Liebe auf krummen Beinen - Hans Gruhl - E-Book + Hörbuch

Liebe auf krummen Beinen Hörbuch

Hans Gruhl

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  • Herausgeber: AUDIOBUCH
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2012
Beschreibung

Ein krummer Hund! Wenn ein Tier so pfiffig, so lieb und fürsorglich und dazu noch von so nobler Herkunft ist wie der Langhaardackel Blasius von Rohmarken, kommt man buchstäblich mit Vergnügen auf den Hund ... Und so geht es auch dem jungen Kriminalkommissar Daniel. Zwar besäuft sich Blasius gelegentlich an Cognacbohnen, erstickt beinahe im Bau eines Wildkaninchens und frisst auch Dinge, die dafür nun wirklich nicht vorgesehen sind. Aber dafür weiß Blasius nicht nur den Diebstahl einer kostbaren Kette aufzuklären, sondern vor allem seinem Herrchen die Bekanntschaft mit einer charmanten jungen Dame zu vermitteln. «Haben Sie schon einen Hund? – Nein? Wenn Sie dieses reizende Büchlein gelesen haben, wünschen Sie sich wahrscheinlich einen solch krummbeinigen, durchtriebenen Hausgenossen wie den Langhaardackel Blasius. Er selbst erzählt die Geschichte seines Lebens: Seine frühe Kindheit im Haus einer adligen Dame, dann die Begegnung mit seinem Herrchen – es war auf beiden Seiten Liebe auf den ersten Blick. (...) Wer die Geschichte von Blasius liest, wird sich ein paar Stunden gut unterhalten.» (Süddeutscher Rundfunk)

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Zeit:4 Std. 4 min

Sprecher:Hubertus Gertzen

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Hans Gruhl

Liebe auf krummen Beinen

Roman

Rowohlt Digitalbuch

Inhaltsübersicht

Ich heiße BlasiusNach wenigen KilometernAm nächsten TagUm halb achtAls ich erwachteDer große Tag war daMit diesem VorsatzIch erwachteAuf dem Weg zu RitaKurz daraufAls Pauls große Standuhr
[zur Inhaltsübersicht]

Ich heiße Blasius und stamme aus der Zucht Rohmarken, irgendwo in Bayern. Meine Erinnerung reicht nur bis zu einem bestimmten Punkt meiner Jugend zurück: Ich lag zwischen einem Bruder und zwei Schwestern am warmen Bauch unserer Mutter und trank.

Dieser Vorgang wiederholte sich so oft und so regelmäßig, dass er sich mir als erster einprägte. Die Lust am Fressen ist mir übrigens bis zum heutigen Tage geblieben.

Ich erinnere mich weiter an Frau von Quernheim. Ihr gehörte unsere Zucht. Sie tat alles für uns und achtete peinlich genau darauf, dass wir unseren Stundenplan einhielten. Sie war von großer, Achtung gebietender Gestalt und trug Kleider aus schwerer Seide. Ihre Augen waren freundlich, aber sie sahen alles, und es fiel uns schwer, etwas vor ihnen zu verbergen. Sie konnte plötzlich und überraschend hinter einem stehen; oft war ich erschrocken, wenn sie mich mit ihrer mahnenden Stimme bei irgendeinem Unfug ausschimpfte. Nur an Festtagen hörte man sie von weitem, weil sie dann bunte, klappernde Steinchen auf der Brust trug.

Frau von Quernheim wohnte in einem weitläufigen Haus. Es enthielt viele Zimmer, in denen man sich verlaufen, und viele Möbel, unter die man kriechen konnte. Alles roch alt und ehrwürdig, und in der vornehmen Stille klang unser Gebell aufdringlich und unangebracht. In der Küche, die bald zu unserem Lieblingsaufenthalt wurde, hantierte die dicke, gutmütige Angela. Frau von Quernheim schimpfte oft mit ihr, wenn sie uns mehr zu fressen gab, als wir kriegen sollten.

