Lie For Me (For-Me-Reihe 2) - Veronika Mauel - E-Book

Lie For Me (For-Me-Reihe 2) E-Book

Veronika Mauel

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Beschreibung

Während Annabell in ihrem zerrütteten Zuhause noch immer die wohlerzogene Arzttochter spielen muss, wünscht sie sich nichts mehr, als Trost in Kais Armen zu finden. Doch der Bad Boy setzt aus unerklärlichen Gründen alles daran, dass sie ihn hasst und zieht Annabell damit in eine gefährliche, bodenlose Tiefe … **Wenn die Wahrheit ans Licht kommt** Nie im Leben hätte Annabell gedacht, dass sie ihr Herz an einen Bad Boy wie Kai verlieren würde. Oder dass er sich wieder in den abweisenden Menschen von früher verwandeln könnte. Als Kai zu seiner alten Gang zurückkehrt und sie plötzlich wie Dreck behandelt, bricht für Annabell eine Welt zusammen. Sie ahnt nicht, dass Kai sie vor einer Wahrheit zu schützen versucht, die ihr Leben für immer zerstören würde. Doch egal, wie sehr Kai sich auch um Abstand bemüht, er kann einfach nicht dabei zusehen, wie Annabell sich seinetwegen selbst zugrunde richtet ... //»Lie For Me« ist der zweite Band der »For-Me-Reihe« von Veronika Mauel. Es handelt sich um eine Neuauflage der Romance-Reihe »Kai & Annabell«. Alle Bände der Bad Boy-Trilogie bei Impress:  -- Risk For Me (Band 1) -- Lie For Me (Band 2) -- Bad For Me (Band 3) Diese Reihe ist abgeschlossen.//

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Veronika Mauel

Lie For Me (For-Me-Reihe 2)

**Wenn die Wahrheit ans Licht kommt**

Nie im Leben hätte Annabell gedacht, dass sie ihr Herz an einen Bad Boy wie Kai verlieren würde. Oder dass er sich wieder in den abweisenden Menschen von früher verwandeln könnte. Als Kai zu seiner alten Gang zurückkehrt und sie plötzlich wie Dreck behandelt, bricht für Annabell eine Welt zusammen. Sie ahnt nicht, dass Kai sie vor einer Wahrheit zu schützen versucht, die ihr Leben für immer zerstören würde. Doch egal, wie sehr Kai sich auch um Abstand bemüht, er kann einfach nicht dabei zusehen, wie Annabell sich seinetwegen selbst zugrunde richtet …

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Vita

© privat

Veronika Mauel wuchs in einer Kleinstadt in der schönen Oberpfalz auf. Bereits als Jugendliche schrieb sie selbst erfundene Geschichten. Auch während und nach ihrer Ausbildung zur Erzieherin begeisterte sie mit ihren Erzählungen ihre Schützlinge im Kindergarten. Ihre Leidenschaft gilt Jugendbüchern mit einem Touch Romantik.

Warum hört dieses Kind nicht auf zu schreien? Tag und Nacht lässt es mir keine Ruhe. Ich bin kurz davor durchzudrehen. Wieso habe ich es überhaupt auf die Welt gebracht! Aber es war notwendig, um meinen Plan in die Tat umzusetzen. Dieses Schwein soll bluten. Sein Leben lang! Ich wollte nie ein Kind. Außer vielleicht, wenn es dazu einen Mann gegeben hätte, der mich bedingungslos liebt. Doch ich wurde noch nicht einmal respektiert.

Mit zitternden Händen öffne ich das Kuvert und ziehe ein Blatt hervor. Das ist meine große Chance auf ein halbwegs gesichertes Leben. Vorsichtig falte ich den Zettel auseinander. Die langen Erläuterungen interessieren mich nicht. Für mich ist nur der letzte Satz ausschlaggebend.

»Die Vaterschaft ist zu 99,98 Prozent ausgeschlossen.«

Was? Das kann nicht sein! Meine Hand zerknüllt das Blatt und ich werfe dem Balg, das mittlerweile ruhig geworden ist und aus der Flasche trinkt, hasserfüllte Blicke zu. Wie kann mich das Schicksal nur so bestrafen! Es war alles umsonst! Und dafür habe ich nun dieses ständig plärrende Bündel am Hals. Wutentbrannt greife ich mir ein Kissen vom Sofa hinter mir und presse es auf das kleine runde Gesicht. Ich kann es nicht länger sehen! Nicht länger ertragen!

Das Kind ist ganz still und wehrt sich nicht einmal.

Plötzlich schießt ein Gedanke durch meinen Kopf. Ich reiße das Kissen von seinem Gesicht, es sieht mich aus runden Augen freundlich an.

Ich knülle den Vaterschaftstest zu einer kleinen Kugel und stopfe ihn in die kleine Zuckerdose, die ganz oben auf dem Wohnzimmerschrank vor sich hin staubt. Dies wird für immer mein Geheimnis bleiben. Der Arsch hat es verdient, dass er zahlt. Ich werde ihm jede Menge Geld dafür abknöpfen.

Ich greife nach dem Hörer des Telefons und wähle mit einem selbstzufriedenen Grinsen die Nummer von Manfred Beck.

