Lena Down Under - Judith Spörl - E-Book

Lena Down Under E-Book

Judith Spörl

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Beschreibung

Die 17-jährige Segelflugpilotin Lena hat sich den Schüleraustausch nach Australien ganz anders vorgestellt. Dagegen ist ihr erster Alleinflug vor drei Jahren ein Klacks gewesen! Lena muss kämpfen. Um das Vertrauen ihrer Familie. Für Piet. Um die Freundschaft ihrer verkorksten Gastschwester Olivia, die sie am Boden und in der Luft in die unmöglichsten Situationen bringt. Um die ganz große Liebe - vorausgesetzt, Lena findet am anderen Ende der Welt, Down Under, endlich heraus, für wen ihr Herz nun wirklich schlägt. Und nicht zuletzt für den Segelflug auf ihrem geliebten Flugplatz Moorbach. Band 3 entführt Fliegerherzen auf die Südhalbkugel und zeigt auch hier: Auf einem Flugplatz ist man nie allein!

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EPUB
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Seitenzahl: 295

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Judith Spörl

Lena Down Under

Mit Illustrationen von Kim Turlach

© 2020 Judith Spörl

www.jubooks.de

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

Lektorat: Textwerkstatt Anne Paulsen

Illustrationen: Kim Turlach

Cover: Doreen Goedhart nach einer

Fotovorlage von Barbora Moracová und Klára Teichmannová

Fotos © Judith Spörl und Kim Turlach

ISBN

Paperback:            978-3-7482-9081-0

Hardcover:            978-3-7482-9082-7

e-Book:                 978-3-7482-9083-4

In der Reihe bereits veröffentlicht:

Teil 1: Lena fliegt sich frei

Teil 2: Lena startet durch

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

WHAT IF I FALL?

OH MY DARLING, WHAT IF YOU FLY?

– ERIN HANSON –

BRIEFING

Normalerweise steht an dieser Stelle Vorwort, aber dies ist ja ein Buch über die junge Pilotin Lena, also verwenden wir auch gleich das richtige fliegerische Fachvokabular: Briefing. Darum wird es auch, wie nach jedem Flug, ein De-Briefing geben – sozusagen ein Nachwort.

Die fliegerischen Abläufe und Fachbegriffe sind nicht mehr so ausführlich erklärt wie in Teil 1 »Lena fliegt sich frei«. Wenn du es genauer wissen möchtest und keine fliegerischen Vorkenntnisse hast, findest du Erklärungen im Glossar am Ende des Buches.

NOTAM 20190522

Das Projekt »YPFF – Young Pilots For Future« ist frei erfunden und gibt es in Wirklichkeit nicht. Ich habe da einigen Behörden, Organisationen, Verbänden und Referenten etwas angedichtet und in den Mund gelegt. Aber das wäre doch mal eine Idee und Überlegungen wert, oder?

FLUGPLAN

Flugplatz Moorbach:

Hier fliegen Lena und ihre Klassenkameraden Isabella (genannt Bella) und Martin. Isabella ist noch Flugschülerin, Martin und Lena haben schon ihren Segelflugschein.

Fluglehrer: Piet, Fritz, Marianne (oft begleitet von ihrer kleinen Tochter Melli)

Flugschüler: Isabella, die Zwillinge Lennart und Lauren (genannt Lenny und Lala, zusammen heißen sie Teletubbies), Faris

Weitere Piloten: Maxl, Bolle (mit Freundin Zahra, die Schwester von Faris), Georg, Stefan

Flugleiter auf dem kleinen Tower: Hosen-Horst

Flugplatz Niederfelden:

Hier regiert Fliegerlegende Betsy Immelmann, ihre erwachsenen Enkel Charly (Charlotte) und Jonas fliegen auch.

Niederfelden liegt etwa 50 Kilometer entfernt von Moorbach.

Flugplatz Tocumwal, Australien:

Fluglehrer: Ian Summer, Ehefrau Julie, Kinder Chloe und Noah (Isabellas Gastfamilie)

Jim Miller, hat vier Schwestern

(Martins Gastfamilie)

Granny Debbie Jones mit Ehemann John und Enkelin Olivia Fergusson-Jones (alle aus Sydney)

Olivias Vater Randolph Fergusson

(Lenas Gastfamilie)

Den Flugplatz Tocumwal gibt es wirklich. Die geschilderten Abläufe im Flugbetrieb und den Segelflugverein habe ich frei erfunden. Seit ich dort vor über 25 Jahren geflogen bin, hat sich bestimmt einiges verändert!

Große Pläne

Eigentlich war Lena ein mutiges Mädchen. Wenigstens hielt sie sich dafür. Allerdings war es im Moment gut, dass sie nicht wusste, was in den nächsten Wochen und Monaten auf sie zukommen sollte. Vielleicht wäre sie sonst weniger überzeugt ihren Weg gegangen, als ihre Mutter sie eines Abends nach einer endlosen Diskussion völlig entnervt über den Küchentisch hinweg böse anfunkelte.

»Ich will aber!« Trotzig starrte Lena ihrer Mutter mit erhobenem Kinn in die Augen und schmiss die geballte Autorität ihrer siebzehn Jahre Lebenserfahrung in die Waagschale.

»NEIN habe ich gesagt und das ist mein letztes Wort!«, zischte Barbara Reisenberg erbost, drehte sich empört auf dem Absatz um und verließ wutschnaubend die Küche.

»Barbara, Liebling, jetzt beruhige dich, lass uns noch eine Nacht darüber schlafen, komm, wir …« Lenas Stiefvater Johannes beeilte sich, seiner Frau zu folgen, und verschwand ebenfalls im Flur. Lena blieb frustriert alleine in der Küche zurück.

