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Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. »Mein Leben gähnt mich an, wie ein großer weißer Bogen Papier, den ich vollschreiben soll, aber ich bringe keinen Buchstaben heraus«, sagt Prinz Leonce. Als sein Vater ihn dann auch noch mit Lena verheiraten will, die er noch nie gesehen hat, flieht er aus dem absolutistischen Miniaturstaat. Unterwegs trifft er Lena, die auch auf der Flucht ist, und plötzlich ist nichts mehr, wie es war… Eine Politsatire voller Wortwitz, ein Drama mit absurden Zügen und zugleich eine zarte, verträumte Liebesromanze.
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Seitenzahl: 76
Veröffentlichungsjahr: 2011
Georg Büchner
Ein Lustspiel
Drama/en
»Was ist das, was in uns lügt, stiehlt und mordet?« Danton ist frustriert, er hat die Schnauze voll: Die Revolution, für die er gekämpft hat, frisst ihre eigenen Kinder. Das, an was er geglaubt hat, hat die Welt nicht verbessert, im Gegenteil. Jetzt glaubt er an gar nichts mehr: »Da ist keine Hoffnung im Tod; er ist nur eine einfachere, das Leben eine verwickeltere, organisierte Fäulniß«. – Was nützt es da noch zu handeln? Wofür soll man sich überhaupt einsetzen?
Mit den Beiträgen zu beiden Werken aus Kindlers Literatur Lexikon.
Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.
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Covergestaltung: bilekjaeger, Stuttgart
Coverillustration: akg-images, Berlin
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2010
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ISBN 978-3-10-401238-4
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Leonce und Lena
Personen
Erster Act
Erste Szene
Zweite Scene
Dritte Scene
Vierte Scene
Zweiter Act
Erste Scene
Zweite Scene
Dritte Scene
Vierte Scene
Dritter Act
Erste Scene
Zweite Scene
Dritte Scene
Leonce und Lena – Verstreute Bruchstücke
Personen
I. Act
I. Scene
II. Act
Steh auf in deinem [...]
Anhang
Editorische Notiz
Daten zu Leben und Werk
Georg Büchner, ›Leonce und Lena‹
Georg Büchner
Ein Lustspiel
Vorrede
Alfieri: ›E la fama?‹
Gozzi: ›E la fame?‹
KÖNIG PETER vom Reiche Popo
PRINZ LEONCE, sein Sohn, verlobt mit
PRINZESSIN LENA vom Reiche Pipi
VALERIO
DIE GOUVERNANTE
DER HOFMEISTER
DER CEREMONIENMEISTER
DER PRÄSIDENT DES STAATSRATHS
DER HOFPREDIGER
DER LANDRATH
DER SCHULMEISTER
ROSETTA
Bediente, Staatsräthe, Bauern etc.
O wär’ ich doch ein Narr!
Mein Ehrgeiz geht auf eine bunte Jacke.
Wie es Euch gefällt.
EIN GARTEN
Leonce halb ruhend auf einer Bank. Der Hofmeister.
LEONCE
Mein Herr, was wollen Sie von mir? Mich auf meinen Beruf vorbereiten? Ich habe alle Hände voll zu thun, ich weiß mir vor Arbeit nicht zu helfen. Sehen Sie, erst habe ich auf den Stein hier dreihundert fünf und sechzig Mal hintereinander zu spucken. Haben Sie das noch nicht probirt? Thun Sie es, es gewährt eine ganz eigne Unterhaltung. Dann – sehen Sie diese Hand voll Sand? – er nimmt Sand auf wirft ihn in die Höhe und fängt ihn mit dem Rücken der Hand wieder auf – jetzt werf’ ich sie in die Höhe. Wollen wir wetten? Wieviel Körnchen hab’ ich jetzt auf dem Handrücken? Grad oder ungrad? – Wie? Sie wollen nicht wetten? Sind Sie ein Heide? Glauben Sie an Gott? Ich wette gewöhnlich mit mir selbst und kann es tagelang so treiben. Wenn Sie einen Menschen aufzutreiben wissen, der Lust hätte [als] mit mir zu wetten, so werden Sie mich sehr verbinden. Dann – habe ich nachzudenken, wie es wohl angehn mag, daß ich mir einmal auf den Kopf sehe. – O wer sich einmal auf den Kopf sehen könnte! Das ist eins von meinen Idealen. [Mir wäre geholfen.] Und dann – und dann noch unendlich Viel der Art. – Bin ich ein Müßiggänger? Habe ich keine Beschäftigung? – Ja es ist traurig …
HOFMEISTER
Sehr traurig, Eu[er] Hoheit.
LEONCE
Daß die Wolken schon seit drei Wochen von Westen nach Osten ziehen. Es macht mich ganz melancholisch.
HOFMEISTER
Eine sehr gegründete Melancholie.
LEONCE
Mensch, warum widersprechen Sie mir nicht? Sie [sind pressirt,] nicht wahr? Es ist mir leid, daß ich Sie so lange aufgehalten habe. Der Hofmeister entfernt sich mit einer tiefen Verbeugung. Mein Herr, ich gratulire Ihnen zu der schönen Parenthese, die Ihre Beine machen, wenn Sie sich verbeugen.
