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Am Ostermontag 2025 stirbt Papst Franziskus nach zwölf bewegten Jahren im Amt. Nur acht Tage später wählen die Kardinäle mit Robert Francis Prevost einen Nachfolger, der sich Leo XIV. nennt – und die Welt überrascht. Der Jesuit und Vatikankenner Andreas Batlogg war in diesen dramatischen Tagen in Rom und gibt exklusive Einblicke in das Ende eines Pontifikats und den Beginn eines neuen. Wer ist dieser Papst, der als erster Amerikaner und Augustiner den Stuhl Petri besteigt? Was bedeutet seine Wahl für die Zukunft der katholischen Kirche? Wird er das Erbe von Franziskus fortführen oder neue Wege gehen?
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Seitenzahl: 204
Veröffentlichungsjahr: 2025
Andreas R. Batlogg
Leo XIV. –der neue Papst
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2025Hermann-Herder-Str. 4, 79104 FreiburgAlle Rechte vorbehaltenwww.herder.de
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ISBN (Print) 978-3-451-39675-5ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-84027-2ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-84028-9
Rom, 5. bis 15. Mai 2025: Am Morgen des 5. Mai sollte ich von München nach Dublin (Irland) fliegen, um an einem Seminar der Notre Dame University Chicago in der Kylemore Abbey (County Galway) teilzunehmen. Clemens Sedmak, Professor für Sozialethik an der Keough School of Global Affairs der University of Notre Dame in Chicago, Illinois, versammelte dort zwölf Referentinnen und Referenten aus acht Nationen, ein exklusiver Kreis, der sich vier Tage lang über »Wisdom and disruption« austauschen sollte. Er selbst hatte wenige Wochen vorher sein Buch Wenn das Unvorstellbare geschieht, Untertitel: Durchbrochenes Denken und theologische Vorstellungskraft (Freiburg 2025) veröffentlicht, in dem er den Suizid seines Sohnes Jonathan reflektiert – ein Buch, das mich packte. Ich sollte über meine Lebenszäsur sprechen, die ich in Durchkreuzt – Mein Leben mit der Diagnose Krebs (Innsbruck 2019) beschrieben habe. Vom 9. bis 18. Mai sollte ich dann in der Türkei sein, erstmals in meinem Leben: theologische Reisebegleitung einer Gruppe, die, in Istanbul startend, die Westtürkei erkundete, um Konzilsorte kennenzulernen, endend mit Nizäa/Nikaia, heute İznik, wo vor 1700 Jahren, im Mai/Juni 325 n. Chr., das von Kaiser Konstantin einberufene erste ökumenische Konzil stattgefunden hat. Für mich wäre die Reise der Schlusspunkt zu meinem im März aus Anlass des Konzilsjubiläums erschienenen Essay Jesus glauben – Wie alte Formeln wieder lebendig werden (Ostfildern 2025) gewesen. Am 20. Mai ziehe ich nach 25 Jahren in München nach Wien um.
Es kam anders als vorgesehen. Der Bischof von Rom starb am Ostermontag. Am 5. Mai flog ich am Morgen nach Rom statt nach Dublin, drei Tage nach dem Requiem für Papst Franziskus. Gemeinsam mit Antje Pieper und Jürgen Erbacher kommentierte ich für das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) den Einzug der Kardinäle ins Konklave am 7. Mai. Sogar die TikTok-Community hatte es entdeckt, Rom war aufgewühlt, es wimmelte – von Menschen, von Pilgern, von Gerüchten und Spekulationen. Als ich am 15. Mai zurückflog, war aus dem US-amerikanischen Kardinal Robert Francis Prevost seit acht Tagen Leo XIV. geworden. Eine handfeste Überraschung!
Sein Name hatte im Papstwahl-Karussell kursiert, er zählte aber nicht zu den Topfavoriten des Konklaves. Eine Freundin, die Theologin Barbara Krenn, Leiterin der Hauptabteilung »Religion und Ethik« im Österreichischen Fernsehen (ORF) in Wien, hatte auf Prevost gehofft, allerdings mit dem Papstnamen Paul VII. gerechnet. Kardinal Christoph Schönborn, der mit 80 nicht mehr zu den Papstwählern zählte, hatte am Vorkonklave teilgenommen, reiste dann aber nach Wien zurück und sagte in Interviews: »Ich habe eine große Freude, ich habe im Herzen auf ihn getippt.« Der neue Papst sei »eine richtige Wahl«.
