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"Lena fliegt sich frei" ist ein lehrreiches und vor allem warmherziges Buch für Mädchen über Freundschaft, erste Liebe und die Liebe zum Segelfliegen, die man dem Buch deutlich anmerkt! (Anne Paulsen, Lektorin) Welcher Teenie weiß schon, dass man mit vierzehn Jahren fliegen lernen kann? Und welches Mädchen käme auf die Idee, das auch einmal zu versuchen? Junge Mädchen interessieren sich für ihre Freundinnen und Freunde, ihre Clique, Jungs und die große Liebe, sie wollen cool sein und dazu gehören, frei sein und ihren Weg gehen. So einfach ist das aber manchmal nicht. Was tun, wenn man dabei die ein oder andere Bruchlandung erlebt? Die Geschichte begleitet Lena auf diesem Weg und entführt die Leserinnen dabei in eine neue Welt: auf den Segelflugplatz! Junge Mädchen sollen für die Fliegerei begeistert werden und dabei ganz leicht die ersten Grundlagen der Luftfahrt begreifen! Es beginnt im Schulalltag mit all den damit verbundenen Sorgen und Nöten. Lenas Freundin ist weggezogen, die Clique verändert sich. Sie fühlt sich einsam, unsicher und verwirrt und auch ihre früheren Freunde schwimmen etwas orientierungslos durch den Alltag. Der Flugplatz kommt für Lena überraschend ins Spiel, und sie entdeckt ein völlig neues Hobby für sich. Ganz nebenbei hilft ihr die Ausbildung zur Pilotin aber auch, selbstsicherer zu werden und neue Kontakte zu knüpfen. In der "Flugplatzfamilie" lernt sie Verantwortung, Teamgeist und mit Niederlagen fertig zu werden. Sie verliebt sich und erlebt ihren ersten großen Liebeskummer. Ihren Freunden ergeht es ähnlich. Schulfreunde und Flugplatzclique fließen ineinander. Am Schluß haben sich alle verändert und doch wieder zueinander gefunden. Nicht nur Lena wachsen Flügel! In einem Glossar am Ende des Buches werden die wichtigsten fliegerischen Grundbegriffe nochmals erklärt. Ganz nebenbei lernen Leserinnen dabei eine Menge über die Fliegerei - für die meisten sicher ein völlig unbekanntes Terrain!
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Seitenzahl: 283
Veröffentlichungsjahr: 2016
Judith Spörl
Mit Illustrationen von Doreen Goedhart
© 2016 Judith Spörl
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
Lektorat: Textwerkstatt Anne Paulsen
Illustrationen und Cover: Doreen Goedhart
Cover-Hintergrund mit freundlicher Unterstützung der Flugsportgruppe Elz
ISBN
Paperback:
978-3-7345-6060-6
Hardcover:
978-3-7345-6061-3
e-Book:
978-3-7345-6062-0
www.lenafliegtsichfrei.de
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Für Merle
Es war viel zu warm und stickig im Klassenzimmer. Seit über einer Stunde hockten Lena und ihre Klassenkameraden jetzt mehr oder weniger konzentriert über der Englischarbeit und atmeten muffige und abgestandene Luft. Draußen fegte – typisch April – ein Schneeschauer über den Schulhof, weswegen Mrs. Ott, ihre Englischlehrerin der 8. Klasse, keine Fenster öffnen wollte. Während die Schüler über ihrem Test schwitzten, saß sie wie immer verfroren da und nippte an einer Tasse schwarzem Tee mit Milch. Das war so ein Tick von ihr. Ohne große Thermoskanne mit Tee betrat sie nie das Klassenzimmer. Anfangs hatten natürlich alle spekuliert, ob nicht noch etwas Anderes mit in der Kanne war – bis einer der Jungs es mal gewagt hatte zu kosten, als Mrs. Ott kurz draußen war. Aber Fehlanzeige, keine alkoholischen Spezialitäten, wirklich nur Tee mit Milch, wie es sich halt für eine echte Britin gehörte. „Another ten minutes only kids, time is running!“, flötete Mrs. Ott. Lena seufzte. Isabella, die neben ihr saß, streckte kurz den Rücken durch, zog den blonden Zopf fester und beugte sich wieder über die Arbeit.
„Was Kim wohl gerade macht?“, Lenas Gedanken schweiften ab. „Ob sie schon neue Freundinnen hat?“ Die neue Schule sei okay, hatte Kim vage gemailt. Vor zwei Monaten war Kims Familie von Holzhausen nach Berlin gezogen, da ihr Vater beruflich versetzt worden war. In den Pfingst- und Sommerferien wollte Kim Lena besuchen, in der Zwischenzeit schrieben sie sich fleißig Mails. Lena hielt Kim mit allen Details aus der Schule auf dem Laufenden, besonders was Philipp betraf, in den Kim so waaahnsinnig verknallt war … Lena schaute kurz nach hinten. Philipp saß hinter ihr und starrte gerade mit leerem Blick auf Isabellas Hinterkopf. Als er merkte, dass Lena ihn erwischt hatte, schnitt er eine Grimasse und schrieb weiter. Ist der also doch hinter Isabella her. War ja klar. In Gedanken schrieb Lena schon die nächste Mail an Kim.
