Liebe bis ans Ende der Welt - Susan Waggoner - E-Book

Liebe bis ans Ende der Welt E-Book

Susan Waggoner

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Beschreibung

Liza folgt ihrer großen Liebe David in die Zukunft, genauer gesagt in das Jahr 3738. Doch das Leben in der Zukunft steckt voller Schwierigkeiten — vor allem weil Davids Familie Liza nicht akzeptieren will. Und dann ist da auch noch Paul, Davids Bruder, der sich immer merkwürdiger verhält. Als dann David eines Tages in die Vergangenheit zurückreisen muss, folgt Liza ihm heimlich…

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Susan Waggoner

Liebe bis ans Ende der Welt

Aus dem Englischen von Ulrike Seeberger

Vollständige eBook-Ausgabe der Hardcoverausgabe

bloomoon Verlag, München 2014

Copyright © 2013 by Susan Waggoner

Titel der Originalausgabe: Starlight’s Edge

This translation of STARLIGHT’S EDGE by Susan Waggoner, first published in the United Kingdom in 2013, is published by arrangement with Piccadilly Press Limited, London, England.

© 2014 bloomoon, ein Imprint der arsEdition GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Text: Susan Waggoner

Übersetzung: Ulrike Seeberger

Covergestaltung: Grafisches Atelier arsEdition unter Verwendung von Bildmaterial von © Getty Images/​Thinkstock

Umsetzung eBook: Zeilenwert GmbH

ISBN eBook 978-3-8458-0371-5

ISBN Printausgabe 978-3-7607-9849-3

www.bloomoon-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Prolog • Der letzte Tag auf der Erde

Kapitel 1 • Abreise

Kapitel 2 • Ankunft

Kapitel 3 • Koexistenz

Kapitel 4 • Feiern wie im Jahr 3738

Kapitel 5 • Spitze

Kapitel 6 • Treffen mit den Eltern – schon wieder

Kapitel 7 • Verloren …

Kapitel 8 • … und wiedergefunden

Kapitel 9 • Adlerfliegen

Kapitel 10 • Bildschirmleben

Kapitel 11 • Neptuns Dreizack

Kapitel 12 • Herzsturm

Kapitel 13 • Drei sind einer zu viel

Kapitel 14 • Die Konsequenzen

Prolog

Der letzte Tag auf der Erde

»Du musst das nicht tun, das weißt du.« David stand hinter ihr und legte die Arme um Lizas Taille, als sie am Spülbecken die Müslischalen abwusch. »Es kommt schon jemand und macht Ordnung, wenn wir weg sind.«

»Ich weiß«, antwortete Liza und lehnte sich zurück, genoss einen Augenblick lang gedankenverloren die wohlige Wärme seines Körpers. »Aber ich will kein schmutziges Geschirr zurücklassen. Irgendwie kommt mir das verkehrt vor. Es scheint die falsche Art, sich zu verabschieden von der… «

Ihre Stimme versagte. Sie brachte das Wort »Erde« nicht über die Lippen. David schmiegte sein Kinn an ihren Nacken. »Du kannst es dir immer noch anders überlegen, weißt du.«

Liza setzte die Schalen auf der Arbeitsfläche ab und drehte sich zu ihm um. »Niemals«, sagte sie.

»Bist du sicher?«

Es schwang so unendlich viel in dieser kleinen Frage mit. Bist du sicher?

Es schien Liza, als wäre sie sich immer sehr sicher gewesen, was David Sutton betraf, aber das stimmte nicht. Bei ihrem allerersten Zusammentreffen war er Patient und sie die Empathin gewesen, die man zu ihm in die Notaufnahme geschickt hatte. Es war sofort kurz eine prickelnde und knisternde Anziehung zwischen ihnen spürbar gewesen, dann hatten sie sich übereinander geärgert, und schließlich hatte die Tatsache, dass er ein Außerirdischer vom Planeten Omura war, noch zusätzliche Verwirrung gestiftet. Nach ein paar Treffen hatte sie ihre Vorurteile gegen Außerirdische überwunden. Aber erst nachdem sie ihn beinahe verloren hatte, hatte sie begriffen, dass sie nie im Leben wieder von ihm getrennt sein wollte. Selbst wenn das bedeutete, dass sie die Erde verlassen und mit ihm zum Planeten Omura zurückkehren musste.

