Leo ist verknallt - Sabine-Franziska Weinberger - E-Book

Leo ist verknallt E-Book

Sabine-Franziska Weinberger

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Beschreibung

Das Leben ist nicht immer einfach. Davon kann die achtjährige Leonie ein Lied singen oder gleich eine ganze Oper. Ihre große Schwester nervt, die Mutter packt immer die falsche Jause ein und der Lehrer gibt Hausaufgaben auf, die nur ein Außerirdischer lösen kann. Oder Edwin, der Unheimliche von nebenan, der wie ein Computer rechnet, wie ein Staubsauger liest und wie Rembrandt malt. Als wäre das nicht schlimm genug, kommt auch noch Luzian, ein neuer Schüler, in ihre Klasse, der vor ihren Augen die Verschlusskappe eines ihrer Duftstifte schluckt, was sie sichtlich schockiert, da Leonie zum ersten Mal merkt, dass er ihr nicht so egal ist, wie die anderen Jungs in der Klasse. Auch der Liebesbrief an ihre Schwester Kathi bereitet Leo großes Kopfzerbrechen, da sie ihn beim heimlichen Lesen mit Edwins kleinem Bruder Pauli versehentlich halbiert. Beiden ist klar, dass es großen Ärger geben wird, wenn Leonies Schwester davon erfährt. Doch Pauli hat eine Idee, wie die Katastrophe abzuwenden ist. Er repariert den Brief mit Edwins Klebestreifen. Allerdings kommt es, wie so oft, ganz anders und die beiden Bösewichte fliegen auf. Edwin reagiert ziemlich wütend, als er die beiden beim Versuch, die Schuld auf ihn zu schieben, ertappt. Leo bereut ihr unfaires Verhalten und versucht, sich bei Edwin zu entschuldigen, wobei sie ihm beim Tanzen im Musikunterricht buchstäblich in die Arme fällt. Als kurz darauf im Werkraum ein großes Herz mit Edwins und Leos Namen auf der Tafel zu sehen ist, glauben alle, Leonie wäre in Edwin verliebt, obwohl ihre Zuneigung Luzian gilt, der jedoch ihrer Freundin Lena ein Schokoladenherz schenkt ... Es gibt mehrere Möglichkeiten, einem Jungen zu zeigen, dass man ihn mag, jedoch kein Patentrezept, das zur Erwiderung der eigenen Empfindungen führt. Diese Erfahrung muss auch Leonie machen, welche die Höhen und Tiefen der ersten Gefühlsachterbahn durchlebt, wobei es ihr nicht immer leicht fällt, ihre wahren Gefühle zu zeigen.

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Seitenzahl: 370

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Sabine-Franziska Weinberger

Leo ist verknallt

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1 Ein neuer Junge in der Klasse

2 Konrad, das Krokodil

3 Ein Stöpsel verschwindet

4 Eine unglaubliche Geschichte

5 Ein ungewöhnlicher Liebesbrief

6 Einmal lesen bitte – mit Ohren zuhalten!

7 Ein Papier geht entzwei - auwei!

8 Zwei Bösewichter fliegen auf

9 Das Geständnis

10 Damenwahl

11 Leo ist nicht verknallt

12 Wie man einen Häkelwettbewerb nicht gewinnt

13 Allein gegen alle

14 Edwin verliert

15 Ein perfekter Platz für eine Tomate

16 Zwei peinliche Irrtümer

17 Luzian liebt Millifee

18 Von echten Experten und anderen Besserwissern

19 Offene Geheimnisse

20 Der erste Kuss

21 Gummibälle irren sich nicht

Impressum neobooks

1 Ein neuer Junge in der Klasse

Da ist er. Der Neue. Luzian heißt er, glaubt sie sich zu erinnern. Er fährt auf der anderen Seite der Straße auf seinem silbernen Roller, der cool aussieht. Schnell dreht sich Leonie um und tut so, als würde sie in ein Schaufenster gucken. Dabei fällt ihr Blick auf das eigene Spiegelbild in der Glasscheibe. Flüchtig betrachtet sie ihre seitenverkehrte Doppelgängerin im Fenster: Die Turnschuhe sind vom Herumtoben auf dem Spielplatz schmutzig, die blauen Jeans von der Sonne ausgebleicht und ihre goldblonden, schulterlangen Haare vom Wind leicht zerzaust. Sie trägt zwei verschiedene Socken, die sie in der Scheibe zwar nicht sehen kann, doch ihr Kopf weiß, dass einer gelb und einer weiß ist, da morgens nicht genug Zeit war, zwei passende zu finden.

In ihrem Gesicht entdeckt sie zwei freche Grübchen, die sich noch vertiefen, wenn sie lächelt. Auch die kleinen Pünktchen rund um ihre Nase sind noch alle da, obwohl sie wünschte, sie wären weg, da sie Sommersprossen ein wenig peinlich findet. Nichts an ihr ist ungewöhnlich oder anders als sonst und doch fühlt sie sich heute irgendwie seltsam.

Sie weiß auch nicht, was mit ihr los ist, aber immer wenn sie den neuen Jungen sieht, der seit einer Woche in ihre Klasse geht, beginnt ihr Herz zu hüpfen, ihr Bauch zu kribbeln und ihre Ohren zu sausen, solange, bis sie überhaupt nicht mehr weiß, was sie weiß oder nicht weiß.

Leonie dreht sich kurz um, weil sie sich vergewissern will, ob Luzian noch da ist. Wie von einem Magneten angezogen, wandert ihr Blick auf die andere Seite der Straße und sie sieht gerade noch, wie er fröhlich um eine Ecke biegt, während seine schokoladenbraunen, lockigen Haare wie ein duftiger Vorhang hinter ihm herflattern. Das Mädchen überlegt kurz, ob es ihm etwas hinterher rufen soll, doch dann lässt Leo es lieber bleiben, weil ihr nichts einfällt.

Schnell läuft sie nach Hause, und wäre beinahe über eine leere Cola-Dose gestolpert, die jemand auf den Gehsteig hat fallen lassen. Als sie zu Hause ankommt, knallt sie – WUUMMMMS – erst mal die Eingangstür zu, damit alle wissen, dass sie vom Spielplatz zurück ist.

„Ist King Kong wieder zu Hause?“, hört sie Katharina, ihre ältere Schwester lästern.

„Nein. Karate-Kid“, kontert Leonie und will schon mit einem waghalsigen Sprung durch die Luft segeln, als sie laut die Stimme ihrer Mama vernimmt, die sie aus ihren kühnen Fluggedanken wieder auf den Boden holt.

„Bist du das, Leo-Schätzchen!“, hört sie aus der Küche rufen. „Ab ins Bad und Hände waschen!“

Einen kurzen Moment lang stellt sich Leonie einen Mama-Roboter vor, dessen einziger Wortschatz aus Hände waschen, Zimmeraufräumen und Schulaufgaben machen besteht. Da sie jedoch aus Erfahrung weiß, dass es ohne Händewaschen kein Abendbrot gibt, tut sie halt ihrem Magen den Gefallen und trottet mechanisch ins Badezimmer, um ihre schmutzigen Finger kurz unters kalte Wasser zu halten, obwohl sie überhaupt nicht versteht, wozu dieser übertriebene Mamasauberkeitswahn gut sein soll.

„Und die Seife nicht vergessen!“, steckt ihre Mama kurz den blonden Pagenkopf ins Badezimmer und beäugt ihre Tochter kritisch von Kopf bis Fuß.

„Hast du was, Häschen?“, schaut sie Leonie mit ihrem Mama-Röntgen-Blick an, so als wolle sie tief in ihr Innerstes gucken.