Erst jetzt merkte sie, dass sie sich an der Tischplatte festgekrallt hatte. Ihr standen die Tränen in den Augen. Enttäuscht zog sie die Nase hoch und versuchte zu schlucken. Ihre Kehle war staubtrocken. Dann streckte sie vorsichtig die steifen Finger aus und angelte sich die halbvolle Wasserflasche vom Küchentisch. Sie benutzte absichtlich kein Glas und trank direkt aus der Flasche. Schade, dass Mom das nicht sieht, dachte sie bockig. Lena wusste genau, wie sich ihre Mutter davor ekelte und über solche Details aufregen konnte. Sie trank die Flasche in einem Zug leer und knallte sie dann wütend in den Leergutkorb. Das Glas ging zu Lenas größtem Ärger nicht kaputt. Welch Akt der Rebellion, dachte sie sarkastisch, das bringt mich echt weiter. Ihr jüngerer Halbbruder Jakob steckte den Kopf zur Tür herein.

»Mama und Papa streiten im Wohnzimmer – es geht um dich. Was hast du ausgefressen?«, fragte er neugierig.

»Ich darf nicht nach Australien«, erwiderte Lena knapp.

»Waaas? Australien? Was willste denn da? Wann? Cool!« Jakob riss staunend die Augen auf und war mächtig beeindruckt.

»Ach, vergiss es, ich darf ja sowieso nicht«, motzte Lena ungnädig und verließ fluchtartig die Küche. Ihrem Bruder alles haarklein zu erklären, hätte ihr jetzt gerade noch gefehlt.

Im Flur verharrte sie einen Moment und lauschte den hitzigen Stimmen aus dem Wohnzimmer.

»Du wirst sie nicht ewig beschützen können, immerhin wird sie nächstes Jahr schon achtzehn«, redete Johannes auf Barbara ein.

»Na und? Deswegen muss man es ja nicht gleich übertreiben! Schüleraustausch nach Frankreich oder so – DAS wäre angemessen! Aber Weihnachten, Neujahr weg UND dann noch zwei Wochen Schule verpassen bei IHREN Noten? Und dann gleich ans Ende der Welt, wo es die allergiftigsten Spinnen und Schlangen gibt? Und die ganzen Buschfeuer! Muss das sein? Sie hat erst letztes Jahr so lange flach gelegen nach diesem fürchterlichen Unfall1, das brauche ich nicht schon wieder … LASS MICH AUSREDEN …«

Lena hatte sich auf Zehenspitzen näher an die Wohnzimmertür herangepirscht, um alles noch besser zu hören. Leise hockte sie sich in der Nähe der Tür unter die Treppe. Jakob war ihr still gefolgt und quetschte sich schnell neben sie.

»… kann sie nicht einfach mal zur Ruhe kommen, dann würden auch ihre Schulnoten nicht IMMER so Achterbahn fahren. Aber NEIN. Flugplatz, Wettbewerb, Flugplatz, immer unterwegs, Kopf in den Wolken. Das kann doch nicht so weitergehen! Wie konnte Piet sie da einfach anmelden? Das hätte er doch vorher mit uns besprechen müsssen! Was glaubt dieser Fluglehrer eigentlich, wer er ist? Und DU unterstützt sie auch noch …«

Ohoh, jetzt geht sie Johannes auch noch an den Kragen, das wollte ich nicht. Lena schämte sich.

»… Ich fasse es nicht! Bei ihrem Vater wundert mich das ja nicht, der ist ja selbst Pilot und besessen von der Fliegerei. Aber DU! Du könntest mir ruhig mal den Rücken stärken«, zeterte Barbara weiter. Johannes murmelte irgendwas, das sie nicht verstehen konnten. Lena blickte ihren Bruder schuldbewusst an.

»Bin ich wirklich so schlimm?«, fragte sie leise. Sie verstand das nicht. Sonst hatte Barbara sie doch immer unterstützt, wenn es ums Fliegen ging. Aber Lena alleine nach Australien zu schicken, das war ihrer Mutter wohl eine Nummer zu groß.

Jakob richtete sich kerzengerade auf, so gut das eben unter der Treppe ging. Es kam nicht oft vor, dass seine große Schwester ihn um seine Meinung bat. Er überlegte einen Moment gewichtig. Schließlich teilte er ihr ernsthaft mit: »Ich würde das auch so machen wie du. Mama hat einfach Angst, weil sie sich das niemals trauen würde mit der Fliegerei und so. Wenn du bessere Noten schreiben würdest, dann hätte sie nichts gegen dich in der Hand.«

Lena schnitt eine Grimasse. Obwohl ihr kleiner Bruder erst zehn Jahre alt war, hatte er manchmal verblüffend gute Erklärungen. Und im Gegensatz zu ihr immer gute Schulnoten, ohne sich jemals dafür groß anstrengen zu müssen. Sowas von ungerecht!

Wenn ER in vier Jahren mit dem Segelfliegen anfangen würde – und das war sein fester Plan, wenn man dürfte, würde er noch früher anfangen, aber das ging erst mit 14 Jahren–, würde Mom sicher nicht ansatzweise so einen Aufstand machen.

Aus dem Wohnzimmer drang nur noch Gemurmel, aber die Geschwister konnten nichts mehr verstehen. Lena deutete nach oben und Jakob nickte. Leise zogen sie sich zurück und schlichen die Treppe nach oben.

»Erzählst du mir, was du in Australien willst?«, bettelte Jakob, bevor Lena ihre Zimmertür vor seiner Nase zuziehen konnte.

»Später«, versprach Lena, »ich will Bella anrufen.«

»Versprochen?«, vergewisserte sich Jakob misstrauisch.

»Hoch und heilig«, versprach Lena und zerzauste Jakob liebevoll die sowieso schon strubbeligen Haare. Sie schloss die Tür, ließ sich seufzend auf ihr Bett fallen und zog ihr Handy aus der Hosentasche. Ihre beste Freundin Isabella hob beim ersten Klingeln ab: »Und?«

Lena atmete vielsagend. »Meine Mutter flippt voll aus.«

»Was echt? Wieso das denn auf einmal? Mist!«, stöhnte Isabella mitfühlend. »Meinst du, sie beruhigt sich wieder?«

»Keine Ahnung. Johannes ist auf meiner Seite, vielleicht kann er sie ja noch umstimmen«, erwiderte Lena matt. Obwohl sie sich das kaum vorstellen konnte, nach dem, was sie vorhin belauscht hatte.