Dann hatte David ihr ausgerechnet an dem furchtbaren Tag, an dem Lizas beste Freundin von einem Terroristen ermordet wurde, gestanden, dass er gar kein Außerirdischer vom Planeten Omura war, sondern vielmehr ein Zeitreisender von ihrem eigenen Planeten. Er kam aus der Zukunft der Erde in über tausendfünfhundert Jahren. Liza und alle anderen auf der Erde durften davon nichts erfahren, denn dieses schreckliche, verbotene Wissen würde weltweit zu Panik und Chaos führen.

Liza erinnerte sich immer noch daran, wie er es ihr erzählt hatte: Er hatte die Arme um sie gelegt, seine Stimme war leise und traurig gewesen. Seine eigentliche Aufgabe war, die Literatur der Erde zu katalogisieren und zu kopieren, denn noch innerhalb von Lizas Lebenszeit würde eine Reihe von katastrophalen Meteoriteneinschlägen den Planeten, den sie kannte, verwüsten. Dabei würde der größte Teil der Bevölkerung umkommen, und die Menschheit würde in Zeiten von Hungersnot und Zerstörung ums Überleben kämpfen.

Noch während er ihr das sagte, wusste Liza, dass sie David in die Zukunft folgen würde, an jenen Ort, der sich »Neu-Erde« nannte.

»Ich bin mir sicher«, antwortete sie ihm nun und bemerkte die Erleichterung, die in seinen grauen Augen strahlte. Hatte er wirklich Zweifel gehabt? Nach allem, was sie bisher gemeinsam durchgemacht hatten?

David sah, wie ein Auto geräuschlos vor ihrem Gebäude vorfuhr.

»Sieht ganz so aus, als wäre unser Transport da«, sagte er.

Liza war erleichtert. Richtig entspannen würde sie sich allerdings erst, wenn sie in der H-Fax-Anlage angekommen waren und man sie ein letztes Mal gescannt und für die Transmission freigegeben hatte.

»Dann mal los«, sagte sie und versuchte, den Kloß herunterzuschlucken, der ihr im Hals steckte, weil sie wusste, dass sie ihre Familie niemals wiedersehen würde.

Naiv, wie sie war, hatte Liza gedacht, sie könnte ihre Familie einfach mitnehmen. Wie konnte sie in dem Wissen, welches Schicksal die anderen erwartete, die Erde verlassen? Doch David hatte ihr erklärt, dass man als Zeitemigrant eine besondere Genehmigung benötigte. Erst musste sich nach gründlichen Recherchen ergeben haben, dass man keine unverzichtbare Person war – mit anderen Worten, dass man entweder bei einem Meteoriteneinschlag umgekommen oder aus anderen Gründen aus den historischen Aufzeichnungen verschwunden war. Denn Menschen, die für den Wiederaufbau der Zivilisation unabdingbar waren, erhielten keine Erlaubnis für eine Reise in die Zukunft. Überhaupt sah man auf Neu-Erde die Zeitemigranten nicht sonderlich gern. Erst als sich Zeitreisende wie David in Menschen aus fernen Zeitzonen verliebten, begann man Ausnahmen zu machen. Familienangehörige erhielten allerdings keine Erlaubnis zum Auswandern, nicht einmal in kleinen Familien wie der von Liza, die nur aus ihren Eltern und einer jüngeren Schwester bestand. Die Emigranten durften auch nie in die Zeitzonen zurückkehren, aus denen sie gekommen waren, weil man fürchtete, sie könnten ihre Lieben vor drohendem Unheil warnen und so die Weltgeschichte auf katastrophale Weise verändern.