Zwei Mal bekam ich feuchte Augen: als ich einen Tag vor Beginn des Konklaves frühmorgens am Grab von Franziskus in Santa Maria Maggiore stand und für eine gute Wahl betete und als ich im Garten der Jesuitenkommunität S. Pietro Canisio, 500 Meter Luftlinie vom Petersdom entfernt, auf die Loggia starrte, wo sich am 8. Mai der Vorhang hob. Miro, ein polnischer Mitbruder, wusste als Erster, wer sie betreten sollte, obwohl das Handynetz zusammengebrochen war: »Prevost, Leo XIV.«
Am Grab von Franziskus konnte ich mich von jemandem verabschieden, dessen Pontifikat ich von Anfang an eng mitverfolgt und über den ich zwei Bücher geschrieben hatte. Das erste zum fünften Jahrestag seiner Wahl (Der evangelische Papst – Hält Franziskus, was er verspricht? München 2018); das zweite zusammen mit dem Wiener Pastoraltheologen Paul Michael Zulehner ein Jahr später: Der Reformer, Untertitel: Von Papst Franziskus lernen – ein Appell (Würzburg 2019). Mit einem so plötzlichen Tod, weniger als einen Tag später, nachdem er das letzte Mal mit gebrochener Stimme und sichtbar schwach den Segen »Urbi et orbi« gespendet und sich ein letztes Mal über den Petersplatz hatte fahren lassen, hatte ich nicht gerechnet. Im Herbst frühestens, nach einer Sabbatzeit, wollte ich an meinem Manuskript weiterarbeiten, das jetzt plötzlich mit Siebenmeilenstiefeln weitergeschrieben und abgeschlossen werden musste. Anders als vorgesehen.
Dieses Buch kann keine umfassende Biografie bieten. Zu wenig Material steht bisher zur Verfügung. Es erscheint zu Beginn eines neuen, noch ganz taufrischen Pontifikats mit einer biografischen Skizze. Seit dem Abend des 8. Mai 2025 hat die Kirche wieder einen Nachfolger Petri, den 267. Papst. Der Apostolische Stuhl ist nicht mehr verwaist. Seine ersten Worte, seine ersten Ansprachen und Entscheidungen waren vielversprechend. Und auch sein Name steht wie der von Franziskus im Jahr 2013 für ein Programm: Leo XIV.
Rom – München – Wien, 16. Mai 2025
Andreas R. Batlogg SJ
Leo XIV. also, nicht Johannes XXIV., wie manche es sich wünschten! Ausgeschlossen war natürlich gar nichts – und Buchmacher sind keine Hellseher, auch nicht die in London. Sie können ordentlich danebenliegen mit ihren Prognosen: Wer wird der neue Papst? Und wie nennt er sich? Wenn jedoch etwas so einigermaßen klar war vor dem Konklave, das am 7. Mai 2025 begann, dann dies: Der neu gewählte Bischof von Rom würde sich schwerlich Franziskus II. nennen können. Alle Welt hätte sofort gemunkelt: Er imitiert den am 21. April verstorbenen Papst.
Man erinnert sich, am Abend des 13. März 2013 auf der Benediktionsloggia des Petersdoms: »Fratelli e sorelle: buona sera!« Das waren die ersten Worte des neuen Papstes »vom anderen Ende der Welt« gewesen. Ganz einfach. Ganz banal. Ganz normal. Ein Argentinier (mit italienischem Migrationshintergrund), ein Ordensmann und Jesuit, der – erstmals in der Papstgeschichte – den Namen des Poverello aus Assisi annahm. Die logischen Fragen, die jetzt, zwölf Jahre später, aufkamen: Würde der neue Papst ebenfalls auf die roten Schuhe verzichten, die Franziskus ablehnte? Ebenso wie auf die rote Samt-Mozetta? Würde er wieder in die seit 2013 verwaiste Papstwohnung im Apostolischen Palast ziehen oder wie Franziskus im Gästehaus Santa Marta, wo die Kardinäle während des Konklaves wohnten, ein Appartement belegen? Und überhaupt: Ist der Neue nahbar, spontan, direkt – oder scheu und reserviert?