»Du MUSST nach Australien, das ist ja wohl sowas von klar! Ich wünschte, ich dürfte auch! Aber meine hysterische Flugangstmutter würde das NIEMALS erlauben. Die ist ja noch viel schlimmer als deine Mutter!«

»Ich verstehe das gar nicht, sonst war meine Mom doch immer ganz cool, was das Fliegen anging, oder? Was soll auf einmal diese Panikmache? Giftschlangen, Spinnen, na und? Die Leute, die da wohnen, kommen ja auch ganz gut damit klar!«, schimpfte Lena. Das Problem mit den Schulnoten erwähnte sie lieber nicht. Es war ihr peinlich. Isabella war nämlich wie ihr Bruder. Sie konnte es überhaupt nicht verstehen, dass man auch etwas anderes als Einser und Zweier mit nach Hause brachte. Lena kam sich neben Isabella manchmal vor wie der Depp vom Dienst.

»Pass auf, bei Martin gibt’s garantiert NULL Probleme. Seine Mutter sagt doch zu allem Ja und Amen«, lenkte sie verlegen von sich ab. Martin ging in dieselbe Klasse wie Isabella und Lena und war der Erste aus der Clique gewesen, der in Moorbach angefangen hatte, Segelfliegen zu lernen.

Außerdem war er lange mit Isabella zusammen gewesen.

Isabella stieg voll darauf ein: »Das glaube ich sofort. Seine Mutter ist echt ’ne Nummer. Total blind, was ihren Schatzi betrifft. Dabei ist ER doch der große Schussel, dem alle Missgeschicke dieser Welt passieren. Ich kann dir Geschichten erzähen! Bei ihm würde ich mir eher Sorgen machen, ob er nicht irgendwo auf dem Weg nach Australien verloren geht oder dort gleich in ein Schlangennest tritt!«

»Machst du dir jetzt echt noch Sorgen um ihn?«, hakte Lena nach.

»Was? Ach Quatsch. Nein«, wand sich Isabella ein bisschen. »Na ja, vielleicht doch. Ach, ich weiß auch nicht. Er ist ja jetzt mit Lala glücklich, oder?«

Lena stöhnte: »Das sind ja ganz neue Töne! Du warst doch immer so cool? Und was ist mit Maxl? Für mich habt ihr in den letzten Wochen in der Schule und am Flugplatz total glücklich ausgesehen. DAS Traumpaar! Was habe ich denn da verpasst?«

Sie rollte mit den Augen. Ging das schon wieder los? Lena hatte gedacht, das alles läge weit hinter ihnen. Im letzten Jahr hatte Bella mit Martin Schluss gemacht, weil der heimlich in sie, Lena, verknallt gewesen war. Bella hatte ihn erwischt, wie er sie geküsst hatte. Lena selbst war damals völlig perplex gewesen. Martin hatte sie einfach überrumpelt, obwohl sie ihm schon mal gesagt hatte, dass sie nichts von ihm wollte. Egal. Auf jeden Fall hatte Bella dann später mit dem Moorbacher Flugplatzhelden Maxl angebandelt. Lena hatte erst Bedenken gehabt, sie war auch schonmal auf seinen Charme hereingefallen. Aber er schien sich doch zu ändern und das mit Bella war was Ernsteres. Na, und Martin war jetzt mit Lala vom Flugplatz zusammen, das passte doch auch super? Musste denn immer alles so schwierig sein? Was hatte Bella denn nun wieder für Gefühle und Befindlichkeiten? Und warum hatte sie Lena als ihrer besten Freundin bisher noch nichts davon erzählt? Da war Bella manchmal echt anstrengend. Nach außen hin musste bei ihr wohl immer alles perfekt aussehen. Lena seufzte verhalten. Wann war eigentlich alles so kompliziert geworden?

»Maxl ist im Abistress. Außerdem will er Berufspilot werden, die Bewerbung läuft schon. Er hat kaum noch Zeit. Muss noch lernen, sagt er. Ich weiß auch nicht …«, lamentierte Isabella.

»Ja, stell dir vor, manche müssen für die Schule lernen und es fliegt ihnen nicht alles so zu wie gewissen Leuten! Na und? Ist doch normal«, erwiderte Lena spitz.

»Hast ja recht, ich sollte geduldiger sein«, schmollte Isabella nachdenklich. »Aber zurück zu dir. Australien! Was ist mit Piet? Sollte der sich nicht einsetzen? Schließlich hat ER alles ins Rollen gebracht, ohne deine Mutter zu fragen!«

Es klingelte an der Haustür. »Warte mal kurz, es hat geklingelt …« Lena öffnete ihre Tür einen Spalt und lauschte. Jakob war sofort die Treppe heruntergepoltert, um zu sehen, wer draußen stand.

»Maaaaama, Piet ist da und will mit dir sprechen!«, brüllte er extra laut. Ihm war klar, dass seine Schwester das hören wollte.

»Piet ist da, ich rufe später zurück. Das ist ja Gedankenübertragung«, wisperte Lena ins Telefon und drückte das Gespräch weg. Eine Sekunde später hatte sie von Bella eine Nachricht mit Daumen hoch. Lena seufzte. Trotz allem Beziehungshickhack: Bella war und blieb die allerbeste Freundin, die man sich vorstellen konnte! Sie fieberte voll mit Lena mit!

Jakob war wieder heraufgekommen und setzte sich auf die oberste Stufe. Leise hockte sich Lena neben ihn.

»Sagst du mir jetzt, worum es geht? Was will dein alter Fluglehrer Piet denn hier?«, quengelte er leise.