Damals hatte David zum ersten Mal gefragt, ob sie sich sicher wäre, dass sie mit ihm fortgehen wollte, obwohl ihnen beiden klar war, dass sie auf keinen Fall bleiben und das schreckliche Geheimnis der Zukunft wahren könnte.

Plötzlich war Liza der Weg, der vorhin noch so klar vor ihr zu liegen schien, wie ein sehr schmaler Grat vorgekommen. David erhielt die Erlaubnis, einen zusätzlichen Monat zu bleiben, um zu beweisen, dass Liza keine Unverzichtbare war. Nach ersten Recherchen vermuteten sie, sie könnte eine Unverzichtbare sein, weil es immer wieder Hinweise auf eine Seherin in London gab, die den Einschlag der Meteoriten überlebt hatte. David argumentierte, dies sei nicht eindeutig. Er fand eine Bestätigung dafür, dass in diesem Jahr eine Liza McAdams im Royal London Hospital gekündigt hatte. War das nicht der Beweis dafür, dass sie mit ihm gegangen war? Auf Neu-Erde überzeugten diese Argumente nicht. Lizas Antrag wurde erneut abgelehnt, mit der Begründung, weitere Nachforschungen hätten zweifelsfrei ergeben, dass Liza eine Unverzichtbare war. »Das ist unmöglich«, hatte Liza geantwortet, als David ihr diese schreckliche Nachricht überbrachte.

»Du heißt doch Elizabeth, nicht? Elizabeth McAdams, Tochter von Amanda und Guthrie McAdams?«

Liza hatte gespürt, wie sich ihr der Hals zuschnürte. »Aber ich liebe dich doch«, hatte sie gemurmelt, während ihr die Tränen in den Augen brannten.

David las weiter aus dem Bericht vor. »Überlebte mit ihren Eltern in Upstate New York, USA. Unverzichtbar für den erneuten Aufbau von Computernetzwerken, Pionierin der Tele-Technologie. Wahrscheinlich rothaarig, im frühen 23.Jahrhundert geboren, kleines Muttermal am linken Spann.«

Irgendetwas in diesen Worten drang durch die Verzweiflung, die Liza umfing. »Lies das noch mal«, sagte sie, riss ihm aber den Palmtop aus der Hand, ehe er damit anfangen konnte.

»Kleines Muttermal?«, fragte sie. Plötzlich war sie wieder seine Liza und sprang auf. »Das bin nicht ich, David. Das ist meine Schwester Bex. Sie hat das Muttermal. Und das Computertalent.«

David zog die dunklen Augenbrauen zusammen, wagte nicht zu hoffen. »Aber hier steht Elizabeth McAdams.«

Jetzt lachte Liza. »Das ist eine alte Familientradition. Sie nennen alle ihre rothaarigen Töchter Elizabeth, und dann wählen die ihre eigenen Spitznamen. Die Mutter meines Vaters hieß Lissa, ihre Mutter Betty und so weiter und so fort, bis hin zur ersten rothaarigen Elizabeth McAdams, die in Amerika geboren wurde und nach Königin ElizabethI. benannt war. Bex, eine Unverzichtbare! Ist das nicht fantastisch?«

»Und was ist mit dir?«, hatte David leise gefragt.

Es dauerte ein bisschen, bis Davids Frage zu ihr durchdrang.

Dann begriff Liza, was er meinte. Wenn ihre Schwester und Eltern überlebt hatten, sie aber im Bericht nicht erwähnt wurde, dann war es wahrscheinlich, dass sie bei dem Meteoritenaufprall umgekommen war. Sie griff nach Davids Hand. »Mit mir?«, fragte sie und lächelte, um den Schauer zu überspielen, der ihr über den Rücken lief. »Ich bin mit David Sutton nach Neu-Erde gegangen.«

Der Regierungsausschuss auf Neu-Erde war nicht so leicht zu überzeugen gewesen. Es hatte noch einige Monate und weitere Nachforschungen gebraucht, ehe Liza endlich die Erlaubnis zur Emigration erhielt.