Das Haus lag in einem parkähnlichen Garten. Als wir größer geworden waren und uns daran gewöhnt hatten, unsere Geschäfte nicht mehr auf Frau von Quernheims echten Perserteppichen zu erledigen, sausten wir oft stundenlang durch Buschwerk und über üppige Rasenflächen. Herrlich war es, wenn das Gras an der Bauchhaut kitzelte. Bald kannte ich jeden Weg und jede Wurzel. Auf der Straße mussten wir an die Leine, weil Frau von Quernheim fürchtete, dass wir unter die Autos kämen. Auch mir waren Autos zuerst unheimlich, mit ihren glänzenden, starren Augen und ihrer lautlosen Schnelligkeit. Aber dann gefielen sie mir besser und besser. Es war ein eigenartiger, bezwingender Duft an ihnen, nach besonnten Polstern, edlen Zigaretten und dem merkwürdigen Stoff, von dem sie lebten. Wenn ich ihn witterte, stieg ein wunderliches Gefühl von Fernweh und Abenteuerlust in mir auf. Leider hat es sich später so gesteigert, dass ich verschiedentlich in fremde Autos eingestiegen bin, was einen Haufen Ärger nach sich zog.

Mit der Zeit lernte ich auch meinen Vater kennen.

Er kam immer mal zu unserer Mutter und schnupperte zärtlich an ihr. Er ist der schönste Langhaardackel, den ich je in meinem Leben gesehen habe, viel schöner, als ich heute bin. Sein Gesicht war schmal und klug und sein Fell goldbraun wie manche Blätter in unserem Park, wenn es kälter wurde. Auf der Brust hatte er einen kleinen weißen Fleck und an den Hinterbeinen langes, seidiges Haar. Seine Nase war von einem tiefen, glänzenden Schwarz, wie es meine niemals erreicht hat. Allerdings sollte sich das später zu meinen Gunsten auswirken.

Von ihm lernte ich, mich gelassen zu bewegen und in schwierigen Situationen die Ruhe zu bewahren. Er brachte mir bei, wie man den Schwanz hält und große Löcher in kürzester Zeit gräbt.

Wenn Gäste da waren, zeigte Frau von Quernheim die Preise und Medaillen, die er auf Ausstellungen gewonnen hatte, eine ganze Schublade voll. Er konnte auf ihrer flachen Hand aufrecht stehen wie eine Bildsäule. Ich war stolz, ihn in meinem Stammbaum zu haben.

Unsere Mutter war herzensgut, nur ein bisschen dick. Ich sah daran, dass mein Vater sie nicht nur wegen Äußerlichkeiten genommen hatte, und er stieg deshalb noch mehr in meiner Achtung. Es hieß, er hätte schon allerhand Frauen gehabt, aber zu meiner Mutter war er immer höflich und aufmerksam, er fraß ihr nie etwas weg und beschäftigte sich mit uns, wenn sie müde war und schlafen wollte.

Diese erste Zeit meines Lebens war überaus glücklich. Obwohl ich heute vollkommen zufrieden bin, habe ich manchmal Sehnsucht nach dem alten Haus mit seinen Möbeln und Plüschkissen und den hohen Laubbäumen im Park.

Eines Tages aber passierte etwas Furchtbares.

Es erschien ein alter Herr mit weißem Haar und zerknittertem Gesicht. Wir wurden ins Haus gerufen und in das Zimmer geführt, in dem er saß.

Frau von Quernheim sprach mit ihm über uns, und der Herr betrachtete uns reihum mit durchbohrenden Blicken.

«Nur ein Weibchen kommt in Frage», sagte er.

Ich verstand nicht recht, was das bedeuten sollte, aber es wurde mir bald klar: Er ergriff plötzlich meine Schwester Kyra am Kragen und hob sie hoch. Sie hing da wie ein Dieb am Galgen und schaute traurig und entsetzt herunter.

«Gut», sagte der Herr. «Ich nehme sie mit. Wie viel?»

«Einhundert, Baron», sagte Frau von Quernheim.

Das Weitere ging ganz schnell: Der Baron zog aus einer Ledertasche einige Papierscheine und zählte sie auf den Eichentisch, unter dem ich so gern saß. Unsere Herrin überreichte ihm ein zusammengerolltes Pergament. Es war Kyras Stammbaum.

Der Herr steckte ein Monokel in sein zerknittertes Gesicht und las lautlos und gründlich.

«Gut», sagte er wieder. «Eine Leine habe ich.»

Frau von Quernheim hakte sie an Kyras Halsband fest. Dann nahm sie meine Schwester hoch und drückte sie an ihr Gesicht. «Leb wohl, meine Kleine», sagte sie. «Lass es dir gutgehen.» Da verstand ich, was vorgegangen war.