»La pace sia con tutti voi« (Der Friede sei mit euch allen) – das waren diesmal die ersten Worte des neu gewählten Papstes. Auch er ein Ordensmann, aber Augustiner, erstmals in der Geschichte ein Nordamerikaner – aber einer, der auch die peruanische Staatsbürgerschaft besitzt. Leo – Löwe. Der letzte Papst dieses Namens, Leo XIII., der von 1878 bis 1903 (25 Jahre und fünf Monate lang) regierte, starb als nachweislich ältester Papst mit 93 Jahren und hatte damit den drittlängsten Pontifikat der Geschichte nach Pius IX., der 31 Jahre, sieben Monate und 25 Tage amtierte. Der erste Namensträger in dieser Reihe lebte im 5. Jahrhundert und erhielt später den Beinamen »der Große«.
Viele hatten sich wieder einen Italiener gewünscht – erstmals wieder seit Oktober 1978, als mit dem Krakauer Erzbischof Karol Wojtyła der erste Nichtitaliener seit 455 Jahren und der erste Slawe den Stuhl Petri bestieg. Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin etwa. Als dienstältester Kardinalbischof hatte er das Konklave geleitetet, weil sowohl der Kardinaldekan (Giovanni Battista Re) als auch dessen Stellvertreter (Leonardo Sandri) wegen ihres Alters (91 und 81) nicht mehr an der Papstwahl teilnehmen durften. Parolin gilt als »Mann der leisen Töne«. Nach dem »Turbo-Papst« und »Wirbelwind Franziskus« hätte der Diplomat, so die allgemeine Erwartung, das Amt ruhiger ausgeübt und sich »nicht auf jedes Mikrofon gestürzt« (Jürgen Erbacher).
Am 2. Mai, wenige Tage vor Beginn des Konklaves, gab es Fake-News-Alarm: Vatikansprecher Matteo Bruni musste dementieren, dass es beim Vorkonklave zu einem medizinischen Zwischenfall gekommen sei. Online-Medien hatten behauptet, Parolin sei wegen KreislaufProblemen in Ohnmacht gefallen und von einem Ärzteteam eine Stunde lang behandelt worden: »Es ist nichts passiert, das ist nicht wahr.« Sollte man dahinter ein Manöver von Gegnern des ehemaligen Kardinalstaatssekretärs sehen – eine Verhinderungstaktik, wie es sie auch bei früheren Gelegenheiten, übrigens auch beim letzten Konklave, gegeben hatte?
»Se non è vero, è (molto) ben trovato: se non è così, è molto ben iscusato l’uno per l’altro« (Wenn es nicht wahr ist, ist es sehr gut erfunden: wenn es nicht so ist, ist es sehr gut für jeden anderen gefunden): Zugeschrieben wird diese Redewendung dem italienischen Priestermönch, Philosophen und Astronomen Giordano Bruno, der im Jahr 1600 von der Inquisition der Ketzerei und Magie bezichtigt und zum Tod verurteilt wurde. Sein Leben endete auf dem Scheiterhaufen auf dem Campo de’ Fiori unweit der Piazza Navona. Dass solche Manöver offenbar Realität und nicht filmische Fiktion sind wie in dem berühmten US-Filmdrama In den Schuhen des Fischers (1968) mit Anthony Quinn und Oskar Werner in zwei Hauptrollen, würde man nicht glauben, könnte man es nicht schwarz auf weiß nachlesen.
Auch Parolin blieben Intrigen nicht erspart. Während der Sedisvakanz, als sich Medien mit Kandidatenporträts überschlugen, wurde eine Äußerung von Kardinal Philippe Barbarin, dem früheren Primas von Gallien, bekannt, der in der französischen Illustrierten Paris Match Parolin Führungsqualitäten absprach, was – das Internet macht es möglich – bald darauf auch auf Deutsch die Runde machte: »Um ehrlich zu sein, finde ich, dass Kardinal Parolin zwar kompetent ist, aber nicht das Format hat, das man idealerweise von einem Staatssekretär und erst recht von einem Papst erwarten würde.«1 Als Kardinalstaatssekretär seien bei Parolin »die Ergebnisse hinter den Erwartungen zurückgeblieben«. Auch sei er als oberster Behördenleiter mindestens mitverantwortlich für die Millionenpleite von London, über die Kardinal Becciu gestolpert ist. Barbarin war seit 2002 Erzbischof von Lyon, ein Jahr später Kardinal und nahm 2005 und 2013 am Konklave teil, es war jetzt also sein drittes. 2019 wurde er von einem französischen Gericht wegen Missbrauchsvertuschung in erster Instanz verurteilt, reichte daraufhin beim Papst seinen Rücktritt ein, der diesen aber wegen der Unschuldsvermutung nicht annahm. Im Januar 2020 freigesprochen, nahm Franziskus im März 2020 – Barbarin war erst 70 – seinen Rücktritt an. Werden jetzt so – die Frage drängte sich auf – alte Rechnungen beglichen? Warum dieses Schauspiel »Kardinal gegen Kardinal – in der Öffentlichkeit« (Benjamin Leven)?
