Leiser Tod - Garry Disher - E-Book
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Leiser Tod E-Book

Garry Disher

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Beschreibung

Ein Notruf geht auf dem Revier ein. Zwischen toten Eukalyptusbäumen und rostigen Bootsrümpfen soll eine Leiche gefunden worden sein. Am Tatort stolpert den Kommissaren eine junge Frau vor die Füße – nackt, verdreckt und zutiefst verstört. Der Täter: ein Vergewaltiger in Polizeiuniform? Während die Ermittler versuchen, dem Schuldigen auf die Spur zu kommen, wird ihnen eine ganze Reihe von Einbrüchen gemeldet, alle perfekt geplant und meisterhaft durchgeführt. Hal Challis sieht sich an allen Fronten belagert.

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Seitenzahl: 488

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Über dieses Buch

Im abgelegenen Buschland hinter Waterloo stolpert den Kommissaren eine junge Frau vor die Füße – nackt, verdreckt und verstört. Der Täter: ein Vergewaltiger in Polizeiuniform? Gleichzeitig lässt eine Reihe von perfekt geplanten Einbrüchen und Raubüberfällen die Ermittler an ihre Grenzen stoßen. Hal Challis sieht sich an allen Fronten belagert.

Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.

Garry Disher (*1949) wuchs im ländlichen Südaustralien auf. Seine Bücher wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter der wichtigste australische Krimipreis, der Ned Kelly Award, dreimal der Deutsche Krimipreis sowie eine Nominierung für den Booker Prize.

Zur Webseite von Garry Disher.

Peter Torberg (*1958) studierte in Münster und in Milwaukee. Seit 1990 arbeitet er hauptberuflich als freier Übersetzer, u. a. der Werke von Paul Auster, Michael Ondaatje, Ishmael Reed, Mark Twain, Irvine Welsh und Oscar Wilde.

Zur Webseite von Peter Torberg.

Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Garry Disher

Leiser Tod

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Ein Inspector-Challis-Roman (6)

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Dieses E-Book enthält als Bonusmaterial im Anhang 2 Dokumente

Die Originalausgabe erschien 2011 bei The Text Publishing Company, Melbourne.

Originaltitel: Whispering Death

© by Garry Disher 2011

Lektorat: Anne-Catherine Eigner

© by Unionsverlag, Zürich 2020

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Christopher Brown (Alamy Stock Photo)

Umschlaggestaltung: Peter Löffelholz

ISBN 978-3-293-30983-8

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 02.07.2020, 14:04h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

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Inhaltsverzeichnis

LEISER TOD

1 – Grace taugte als Name so gut wie jeder …

2 – Grace zog sich auf einer Toilette am Flughafen …

3 – Zu Mittag aß man in Waterloo am besten …

4 – Es handelte sich um einen Fleck aus nassem …

5 – Hal Challis strich über Ellen Destrys nackte Füße …

6 – Nachmittag, ein Zimmer im Krankenhaus Waterloo. Pam Murphy …

7 – Challis war nicht sonderlich erpicht auf den Zeitungsreporter …

8 – Grace hatte sich auf der Fahrt nach Waterloo …

9 – Pam Murphy waren an der Frau ein paar …

10 – Während Grace zur anderen Seite der Peninsula fuhr …

11 – Grace’ Einbrüche in Sandy Bay wären vielleicht bis …

12 – Als sie an jenem Abend im Chicory Kiln …

13 – Challis wohnte an einer Schotterstraße landeinwärts von Waterloo …

14 – Pam Murphy war sofort nach dem Aufwachen ganz …

15 – Challis meldete sich kurz bei den Kriminaltechnikern am …

16 – Bis vor ein, zwei Jahren waren die Sonntage …

17 – Montag früh um acht schaute Challis in seinem …

18 – An anderer Stelle in dem Gebäude zog John …

19 – Am Dienstag erschien die neueste Ausgabe des News-Pictorial …

20 – Der Mittwoch begann mit einer Einsatzbesprechung der CIU …

21 – Donnerstag früh erwachte Grace in Murray Bridge in …

22 – Sind Sie ein Teamspieler, Inspector?«

23 – Larrayne?«

24 – Früher am Tag hatte John Tankards Team die …

25 – Als Challis eintraf, war Tankard damit beschäftigt …

26 – Grace hatte beschlossen, die seltensten und wertvollsten Stücke …

27 – Der Einbruch in dem Haus in Clare Valley …

28 – Am Samstagmorgen war der Hauptbesprechungsraum des Reviers gesteckt …

29 – Diesmal brauchte sie weder Home Digest noch Décor …

30 – Am Sonntagmorgen stützte sich Pam Murphy auf einen …

31 – Am Montagmorgen warf Jeannie Schiff Pam Murphy die …

32 – Montag gegen vierzehn Uhr war Steve Finch damit …

33 – Der Tag war der Nacht gewichen

34 – Im Laufe der letzten Tage war Grace am …

35 – Pam Murphy lehnte an dem Einwegglas und nahm …

36 – Ian Galt hatte seit Montag versucht, aus den …

37 – Jede kleine Gemeinde hat ihre Schandflecken

38 – In Waterloo schenkte sich Challis Kaffee ein und …

39 – Es dauerte Stunden. Als die Niekirks wieder allein …

40 – Freitag wachte Grace im Dämmer des ersten Lichts …

41 – Die Kugel traf ihn in Form einer E-Mail …

42 – Am Samstag fuhr Ian Galt hinaus durch Gippsland …

43 – Am Samstag hämmerte Grace einen Nagel in die …

44 – Mara Niekirk konnte gut hassen

45 – Es hatte sich nur eine Person auf Challis’ …

46 – Um fünfzehn Uhr am Montag war Grace wieder …

47 – Es war Joy, die Oberkassiererin, die den stummen …

48 – Mara und Warren hatten Steven Finch seit Samstagnacht …

49 – Decken und Wäscheleinen wurden geliefert, und wieder verging …

50 – Schätze, ich war letzte Nacht nicht ganz bei …

51 – Sie rasten zurück nach Waterloo; Challis hatte es …

52 – Als Pam Murphy am Untersuchungsgefängnis in Frankston ankam …

53 – Denise Rodda war müde

54 – Es war fast Mittag

55 – Eine Dienstbesprechung am frühen Nachmittag, doch Challis war …

56 – Grace musste verschwinden

57 – Pam Murphy hatte an ihrem Schreibtisch gegessen …

58 – Zur selben Zeit versuchte Galt es mit dem …

59 – Romona Ludowyk erklärte Challis, dass sie wohl eine …

60 – Unterwegs zu dem Haus an der Goddard Road …

61 – Es war früher Abend geworden, die Sonne legte …

62 – An seinem letzten Arbeitstag machte sich Detective Inspector …

Mehr über dieses Buch

Über Garry Disher

Garry Disher: Gedanken über die Arbeit am Schreibtisch

Garry Disher: »Ich genieße es, im deutschsprachigen Raum auf Lesereise zu gehen.«

Über Peter Torberg

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Für Jo Tapper

1

Grace taugte als Name so gut wie jeder andere, und an diesem Morgen war Grace in Hobart, schlenderte durch eine wohlhabende Ecke von Sandy Bay und besah sich die abgelegenen Anwesen. Ein Freitagmorgen im Frühling, der vom Meer hereinkommende Nebel verzog sich in Richtung Storm Bay und Tasmanische See, das Leben war schön, und in ihren weißen Tennissachen über der Trainingshose, mit Sonnenbrille, Nike-Sneakers und keck getragener Cap fiel sie nicht weiter auf. Ein Tennisschlägergriff lugte aus ihrer Sporttasche hervor und wies sie als eine nicht berufstätige junge Ehefrau aus, vielleicht auch eine junge Berufstätige an ihrem freien Tag, oder sogar – wenn man von der misstrauischen Sorte war – eine getarnte Ehebrecherin.

Doch es klingelten keine Alarmglocken. Kein Grund, sie anzuhalten und zu durchsuchen. Sie gehörte hierher.

Tatsächlich aber versteckte sie sich vor aller Augen; Grace verbarg sich hinter Cap und Sonnenbrille, verbarg die Tatsache, dass der Tennisrock am Body mit Klettverschluss festgemacht war und dass sich in der Sporttasche Einbruchswerkzeug befand, Handschuhe und robuste Plastiksäcke. Eine laut gerufene Anschuldigung, eine Nachfrage, und schon wäre sie verschwunden. Sie würde den Rock abmachen, ihn zusammen mit Cap, Tasche und Sonnenbrille wegwerfen und sich in eine Joggerin verwandeln, und wer schaute denn bei einer Joggerin schon zweimal hin?

»Rechne immer mit dem Schlimmsten«, hatte Galt ihr eingebläut, »dann erlebst du auch keine Überraschungen.«

Ein weiterer Punkt, auf den Galt sie hingewiesen hatte, war es, Appartementhäuser zu meiden. Nun, hier gab es keine. In einem Wohnblock ist immer jemand zu Hause, hatte Galt gesagt, immer gibt es eine arme Seele, die den ganzen Tag am Fenster hockt und auf Ablenkung hofft, um die ereignislosen Stunden zu erhellen.