Mit klopfendem Herzen pfriemelte Lena etwas aus ihrer hinteren Hosentasche und drückte ihm den Brief in die Hand, den Piet ihr heute Morgen auf dem Flugplatz gegeben hatte. »Pssst!«, ermahnte sie ihren Bruder. Sie wollte keinen Piep von dem, was unten geredet wurde, verpassen. Barbara hatte Piet hereingebeten und die Erwachsenen saßen jetzt in der Küche. Die Tür hatten sie zum Glück nicht geschlossen.

Jakob faltete den verknitterten Brief auseinander. Ein Prospekt fiel ihm dabei auch in den Schoß. Darauf stand von vielen exotischen Flugplatz- und Flugzeugbildern umrahmt:

YPFF – Young Pilots For Future

Jakob drehte den Prospekt schnell um und las die deutsche Übersetzung:

Fliegen, Technik, globale Vernetzung! Die Zukunft unseres Planeten liegt in den Händen der Jugend! Wir möchten eine neue Initiative ins Leben rufen und junge Piloten weltweit zusammenbringen! Werden Sie Teil dieser einzigartigen …

Blablabla …

Das klang aber geschwollen. Er übersprang einen ganzen Teil.

… in der Luftfahrt und speziell beim Segelfliegen beschäftigt man sich seit Jahren mit CO2-freien Möglichkeiten der Fliegerei … blabla … junge Menschen fördern und weltweit zusammenbringen … Kommunikation … innovative Ideen länderübergreifend …

Jakob gab auf. Das war auch nicht besser und klang immer noch so schwülstig. Darunter waren die Logos der internationalen Luftfahrtvereinigungen und Aeroclubs abgebildet: Argentinien, Australien, Österreich, Canada, China, Japan, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Israel, Ungarn, Litauen, Niederlande, Neuseeland, Norwegen, Polen, Großbritannien, Südafrika, Schweiz, Spanien, Tschechien … ganz schön viele, fand Jakob.

Er legte den Prospekt zur Seite und las den zerknitterten Brief. Vielleicht wurde er hieraus schlauer?

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Ihr Verein ausgewählt wurde, um an dem internationalen Austauschprogramm für Schüler, YPFF, teilzunehmen.

Im Zuge des Losverfahrens wurde für Sie ein Segelflugklub in Tocumwal, Australien ermittelt.

Genauere Details folgen in Kürze. Bitte füllen Sie das beiliegende Formular zur Anmeldung der Teilnehmer aus, inklusive Einverständniserklärung der Erziehungsberechtigten.

Tickets und Zuschüsse werden intern beantragt, darum werden wir uns für Sie kümmern. Das Visum für Australien müssen die Teilnehmer privat organisieren. Ein Antrag zur Schulbefreiung wird Ihnen, falls nötig, rechtzeitig vom Deutschen Sportbund zugestellt.

Mit freundlichen Grüßen

Ariane Bugmann

Jugendreferentin LuftsportjugendDeutscher Aeroclub, Bundesgeschäftsstelle Braunschweig

»Boah! Heißt das, du sollst so ein Austauschsdings mitmachen? Hat Piet dich da angemeldet?«, platzte Jakob heraus. Er vergaß vor Aufregung völlig, leise zu sprechen. Unten schloss jemand mit Nachdruck die Küchentür.

»Na toll. Danke. Jetzt höre ich nichts mehr«, motzte Lena aufgebracht.

»Ups. Sorry«, nuschelte Jakob kleinlaut. Er zog entschuldigend die Schultern hoch. Lena seufzte schon wieder. Das wurde langsam zur Gewohnheit. Wenn sie sowieso nichts mehr hörte von unten, konnte sie ihm jetzt genauso gut alles erklären.

»Okay. Also hör zu. Das ist so eine internationale Ausschreibung für Piloten oder Pilotenschüler unter einundzwanzig Jahren. Gesponsort, also bezahlt wird das von den Aeroklubs, Flugsicherungen, den Fluggesellschaften und was weiß ich von wem, weil die alle irgendwie Nachwuchsprobleme haben und so auch Werbung machen wollen. Jugendliche aus der ganzen Welt sollen zusammengebracht werden und sich vernetzen …«

»Und ihr trefft euch dann ALLE in Australien?«, unterbrach Jakob sie aufgeregt.

»Was? Nein! Natürlich nicht! Lass mich ausreden. Im Prinzip ist das einfach ein weltweiter Schüleraustausch. Sie hoffen, dass dadurch mehr als Internet-Freundschaften aufgebaut werden. Und dass diese Luftfahrtbegeisterten Jugendlichen auch später im Berufsleben vielleicht mal toll zusammenarbeiten. Von wegen neue Lösungen in der Luftfahrt für den Klimawandel finden und so …«

»Häh? Verstehe ich nicht.« Jakob schaute ratlos.

»Egal, wenn du groß bist, wirst du es schon verstehen. Für mich geht es jetzt um einen Schüleraustausch nach Australien, der mich nichts kosten wird. Piet sagt, er findet das auf jeden Fall eine Riesenchance und da müsse man unbedingt mitmachen, wenn sowas schon mal auf die Beine gestellt wird. Normalerweise gibt’s ja nicht einfach so viel Geld für uns Jugendliche. War wohl ein Riesen-Anmeldechaos, wer wo wann mitmachen darf und so. Er hat es einfach versucht. Und jetzt braucht er drei Leute aus unserem Verein, die auch tatsächlich mitmachen wollen. Er hat uns vorher nichts gesagt, um uns nicht zu enttäuschen, wenn es nicht klappt. So richtig hat er wohl selbst nicht daran geglaubt. Na ja. Martin, Stefan und ich dürfen mitmachen. Weil wir auch schon beim Jugendvergleichsfliegen waren, Engagement gezeigt und den Verein vertreten haben.«

»Aha. Cooool«, staunte Jakob. »Und kommt dann auch so ein Australier zu uns, mit Cowboyhut und so einem Messer wegen der Krokodile?«

»Du schaust zu viel Fernsehen. Australierin wohl eher. Mädels zu Mädels?«, grinste Lena.