In seiner Predigt bei der zweiten von neun für einen verstorbenen Papst vorgesehenen Totenmessen, den sogenannten »Novendiales«, sagte Parolin am Sonntag nach Ostern – es war der von Johannes Paul II. im Jahr 2000 eingeführte Sonntag der Barmherzigkeit – unter anderem:
»Die Verkündigung der Frohen Botschaft, die Evangelisierung, war das Leitmotiv seines Pontifikats. Er hat uns daran erinnert, dass ›Barmherzigkeit‹ der Name Gottes ist und dass daher niemand seiner barmherzigen Liebe, mit der er uns aufrichten und zu neuen Menschen machen will, Grenzen setzen kann.
Es ist wichtig, dass wir diese von Papst Franziskus so eindringlich hervorgehobene Botschaft wie einen kostbaren Schatz bewahren. Und – wenn ich das sagen darf – unsere Zuneigung zu ihm, die sich in diesen Stunden so deutlich zeigt, darf nicht nur eine momentane Emotion bleiben. Wir müssen sein Vermächtnis annehmen und es mit Leben füllen, indem wir uns der Barmherzigkeit Gottes öffnen und auch selbst barmherzig miteinander umgehen.
Die Barmherzigkeit führt uns zurück zum Kern des Glaubens. Sie erinnert uns daran, dass wir unsere Beziehung zu Gott und unser kirchliches Leben nicht nach menschlichen oder weltlichen Maßstäben betrachten dürfen, denn die Frohe Botschaft des Evangeliums ist in erster Linie die Entdeckung, von einem Gott geliebt zu sein, der Mitgefühl und Zärtlichkeit für jeden von uns empfindet, unabhängig von unseren Verdiensten. Sie erinnert uns außerdem daran, dass unser Leben von Barmherzigkeit durchdrungen ist: Wir können nur dann nach unseren Niederlagen wieder aufstehen und in die Zukunft blicken, wenn wir jemanden haben, der uns bedingungslos liebt und uns vergibt. Deshalb sind wir aufgerufen, unsere Beziehungen nicht mehr nach berechnenden Kriterien oder blind vor Egoismus zu leben, sondern uns dem Dialog mit den anderen zu öffnen, diejenigen anzunehmen, denen wir auf unserem Weg begegnen, und ihnen ihre Schwächen und Fehler zu vergeben. Nur Barmherzigkeit heilt und schafft eine neue Welt, indem sie das Feuer des Misstrauens, des Hasses und der Gewalt löscht: Das ist die großartige Lehre von Papst Franziskus.«2
Diese Worte waren nicht nur ein warmherziger Nachruf auf seinen ehemaligen Chef und eine Erinnerung an dessen Schwerpunkte. Sie waren auch wie die anderen Predigten – zuvor die von Kardinal Re beim Requiem auf dem Petersplatz am 26. April vor 250.000 Gästen, darunter Staats- und Regierungschefs aus über 100 Ländern, danach die der Kardinäle Pietro Parolin, Baldassare Reina, Mauro Gambetti, Leonardo Sandri, Víctor Manuel Fernández, Claudio Gugerotti, Ángel Fernández Artime und Dominique Mamberti, der als Kardinalprotodiakon den neuen Papst ankündigen würde – ins kommende Konklave hineingesprochen. Jeder der bei diesen Gottesdiensten anwesenden über 220 Kardinäle wusste: Unter uns könnte bereits der nächste Papst sein. Viele dachten (jedenfalls für einige Zeit, bis Gerüchte gestreut wurden): Parolin wird es. Aber die Wahl fiel auf einen anderen Kurienkardinal.