Als Nächstes hielt Grace Ausschau nach Kindern: Spielzeug, Fahrräder, Skateboards, ein kleiner pinkfarbener Gummistiefel, der im Vorgarten lag. Klar, Kinder gingen zur Schule, hatte Galt gesagt; aber nicht, wenn sie noch klein sind oder die Windpocken haben, und auch nicht, wenn sie wegen eines Lehrertages freihaben. Und ein Kind daheim hieß, ein Erwachsener daheim.

Auch Fahrzeuge standen auf Galts Checkliste. Grace wusste, sie war im Land der Haushalte mit zwei Pkw; zwei Erwachsene, die gut bezahlte Jobs hatten und von neun bis fünf arbeiteten. Schichtarbeiter gab es hier keine. Bleib auf der sicheren Seite, hatte Galt immer gesagt. Steht ein Auto in der Einfahrt oder im Carport, geh einfach weiter. Oder die Garage ist geschlossen. Das heißt noch lange nicht, dass die Garage leer ist.

Und schließlich suchte man sich seine Ziele so aus, dass das Problem des neugierigen Nachbarn minimiert wurde. Die Personen, die es zu bestehlen lohnte, zahlten gutes Geld dafür, die Blicke der anderen abzuwehren, hatte Galt gesagt. Sie sollte nach hohen Hecken, abfallendem Gelände, dichtem Baumbewuchs und kurvigen Straßen Ausschau halten.

Alles andere hatte ihr Galt nicht beigebracht. »Ich kann dir zeigen, wie du unter dem Radar durchhuschst«, hatte er gesagt. »Ich kann dir meine Leute vom Hals halten, aber du warst die Einbruchskönigin, lange bevor ich dich gefunden habe.«

Grace durchquerte zügig die nähere Umgebung. Die meisten Häuser waren von Bäumen und Büschen umstanden. Niemand war zu sehen, bis auf einen Arbeiter, der an einem Gartenzaun ein Tor anbrachte, und einen anderen, der einen Rasenmäher vom Pick-up schob. Die Häuser reichten von holzverschalten Sommerhäusern bis hin zu ultramodernen Glas-Beton-Konstruktionen, dazwischen Häuser im Tudor-Stil, toskanische Villen und kleine, geziegelte Anwesen aus den Dreißigern mit steilen Dächern. Grace legte sich im Geiste vier Zielobjekte zurecht und machte sich an die Arbeit.

Das erste war ein albtraumhaftes Gebilde aus miteinander verbundenen Betonwürfeln weit abseits der Straße hinter einer Feldsteinmauer. Entschlossen betrat sie das Grundstück, wie sie es immer tat, so als würde ihre beste Freundin hier wohnen und sie hätten sich zum Tennis verabredet. Auf halbem Weg zur Haustür blies sie in eine Hundepfeife. Sofort erhielt sie wildes Bellen zur Antwort, ein tiefes Blaffen und ein hohes Kläffen.

Grace zog sich zurück.

In der nächsten Straße stand ein flaches Ranchhaus aus den Siebzigern unter Eukalyptusbäumen. Keine Hunde. Grace ging einmal zügig um das Gebäude herum, prüfte Türknäufe und -griffe und linste durch die Fenster. Ab und zu stieß sie auf offene Türen und Fenster, falsche Alarmanlagen oder gar keine Sicherheitsvorrichtungen, aber dort gab es meistens auch nichts, was sich zu stehlen lohnte. Grace ging noch einmal um das Haus herum, doch diesmal fuhr sie mit einem Kompass an den Tür- und Fensterrahmen entlang. Die Kompassnadel schlug an allen Fenstern und Türen aus und verriet so, dass dort Strom floss, nur an der Haustür nicht. Die Menschen hegten falsche Vorstellungen von der Sicherheit ihrer Haustüren, vielleicht weil die meisten davon auf die Straße hinausgingen. Grace prüfte sie erneut. Ein leichter Ausschlag der Kompassnadel nahe dem Türriegel.

Es handelte sich um eine Glastür mit einer einzelnen Scheibe, die von schmalen Holzleisten im Rahmen gehalten wurde. Grace zog eine Eisenstange aus der Sporttasche, hebelte die Leisten ab und legte sie sorgfältig neben sich, bis die ganze Scheibe frei lag. Dann hob sie sie mit zwei Saugnäpfen aus dem Glasereibedarf aus dem Rahmen und stellte sie an die Wand neben dem Hauseingang.

Sie schlüpfte ins Haus, das nur so nach Geld roch. Das Gebäude selbst war hässlich und altmodisch, die Inneneinrichtung aber ultramodern, mit polierten Holzdielen und mit Glas und Leder minimalistisch eingerichtet; an einer Wand hingen zwei Vogelbilder von Brett Whiteley. Die Whiteleys würden ein paar Tausender bringen, aber sie waren zu groß, um sie mitzunehmen. Grace fotografierte sie. Vielleicht kam sie in einem Jahr noch einmal vorbei, wenn die Hausbesitzer sich von dem Schrecken erholt hatten. Sie würde Finch die Fotos zeigen, um herauszufinden, ob es einen möglichen Interessenten gab. Dann schoss sie noch ein paar Fotos von zwei Satsuma-Vasen von Fuzan. Ende 19. Jahrhundert, nahm sie an, Wert etwa fünftausend australische Dollar. Ein paar Hundert Dollar von Finch, aber auch sie waren zu groß, um sie in die Sporttasche zu stecken, ohne Gefahr zu laufen, sie zu beschädigen.

Nachdem sie sich kurz im Haus umgesehen hatte, konzentrierte sie sich auf Schlaf- und Arbeitszimmer. In beiden entschärfte Alltagskram die kühle Ultramoderne ein wenig: Im Schlafzimmer ein Taschenbuch mit gebrochenem Rücken, eine Blisterpackung Schmerztabletten, eine einsame Socke; im Arbeitszimmer ein paar angeknabberte Kugelschreiber, eine Ablage voller Rechnungen und Briefe, ein Satz Golfschläger und eine Wasserpistole. Das alles verriet ihr etwas über das häusliche Leben, über die Familie, doch dafür interessierte sich Grace nicht sonderlich. Sie zog eine Schublade nach der anderen auf.

Fünf Minuten später hatte sie das Haus wieder verlassen. In der Tasche hatte sie ein Paar Smaragdohrringe, eine Uhr von Bulova, ein iPod Classic, einen Toshiba-Laptop und neue, noch verpackte AutoCAD-Software. Allein die Software kostete neu sechstausend Dollar und der Computer dreitausend.

In der nächsten Straße stand ein schlichtes Holzhaus mit einem riesigen, modern luftigen Anbau. Keine Hunde, wieder eine leicht zu knackende Haustür, doch im letzten Augenblick entdeckte sie durch einen Spalt im Wohnzimmervorhang ein in der Zimmerecke angebrachtes rotes Blinklicht. Sie schaute in einem anderen Zimmer nach: auch hier ein rotes Licht. Grace hatte nicht die Absicht, sich mit Bewegungsmeldern anzulegen. Also ging sie zum vierten und letzten Zielobjekt auf ihrer Liste, einem hübschen Lofthouse mit einem steilen Dach und kirchenhohen Decken. Auch hier kein Hund. Keine Bewegungsmelder, soweit sie sehen konnte, und eine Haustür, die nur mit einem Alarm am Riegel versehen war. Die Tür bestand ganz aus Holz: Außenrahmen, eine Querstrebe und Sperrholztafeln, die von schmalen Leisten gehalten wurden. Grace entschied, die untere Tafel zu entfernen und hindurchzukriechen.

Als Erstes aber ein Ablenkungsmanöver. Sie nahm ein Paar Schuhe Größe sechsundvierzig aus der Tasche, zog sie über ihre Laufschuhe an und stapfte über den Lehmboden an der Seitenwand. Damit die Ermittler hier etwas zu tun hatten.

Dann machte sie sich an die Arbeit. Sie löste die Leisten ab und brachte zwei Ösenhaken an der Tafel an, die sie zuvor abgewischt und mit Bleiche besprüht hatte, um ihre DNA-Spur zu vernichten. Als sich die Dämpfe verzogen hatten, riss sie die Tafel aus dem Rahmen und legte sie beiseite.

Sie kroch durch die Öffnung, blieb mit der Hüfte in der schmalen Öffnung hängen und riss sich einen winzigen weißen Faden aus dem Rock. Nach getaner Arbeit verbrannte sie stets Kleidung, Handschuhe, Schuhe, trotzdem entfernte sie den Faden. Wozu der Polizei die Gelegenheit geben, das Täterprofil noch durch »trägt womöglich weiße Tenniskleidung« zu ergänzen?

Das Innere war überladen und wirkte abgewohnt. Teure Teppichböden, aber das Muster änderte sich von Raum zu Raum und passte nie so recht zu den Wänden oder Vorhängen. Zu viel Nippes: Schäferinnen aus Porzellan, Schüsselsets aus Holz, gläserne, bunt durchzogene Briefbeschwerer, Familienfotos in schweren Silberrahmen (nur versilbert, stellte sie fest), und jemand hier mochte Elefanten. Ganze Herden – aus Holz, Glas, Pappmaschee – trampelten und trompeteten über Fensterbretter und Ecktischchen.