Zumindest, überlegte Liza, hatten die zusätzlichen Nachforschungen ihr weitere Einblicke ins Leben ihrer Schwester gegeben. Bex hatte nicht nur ihre Eltern unterstützt und dabei mitgeholfen, das Internet wieder aufzubauen. Sie war selbst auch eine Art Volksheldin geworden, hatte einen Mann geheiratet, der wie sie rothaarig war, und mit ihm einen neuen Clan von Rothaarigen gegründet. Es war seltsam, dieses Wissen zu haben, aber es machte Liza den Abschied leichter. So war es einfacher, ihren Eltern vorzugaukeln, dass sie David einfach auf den Planeten Omura folgte. Es half natürlich auch, dass ihre Eltern David mochten und ihre Zustimmung gegeben hatten und dass sie stolz darauf waren, dass ihre Tochter ihre Fertigkeiten als Empathin auf einen anderen Planeten mitnehmen wollte. Trotz allem hegte Liza tief im Herzen die Hoffnung, dass sie ihre Familie eines Tages wiedersehen würde, eine Hoffnung, die sie sogar vor David verheimlichte.

Kapitel 1

Abreise

Der Himmel war noch hell, als sie den Weltraumlift erreichten – ein straff gespanntes, ungeheuer starkes Kabel, das in der Nähe des Äquators verankert war. Durch das kleine Bullauge der Druckkapsel, die sie am Kabel hinauftrug, konnte Liza die letzten Sonnenstrahlen sehen. Als sie die Atmosphäre hinter sich gelassen hatten, schwand das Licht, und es war nur noch der dunkle Weltraum durch das Bullauge auszumachen. Unmittelbar über ihnen befand sich, was alle auf der Erde für ein Raumschiff des Planeten Omura hielten. In Wirklichkeit war dies die H-Fax-Anlage, die Human-Fax-Einrichtung. Diese Maschine würde alle Zellen ihres Körpers zerstören, nachdem sie deren Molekularinformationen kopiert hatte, und sie dann fünfzehnhundert Jahre in die Zukunft schicken, wo sich neue Zellen bilden und spontan wieder zusammensetzen würden.

David hatte sie gewarnt, dass es wehtun würde. »Den Schmerz spürst du nur einen kleinen Augenblick«, hatte er gesagt. »Dann nichts mehr, bis du wieder aufgebaut wirst.«

Die Kälte des Weltraums drang durch die Glasscheibe, und Liza wandte sich ab. David nahm sanft ihre Hand und ließ sie nicht mehr los, auch als der Lift gleitend zum Halten gekommen war und eine Computerstimme verkündete: »Andocken begonnen.«

Das nervöse Flattern in Lizas Brust nahm zu. Jetzt hatte sie die Erde offiziell hinter sich gelassen. In weniger als einer Stunde würden ihr Körper und ihr Denken nicht mehr existieren. Was war, wenn sie schrie, wenn sie den stechenden Schmerz verspürte? Was war, wenn die Transmission danebenging und sie für immer verloren war? Was war, wenn die Daten durcheinandergerieten und sie durch einen schrecklichen Zufall ganz anders wieder zusammengesetzt wurde?

Lizas Puls raste, obwohl David ihr versichert hatte, dass man von solchen Unfällen beinahe nie gehört hatte. Er hatte ihr erklärt, was geschehen würde, und ihr versprochen, dass sie trotz des Schmerzes und der unangenehmen Transmission hinterher, wenn sie wieder bei Bewusstsein war, genauso aussehen und sich genauso fühlen würde wie jetzt. Das hoffte Liza. Sie wollte in Bestform sein, wenn sie Davids Eltern kennenlernte, denn sie würden eine Zeit lang bei ihnen wohnen, ehe sie in Davids kleine Wohnung in der Stadtmitte von London zogen.