1. Kapitel

Annabell

Ich bin so froh, dass sich zwischen Kai und mir alles geklärt hat. Wie konnte ich meine Liebe zu ihm so lange leugnen? Trotzdem beunruhigt mich immer noch, dass sich mein Vater zu der ganzen Sache nicht äußert. Kai hat ihm eindeutig gedroht und mein Dad ist keiner, der so etwas einfach hinnimmt. Er gehört zur obersten Gesellschaftsschicht dieser Stadt und seine Kontakte reichen von der Polizei bis zur Staatsanwaltschaft. Mir graut vor dem Nachspiel, das es mit Sicherheit irgendwann geben wird. Vorerst schiebe ich diesen Gedanken jedoch weit von mir weg und kuschele mich zu Hause in mein Bett. Endlich darf ich mir erlauben von Kai zu träumen, ohne Angst vor meinen oder seinen Gefühlen haben zu müssen. Niemals hätte ich gedacht, dass er für mich seine Gang aufgibt und mir eine ehrliche Liebeserklärung macht.

Verträumt male ich Kringel auf meine Bettdecke und denke an unseren letzten Kuss.

Als ich am Morgen in die Schule gehe, bin ich noch immer ganz aufgeregt vor Glück. Ich muss mich mehrfach beherrschen, keinen schwülstigen Schlager vor mich hin zu trällern. Am liebsten würde ich die Schule sausenlassen und sofort zu Kai gehen, der den Unterricht mit seinen fürchterlichen Blessuren wohl nicht besuchen wird. Doch es hilft nichts, ich muss da hingehen, schon allein um meinen Vater gnädig zu stimmen.

Luise, Eva und Charlotte warten bereits an der Bushaltestelle und blättern in der neusten Ausgabe der Vogue. Als meine beste Freundin mich sieht, kommt sie sofort auf mich zu. Anscheinend sieht man mir mein Glück an, denn Luise lächelt und umarmt mich.

»Alles klar zwischen euch?«, flüstert sie in mein Ohr.

»Ja.« Ich lächle selig. »JA!«, brülle ich und drehe mich lachend im Kreis.

Eva und Charlotte sehen mich an, als ob ich durchgeknallt wäre.

»Stehst du etwa schon morgens unter Drogen?«, fragt Eva spöttisch.

Ich übergehe ihre spitze Bemerkung, denn ich bin im Moment einfach zu gut drauf, um mich ärgern zu lassen.

Im Unterricht muss ich mehrmals zur Konzentration ermahnt werden und von Frau Lang heimse ich fast eine Strafarbeit ein, weil ich während einer Frage, die an mich gerichtet war, geträumt habe. Doch das alles kann mir meine Hochstimmung nicht verderben.

»Sieht Kai eigentlich wirklich so schlimm aus, wie Ben erzählt hat?«, fragt Luise, als wir nach dem Unterricht zum Bus gehen.

»Er sieht ziemlich übel aus«, erwidere ich ernst.

Luise schüttelt den Kopf. »Diese Idioten gehören eigentlich angezeigt. Weißt du, ob Kai da irgendwas unternehmen wird?«

»Ich weiß nicht, aber so, wie ich ihn einschätze, wohl eher nicht.«

Luise stößt ein verächtliches Schnauben aus. Wir haben die Haltestelle schon fast erreicht.

»Männer! Das hat bestimmt wieder so einen dämlichen Grund wie ein Ehrenkodex oder so was, dass er den Mund nicht aufmacht.«

Ich zucke die Schultern, weil ich wirklich keine Ahnung habe. Außerdem ist es mir im Moment auch total egal. Ich will jetzt sofort zu ihm. Ungeduldig knackse ich mit den Fingerknöcheln.

»Luise? Bist du mir böse, wenn wir heute Nachmittag doch nicht zum Shoppen in die Stadt gehen?«

»Du willst zu Kai, stimmt‘s?«

Ich lächle entschuldigend. »Es tut mir leid, aber …«

»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Bella. Ich verstehe das. Richte Kai gute Besserung und liebe Grüße aus. Ich hoffe, wir können bald wieder etwas zu viert unternehmen.«

»Luise, du bist die beste Freundin der Welt!« Stürmisch falle ich ihr um den Hals und drücke ihr einen Schmatzer auf die Wange. Luise schiebt mich lachend von sich.

»Heb dir deine Küsse lieber für Kai auf. Ich wette, er freut sich drauf und kann es kaum erwarten, dich wiederzusehen.«

Zu Hause angekommen, pfeffere ich meine Schultasche in die Ecke und mache mich mit einem Maikäfergrinsen auf den Weg zu Kai, der sicher schon auf mich wartet.

Kai

Ich habe die Nacht auf einer Parkbank verbracht, was meinem geschundenen Körper alles andere als gutgetan hat. Ich komme mir vor wie ein echter Penner. Seit den frühen Morgenstunden geistere ich orientierungslos durch diese beschissene Stadt. Mein Magen knurrt und meine Kehle brennt vor Durst. Ich wühle in meiner Hose nach Geldstücken und stoße auf meinen Motorradschlüssel. Das Bike steht immer noch vor dem Quartier der Gang. Ich will mich dort nicht sehen lassen. Vielleicht hilft Ben mir noch ein letztes Mal und holt das Teil für mich. Ich beschließe ihn später zu fragen.