»Aber wenn du nach Australien fliegst, ist das ja nicht wirklich klimafreundlich, oder?«, ereiferte sich Jakob weiter.

»Stimmt eigentlich. Nicht so ganz durchdacht. Vielleicht geht es ihnen doch nur um die Nachwuchswerbung. Na, du kleiner Klugscheißer kannst ja in ein paar Jahren mitmachen und wirst dann ganz sicher später die Welt retten«, frotzelte Lena nachdenklich.

»Pöh. Ich klugscheißere nicht. Ich weiß es wirklich besser«, konterte Jakob frech. Aber Lena kam nicht dazu, etwas zu erwidern, da in dem Moment unten die Küchentür aufging und die Erwachsenen im Flur erschienen.

1 Mehr darüber erfährst du in Teil 2: Lena startet durch

Eine fette Lüge

Flugplatz Moorbach, Segelflugstart, einen Tag später.

»Wenn ich mich jemals so aufführe, schlag mich bitte ganz, ganz fest«, sagte Isabella mit einem Seitenblick auf das Pärchen, das knutschend am Lepo lehnte. Lena grinste.

»Versprochen. Immer gerne.«

Martin und Lala, über die sie da redeten, bekamen in ihrer Glückseligkeit nichts davon mit. Wochenende. Flugplatzzeit. Man hatte sich eine unendlich lange Schulwoche nicht gesehen! Da war es wirklich viel verlangt, mal fünf Minuten die Finger von einander zu lassen, oder nicht? Die Zwillinge Lauren, genannt Lala, und Lennart wohnten in entgegengesetzter Richtung vom Flugplatz als Martin, Isabella und Lena, die alle aus Holzhausen kamen und dort in der Nähe zur Schule gingen. Der Flugplatz Moorbach lag ungefähr in der Mitte, wo sich alle am Wochenende trafen. Hier hatten sie sich kennengelernt.

Marianne, eine junge Fluglehrerin, die neben ihnen am Segelflugstart saß, seufzte träumerisch: »Hach, erste Liebe, noch einmal 17 sein! Sind die nicht süß?«

»Erste Liebe? Hallo? Geht’s noch? Und ich habe mit Martin damals Kuchen gebacken, oder was?«, schimpfte Isabella erbost. »Können die sich nicht ’ne andere Ecke suchen? Will ja nicht jeder zusehen, wie die sich abschlabbern. Also echt jetzt!«

Marianne und Lena unterdrückten jeden Kommentar und grinsten sich über Bellas Kopf hinweg vielsagend an. Isabella klatschte energisch in die Hände. »Hallo? Jemand da? Wir brauchen Windenseile, auf jetzt! Die Einsitzer heben nicht von alleine ab, Thermik ruft!«

»Richtig. Wo ist eigentlich meine 21?« Marianne suchte kritisch den Himmel ab. Faris, einer ihrer Flugschüler, flog noch nicht so lange alleine, um gänzlich sich selbst überlassen zu werden.

Er hatte die größten Hände, die Lena je gesehen hatte. Manchmal witzelten sie herum, dass er wahrscheinlich in einer K8 Steuerknüppel und Klappen gleichzeitig mit einer Hand bedienen könnte.

»Ah, da ist er ja«, nickte Mariane zufrieden und griff nach dem Handfunkgerät. »Delta 6746 vom Segelflugstart?«

»Delta 6746 hört«, kam Faris’ Antwort knisternd aus dem Lautsprecher.

»Faris, lass dir Zeit, du kannst ruhig noch eine Stunde in der Thermik bleiben. Lala hat es nicht eilig und Lenny wollte weiter mit Georg Winde fahren.«

»Delta 46 verstanden.«

»Kurz und knapp. Brav.« Marianne grinste. Lala und Martin hatten sich in der Zwischenzeit in den Lepo verkrümelt und brausten Richtung Winde, um Seile für die nächsten Starts zu holen.

»Hoffentlich schaut wenigstens einer von beiden aus dem Fenster, sonst knallen die gleich in den Wald«, bemerkte Isabella schnippisch. Lena winkte ab.

»Schmoll nicht. Komm, wir schieben die Einsitzer an den Start.«

Zu dritt bugsierten die Mädchen erst die ASW19 und dann die LS4 an den Segelflugstart.

»Ganz schön ruhig hier«, bemerkte Marianne nachdenklich, während sie auf den Lepo mit den Seilen warteten. »Wird Zeit, dass wir mal wieder ein paar neue Schüler kriegen. Seit die Jungs mit Abitur und Ausbildung beschäftigt sind, lassen sie sich immer weniger blicken. Und wenn Maxl nach dem Abi dann noch tatsächlich wegzieht? Bella, weißt du was Genaueres?«

»Na ja, er hat irgendwann diesen Piloten-Eignungstest in Hamburg. Wenn er den besteht, beginnt die Ausbildung zum Berufspilot für ihn schon im Oktober. Dann wäre er erstmal weg. Bremen, Phoenix, wasweißichwo …Wir sehen uns sowieso nicht mehr so oft, der macht sein eigenes Ding«, grummelte Isabella. Genervt zupfte sie an ihrer aufwendigen Flechtfrisur herum. Mit der Kamera ihres Handys kontrollierte sie dann ihren Look und schoss gleich auch noch zwei Selfies von sich. Wahrscheinlich würde sie eines davon gleich auf Instagram hochladen, mit irgendeinem witzigen Spruch, von schlechter Laune keine Spur, und dafür hunderte von Likes ernten.