Früher waren sie alle eine super Clique gewesen, Kim, sie und Philipp, der drei Häuser weiter wohnte, Philipps Kumpel Martin und Isabella mit ihrem Schatten, ihrer besten Freundin Katy. Aber irgendwie hatte sich das verlaufen. Philipp war nur noch mit seinen Fußballern unterwegs und hatte Martin vermutlich im Schlepptau. Isabella und Katy nervten einfach nur – auf einmal taten sie immer so oberschick und megaschlau und waren irgendwie total in – das war nicht Lenas Welt. Und jetzt war auch noch Kim weggezogen! Philipp war nicht viel besser: so supercool und aufgeblasen – Isabella und Katy fuhren da voll drauf ab, auf jeden Fall kicherten sie ständig in seiner Nähe. Martin störte das wohl nicht.
„Are you done honey?“, sprach Mrs. Ott Lena an. Lena hatte schon seit mehreren Minuten nichts mehr geschrieben und vor sich hin geträumt. Sie wurde rot. „Sorry, Mrs. Ott“, nuschelte sie und kritzelte schnell die letzten Sätze auf das Papier, bevor die Schulglocke läutete. „Everbody put down your pens now!“, rief Mrs. Ott über die aufbrechende Unruhe hinweg. Die ersten gaben schon ihre Hefte ab und stürmten aus dem Klassenzimmer, während andere noch versuchten, in letzter Sekunde ein paar Punkte rauszuholen. Lena legte ihre Arbeit auf den Stapel auf dem Lehrerpult und folgte Isabella und den anderen nach draußen. Isabella kaute sofort mit Katy die ganze Arbeit durch: „Was hast du bei Nummer 9 geschrieben – also ich weiß nicht, das war ja soo easy, hab ich da was übersehen oder was …?“
Lena rollte mit den Augen und überholte die beiden zügig, fürchterlich, dieses Nachbesprechen – die Arbeit war geschrieben und gut. Sie wollte nichts mehr davon hören oder sich verrückt machen lassen. Noch eine Stunde Musik und dann war Wochenende.
Nach dem Unterricht saß Lena als Erste im Schulbus nach Holzhausen und verzog sich auf der letzten Bank in die Ecke. Sie zog ein dickes Buch aus der Tasche und vergrub sich in der Geschichte. Ohne Kim war Lesen ihre liebste Freizeitbeschäftigung geworden. Büchernachschub gab es genug, da Lenas Mutter in einer Buchhandlung arbeitete. Der Bus würde einen großen Umweg nach Holzhausen fahren, er musste noch viele weitere Haltestellen abklappern, und so hatte Lena knapp dreißig Minuten Zeit zum Lesen. Isabella thronte weiter vorne im Bus und stand wieder mal im Mittelpunkt. Katy, Philipp, ein paar seiner Fußballer, Martin – alles scharte sich natürlich um sie, stellte Lena nicht ganz ohne Neid fest. Sie steckte die Nase tiefer ins Buch.
Lena, naja, eigentlich hieß sie ja Lena Maria Reisenberg, lebte mit ihrer Mutter Barbara, deren Freund Johannes und ihrem sieben Jahre altem Halbbruder Jakob zusammen. Ihre Eltern hatten sich getrennt, als sie noch sehr klein war. Aber sie hatte ein prima Verhältnis zu ihrem Vater, Paul Reisenberg. Zum Glück war es den Eltern gelungen, mit der Trennung sehr friedlich umzugehen. Als Jakob dann auf die Welt kam, zog die Patchwork-Familie in eine Doppelhaushälfte in Holzhausen. Von dort hatte es Johannes nicht so weit zum Krankenhaus, wo er als Stationsarzt arbeitete.
Paul Reisenberg lebte etwas weiter entfernt von Holzhausen, er war Pilot bei einer Privatfirma und immer viel unterwegs. Zweibis dreimal im Monat kam er nach Holzhausen, wo Lena und er immer etwas unternahmen, Kino, schwimmen oder einfach bummeln und quatschen. Manchmal fuhr Lena am Wochenende zu ihm nach Kirchheim. Sie mochte auch seine Freundin Regina und zu dritt wanderten sie oder unternahmen Ausflüge mit dem Fahrrad. Ein paar Mal hatten sie sogar Jakob mitgenommen, weil der es ungerecht fand, dass immer nur seine große Schwester so tolle Sondertouren machte.
Lena war froh, als der Bus endlich ankam. Sie ließ die anderen vorauslaufen und trödelte langsam nach Hause. Oma Liesl, die Mutter von Barbara, werkelte geschäftig in der Küche und briet Kartoffelpuffer. Lena drückte ihr im Vorbeigehen einen Kuss auf die Wange. „Hallo Omi!“ Jakob saß schon am Küchentisch und kaute genüsslich mit vollen Backen. „Hallo meine Süße“, begrüßte Oma Liesl sie fröhlich, „komm her, setz dich! Eure Mam kommt später. Wie war die Schule? Dein Vater hat angerufen, er kommt Sonntag und holt dich vormittags ab und – Jakob nimm die Finger aus dem Apfelmus, DA liegt der Löffel und …“ – „Ich will auch mit“, plärrte Jakob ungerührt dazwischen und mantschte weiter im Apfelmus. „Blödsinn, du weißt doch gar nicht, was sie unternehmen, Schatz, warte es doch erst mal ab. Und Lena, du sollst bitte unbedingt die Bücher rauslegen, deine Mam meint, du weißt schon, welche. Wegen dem Bücherflohmarkt am Samstag, und du hättest eine E-Mail von Kim bekommen, sie will heute Abend anrufen. – Jakob, bitte!“ – „Ich will aber, Omi.“ – „Mach das mit Paul aus, ihr seht euch eh Sonntag früh. – Jetzt erzähl doch endlich, Lena, meine Süße – magst du Zucker?“ Lena seufzte und begann zu essen. Sie ließ Jakob und Omi reden, so richtig kam man da sowieso nicht zu Wort. Sie berichtete kurz von der Schule und lief dann gleich nach dem Essen rauf in ihr Zimmer.
