scheibe. Kurzerhand ging ich zum Fenster und warf ihnen eine Kusshand zu, wie ich sie mir von Marilyn Monroe abgeschaut hatte. Konsterniert blickten mich die Gaffer an und zogen schnell ab.

»Entschuldige«, meinte ich zu Eva, als ich wieder neben ihr Platz nahm. »Also, was macht dein Mann bei der Polizei?«

»Stell dir vor, auf einer von Ghobards Baustellen hat man einen Toten gefunden!«, sagte sie so leise, dass ich sie kaum verstand.

»Einen Toten?«, wiederholte ich laut, woraufhin sie zusammenzuckte.

»’tschuldigung«, flüsterte ich.

»Macht nichts«, erwiderte Eva matt und schaute zum Fenster, »ich bin gerade nur etwas empfindlich.«

»Bestimmt wollen sie Ghobard nur befragen«, erwiderte ich nun leise und, wie ich hoffte, beruhigend.

»Er ist aber schon seit über zwei Stunden dort!«, erklärte sie. »Ich habe alle seine Termine unter einem Vorwand abgesagt, aber es hat trotzdem schon die Runde gemacht. Ich weiß, so sollte ich nicht denken, schließlich ist jemand gestorben.«

Ich zuckte nur mit den Schultern. »Denk, was du willst. Meinen mangelnden Anstand kannst du sowieso nicht übertreffen!«

»Das würde ich auch nicht versuchen«, meinte Eva und versuchte ein zaghaftes Lächeln. »Ach, Katrin. Wenn du in meiner Nähe bist, denke ich immer: Was soll schon passieren?« Jetzt wirkte sie tatsächlich ein bisschen erleichtert.

»Weißt du, wer der Tote ist?«, wollte ich wissen.

Eva schüttelte den Kopf. »Ich hoffe, es ist keiner von den Schüllers. Bei ihnen wurde die … die Leiche gefunden, in Schüllers Bücherstüble. Ghobard verbaut dort gerade eine Lüftungsanlage. Sie haben so ein altes Fachwerkhaus, weißt du? Das lassen sie von Grund auf sanieren. Ghobard war gestern Abend noch da, als die Schüllers schon geschlossen hatten. Er ist als Letzter gegangen, und heute Morgen lag da ein Toter.«

Wieder blickten ein paar Leute durch die Scheibe. Ich überlegte, nach draußen zu gehen und mich lautstark für die Aufmerksamkeit zu bedanken, aber das hätte Eva wohl kaum geholfen. Stattdessen hatte ich mal einen vernünftigen Gedanken und schlug vor, die Kinder an der Schule einzusammeln und nach Hause zu fahren.

»Die sind versorgt«, meinte Eva. »Ali hat heute Mittagsschule, und Darian ist bei einer Freundin. Aber du hast recht. Es nützt nichts, hierzubleiben. Ich stelle nur schnell das Telefon um, und dann können wir gehen.« Sie warf einen Blick auf mein Gepäck.

»Das schaffen wir schon«, grinste ich sie an. »Du bist doch sicher nur mit leichtem Gepäck unterwegs.«

»Ghobard hat da eine Sackkarre, Lastgewicht bis zu 150 Kilo«, versuchte mich Eva zu necken.

»Wie, nur 150? Das wiegen ja meine Antifalten-Cremes allein. Aber du schaffst das bestimmt locker. Wozu habe ich denn eine sportliche Freundin?« Eva war zwar zierlich, aber auch drahtig, und sie machte immer noch regelmäßig Sport.

Jetzt umarmte sie mich erneut. »Ach, Katrin! Ich bin so froh, dass du da bist! Die letzten Monate waren echt nervenaufreibend, und jetzt das.«

Ich wollte gerade nachfragen, was denn die letzten Monate los gewesen war, da klopfte es am Fenster. Ein groß gewachsener Mann mit dunklem Bart und grüner Arbeitsjacke, die das Logo der Firma Gscheidle trug, blickte herein. Ghobard war zurück!

Das Haus der Gscheidles war einladend, gemütlich und ein bisschen chaotisch, so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Im Flur stolperte ich erst einmal über ein paar Fußballschuhe, und auf der Treppe kam Ghobard kaum mit meinem Gepäck voran, weil eine schreiend bunte Flickentasche, eine Kiste mit Eisenkugeln und ein Stapel Leinwände den Weg verengten. Man merkte, dass hier das Leben wohnte und hier Kinder groß wurden.

Ghobard hatte das Dach des Reihenhauses zum Gästezimmer mit Bad ausgebaut, und dort breitete ich mich nun aus. Kein Vergleich zu meiner luxuriösen Wohnung in Berlin-Schöneberg, aber ein idealer Ort zum Verkriechen. Ein Bett mit farbenfrohem Überwurf, ein Einbauschrank und ein kleines Tischchen, das aussah wie handgedrechselt – das war vorläufig mein Reich. Keine Bilder an den Wänden, aber ein Blick aus dem Dachfenster zeigte mir die Schwäbische Alb in all ihren Grüntönen. Ich blickte direkt auf einen besonders hübschen Hügel, dessen Seiten sich ebenmäßig nach oben hin zuspitzten, fast wie ein begrünter Vulkan.