Meiner gebrochenen Rippe tut das Laufen gut. Solange ich stehe und mich langsam bewege, sind die Schmerzen einigermaßen erträglich. Wenn ich liege, ist es am schlimmsten. Heute Nacht auf der Parkbank dachte ich, dass ich vor Schmerzen umkomme. Aber egal, morgen werde ich wieder in die Schule gehen. Ohne Krankmeldung kann ich es mir nicht leisten, noch länger zu fehlen, vor allem weil ich in letzter Zeit wegen Annabell so oft geschwänzt habe.

Heilige Scheiße! Allein bei dem Gedanken an ihren Namen zittert mein ganzer Körper vor Begehren. Ständig frage ich mich, ob ich ihr reinen Wein einschenken oder die Wahrheit für mich behalten soll.

Ich lehne mich an den Brunnen am Marktplatz und schöpfe Wasser mit der hohlen Hand. Eine alte Frau geht an mir vorbei und zieht missbilligend die Augenbrauen in die Höhe.

»Is‘ was?«, schnauze ich sie an.

»Siehst du nicht, dass das kein Trinkwasser ist?« Sie weist mit ihren knöchrigen Fingern auf ein Schild, das am Brunnenrand angebracht ist.

»Kümmere dich um deinen eigenen verfickten Scheiß!«, herrsche ich sie an und stemme die Hände in die Seite, wobei mich meine schmerzende Rippe fast umbringt.

Angst spricht aus den Augen der alten Frau und sie huscht schnell davon.

Die Sonne brennt heiß vom Himmel und ich schwitze. Ich lehne mich an den Brunnenrand und genieße die Kühle, die der Stein noch von der Nacht gespeichert hat.

Ich kann Annabell nicht sagen, was Sache ist, schießt es mir durch den Kopf. In Gedanken male ich mir aus, was passieren würde, wenn sie die Wahrheit wüsste.

Annabells Familie, ihre ganze Welt würde zerbrechen. Sie wäre Gesprächsthema Nummer eins in der Schule und würde es wahrscheinlich nicht akzeptieren, dass ich ihr nie mehr nahe sein kann.

Und mit beschissenen Vorschlägen nach dem Motto »Dann lass uns eben Freunde sein!« kann ich echt nichts anfangen. Um ehrlich zu sein, darauf scheiß ich! Ich will sie ganz oder gar nicht.

Ich bin doch kein kranker Idiot, der neben seiner Schwester sitzt und ständig daran denkt, wie es wäre, sie zu vögeln. Außerdem weiß ich, dass es sie innerlich auffressen würde, wenn ich nur ein Scheißfreund für sie sein könnte.

Ich muss sie im Unklaren lassen und das bedeutet, dass ich mit ihr Schluss machen muss, was alles andere als leicht werden wird.

Ich möchte nicht, dass sie leidet. Es reicht schon, wenn einer von uns beiden das tut. Ich muss sie dazu bringen, dass sie mich hasst. Dann wird es einfacher für sie, mich gehen zu lassen. Es fällt mir nicht leicht, ihr wehzutun, doch es bleibt mir ja nichts anderes übrig.

Warum muss ich eigentlich immer die Arschkarte ziehen?

2. Kapitel

Annabell

Beschwingt springe ich vom Fahrrad, noch bevor es richtig zum Stehen gekommen ist, und angle mir die Bäckertüte mit den Schokomuffins vom Gepäckträger.

Ich schicke ein Stoßgebet zum Himmel, dass seine Mutter nicht zu Hause ist. Diese Frau macht mir Angst und wenn sie auftaucht, jagt es mir jedes Mal einen Schauer über den Rücken. Außerdem empfinde ich ihr gegenüber nichts als Verachtung. Ich verstehe nicht, wie eine Mutter ihr eigenes Kind in so einer Hölle aufwachsen lassen kann.

Erstaunt stelle ich fest, dass die Haustür heute verschlossen ist. Normalerweise macht sich hier niemand die Mühe. Ich hole tief Luft, drücke auf die Klingel und nehme mir fest vor, mich von seiner Mutter nicht abwimmeln zu lassen.

Trotzdem pocht mein Herz unnatürlich schnell.

Nichts regt sich. Ich klingele noch einmal und merke, wie ich nervös werde. Ungeduldig trete ich von einem Fuß auf den anderen.

Beim dritten Klingeln regt sich die Sorge in mir. Wo ist Kai?

In seinem Zustand kann er unmöglich das Haus verlassen haben. Ob ihn seine Mutter wohl wieder eingeschlossen hat? Ich gehe um das Haus herum und hebe drei kleine Steinchen vom Boden, die ich nacheinander an seine Fensterscheibe werfe.

Grottentiefe Stille. Meine Sorge verwandelt sich allmählich in Angst. Obwohl ich es nicht will, regen sich leichte Zweifel in mir. Steht doch noch etwas zwischen uns? Ich dachte, Kai und ich hätten alles geklärt … Warum versteckt er sich? Warum macht er die Tür nicht auf?