„Wo hast du denn die Kiste mit den Fantasygeschichten, Lena?“, fragte Barbara am Samstagmorgen. Sie hatten schon eine Menge Kartons in den Lieferwagen der Buchhandlung geschleppt und Johannes kam gerade mit der nächsten Ladung aus dem Keller. „Die ist schon hier, Mam.“ Das ganze Jahr über sammelten sie von Bekannten und Verwandten gebrauchte Bücher, die für den Frühjahrsflohmarkt der Buchhandlung, in der Lenas Mutter arbeitete, gespendet wurden. Der Erlös des Flohmarkts wurde anschließend für wohltätige Zwecke gestiftet.
Lena mochte Flohmärkte und war jedes Jahr gerne mit dabei und half ihrer Mutter. Am liebsten stöberte sie aber selbst in den Kisten voll mit alten Geschichten. Sie war immer mit einem Riesenstapel neuer Bücher heimgekommen. Dieses Jahr hatte sie auch noch eine lange Liste von Kim, für die sie ebenfalls Ausschau halten sollte. Gestern Abend hatten sie telefoniert und Kim hatte danach per Mail alles noch einmal genau geschrieben. Sie war am Telefon total euphorisch gewesen. Philipp hatte ihr wohl auch gemailt, jetzt war Kim völlig aus dem Häuschen und noch mehr verknallt. Lena hatte sich endlose Schwärmereien angehört. Die Tatsache, dass Philipp Isabellas Haarschopf während der Klassenarbeit angehimmelt hatte, überhörte Kim gewissenhaft. Auch sein aufgeblasenes Getue störte sie wohl nicht. Sie zerpflückte lieber jedes Wort seiner Mail und wollte von Lena wissen, was sie antworten solle. Das war Lena total unangenehm. „Schreib doch was über die neue Schule“, riet sie verhalten und war froh, sich mit dem Bücherflohmarkt etwas ablenken zu können.
Wäre Kim hier gewesen, hätten sie das viel leichter bequatschen können. Kim und sie wären zusammen zum Flohmarkt gegangen, hätten sich noch von Oma warme Apfeltaschen und eine Kanne Tee mitgeben lassen, es sich erst mal hinterm Verkaufstisch gemütlich gemacht und in Ruhe geredet. Morgens war ja nicht immer gleich so viel los. Aber so auf die Distanz fand sie diese Schwärmerei ihrer Freundin langsam anstrengend.
Bald hatten sie alle Kisten eingeladen und fuhren los. Es war wieder kalt, aber es hatte endlich aufgehört zu schneien. Lena hatte sich über die Jeansjacke noch eine dickere Jacke gezogen, dazu Handschuhe und Mütze. Sie mochte sich gar nicht in dem Aufzug, sonst trug sie nie eine Mütze, denn sie fand, ihr stand das nicht. „Wie ein Michelin Männchen“, schimpfte sie, aber ihre Mutter blieb unnachgiebig: „Du stehst den ganzen Tag draußen nachher – BITTE!“ Ihr Tonfall duldete keinen Widerspruch mehr. Jetzt waren noch zwei einsame Strähnen ihrer braunen, kringeligen Haare, ihre großen braunen Augen und die Nase zu sehen. Der Rest war dick eingemummelt.
Der Büchertisch war schnell aufgebaut. Barbara parkte noch das Auto um, Lena schob die ausgepackten Kisten unter den Tisch und verteilte die Bücher. Außer ihnen waren noch andere Helfer mit Aufbauen beschäftigt und die ersten Neugierigen waren auch schon unterwegs, um die besten Schnäppchen zu machen. Johannes und Jakob wollten erst später vorbeikommen, mit Sicherheit spielten sie zu Hause noch in Ruhe am Computer, wovon Lenas Mutter nicht viel hielt. Sie trieb die Jungs immer nach draußen, wenn sie es gerade am spannendsten fanden, was natürlich immer der Fall war.
Barbara kam mit zwei dampfenden Tassen zurück. „Ich hab uns heißen Kakao mitgebracht, hier bitte. Puh, ist das frisch heute.“ Beide hielten ihre Nasen dicht über die Tassen und sogen den warmen Dampf ein. „Magst du gleich selbst mal eine Runde schauen gehen, Lena? Jetzt ist es noch nicht so voll!“ Lena schlürfte genüsslich ihren Kakao. „Ja, mach ich gleich.“
Etwas später schlenderte sie mit Kims Liste los. Gleich zwei Stände weiter fand sie schon das erste Buch für Kim und noch zwei für sich. Die Stimmung auf dem Bücherflohmarkt war gut, die meisten Besucher kannten sich schon von den letzten Jahren. Aus den Augenwinkeln sah Lena, dass ihre Mutter auch schon mit den anderen Anbietern am Quatschen war und die ersten Leute sich ihre Bücher anschauten. – „Hiii Lena!“, rief da auf einmal jemand hinter ihr. „Auch wieder dabei? Zeig mal, was hast du denn schon gefunden?“
Lena drehte sich um. Mit wippendem Pferdeschwanz, rosa Ohrenwärmern und einem knallrotem Mantel stand Isabella vor ihr. Stimmt, dachte Lena, die war ja letztes Jahr auch schon hier.