Sie hatte Kyra verkauft, und sie musste nun fort von uns. Zum Abschiednehmen blieb keine Zeit. Wir sahen fassungslos zu, wie der Herr Kyra auf den Arm nahm und mit ihr zur Tür ging. Frau von Quernheim öffnete und sagte: «Auf Wiedersehen, Baron.»

Dann verschwand er. Durch den Türspalt sah ich noch einmal Kyras traurige Augen. Sie waren das Letzte, was ich jemals von ihr gesehen habe.

Wir waren sehr deprimiert und gingen früh schlafen. Ich lag lange Zeit wach, und mir wurde klar, dass uns alle ein ähnliches Schicksal erwartete.

Merkwürdig, wie schnell man vergisst. Schon zwei Tage später vermissten wir Kyra nicht mehr und dachten auch nicht an die Gefahr, die uns drohte.

Meinen Bruder Ralf traf es als Nächsten. Er geriet an ein nettes Ehepaar, auch für 100 Mark. Sie fuhren in einem offenen Sportwagen davon. Ralf saß auf dem Schoß seines neuen Frauchens. Seine Pfoten lagen auf der Türkante, und seine schönen Ohren flatterten im Wind, als der Wagen anzog. Ich glaube, er hat es gut getroffen.

Molly und ich blieben zurück. Molly war unserer Mutter sehr ähnlich, ein bisschen bequem und ein bisschen dicklich.

Fortan jagten wir allein durch den Park und bellten nur noch zweistimmig.

Einige Zeit geschah nichts, und ich begann schon zu glauben, dass ich meine Tage in meinem Geburtshaus beschließen würde. Fast überfiel mich etwas Ähnliches wie Eifersucht. Ralf und Kyra waren schon draußen in der großen Welt, und wir blieben hier sitzen, erlebten nichts Neues und wurden immer älter. Aber eines Tages fuhr ein gewaltiges Auto vor. Ein Chauffeur in knapper Uniform riss den Schlag auf. Heraus rauschte eine ebenso gewaltige Dame und steuerte auf unsere Haustür zu. Ich saß hinter dem Zaun und sah sie kommen.

Kurz darauf dröhnte Frau von Quernheims Stimme. Wir schlichen ins Besuchszimmer, setzten uns auf den Teppich, hielten die Schwänze still und blickten züchtig zu Boden.

Die Dame thronte auf dem Besucherstuhl und klatschte furchtbar in die Hände, als sie uns sah.

«Gott, sind die süß», trompetete sie. «Nein, so was Herrliches!»

Sie versuchte sich vorzubeugen, aber sie schaffte es nicht. «Ja, wo sind denn die lieben Schnuckelchen? Ja, wollt ihr denn nicht mal zu Frauchen kommen? Wollt ihr nicht?»

Den Teufel wollten wir.

«Sie sind noch sehr jung», sagte Frau von Quernheim. «Sie lernen es bestimmt.»

Du wirst dich wundern, dachte ich.

Die Dame lehnte sich zurück und redete weiter.

«Gott, sind die herrlich! Mein Mann sagt immer, Trudchen, sagt er, niemand hat so schöne Dackel wie die liebe Frau von Quernheim. Gott, was für ein Kleid Sie wieder anhaben … einfach himmlisch … er sagt, er fühle sich ganz verwaist, seit Flocki tot ist … wie der Mann an dem Hund gehangen hat … nein, Sie können es sich nicht vorstellen …»

So ging es etwa fünf Minuten weiter. Luft zu holen schien die Dame nicht nötig zu haben. Ich schielte zu Frau von Quernheim hinüber, die immer sehr gegen unnötigen Zeitverlust war. Ich merkte, wie sie im Geiste die Hände rang.

«… ja, und nun hat er morgen Geburtstag … bis vor einer Stunde wusste ich noch nicht, was ich ihm diesmal schenken sollte … denken Sie, wir sind einundzwanzig Jahre verheiratet …»

Der arme Mann, dachte ich, und Frau von Quernheim und Molly schienen es auch zu denken.

«… da erinnerte ich mich an Sie und Ihre entzückenden Hundchen … ist das nicht komisch …?»