„Ja“, will Leo sagen, „ich will nicht ständig Schätzchen und Häschen genannt werden! Ich bin acht Jahre und kein Baby mehr“, aber das kann sie nicht in Worte fassen, ohne ihre Mama zu kränken, deshalb steht sie nur da und schüttelt wortlos den Kopf.

„Ganz sicher?“, hakt Mama nach. „Hat deine Mannschaft beim Kampfball verloren?“

„Natürlich nicht“, brummt Leonie verdrossen. Warum muss Mama auch immer vom Schlimmsten ausgehen? Leo ist die beste Kampfballspielerin ihrer Klasse. Ein begnadetes Talent. Ein aufgehender Stern am Kampfballhimmel.

„Welche Laus ist dir dann über die Leber gekrochen?“, bohrt Mama weiter.

„Eine auf zwei Rädern“, denkt Leonie, bringt jedoch kein Wort heraus. Kurz hält sie den Atem an, in Erwartung, welche Frage wohl als nächstes kommt, aber dann dreht sich ihre Mutter wortlos um und reicht ihr ein orangefarbenes Handtuch, mit dem sie sich ihre nunmehr sauberen Hände abtrocknen kann. Dann streckt sie ihre Hand aus, um das Tuch schnell wieder an seinen ursprünglichen Platz zu befördern.

„Komm essen!“, fordert sie Leonie auf, worauf ihr das Mädchen hungrig ins Speisezimmer folgt. Erfreulicherweise stehen die Teller schon auf dem Tisch. Es gibt Wurst, Käse und verschiedene Salate für all jene in der Familie, die auf ihre Figur achten müssen. Leonie gehört glücklicherweise nicht zu ihnen und greift hungrig nach einem Brötchen frisch aus dem Backofen.

„Wie war es heute beim Kampfballspielen?“, will Papa wissen.

„Hbn sbstvstndlch gwnnn“, würgt Leonie zwischen zwei großen Bissen hervor und erntet prompt einen strengen Blick von Mama, die es gar nicht mag, wenn sie mit vollem Mund spricht.

„Stimmt es, dass es in eurer Klasse einen neuen Mitschüler gibt?“, will ihre ältere Schwester Katharina wissen, während sie mit Leidensmiene in ihrem Salat herumstochert.

„Kann schon sein“, erwidert Leo kurz angebunden, da sie keine große Lust verspürt, über Luzian zu reden und schon gar nicht mit ihrer Schwester in Gegenwart der Eltern.

„Davon hast du gar nichts erzählt“, bekommt Mama ganz große Augen und blickt Leonie erwartungsvoll an.

„Weil es unwichtig ist“, erwidert das Mädchen. „Ist keine große Sache, nur ein neuer Junge in der Klasse!“

Na prima, das hat sich fast gereimt. Leonie muss sich jetzt auch ein bisschen wundern. Und zwar über sich selbst. In der Schule hat sie mit gereimten Gedichten und Elfchen immer ihre Probleme, doch wenn sie an den Neuen denkt, geht es auf einmal wie geschmiert.

„So, so“, ruht nun auch Papas Blick interessiert auf seiner Jüngsten. „Der neue Junge ist also keine große Sache“, verzieht er seine Lippen zu einem kleinen Schmunzeln, wobei Leonie nicht ganz klar ist, was ihr Papa so lustig findet.

„Nein, ist er nicht“, stellt sie klar und hofft, dass das Verhör damit beendet ist.

„Gibt es sonst noch etwas Unwichtiges zu berichten“, versucht Mama das Thema zu wechseln, da sie mit ihren feinen Antennen spürt, dass Leonie nicht so gerne über den Neuen spricht.

„Ja“, lächelt Leonie erleichtert, das sie nun endlich über etwas reden kann, das sie nicht erröten lässt.

„Wir haben ein neues Spiel gelernt!“, verkündet sie stolz.

„Ein neues Spiel?“, zieht Papa seine buschigen Augenbrauen interessiert nach oben. „Welches denn?"

„Wer ist der Mörder?“, lächelt Leonie verschmitzt und wirft einen spitzbübischen Blick in die Runde. „Und wenn ihr eure Teller aufgegessen habt, zeige ich euch, wie’s geht“, fügt sie großzügig hinzu und schnappt sich noch schnell ein Brötchen, während drei Augenpaare indigniert auf ihr ruhen.

Es gibt Tage, an denen man besser nicht aufsteht und auf den Abend wartet, bevor man die Schuhe anzieht. Der nächste Tag ist so einer und beginnt damit, dass Mama anstelle eines frischen Schokoladencroissants vom Bäcker ein Vollkornbrötchen mit Butter und Schnittlauch in Leonies Schultasche packt. Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, legt sie auch noch eine geschälte Karotte und drei Apfelscheiben dazu. Das ganze nennt sie gesunde Jause, die ein normales, im Wachstum befindliches Kind niemals freiwillig zu sich nehmen würde. Leo schaut ihre Mama empört an. Dann versucht sie, das Schlimmste zu verhindern, in dem sie eine Grundsatzdiskussion über vernünftige Ernährung für Achtjährigen beginnt, doch wenn es um ihre tägliche Vitaminzufuhr geht, lässt Mama nicht mit sich verhandeln. Sie hört noch nicht einmal zu, was Leonie zu sagen hat. Anstatt dessen holt sie – OH SCHRECK GEH WEG – ein Fruchtmolkeprodukt (selbstverständlich ohne Zuckerzusatz) aus dem Kühlschrank und lässt dieses ohne den geringsten Anflug eines schlechten Gewissens ebenfalls in Leonies Schultasche verschwinden.

„Schlimmer geht nimmer“, denkt sich Leonie zerknirscht. Bleibt nur zu hoffen, dass die Mutter ihrer Banknachbarin Lena etwas mehr Besonnenheit zeigt und wenigstens ihrer Tochter etwas Essbares mitgibt, das mindestens für zwei reicht, dann sind die Karotten Geschichte und das Schnittlauchbrot Vorvergangenheit. Im Stillen hofft Leonie, dass noch ein bisschen vom selbst gebackenen Apfelstrudel, den Lena gestern dabei hatte, übrig ist, denn der schmeckt besonders köstlich.

Als Leonie die Tür öffnet, ist das Bild vom Apfelstrudel schnell verblasst, denn vor ihr steht Edwin, der Junge von Tür Nummer 8. Oder besser gesagt, die Nervensäge von nebenan. Edwin ist ein einziger Albtraum. Er rechnet wie ein Computer, malt wie ein Weltmeister, liest wie ein Staubsauger und schreibt so schnell wie ihre große Schwester Katharina, so dass sie sich schon manchmal fragt, ob die beiden nicht von einem anderen Stern kommen. Das würde auch erklären, warum sie immer so dämlich kichern, wenn sie ihre Köpfe zusammenstecken und das obwohl Edwin vier Jahre jünger ist als Kathi. Und noch dazu ein Junge. Aber brauchen Außerirdische wirklich einen Grund, um blöd zu grinsen und ihre Köpfe zusammen zu stecken? Vermutlich nicht.

„Hallo Leonie!", begrüßt Edwin sie freundlich.

