Lernen können. Lernen wollen. - Simone Kostka - E-Book

Lernen können. Lernen wollen. E-Book

Simone Kostka

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Beschreibung

Kinder mit Lernschwächen konstruktiv begleiten Was schwerfällt, macht keinen Spaß. Bei Kindern sollte diese Unlust ein Warnsignal sein: Denn gesunde Kinder wollen von Natur aus lernen. Dieses Buch geht den möglichen Ursachen für Lernschwierigkeiten auf den Grund. Es lotet Möglichkeiten und Maßnahmen aus und gibt Tipps und Hilfestellungen, um Lernschwächen frühzeitig zu erkennen oder vorzubeugen. Für Eltern, Pädagog:innen und alle, die mit lernenden Heranwachsenden zu tun haben. • Hilfreiches Hintergrundwissen aus Pädagogik, Psychologie und Neurowissenschaft • Praktische Tipps, Übungen und vorbeugende Maßnahmen • Von ADHS über Autismus bis Legasthenie: Bedeutung und Grenzen von Diagnosen

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Simone Kostka

Lernen können. Lernen wollen.

Eine geschlechtergerechte Schreibweise wird in diesem Buch vorrangig durch die Verwendung des Doppelpunktes oder durch Doppelnennungen realisiert. Wenn dies in einzelnen Fällen nicht möglich war, sind dennoch stets alle Geschlechter gemeint.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sindim Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Copyright © 2022 maudrich Verlag

Facultas Verlags- und Buchhandels AG, Wien, Österreich

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitungsowie der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten.

Alle Angaben in diesem Buch erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohneGewähr. Eine Haftung der Autorin oder des Verlages ist ausgeschlossen.Lektorat: Sabine Schlüter, Wien

Umschlaggestaltung: facultasUmschlagbild: © yanadjan, stock.adobe.com

Grafik, Typografie und Layout: Florian Spielauer, WienDruck: finidr

Printed in the E. U.

ISBN 978-3-99002-151-4

e-ISBN 978-3-99111-613-4

„Wenn das Gehirn so einfach wäre, dass wir es begreifen könnten, wären wir zu dumm, um es zu begreifen.“

Jostein Gaarder

Für

Rebecca und Eric

Johanna und Oliver

Adrian, Alina, Alissa, Ben, Benjamin, Carina, Constantin, David, Elena, Elisa, Emely, Emily, Emma, Erik, Evelien, Felix, Florentina, Ines, Johanna, Johannes, Josefine, Julia, Katharina, Larissa, Lasse, Leander, Lina, Lukas, Luna, Marcel, Marie-Valerie, Marwin, Mathias, Maximilian, Nina, Nita, Paula, Sebastian, Selina, Simon, Sophia, Steffi, Tamina, Tessa, Valentina, Vanessa, Viola

und alle Kinder, die (unerkannt) Hilfe brauchen

Inhalt

Zu diesem Buch

Teil 1: Grundlagen

1 Lernen und Neurobiologie

Teil 2: Ursachen

2 Lernen und Chemie

3 Lernen und Bewegung

4 Lernen und Motivation

5 Lernen und Entspannung

6 Lernen und Familie

7 Lernen und Beziehungen

8 Lernen und Wahrnehmung

9 Lernen und Diagnosen

10 Lernen und das System Schule

Teil 3: Möglichkeiten

Anhang

Zu diesem Buch

Eltern wünschen sich Kinder, die in der Schule selbstständig und erfolgreich sind, beliebt, selbstbewusst, dabei aber höflich, gut mitarbeiten und freundlich auftreten. Kein Fach macht Probleme. Die Hausübungen werden schnell und eigenständig erledigt, danach die Schultasche für den nächsten Tag gepackt und der Rest des Nachmittags ist Freizeit. Diese verbringt das Kind mit Sport, Kunst oder Wissenschaft, um seinen Bewegungsdrang zu befriedigen, sein Bedürfnis nach Kreativität auszuleben bzw. seine Forscher- und Entdeckerfreude zum Ausdruck zu bringen. Es ist ein guter Teamplayer, hat einen großen Freundeskreis und macht einen rundum glücklichen Eindruck, weil es sein Leben schon früh selbst im Griff hat.

Nachdem Du zu meinem Buch gegriffen hast, darf ich davon ausgehen, dass Dein Kind nicht dieses eine oben beschriebene Kind ist, sondern eines, das viel Unterstützung braucht. So viel, dass es Dir selbst über den Kopf wächst und die Harmonie des Familienlebens beeinträchtigt?