An einer der Wände hing allerdings eine kleine Aquatinta von Sydney Long, wohl ein Erbstück. Grace löste das Bild aus dem hässlichen Rahmen, rollte es zusammen und schob es in den hohlen Griff ihres Tennisschlägers.

Sie schaute in allen Zimmern nach und entschied sich für ein paar leicht zu transportierende elektronische Geräte – eine externe Festplatte, eine Videokamera und als Hauptgewinn eine hochklassige Canon DSLR-Kamera, die sicher mehr als zehntausend Dollar gekostet hatte.

Grace schlenderte zurück zum Pub an der Ecke und ging dann den Hügel hinunter zu ihrem Mietwagen, den sie neben einem Fitnessstudio am Wasser abgestellt hatte. Niemand hielt sie auf, und falls jemand etwas bemerkte, dann nur die arrogante Art, wie sie dahinschritt. Hier in der Gegend gingen alle jungen Frauen so, als hätten sie ein Anrecht auf all das. Grace spielte gern mit solchen Dingen.

2

Grace zog sich auf einer Toilette am Flughafen in Hobart um und verwandelte sich in eine leitende Angestellte, die es eilig hatte: Strumpfhose, Stöckelschuhe, schwarzes Jackett, schmaler Rock und Aktentasche. Als Flughafenangestellter legte man sich besser nicht mit ihr an.

Am späten Vormittag war sie auf dem Festland und zog sich erneut um, diesmal aber leger: weite Jeans, alte Sportschuhe, ausgeleierter Baumwollhoodie. Dann holte sie ihren Golf vom Langzeitparkplatz und fuhr über den Tullamarine Freeway ins Zentrum von Melbourne; sie wusste, es würde noch Stunden dauern, bevor jemand ihre Einbrüche entdeckte.

Der Golf brummte. Grace hatte lange darüber nachgedacht, welchen Wagen sie fahren wollte. Ihre Grundsätze waren simpel. »Lass dich nicht erwischen«, aber das verstand sich ja von selbst, und »man sollte wissen, wann man verschwinden muss« und »lege dir immer einen Plan B zurecht«. Eine wichtige Regel lautete: »Arbeite niemals im heimischen Umfeld«. Grace operierte nur außerhalb des Staates. Perth, Brisbane, Adelaide, die Gold Coast, Noosa, Launceston, Hobart … wo immer das Geld war. Niemals in New South Wales. Galts Leute kannten sie dort. Also nur überregional, und manchmal fuhr sie zu einem Job hin und zurück mit dem Auto. Überland, also war Komfort wichtig. Ordentlich Drehmoment und Motorkraft, falls sie jemals fliehen musste. Jede Menge Sicherheitsfunktionen, falls sie sich überschlug oder einen Zusammenstoß hatte. Gutes Fahrverhalten in brenzligen Kurven und Serpentinen. Deshalb der Golf. Ein Porsche, Audi, BMW oder Alfa Romeo wären zwar nett, aber zu auffällig gewesen. Bei einem Falcon, Holden oder Camry hätte niemand zweimal hingeschaut, aber das waren Vertreterautos, sie fuhren sich wie Dampfer, und Grace brauchte eine überzeugende Tarnung, falls sie erklären musste, was sie mitten in der Nacht auf einer Überlandstraße zu suchen hatte. Deshalb also der Golf Diesel, Zwei-Liter-Maschine, ein Frauenauto, perfekt für eine hübsche junge Rechtsanwältin mit Flugangst. Kein Drogenkurier oder Juwelendieb, der was auf sich hielt, würde so etwas fahren; keinen Highwaybullen würde es in den Fingern jucken, so etwas zu verfolgen.

Natürlich ergab es manchmal Sinn zu fliegen. Man stelle sich vor, sie würde auf einer Autofähre mit einem Kofferraum voller Diebesgut einer Kontrolle unterzogen …

Heute hatte sie auf der Mautstraße freie Fahrt zwischen Melbourne Airport und der City, ebenso über die West Gate Bridge, auf der kräftige Böen den kleinen Wagen durchrüttelten, bis hinunter nach Williamstown, wo die harte Malocherseite des alten Melbourne friedlich neben den strahlenden, hohen Hypotheken existierte. Fabriken und Werkstätten standen neben pastellfarbenen kleinen Stadthäusern mit niedlichen bonbonfarbenen Autos in den Einfahrten. Grace ließ die Seitenscheibe hinunter. Die schwere, träge Luft von der Port Phillip Bay her schmeckte leicht salzig. Die Bäume, deren Zweige sich nur träge bewegten, wirkten von der jahrelangen Dürre wie benommen. 

Grace stellte den Wagen auf einem vollen Parkplatz hinter einer Eckkneipe ab. Sie hatte sich am Flughafen bereits kleidungsmäßig heruntergestuft, und jetzt passte sie ihre Haltung an, wirkte freudlos, als sie mit einer Plastiktüte in der Hand den Block entlang zu Steve Finchs Gebrauchtwarenladen ging. Sie stützte sich an der Schaufensterscheibe ab, als wolle sie sich ein Steinchen aus der Schuhsohle polken, und hielt Ausschau nach Überwachungsvans, nach Kameras hinter Vorhängen oder Bullen im Geschäft. Nichts. Sie ging hinein. Wenn jetzt die Bullen auftauchten, war sie nur eine Kundin mit etwas Plunder, den sie verpfänden wollte.

In Finchs Laden änderte sich nie etwas. Er war sieben Tage die Woche geöffnet, verstaubte Fernseher und Videorekorder im Schaufenster, kastenförmige Monitore auf Beistelltischen, Kartons voller Schallplatten, Kassetten und Taschenbüchern. Grace musste Inseln liebloser und unschöner Möbel umrunden, bevor sie Steve an einer tintenfleckigen Theke fand, wo er auf der Tastatur eines schnittigen neuen Macs herumklimperte. Er stank nach Rasierwasser. Es kämpfte erfolgreich gegen den Muff an.

»Eine Sekunde.«

Finch hatte nicht mal aufgeblickt; er hatte sie bei dem Thrash-Metal auch nicht hören können, der aus einem Fünfzehn-Dollar-Radio dröhnte. Aber er hatte sie wohl auf den Überwachungsmonitoren gesehen. Die Kameras deckten alle Winkel ab und überblickten die Straße, die Seitengassen und den Hinterhof. Grace hatte ihm geraten, was er wo installieren sollte.

Er hatte nicht aufgeblickt, und er hatte auch keine diskreten Zeichen gegeben, um sie zu warnen, was bedeutete, dass sich keine Bullen hinter einem Schrank versteckten oder in seinem Büro lauerten. Grace beobachtete ihn. Finchs Gesicht bestand aus großen Merkmalen an einem schmalen Schädel, weit vorgereckte Nase und Kinn, riesige Segelohren. Er trug sein Haar lang, so als wolle er den schmalen Kopf noch betonen. Etwa vierzig, groß, gut gekleidet, Baumwollhemd und Hose. Die dreckigen Finger hatte er sich vermutlich geholt, als er in den Eingeweiden des Plattenspielers herumgefummelt hatte, der in Einzelteilen neben dem Computer lag.

»Braucht einen neuen Motor und neue Walzen«, sagte er, als könne er ihre Gedanken lesen. Noch immer sah er sie nicht an.

Er tippte noch ein paarmal und linste auf den Monitor. »Ein Laden in Kalifornien kann mir das Zeug schicken.«

»Lohnt sich das?«

Endlich sah er sie an. »Ob sich das lohnt? Ein Sammlerstück, Suze.« Susan taugte als Name so gut wie Grace oder irgendeiner der anderen, die sie verwendete.

Sie hatte auch Pässe, Kreditkarten und Führerscheine auf Namen, die sie noch nicht verwendet hatte, Namen von Babys, die etwa zu der Zeit verstorben waren, als sie auf die Welt gekommen war. Und dann war da noch ein alter Name, Nina, der in ihren Träumen hauste und wirklich schien, was die anderen Namen nicht waren. Doch im Augenblick hieß sie bei Steve Finch Susan, kurz Suze.

Finch fiel etwas ein, er grinste und hob einen Finger. »Ich muss dir was zeigen.«

Ein Foto von seinem kleinen Sohn, wie das Kind sich an einem Stuhl festhielt und ein wütendes Gesicht zog. »Zehn Sekunden später hat er seinen ersten Schritt gemacht«, sagte Finch.

»Wie umwerfend«, meinte Grace.

Die neue junge Frau, die Schwangerschaft, die Entbindungsstation und jetzt die ersten Schritte, alles auf Fotos festgehalten, die Steve ihr unbedingt zeigen musste, wann immer sie kam, um Geschäfte zu machen.

»Und wie gehts deiner Kleinen?«, fragte er. »Irgendwelche neuen Fotos?«

»Steven Finch, Hehler und gefühlsduseliger Familienvater«, entgegnete Grace, öffnete ihre Brieftasche und enthüllte eine Reihe von kleinen Fotos in Klarsichthüllen; auf dem ersten war eine breit grinsende blonde Dreijährige zu sehen.