„Leo", korrigiert sie ihn schnell, da sie es nicht leiden kann, mit der Langform ihres Namens angesprochen zu werden. Erstens, weil dieser Name überhaupt nicht zu ihr passt (was haben sich ihre Eltern bloß dabei gedacht, sie Leonie zu nennen) und zweitens benimmt sich Leo meistens wie ein Leon, weshalb ihr auch immer wieder von verschiedenen Seiten bestätigt wird, dass an ihr ein echter Junge verloren gegangen ist. Nichtsdestotrotz erwidert sie Edwins Gruß Kopf nickend, weil sich das so gehört (meint ihre Mama). Aber reden will sie trotzdem nicht. Nicht etwa, weil Edwin ein Junge ist, was schon mal ein triftiger Grund wäre, sondern weil sie morgens generell nicht viel zu sagen hat.

Davon abgesehen, ist sie noch nicht richtig wach. Erwartungsgemäß hält das Edwin nicht davon ab, ihr ausführlich von seinem gestrigen Besuch bei seinem Opa zu erzählen, der neben den intelligentesten Ziegen (klug wie Hunde), den größten Meerschweinchen (fast so groß wie Hasen), und gesprächigsten Wellensittichen (sprachbegabt wie Papageien) auch noch die süßesten Babykatzen der Welt besitzt. Leo, die mehr auf Haifische steht, muss jetzt mal ganz kurz gähnen, was Edwin schon ein bisschen kränkt.

„Was hältst du eigentlich von dem Neuen?", will Edwin mit einem Mal wissen und sofort ist Leo hell wach. Um ganz ehrlich zu sein, hat sie sich das auch schon gefragt, doch es fällt ihr keine passende Antwort ein. Aus unerfindlichen Gründen hat sie sich bisher noch nicht dazu durchringen können, Luzian genauso doof wie die anderen Jungs in der Klasse zu finden, was sie schon ein bisschen beunruhigt.

„Weiß nicht", zuckte sie kurz mit den Schultern. „Hab' noch nie mit ihm gesprochen." Das entspricht sogar der Wahrheit, soll sich jedoch schon bald ändern.

2 Konrad, das Krokodil

In der Schule angekommen, geht Leo zu ihrer Bank und packt schnell ihr Hausübungsheft heraus, das ihr Klassenlehrer, Herr Engel, erfahrungsgemäß gleich absammeln wird, nachdem er alle Kinder begrüßt hat. Als die Hefte eingesammelt sind, teilt der Lehrer die Klasse für ein Partnerdiktat in Zweiergruppen ein. Und da am Ende nur zwei Kinder übrig bleiben, muss Leonie mit dem Neuen ihr Partnerdiktat schreiben. So ein Pech auch! Verlegen wirft sie einen Blick auf sein von dunkelbraunen Locken umrahmtes Gesicht und stellt schnell fest, dass ihm das genauso unangenehm ist wie ihr. Nur ihre Banknachbarin Lena hat es noch übler getroffen. Sie muss mit Edwin dem Wörterbuch das Diktat schreiben.

Als Luzian mit seinem Block neben ihr sitzt, weiß Leo zuerst gar nicht, was sie sagen soll. Daher blickt sie nur stumm in sein Gesicht. Dafür murmelt er etwas. Das wie Hallo klingt. Darum sagt sie auch leise Hallo. Dann ist es wieder still. Beide warten darauf, dass der andere etwas sagt. Doch weder Leo noch Luzian trauen sich so recht und sind daher ziemlich erleichtert, als der Herr Lehrer Luzian ein paar Zeilen in die Hand drückt, die er Leo diktieren soll. Leonie mag keine Ansagen. Doch auf persönliche Befindlichkeiten wird in der Schule leider keine Rücksicht genommen.

„Konrad, das Krokodil“, beginnt Luzian leise.

„Was für ein Rad?", will Leo wissen, da sie den ersten Teil nicht genau verstanden hat.

„Konrad, das Krokodil", wiederholt der Junge etwas lauter.

„Was soll denn das sein, ein Kon-Rad?", legt Leo ihre Stirn in Falten.

„Das ist ein Name, der Name eines Krokodils", erklärt Luzian ernst.

„Konrad soll ein Name sein?", wundert sich Leo. „Für ein Krokodil?" Das Mädchen kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass ein Krokodil freiwillig Konrad heißt. Vermutlich haben Konrads Eltern ihrem kleinen Krokodilbaby kein Mitspracherecht bei der Namensvergabe eingeräumt. Denn wer heißt schon freiwillig Konrad? Und jetzt muss das arme Reptil für den Rest seines Lebens leiden. Genau wie Leonie. Das macht Kroko schon fast sympathisch. Aber eben nur fast.

„Ich finde den Namen ja auch bescheuert, aber so steht es auf dem Zettel", verteidigt Luzian seine Lesekünste. Und wenn es dort steht, muss es auch so ins Heft geschrieben werden. Ist Luzian überzeugt. Deshalb schreibt Leo mit ihrer neuen roten Füllfeder

Konnrat, das Krockotiel,

in ihr Heft. Und zeichnet ein Krokodil. Obwohl von Zeichnen keine Rede sein kann, da sie mehr kleckst, oder genau genommen ihre Füllfeder, was sie von Fülli echt nicht in Ordnung findet.

„Bist du fertig?", fragt Luzian.

„Womit?", blickt Leo auf. „Ist die Ansage schon zu Ende?“, freut sie sich ein wenig zu früh.

„Nein, das war erst die Überschrift“, teilt ihr der Junge mit.

„Hab ich mir gedacht!“, seufzt Leo und verdreht die Augen.

„Soll ich weiter diktieren?“, schaut Luzian neugierig in ihr Heft.

„Ja, aber bitte woanders“, denkt Leo, beschließt jedoch, ihre Meinung für sich zu behalten, da sie ihn nicht beleidigen will. Deshalb nickt sie nur.

„Konrad, das Krokodil, schwimmt viel im Nil“, setzt Luzian fort.

„Glaubst du wirklich, dass es Krokodile gibt, die Konrad heißen?“, hebt Leo ihren Kopf und blickt nachdenklich in Luzians dunkle Schokoladeaugen.

Einen Augenblick wirkt der Junge ziemlich überrascht, dass sie sich über so etwas Gedanken macht, aber dann schüttelt er langsam seinen Kopf.

„Ich habe noch nie gehört, dass ein Krokodil Konrad heißt“, schaut er Leonie leicht verlegen an.

„Ich kenn' ein Krokodil, das heißt Schnappi“, ertönt plötzlich eine Stimme von hinten. Die Edwin mit den großen Ohren gehört, damit er alles hören kann.

„Ich habe einmal ein Krokodil gesehen, das Dagobert hieß. Und zwar im Fernsehen“, sprudelt es aus Lena wie aus einer Fantadose heraus.

„Das habe ich auch gesehen“, pflichtet Edwin ihr bei. „Ist ein Bussibussifreund von Kasperl und Pezi.“

Bei dem Wort Bussibussi wird Leo schlecht. Heute bleibt ihr auch gar nichts erspart.

„Kennst du das Bussi-Krokodil auch?“, fragt Lena Luzian.

„Neeeiin“, stammelt der Bub kleinlaut und wird rot wie Tomaten-Ketchup. „Wir haben keinen Fernseher.“

„Was? Keinen Fernseher?“, schreit Lena nach vor, als hätte sie nicht richtig gehört.

„Nein. Auf dem Bildschirm sieht man nur Gewalt, Terror und Wiederholungen von Wiederholungen, sagt mein Papa“, blickt Luzian konzentriert auf das Blatt vor ihm, wobei er angestrengt versucht, nicht noch mehr zu erröten, was ohnehin nicht mehr möglich ist. „Das brauchen wir nicht.“

„Krawuzi-Kapuzi. Aber heißes Wasser habt ihr schon, oder?“, platzt es aus Edwin heraus.