Blenden wir zweieinhalb Jahre zurück: Es war auf dem Rückflug von seiner 43. Auslandsreise, die ihn im September 2023 in die Mongolei geführt hatte – ein für Papst Franziskus typischer Gang an die »Peripherie«, die er mit seinen Reden und Reisen ins Licht der Öffentlichkeit rückte. Garantierte Aufmerksamkeit für die Ränder, die ihm so wichtig waren. Etwas mehr als ein Jahr zuvor hatte er den damals erst 48-jährigen Italiener Giorgio Marengo, der als Missionar in der Mongolei wirkte, bevor er 2020 Apostolischer Präfekt von Ulaanbaatar und Titularbischof wurde, überraschend ins Kardinalskollegium aufgenommen – als weltweit jüngsten und ersten in den 1970er-Jahren geborenen Kardinal. Mittlerweile wurde er als »Baby-Kardinal« von dem gebürtigen Ukrainer Mykola Byczok abgelöst, der im Dezember 2024 mit 44 Jahren ins Kardinalskollegium aufgenommen wurde und in Australien für die ukrainischen Gläubigen zuständig ist. Von einem Journalisten der Jesuitenzeitschrift America Magazine nach den Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Vietnam befragt und wann er dorthin reise, antwortete Franziskus: »Wenn ich nicht hinfahre, wird sicher Johannes XXIV. hinfahren.« Wer es hörte, spitzte die Ohren: »Johannes XXIV.« Nannte Franziskus damit etwa den Namen seines Nachfolgers?
Die Anspielung ließ aufhorchen. Einmal, weil er damit einen Hinweis gab auf den Papst, der sich zuletzt Johannes genannt hatte: Johannes XXIII. (1958–1963). Dann, weil Päpste ihre Nachfolger zwar nicht selbst bestimmen, aber mit der Ernennung von Kardinälen ihr Erbe sichern und mindestens indirekt Hinweise geben, in welche Richtung es weitergehen könnte. War diese Anspielung nur eine flüchtige Laune oder sanfte Ironie? Die Auguren hatten jedenfalls für ihre Spekulationen wieder einen Knochen, auf den sie sich stürzen konnten. Wenige Monate trennten Franziskus damals von seinem 87. Geburtstag. Er ergänzte bei derselben Gelegenheit zu weiteren Reiseplänen (damals stand noch ein zweitägiger Besuch zum Abschluss des achttägigen Mittelmeertreffens »Rencontres méditerranéennes« in Marseille aus), es sei für ihn »jetzt nicht mehr so einfach, eine Reise zu machen, wie es zu Beginn war, es gibt Einschränkungen beim Gehen und dies wirkt sich aus«.
Ein neuer Papst kann aus einem Pool von 83 Namen wählen, die seine Vorgänger getragen haben, außer es ist ein völlig neuer Name wie 2013, als Jorge Mario Bergoglio sich für Franziskus entschied. Die drei Spitzenreiter sind Johannes, Gregor und Benedikt. Und nun also, erstmals wieder seit 1878, Leo, der vierzehnte dieses Namens. Vielleicht wird ja er als Papst nach Vietnam reisen, an Einladungen sollte es in der nächsten Zeit jedenfalls nicht mangeln.
Robert Francis Prevost stand Franziskus vielleicht nicht so nahe wie Parolin. Aber jener hatte den Bischof einer Diözese im Nordwesten Perus an die Kurie geholt, zum Präfekten des Dikasteriums für die Bischöfe und zum Kardinal gemacht. Vor nicht einmal zwei Jahren. Und er bringt, ähnlich wie Jorge Mario Bergoglio, viel Leitungserfahrung ein: Der promovierte Kirchenrechtler war Seelsorger und Missionar, Ausbildungsleiter, Professor, Provinzial der Augustiner in Peru und Generalprior seines Ordens (OSA) in Rom, Seelsorger und Missionar, Apostolischer Administrator und Diözesanbischof, bis er schließlich von Franziskus nach Rom geholt wurde, um 2023 den kanadischen Kurienkardinal Marc Ouellet als Präfekt abzulösen – eine Schlüsselstelle, ist der Präfekt des Dikasteriums für die Bischöfe doch eine Art Personalchef des Vatikans. Drei Monate später, im April 2023, wurde er auch zum Präsidenten der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika ernannt.