Ich fand es nicht komisch. In mir reifte der Entschluss, mich vor den nächsten Omnibus zu werfen, wenn Frau von Quernheim auf die Idee kommen sollte, mich dieser Dame zu überlassen. Nur nicht zu der! Ihr Gerede würde mich zur Verzweiflung treiben, und binnen kurzem würde ich genauso dick sein wie sie. Ich wusste, was auf mich wartete: ein Kissen auf dem Sofa mit Blick auf die Vitrine, dreimal täglich auf die Straße und die restliche Zeit auf ihrem Schoß! Nein, dann lieber als Meldehund in die Fremdenlegion!

Es war, als ahnte Frau von Quernheim meine Gedanken. Sie fasste mich am Kragen und setzte mich auf den Schoß der Kundin, wahrscheinlich um den Erzählungen ein Ende zu machen. Es roch dort nach Schweiß und Puder. Ihre fetten Finger tasteten an mir herum.

«Herrlich, entzückend! Und so nette Augen hat das Hundeli! Nur ein bisschen mager, finden Sie nicht?»

Sie hob mich hoch, bohrte ihre dicke Nase zwischen meine Ohren und nuschelte weiter.

«Hab nur keine Angst, mein Tierchen! Bei mir kriegst du immer feines Fresseli! Feines Fresseli! Jaaa!»

Nach einer Weile ließ sie mich los. Ich sprang hinunter und schüttelte mich gründlich. Frau von Quernheim sah mich tadelnd an.

Dann wurde meine Schwester Molly angehoben. Die Dame behielt sie länger auf dem Schoß als mich, und obwohl ich Molly nichts Schlechtes wünschte, frohlockte ich im Stillen. Molly schien ihr mehr zu liegen. Heiliger Blasius, dachte ich, du hast mir schon so oft nicht geholfen, hilf mir wenigstens diesmal!

Molly wurde entlassen und setzte sich wieder neben mich.

«Nun», flötete Frau von Quernheim lieblich, «welchen darf ich Ihnen mitgeben?»

Jetzt kam’s. Ich bemühte mich, eine trotzige Miene aufzusetzen. Molly behielt ihren ergebenen Blick bei, sehr zu ihrem Nachteil.

Die Fremde musterte uns abschätzend. Schließlich blieb ihr Blick auf Molly haften. «Ach Gott … man sagt doch, Weibchen wären zärtlicher … und anhänglicher … sie ist auch nicht so mager …»

«Sie haben vollkommen recht», sagte Frau von Quernheim.

«Nicht wahr … und dann … das Schnäuzchen … es ist so schön schwarz …»

Ja, Molly hatte ein süßes schwarzes Schnäuzchen. Ich pries meine Ahnen, dass sie es mir versagt hatten. Noch einmal musterte mich die Dame. Meine Ohren zitterten. Ich schloss die Augen, um meine Unruhe zu verbergen.

Als ich sie wieder öffnete, war die Entscheidung gefallen. Der dicke Zeigefinger der Dame wies auf Molly. «Die nehm ich!», sagte sie.

Ich atmete auf. Man denke deshalb nicht schlechter von mir als nötig. Ich wünschte Molly nichts Übles. Aber für ein Leben bei der Riesendame schien sie mir eher geeignet zu sein als ich.

«Was muss ich bezahlen?»

Frau von Quernheim nannte ihr mit milder Festigkeit den unverschämten Preis von 150 Mark. Die Dame verzog das Gesicht, als hätte sie beim Hasenessen auf eine Schrotkugel gebissen. Aber sie zahlte.

Ich saß hinter dem Gartengitter, als sie fortgingen. Eine rote Leine baumelte zwischen ihnen, und beide wackelten mit dem Hinterteil und schwitzten. Der Chauffeur riss den Schlag auf. Molly sprang ohne Verzug auf den Vordersitz und rollte sich zusammen. Ich glaube, sie schlief schon, bevor die Tür ins Schloss fiel.

 

Während der nächsten Tage ging es mir gar nicht gut. Ich fühlte mich verlassen und einsam. Und die Ungewissheit, wem ich in die Hände fallen würde, ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Scheußlich!

Dieser Zustand endete zwölf Tage später. Ich trieb mich gerade im hinteren Teil des Gartens herum und erschrak furchtbar, als Frau von Quernheims Stimme erklang. Arge Befürchtungen stiegen in mir auf.

«Na los, los», rief sie, als ich den Weg herangezottelt kam, «willst du eine Extraeinladung?»