Bei ihrem Anblick verwünschte sie innerlich ihre dicke Mütze und die unförmige Jacke. – „Unser Stand ist da drüben, wir haben schon superviel verkauft, da werde ich heute nicht lange hier rumstehen müssen. Ist ja auch zu öde, aber meine Mutter besteht darauf“, seufzte Isabella theatralisch und blickte auf die Bücher in Lenas Händen. „Nein! Die sind ja wohl nicht für dich, oder? Die habe ich ja schon vor zwei Jahren gelesen. Wir haben so ein Abo, weißt du …“ – „Äh“, antwortete Lena lahm, „ich weiß nicht, ich find sie okay, und das ist für Kim, ich schau noch weiter rum ...“ – „Ach ja, Kim”, unterbrach sie Isabella. „Lange nichts mehr von ihr gehört, wie geht’s ihr denn? Aber sag mal, deine Mutter arbeitet doch in der Buchhandlung – da sitzt du doch eigentlich an der Quelle. Oh, da kommt Philipp. Na endlich, ich erfriere, wir wollen nämlich noch in die Stadt, weißt du …“
Und tatsächlich – Philipp kam lässig auf sie zu, die Hände tief in den Taschen vergraben. Er hatte seine langen, dunklen Haare zu einem Zopf nach hinten gebunden. Seine Ohren waren knallrot von der Kälte. „Hi Mädels“, er drückte Isabella einen Kuss auf die Wange und nickte Lena zu. „Können wir los?“, fragte er Isabella. „Nein, meine Mutter lässt mich sicher noch nicht, aber du musst uns eh kurz helfen, den Tisch weiter in die Sonne zu rücken – komm! Ciao Lena, bis später dann. Und schau mal bei uns vorbei, da findest du sicher coolere Bücher.“
Lena schaute perplex von Isabella zu Philipp. Isabella hatte Philipps Hand genommen und schmiegte sich an seine Seite. „Hej, Philipp“, fasste sich Lena dann schnell wieder, „ich soll dich von Kim grüßen, sie hat sich sehr über deine Mail gefreut.“ Isabella runzelte die Stirn, Philipp wurde rot. „Ah, ja, äh, klar …“ – „Kommst du?“ Schon hatte Isabella ihn mit sich gezogen und die beiden verschwanden hinter mehreren Büchertischen. Lena schnaubte ärgerlich, was glaubte diese Tussi eigentlich, wer sie war? Wichtig ist nicht, wann, sondern was man liest. Was sollte das überhebliche Getue? Und Philipp? Fand der so was toll? Und was war mit Kim? Lena hatte es gründlich die Laune verdorben. Sie wünschte so sehr, sie wäre schlagfertiger gewesen und hätte besser kontern können. Was Kim wohl zu der ganzen Geschichte sagen würde?
Lena schaute noch etwas herum, wobei sie einen großen Bogen um Isabellas Tisch machte. Später sah sie, wie Philipp und Isabella den Flohmarkt Arm in Arm Richtung Innenstadt verließen. Sie verzog sich an ihren eigenen Bücherstand und knallte ihre neuen Bücher in einen der leeren Kartons. „Sag einmal, Schatz, was ist denn los? Du ziehst ein Gesicht zum Fürchten“, wunderte sich ihre Mutter. „Mam, kann ich vielleicht nachher mit Johannes und Jakob schon früher heim, irgendwie macht das alles nicht so viel Spaß dieses Jahr und kalt isses auch …“ Barbara schaute ihre Tochter verständnisvoll an. Sie konnte sich schon denken, woher dieser Stimmungswandel kam. „Kein Problem, Lena, du vermisst Kim, hm? Ist nicht dasselbe, oder? Heute ist ja nicht so viel los wie sonst, das kriege ich schon hin.“ Lena seufzte. „Danke Mam, ja, genau, irgendwie ist das alles doof.“ Barbara grinste. „Jaja, das wird schon wieder – morgen bist du ja mit Paps unterwegs, da kommst du sicher auf andere Gedanken.“
Am Sonntagmorgen stand Lena bereits seit einer halben Stunde neben einer Cessna, einem kleinen Propellerflugzeug, im Flugzeughangar am Flugplatz Moorbach und fror. Ihr war langweilig und die Fachsimpelei über Technik und Motoren ging ihr auf die Nerven. Das war ihr Tag, was sollte das?
„Wir springen nur mal schnell rein, ich muss einem Freund diese Papiere hier bringen“, hatte Papa gesagt, als sie zum Flugplatz gefahren waren. Er hatte sie wie vereinbart morgens zu Hause abgeholt und zunächst zum Frühstücken im Waldcafé eingeladen. Jakob war unter Protest zu Hause geblieben. Danach war es zum Flugplatz gegangen.
Lena hatte immer noch schlechte Laune wegen Isabella. Sie hatte natürlich gestern Nachmittag noch Kim angerufen und ihr alles erzählt. Kim war auch sauer, wollte aber Philipp normal zurückschreiben und ihn nicht darauf ansprechen. Das hielten sie beide für klüger. „Der wird schon bald merken, was das für eine Ziege ist“, meinte Kim. Aber sie klang dabei eher bedrückt als selbstsicher.