Ich kann mir einfach keinen Reim darauf machen, was mit Kai da oben los ist. Vielleicht liegt er auch seelenruhig in seinem Bett und hat keinen Bock darauf mich zu sehen. Meine Euphorie von heute Morgen ist gänzlich verflogen. Lähmende Leere macht sich in mir breit.

War etwa doch alles nur Lüge? Dabei hat es aus seinem Mund so wahr geklungen. Ist ihm etwas passiert? Braucht er meine Hilfe? So viele Fragen und auf keine davon eine Antwort. Die Einzige, die Bescheid wissen könnte, ist seine Mutter, doch die ist offenbar nicht zu Hause.

Ich lehne mich an mein Fahrrad und bin kurz davor, in Tränen auszubrechen, als mir einfällt, was Kai erzählt hat. Der Imbissstand ist der Ort, an dem seine Mum häufig anzutreffen ist. Auch wenn ich eine Heidenangst davor habe, Kais Mutter anzusprechen - die Angst, dass ihm etwas passiert sein könnte oder dass er doch nur mit mir spielt, ist weitaus größer.

Ich setze mich auf mein Fahrrad und trete in die Pedale. Nur mit Mühe gelingt es mir, die Tränen zu unterdrücken. Aber ich will mir nicht die Blöße geben, Kais Mutter als heulendes Elend gegenüberzutreten.

Kurze Zeit später komme ich vor dem Imbiss zum Stehen. Kais Mutter sitzt tatsächlich auf einem der alten Klappstühle. Vor ihr auf dem Tisch stehen einige leere Bierdosen und ein Teller, auf dem Reste von Ketchup und ein paar Pommes zu erkennen sind.

Mein Herz pocht so laut, dass ich Angst habe, sie könnte es hören, als ich näher trete. Die Frau sieht so … verwahrlost aus. Das fettige Haar hängt ihr strähnig ins Gesicht und in ihre Wangen und die Stirn haben sich tiefe Falten gegraben. Ihr Blick wirkt orientierungslos und lässt darauf schließen, dass sie einige Promille im Blut hat. Angespannt knete ich meine Finger, während ich an ihren Tisch trete.

»Hallo, Frau Kestner!«

Sie ignoriert mich völlig, sieht durch mich hindurch, als wäre ich gar nicht vorhanden. Ich bin mir nicht sicher, ob das nur am Alkohol liegt oder ob sie mich absichtlich disst.

Ich komme mir total dämlich vor. Doch wenn ich wissen will, warum bei ihr zu Hause niemand öffnet, muss ich über meinen Schatten springen und sie zum Reden bringen.

Ich atme tief ein.

»Frau Kestner, ich … äh, haben Sie eine Ahnung, wo Kai ist? Bei Ihnen zu Hause macht niemand auf und ich dachte, wenn …«

Sie dreht ihren Kopf und wirft mir ein so eiskaltes Lächeln zu, dass ich an den Armen Gänsehaut bekomme.

»Kai?« Sie lacht hämisch auf. »Du meinst Kai? Meinen Sohn?« So, wie sie es sagt, wirkt es fast wie eine Beleidigung.

»Ja, Kai. Wo ist er?« Meine Stimme klingt flehend.

»Er ist weg!«, lallt sie und kichert.

Mein Herz krampft sich zusammen.

»Was meinen Sie damit?« Ich sehe sie argwöhnisch an.

»Er ist weggegangen. Für immer! Und jetzt sieh zu, dass du Land gewinnst, du kleine Schlampe! Du hast doch nicht ernsthaft geglaubt, dass er sich für dich interessiert?« Wieder lacht sie, als ob sie irre wäre, und vielleicht ist sie das ja auch.

Aber sagen Kinder und Betrunkene nicht immer die Wahrheit?

Und falls es stimmt, was sie sagt … Gott! Daran will ich nicht einmal denken. Warum ist er weg und wohin ist er gegangen?

»Verpiss dich, du Flittchen, und lass dich nie wieder blicken!«, schreit sie mich an.

Jetzt kommen mir tatsächlich die Tränen. Mich hat noch nie jemand Flittchen genannt und dass Kai angeblich fort sein soll, macht mich völlig fertig.

Mit hochrotem Kopf und von Tränen verschmiertem Gesicht steige ich auf mein Fahrrad und fahre nach Hause. Aber ich bin weder dazu fähig, meine Hausaufgaben zu erledigen, noch sonst irgendetwas in Angriff zu nehmen. Wie eine leblose Hülle liege ich auf meinem Bett und heule mir die Augen aus dem Kopf. Diesen Schmerz, diese Trauer! Ich kann sie nicht ertragen. Wieso tut er mir das an? Ich liebe ihn so sehr. Ich fühle mich wie eine Marionette, von unsichtbaren Fäden gezogen, während ich in den Weinkeller meines Vaters gehe und mir wahllos eine Flasche herausgreife.

Zurück in meinem Zimmer schraube ich sie auf, mache mir nicht einmal die Mühe ein Glas zu holen und nehme direkt aus der Flasche einen tiefen Zug.