Ich drückte mich zögernd ins Verkaufszimmer und gewahrte einen Herrn von vielleicht dreißig Jahren. Er saß ziemlich lässig auf dem Kundensitz. Die würdige Umgebung schien ihm wenig zu imponieren. Er war lang und breit und hatte einen dunklen Indianerkopf. Seine Augen sahen aus, als wären sie aus braunem Samt, fast wie Hundeaugen. Sie gefielen mir. Er richtete sie auf mich, und ich erwiderte seinen Blick. Geraume Zeit sahen wir uns an.

Dann verzog der junge Mann das Gesicht. Kleine knittrige Falten erschienen in seinen Augenwinkeln, und die Grübchen neben seinen Mundwinkeln vertieften sich. Er lachte.

Dann beugte er sich nach vorn und hielt seine große Hand dicht über den Teppich.

«Na, komm, Krummbein!»

Ganz gegen meine Gewohnheit setzte ich mich in Bewegung – in Richtung auf die ausgestreckten Finger. Kurz davor machte ich den Hals lang und schnupperte. Gut roch er. Ein bisschen nach Tabak, aber gut. Und während meine Nase seinen Handteller berührte, krabbelten seine Fingerspitzen ganz zart hinter meinem linken Ohr. Das ging mir durch das ganze Fell und rief ein wunderliches Gefühl von Geborgenheit und Zuneigung in mir wach. Ich möchte zu ihm, dachte ich. Ob er mich wohl nimmt?

Er richtete sich auf, und seine braunen Augen umfassten die stattliche Figur meiner Herrin.

«Prima Tierchen. Gefällt mir. Was soll er kosten?»

«120 Mark.»

Frau von Quernheim brachte das so unbefangen heraus wie ein Schwarzhändler. Der Lange zog die Brauen etwas höher.

«Oh», sagte er. «Das hätte ich nicht gedacht. Bisschen viel für mich.»

Ich blieb bewegungslos sitzen, Zorn im Herzen. Frau von Quernheim, diese Fleisch gewordene Geldgier! Ralf und Kyra hatte sie für 100 Mark weggegeben, was schon nicht billig gewesen war. Der Dicken, welche die mollige Molly für 150 Mark eingehandelt hatte, war recht geschehen. Nun aber wollte sie für mich auch mehr herausschinden. Der Kunde sah nicht aus, als könnte er mit den Scheinen herumschmeißen. Er würde gehen und mich hierlassen, wieder in Ungewissheit und Sorgen.

«120», murmelte er. «Ich dachte, man bekäme sie schon für 50 oder 80, aber 120 Mark …»

«Wir haben eine sehr alte Zucht», sagte Frau von Quernheim kühl. «Und Rüden sind immer etwas teurer», fuhr sie fort.

Lügen!, wollte ich rufen, aber ich konnte nicht. O schlechte Welt, in der selbst die Adligen logen.

Der junge Mann rieb sein Kinn. Ich legte den Kopf schief und machte flehende Augen. Frau von Quernheim stand da in kalter Höflichkeit.

«Tja», sagte der arme Kunde nach einer Weile, «ich weiß nicht … kann ich mir die Geschichte noch einmal überlegen?» Überlegen! Seit zweitausend Jahren die Rede derer, die für irgendetwas kein Geld haben. Aber Frau von Quernheim war nicht fürs Überlegen. Sie machte es ihm schnell klar. «Sehr gern. Aber aufheben kann ich ihn leider nicht. Wenn ein Kunde kommt …» Er nickte bekümmert. Wieder beugte er sich vor und hielt mir die Hand hin. Die letzte Chance! Ich leckte seinen Handteller und begann heftig zu wedeln.

«Blasius!», rief Frau von Quernheim mahnend.

Hol dich der Teufel, dachte ich und wedelte weiter. Hier geht es um meine Zukunft. Mag er arm sein wie Hiob nach der Währungsreform, mir gefällt er.

Wieder erschienen die Fältchen und Grübchen in seinem Gesicht. Seine Pranke schloss sich um mein Rückenfell. Gleich darauf saß ich auf seiner Konfektionshose. Er streichelte mir die Seiten, und mein Herz klopfte. «Na schön», sagte er, mehr zu mir als zu Frau von Quernheim, «ich nehme ihn. Wird ein knapper Monat werden … darfst eben nicht so viel fressen.»