Das oben beschriebene Kind gibt es. Allerdings sehr selten. Was ist bei diesem Kind anders als bei anderen? Sein gesamtes neuronales Netzwerk ist optimal verbunden, sodass die verschiedenen Hirnareale reibungslos zusammenarbeiten. Das ist alles. Durch einen glücklichen Zufall spielen alle Bereiche, die an einem kognitiven Prozess beteiligt sind, perfekt zusammen. Ich freue mich für jeden Menschen, der von Anfang an so auf die Butterseite gefallen ist, und wünsche ihm, diese Chance erkennen und nutzen zu können.

Nun aber zu dem Kind, um das es Dir geht, einem von ganz vielen, die in mindestens einem Fach weniger gut sind oder vielleicht sogar große Probleme haben. Ganz ehrlich: Das ist aus meiner Sicht ganz normal. Ja, es ist nervtötend. Ja, es ist mühsam und aus Sicht Erwachsener unverständlich, aber es ist einfach nur menschlich. Im Volksmund geht man oft davon aus, dass jemand, der in Mathematik gut ist, es in Sprachen schwer hat. Und umgekehrt stehen die Sprachtalente mit der Logik der Zahlen auf Kriegsfuß. Und wenn doch beides einigermaßen klappt, dann kann man sich darauf verlassen, dass es andere Themen gibt wie einen mangelnden Ordnungssinn, soziale Schwierigkeiten, geringen Selbstwert, Verhaltensauffälligkeiten oder gesundheitliche bzw. ernährungstechnische Herausforderungen. Richtig?

Genauso wie es kein Patentrezept für Kindererziehung gibt, weil jedes Kind anders ist und in jeder Familie individuelle Umstände herrschen, so gibt es kein Patentrezept für eine gelungene Schulzeit. Aber es gibt von außen betrachtet eine ersichtliche Ursache, die aus dem Blickwinkel der Familie selbst schwer zu entdecken ist. Ich bin davon überzeugt, dass jede Familie und jede:r professionell Tätige versucht, im besten Sinne für das eigene oder das anvertraute Kind zu handeln. Deshalb ist mir sehr wichtig, dass Du nichts, absolut gar nichts in diesem Buch in irgendeiner Weise als Vorwurf oder Kritik verstehst. Vermutlich wird vieles für Dich neu sein, vielleicht bist Du im ersten Moment skeptisch. Wenn Du anderer Meinung bist, sieh meine Argumente als Denkansatz, als Chance, die eigene Situation zu hinterfragen. Immerhin haben Eure bisherigen Methoden noch nicht zum gewünschten Erfolg geführt. Zeit, etwas Neues zu probieren?

Trotz all unserer technischen Errungenschaften und der vielen Erkenntnisse darüber, wie unser Gehirn funktioniert, sind wir Menschen leider noch immer nicht modern genug, um zu verstehen, dass stures Pauken bei Lernproblemen wenig bis gar keinen Sinn macht. Im Gegenteil, möglicherweise macht das ständige Ankämpfen gegen Blockaden alles noch schlimmer. Unser individuelles neurobiologisches Netzwerk muss gut abgestimmt und unsere Hirnareale müssen optimal verbunden sein, um Reize schnell an die richtigen Bereiche zu bringen. Erst wenn das funktioniert, können Lernprozesse erfolgreich sein.

Deshalb werde ich Dir nicht erzählen, dass Du mit Deinem Kind lesen üben musst, wenn es Schwierigkeiten beim Lesen hat. Ich werde Dir auch nicht erzählen, dass Du mit Deinem Kind Lernworte üben musst, wenn es Schwierigkeiten bei der Rechtschreibung hat. Und genauso wenig werde ich empfehlen, Rechnen zu üben, wenn es kein Verständnis für Zahlen hat. Wieso? Weil das nur Symptome sind für etwas, dessen Ursache wir herausfinden müssen.

Zum besseren Verständnis hier ein Vergleich mit einer körperlichen Krankheit: Nehmen wir an, Du hast ein Magengeschwür und deswegen häufig Bauchschmerzen. Du nimmst gegen die Schmerzen eine Tablette. Sie verschafft Dir kurz Erleichterung, bekämpft aber nicht die Ursache, nämlich das Geschwür selbst. Wenn Dein Kind also trotz mindestens durchschnittlich guter Intelligenz Schwierigkeiten beim Lesen, dem graphomotorischen Schreiben, dem Rechtschreiben oder dem Rechnen hat, dann hat das eine Ursache. Wenn Du die Ursache herausgefunden hast, kannst Du an ihr arbeiten. Wenn die Ursache (weitestgehend) aufgelöst wurde, verschwinden die meisten Symptome, also das Lese-, Schreib- oder Rechenproblem.