Lena warf Marianne einen warnenden Blick zu. Solche Fragen würden Isabellas eh schon miese Laune nicht verbessern. Erst knutschte ihr Exfreund ständig vor ihrer Nase mit Lala rum und jetzt zog ihr aktueller Freund wahrscheinlich auch noch weg. Lena konnte ihre Freundin gut verstehen. Nur Isabellas Dauergrinse-Selfie-Wahnsinn nervte Lena total.

Marianne sprach ungerührt weiter: »Das klappt sicher bei Maxl. Da habe ich gar keine Zweifel. Also ist er weg und Bolle ist in seiner Autowerkstatt beschäftigt, Stefan hat auch irgendwo einen Ausbildungsplatz in Aussicht und wird wegziehen. Wir sind hier schon der harte Kern! Ihr zwei, Martin, die Zwillinge, der alte Georg, ich und Faris. Sieht bald schlecht aus für unseren Segelflug hier in Moorbach!«

»Was? Stefan geht auch? Das wusste ich ja noch gar nicht! Ich dachte, der macht auch bei diesem Pilots For Future mit?«, wunderte sich Isabella.

»Ja, das war Piets Plan, aber daraus wird nichts«, erwiderte Marianne trocken.

»Siehste, Piet hast du vergessen, der ist ja auch noch da. Und Fritz!«, versuchte Lena die Stimmung zu retten. Marianne schüttelte ernst den Kopf.

»Fritz hat gesagt, er will in Zukunft nur noch Motorflug machen, ihm ist das Segelfliegen zu mühsam. Tja, und Piet …«

Marianne brach ab und Lena schaute sie alarmiert an.

»Was ist mit Piet?«

»Mist, das sollte ich euch eigentlich nicht erzählen.«

Lena war sich auf einmal sicher, dass jetzt etwas kam, was sie nicht hören wollte. Sie fing Isabellas Blick auf, der nicht weniger besorgt und bang aussah, wie sie sich plötzlich fühlte. Marianne zögerte einen Augenblick. Dann schien sie einen Entschluss gefasst zu haben. Lena nestelte nervös am Haubenbezug der LS4 herum. Marianne holte tief Luft:

»Ich kann diese Geheimniskrämerei nicht ausstehen. Irgendwann erfahrt ihr es ja sowieso. Ich muss ja nicht in die Details gehen. Das soll er euch selbst erzählen. Nur soviel: Piet hat eine Reihe von Untersuchungen vor sich. Er soll ein wenig kürzertreten und sich schonen. Bis auf Weiteres wird er nicht mehr schulen. Noch hat der Arzt seine Fliegertauglichkeit nicht widerrufen. Mehr müsst ihr nicht wissen.«

Lena und Isabella starrten Marianne entgeistert an. Moorbach ohne Piet? Unvorstellbar!

»Das geht doch gar nicht«, stammelte Lena. »Er war doch gestern noch bei uns, um mit meinen Eltern zu reden, und er ist doch voll dabei, dieses Austauschprogramm zu organisieren …« Ihr Hals wurde plötzlich ganz trocken.

»Ich weiß auch nicht. Ich habe das Gefühl, damit will er zum Schluss seiner Fliegerlaufbahn nochmal so eine Art Statement setzen. Vielleicht will er Werbung machen damit, um Nachwuchs ranzukriegen und zu fördern; zeigen was geht! Den alten verknöcherten Vereinshanseln bei uns mal zeigen, was möglich sein SOLLTE«, grübelte Marianne laut. »Ich hoffe auch, dass das Programm ein Erfolg wird, das hätte schon eine Hammer-Außenwirkung! Für Stefan finden wir schon Ersatz. Martin ist ja dabei. Und bei dir klappt das doch auch Lena, oder?«

»Ich weiß nicht genau, ich glaube schon …«, stammelte Lena überrumpelt. Sie wurde rot. Das war eine glatte Lüge. Ihre Mutter hatte klipp und klar NEIN gesagt. Solange Lenas Noten in Mathe, Französisch und diversen Nebenfächern nicht besser wären, würde sie das nicht mitmachen. Lena musste mehr Einsatz in der Schule zeigen und nicht immer nur mit dem Kopf in den Wolken herumlaufen, beharrte Barbara.

Aber das konnte, das WOLLTE Lena so nicht hinnehmen. Sie hoffte immer noch, ihre Mutter umstimmen zu können. Irgendeinen Weg musste es doch geben! Und wenn sie dafür jede freie Minute büffeln musste! Nur würde die Anmeldefrist für das Austauschprogramm bald ablaufen und die Zeit rannte ihr davon … Das Visum müsste sie ja auch jetzt schon beantragen. So schnell konnte sie keine besseren Noten vorweisen!

Deswegen hatte sie gestern in einem Anfall von Panik wie ferngesteuert das Anmeldeformular ausgefüllt, die Unterschrift ihrer Mutter kurzentschlossen gefälscht und das Ganze in den Briefkasten geworfen.

Lena hatte sich fest vorgenommen ranzuklotzen und zu lernen, um bald ein paar Zweier oder sogar Einser heimzubringen, dann wäre ihre Mutter besänftigt und Lena könnte alles beichten. Irgendwie würde sie sie schon rumkriegen. Hoffentlich. Schnell schluckte Lena das schlechte Gewissen runter. Wird schon gutgehen, redete sie sich ein. Lieber weiterplanen.

»Kann Bella dann mitmachen, wenn Stefan abgesprungen ist? Bittebittebitte, das wäre so cool!«, versuchte sie Marianne zu bezirzen und vom Thema abzulenken. Noch nicht mal Bella hatte sie bisher von ihrer Lüge erzählt.

Isabella riss die Augen auf. Marianne lächelte. »Du nimmst mir das Wort aus dem Mund. Das wäre meine nächste Frage gewesen. Bella, meinst du, deine Mutter macht das mit? Oder wird ihre panische Flugangst uns einen Strich durch die Rechnung machen, weil sie nicht will, dass du nach Australien fliegst?«

»Dein Ernst? Krass!« Vor Aufregung wurde Isabellas Stimme ganz hoch und piepsig.