„Ja, das schon“, ringt sich Luzian ein schwaches Lächeln ab und wirft einen leicht gequälten Blick nach hinten. „Strom und Internet haben wir auch“, fügt er schnell hinzu. „Und einen großen Garten mit Trampolin und Pool.“

„Fein, dass ihr das klären konntet. Und nun konzentriert ihr euch wieder auf eurer Diktat“, drängt Herr Engel die Kinder sich zu beeilen, da er anschließend noch ein paar Sachaufgaben mit ihnen lösen will.

Schnell dreht sich Luzian wieder nach vor und blickt erneut auf die Zeilen vor ihm.

„Hast du den ersten Satz fertig?“, will er wissen und wirft Leo einen leicht unruhigen Blick zu.

„Welchen Satz?“, runzelt sie die Stirn. „Na, dass Konrad, das Krokodil, viel im Nil schwimmt“, erinnert er sie leicht nervös.

„Ach den, ja, den hab ich“, senkt sie ihren Blick und liest: „Konrad, das Krokodil liest viel im Nil.“

„Nein“, entfährt Luzian ein unterdrückter Schrei. „Konrad liest nicht, er schwimmt. Krokodile können nicht lesen!“

„Du hast aber nicht gesagt, dass Konrad nicht lesen kann“, wirft ihm Leo vor.

„Es steht ja auch nicht auf dem Zettel, dass er nicht lesen kann“, rechtfertigt sich der Junge. „Aber ich weiß, dass Konrad nicht lesen kann, weil er ein Krokodil ist! Ein KRO-KO-DIL.

„Ein Krokodil, das Konrad heißt? Pah, da lachen ja die Hühner“, schenkt ihm das Mädchen ein herablassendes Lächeln.

„Hier steht aber nichts von Hühnern, die lachen und außerdem ist es mir schnurzpiepenegal, ob die lachen oder sonst was machen“, schaut Luzian leicht überfordert zu ihr hinüber. Erstens ist er fest davon überzeugt, dass Hühner überhaupt nicht lachen können. Zumindest hat er noch nie eines lachen sehen. Oder hören. Gackern schon. Aber nicht lachen. Und zweitens geht es hier nicht um Hühner, sondern um ein Krokodil namens Konrad. Und dieses Krokodil schwimmt viel im Nil“, betont der Junge abermals mit Grabesmiene.

„Könnt ihr ein bisschen leiser sein, ihr Plaudertaschen!“, beschwert sich Bea eine Bank weiter, die gerade dabei ist, den dritten Satz des Krokodil-Diktats Fabian anzusagen.

„He, brüll’ hier nicht so rum!“, mischt sich Moritz ein, der Bea nicht besonders mag.

„Ein bisschen leiser, Kinder!“, ersucht Herr Engel die Klasse, während Leo mit ihrem Tintentod versucht, das falsche Verb auszulöschen. Doch der Tintentod zeigt überhaupt keinen Killerinstinkt und schafft es trotz größter Bemühungen nicht, das Wort „liest“ in Leos Heft verschwinden zu lassen.

„Ja, wenn du jetzt ein Krokodil wärst und scharfe Zähne hättest“, seufzt das Mädchen laut und betrachtet nachdenklich ihren Stift.

„Das ist aber kein Krokodil, sondern ein Tintentod“, schüttelt Luzian verständnislos den Kopf. „Tintenlöscher haben keine Zähne“.

„Das weiß ich auch“, fährt sie ihn an. „Aber wenn er welche hätte ...“

„Dann hättest du vermutlich ein dickes Loch in deinem Heft oder überhaupt keinen Kopf mehr auf den Schultern“, stellt der Junge mit unbewegter Miene fest.

Daraufhin sagt Leo erst einmal gar nichts. Sie stellt sich gerade vor, wie sie ohne Kopf aussehen würde und irgendwie behagt ihr der Gedanke gar nicht.

„Findest du mich etwa kopflos?“, bohren sich ihre blauen Augen in seine schokoladefarbenen.

„Nein, hirnverbrannt“, denkt er, behält jedoch seine Gedanken schön für sich.

Zu ihrer Überraschung lehnt er sich zu ihr hinüber und richtet seinen Blick fest auf den ihren. Luzian will ihr sagen, dass sie gefälligst schreiben soll, was er diktiert, doch als er in ihre großen kornblumenblauen, von langen dichten Wimpern umrandeten Augen schaut, bringt er kein Wort mehr heraus. Eigentlich sollte er ihr den nächsten Satz ansagen, doch anstatt dessen reden sie über Köpfe bzw. das Fehlen derselben. Irgendwie ist Leonie das seltsamste Mädchen, mit dem er je ein Partnerdiktat geschrieben hat und er hat schon mit einigen seltsamen Mädchen Partnerdiktate geschrieben.

„Nein, natürlich nicht“, hört er sich stammeln.

„Wie kommst du dann darauf, dass ich keinen Kopf mehr auf meinem Hals habe?“, murmelt Leonie.

„Das habe ich doch gar nicht gesagt!“, verteidigt sich der Junge.

„Aber was hast du dann gesagt?“

Er senkt seine Lider und fühlt, dass ihr Blick erwartungsvoll auf ihm ruht.

„Ich habe doch nur gemeint, dass ein Krokodil mit scharfen Zähnen dir ein Loch ins Heft beißen oder noch schlimmer den Kopf abkauen könnte“, stellt er unmissverständlich klar.

„Aber ein Tintentod ist doch kein Krokodil!“, brennt sich Leos Blick beinahe in den seinen.

„Das weißt ich selbst“, zuckt Luzian kurz zusammen und fühlt sich ein bisschen wie ein begossener Pudel. „Aber wenn dein Tintentod ein Krokodil wäre, könnte er dir den Kopf abbeißen!“

„Aber nicht, wenn er Konrad heißt!“, ist Leonie überzeugt.

Langsam reißt Luzian der Geduldsfaden. Irgendwie hat er das Gefühl, dass sie das alles nur sagt, um ihn zu ärgern.

„So, meinst du“, erwiderte er schließlich ruhig und zeigte auf den nach Erdbeeren duftenden Filzstift neben ihrem Federpennal.

„Gehört dieser Stift dir?“

3 Ein Stöpsel verschwindet

„Ja, das ist meiner“, erwiderte Leo, in sprachloser Erwartung, was Luzian wohl als nächstes tun wird.

„Also jetzt stell dir mal vor, ich wär' ein Krokodil namens Konrad und das da dein Kopf“, beginnt der Junge entschlossen und beißt – ja ist es zu fassen – vor Leos verdutztem Gesicht ihrem nach Erdbeeren duftenden Filzschreiber die Verschlusskappe ab.

Leonie beobachtet fassungslos, wie der Stöpsel in Luzians Mund verschwindet und einen Augenblick lang verschlägt es ihr doch tatsächlich die Sprache. Sie hat ja schon einiges in der Klasse erlebt (verschwundene Jacken, zusammengeklebte Hausschuhe, Kaugummi in den Haaren), aber bisher war noch niemand so verrückt, vor ihren Augen einen Stöpsel zu schlucken, ganz egal wie erdbeerig er duftet.

„Sag mal, geht's noch?“, funkelt sie ihn an, während ihre Verblüffung allmählich in Ärger umschlägt (da es immerhin ihr Stift ist) und ihr viele Gedanken gleichzeitig durch den Kopf schwirren. Natürlich hätte sie die Verschlusskappe gern wieder zurück, da der Erdbeerschreiber ihr absoluter Lieblingsstift ist, und ihr Mama ohnedies schon mehrmals angedroht hat, keine weiteren Schreiberlinge mehr zu kaufen, falls Leo nicht auf ihren aktuellen Bestand mehr Acht gäbe. Doch angesichts der Tatsache, dass sich die Verschlusskappe – IGITT – irgendwo zwischen Luzians Gaumen und Zähnen befindet, weiß sie auch nicht, was sie tun soll.