Liza hatte gehofft, dass sie ein paar Tage Zeit haben würde, um sich an alles zu gewöhnen, ehe sie Davids Eltern kennenlernte, aber David hatte gemeint: »Glaub mir, so ist es einfacher. Wenn ich ein, zwei Tage nicht dort bin, dann taucht meine Mutter alle paar Minuten auf, um sich zu überzeugen, dass es uns gut geht. Außerdem ist ihr Zuhause schöner als meines.«

Mehr hatte David noch nie von seinen Eltern erzählt. Er hatte viel über seinen Bruder Paul gesprochen, manchmal auch von seiner kleinen Schwester Fiona. Er hatte Liza berichtet, dass er in einem Vorort von London aufgewachsen war und dass sein Vater einmal in der gleichen Zeitflotte gedient hatte wie David heute, aber sonst hatte er beinahe nichts von ihnen erzählt.

Die Computerstimme ertönte wieder. »Andocken abgeschlossen. Sie haben jetzt die H-Fax-Anlage erreicht. Bitte gehen Sie durch die Scanner zu Ihrer Linken. Erfolgreiche Heimreise. Wenn Sie zum ersten Mal mit uns reisen, gehen Sie bitte zuerst zur Medi-Booth, um gechippt zu werden.«

Die Tür öffnete sich, und David führte Liza in einen großen runden Raum, der dem Empfang eines Hotels ähnelte. Hinter den Scannern bog Liza in Richtung des schwach erleuchteten Schildes ab, auf dem Medi-Booth stand. Es gab auf der Erde nur diese eine Transporteinrichtung, und obwohl David ihr erklärt hatte, dass man Transmissionen stets in Gruppen durchführte, um Energie zu sparen, war Liza doch überrascht, wie viele Erstreisende mit ihr zusammen dort Schlange standen. Die meisten waren Frauen, aber es waren auch einige Männer dabei.

Als Liza darauf wartete, an die Reihe zu kommen, dachte sie noch einmal an die anderen Dinge, die ihr David über Neu-Erde erzählt hatte. Monatelang versuchte sie nun schon, sich die Welt vorzustellen, in die sie bald eintreten würde, aber es war ihr unmöglich. Essen, das sich selbst herstellte. Autos, die sich selbst lenkten. Männer und Frauen, die bereit waren, ferne Zeitzonen zu erforschen, obwohl sie niemals ganz sicher waren, was sie dort vorfinden würden. Liza verließ ihre vertraute, angenehme Welt, und auch sie war sich nicht sicher, was sie vorfinden würde, ganz gleich, wie oft David versucht hatte, es ihr zu beschreiben.

Die Schlange rückte vor, und plötzlich hörte sie einige Leute weiter vorn eine vertraute Stimme. Sofort wurde sie in den Aufenthaltsraum der Empathen in dem Krankenhaus zurückversetzt, wo sie ihre Ausbildung gemacht und gearbeitet hatte. Unbehagen, ein Gefühl der Rivalität und Verwirrung stürmten auf sie ein, obwohl sie die Stimme nicht sofort identifizieren konnte. Vergeblich verrenkte sie sich den Hals, um über die Leute vor sich zu blicken.

Du bist nervös, dachte sie sich, und bildest dir ein, da vorn jemanden zu kennen.

»Bitte rücken Sie mir nicht so nah auf die Pelle«, sagte die vertraute Stimme zu der Person, die hinter ihr stand. »Sie stehen ja beinahe in meinen Schuhen. Ich würde nur ungern mit blauen Flecken wieder zusammengesetzt werden!« Es gab eine kleine Bewegung, und die Besitzerin der Stimme trat aus der Schlange zur Seite und rasch wieder hinein. In dem kurzen Augenblick erhaschte Liza einen Blick auf ihr Profil.