»Warum nicht? Du gehst auch bald aufs Jugendvergleichsfliegen. Du bist genauso qualifiziert und engagiert wie Martin und Lena. Nur dass die mehr Flugstunden und Überlandflüge haben. Flugschüler sind definitiv zugelassen, man braucht keine fertige Lizenz.«

Lena grinste. Isabella strahlte wie ein Weihnachtsbaum. Plötzlich war die gute Laune wieder da. Als hätte man einen Schalter umgelegt.

»Na dann: Willkommen im Klub! Mal sehen, wer seine Mutter zuerst weichgekocht hat«, feixte Lena.

»Hast du nicht gerade gesagt, dass bei dir schon alles klar ist?«, schnappte Marianne hellhörig zurück. »Ich zähle auf euch! Wir können Piet nicht hängen lassen!« Lena wurde rot.

Der Lepo kam vor ihnen zum Stehen.

»Jaja, ist gut, passt schon«, wiegelte Lena ab und machte sich schnell an den Seilen zu schaffen, bevor Marianne ihre roten Wangen sehen und noch mehr Fragen stellen konnte.

»Wooooow. Wir beide fliegen nach Australien«, schwärmte Bella mit glitzernden Augen. Keine Spur mehr von »keine Chance, würde sie NIE mitmachen« wie sie gestern am Telefon noch über ihre Mutter geschimpft hatte.

»Das MUSS klappen. Das Segelfliegen hat sie ja auch irgendwann zugelassen.« Sie knuffte Lena freundschaftlich in die Seite. »Vielleicht solltest DU sie bearbeiten. Das hat ja damals schon Wunder gewirkt und deine Mom hast du auch rumgekriegt!«

»Jaja«, sagte Lena wieder und lachte halbherzig. »Du wirst sie schon irgendwie schwindelig labern und überreden.«

Und ich sollte ganz genau zusehen, wie du das machst, dachte sie im Stillen. Auf jeden Fall sollte ich mir ganz dringend Nachhilfe in Französisch und Mathe besorgen, sonst fliegen Bella und Martin ohne mich nach Australien.

Jetzt hatte Lena schlechte Laune. Als hätte man einen Schalter umgelegt.

Jonas

Für Jonas war es der perfekte Tag. Der Flug von Niederfelden nach Moorbach, etwas über 50 Kilometer, war für ihn ein Kinderspiel gewesen.

Er konnte aus der Luft erkennen, dass in Moorbach der Segelflugstart aufgebaut war und sich zwei Segler zum Start vorbereitet hatten. Er hoffte, einen richtig guten Aufwind in der Nähe zu finden, um in Ruhe zu beobachten, was dort vor sich ging. Über dem Steinbruch zog es eigentlich immer gut aufwärts, überlegte Jonas, da müsste was gehen. Ein wenig Zeit könnte er dort ruhig vertrödeln, dann würde er weiterfliegen. Ob Lena da unten war? Jonas hatte ewig nichts von ihr gehört, das wurmte ihn mehr, als er zugeben wollte. Er fand Thermik genau da, wo er gehofft hatte, und drehte mit seinem Cirrus ein. Von dort aus hatte Jonas den Segelflugstart perfekt im Blick, ohne im Weg zu sein. Er hatte die Funkfrequenz von Moorbach gerastet und horchte mit, was so los war. Etwas weiter entfernt von ihm, aber immer noch in Reichweite der Platzrunde, kreiste eine ASK 21. Wahrscheinlich irgendein Flugschüler, vermutete Jonas.

»Moorbach Info, ein Segeflugstart«, schepperte eine weibliche Stimme im Funk.

»Schleppstrecke frei, Wind still«, antwortete sofort der Moorbacher Flugleiter. Jonas musste grinsen. Das war schon mal Marianne. Vor Jahren hatte er selbst in Moorbach seine ersten Segelflugstarts gemacht und sich frei geflogen. Seitdem hatte sich wohl nicht viel verändert. Immer noch dieselben Leute!

Lena hatte er erst ein paar Jahre später in Niederfelden kennengelernt und beim Jugendvergleichsfliegen wieder getroffen. Sie war für ihn sofort etwas ganz Besonderes …

Weit unter Jonas stieg ein Einsitzer am Windenseil steil in die Höhe und klinkte schließlich aus. Das Seil trudelte am Fallschirm sanft zurück in Richtung Winde. Der Pilot des Flugzeugs fackelte nicht lange und drehte sofort unter Jonas Cirrus in die Thermik ein. Brav drehte der andere Segler in der von ihm vorgegebenen Richtung.

Jonas beobachtete weiter das Geschehen. Das andere Flugzeug stieg rasant. Er fragte sich, wer da wohl drin saß. Neidisch musste er feststellen, dass derjenige es voll drauf hatte. Wenn der so weiter machte, hätte er ihn bald ausgekurbelt! Jonas war nun wirklich neugierig, wer ihn hier so zackig einholte. Die Antwort kam prompt.

»Bella, du musst gleich herkommen, hier überm Steinbruch geht’s ab. Der Bart ist der Hammer!«, sagte ein Mädchen im Funk.

Jonas bekam sofort Herzklopfen. Das war Lena! Sollte er sich zu erkennen geben? Nein, noch nicht. Er würde abwarten, ob sie ihn erkannte. Lena saß in einer ASW19 und unter ihnen im Steinbruch sah er dann sogar die Schatten ihrer Flugzeuge, wie sie genau gegenüber im Kreis hintereinander herjagten. Jonas war begeistert. Das sah so cool aus! Er nahm sich fest vor, das später zu zeichnen. Fast hätte er vor lauter Faszination nicht mitbekommen, dass Lena ihn tatsächlich auskurbelte. Als sie auf gleicher Höhe waren, wackelte sie mit den Tragflächen und winkte. Sie hatte ihn erkannt! Jetzt konnte Jonas sie auch im Cockpit deutlich sehen. Diesen Wuschelkopf würde er überall erkennen. Er freute sich riesig und grüßte begeistert zurück. Das war der Hammer! Lena passte ihren Radius seinem an und gemeinsam stiegen sie in der Thermik immer weiter nach oben in perfekter Harmonie. Lena strahlte auch wie ein Honigkuchenpferd, das konnte er genau erkennen.