Voller Abscheu starrt sie Luzian aus zusammengekniffenen Augen an, doch er rührt sich nicht. Sein zu einem schmalen Strich geformter Mund gibt ihr wortlos zu verstehen, dass er nicht im Entferntesten daran denkt, das Ding auszuspucken. Leos Stimmung ist nicht gerade die beste. Sie fühlt sich wie nach einer Niederlage beim Kampfball – ein Gefühl, das ihr eigentlich fremd ist. Aber falls Luzian glaubt, dass sie ihren Erdbeerstift kampflos aufgeben wird, hat sich der Knabe getäuscht.

„Du spuckst jetzt sofort meinen Stöpsel aus, oder ich kau dir ein Ohr ab!“, flüstert sie warnend in seine Richtung und wartet auf seine Reaktion. Doch Luzian rührt sich nicht. Der Junge beaugäpfelt sie wortlos. Er behält sie im Visier wie ein Krokodil seine Beute, so, als würde er ihre Reaktion abwarten. Daher bleibt Leo nichts anderes übrig, als ihn wortlos verdrossen anzustarren, bis er sein störrisches Schweigen bricht und endlich den Mund aufmacht.

Natürlich könnte sie sich auf ihn stürzen und ihn so lange schütteln, bis das gewünschte Teil aus seinem Mund herauspurzelt. Oder ihn solange kitzeln, bis er lauthals lachen muss, allerdings ist sich Leo bewusst, dass dies im Unterricht nicht erlaubt ist. Davon abgesehen hat Herr Engel allen Kindern strengsten verboten, andere zu schütteln, zu schubsen oder gar mit ihnen zu raufen. Vom Stöpselverschlucken hat der Herr Lehrer zwar nichts gesagt, doch Leo ist davon überzeugt, dass auch das verboten ist.

Sie will natürlich das Richtige tun, weiß jedoch nicht, was in diesem Moment das Richtige ist. Unschlüssig und verärgert, möchte sie sich noch immer nicht damit abfinden, ihren Stöpsel aufzugeben. Aber hat sie eine andere Wahl? Sie kann das Ding ja unmöglich aus Luzian herauswürgen. Deshalb ringt sie sich schweren Herzens zu einer folgenschweren Entscheidung durch.

„Du kannst ihn behalten“, verschränkt sie demonstrativ ihre Arme, „und den Rest dazu“, schiebt sie verbittert den Stift ein wenig in Luzians Richtung.

„Um ganz ehrlich zu sein, mag ich Erdbeeren sowieso nicht so gern, sondern viel lieber Zitronen“, schwindelt sie dünn lächelnd, um ihm nicht zu zeigen, wie sehr sie der Verlust ihres Stöpsels schmerzt. Vom Stift, der ohne Verschluss praktisch wertlos ist, ganz zu schweigen.

Doch Luzian rührt sich noch immer nicht. Mit fest aufeinander gepressten Lippen bleibt sein Blick unverändert auf den ihren geheftet, und so starren sie sich gegenseitig wie zwei wütende Kampfhähne an.

„Was ist denn hier los? Hat es euch die Sprache verschlagen?“, hören die beiden plötzlich Herrn Engel fragen, der unbemerkt hinter sie getreten ist.

Als Luzian die Stimme seines Klassenlehrers vernimmt, muss er ganz schnell schlucken. Das hätte er besser nicht tun sollen, denn einen Augenblick später ist der Verschluss in seinem Mund verschwunden. Die darauffolgende Erkenntnis treibt dem Jungen die Tränen in die Augen. Das war so nicht geplant und hätte nicht passieren dürfen. Sein ängstlicher Blick und der zu einem lautlosen Schrei weit aufgerissene Mund genügen, um Leo begreiflich zu machen, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmt. Sie sieht, wie Tränen in Luzians dunklen Augen schimmern. Dann begreift sie plötzlich – und presst entsetzt ihre Hand auf den Mund. Es bedarf keiner Worte mehr, um ihr zu erklären, was passiert ist. Leo hat verstanden, dass ihr Stöpsel ganz schnell Hilfe braucht. Und Luzian vermutlich auch.

„Gibt es ein Problem?“, schaut Herr Engel aufmerksam von Luzian zu Leo und wieder zurück.

„Ja. Genaugenommen zwei“, denkt sich Leo, aber noch immer verschreckt von seiner Stimme, rühren sich beide Kinder nicht und blicken sich wortlos an. Luzian weiß nicht, wie er erklären soll, dass er Leos Stöpsel geschluckt hat. Und das Mädchen sieht nur zu deutlich die Angst und Verzweiflung in seinen großen, weit aufgerissenen Schokoladeaugen.

„Du musst es ihm sagen!“, flüstert Leonie kaum hörbar und sieht, wie Luzian verängstigt seinen Blick senkt.

„Was muss er mir sagen?“, fragt Herr Engel durch das seltsame Verhalten der Kinder alarmiert. Doch beide blicken ihm nur schweigsam ins Gesicht.

Leo kann es nicht fassen, dass Luzian noch immer nicht den Mund aufmacht. Das ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, um den heldenhaften Stöpselverschlucker zu mimen. Und die Gefahr, dass ihr nach Erdbeeren duftender Filzschreiberverschluss möglicherweise Luzians Ende bedeutet, macht es plötzlich zwingend notwendig, zu äußerst drastischen Maßnahmen zu greifen, um den Schaden, so gut es geht, in Grenzen zu halten. Sie muss Luzian bei ihrem Lehrer verpetzen. Zu seinem eigenen Schutz. Auch wenn das nicht wirklich fair ist. Weil es auf der Welt nichts Schlimmeres als Petzer gibt, abgesehen von Filzstiftstöpselvermampfern. Schließlich nimmt sie all ihren Mut zusammen.

„Er hat das Oberteil meines Erdbeerstiftes geschluckt“, hört sie sich mit bebender Stimme sagen, die in ihren Ohren ganz fremd klingt, und zeigt mit dem Zeigefinger auf den kopflosen Erdbeerstift.

„Wie bitte?“, schaut Herr Engel abermals besorgt von Luzian zu Leo, in der Hoffung, etwas Gegenteiliges zu hören.

Dann folgt, wie Leo bereits vermutet hat, eine ganze Reihe von aufgeregten Fragen des Lehrers, denen das Mädchen gern ausweichen würde, denn nun kommt zwangsläufig Konrad, das Krokodil vom Nil ins Spiel.

Nachdem sich Herr Engel aufmerksam Leos Bericht angehört hat, bittet er Luzian aufzustehen.

„Muss ich jetzt sterben?“, blickt der Junge bestürzt in das Gesicht seines Klassenlehrers.

„Nein, natürlich nicht“, versucht Herr Engel zu beruhigen. „Hast du Schmerzen?“, fragt er besorgt.

„Noch nicht“, blickt Luzian kurz auf den Zettel vor ihm, während Leo ihren nach Erdbeeren duftenden Filzstift zwischen ihren Fingern nervös hin und herdreht, ohne sich mit Farbe zu bekleckern.

„Du musst trotzdem zum Schularzt“, entscheidet Herr Engel und bittet den Jungen, seine Jacke zu holen und seine Schuhe anzuziehen. „Davor werde ich noch deine Eltern verständigen“, fügt er ruhig hinzu. Beim Anblick von Luzians unglücklicher Miene kommen Leo fast selbst die Tränen.