Entsprechend einsilbig und nachdenklich war Lena, ihr Vater ging jedoch gut gelaunt darüber hinweg. Für den Nachmittag hatten sie dann noch Kinokarten. „Ich geh mal vor die Tür schauen“, rief sie den Männern zu, die unter der Tragfläche hingen und an irgendwas herumschraubten. „Ja ja, bin gleich fertig“, antwortete ihr Vater abwesend.
Lena trat wieder vor das Hallentor. Es war zwar ein klarer, wunderschöner Tag mit Schäfchenwolken, aber sie fand es immer noch ganz schön kalt und windig. Vor der Halle lag einfach nur ein riesiger Asphaltplatz und am Rand standen zwei Zapfsäulen zum Auftanken der Flugzeuge. Weiter hinten, beim Eingang des Flugplatzgeländes, befand sich noch eine große Halle mit weit geöffneten Toren, halb leer, nur ganz hinten standen zwei Flugzeuge. Zwischen den Plätzen vor den Hallen ging ein Asphaltweg für die Flugzeuge Richtung Startbahn – vorhin waren sie aus diesem Grund sicherheitshalber außen um die Hallen herumgegangen. Neben der anderen Halle gab es eine Art Kiosk oder Klubheim. Lena war unschlüssig, ob sie da einfach direkt hingehen konnte oder wieder außen herum musste. Warnschilder hatten nur vor dem Flugplatz gestanden, aber jetzt war sie ja schon drin, oder? Weit und breit war eigentlich nichts zu sehen. Irgendwo hinter der Halle hörte sie Motorengeräusche.
Lena stand noch ein paar Minuten unschlüssig herum. Als sie sich gerade ein Herz fassen und einfach hinübermarschieren wollte, kam ein uralter, total verrosteter Jeep mit heulendem Motor um die Ecke geschossen. Lena wich erschrocken zurück, und der Jeep kam bei den Tanksäulen mit quietschenden Reifen zum Stehen. Dann wurde der Motor abgewürgt, das alte Auto machte noch einen kleinen Satz und stand still. Die Fahrertür wurde geöffnet und heraus sprang zu Lenas grenzenlosem Erstaunen ein schlaksiger großer Junge mit braunen Haaren, Brille und tausend Pickeln: Martin, Philipps bester Freund.
Etwas ungelenk und mit rotem Kopf winkte Martin ihr zu: „Hey, Lena! Was machst du denn hier? Coole Kiste, was? Das mit dem Runterschalten hab ich noch nicht so drauf, die Bremsen sind so alt, eigentlich sollen wir ja nicht so schnell …“ – „Spinnst du, Martin? Du darfst doch nicht alleine Auto fahren! Was machst du denn da?“, erwiderte Lena aufgebracht und immer noch etwas erschrocken. Sie ging hinüber zu Martin und dem Jeep. Auf dem Dach des Autos war eine seltsame Konstruktion angebracht: eine schwere Metallstange mit zwei Haken rechts und links. „Was ist DAS denn?“, fragte sie dann doch neugierig und fügte hinzu: „Ja, hallo, ich bin mit meinem Vater da, der schraubt da irgendwas mit einem Bekannten in der Halle und wird nicht fertig.“ Martin hatte mittlerweile angefangen den Jeep aufzutanken. Lena staunte nicht schlecht. „Och, wir müssen hier alle Auto fahren können, sonst geht ja nichts weiter, verstehste? Seile holen, Startbus usw. Ist ja Privatgelände, das ist erlaubt. Und sind ja auch nur so superolle Kisten – das ist unser Lepo“, sagte Martin. Lena verstand kein Wort. „Euer was? Und was macht ihr dann hier?“ – „Na, Segelfliegen natürlich, was glaubst du denn? Mit dem Lepo1 hier zieht man die Schleppseile von der Winde aus, irgendwie müssen wir ja in die Luft kommen – und Lepo heißt das Ding nur für Leporello: rückwärts oller Opel“, grinste Martin und hängte den Zapfschlauch wieder an die Säule.
„DU kannst fliegen?“ Lena kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Du bist doch erst vierzehn, geht das denn? Ist Philipp auch hier? Ich dachte immer, du spielst Fußball“, fragte sie mit großen Augen. „Ach Schmarrn, Philipp hat doch nur seinen Fußball im Kopf“, erwiderte Martin. „Ich dachte, dass du auch …“, meinte Lena. „Nö“, sagte Martin, „nicht so richtig, ich bin nicht so schnell und überhaupt …“, er wurde schon wieder rot und schwieg kurz, dann begann er zu erklären: „Ich bin in der Schulung, ich fliege mit Fluglehrer im Doppelsitzer. Letztes Jahr im Herbst, nach meinem 14. Geburtstag durfte ich anfangen. Total cool.“ – „Echt?“ Lena war ziemlich sprachlos. Sowas hätte sie Martin irgendwie nicht zugetraut. Er war in seinem Element. Ganz begeistert fragte er sie: „Willst du mit zum Segelflugstart fahren? Ich zeig dir alles. Dein Dad braucht bestimmt noch eine Weile, die Lima Zulu ist schon ewig kaputt …“ – „Äh …“, Lena verstand nicht alles, „okay, ich frag mal schnell.“ Sie flitzte zurück in die Halle, wo die Männer immer noch diskutierten. Ihr Vater fand die Idee klasse: „Ich komm dann gleich nach.“ Als Lena wieder herauskam, hatte Martin schon den Motor angelassen. „Bist du ganz sicher, dass du das Ding im Griff hast?“, fragte sie beim Einsteigen unsicher. Martin grinste und fuhr los.