LEONCE allein, streckt sich auf der Bank aus
Die Bienen sitzen so träg an den Blumen, und der Sonnenschein liegt so faul auf dem Boden. Es krassirt ein entsetzlicher Müßiggang. – Müßiggang ist aller Laster Anfang. – Was die Leute nicht Alles aus Langeweile treiben! Sie studiren aus Langeweile, sie beten aus Langeweile, sie verlieben, verheirathen und vermehren sich aus Langeweile und sterben endlich [an der] Langeweile und – und das ist der Humor davon – Alles mit den wichtigsten Gesichtern, ohne zu merken warum, und meinen Gott weiß was [dabei]. Alle diese Helden, diese Genies, diese Dummköpfe, diese Heiligen, diese Sünder, diese Familienväter sind im Grunde nichts als raffinirte Müßiggänger. – Warum muß ich es grade wissen? Warum kann ich mir nicht wichtig werden und der armen Puppe einen Frack anziehen und einen Regenschirm in die Hand geben, daß sie sehr rechtlich und sehr nützlich und sehr moralisch würde? – Der Mann, der eben von mir ging, ich beneidete ihn, ich hätte ihn aus Neid prügeln mögen. O wer einmal jemand Anders sein könnte! Nur ’ne Minute lang. –
Valerio, [halb trunken, kommt gelaufen.]
LEONCE
Wie der Mensch läuft! Wenn ich nur etwas unter der Sonne wüßte, was mich noch könnte laufen machen.
VALERIO stellt sich dicht vor den Prinzen, legt den Finger an die Nase und sieht ihn starr an
Ja!
LEONCE eben so
Richtig!
VALERIO
Haben Sie mich begriffen?
LEONCE
Vollkommen.
VALERIO
Nun, so wollen wir von etwas Anderm reden. Er legt sich ins Gras. Ich werde mich indessen in das Gras legen und meine Nase oben zwischen den Halmen herausblühen lassen und romantische Empfindungen beziehen, wenn die Bienen und Schmetterlinge sich darauf wiegen, wie auf einer Rose.
LEONCE
Aber Bester, schnaufen Sie nicht so stark, oder die Bienen und Schmetterlinge müssen verhungern über den ungeheuren Prisen, die Sie aus den Blumen ziehen.
VALERIO
Ach Herr, was ich ein Gefühl für die Natur habe! Das Gras steht so schön, daß man ein Ochs sein möchte, um es fressen zu können, und dann wieder ein Mensch, um den Ochsen zu [fressen,] der solches Gras gefressen.
LEONCE
Unglücklicher, Sie scheinen auch an Idealen zu laboriren.
VALERIO
Es ist ein Jammer. Man kann keinen Kirchthurm herunterspringen, ohne den Hals zu brechen. Man kann keine vier Pfund Kirschen mit den Steinen essen, ohne Leibweh zu kriegen. Seht, Herr, ich könnte mich in eine Ecke setzen und singen vom Abend bis zum Morgen: »Hei, da sitzt e Fleig an der Wand! Fleig an der Wand! Fleig an der Wand!« und so fort bis zum Ende meines Lebens.
LEONCE
Halt’s Maul mit deinem Lied, man könnte darüber ein Narr werden.
VALERIO
So wäre man doch etwas. Ein Narr! Ein Narr! Wer will mir seine Narrheit gegen meine Vernunft verhandeln? Ha, ich bin Alexander der Große! Wie mir die Sonne eine goldne Krone in die Haare scheint, wie meine Uniform blitzt! Herr Generalissimus Heupferd, lassen Sie die Truppen anrücken! Herr Finanzminister Kreuzspinne, ich brauche Geld! Liebe Hofdame Libelle, was macht meine theure Gemahlin Bohnenstange? Ach bester Herr Leibmedicus Cantharide, ich bin um einen Erbprinzen verlegen. Und zu diesen köstlichen Phantasieen bekommt man gute Suppe, gutes Fleisch, gutes Brod, ein gutes Bett und das Haar umsonst geschoren – im Narrenhaus nämlich –, während ich mit meiner gesunden Vernunft mich höchstens noch zur Beförderung der Reife auf einen Kirschbaum verdingen könnte, um – nun? – um?
LEONCE
Um die Kirschen durch die Löcher in deinen Hosen schamroth zu machen! Aber Edelster, dein Handwerk, deine Profession, dein Gewerbe, dein Stand, deine Kunst?
VALERIO mit Würde
Herr, ich habe die große Beschäftigung, müßig zu gehen, ich habe eine ungemeine Fertigkeit im Nichtsthun, ich besitze eine ungeheure Ausdauer in der Faulheit. Keine Schwiele schändet meine Hände, der Boden hat noch keinen Tropfen von meiner Stirne getrunken, ich bin noch Jungfrau in der Arbeit, und wenn es mir nicht der Mühe zu viel wäre, würde ich mir die Mühe nehmen, Ihnen diese Verdienste weitläufiger auseinanderzusetzen.
LEONCE mit komischem Enthusiasmus
Komm an meine Brust! Bist du einer von den Göttlichen, welche mühelos mit reiner Stirne durch den Schweiß und Staub über die Heerstraße des Lebens wandeln, und mit glänzenden Sohlen und blühenden Leibern gleich seligen Göttern in den Olympus treten? Komm! Komm!
VALERIO singt im Abgehen
Hei! da sitzt e Fleig an der Wand! Fleig an der Wand! Fleig an der Wand!