Finch schnappte sich die Brieftasche und schaute sich das Foto an. »Süß«, sagte er weiterblätternd. »Och, und hier, im Tutu.« Wieder schaute er genau hin, las laut: »Hurstbridge Community Childcare Centre«, und schaute Grace besorgt an. »Deine Schwester wohnt da draußen, oder?«

Grace ließ kurz ihren Schmerz aufblitzen, der einen alten Kummer verriet, eine Heroinsucht, die sie befriedigen musste, der Versuch, alles wieder auf die Reihe zu kriegen, aber du weißt ja, wie das ist. Sie schluckte, hüstelte und brachte heraus: »Ich besuche sie, sooft ich kann.«

Steve nickte zweifelnd. »Und wer ist das? Deine Eltern?«

Grace beugte sich über die Theke und legte den Kopf zur Seite, um in die offene Brieftasche schauen zu können. »Ja.«

»Sonniger Herbst … wo ist denn das?«

»Draußen in Lakes Entrance.«

Finch runzelte die Stirn. »Nicht gerade in der Nähe.«

»Können wir zum Geschäftlichen kommen?«

Finch besah sich noch immer das Foto von Grace und einem älteren Paar vor einem Häuschen in einer ganzen Reihe von Häuschen. »Du wirkst zu jung für jemanden, dessen Eltern in einer Seniorenanlage leben.«

Grace zuckte mit den Schultern.

»Tschuldige, geht mich ja nichts an«, sagte Finch, der sich ihr Wohlergehen zur Aufgabe gemacht hatte. »Was hast du denn für mich?«

Sie beschrieb die Beute des Vormittags.

»Lass mal sehen.«

Sie verließ den Laden und fuhr den Golf zu einem Parkplatz hinter einer aufgelassenen Fabrik. Als Finch in seinem Van eintraf, öffnete sie den Kofferraum. Mit reglosem Gesicht zog er ein Paar Baumwollhandschuhe an und durchsuchte die Gegenstände. »Keine Münzen, Briefmarken? Die kriege ich immer los.«

»Diesmal nicht.«

Finch fuhr mit einer Schwarzlichtlampe über Laptop, iPod und Kameras. Auf der Canon erschienen Name und Telefonnummer, und er warf sie hin, als habe er sich verbrannt. »Schmeiß die weg.«

Das würde sie machen. Ein paar Tausend Dollar in die Meeresfluten.

Stirnrunzelnd besah er sich den Kofferraumboden und ging im Kopf Kosten und Aufwendungen durch. »Zwei Riesen kann ich dir geben«, sagte er.

Stets klang er, als müsse er sich rechtfertigen, aber nach Grace’ Vorstellungen waren zweitausend Dollar ziemlich gut für eine Stunde Arbeit, und manchmal zahlte er erheblich mehr, kam ganz darauf an, was sie anzubieten hatte. Der Klang in seiner Stimme besagte auch, dass er wusste, wie schnell sie das Geld bei ihrer Sucht durchgebracht haben würde, aber was sollte er machen? Er hatte ein Geschäft zu führen.

Sie zeigte ihm die Fotos von den Vasen und den Whiteleys. »Vielleicht hole ich die mir eines Tages.«

Finch nickte ihr leicht zu, als wollte er sagen: »Ja, vielleicht, wenn du es so lange schaffst«, dann zählte er ihr ihren Anteil in frischen Hundertern ab. »Bleib in Kontakt, okay?«

»Klar.«

Grace hatte einen Festnetzanschluss, ein iPhone und mehrere billige Prepaid-Handys, aber niemand rief sie an, sie rief die anderen an. Wenn jemand was von ihr wollte, dann über den Account bei Hotmail.

Finch sah sich auf der Wüstenei aus geborstenem Beton um: »Du kannst nicht noch bleiben, oder?«

Sie war noch nie geblieben. Sie wollte keinen Sex mit ihm, wollte sich auch seinen Scheiß nicht anhören. Werd sauber, verbring mehr Zeit mit deiner Tochter, Familie ist wichtig …

»Wie spät ist es denn?«, fragte sie, so als wollte sie nicht von vornherein ablehnen.

»Mittag.«

»Dann sollte ich besser los«, sagte sie. »Ich kriege einen neuen Kühlschrank geliefert.«

»Na gut.«

Sie fuhr in Richtung City, nahm die West Gate Bridge, wollte aber nicht nach Hause. Das lag in einer anderen Richtung, außerdem brauchte sie gar keinen neuen Kühlschrank. Sie war auf dem Weg nach Waterloo auf der Peninsula. Aus reiner Gewohnheit vermied sie die Mautstraßen und fuhr für die Geschwindigkeitskontrollen und Kreuzungskameras ganz gemütlich.

3

Zu Mittag aß man in Waterloo am besten im Café Laconic. Detective Constable Pam Murphy ging zur Theke und bestellte sich das Übliche, Focaccia und einen grünen Tee zum Mitnehmen. Nimm noch eine Serviette, ermahnte sie sich, du hast ein weißes T-Shirt an.

Sie ging gerade zum Wagen zurück, als das Handy klingelte. »Murphy.«

Es war der Diensthabende, es ging um eine nackte Frau, die im Buschland entlang einer Nebenstraße nordöstlich von Waterloo gesehen worden war. »Tut mir leid, Murph, aber ich hab gerade keinen Uniformierten, den ich schicken kann.«

»Na gut, ich kümmere mich darum.«

Ihr Subaru stand vor dem Campingladen. Pam stieg ein, vernichtete ihr Mittagessen in einer raffinierten Choreografie für Finger und Serviette und kroch dann die High Street entlang, achtete auf die neu verlegten Bodenschwellen und die Geschwindigkeitsbegrenzung auf fünfzig km/h und legte sich im Kopf die Route zu der abgelegenen Straße zurecht, wo jemand eine nackte Frau gesehen hatte.

Ersteinsatz gehörte eigentlich nicht zu ihren Aufgaben. In einer perfekten Welt hätte der Diensthabende einen Streifenwagen hinausgeschickt. Wenn die Besatzung dann ein Verbrechen, ein Opfer vorfand, würde sich die ganze Maschinerie in Bewegung setzen: Kriminaltechniker, weitere Beamte der CIU, der Crimes Investigation Unit, ein Arzt, ein Gerichtsmediziner, ein Krankenwagen …

Doch Pam lebte in einer Zeit der Budgetkürzungen. Oft genug war sie gezwungen, ihren Privatwagen zu Dienstzwecken zu benutzen. Beim Kreisverkehr am anderen Ende der High Street fuhr sie nach rechts und landete hinter einem verschlammten Land Rover, der wiederum hinter dem Bus nach Frankston feststeckte. Die kleine Karawane schlich nordwärts an Reifenhändlern und Malergeschäften, Möbelläden und Autohäusern vorbei, und nach einer Weile machte das Kleinstadt-Gewerbe Platz für bescheidene Fabriken, Lagerhallen und Farmerbedarf.

Am Rande der Stadt bog der Land Rover zu einem Holzlager ab, und nun fuhr Pam direkt hinter dem Bus, der hinter einem Mähfahrzeug der Gemeinde herschlich, dessen Schneidwerk am Ende seines ausgefahrenen gelben Arms im hohen Gras und Farnkraut steckte, das die Straße säumte. Funken stoben; Kieselsteine, geschreddertes Plastik, Glas und Aluminium flogen durch die Luft. Pam zuckte zusammen und dachte an den Ärger, den sie haben würde, bei der Versicherung eine neue Windschutzscheibe einzufordern. Noch immer schuldete sie ihren Eltern fünftausend Dollar für den Subaru. Demnächst war sie zum sonntäglichen Mittagessen eingeladen, und ihr Vater würde sie wegen des Wagens löchern, und ob sie auch ja ordentlich auf ihn achtete?

Sie gab Gas und überholte. Die Straße vor ihr war frei, als sie an Bus und Mäher vorbeifuhr, und am nächsten Kreisverkehr nahm sie eine Nebenstraße zu einer nicht sonderlich hübschen Gegend nordöstlich von Waterloo.

Die Müllkippe der Gemeinde lag dort, neben rätselhaften Schuppen und bankrotten Jachtbauern, deren ehemalige Bauplätze mit rostigen Bootsrümpfen vollstanden. Zu beiden Seiten der Straße zeichneten sich tote Eukalyptusbäume auf ungepflegten Weiden vor dem Himmel ab wie Bleistiftstriche. Unkraut strangulierte die Drahtzäune, Rauchfahnen wehten von den fernen Schornsteinen an der Western Port Bay herüber.

Dieser Winkel der Welt kam Pam immer feucht vor: Schimmel arbeitete sich voran, Wasser tropfte von den Bäumen, kleine Tiere starben in irgendwelchen Höhlen. Ein Müllabladeplatz, ein guter Ort zum Sterben.