„Er hat es nicht mit Absicht getan“, versucht das Mädchen den Jungen zu verteidigen, und das obwohl er ihrem Stift so grausam den Kopf abgebissen hat. Seltsamerweise spielt das im Moment überhaupt keine Rolle, da es nämlich um etwas viel Wichtigeres geht als den Stift. Nämlich um Luzian.

„Es tut mir so leid, was passiert ist“, flüstert Leo ihm hinterher, als er dabei ist, die Klasse zu verlassen.

„Und mir erst“, erwidert der Junge und lächelt traurig. Dann folgt er Herrn Engel mit hängendem Kopf aus dem Klassenzimmer.

Die Tatsache, dass Luzian zum Arzt muss, lastet schwer auf Leonie und drückt ihre Laune noch mehr. Ihr ungutes Gefühl hat sie heute Morgen nicht getäuscht. Sie hätte besser im Bett bleiben sollen, dann würde ihr Erdbeerstift mit Kopfbedeckung gesund und munter in ihrem Federpennal liegen und nicht in Luzians Bauch. Was der Verschluss dort wohl gerade macht? Leonie will es lieber nicht wissen. Erwartungsgemäß muss sie in der Pause die Filzstiftstöpselverschluckgeschichte noch einmal erzählen und dann noch einmal, obwohl sie sich selbst nicht ganz sicher ist, was wirklich passiert ist.

„Der Cousin meiner Freundin Irmi hat sich mal eine Bohne ins Ohr gesteckt“, erinnert sich ihre Banknachbarin Lena, als Leo die Beschreibung des Vorfalls zum fünften Male mehr oder weniger ausführlich beendet.

„Und jetzt hat er Bohnen in den Ohren“, witzelt Edwin, was Lena überhaupt nicht komisch findet.

„So etwas kann sehr gefährlich sein“, erwidert sie empört.

„Wenn eine Bohne in die Speiseröhre gerät, kann ein Kind ersticken!“, sagt Beatrix.

„Du meinst wohl in die Luftröhre“, weiß es Edwin besser. „Denn in der Speiseröhre ist eine Bohne nicht wirklich gefährlich.“

„Seit wann befindet sich die Speiseröhre in den Ohren, hä?“, umrundet Clemens seine Schulbank und stellt sich zu Leo und den anderen Kindern.

„Ich hab nie behauptet, dass sich die Speiseröhre in den Ohren befindet!“, stellt Edwin klar. „Ich hab nur gesagt, dass eine Bohne in der Speiseröhre nicht wirklich Schaden anrichten kann, da alles, was wir essen, irgendwann dort landet.“

„Aber ganz bestimmt nicht in den Ohren“, erwidert Clemens uneinsichtig.

„Wenn sie den Darm erreicht, kann sie durchaus zur Gefahr werden - vor allem wenn sie zur Knallbohne wird“, grinst Bastian und ahmt ein berüchtigtes Geräusch nach, das die Kinder gut kennen und darauf verhalten kichern oder laut losprusten.

Nur Lena schaut pikiert. „Du bist unmöglich, Bastian, und hast überhaupt keine Manieren, weißt du das?“, blickt sie angewidert in seine Richtung.

„Was denn?“, ist sich der Junge keiner Schuld bewusst.

„Ist doch alles ganz natürlich“, verteidigt er sich. „Ich wollte damit nur sagen, dass alles, was oben rein geht, irgendwann unten wieder raus muss. Das ist übrigens nicht von mir. Sondern ein Naturgesetz.“

Klingt logisch, findet Leo. Während sie über seine Worte noch nachdenkt, unterhalten sich die übrigen Kinder eingehend über den Verbleib des verschluckten Stöpsels, wobei sie sich in zahlreichen Vermutungen ergehen und sich nicht wirklich einigen können, ob sich der Magen neben, vor, hinter, unter oder über dem Bauch befindet. Nur über eine Tatsache herrscht einstimmige Übereinstimmung, nämlich dass im Körper alles zusammenhängt, was auch ganz leicht zu beweisen ist, denn wenn man sich mit dem Popo auf einen Reißnagel setzt, so wie Edwins kleiner Bruder Pauli letzten Dienstag, kommen bei den Augen die Tränen heraus. Verständlicherweise ist dieses Thema noch lange nicht erschöpft, doch die Pausenglocke bereitet den vielen Mutmaßungen ein jähes Ende, da nun alle Kinder zurück auf ihre Plätze müssen, da nun gleich Die Kartoffelpiraten gelesen werden.

„Denn Lesen macht schlau“,

(Sagt der Herr Lehrer)

4 Eine unglaubliche Geschichte

Nach der Schule ist der verschluckte Stöpsel noch immer Thema Nummer eins. Während mehrere Hosentaschen auf dem Heimweg klingeln, muss Leo die Geschichte vom armen Erdbeerstiftstöpsel noch dreimal erzählen und fühlt sich schon fast wie eine Hör-CD, die ohne Unterbrechung abgespielt wird.

„Ich hätte Luzian für reifer gehalten. Immerhin ist er acht und keine drei mehr“, ruft ihr Edwin noch schnell zu, bevor er hinter Tür Nr. 8 verschwindet. Damit liegt er nicht ganz falsch, muss ihm Leo im Stillen Recht geben, obwohl sie davon überzeugt ist, dass Luzian den Stöpsel nicht absichtlich verdrückt hat, sondern nur, weil er erschrocken ist. Aber das behält sie für sich.

Als sie ihr Haus betritt, steht ihre Mama schon hinter der Tür und schaut das Mädchen erwartungsvoll an. Ein Blick genügt, und Leo weiß, dass ihre Mama weiß, was bereits die ganze Straße hinter vorgehaltenen Händen erzählt, da die Mamabuschtrommeln in dieser Straße viel schneller Nachrichten verbreiten als irgendwo sonst auf der Welt. Natürlich will Leos Mutter die ganze Stöpselschluckgeschichte nochmals von ihrer Tochter hören, obwohl sie sämtliche Einzelheiten (die tatsächlichen und die erfundenen) durch den Filter anderer Mamaberichte bereits viel genauer kennt als ihr Mädchen. Überhaupt geht Leonie davon aus, dass ihre Mutter bereits mehr weiß, als überhaupt passiert ist. Deshalb zieht das Mädchen erst mal seine Jacke aus, schleudert die Schultasche in die nächste Ecke (obwohl Mama das unter normalen Umständen nicht durchgehen lässt) und folgt seiner Mutter ins Wohnzimmer, obwohl der Magen bereits knurrt, da nichts so hungrig macht, wie das Erzählen von Erdbeerstiftstöpselverschluckgeschichten.

Nachdem Leo ihrer Mama den ganzen Vorfall von Anfang bis Ende mit nur allen erdenklichen Details geschildert hat, ohne auch nur die geringste Kleinigkeit auszulassen, und einen Teller Penne mit Soße in sich hineingeschaufelt hat, holt sie ihre Schultasche und verschwindet in ihrem Zimmer. Nun kommt der unangenehme Teil des Nachmittags, nämlich die Erledigung der Hausaufgaben, während Mama verzweifelt versucht, auf drei Handyanrufe gleichzeitig zu antworten. Leo gibt ihr noch schnell den Tipp zu simsen, doch ihre Mama gehört zu jener vom Aussterben bedrohten Spezies, die weder simsen kann noch überhaupt weiß, was dieses Wort überhaupt bedeutet.

Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengrube widmet sich Leo den Sachaufgaben, die ihr wie immer den Schweiß auf die Stirn treiben. Bereits die erste ist so schwierig, dass ihr die Lust auf alle weiteren vergeht. Ein Imker hat 17 kg Honig geerntet. Wie viele Gläser braucht er, wenn er in jedes Glas ein halbes Kilogramm Honig füllt?

Leonie fragt sich ernsthaft, woher sie das wissen soll, wenn es der Imker nicht weiß. Er sollte es allerdings schon wissen, denn immerhin ist es sein Honig, den er verkaufen will. Oder soll. Von irgendwas muss schließlich auch ein Imker leben. Nur ist es für sie nicht plausibel nachvollziehbar, warum ausgerechnet sie seine Honigglasabfüllprobleme lösen soll. Um sich ein wenig abzulenken, spielt sie mit dem roten Luftballon, den ihr die Verkäuferin beim Schuhe kaufen gestern im Einkaufszentrum geschenkt hat. Obwohl sie gar keine Schuhe haben wollte, sondern lieber einen Basketball. Aber den kann man seinen Füßen leider nicht anziehen, meint ihre Mama.

„Was wohl passieren würde, wenn so eine Biene einen Luftballon sticht?“, surrt es Leonie unvermittelt durch den Kopf. Wie viele Gläser man wohl mit der Luft eines einzigen Luftballons füllen könnte? Sicher nicht so viele, wie mit siebzehn Kilogramm Honig. Oder womöglich doch? Während sich Leo in hochgeistig mathematischen Überlegungen verliert, wird plötzlich die Tür zu ihrem Zimmer aufgerissen, worauf kurz darauf ihre große Schwester Katharina reinplatzt.

„Ist es wahr, dass heute deine Füllfeder verschluckt wurde?“, kommt sie ohne Umschweife zur Sache.

„Nein, sie lebt noch“, schaut Leo ernst zu ihr auf, „aber mein Erdbeerstift hat vermutlich dran glauben müssen!“

„Was heißt vermutlich?“

„Das heißt, dass mein Oberteil mit ziemlicher Sicherheit hinüber ist.“ Leo ist sich nicht ganz sicher, ob ihre Schwester das jetzt verstanden hat, da Kathi sie einen Augenblick fassungslos anstarrt und nichts sagt. „Das Unterteil lebt noch“, wird sie von Leonie aufgeklärt.

„Ein Stift hat kein Oberteil. Auch kein Unterteil.“, bemerkt Kathi wie immer besserwisserisch. „Ein Stift hat einen Stöpsel.“

„Und?“, runzelt Leo die Stirn.

„Ein Bikini hat ein Oberteil“, meint ihre große Schwester ruhig.

„Du bist jetzt aber nicht gekommen, um mir einen Vortrag über Bademode zu halten, oder?“, ärgert sich Leo und muss kurz gelangweilt gähnen.

Kathi entgeht die missmutige Gesichtsmiene ihrer kleinen Schwester keinesfalls, die immer dann besonders niedlich aussieht, wenn sie sich ärgert.

„Nein, natürlich nicht“, schenkt sie Leo ein schiefes Lächeln. „War es Edwin?“, fragt sie schnell.

„Nein, der Neue.“

„In der Pause?“, hakt Kathi atemlos nach.

„Nein. Während des Partnerdiktats.“

„Und er hat tatsächlich den ganzen Stift vor deinen Augen geschluckt?“, arbeitet sich Kathi bewundernswert systematisch durch sämtliche am Boden liegende Bücher, Plüschtiere und Spielsachen zum Schreibtisch ihrer Schwester durch und starrt neugierig in Leos Gesicht, die verblüfft ihren Blick auffängt. Niemand kann so schnell und so viel auf einmal reden wie Kathi. Und das ohne Luft zu holen. Ihre Schwester muss eine Außerirdische sein.

„Nein, nicht den ganzen. Nur den Stöpsel, was meiner Meinung auch schon ziemlich schräg ist“, entgegnet Leo und stellt sich Kathi kurz als grünes, blablaendes Marsweibchen vor.

„Mehr als schräg“, muss Kathi ihrer jüngeren Schwester Recht geben, die den seltenen Moment der Eintracht zwischen ihnen einen Moment lang sprachlos auf sich wirken lässt. Irgendwie beneidet Katharina ihre jüngere Schwester um ihre Klasse, da dort immer viel mehr los ist, als in der eigenen.

„Was hast du dann gemacht?“, fragt sie schnell.

„Dann habe ich das Diktat eben mit Edwin dem Schrecklichen und Lena der Langsamen geschrieben.

„Und der Neue?“, bemüht sich Katharina ein Lächeln zu verkneifen, da sie genau weiß, dass ihre Schwester Edwin nicht besonders mag.

„Musste zum Schularzt, vermutlich seinen Bauch aufschneiden lassen. Wie der böse Wolf im Rotkäppchen“, lehnt sich Leonie ein wenig zurück und stellt sich kurz vor, wie man Luzian ... Nein. Lieber doch nicht. „Aber was dann geschehen ist, weiß ich nicht. Mein Stöpsel ist mit Sicherheit nicht mehr zu retten, bleibt nur zu hoffen, dass Luzian mehr Glück hat“, lässt sie ihre Schwester mit einem ernsten Gesichtsausdruck wissen, so dass Kathi eine Gänsehaut bekommt. Schweigend lassen die beiden Mädchen einen Augenblick verstreichen.

„Aber erstickt ist er nicht“, fragt Kathi vorsichtshalber nach.

„Zumindest nicht in der Klasse. Und wenn es so wäre, wüsste es unsere Mama schon längst“, deutete Leo mit dem Daumen nach unten. „Jetzt musst du mich aber entschuldigen. Da gibt es doch tatsächlich einen Imker, der nicht weiß, wie viel Gläser er zum Abfüllen seines Honigs braucht.“

Aus Kathis verdutztem Gesichtsausdruck kann Leo leicht schließen, dass ihre Schwester keine Ahnung hat, wovon sie spricht.

„Das ist doch wieder mal absoluter Schwachsinn“, schüttelt Katharina ihren Kopf, die dem wirren Gestammel ihrer Schwester nicht folgen kann.

„Ganz deiner Meinung“, verzieht Leo ihre Lippen zu einem spitzbübischen Grinsen.

„Aber versuch doch mal deinem Lehrer zu erklären, dass Hausaufgaben absoluter Schwachsinn sind!“

Langsam beginnt Katharina zu begreifen. „Du sprichst von deinen Rechenaufgaben, richtig?“, hält sie kurz inne, bevor sie mit ernster Stimme fortfährt.

„Die sind kein Schwachsinn, sondern Kampfball im Kopf“, zwinkert sie ihrer kleinen Schwester zu.

„Kampfball spielt man aber im Team“, konterte Leo schlagfertig. „Deshalb darfst du gern mitspielen.“

„Das würde dir so passen. Deine Hausaufgaben machst du brav allein“, sieht Katharina keine Notwendigkeit, die Faulheit ihrer jüngeren Schwester zu unterstützen.

„Macht aber überhaupt keinen Spaß mit Imkern, die nicht wissen, wie sie ihre Honiggläser abfüllen sollen!“, jammert Leo und wirft Kathi einen flehenden Blick zu.