Um eben diese Ursachen zu verstehen, ist es wichtig, die neurobiologischen Grundlagen, die ich im ersten Teil des Buches beschreibe, zu kennen. Auch wenn ich selbst sowohl diese Vorgänge als auch ihre Folgen ausgesprochen spannend finde, kann ich mir vorstellen, dass dies für viele ein eher trockenes Thema ist. Ich bitte Dich, diese Seiten trotzdem aufmerksam zu lesen. Denn Dein erster Schritt zur Verbesserung Eurer schulischen Situation ist es, zu verstehen, wie die Abläufe im Körper mit den praktischen Umsetzungsproblemen beim schulischen Lernen zusammenhängen: Damit Du Dich besser in Kinder hineinversetzen kannst und nicht zu schnell über ihre Fähigkeiten (oder Un-Fähigkeiten) urteilst, braucht es etwas Abstand und eine veränderte Sichtweise. Änderst Du Deinen Blickwinkel auf ein spezifisches Problem, können auf einmal Zusammenhänge sichtbar werden, die vorher scheinbar in keiner Verbindung zueinander standen, und plötzlich ist die Ursache offensichtlich. Hast Du diese erkannt, kann das Symptom bearbeitet und in der Folge gelöst werden.

Nicht jedes Kind, das in der Schule unterstützt werden muss, hat eine Lernschwäche. Aber bei jedem Kind, das Unterstützung braucht, gibt es dafür eine Ursache. Die Anregungen in diesem Buch können Dir und Deinem Kind in jedem Fall helfen – unabhängig davon, ob es bereits Schwierigkeiten (mit oder ohne Diagnose) gibt und wie massiv diese sind. Hast Du eine entsprechende Rückmeldung von der Schule? Oder hast Du selbst das Gefühl, dass Dein Kind es etwas schwerer hat als andere, und Du möchtest Hilfestellung bieten? Oder beschäftigst Du Dich vorbeugend mit dem Thema, weil Dein Kind in den nächsten Jahren in die Schule kommen wird und es in Deiner Familie in vorherigen Generationen Lernprobleme gab? Es ist nicht wichtig, wo Ihr jetzt gerade steht, denn es ist immer der richtige Zeitpunkt für einen neuen Zugang. Und wenn es mir gelingt, Dir diesen neuen Zugang zu den Bedürfnissen Deines Kindes zu eröffnen, habe ich mit diesem Buch mein Ziel erreicht.

Teil 1

… in dem ich Dir zeigen möchte, was hinter unseren Denk- und Lernprozessen abläuft.

1 Lernen und Neurobiologie

Durch meine tägliche pädagogische Arbeit, insbesondere durch die Grenzen, an die ich immer wieder gestoßen bin, wurde mir klar, dass effizientes und gleichzeitig motivierendes, unterstützendes und auch geduldiges Lehren und Fördern nur dann gelingen kann, wenn man die neurobiologischen Zusammenhänge kennt, die dabei in einem lernenden Menschen vor sich gehen. Ohne dieses Wissen halte ich es für sehr schwierig, das entsprechende Verständnis für Fehler, für Unverständnis oder Unaufmerksamkeit aufzubringen. Stattdessen können Aussagen wie „Du musst Dich doch nur besser konzentrieren“ im besten Fall gar nichts bewirken, im schlechtesten Fall genau das Gegenteil, nämlich eine nicht beabsichtigte Störung oder Behinderung von Lernprozessen bis hin zu Selbstzweifeln und schließlich Verweigerung.

Mittlerweile weiß die Hirnforschung viel über die neurobiologischen Vorgänge im Gehirn, allerdings fehlen die praktischen Anknüpfungspunkte dazu im Alltag, obwohl das sehr wichtig für die Leistung, den Erfolg, den Selbstwert und das Weiterkommen in Schule und Beruf wäre. Je komplexer ein Thema ist, desto einfacher sollte man es darstellen, finde ich. Wer sich intensiver damit befassen möchte, dem empfehle ich Literatur von Manfred Spitzer, Gerald Hüther oder anderen großen Wissenschaftler:innen zu diesem Thema.

Wie natürliches Lernen funktioniert, hat Dir Dein Baby im Laufe seiner Entwicklung gezeigt. Es hat mit einer erstaunlichen Kontinuität und einem Durchhaltevermögen, das Erwachsene sich schon längst abgewöhnt haben, immer dasselbe geübt, bis es endlich konnte, was es wollte. Keiner hat ihm gesagt, dass es dieses oder jenes machen soll, sondern es hat getan, was es tun wollte, auf seine eigene Art und Weise. Es hat gespürt, was richtig ist, weil Lernen auf diese Weise die natürlichste Sache auf der Welt ist, Freude macht und Erfolg bringt.