Pam kam an ein kleines Ziegelhaus auf einem verkrauteten Stück Farmland. Bedrängt von Rosenbüschen und Lavendel, duckte es sich dicht an die Straße, und ein paar Eukalyptusbäume ragten über die Dachziegel. Ansonsten gab es dort nichts, nur ungepflegte Weiden und ein struppiger Hain aus Weinenden Steinlinden, Akazien, Farnen, Brombeergestrüpp und meist toten Eukalyptusbäumen hundert Meter hinter dem Haus.

Pam stieg aus, beobachtet von zwei Frauen. Die eine, die in der Einfahrt neben einem schmuddeligen Daihatsu-Transporter stand, war mittleren Alters, ein Monokular baumelte ihr um den Hals, und sie trug einen verblichenen braunen Overall, ein Wollkäppi und Arbeitsschuhe. Die andere, viel ältere, schaute von der Veranda aus zu, dürre Beine steckten in ausgeleierten Strümpfen, ihre Lippen zuckten, die Hände auf der Gehhilfe zitterten.

Pam lächelte, hob eine Hand zum Gruß, schloss ab und betrat die Einfahrt. »Polizei«, sagte sie, nannte ihren Namen, bemerkte die Kratzer an den Armen der Frau im Overall, auch auf einer Wange, sah die flechtenbewachsene Rinde und die Zweige an ihrem Käppi. »Sie haben eine – «

»Leiche gemeldet, ja. Drüben im Schutzgebiet.«

Die Frau drehte sich um und wies in die Richtung, und Pam entdeckte etwas Merkwürdiges oben auf ihrem Käppi: ein Paar Stoffaugen, die himmelwärts glotzten, große weiße Ovale mit gruseligen schwarzen Pupillen.

Sie riss sich davon los. »Eine Leiche?«

»Hat man Ihnen das nicht mitgeteilt?«

Pam sah sich beklommen um und entdeckte die Aufschrift auf dem Lieferwagen: Tierrettung, was bedeutete, dass die Frau ihre Zeit im Freien verbrachte. Um diese Jahreszeit brüteten die Elstern und griffen an, wenn man ihnen zu nahe kam. Pam war mal als Kind von einer Elster attackiert worden. Selbst heute noch konnte eine Elster im Sturzflug sie in Panik versetzen. Wehrte ein Paar Stoffaugen auf dem Kopf tatsächlich die Angriffe der Elstern ab?

»Jemand hat berichtet, eine nackte Frau gesehen zu haben, keine Leiche. Sagen Sie mir bitte, wie Sie heißen?«

»Jan Overton«, sagte die Frau und schüttelte ihr energisch die Hand.

»Also, Sie haben eine Leiche gefunden?«

»Junge Frau, nackt, sehr tot«, antwortete Overton. »Kommen Sie, ich bringe Sie hin.«

Selbst im Stehen wirkte sie ruhelos, eine Frau, die lieber im Freien war und Stillstand hasste, und nun stapfte sie mit rudernden Armen zum Seitentor. Pam rief ihr nach. »Vielleicht erzählen Sie mir erst mal die Einzelheiten.«

»Wie Sie wünschen.« Overton kehrte zu Murphy zurück, und das Monokular hüpfte vor ihrer Brust. Sie blieb stehen, zupfte sich einen Zweig aus dem Haar, eine Handlung, die merkwürdig häuslich und intim wirkte, so als habe sie Spliss entdeckt. »Also, folgendermaßen. Mrs McIntosh – die Frau auf der Veranda – hat mich wegen eines kranken Koalas angerufen.« Sie hielt angriffslustig inne. »Das ist mein Job, ich rette und pflege kranke und verletzte Tiere.«

Pam nickte.

»Seit ein paar Tagen hatte sie einen jungen Koala im Garten«, fuhr Overton fort. »Heute Morgen bemerkte sie, dass das Tier die Räude hatte. Ein sicheres Anzeichen für ein schlechtes Immunsystem, womöglich Chlamydien. Die armen Dinger hungern eh schon die halbe Zeit wegen der Dürre. Dass ihr Lebensraum für all diese hässlichen McVillas niedergewalzt wird, die überall aus dem Boden sprießen, brauche ich gar nicht erst zu erwähnen.«

Overton war jünger, als Pam anfangs gedacht hatte, fünfunddreißig vielleicht, aber sonnenverbrannt, und sie wirkte gekränkt. Vielleicht fand sie, dass niemand ihr die mühevollen Jahre zugutehielt, die sie zugunsten der Tierwelt geschuftet hatte.

»Bis ich eintraf, war der Koala verschwunden«, sagte Overton weiter, »aber wohin, war kein Geheimnis.« Sie deutete zu dem ramponierten Baumbestand hinter dem Haus der alten Frau hinüber. »Also habe ich mich ins Dickicht gewagt. Moskitos und Brombeeren … Sie können es sich ja vorstellen.«

Pam nickte und wies auf die Arme der Frau. »Die Kratzer stammen also nicht von dem Koala?«

Overton schüttelte den Kopf. »Das arme Ding ist immer noch dort draußen irgendwo. Doch um auf den Punkt zu kommen, ich kam auf eine Lichtung, und den Rest kennen Sie.«

Sie wartete, bis Murphy ihr den Gefallen tat: »Eine nackte Leiche?«

»Ja.«

»Und was haben Sie dann getan?«

»Ich habe die Polizei angerufen.«

Angespannt hakte Pam nach: »Haben Sie die Leiche angerührt?«

»Nein.« Overton zog die Schultern hoch. »Ich wollte ja den Tatort nicht kontaminieren.«

Pam beließ es dabei. Sie schaute zu dem Baumbestand hinüber. »Ich möchte, dass Sie mich dorthin führen, aber nicht auf die Lichtung treten.«

Overton nickte. Der Weg war nicht gerade ein Wanderpfad, aber das Gestrüpp leistete ihnen hier am wenigsten Widerstand. Brombeerranken krallten sich an ihrer Kleidung fest, Bodenfeuchtigkeit drang durch die Schuhe. Zweige brachen; die Luft war schwer von müden Moskitos und Pflanzenfäulnis. Overton blieb stehen und erstarrte. »Das glaube ich nicht.«

Die Lichtung war leer.

4

Es handelte sich um einen Fleck aus nassem Gras und Farnen, nicht größer als ein Hinterhofschwimmbecken; fast in der Mitte, wo es an offenen Fels grenzte, war das Gestrüpp teilweise flach gedrückt. Pam blieb am Rand der Lichtung stehen und sah sich um. Die Person war offenkundig nicht tot gewesen, sondern hatte sich erhoben und war davonspaziert. Oder jemand hatte die Leiche geholt.

Oder die ganze Geschichte war Blödsinn. Sie drehte sich nachsichtig zu Overton um. »Das Licht ist tückisch. Sind Sie sicher, dass Sie eine Leiche gesehen haben?«

»Ich schwöre es, da neben dem Fels«, antwortete Overton und stemmte die Hände angriffslustig in die Hüften.

Es war unfair, aber Pam konnte sie nicht ausstehen. Der Eindruck war mehr oder weniger beim ersten Anblick entstanden und hatte noch an Intensität gewonnen, während sie hier standen. Pam versuchte gar nicht erst, dagegen anzugehen oder diesen Eindruck zu verstehen. Ein-, zweimal im Jahr passierte ihr das, eine spontane Reaktion auf ein Gesicht, eine Stimme, Körperbau und Haltung, die ganze Nummer. Früher hatte sie sich immer gescholten, sie sei ein schlechter Mensch, vielleicht spürte sie aber auch das anderen innewohnende Böse, oder es war sogar etwas Chemisches. In der Zwischenzeit hatte sie akzeptiert, dass es für diese Reaktion keine logische Erklärung gab.

Sie bedeutete auch nicht, dass Overton notwendigerweise log. Ihre Bestürzung kam Pam durchaus echt vor. Wieder sah sie sich auf der Lichtung um und zögerte, sie zu betreten. »Darf ich wohl mal Ihr Teleskopdings benutzen?«

»Monokular«, sagte Overton und zog sich das Band über den Kopf.

Das Instrument war körperwarm. Pam hielt es sich ans Auge, die Lichtung verschwamm vor ihrem Auge, dann wurde der Fels scharf und füllte ihr Blickfeld aus; die Oberfläche des Gesteins war ein Muster aus Spalten und Flechten. Sie entdeckte Flecken, aber ob sie pflanzlich, tierisch oder mineralisch waren, konnte Pam nicht erkennen. Sie suchte den umliegenden Boden und das Gras ab, doch nichts. Falls sich Blut fand, genauer gesagt, eine Blutspur zwischen der Lichtung und dem Sträßchen auf der anderen Seite des kleinen Schutzgebiets, dann würde sie sich nur durch eine nächtliche Besprühung mit Luminol finden lassen. Doch ohne Leiche würde sie so etwas nicht in Auftrag geben. »Ich muss mich mal eine Weile umschauen, wenn Sie so lange zurückgehen und Mrs McIntosh Gesellschaft leisten?« 

Overton machte ein mürrisches Gesicht und stapfte durch die finsteren Bäume zurück.