Die Leere in meinem Magen füllt sich augenblicklich und je mehr ich trinke desto versöhnlicher werde ich. Kais Mutter hat sicher gelogen. Er ist bestimmt beim Arzt gewesen. Oder er war in der Apotheke, um Schmerzmittel zu besorgen. Oder er hat tief und fest geschlafen. Oder … In meinem alkoholisierten Zustand fallen mir noch eine ganze Reihe von »Oders« ein.

Ich trinke, bis nichts mehr übrig ist. Dann schiebe ich die Flasche mit letzter Kraft unter das Bett und falle in einen komatösen Schlaf.

Als mein Wecker klingelt, wage ich es fast nicht, mich zu bewegen. Ich habe Angst vor den hämmernden Kopfschmerzen und der lähmenden Übelkeit. Schon wieder habe ich meinen Kummer im Alkohol ertränkt. Mir fällt Kais Mutter ein, die aussieht wie ein Zombie, weil die ständige Sauferei hässliche Spuren bei ihr hinterlassen hat. Ich will nicht so enden wie sie. Meine Trinkerei muss ein Ende haben. Doch wenn ich an gestern denke und an die nagende Ungewissheit, würde ich am liebsten die nächste Flasche köpfen.

»Annabell! Steh auf!« Meine Mutter reißt die Tür auf und funkelt mich wütend an. »Hast du mal auf die Uhr gesehen? Du kommst zu spät zum Unterricht! In zehn Minuten bist du am Frühstückstisch!«

Geräuschvoll trampelt sie die Treppe nach unten.

Keine Ahnung, warum sie um diese Uhrzeit schon so wütend ist.

Mühsam quäle ich mich aus dem Bett und schleppe mich ins Bad. Ich habe absolut keine Energie. Wenigstens sind die Nachwirkungen meines Alkoholkonsums diesmal einigermaßen erträglich. Offenbar vertrage ich Wein besser als andere Sachen. Mit einem flauen Gefühl im Magen und leicht schwindelig steige ich kurz unter die Dusche, putze mir die Zähne und finde mich wenig später am Küchentisch wieder.

»So willst du gehen?« Meine Mutter hebt mit spitzen Fingern meinen noch feuchten Pferdeschwanz in die Höhe.

»Guten Morgen, Mum. Tut mir leid, ich hatte keine Zeit mehr fürs Fönen.«

»Dann musst du eben früher aufstehen. Jetzt gehst du nach oben, trocknest deine Haare und schminkst dich ordentlich.«

»Aber dann komme ich wirklich zu spät zur Schule.« Ich sehe sie genervt an.

»Keine Widerrede, Annabell! Ich fahre dich heute.«

Willenlos schleiche ich mich zurück und tue, was meine Mutter von mir erwartet. Ich blicke in den Spiegel, doch ich sehe mich nicht wirklich. In Gedanken bin ich weit weg. Werde ich Kai jemals wiedersehen?

Kai

Ich habe es nicht über mich gebracht Ben anzurufen, obwohl ich mein Bike wirklich gerne wiederhätte. Immerhin ist es alles, was ich jetzt noch besitze. Doch wie könnte ich einen Freund von Annabell in diese ganze Sache mit hineinziehen? Wenn ich diese Show abziehe, wird nicht nur Annabell mich hassen, sondern auch ihre ganze Clique.

Ich bin scheißfroh, wenigstens an meinen Schulrucksack gedacht zu haben, als ich abgehauen bin. Das erspart mir die Peinlichkeit, noch einmal zu Hause auflaufen zu müssen.

Diese Nacht habe ich im Pausenhof unserer Schule verbracht. Nicht weil ich sie so sehr liebe, sondern weil darin eine gepolsterte Hollywoodschaukel steht, die allemal besser ist als die beschissene Parkbank von vorgestern.

Gefroren habe ich trotzdem wie ein Hund, so ohne Decke. Die Tage sind megaheiß, aber in den Nächten kriecht die Kälte einem trotzdem in alle Glieder.

Seit sechs bin ich schon wach. Schließlich wollte ich verhindern, dass mich der Hausmeister oder irgendein bescheuerter Pauker aufgreift, der an einem Frühaufstehersyndrom leidet.

Jetzt sitze ich auf der Bank an der Bushaltestelle vor der Schule und starre unglücklich vor mich hin. Mir bleiben weniger als zwei Stunden, bevor ich ihr über den Weg laufen werde. Meine schmerzende Rippe ist ein Dreck gegen das, was ich bei der Begegnung mit Annabell empfinden werde. Es ist alles so übel gelaufen, aber jetzt kann ich nicht mehr zurück.

Die Zeit vergeht viel zu schnell und der Bus rollt an der Haltestelle ein. Im ersten Moment will ich aufstehen und davonrennen. Wer weiß, wie sie reagiert, wenn ich auf sie zugehe?

Doch ich bringe es nicht über mich. Wie fest zementiert sitze ich auf der Bank. Mein Herz rast und mit angehaltenem Atem warte ich, bis die ersten Schüler nach einer quälend langen Minute endlich aus dem Fahrzeug steigen.