Der Segelflugstart war am anderen Ende des Flugplatzes. „Warum startet ihr nicht gleich vorne bei den Hallen von der Asphaltbahn?“, fragte Lena. „Wäre das nicht viel praktischer?“
„Dann würden wir Richtung Osten starten,“ erklärte Martin „von der 09, so heißt die Bahnrichtung, also in Richtung 090 Grad, wenn du dir eine Kompassrose vorstellst. Flugzeuge müssen aber immer GEGEN den Wind starten, sonst haben sie keinen gescheiten Auftrieb. Und heute haben wir Westwind, also starten wir Richtung 270 Grad, von der 27. Verstehste? Und mit den Segelfliegern gehen wir oft auf die Graspiste – das dauert doch immer ’ne Weile nach der Landung, bis man das Flugzeug mit den anderen zurückgeschoben hat, dann blockieren wir nicht die Asphaltbahn für die Motorflugzeuge.“ – „Aha. Ach so! Najaaa, verstehe, da habe ich mir nie Gedanken drüber gemacht – hast du das alles hier gelernt?“ Lena war erstaunt. „Ich fand Fliegen schon immer toll – und man kann alles hier lernen. Wir haben vier Segelfluglehrer im Verein, da hat am Wochenende meistens einer Zeit, uns zu schulen. Im Winter gibt’s einmal die Woche Theorieunterricht und man muss noch Sprechfunk üben für das Funker-Zeugnis. Wir warten dann auch unsere Flugzeuge selbst, das Wetter ist ja eh zu kalt und es gibt keine Thermik.“ – „Keine was?“ Lena kam nicht mehr mit – was der alles wusste …
„Thermik – aufsteigende Luftmassen, Aufwinde, zum Beispiel wenn die Sonne den Boden eines Ackers aufwärmt und der Boden dann die Luft darüber. Dann steigt die warme Luft nach oben – das ist der Aufwind, die Thermik. Und mit dem Segelflieger versuchst du, solche Aufwinde zu finden. Dann kreiselst du da, steigst mit der Luft weiter hoch und kannst dann wieder abgleiten, wenn du oben angekommen bist. Man muss sich von Aufwind zu Aufwind hangeln, um voranzukommen.“ – „Wow – das ist ja kompliziert. Und woher weißt du, dass du oben angekommen bist? Das ist ja wie ein Lift. Und wenn du keine Thermik findest?“, staunte Lena. „Das merkst du dann schon, du hast ein Vario im Cockpit, das zeigt dir dann an: 0 Steigen. Aber gute Piloten spüren das auch so, im Hintern quasi. Und wenn du nix findest, musst du landen. Wieder zurück am Flugplatz oder, wenn du schon zu weit weg bist, aufm Acker. Aber man soll ja erst weiterfliegen, wenn das Wetter passt!“ Martin redete sich warm, er war sehr stolz, Lena alles erklären zu können.
1Weitere Erklärungen für fliegerische Details findest Du auch im Glossar am Ende des Buches!
Mittlerweile waren sie am Segelflugstart, dem Startplatz der Segelflugzeuge, angekommen. Ein paar hundert Meter weiter entlang der Asphaltbahn am Waldrand standen ein paar Autos, davor unter einem Sonnenschirm ein Campingtisch und ein paar Stühle. Parallel, in Verlängerung der Piste, warteten drei Segelflugzeuge. Die hinteren beiden waren auf einer Seite mit einem Reifen auf dem Rand der Tragfläche beschwert. Um den Tisch herum standen und saßen mehrere Leute. In dem vorderen Flugzeug befanden sich zwei Männer. Ein Junge, vielleicht in Martins Alter, stand an der Tragfläche und schien auf irgendetwas zu warten. Den freien Arm hatte er gerade nach oben in die Luft gestreckt. Martin würgte den Motor wieder erfolgreich ab und brachte das Auto zum Stehen. „Ups, sorry. Wir sind da.“, verkündete er. „Komm!“ Sie stiegen aus und gingen auf den Tisch zu. In dem Moment bewegte sich das Flugzeug und der Junge an der Tragfläche begann zu laufen. Der Segelflieger bekam unheimlich schnell Fahrt und der Junge ließ die Tragfläche los. Nach wenigen Metern schoss der Gleiter fast senkrecht nach oben. Jetzt erst sah Lena, dass an der Unterseite des Flugzeugs ein Seil hing. Das andere Ende war wohl irgendwo auf der anderen Seite des Flugplatzes. „Cool“, staunte sie. „Geht das immer so steil los?“
Das Segelflugzeug stieg wie ein Drachen am Seil in die Höhe. Dann war anscheinend die höchste Stelle mit Seil erreicht, es ging in eine normale Fluglage über und das Seil fiel wieder zum Boden, aber es wurde dabei immer kürzer. „Das ist ein Windenstart, die Winde zieht das Seil ein und das Flugzeug steigt, bis am höchsten Punkt das Seil ausgeklinkt wird. Das sieht spektakulär aus, aber man gewöhnt sich schnell daran. Das war unser Doppelsitzer, die gute alte 21, mit der schulen wir, eine ASK21.“
„Martin, da bist du ja. Holst du gleich Seile? Oh – du hast ja Besuch mitgebracht! Hallo, ich bin Marianne.“ Eine junge Frau kam auf sie zu und streckte Lena die Hand entgegen. „Das ist Lena aus meiner Klasse“, stellte Martin sie vor. „Ihr Vater schraubt noch hinten mit Mike an der Lima Zulu rum.“ – „Ja, das kann dauern“, lachte Marianne. „Komm mit mir zum Starttisch, Lena, Martin ist gleich zurück. Warst du schon mal auf einem Segelflugplatz?“ – „Nein, noch nie“, antwortete Lena und folgte der Frau. Martin stieg wieder in den Jeep und düste diesmal die Graspiste entlang.