Piper Simms! Piper, die so neidisch auf Lizas Fertigkeiten als Empathin gewesen war, dass sie sich oft größte Mühe gegeben hatte, ihr ein Bein zu stellen. Und jetzt wollte sie eine Zeitreise nach Neu-Erde machen! Schnell duckte sich Liza wieder und hoffte, dass Piper sie nicht bemerkt hatte. Piper wäre außer David die einzige Person, die sie auf Neu-Erde kennen würde. Aber nach allem, was zwischen ihnen vorgefallen war, wollte sie da überhaupt, dass Piper wusste, dass sie dort war? Ehe Liza eine Entscheidung treffen konnte, rückte die Schlange vor und Piper verschwand im Medi-Booth.

Liza wartete, bis endlich auch sie an der Reihe war. Eine Technikerin schoss ihr mit einem Gerät, das aussah wie ein Schlagbohrer, einen winzigen Mikrochip in den Nacken. Neu-Erde markiert mich ja ziemlich rasch als eine der Ihren, überlegte sie.

Als sie aus der Kabine kam, wartete David auf sie. Piper war nirgends zu sehen. Liza atmete erleichtert auf.

»Kannst du verstehen, was ich sage?«, fragte David.

Liza bemerkte, dass er in der schnellen, rauschenden Sprache redete, die er in ihrem Beisein auf der Erde zweimal benutzt hatte: einmal, als er zu Anfang irrtümlich annahm, sie käme auch von Neu-Erde, und einmal mit Mia, seiner Forschungspartnerin. Erst jetzt begriff sie, dass die Sprache Englisch war, aber so schnell gesprochen wurde, dass die Wörter einander beinahe zu überholen schienen.

»Ich verstehe dich«, antwortete sie und war überrascht, dass sie selbst genauso redete. Der Chip war also nicht nur eine Markierung, sondern er würde ihr auch beim Übergang nach Neu-Erde dabei helfen, das dort gesprochene Englisch zu verstehen und selbst zu verwenden. Der Chip hatte also bereits auf ihr Gehirn eingewirkt.

»Ziemlich cool, was? Der Chip nimmt jede Sprache auf, die in deiner Umgebung gesprochen wird, und übersetzt sie in beide Richtungen.«

»Großartig«, antwortete Liza, die sich erst noch an den Klang ihrer Stimme gewöhnen musste. Dann bemerkte sie, dass ein beißender Geruch in der Luft lag, als würde jemand Papier verbrennen.

»Was ist das für ein Geruch?«, fragte sie.

»Oh, äh, ja.« David zögerte. »Sie haben bereits mit den Transmissionen begonnen, während man dir noch deinen Chip verpasst hat.«

Liza begriff, dass der verbrannte Geruch wohl von den Überresten menschlicher Zellen herrührte. Es wurde ihr ein wenig übel, wenn sie darüber nachdachte, und sie fragte sich unwillkürlich, ob sie nicht vielleicht gerade ein Molekül von Piper einatmete.

»Komm«, sagte David und nahm sie bei der Hand. »Es hat keinen Sinn, noch länger zu warten. Auf geht’s.«

Er führte sie zu einer Treppe, die sie bisher nicht bemerkt hatte. Eine glatte geschwungene Fläche an der Wand entpuppte sich als eine Art Glasrolltreppe. So angestrengt Liza auch durch das Glas nach unten starrte, sie konnte keinen Antriebsmechanismus ausmachen. Die Glasstufen schienen sich aus eigener Kraft nach oben zu bewegen und brachten sie in einen großen, kreisförmigen Raum, der genauso aussah wie der untere. Die Hälfte des Raums war von etwas umgeben, das zunächst wie eine Reihe langer, geschwungener Bänke aussah, die in einer größeren, gekrümmten Röhre verschwanden, die die andere Hälfte des Raums einnahm. Erst jetzt bemerkte sie, dass die Sitzreihe langsam rotierte und dass es gar keine Bänke waren, sondern eine Art Transportband. Die Leute standen Schlange und legten sich dann darauf. Die langen Sitzmulden wirkten bei näherem Hinsehen eher wie Wiegen. Nachdem sie einmal in der Röhre verschwunden waren, tauchten die Leute nicht mehr auf.