Ich ziehe mir die dunkle Kapuze tief ins Gesicht, damit ich nicht in Versuchung komme, ihr direkt in die Augen zu sehen. Außerdem will ich die anderen vor der Rocky Horror Picture Show bewahren, die sie beim Anblick meines zerschrammten Gesichtes erleben würden.

Ich muss aufstehen! Ihr aus dem Weg gehen! Doch ich bringe es nicht fertig, weil sich mein beschissenes Herz mit jedem Schlag mehr nach ihr verzehrt.

»Hallo, Kai!«

Shit! Ich hebe den Kopf. Es ist Luise, die vor mir steht und mich freundlich anlächelt. Mein Blick huscht wie von selbst umher, doch von Ann keine Spur.

Heilige Scheiße, hoffentlich ist ihr Vater – mein widerlicher Erzeuger - nicht doch noch ausgerastet. Es kostet mich verdammt viel Überwindung, nicht sofort loszulaufen, um bei ihr zu Hause nach ihr zu sehen. Doch das alles geht mich nichts mehr an. Es darf mich nicht mehr berühren.

»Hey!« Ich ringe mir ein gequältes Lächeln ab.

»Großer Gott! Du siehst ja wirklich aus, als wärst du von einem Laster überrollt worden.« Luise schlägt sich die Hand vor den Mund.

Ich zucke die Schultern. Meine polierte Fresse ist mein geringstes Problem.

»Willst du wirklich so da hinein?« Sie deutet auf die Schule.

»Sieht ganz so aus!« Ich will, dass sie verschwindet. Nach dem, was ich ihrer besten Freundin antun werde, wird sie sowieso fertig mit mir sein. Dieser Small Talk hier ist nichts als vergeudete Zeit.

»Wartest du auf Annabell?«

Scheiße! Fuck! Fuck! Fuck! Was soll ich jetzt antworten?

Mein verficktes Herz sagt: Ja, ich warte auf sie und kann es kaum erwarten sie zu sehen.

»Annabell geht mir am Arsch vorbei und jetzt verzieh dich.«

Völlig perplex starrt sie mich an.

»Sag mal, spinnst du? Das kann doch eben nicht dein Ernst gewesen sein.«

»Fick dich, Luise!«, fahre ich sie wütend an. Dann wuchte ich mich, meine schmerzende Rippe ignorierend, in die Höhe und lasse sie stehen.

»Du dämliches Arschloch!«, schreit sie mir hinterher und ich zeige ihr den erhobenen Mittelfinger.

3. Kapitel

Annabell

Ich komme fast zu spät. In letzter Minute gelingt es mir, ins Klassenzimmer hineinzuschlüpfen, und ich versuche den mahnenden Blick unseres Mathelehrers nicht zu beachten.

Ich fühle mich nach wie vor seltsam benommen und ich hoffe, dem Unterricht wenigstens halbwegs folgen zu können.

»Wo warst du?«, zischt Luise mir zu.

»Meine Mum hat mich zur Schule gefahren.«

»Hatte das einen bestimmten Grund?«, will sie wissen und schaut verstohlen zum Lehrer nach vorne.

Ich verdrehe die Augen. »Nein, ich hab verschlafen und meine Mum war mit meinem Erscheinungsbild nicht ganz zufrieden.«

Luise feixt. »Oh, wie entsetzlich! Fräulein Beck hat mal nicht so ausgesehen wie aus dem Ei gepellt.« Gespielt bestürzt schlägt sich meine Freundin die Hand vor den Mund und ich muss grinsen, was mir sofort einen mahnenden Blick von Herrn Schmidt einbringt.

Ich räuspere mich, stütze den Kopf in die Hände und heuchle Aufmerksamkeit, um nicht gerügt zu werden.

»Kai ist hier!«, flüstert Luise weiter. Und sofort hat sich meine Aufmerksamkeit für den Matheunterricht verflüchtigt wie Nebel unter der aufgehenden Sonne.

»Was?«, quieke ich und schlage mir sofort die Hand vor den Mund.

Herr Schmidt zuckt zusammen. »Annabell und Luise! Entweder ihr passt jetzt auf oder ihr bekommt beide einen Eintrag ins Klassenbuch und könnt den Rest der Stunde draußen auf dem Gang verbringen. Verstanden?«

Wir nicken entschuldigend, wobei es mir eigentlich ganz recht wäre, wenn er uns hinauswerfen würde. Ich muss unbedingt mit Luise reden.

Wieso ist Kai hier? Ist er tatsächlich im Unterricht? Immerhin ist er ziemlich verletzt und sollte besser nicht in der Gegend herumgeistern.

Seine Mum hat mich angelogen, so viel steht fest. Kai ist nicht weggegangen und vielleicht - ich spüre ein nervöses Flattern im Magen - ist er ja hierhergekommen, um mich zu sehen.

»Hast du mit ihm gesprochen?«, wispere ich und behalte dabei vorsichtshalber Herrn Schmidt im Auge.

Luise antwortet nicht. Ich kneife sie in die Seite, woraufhin sie erschrocken »Aua!« schreit, was Herrn Schmidt natürlich nicht entgeht.