Ich wäre am liebsten mit allen vieren zugleich in die Luft gesprungen, aber ich hatte sowieso schon gegen meine sorgfältige Erziehung gesündigt. ‹Mein› Kunde setzte mich vorsichtig zu Boden und stand auf. Seine Brieftasche war flach wie ein Pfannkuchen. Er tat mir leid, als er die Scheine herauskramte. Währenddessen gab Frau von Quernheim ihm gute Ratschläge, wie ich zu behandeln sei. Wahrscheinlich wollte sie ihm klarmachen, dass ich trotz des hohen Anschaffungspreises im Betrieb billig wäre.

«Eine Mahlzeit am Tag genügt», sagte sie. Sie selbst aß fünfmal. «Allenfalls abends noch eine Scheibe Brot. Gegen die Staupe ist er schon geimpft …» Mit Entsetzen erinnerte ich mich an die lange Nadel in meinem Allerwertesten … «Und bürsten Sie das Fell täglich …» So sprach Frau von Quernheim und nahm mich noch einmal auf den Arm.

«Wiedersehn, mein Kleiner. Mach mir keine Schande. Wiedersehn.»

Als ich ihre Wange mit der Schnauze berührte, sah ich, dass ihre Augen feuchter als gewöhnlich waren, und ich vergaß allen Ärger über den Wucherpreis. Wie gut war sie immer gewesen! Sie hatte sich abgeplagt, uns großzuziehen, und etwas von ihrer Würde und Vornehmheit war auf uns übergegangen. Wie viele von uns hatte sie schon umsorgt und dann hergeben müssen. Kein Mensch fragte, wie ihr dabei zumute war. Mochte kommen, was wollte, diese schöne Zeit meiner Jugend würde ich nicht vergessen. Auch nicht Frau von Quernheim.

Mein neuer Herr steckte meinen Stammbaum an die Stelle, wo vorher sein Geld untergebracht war. Halsband und Leine besaß er noch nicht. Er verabschiedete sich von Frau von Quernheim. Ich trottete hinter ihm durch die Tür.

Im Garten saßen meine Eltern und schauten uns neugierig an. Ich beschnupperte sie zum Abschied. Meine Mutter sah ein wenig traurig aus, weil nun das letzte ihrer Kinder von ihr fortging. Ihre großen geduldigen Augen blickten mich an, als wollte sie sich mein Bild noch einmal und für immer einprägen, und mir wurde hundeelend zumute. So wenig hatte ich für sie getan und sie so viel für mich. Fast wäre ich jetzt noch umgekehrt, und am liebsten hätte ich mich im Park versteckt, um nicht von ihr fortzumüssen. Aber es ging nicht. Mein Vater begleitete mich bis zum Tor. Als ich durch war, zwinkerte er mir zu, und ich zwinkerte zurück.

Auf der Straße nahm mich mein neues Herrchen hoch. Drüben, auf der anderen Seite, standen, funkelnd und neu, ein Mercedes und ein BMW. Zwischen ihnen parkte ein unscheinbares Gefährt aus der Vorkriegszeit, dessen sich die beiden anderen offensichtlich schämten. Es sah aus wie eine verwitterte Hundehütte auf Rädern. Zuerst kam mir überhaupt nicht der Gedanke, dass es der unsrige sein könnte. Ralf und Molly waren in neuen Wagen abgefahren. Wer gab sich heute noch mit so einem Schlitten ab? Zu meinem ungeheuren Entsetzen steuerten wir aber auf das Vehikel in der Mitte zu. Natürlich! Wie hatte ich auch annehmen können, dass er einen neuen Wagen besäße, da er kaum mich hatte bezahlen können.

Herrchen zog an der Klinke. Sie löste sich leicht aus der Tür, und er hielt sie in der Hand.

«Verflucht», knurrte er. Er musste wohl spüren, dass mir die Sinne schwanden, denn er drückte mich begütigend, während er mit der anderen Hand die Klinke wieder in ihr Loch steckte.

«Musst dir nichts draus machen», tröstete er. «Es ist eine alte Kiste, aber sie fährt. Werdet euch schon aneinander gewöhnen.»

Niemals, dachte ich. Dieses Ding ist meiner Rasse unwürdig. Alle ehrbaren Hunde würden in Zukunft einen Bogen um mich schlagen.