Als Ordenschrist international vernetzt, als Präfekt in den beiden letzten Jahren mit Bischöfen aus aller Welt in Kontakt stehend, dies nicht nur bei deren verpflichtenden Ad-limina-Besuchen im Vatikan, war er Mitglied in sieben weiteren Dikasterien und auch in der Päpstlichen Kommission für den Staat der Vatikanstadt. Er kennt die Kurie also von innen. Gleichzeitig verlor er dabei nicht die Bodenhaftung. Sein Lebensstil in Rom war bescheiden, er erledigte Hausarbeiten selbst. Und er blieb im Herzen Seelsorger und Missionar. In seiner ersten Rede erinnerte er an seine spirituelle und theologische Sozialisation: »Ich bin ein Sohn des heiligen Augustinus, ein Augustinianer, der sagte: ›Mit dir bin ich ein Christ und für dich ein Bischof.‹ In diesem Sinne können wir alle gemeinsam auf das Heimatland zugehen, das Gott für uns vorbereitet hat.«
Zunächst grüßte er die Kirche von Rom, unterbrochen von Applaus: »Wir müssen gemeinsam danach suchen, wie wir eine missionarische Kirche sein können, eine Kirche, die Brücken baut, die den Dialog sucht, die immer offen ist, um – wie dieser Platz – alle mit offenen Armen zu empfangen. Alle, die unsere Nächstenliebe, unsere Gegenwart, unseren Dialog und unsere Liebe brauchen.«
Bevor er in nahezu akzentfreiem Italienisch weitersprach, richtete er sich auf Spanisch an seine ehemalige Diözese: »Y si me permiten también, una palabra, un saludo a todos aquellos y en modo particular a mi querida diócesis de Chiclayo, en el Perú, donde un pueblo fiel ha acompañado a su obispo, ha compartido su fe y ha dado tanto, tanto para seguir siendo Iglesia fiel de Jesucristo.« (Und wenn Sie mir ein Wort erlauben, einen Gruß an alle und besonders an meine liebe Diözese Chiclayo, Peru, wo ein treues Volk seinen Bischof begleitet, seinen Glauben geteilt und so viel gegeben hat, so viel, um weiterhin Kirche zu sein, treu zu Jesus Christus.) Er wiederholte diese Grußadresse auf Italienisch, um dann im Telegrammstil auf die Agenda seines zukünftigen Wirkens zu sprechen zu kommen, die ein Programmwort von Papst Franziskus enthielt: »Ihr alle, Brüder und Schwestern von Rom, von Italien – wollen wir eine synodale Kirche sein, eine Kirche, die geht, eine Kirche, die immer den Frieden sucht, die immer die Nächstenliebe sucht, die immer die Nähe vor allem zu denen sucht, die leiden.«3 Synodalität – Frieden – Nächstenliebe – Nähe zu den Menschen: Was für eine Ansage!
Der Kosmopolit aus Chicago ist, wie der Jesuit Martin Maier, Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat (Essen), noch am Abend der Wahl sagte, »ein echter Brückenbauer, also ein Pontifex, zwischen den beiden Amerikas und dem Globen Norden und dem Globalen Süden«: »Mit Leo XIV. wird dem US-Präsidenten ein Amerikaner gegenübergestellt, der das Gegenteil von Donald Trump repräsentiert: Er baut Brücken und keine Mauern.«4 Der neue Papst wird Spannungen in der Kirche ansprechen, er ist einer, der versöhnen kann, einer, der die Themen von Franziskus aufnimmt, weiterführt und verstetigt. Aber anders. Er wird seinen eigenen Stil finden: ein sanfter Löwe – der aber gewiss auch brüllen, seine Stimme erheben und seine moralische Autorität nutzen wird. Gelegen oder ungelegen.
Als Topfavoriten galten diesmal (in dieser Reihenfolge): der Italiener Pietro Parolin (70), der frühere Erzbischof von Manila, Kurienkardinal Luis Antonio Tagle (67), der aus Ghana stammende Kurienkardinal Peter Turkson (76) sowie der Erzbischof von Bologna und Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz Matteo Zuppi (69). Gehandelt worden waren auch der Italiener Pierbattista Pizzaballa (60), der Lateinische Patriarch von Jerusalem, der Ungar Péter Erdő (72), der Franzose Jean-Marc Aveline (66), der portugiesische Kurienkardinal José Tolentino de Mendonça (59) oder der Kapuziner Fridolin Ambongo Besungu (65), Erzbischof von Kinshasa in der Demokratischen Republik Kongo, der dem Kardinalsrat von Franziskus angehörte. An die 25 »papabili« – Kardinäle, denen Chancen eingeräumt werden – kursierten in der Presse. Auch der Name Robert Prevost tauchte da und dort auf, obwohl er zu den 108 Erstwählern gehörte.