„Jungs, macht mal Platz, wir haben Besuch – das ist Lena, eine Schulkameradin von Martin, sie wird uns ein bisschen zuschauen.“ Marianne setzte sich an den Tisch, auf dem ein altertümliches Telefon, ein Funkgerät und eine paar Listen lagen. Sie deutete auf den Stuhl neben sich, von dem sich gerade ein grauhaariger, großer und rappeldünner Mann erhob. „Hallo“, Lena nickte allgemein in die Runde. „Tach auch, nur mal ran.“ Der Grauhaarige schüttelte ihr die Hand. „Ich bin Piet und das sind Stefan, Karl, Bolle und Markus – aber brauchste dir nich merken, die sind eh immer so frech.“ Er zwinkerte ihr zu. Die Jungs murmelten irgendeine Begrüßung und begannen dann, das zweite Segelflugzeug zum Startplatz zu schieben. „Ich heiße Lena, mein Vater ist noch hinten in der Halle bei Mike …“, versuchte Lena, ihr Auftauchen zu erklären. „Nein! DU bist die Kleine vom kleinen Paul? Na, das wird aber auch Zeit, dass er dich mal vorbeibringt! Ich kenne deinen Papa schon seit fünfundzwanzig Jahren, damals hat er bei uns das Fliegen gelernt. War lang nich mehr da – passiert immer, wenn sie erwachsen werden, keine Zeit, keine Zeit … Ach ja …“, Piet hielt immer noch ganz erfreut Lenas Hand fest. „Oh je, Lena, jetzt kannst du dich auf eine lange Geschichte gefasst machen“, grinste Marianne. „Wenn der alte Piet erst mal zu erzählen anfängt, gibt es kein Halten.“
„Warum heißt er kleiner Paul?“, fragte Lena neugierig. „Wir hatten damals zwei Pauls hier im Verein und dein Vater war, als er hier anfing, so ein Winzling von vierzehn Jahren – der musste immer mit Bleigewichten fliegen, sonst hätte der Schwerpunkt nicht gepasst. So hatte er ganz schnell den Namen weg und auch behalten, als er dann groß war.“ Piet hatte Lenas Hand losgelassen und sich auf die andere Seite des Tisches gesetzt. Entlang der Graspiste kam der Lepo wieder in Sicht. „Schau, da kommt Martin mit den Seilen von der Winde wieder“, sagte Marianne. Der Lepo kam die Graspiste heraufgefahren und blieb kurz vor dem Segelflugzeug stehen. Am Dach des Lepos hing auf jeder Seite ein Seil. Am anderen Ende des Flugplatzes konnte Lena gerade noch eine Art LKW mit zwei Trommeln erkennen, wo wohl der Rest der Seile noch aufgewickelt war. Das war anscheinend die Seilwinde.
„Was hängt denn da vorne am Seil noch dran?“, fragte Lena. „Fallschirme“, erklärte Marianne. „Sonst knallen die Seile nach dem Ausklinken viel zu schnell nach unten und können von der Winde nicht wieder richtig aufgerollt werden.“ – „Bist du denn mal mit deinem Vater im Segelflugzeug mitgeflogen?“, erkundigte sich Piet. Lena schüttelte den Kopf. „Nein, ich wusste gar nicht, dass er so was macht. Das hat sich nie ergeben.“ – „Ich glaube nicht, dass Paul noch aktiv dabei ist“, meinte Marianne, „mit dem Schichtdienst in seinem Job hat er doch an den Wochenenden gar keine Zeit mehr für den Verein. Und einen Privatflieger hat er sicher auch nirgends stehen …?“ – „Nein, sicher nicht“, bestätigte Lena.