Jonas bekam eine Gänsehaut. So schön und so kitschig, das war mehr, als er gehofft hatte! Das gab es doch gar nicht. Ewig Funkstille und dann trafen sie sich einfach dort im Aufwind. Wie cool! Er ließ Lena keine Sekunde aus den Augen.

Unter ihnen war mittlerweile der nächste Segler gestartet. Das musste dann wohl Isabella sein, folgerte Jonas. Isabella drehte auch auf der Stelle in ihren Aufwind ein. Lena und Jonas waren inzwischen knapp unter der Cumuluswolke, weiter konnten sie da nicht steigen. Lena richtete ihren Flieger zuerst aus und flog Richtung Osten ab. Jonas überlegte nicht lange und folgte ihr. Nach kurzer Zeit hatte er sie eingeholt und flog nun mit ausreichend Abstand parallel zu ihr. Lena signalisierte, dass sie ihn gesehen hatte, und kam noch ein Stück näher ran. Irgendwas blitzte und spiegelte im Sonnenlicht. Eine Weile flogen sie still Seite an Seite geradeaus. Für Jonas fühlte es sich einfach perfekt an. Diesen Augenblick würde er nie vergessen. Sein Herz klopfte wild bis zum Hals. Keiner sagte etwas im Funk. Das war gar nicht notwendig. Lena schaute immer wieder zu Jonas herüber. Und er zu ihr. Sie mussten natürlich aufpassen, nicht zusammenzukrachen, ein Sicherheitsabstand musste bleiben. Das war ein magischer Moment, gemeinsam. Ob sie das auch so empfand? Jonas wünschte, er hätte den Mut, sie direkt zu fragen.

»Mensch, könnt ihr mal warten?«, maulte da eine andere Mädchenstimme im Funk empört.

Lena winkte Jonas noch einmal fröhlich zu, wackelte erneut mit den Tragflächen und drehte dann elegant ab, um zurück zu Isabella zu fliegen.

»Verdammt!«, Jonas fluchte laut. Weg war sie! Ausgerechnet jetzt musste Isabella dazwischenfunken. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Er überlegte. Nein. Noch einmal wollte er Lena doch nicht hinterherfliegen. Jonas musste langsam zurück Richtung Niederfelden, eigentlich hatte er versprochen, nicht so lange weg zu sein, er hatte schon heillos überzogen.

»Meld dich mal«, funkte er ihr lahm hinterher. Lena bestätigte lediglich mit einem Doppelklick, was einfach Ja bedeutete.

Auf dem Heimflug nach Niederfelden war Jonas sehr frustriert. Lena musste doch klar sein, was er für sie fühlte? Hatte es nicht vom ersten Tag an, damals am Lagerfeuer, geknistert? Warum wich sie ihm immer aus?

Nachhilfe

Lena seufzte aus tiefstem Herzen. Gestern Abend nach dem Fliegen war sie noch mit zu Isabella gefahren, um für die Französischarbeit heute zu büffeln. Was so viel hieß wie: Lena sollte büffeln und Isabella würde sie abfragen beziehungsweise ihr die völlig unmögliche französische Grammatik erklären. Lena war bei dem Thema irgendwann zum Ende der 10. Klasse ausgestiegen und suchte noch immer den Anschluss. Wenn sie das Ruder noch rumreissen und eine Fünf im Zeugnis vermeiden wollte, blieb ihr nicht mehr viel Zeit. Bald begannen die Sommerferien.

Das mit dem Lernen war dann leider total in die Hose gegangen. Isabella hatte völlig aufgekratzt ihre Mutter wegen des Austauschprogramms bearbeitet. Und zu Lenas grenzenloser Überraschung hatte Frau Peters, die unglaubliche Flugangst hatte, sofort begeistert zugestimmt! Das sei so eine tolle Gelegenheit und man kann ja nie genug reisen, junge Menschen müssen raus in die Welt … Lena traute ihren Ohren kaum. Genau das Gegenteil von dem Gejammer ihrer Mutter. Als hätten die zwei Frauen die Rollen getauscht! Früher war es doch genau andersherum gewesen: ihre Mutter cool und Frau Peters der Bremsklotz!

Von hinten senkte sich eine betäubende Parfumwolke über Lena.

»Cherie, du ’ast noch gaar nieschts geschriebön, fühlst du disch niescht guut?« Besorgt blickte Madame Dubois von der leeren Heftseite, wo eigentlich schon mindestens eine Dreiviertelseite Text stehen müsste, auf Lenas glühende Wangen.

»Ich weiß nicht«, stammelte Lena ertappt. »Vielleicht geht’s ja gleich besser …«

»Tiens, dann ’alte disch ’eran, ma petite, noch einö Stundö Zeit, n’est ce pas?«

Madame Dubois warf ihr einen mütterlich besorgten Blick zu und setzte dann ihre Runde durch das Klassenzimmer fort, in dem die Schüler über dem Französischaufsatz schwitzten. Das Thema war Le Petit Prince, was Lena eigentlich gut gefiel. Nur hatte sie das Buch ausschließlich auf Deutsch gelesen und ihr kam einfach kein vernünftiger französischer Satz dazu in den Sinn, was zum großen Teil auch daran lag, dass sie wichtige Vokabeln, die ständig in dem Buch auftauchten, einfach nicht gelernt hatte. Fuchs? Wüste? Schlange? In Lenas Kopf herrschte auch Wüste. Nur das französische Wort für Flugzeug hatte sie sich gemerkt, l’avion