Als sie verschwunden war, fertigte Murphy eine Skizze der Lichtung und des Felsens in ihrem Notizbuch an. Wenn hier ein Verbrechen begangen worden war, würden ein Standbildfotograf und ein Filmer akkuratere, verlässlichere Aufnahmen anfertigen. Dann umkreiste Pam die Lichtung, hielt sich am äußersten Rand auf und suchte nach Schleifspuren, Blut, irgendetwas. Es war sinnlos. Sie konnte nichts erkennen. Aber Overton hatte vermutlich schon etwas gesehen.

Pam wurde von einem Schwindel überfallen, und die Lichtung geriet ins Taumeln. Schon wieder: Diese Attacken hatten in der Woche zuvor begonnen und traten ein paarmal am Tag auf. Sie schienen durch plötzliche Bewegungen ausgelöst zu werden, tauchten manchmal aber auch einfach so auf. Pam verlor eine Sekunde ihres Lebens. Sie stand einen Augenblick lang da, öffnete den Mund, schloss ihn wieder und blinzelte. Ein Nebeneffekt, weil sie ihr Antidepressivum abgesetzt hatte? Lisa, ihre Hausärztin, hatte sie nicht davor gewarnt – ganz im Gegenteil, sie hatte die Dosis erhöhen wollen, wenn überhaupt, nicht absetzen.

Pam ließ sich beim Rückweg zum Haus Zeit und folgte den Stimmen in die Küche. Es war kalt, das Reich einer alten Frau, die nur wenig Geld hatte und immer weniger sehen konnte. Staub, Krümel, dreckige Gabeln, funzlige Glühbirnen, fettige Schmierflecken auf Tisch und Küchentheken. Mittendrin saßen Jan Overton und Mrs McIntosh und warteten, während der Tee in einem verbeulten Aluminiumtopf zog und die Kekse auf einem angeschlagenen Teller alt wurden.

Die alte Frau war überrascht, sie zu sehen. »Sind Sie das Essen auf Rädern?«

Pam lächelte. »Polizei, Mrs McIntosh.«

»Niemals. Wo ist Ihre Dingsda?«

»Meine Uniform? Die habe ich heute zu Hause gelassen.«

Jan Overton schniefte. Die alte Frau mahlte mit den Zähnen. »Ich hab nichts verbrochen.«

»Natürlich nicht«, sagte Pam. »Ich habe mich nur gefragt, ob Sie jemanden durch die Bäume hinter Ihrem Haus haben gehen sehen.«

Mrs McIntosh starrte sie verwundert an. »Wen?«

Overton nahm eine gebrechliche Hand und streichelte sie. »Eine junge Frau vielleicht? Irgendjemanden?«

Die alte Frau schaute bestürzt. »Sind Sie von der Gemeinde?« 

»Von der Gemeinde? Nein. Sie hatten einen Koala im Garten, erinnern Sie sich noch?«

»Ich nehme Wasser aus dem Tank«, sagte die alte Frau und wendete sich an Pam Murphy. »Ich bin nicht am Netz angeschlossen. Schreiben Sie sich das hinter die Ohren.«

Pam hatte schon mehrfach gehört, dass ihr Lächeln nicht immer besänftigend wirkte, aber sie lächelte trotzdem und nahm sich einen Stuhl. »Schon in Ordnung, wir wissen, dass Sie kein Wasser verschwenden. Aber Sie haben einen hübschen Garten, der macht doch sicher viel Arbeit. Hilft Ihnen jemand dabei, Mrs McIntosh? Eine Enkelin, eine Nichte?«

»Wo?«, fragte Mrs McIntosh und sah sich um.

Pam versuchte es anders. »Vielleicht können Sie mir helfen, ich kenne mich hier in der Gegend nicht so gut aus. Da drüben hinter den Bäumen ist eine Fahrspur, Waterloo liegt in dieser Richtung, die Müllkippe da drüben … haben Sie Nachbarn, Mrs McIntosh?«

»Eric und ich hatten hier früher mal tausend Morgen. Alles futsch.«

»Tut mir leid zu hören.«

»Ich verkaufe nicht. Das können sie denen sagen.«

»Ganz recht«, sagte Pam. »Hier draußen ist es hübsch und ruhig. Sie kennen doch sicher alle Ihre Nachbarn und was für Autos sie fahren?«

Die alte Frau reagierte gereizt. »Wo?«

»Mrs McIntosh, haben Sie letzte Nacht oder heute Morgen irgendetwas Verdächtiges bemerkt? War jemand bei den Bäumen, komische Lichter oder Geräusche oder Autos?«

»Wir hatten ein kleines Gewehr. Das haben wir bei der Amnestie abgeliefert.«

»Sehr kluge Entscheidung. Was ist mit Ihren Nachbarn, glauben Sie, die haben etwas gehört oder gesehen?«

Die alte Frau schimpfte herum: »Die? Das Einzige, wozu die nütze sind, ist, gesunde Apfelbäume zu fällen und Wein anzubauen. Die wohnen alle in der Stadt, ich kriege sie nie zu Gesicht.«

Overton starrte Pam jetzt wütend an, deshalb ließ sie das Gespräch langsam auslaufen, verließ das Haus und setzte sich für eine Weile in den Wagen. Als Nächstes kamen die Abteilung Vermisste Personen dran, die örtlichen Krankenhäuser, und falls das zu nichts führte, ein Hintergrundcheck von Jan Overton. Doch bis dahin wollte Pam die lange Strecke nach Waterloo nehmen – rund um das Naturschutzgebiet und über die Waterloo-Dandenong Road zurück.

Mrs McIntoshs Straße wich nach ein paar Hundert Metern staubigen Verwehungen und Spurrillen, die einen heftig durchschüttelten. Pam fuhr langsam weiter und hörte die Kieselsteine, die in den Radkästen klapperten. An der Kreuzung bog sie links ab auf eine weitere zerfahrene Farmerstraße, die sie um das hintere Ende des Schutzgebietes führte. Hier stieß sie auf ein Tor in dem windschiefen Zaun, an dem Fuchsfelle hingen, und auf ein Stück Ödland, wo jeder, der verrückt genug war, durch das Schutzgebiet zu wandern, seinen Wagen abstellen konnte. Pam stieg aus und besah sich den staubigen Boden. Eine schwache Reifenspur – aber warum auch nicht? Keine Schleifspuren. Kein Blut, soweit sie sehen konnte.

Vielleicht war gestern Nacht ein Liebespaar hier aufgetaucht; irgendetwas war schiefgelaufen, und die Frau rannte weg. Oder sie hatten im Suff Sex auf der Lichtung gehabt, und sie war zurückgeblieben und hatte ihren Rausch ausgeschlafen. Oder es war gar nichts geschehen.

Pam kehrte zu ihrem Subaru zurück, folgte der Fahrspur bis zum Ende und war erleichtert, als sie links auf Asphalt abbog, der eine schnelle Heimfahrt nach Waterloo versprach. In diesem Augenblick sah sie ein prunkvolles Eingangstor, und da stand auch ihr Arbeitskollege Scobie Sutton, der mürrisch in sein Notizbuch kritzelte. Sie hielt an und stieg aus. »Scobie.«

Sutton war groß, griesgrämig und dürr, sein schwarzer Anzug hing an ihm herunter und schlotterte ihm um die Storchenbeine. »Pam.«

»Du brichst dem örtlichen Verbrechen das Genick, wie ich sehe?«

Sutton schien darüber nachzudenken, ob er die Frage ernst nehmen sollte, aber dann lächelte er. »So ähnlich.«

»Wo ist dein Auto?«

»Ich bin mit John Tankard hergekommen. Er ist im Haus.«

»Du hast Tank geschickt, um einen Bürger zu befragen?«

Scobie machte ein finsteres Gesicht. Diesmal hatte er sie nicht richtig gedeutet. »John ist schon in Ordnung«, stellte er sich kollegial vor ihn.

Sie standen nebeneinander und begutachteten das Tor. Auf einer der Säulen stand in tropfender Farbe: PENISPROTHESE. Pam musste grinsen. Der Sprühdosenrächer war nun schon seit zwei Monaten unterwegs, und stets nahm er sich protzige Einfahrtstore vor, ein neuer Modetrend auf der Halbinsel, Signale eines aufdringlichen Reichtums. Sie besah sich die pastellfarbenen Säulen, die unregelmäßigen Natursteinblöcke, die geschwungenen, hochherrschaftlichen Flügel, die sich aus dem verdorrenden Frühlingsgras erhoben, die geölten Hartholztore. Das Haus selbst, das am Ende einer langen Zufahrt stand, die sich durch die Bäume zu einer Hügelflanke mit Blick auf die Western Port Bay erstreckte, war nicht zu sehen.

Das Graffiti war eine Variation jener, die sie in den letzten paar Wochen zu Gesicht bekommen hatte: HIER WOHNT EIN PROLL MIT GELD oder GESCHMACK LÄSST SICH NICHT KAUFEN oder ganz einfach WICHSER. Pam fand, dass der Rächer einen Orden verdient hatte, aber er – oder sie – bereitete der CIU ziemliche Kopfschmerzen. Ein Betroffener mit Geld und Einfluss hatte bei seinem örtlichen Abgeordneten Druck gemacht, der daraufhin bei Inspector Challis’ Vorgesetzten Druck gemacht hatte, der wiederum bei Challis Druck gemacht hatte, welcher nun versuchte, den Druck an seine Untergebenen weiterzugeben. Pam hatte nur erwidert, er geruhe wohl zu scherzen, wenn er diese Leute für Opfer halten würde, und ob er glaube, dass die eh schon überstrapazierten Polizeikräfte ihre Zeit damit verschwenden sollten, im Fall von ein paar Graffiti zu ermitteln.