Das Gehirn

Das menschliche Gehirn setzt sich grob gesagt aus drei Bereichen zusammen, die zu verstehen wichtig ist. Alles, was die unbewusste Steuerung unseres Körpers betrifft, ist weitestgehend im Stammhirn und Kleinhirn verankert. Hier werden Atmung, Verdauung, der Herzschlag und Bewegungen reguliert, das alles funktioniert ganz von allein.

Etwas komplexer ist das limbische System. Hier sitzen unsere bewusste Denkleistung, die Impulskontrolle, die Handlungsmotivation und damit verbunden unsere Gefühle wie Freude, Angst, Liebe, Freundschaft, Hoffnung – all diese Empfindungen und noch viele mehr werden dort gebildet. Auch Säugetiere haben ein limbisches System; Kühe haben beispielsweise, so kann man schließen, beste Freunde.

Ein Teil des limbischen Systems und gleichzeitig unser Kontrollorgan, das filtert, ob ein Reiz relevant ist oder nicht, ist der Hippocampus. Man kann ihn sich in etwa wie den Türsteher in einer Disco vorstellen, der bestimmt, wer eingelassen wird und wer nicht. Er prüft eintreffende Reize auf Wichtigkeit und Vorerfahrungen. Sind die Informationen langweilig, werden sie sofort vergessen. Umso verständlicher, dass Kinder das, was sie nicht interessiert, buchstäblich in den kognitiven Mistkübel werfen.

Ein Nachbar des Hippocampus ist die Amygdala, die sehr sensibel auf alle negativen Reize reagiert und Druck, Stress und Angst sofort meldet. Genau die gegenteilige Funktion hat das mesolimbische System, das offen ist für Motivation und aktiv wird, sobald eine Belohnung in Aussicht gestellt wird. Anerkennung, ernstgemeintes Lob, Selbstbestätigung, Stolz auf die eigene Leistung, all diese Emotionen werden hier verarbeitet.

Hat ein Reiz die Zensur des limbischen Systems bestanden, wird er ins Kurzzeitgedächtnis eingelassen und in weiterer Folge ins Langzeitgedächtnis transferiert. Für das längerfristige Abspeichern von Gelerntem gibt es im Großhirn oder Neocortex verschiedene Areale.

Dieser Teil ist wohl die faszinierendste Errungenschaft der Evolution, weil wir in ihm das finden, was uns zum Menschen macht: Wir können über uns selbst reflektieren, wir können Sprache nutzen, wir können einen Beruf wählen, wir können kreativ sein und Musik, Kunst und Literatur erschaffen, wir können technische Erfindungen machen und viele andere gewaltige Dinge mehr – nur dank des Neocortex.

Organisch betrachtet ist er eine dünne, gefaltete Haut, die ausgerollt etwa die Größe einer Zeitungsseite hätte. Dort speichern wir in den dafür vorgesehenen Bereichen alle Fähigkeiten ab, die wir uns aneignen. Das Großhirn besteht aus einer rechten und linken Hälfte, die mit einem dicken Strang an neuronalen Verbindungen, dem Corpus Callosum, verbunden sind. Die beiden Hälften sehen zwar gleich aus, sind aber für verschiedene Fähigkeiten zuständig. Zum einen steuern sie die jeweils gegenüberliegende Körperseite. Beispielsweise wird die linke Hand von der rechten Gehirnhälfte gesteuert und das rechte Auge oder das rechte Ohr von der linken Gehirnhälfte. Abgesehen davon funktionieren sie in gewisser Weise anders. Während die linke Gehirnhälfte sich liebend gerne mit Details beschäftigt – mit all den Dingen, die in der Schule wichtig sind, wie Zahlen, Buchstaben, Strukturen –, aber dafür das große Ganze nicht erfassen kann, macht sich die rechte Gehirnhälfte ein umfassendes Bild. Dabei achtet sie nicht auf Details, sondern denkt ähnlich wie im Film, ist ausgesprochen kreativ und produktiv. Jede Gehirnhälfte für sich allein ist nicht sehr effizient. Die besten Ergebnisse erzielen wir, wenn sich beide Seiten über das Corpus Callosum austauschen. Man könnte auch sagen, „sie arbeiten zusammen“. Dabei ist wichtig, zu wissen, dass eine der beiden Gehirnhälften dominant ist. Welche der beiden das Sagen hat, ist in uns veranlagt.