Plötzlich bekam Liza Angst. Kaltes Grausen erfasste sie und verkrampfte ihren Magen. »Ich… ich weiß nicht, ob ich das schaffe.«

David legte die Arme um sie. »Das erste Mal ist immer furchterregend. Zumindest dieser Teil hier. Die Zeit vorher. Die eigentliche Transmission ist nicht so schlimm wie das Warten.«

Liza musste an ihre Freundin Rani denken, die ihr Leben gegeben hatte, um Liza ein Leben voller Schuldgefühle zu ersparen. Wenn Rani das geschafft hatte, dann konnte sie es auch.

Liza straffte ihre Schultern und schaute David in die grauen Augen. Sofort war wie immer die Verbindung da, der ganz besondere Funke, stark und unmittelbar. »Du hast recht. Also, dann los.«

»Bis bald«, sagte David. »Bis in anderthalb Jahrtausenden.«

Der Witz war nicht besonders gut, aber Liza lächelte trotzdem. Wenn etwas schiefging, dann wollte sie, dass David sie so in Erinnerung behielt: lächelnd.

David stieg vor ihr auf das Transportband. Der Gedanke an die Transmission und die damit verbundenen Schmerzen ängstigte Liza zwar immer noch. Doch das Wissen, dass David das Gleiche gerade eben auch durchgemacht hatte, würde ihr die Sache sehr erleichtern.

Aber es würde nichts schiefgehen, sagte sie sich, als sie sich auf das Band legte. Trotzdem raste ihr Herz und irgendetwas schnürte ihr die Brust zusammen. Das Band bewegte sich unendlich langsam vorwärts, in einem quälenden Schneckentempo, sodass sie genug Zeit hatte, sich in ihrer Fantasie all die Dinge auszumalen, die vielleicht falsch laufen könnten. Was war, wenn sie es nicht schaffte, sich auf Neu-Erde einzugewöhnen? Was war, wenn sie sich geirrt hatte und die Liebe zwischen ihr und David nicht stark genug war, um jeden Abgrund zu überbrücken?

Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde sie endlich in die dunkle Röhre geschoben. Zunächst konnte sie gar nichts sehen und nahm lediglich wahr, dass das Band weiter vorwärtskroch. Dann bemerkte sie Lichtblitze, die irgendwo weiter vorn in der Dunkelheit explodierten. Sie hob den Kopf, um besser sehen zu können, aber ehe sie irgendetwas ausmachen konnte, senkte sich eine Glaskuppel über sie herunter. Wie ein Sargdeckel, dachte Liza mit einem leisen Schaudern. Einige Momente später begannen in der Kuppel winzige Lichtpünktchen zu leuchten. Es sah aus wie ein Nachthimmel, der mit unzähligen Sternen übersät war. Die Umrisse der Kuppel schienen in dem Licht zu verschwinden, und einen Augenblick lang stellte sich Liza vor, es wären wirklich Sterne, die da Millionen von Kilometern entfernt über ihrem Kopf tanzten. Vielleicht war das, was sie für eine Kuppel gehalten hatte, eigentlich ein Fenster? Aber nein, jetzt begannen die Lichtpünktchen zu pulsieren und veränderten die Farbe von Weiß nach Blau und dann nach Violett. Liza hielt die Luft an, denn alles schien ihr so tröstlich und war unerwartet schön.

Plötzlich explodierten die Lichtpunkte und ein stechender Schmerz durchfuhr sie und raubte ihr den Atem. Doch ehe sie die volle Wucht dieses Schmerzes wahrnahm oder die Panik des Erstickens erlebte, zerstoben ihre Moleküle, waren kaum mehr als ein paar Hände voll Staub und wurden von einem Schwall Druckluft davongetragen, und das 23.Jahrhundert, in dem sie geboren war, ging ohne sie weiter.