Mit finsterem Gesichtsausdruck kommt er auf uns zu und knallt die Hand auf den Tisch. »Es reicht, meine Damen! Ihr bekommt beide einen Eintrag ins Klassenbuch - und jetzt raus mit euch!«

Wir murmeln eine halbherzige Entschuldigung, packen unsere Sachen zusammen und gehen in den Flur hinaus.

Luise schimpft. »Nur wegen deinem blöden Kai hab ich jetzt einen Eintrag bekommen.«

»Jetzt tu mal nicht so«, versuche ich mich zu verteidigen, »Es ist schließlich nicht dein erster.«

»Ja, eben!« Luise seufzt theatralisch.

»Hast du mit Kai gesprochen?« Nervös fummele ich am Saum meines rosa Sommerkleides herum.

Luise geht ein paar Schritte den Gang entlang und studiert scheinbar interessiert einige Wasserfarbbilder der Fünftklässler, die hier an der Wand hängen.

»Luise! Jetzt sag schon!« Warum redet sie nicht?

Meine Freundin hebt beschwichtigend die Hände. »Hör zu, Bella, was ich dir jetzt sage, wird dir nicht gefallen.«

Oh Gott, was kommt denn jetzt?

»Kai ist ein Riesenarsch!«

Ich ziehe die Brauen in die Höhe und sehe sie verwundert an.

»Was soll das denn nun wieder? Ich dachte, du kannst ihn gut leiden.«

»Glaub mir einfach.« Sie sieht mich eindringlich an.

»Du hast also wirklich mit ihm gesprochen«, stelle ich fest und Luise nickt, sieht mir aber nicht in die Augen.

»Was hat er gesagt?« Mein Herz fängt an schneller zu schlagen.

Luise schluckt und sieht mich traurig an. »Er hat gesagt, dass du ihm am Arsch vorbeigehst und dass ich mich verziehen soll.«

Meine Gesichtszüge entgleisen. Ich kann nicht glauben, was sie mir da erzählt, obwohl ich weiß, dass Luise mich niemals belügen würde.

»A…aber wieso? Ich meine …« Tränen schießen mir in die Augen.

Luise fasst mich sanft am Arm. »Bella, es tut mir so leid, dass ich dir das sagen muss.«

»Aber warum sagt er so was?« Ich sehe sie ungläubig an.

»Ich weiß es nicht, wir haben nicht länger gesprochen. Das war alles.«

Ich gehe zur Treppe, setze mich und schlage die Hände vors Gesicht.

»Habt ihr euch etwa gestritten?« Luise zieht mir sanft die Hände weg.

»Nein, eben nicht. Zum ersten Mal war alles so klar zwischen uns. Zumindest dachte ich das.«

Luise hebt hilflos die Schultern. »Dann weiß ich auch nicht, was er hat, Süße.«

»Ich muss in der Pause mit ihm reden.«

Meine Freundin wiegt bedächtig den Kopf. »Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Er war ziemlich aggro drauf.«

»Wie soll ich sonst wissen, woran ich bin?«

Luise zuckt mit den Schultern. »Ich habe jedenfalls ein Scheißgefühl im Bauch.«

»Nicht nur du«, gebe ich zu.

Als es zur zweiten Stunde läutet, gehen wir reumütig an Herrn Schmidt vorbei ins Klassenzimmer zurück.

Die Englischstunde wird ein ähnliches Fiasko. Frau Lang scheint es heute besonders auf mich abgesehen zu haben. Ständig löchert sie mich mit Fragen, holt mich zu Grammatikübungen an die Tafel und scheint beinahe Spaß daran zu haben, dass ich so gut wie blank bin. Doch nach einer Dreiviertelstunde ist auch diese Hölle überstanden.

Meine Hände zittern wie Espenlaub, als ich nach meiner Wasserflasche greife und Luise in die Pause folge.

»Soll ich mitkommen?«, fragt sie mitfühlend.

Ich schüttle schnell den Kopf. Einerseits wünsche ich mir, dass sie an meiner Seite ist, andererseits kenne ich Kai nur allzu gut. Wenn außer mir noch ein anderer vor ihm steht, markiert er den Coolen und zieht alles ins Lächerliche.

Wenn ich also wirklich wissen will, was los ist, bleibt mir nichts anderes übrig als ihm allein gegenüberzutreten.

Als ich auf den Pausenhof komme, sehe ich ihn sofort. Er lehnt mit dem Rücken zu mir an einem der Gebäudepfeiler im hinteren Teil des Hofs. Obwohl es sicher an die dreißig Grad hat, trägt er einen langärmeligen Kapuzenpullover. Ich nehme an, um seine Blessuren zu verstecken.

Als ich auf ihn zugehe, merke ich wie meine Hände vor Aufregung und Nervosität feucht werden.

Behutsam ziehe ich am Zipfel seines Pullis.

»Kai?« Eigentlich sollte meine Stimme fest klingen, fordernd, doch sie ist nicht mehr als ein Hauch.

Wie von der Tarantel gestochen fährt er herum und presst sich augenblicklich die Hand in die Seite. Er muss höllische Schmerzen haben und ich frage mich zum wiederholten Mal, was er in der Schule zu suchen hat.