„Ist aber wichtig, damit du lernst, richtig zu rechnen und dein analytisches Denken zu schulen. Wenn du deine Hausaufgaben gemacht hast, rate ich dir übrigens dringend, dein Zimmer aufzuräumen“, wandert Kathis Blick leicht angewidert über den voll belegten Fußboden in Leos Zimmer, „da du sonst der nächste Fall fürs Krankenhaus bist, weil du dir entweder ein Bein oder gleich den ganzen Hals brichst“, beendete sie ihren Satz, während sie sich über einen Turm aus acht Büchern, drei Riesenstofftieren und durch eine Horde Pet-Shop-Tierchen zur Tür kämpft, was schon fast einem Hürdenlauf gleichkommt.

„Aua“, hört Leo kurz darauf Kathi schreien, als sie auf einen ihrer Elfenprin­zen tritt.

Wenn Kathi Aua schreit, wartet Leonie meistens noch ein bisschen ab, da ein Aua meistens nie lange allein bleibt. Erwartungsgemäß folgt kurz darauf eine ganze Schimpftirade über schrecklich unordentliche Schwestern, die man eigentlich gar nicht auf die Menschheit loslassen dürfte, da sie nicht nur eine Gefahr für sich selbst, sondern auch für alle anderen darstellten.

„Was war das denn?“, reibt sich Kathi ihren schmerzenden Fuß.

„Ein Elfenprinz“, murmelt Leo.

„Woraus? Aus Stahlbeton?“

„Aus Plastik“, weiß es ihre jüngere Schwester selten, aber doch besser.

„Sicher?“

„Ganz sicher.“

„Trotzdem gehören diese Dinger verboten und haben vor allem auf dem Boden nichts verloren!“

Leonie sieht das etwas differenzierter. Erstens, weil es ihr Zimmer ist, in dem ihre ältere Schwester gerade ausflippt und zweitens hat sie Kathi nicht darum gebeten, mit dem Fuß auf ihren Elfenprinzen zu treten. Deshalb sieht sie auch nicht die geringste Veranlassung, sich zu entschuldigen. Davon abgesehen, wie heißt es so schön in der Biene Maja: "Wer Augen hat wie ein Maulwurf, sollte lieber zweimal hingucken!“

Als Leo am nächsten Morgen in die Klasse kommt, ist Lena noch nicht da. Dafür wartet ihr Diktatheft schon auf sie. Auch ohne hineinzusehen, weiß Leonie, dass die Sache mit Konrad nicht gut gelaufen ist. Von Anfang an stand ihre Beziehung unter keinem guten Stern. Und ausbaden muss es jetzt ihr Erdbeerstift. Und Luzian. Der übrigens auch noch nicht da ist. Vorsichtig öffnet Leonie ihr Heft und kämpft sich mit einem üblen Gefühl in der Magengrube zu Konrad durch.

„Oh, oh, das sieht noch übler als schlecht aus!" Leonie seufzt. Der Herr Lehrer hat es tatsächlich geschafft, in fast jedem Wort einen Fehler zu entdecken. Mama wird das nicht freuen. Bedauerlicherweise hat Herr Engel auch noch „Mehr üben!“ darunter geschrieben, was übersetzt so viel wie weniger Kampfball spielen bedeutet. Schuld daran ist natürlich das blöde Krokodil. Was muss es auch Konrad heißen? Und der verrückte Luzian, der ihren Stöpsel verschluckt hat, ohne sie vorher um Erlaubnis zu fragen. Vor allem aber die komplizierte Rechtschreibung. Viel mit langem »ie« und Krokodil mit kurzem, obwohl beides lang ausgesprochen wird. Unter solchen Umständen ist es praktisch unmöglich, ein gutes oder gar fehlerloses Diktat zu schreiben. Das müssen Mama und Papa einfach einsehen.

Bedauerlicherweise muss Leonie einsehen, dass sie die Ansage verbessern muss.

"Weil es wichtig ist, aus Fehlern zu lernen", sagt der Herr Lehrer mit erhobenem Zeigefinger. Das klingt gut, findet Leo. Denn wenn man aus Fehlern lernt, ist es womöglich doch kein Fehler, ab und zu ein paar zu machen, denn wie soll man ohne Fehler aus ihnen lernen? Zufrieden nimmt Leonie ihr Heft und beginnt, den Text nochmals in ihr Heft zu schreiben, wobei sie beschließt, künftig nicht alle Fehler selbst zu machen, sondern ein paar den anderen Kindern in der Klasse übrig zu lassen. Als der Herr Lehrer erneut einen Blick in ihr Heft wirft, verdoppelt sich Leonies Herzschlag.

Konrad, das Krokodil

Konrad, das Krokodil,

schwimmt viel im Nil,

liebt Eis am Stiel

und sonst nicht viel.

Es kennt kein Spiel

und hat kein Ziel

Nur ein Gefühl,

es schläft zu viel.

Brav, Leonie!

Doch er findet keinen einzigen Fehler, was sie wirklich freut. Und noch mehr sein "Brav, Leonie!", das sie ihrer Mama nach der Schule stolz zeigen wird.

Bis zur Pause vergeht die Zeit recht schnell. Nach der Verbesserung darf Leo mit Lena am Computer ein paar Englisch-Aufgaben lösen, was sie echt cool findet. Englisch leider weniger, da die englische Sprache so viele englische Wörter hat, die sie überhaupt nicht versteht und die so seltsam geschrieben werden, dass einem regelrecht die Haare zu Berge stehen.

Anschließend dürfen die Kinder die große Pause im Freien auf dem Schulspielplatz verbringen, da die Sonne scheint und es draußen angenehm warm ist. Leonie will gerade mit Lena und Moritz Fangen spielen, als sie plötzlich jemand an ihrer Jacke zupft. Es ist Edwins kleiner Bruder Paul, ein Erstklässler, der Leo aufgeregt zur Seite zieht. Leonie findet das jetzt irgendwie nicht so toll, da sie lieber Fangen spielen will.

„Nicht jetzt, Pauli!“, nimmt sie seine Finger von ihrem Arm. Doch der Kleine zupft beharrlich weiter. Leo will schon ein ernsthaftes Wort mit dem Knirps reden, als er aufgeregt nach ihrer Hand greift, ohne zu ihr aufzuschauen.

5 Ein ungewöhnlicher Liebesbrief

„Ich muss mit dir reden, Leo. Dringend!“, umklammert Pauli fest ihre Finger und zieht sie sanft, aber mit Nachdruck noch ein bisschen weiter von ihren Freunden weg.

„Was gibt's denn, Kleiner?“, schaut Leo kurz zu ihren Freunden hinüber und hofft, dass das Gespräch mit dem Knirps nicht allzu lange dauert. Das Mädchen spürt, wie sich der Junge anspannt. Bevor er ein Wort über seine Lippen bringen kann, stupst ihn Leo mit dem Zeigefinger an.

„Brauchst du vielleicht Hilfe?“, schaut sie dem Erstklässler entgegenkommend in seine großen, grünen Augen. „Hat dir Edwin wieder deine Lutscher geklaut oder dein Federpennal versteckt? Soll ich ihm seinen Hosenboden versohlen oder die Ohren lang ziehen? Auf Wunsch mach ich auch ein paar Knoten rein. Würde sich bei den Flügelohren deines Bruders ohne weiteres ausgehen!“

Pauli hätte über den Eifer des ansonsten eher ruhigen Mädchens beinah laut lächeln müssen, wenn die Lage nicht so dramatisch ernst gewesen wäre. Nervös stopft er seine Hände in die Hosentaschen und blickt schnell nach links und nach rechts, um sicherzugehen, dass niemand sie belauscht. Noch immer sieht ihn Leonie ungeduldig an, doch der kleine Junge rührt sich nicht. Leonie spürt, dass ihn etwas mächtig beschäftigt, hat aber keine Ahnung, wie sie es aus ihm herauskitzeln soll.