„Ja, Mensch, Lena, dann wird’s aber Zeit, Mädchen!“, polterte Piet lachend. „Dann drehen wir zwei Hübschen gleich eine Runde, was meinst du?“ – „Wie? Ich verstehe nicht …“ Lena wusste nicht gleich, was er meinte. Dann fiel der Groschen. „Ach, Sie meinen mit dem Segler? Geht das denn so einfach?“ Sie bekam schon wieder große Augen. „Also erstens siezen wir uns hier nicht am Flugplatz, nich wahr Mädchen, und zweitens kommt dann da gleich unsere 21 wieder, da packen wir dich mal rein und dann geht’s los! Das kann ja wohl nicht angehen, dass du noch nie im Segelflugzeug gesessen bist. Es wird mir eine Ehre sein, junge Dame. Und deinem Vater ziehe ich nachher die Ohren lang.“ – „Piet, du lässt auch nichts anbrennen“, schimpfte Marianne. „Vielleicht hat sie ja gar keine Lust zu fliegen. Lass sie doch erst mal in Ruhe zuschauen, was hier passiert.“ Und zu Lena gewandt: „Aber wenn du wirklich magst – Piet ist unser ältester und bester Fluglehrer. Du kannst wirklich jederzeit ohne Bedenken bei ihm einsteigen. Oh wartet – die Ka8 ist fertig.“
Martin hatte eines der Seile an dem mittlerweile abflugbereiten Segelflugzeug befestigt und kam mit dem Lepo hinter den Starttisch gefahren. Die anderen Jungs standen hinter dem Flugzeug und einer hatte wieder an der Tragfläche Stellung bezogen. Marianne griff zum Funkgerät: „Moorbach Info, ein Segelflugstart.“ – „Schleppstrecke frei“, kam es knisternd zurück. Jetzt griff Marianne zum Telefonhörer und drehte mit der anderen Hand an einer kleinen Kurbel am Apparat. „So, wir haben die Ka8 am Nordseil abflugbereit.“ – „Naa, wie isses?“ Martin setzte sich neben Lena. Vorne im Gras wurde das Seil langsam gezogen. „Seil kommt“, meldete Marianne ins Telefon, „Straff!“ Das Flugzeug rollte los und der Junge begann wieder zu laufen. „Frei!“ Jetzt war das Flugzeug in der Luft, alle verfolgten den Start, bis das Seil sich wieder löste. „Und aus!“, beendete Marianne das Telefonat fröhlich. Am Fallschirm segelte das Seil wieder in Richtung Winde zurück. Die rotierenden Trommeln auf dem LKW zogen es ein. „Das sind die Kommandos für die Winde, da sitzt heute unser Maxl, dann weiß er, wie viel Gas er geben muss“, erklärte sie Lena. „Und? Hast du’s dir überlegt?“ – „Was überlegt?“, wollte Martin wissen. „Also ich würde das eigentlich schon gerne mal ausprobieren, glaube ich“, sagte Lena zögernd. „Dann ist das abgemacht, Mädchen. Es fängt auch langsam an zu blubbern, also die Thermik, verstehste, mit ein bisschen Glück halten wir uns ’ne Weile“, strahlte Piet sie an. „Du fliegst mit Piet? War ja klar. Kaum lässt man euch mal zwei Minuten allein – das hättest du mit mir nie gemacht“, witzelte Martin. „Du bist ja auch nicht Pauls Tochter, lauf du lieber mal und hilf den anderen, die 21 zurückschieben“, gab Piet zurück. Mittlerweile war das große Segelflugzeug gelandet und die anderen Jungs halfen schon beim Schieben. „Yes, Sir!“ Martin salutierte lachend und flitzte los. „Die Jungs muss man immer beschäftigen, sonst machen sie nur Blödsinn“, meinte Piet augenzwinkernd, „Na komm, Lena, wir müssen Fritz sagen, dass er jetzt mal Pause hat.“
Neben dem Segelflugzeug, das zurückgeschoben wurde, lief ein jüngerer Mann mit einem weißen Sonnenhut auf dem Kopf und einem Fallschirm auf dem Rücken. „Fritz, mach mal ’ne Pause mit der Schulung! Ich hab hier ’nen Gastflug mit der jungen Lady“, rief Piet ihm zu. „Wenn das so ist …“ Fritz entledigte sich des Fallschirms und kam auf sie zu. „Danke dir, mein Freund.“ Piet nahm den Fallschirm entgegen und zog ihn sofort an. „Ist das denn so gefährlich, dass wir Fallschirme tragen müssen?“, fragte Lena erschrocken. „Ach was, das wird eigentlich erst wichtig, wenn du aus der Platzrunde heraus über Land mit vielen anderen Flugzeugen in der Thermik kreist, da kann man sich schneller näherkommen, als einem lieb ist. Da ist es schon beruhigend, wenn man so was dabei hat“, versuchte Piet sie zu beschwichtigen.
Lena war nicht ganz überzeugt, wollte aber jetzt auch nicht mehr kneifen und einen Rückzieher machen. Der Doppelsitzer stand nun wieder am Start und Martin half ihr in den Fallschirm. „Martin, holst du uns bitte noch Blei – das Mädel kommt ganz nach ihrem Vater, da müssen wir was zupacken“, sagte Piet grinsend. Dann erklärte er ihr kurz das Cockpit und die verschiedenen Hebel, Knöpfe und Klappen. Lena war jetzt so aufgeregt, dass sie sich nichts merken konnte – wichtig war nur, wo sie sich erst mal festhalten konnte und wo sie auf keinen Fall dranstoßen sollte. Martin schraubte das Blei im Fußraum fest und dann konnte Lena einsteigen. Piet saß schon hinten im Flugzeug und legte den Gurt an. Martin half ihr beim Anschnallen. Es gab nämlich nicht nur die Beckengurte, sondern auch Schultergurte und einen mittleren Gurt zwischen den Beinen.
„So, Lena, sitzt du gut? Klemmt nix? Hier kannst du dich beim Start erst mal festhalten, oder pack einfach deine Schultergurte – beim ersten Mal ist es wirklich spannend. Und falls du es später brauchst – da an der Seite in der Tasche ist ’ne Kotztüte”, erklärte Martin besorgt. „Mach das Mädel nicht verrückt, Martin, die hat Fliegergene, das wird sie schon aushalten. Auf jetzt! Haube zu!“, verlangte Piet.
Martin schloss die Haube und verriegelte sie. Lena hörte, wie Marianne sie über Funk anmeldete. Ihr Herz klopfte aufgeregt. „Alles gut, Lena?“, fragte Piet sicherheitshalber nochmals. Lena nickte nur. Sie hatte einen Kloß im Hals und konnte nichts sagen. Alles ging jetzt so unglaublich schnell. Sie sah nach vorne und konnte das Seil im Gras gar nicht richtig sehen. Die Tragfläche wurde angehoben. Martin zeigte ihr Daumen hoch und grinste aufmunternd.