Also reichte Challis den Fall an Scobie Sutton weiter, der nie murrte.

Pam blieb noch eine Weile und tratschte mit Scobie. Er habe niemanden gesehen – schon gar keine Nackte, sagte er und wurde ein wenig rot.

Fast im selben Augenblick hörten sie eine Stimme: »Hilfe, bitte helfen Sie mir.«

Erschrocken sahen sie über die Straße.

Jan Overtons Opfer, dachte Pam und ging los. Jung, nackt, verdreckt, war wohl bis hierhin durchs Buschland gestolpert.

Sutton folgte ihr über die Straße. Die Frau hielt sich mit beiden Händen am obersten Zaundraht fest, schaukelte und wankte wie ein ausgesetztes Kind. So als sei das rein symbolische Hindernis des Zauns eine Art letzter Strohhalm.

»Alles gut, alles gut, Sie sind jetzt in Sicherheit«, beschwichtigte Pam sie und half ihr dabei, sich zwischen den Drähten hindurchzuwinden.

»Ich bin vergewaltigt worden, jemand hat mich vergewaltigt«, flüsterte die junge Frau.

Scobie legte der Frau sein Jackett um die schmalen Schultern, und Pam bemerkte ganz automatisch die Kratzer, das Blut, die blauen Flecken, und suchte nach Spuren von getrocknetem Samenerguss. Dann waren sie beim Wagen. »Scobie, holst du bitte die Erste-Hilfe-Box aus meinem Wagen?« Sie gab der Frau aus einer Wasserflasche zu trinken. »Ich heiße Pam, und das ist Scobie«, sagte sie. »Wir sind Polizeibeamte.«

Die Frau erstarrte, so als wolle sie davonlaufen. »Ich heiße Chloe«, flüsterte sie.

»Wissen Sie, wer das getan hat, Chloe?«

In diesem Augenblick kam ein Streifenwagen die Zufahrt vom Haus herunter, der Motor bremste, und die Reifen knurrten auf dem Schotter, als der Wagen zwischen den Säulen hindurchschlich. John Tankard, ein Mann mit Fassbrust und mächtigen Oberschenkeln, die kaum in die Uniform eines Constables passten, stieg aus. »Was gibts denn?«

Chloe reagierte unmittelbar. Sie bockte wie wild in Pams Armen und schrie: »Halten Sie ihn von mir fern, halten Sie ihn von mir fern.«

5

Hal Challis strich über Ellen Destrys nackte Füße und dachte, wie wohlgeformt sie waren und wie sehr er sie in den kommenden acht Wochen vermissen würde.

Zwölf Uhr, ein frühes Mittagessen auf der Veranda ihres Hauses, bevor das Taxi kam. Um siebzehn Uhr ging der Flug nach London mit einem Zwischenstopp in Singapur, also musste sie um fünfzehn Uhr am Melbourne Airport sein. Wenn man die neunzig Minuten mit dem Taxi hinzurechnete – die Fahrt war mit ihrem Stipendium abgedeckt –, musste sie spätestens um halb zwei losfahren. Reichlich Zeit, um in der Sonne zu essen.

Den Quickie hatten sie schon hinter sich.

Challis knetete abwesend den Spann. Ellens Füße in seinem Schoß fühlten sich ganz leicht an. Er bewunderte den leichten Flaum auf ihren Beinen und die straffe Form ihrer Waden. Sie schaute ihm verträumt lächelnd zu, deshalb unterbrach er sich am Saum ihrer Shorts und bewunderte stattdessen den Ausblick von ihrer Seitenveranda.

Ellen hatte das Haus in Dromana, am südlichen Hang von Arthurs Seat, vor zwei Monaten gekauft. Er konnte verstehen, warum es ihr hier gefiel. Kleine beschattete Häuser an schmalen verschlafenen Straßen, manche waren asphaltiert, andere kaum mehr als schlaglochübersäte Fahrspuren mit dem Hinweisschild »Keine Durchgangsstraße«. Zwischen den Häusern und Bäumen den Hang hinunter konnte man die Bucht sehen. Eine dörfliche Atmosphäre, am Fuße des Hügels ein paar Geschäfte, der Strand für ihren morgendlichen Spaziergang ganz in der Nähe. Und der Freeway war lediglich ein paar Blocks entfernt.

Allerdings kein Ort, an dem er hätte leben können – nicht, dass die beiden das jemals gewollt hätten. Aber sie wollten einander, es war also alles in Ordnung. Eine moderne Beziehung, ein paar Nächte bei ihm oder bei ihr, ein paar jeder für sich allein.

»Du könntest mit mir nach Europa fliegen«, sagte Ellen.

»Könnte ich.«

Konnte er nicht. Acht Wochen lang als Anhängsel mitreisen, während sie sich die örtlichen Verfahrensweisen der Polizei in Großbritannien, Irland und Teilen von Deutschland, Frankreich und Holland bei Sexualverbrechen anschaute? Ellen den Tag über mit ihren europäischen Kollegen unterwegs und nachts ihre Notizen schreibend, während er über die harten Steinfußböden einer Kathedrale nach der anderen stapfte?

Es war ja nur für zwei Monate. Er hatte laufende Ermittlungen voranzutreiben und jüngere Kollegen zu beaufsichtigen, und außerdem verreiste er viel lieber mit Ellen, wenn sie beide freihatten.

»Aber du tust es nicht, ich weiß«, sagte sie.

Er lächelte sie sanft, aber müde an. Sie würden häufig telefonieren, so persönlich, wie es über eine Webcam nur ging.

Eine Samenhülse fiel von einem ihrer Gartenbäume und prallte von der Motorhaube seines Triumphs ab, der in der Einfahrt stand. Ellen bemerkte, dass er in die Richtung schaute, und meinte: »Warum nimmst du nicht so lange meinen Wagen?« 

Sein TR4 war unbequem und recht unzuverlässig, wie sie zum wiederholten Mal feststellte.

»Oder«, fügte sie hinzu, »du überraschst mich und kaufst dir einen neuen Wagen.«

Tatsächlich hatte er schon daran gedacht. »Dann überrasche ich dich sonst nicht?«

Ellen sprang von ihrem Stuhl auf seinen Schoß. »Meine Güte, Hal, ununterbrochen, und meistens angenehm.«

»Ich dachte an einen BMW.«

»Schon wieder eine Überraschung.« Sie hielt inne. »Allerdings bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich mit jemandem zusammen sein könnte, der einen BMW fährt.«

Sie küssten sich, und der vom Wetter zerschlissene Stoffbezug des Verandastuhls begann, unter ihrem Gewicht einzureißen. Sie standen auf und besahen sich den Schaden. »Ich kümmere mich in deiner Abwesenheit darum. Neues Segeltuch, Polsternägel …«

Nicht nur das: Ihr Rasen war nicht mehr als Staub und Heu, die Veranda musste neu gestrichen werden, mehrere Fenster ließen sich nicht öffnen, die Fernsehantenne ähnelte einem Winddrachen, der im Baum gelandet war, und in den Dachrinnen wuchs das Unkraut. Er besah sich die Außenwände: neuer Anstrich.

Sie warf ihm einen schwer zu deutenden Blick zu. »Ich möchte nicht … du wirst eine Menge …«, sagte sie und suchte nach Worten.

Hal wusste schon Bescheid. Sie wollte nicht, dass er ihr Held und Beschützer war, wollte ihm nicht verpflichtet sein. Andererseits wollte er sich ja auch nicht in die Arbeit stürzen und ihr alles abnehmen. Es war kompliziert. Die Beziehung war frisch, und noch immer zogen sie auf liebenswürdige Weise Grenzstriche in den Sand.

So als wolle sie jede Spur von Spannung tilgen, kam sie zu ihm und umarmte ihn so fest, dass er ihr Herz klopfen spürte. »Ich werde dich vermissen.«

»Ich dich auch.« Er hielt inne. »Ich könnte mit zum Flughafen kommen.«

Sie schüttelte den Kopf unter seinem Kinn. »Bitte nicht, die ganze Verabschiederei könnte ich nicht ertragen. Außerdem wird Larrayne dort sein.«

Ellens Tochter war schon an der Uni, aber sie stand Challis noch immer ein wenig feindselig gegenüber. »Okay.«

»Seufzer der Erleichterung allüberall.«

Sie holten sich zwei Küchenstühle, und Ellen legte ihm wieder ihre Füße auf den Schoß. »Wie wirst du die Wochenenden verbringen?« Sie klang, als müsse sie sich vergewissern, dass er ohne sie nicht unglücklich war.