Kai

Da steht sie vor mir. Meine Schwester. Schon bei dem Wort könnte ich kotzen. Sie sieht einfach bezaubernd aus, meine kleine Disney-Prinzessin. Scheiße, das sind sicher die Folgen der Schläge auf meinen Kopf. Sonst würde mir so ein schwules Wort wie »bezaubernd« doch gar nicht einfallen.

Wie von selbst breiten sich meine Arme aus, um sie zu umarmen. Als mir das bewusst wird, lasse ich sie schnell sinken und weiche einen Schritt zurück. Verfluchte Scheiße, das wird meine persönliche Hölle. Ein vorgezogenes Fegefeuer.

Als sie mich mit ihren großen Augen ansieht, in denen es feucht glitzert, knicke ich fast ein.

Doch ich muss stark sein und an ihre Zukunft denken. Nur wenn sie mich hasst, wird sie mich loslassen können und niemals erfahren, dass ihr Vater der größte Wichser ist, den man sich vorstellen kann.

Eigentlich will ich sie anschreien, dass sie sich verpissen soll. Doch ehe ich es verhindern kann, schlüpft ein müdes »Hey!« über meine Lippen.

»Alles okay mit dir … und mit uns?«

Scheiße, ich kann ihrem Blick nicht länger standhalten. Sie sieht so abgrundtief traurig und so hilflos aus. Ich sehe das stumme Flehen in ihren Augen – ich soll ihr sagen, dass alles in Ordnung ist.

Ich stoße meine Hände tief in die Hosentaschen und balle sie zu Fäusten. Ich sterbe tausend qualvolle Tode auf einmal in diesem Moment.

»Kai? Rede mit mir. Was machst du hier überhaupt? Du musst doch wahnsinnige Schmerzen haben.«

Sie klingt ernsthaft um mich besorgt und das macht es mir unendlich schwer, ihr wehzutun.

»Komm, ich bring dich nach Hause. Du gehörst ins Bett.«

Sie nimmt meinen Arm und ein Beben geht durch meinen ganzen Körper. Fast gewaltsam reiße ich mich los. Himmel, der verletzte Ausdruck, der jetzt auf ihrem Gesicht erscheint, gibt mir den Rest.

Ich lasse sie einfach stehen und gehe ins Gebäude zurück. Hoffentlich ist diese verfickte Pause bald vorbei.

In der Toilette trinke ich aus einem der Wasserhähne und lasse mir das kühle Nass übers Gesicht rinnen. Mein Blick fällt in den Spiegel. Ich sehe so was von scheiße aus und mich wundert, warum keiner der Lehrer die Bullen oder meine Mutter angerufen hat.

Der Schmidt, den ich in der zweiten Stunde hatte, hat kurz nachgefragt. Doch als ich ihm gesagt habe, dass er sich um seinen eigenen Dreck kümmern soll, gab‘s einen Eintrag ins Klassenbuch und der Fall war für ihn erledigt. Wahrscheinlich hat er mich trotz meiner guten Noten sowieso längst abgeschrieben.

Es läutet. Zum Glück.

Als ich aus der Jungentoilette trete, fallen mir fast die Augen aus dem Kopf. Annabell! Verdammt, sie ist wirklich hartnäckig!

Ich will an ihr vorbei, doch sie fasst nach dem Saum meines Pullovers. Vermutlich stinke ich wie ein Schwein, weil ich seit gefühlten hundert Jahren nicht mehr geduscht habe.

Wenn es wirklich so ist, lässt sie es mich aber nicht spüren.

»Kai, bitte. Was ist los? Ich dachte, es wäre alles klar zwischen uns.«

Fuck! Ich komme aus der Sache tatsächlich nur raus, wenn ich deutlich werde.

»Nichts ist klar! Absolut nichts!«, fahre ich sie an. »Ich will dich nicht mehr sehen, verstehst du? Lass mich verdammt noch mal in Ruhe und häng nicht ständig wie eine verfluchte Klette an mir dran!«

Ich hole tief Luft, diese Sätze haben mir alles abverlangt.

Tränen glitzern in ihren Augen wie kleine Diamantensplitter.

Heilige Scheiße, ich muss hier weg, sonst tue ich noch etwas Unüberlegtes. Meine rechte Hand zuckt bereits nach oben, um ihr die Tränen aus den Augenwinkeln zu wischen.

»Wieso sagst du so etwas, Kai? Ich weiß doch, dass du mich liebst.«

Okay, sie braucht es also wirklich auf die harte Tour.

»Dich lieben?«, höhne ich. »Du hast mich doch die ganze Zeit nur benutzt. Erst war ich gut genug, um dir beim Kotzen zu helfen, dann hast du mich gebraucht, weil dein Alter dir die Fresse poliert hat, und am Ende durfte ich noch dabei zusehen, wie du vor meinen Augen mit diesem Großkotz rummachst.«

Eine einzelne Träne löst sich von ihren Wimpern und läuft ihr funkelnd die Wange hinunter.

»Du weißt, dass das nicht stimmt. Ich liebe dich, Kai!«, flüstert sie.