Vorab hatte es an etlichen Papstwählern auch Kritik gegeben. Das 1989 in den USA gegründete weltweite Netzwerk Snap (»Survivors Network of those abused by Priests«) hielt sechs Kardinälen unsachgemäßen Umgang mit Missbrauchsfällen während ihrer Amtszeiten als Diözesanbischöfe vor: Péter Erdő, Kevin Farrell, Víctor Fernández, Mario Grech, Robert Prevost und Luis Tagle. Auch das US-amerikanische Netzwerk »Bishop Accountability« warf Parolin und Tagle vor, wiederholt falsch reagiert zu haben: Parolin vor allem beim Umgang mit dem Anfang April 2025 verstorbenen Kardinal Theodore E. McCarrick, dem ehemaligen Erzbischof von Washington, der wiederholt Gespräche in Kuba und Peking über Religionsfreiheit geführt hatte. Papst Franziskus hatte ihm zuerst alle Rechte eines Kardinals entzogen, dann 2019 aus dem Klerikerstand entlassen.
Für alle, bis auf einen der papstwahlberechtigen Kardinäle, galt das bekannte Sprichwort: Wer als Papst ins Konklave hineingeht, kommt als einfacher Kardinal heraus. 135 der insgesamt 252 Kardinäle waren wahlberechtigt, weil sie unter 80 Jahre alt waren, zwei fielen aus, weil sie aus Gesundheitsgründen nicht anreisen konnten. Ihre Namen teilte Vatikansprecher Matteo Bruni zuerst »aus Rücksicht auf ihre Persönlichkeitsrechte« nicht mit. Später wurde bekannt gegeben, dass die beiden emeritierten Erzbischöfe von Nairobi und Valencia, John Njue und Antonio Cañizares Llovera, beide 79, ihre Teilnahme abgesagt hätten. Blieben 133 – ohnehin eine Rekordzahl.
Bei den Beratungen der Kardinäle im Vorfeld des Konklaves war nach längerem Hin und Her auch geklärt worden, dass der von Franziskus abgesetzte 76-jährige Kurienkardinal Giovanni Angelo Becciu, dessen rechtlicher Status seit Jahren unklar war, nicht an der Papstwahl teilnimmt und deswegen nicht auf der Liste der 135 Wahlberechtigten erscheint. Nachdem er zuerst darauf beharrt hatte, zum Kreis der legitimen Papstwähler zu gehören, machte er später einen Rückzieher. In seinem Statement hieß es: »Da mir das Wohl der Kirche am Herzen liegt, der ich mit Treue und Liebe gedient habe und weiterhin dienen werde, sowie um zur Gemeinschaft und Gelassenheit des Konklaves beizutragen, habe ich beschlossen, wie ich es immer getan habe, dem Willen von Papst Franziskus zu entsprechen und nicht am Konklave teilzunehmen, auch wenn ich weiterhin von meiner Unschuld überzeugt bin.«5 Der sardische Kardinal war von einem vatikanischen Gericht wegen der Verwicklung in eine überaus verlustreiche Immobilieninvestition in London zu fünf Jahren Haft verurteilt worden, woraufhin ihm der Papst alle Rechte entzog. In der vatikanischen Statistik trat er seither, obwohl noch nicht 80 Jahre alt, als nicht mehr konklaveberechtigt auf. In ihrer 7. Generalversammlung vor dem Konklave bedankten sich die versammelten Kardinäle dafür und gaben ihrer Hoffnung Ausdruck, »dass die zuständigen Justizorgane den Sachverhalt endgültig aufklären können« – eine Aufgabe für den neuen Papst, die an einen Deal denken lässt, zumal Becciu einmal als Nummer drei in der Vatikanhierarchie galt.
Wer von den Kardinälen, fragten manche Beobachter, hat »keine Leichen im Keller« – ist absolut integer, unbescholten, frei von jedem Vorwurf und völlig »unbelastet«? Dazu noch theologisch sattelfest, ein spiritueller Mann, rhetorisch begabt, polyglott – und teamfähig? Wer vereint in sich all das? Gibt es so einen überhaupt?