»Ich dachte, ich schau mich mal um, ob ich die Dragon verkauft kriege.«

»Gut.«

»Meinst du?«

Auf ihre pragmatische Weise sagte sie: »Schau mal, ich fand das toll, dass du ein altes Flugzeug restaurierst. So überhaupt nicht Bulle. Aber ich sehe, dass du nicht mehr bei der Sache bist.«

Challis war erleichtert. »Mit der letzten angezogenen Schraube hat sich, scheints, mein Interesse daran in Luft aufgelöst.«

Ellen nickte. »Wie verkauft man denn ein Flugzeug?«

»Ich dachte, vielleicht über einen Zwischenhändler. Es gibt da einen Mann namens Warren Niekirk, der mit alten Flugzeugen handelt.«

»Hier aus der Gegend?«

»Ja.«

»Wie passend.« Sie schaute auf ihre Uhr. »Ich zieh mich besser um.«

Doch sie rührte sich nicht. Ein Riesenlärm scheuchte die Vögel in den Bäumen auf, und Challis sah zum Nachbarhaus hinüber. Dort wohnten zwei Frauen, Gärtnerinnen, die im Adventure Garden am Arthurs Seat arbeiteten, beide hatten sie Bikerfreunde, und einer von ihnen warf gerade seine Harley-Davidson an.

»Die Musik der Vorstadt«, meinte Challis. »Wissen sie, dass du bei der Polizei bist?«

»Ich glaube nicht.«

Sein Handy klingelte. Es lag auf Ellens verzogenem Verandatisch, und er starrte es an, als wollte er es mit schierer Gedankenkraft zum Verstummen bringen.

»Ich hasse deinen Klingelton.«

»Was stört dich denn daran?«

»Das ist derselbe wie bei der Frau in Tatsächlich … Liebe.«

»Welche Frau?«

»Die mit dem verrückten Bruder.«

Challis konnte sich weder an den Film noch an den Klingelton erinnern. Er gehörte nicht zu denjenigen, die Lieblingsfilme hatten. Ellen schon. Ihrer Schätzung nach hatte sie Tatsächlich … Liebe schon eine Million Mal gesehen.

Er ging ans Handy. »Challis.«

»Boss, wir haben einen Fall von sexuellem Missbrauch«, sagte Pam Murphy.

Ellen, die kurz vor dem Abflug war, um zu lernen, wie man mit Missbrauchsfällen umging, kannte Hals Gesichtsausdruck schon und stellte ihre anmutigen Füße auf den Boden.

6

Nachmittag, ein Zimmer im Krankenhaus Waterloo. Pam Murphy umklammerte kurz Chloe Holsts Unterarm. »Es macht Ihnen doch nichts aus, dass Inspector Challis anwesend ist, Chloe?«

Challis lehnte an der Wand und verhielt sich so unauffällig wie möglich. Er lächelte, blieb aber still dort stehen, wo er war.

»Nein«, sagte Holst mit erstickter, brüchiger Stimme.

»Wir haben mit Ihren Eltern und dem Arzt gesprochen, und die meinten, wenn Sie sich in der Lage dazu fühlen, könnten wir Ihnen ein paar Fragen stellen. Jetzt wird erst mal niemand irgendwelche weiteren peinlichen Spurenermittlungen an Ihnen vornehmen, okay? Allerdings möchten wir Sie fragen, was geschehen ist.«

Chloe Holst ließ sich ins Kissen plumpsen, starrte an die Decke und sagte schnell mit monotoner Stimme: »Ich war auf dem Heimweg, als er von hinten kam und die Scheinwerfer aufblitzen ließ. Dann – «

»Können wir einen Schritt zurückgehen?«, bat Pam mit leiser, warmer Stimme von ihrem Platz neben dem Bett aus. »Auf dem Heimweg von wo?«

»The Chicory Kiln.«

»Kenn ich nicht.«

Challis murmelte von der Wand herüber: »Das ist ein Wein-Bistro an der Myers Road.«

»Okay.«

»Haben Sie getrunken?«, fragte Challis. »Wir müssen diese Fragen – «

Die junge Frau in dem Bett warf sich zornig herum und stöhnte auf. »Hört mir denn keiner zu? Ich arbeite dort. Ich trinke so gut wie nie, und schon gar nicht bei der Arbeit. Ich war einfach nur auf dem Heimweg.«

»Tut mir leid«, sagte Challis. »Bis die Informationen zu mir gelangen, sind sie manchmal falsch oder verzerrt.«

»Ich hab die Geschichte doch schon so oft erzählt.«

Einmal Pam, dachte Challis, und eine Million Mal dir selbst. Und wenn die Abteilung für Sexualverbrechen hinzugezogen wird, musst du alles noch mal von vorn durchgehen. »Wenn wir alle Einzelheiten wissen, müssen wir Sie nicht mehr belästigen«, sagte er wenig überzeugend.

Chloe Holst warf ihm einen Blick aus dem rechten Auge zu. Das linke wirkte breiig, war schwarz und zugeschwollen, eine mit drei Stichen genähte Wunde teilte die Augenbraue. Wütend grobe Fingerabdrücke um den Hals, blaue Flecken an den Oberarmen und unter der Decke verborgen, blaue Flecken an Oberschenkeln, dazu Risse in Vagina und Anus. »Und was ist vor Gericht?«, fragte sie kaum hörbar.

Pam Murphy brachte ein Lächeln zustande. »Sie haben sein Gesicht nicht gesehen, vielleicht kommt es nicht dazu.«

Holst führte sich eine Hand an die aufgeplatzte Lippe und bekam wässrige Augen. Sie wollte schon etwas sagen, doch dann sank sie wieder in die Kissen hinter sich.

Das kleine Zimmer roch ebenso wie der Flur davor nach Leben und Tod, Blut und Desinfektionsmitteln und chemischer Behandlung. Murphy kannte den Geruch nur zu gut. Sie hatte im Laufe der Jahre schon genug Verdächtige und Opfer in den Notaufnahmen aufgesucht und war selbst mit Schnittverletzungen und Schürfwunden behandelt worden. Sie sah zu Challis hinüber, dann schaute sie aus dem Fenster, fand dort aber nichts, was ihr bei ihrer Aufgabe helfen konnte. Sergeant Destry würde wissen, was zu tun war, aber die war auf dem Weg nach Europa. 

Sie wendete sich wieder Holst zu. »Was geschah, nachdem er die Scheinwerfer aufgedreht hatte?«

»Das war in der Nähe der Kreuzung mit der Balnarring Road, da fuhr ich eh schon nicht so schnell. Ich hasse diese Ecke.«

Eine schnell zu fahrende, aber unübersichtliche Kurve, die sich im Laufe der Jahre als gefährlich erwiesen hatte; man hatte keine klare Sicht auf den Verkehr, der den Hügel hinunterbretterte, bis man schon halb auf der Kreuzung stand. »Ich auch«, sagte Pam.

»Er fuhr hinter mir, blitzte mit den Scheinwerfern und stellte sich vor mich, als ich anhielt. Dann stieg er aus und fuchtelte mit seinem Ausweis herum.«

Leise fragte Challis: »Können Sie den Wagen beschreiben?«

»Ein recht neuer weißer Falcon.«

»Sind Sie sicher?«

»Mein Dad hat einen. Einen Augenblick habe ich sogar geglaubt, er wäre es.«

»Um wie viel Uhr war das?«

»Gegen Mitternacht.«

»Kein anderer Verkehr?«

»Nein.«

»Fahren Sie fort.«

»Ich dachte, vielleicht funktioniert mein Rücklicht nicht, oder ich hätte was angefahren oder so. Ich dachte, es sei etwas Ernsthaftes, also habe ich die Scheibe heruntergekurbelt.«

Pam Murphy schaute in ihre Notizen und sagte: »Sie haben den Sanitätern gesagt, Sie seien von einem Mann mit Sturmhaube vergewaltigt worden. Hat er die auch getragen, als er Sie anhielt?«

»Ich weiß, worauf Sie hinauswollen«, entgegnete die junge Frau erregt, aber schwach. »Warum bin ich nicht weggefahren, richtig? Als er mich anhielt, da hat er die Sturmhaube noch nicht getragen, außerdem war es dunkel, und er hatte sich die Augen mit der Hand beschirmt, als würden ihn meine Scheinwerfer blenden. Er trug Uniform und brüllte mich an, irgendetwas Dringendes, er meinte, zu meiner eigenen Sicherheit solle ich den Wagen unter den Bäumen abstellen.«

Pam hatte den kleinen Parkplatz in der südöstlichen Ecke vor dem geistigen Auge, gleich neben Buckleys Reserve, Schulbushaltestelle an fünf Tagen in der Woche, doch ansonsten hielten dort nur Fahrer, die telefonieren wollten, Brombeersammler, Straßenbauteams bei der Mittagspause. Sie stellte sich die Stelle nachts vor, voller verwirrender Umrisse und Schatten. »Nur um das klarzustellen, der Mann, der Sie entführt hat, war nicht Constable Tankard, der Polizist, vor dem Sie sich so erschrocken haben?«

Chloe Holst schüttelte den Kopf. »Zu fett. Es war … ich habe nur die Uniform gesehen und bin ausgeflippt.«

»Verstehe. Was ist dann passiert?«