Die wohl herausragendsten Fähigkeiten von Menschen Tieren gegenüber sind Sprache, Lesen, Schreiben und Rechnen. Sprache ermöglicht es uns, die Bedeutung von Informationen zu prüfen und als positiv oder negativ zu bewerten bzw. darauf zu reagieren. Dafür stehen uns zwei getrennte Bereiche zur Verfügung, die zusammenarbeiten: Das Wernicke-Zentrum ist in erster Linie für das Verständnis zuständig, während das Broca-Areal das Sprechen steuert.

Die verschiedenen Gehirnteile würden uns nicht viel nützen, hätten wir kein dazugeschaltetes System, das Reize zur Weiterverarbeitung an die richtigen Stellen bringt. Dazu gibt es das neuronale Netz, das durch Milliarden Verknüpfungen über unseren gesamten Körper verteilt ist; viele davon haben sich bereits im Mutterleib gebildet. Abgesehen von gewissen Hauptverbindungen gibt es unter der enormen Anzahl an Neuronen unendlich viele Verknüpfungsmöglichkeiten. Die je eigene Art und Weise der Verbindungen macht jeden Menschen so speziell und individuell. Egal ob wir es Verstand, Logik, Psyche, Intelligenz, Lernfähigkeit, Begabung oder Motivation nennen, im Endeffekt ist es die Art und Weise, wie unsere Verknüpfungen angelegt sind, die für unser „Funktionieren“, unsere kognitiven Aktionen und Reaktionen verantwortlich sind. Die einzigartige Kombination steuert unser Denken, Fühlen und Handeln und unsere Leistungsfähigkeit.

Das neuronale Netz

Nervenzellen haben einen Zellkern, von dem etwas breitere Axone und etwas schmälere Dendriten abgehen, wie viele kleine Ärmchen mit immer dünner werdenden Verzweigungen. Manche erinnern an Hände mit vielen Fingern, manche an kleine Bäume. Dein Baby kam bereits mit etwa 100 Milliarden solcher lose miteinander verbundenen Nervenzellen oder Neuronen zur Welt. Die Nervenzellen dienen dazu, jede Art von Reizen – also alles, was wir hören, was wir sehen, was wir schmecken, fühlen und was sonst eben auf unseren Körper einströmt – in die Zentrale im Gehirn weiterzuleiten. Nervenbahnen sind eine Vielzahl nicht direkt aneinander anknüpfender Nervenzellen mit kleinen Verbindungsstellen an den Zwischenräumen.

Diese Verbindungsstellen heißen Synapsen. Hier stoßen entweder zwei Neuronen zusammen oder auch ein Neuron und eine Muskelfaser oder eine Sinneszelle, wobei die beiden Zellen einander nicht direkt berühren. Dazwischen liegt der synaptische Spalt, über den die Reize in gewisser Weise „springen“. So wandert ein Reiz von Nervenzelle zu Nervenzelle über unser Netzwerk mit einer Geschwindigkeit von etwa 400 km/h bis in unser Gehirn. Bekannte Informationen, also Reize, die wir früher schon gehört, gesehen, gerochen etc. haben, benutzen immer denselben Weg zur selben Stelle im Cortex. Wenn der Reiz häufig eintrifft, verstärkt sich der Weg, den er nimmt, während für neue Informationen neue Synapsen gebildet werden. Deswegen ist es anstrengend, Neues zu lernen.

Für eine schnelle Weiterleitung brauchen wir ein gut entwickeltes Netz von Neuronen. Dieses wird im Baby- und Kleinkindalter durch Stoffwechselprozesse aufgebaut. Innerhalb von nur einem Jahr verdreifacht sich die Gehirnmasse des Kindes dadurch, dass die vorhandenen Verbindungen sich verfestigen und neue Neuronenpopulationen bilden. Mit anderen Worten: dadurch, dass Dein Baby lernt. Nie wieder im gesamten restlichen Leben können Menschen so viel so schnell lernen.

Trotzdem kann ein Baby anfangs kaum etwas bewusst tun. Die sogenannten frühkindlichen Reflexe, jene entzückenden unkontrollierten Bewegungen noch sehr kleiner Babys, sind eine Vorstufe, um die bewusste Steuerung seines Körpers zu erlernen. Reflexe können wir nicht kontrollieren, sie treten einfach auf, wenn der Körper es für richtig hält. Sobald Bewegen und Denken bewusst gesteuert werden, brauchen wir sie nicht mehr. Sie sind dann in den Körper integriert.