Kapitel 2

Ankunft

Ihr war kalt. Eine stechende, beißende Kälte hielt ihren ganzen Körper umfangen und ein eisiger weißer Nebel umwölkte ihre Augen. Einen Augenblick lang konnte Liza sich nicht erinnern, wo sie war oder wo sie herkam. Dann setzte ihre Erinnerung wieder ein und sie dachte: Ich habe es nicht geschafft. Ich bin wohl gestorben. Doch ihre Fingerspitzen waren warm und spürten den Druck einer anderen Hand. Es geht dir gut, sagte eine Stimme. Erinnere dich nur immer daran, was ich dir gesagt habe: Geh mutig mit deinem Leben um, Liza.

Ellie Hart! Die ältere Dame, die Patientin, mit der sie als Empathin im Royal London Hospital gearbeitet hatte. Die einzige Patientin, die ihr eine echte Freundin geworden war und die vor ein paar Monaten gestorben war.

»Mrs Hart?«

»Nein, nein, ich bin’s Liza.« Der Druck auf ihre Finger nahm zu, aber jetzt hörte sie eine andere Stimme.

Liza richtete sich mühsam auf, und der weiße Nebel verzog sich. »David!«

Er grinste von einem Ohr zum anderen. »Ich habe zugeschaut, wie du wieder entstanden bist«, sagte er.

»Wirklich?«

»Ja, du bist einfach irgendwie aus einem Luftwirbel aufgetaucht. Es war das reine Wunder. Ich habe das noch nie vorher beobachtet.«

Es war tatsächlich eine Art Wunder, überlegte Liza. Ihre Zellen hatten sich aus elementaren Bausteinen in der umgebenden Atmosphäre neu gebildet, und offensichtlich wussten sie zudem, mit welchen anderen Zellen sie sich zusammentun und wie und wo sie andocken mussten.

Liza versuchte aufzustehen, sackte aber schwach zurück.

»Immer mit der Ruhe«, warnte David. »Das erste Mal bist du vielleicht zuerst noch ein bisschen benommen.« Er nahm ihre andere Hand und zog sie langsam auf die Beine, legte dann die Arme um sie und wärmte sie mit seinem Körper.

»Was …? Wo sind …?« Während sie noch die Fragen zu formulieren versuchte, erinnerte sie sich. »Wir sind auf Neu-Erde, stimmt’s?«

Wie als Antwort sagte die gleiche Computerstimme, die sie schon vor der Transmission gehört hatte: »Die Allianz der Weltdemokratien heißt Sie auf Transportbasis eins willkommen. Sie befinden sich im Augenblick auf Ebene sieben. Der London Ghost fährt heute Abend auf Ebene drei ab. Der New York Ghost verspätet sich wegen tektonischer Aktivitäten am Meeresboden und trifft in dreißig Minuten auf Ebene vier ein. Bitte gehen Sie zum Check-in. Die Zeit in Reykjavik ist neunzehn Uhr zehn am Freitag, dem sechsten Mai 3738.«

»Warum nennen sie denn die Zeit in Island?«, fragte Liza, als sie mit der Menge vorwärtsgingen.

»Weil wir mitten im Atlantik sind, knapp südlich von Island.«

Liza machte ein langes Gesicht. Island war beinahe zweitausend Kilometer von London entfernt. Es sah ganz so aus, als hätte ihre Reise gerade erst begonnen.

»Noch eine Fahrt?«

»Mach dir keine Sorgen«, sagte David und legte ihr den Arm um die Schulter. »Der Ghost bringt uns nach Hause.«

»Wie lange dauert das?«

»Mit Druckaufbau und Entschleunigung? Etwa zwanzig Minuten.« Er grinste, genoss sichtlich Lizas verdutzte Miene. »Eines von vielen Wunderwerken auf Neu-Erde, die du bestimmt bald lieben wirst.«

Wirklich? Liza schaute sich um und war sich auf einmal gar nicht mehr sicher. Monatelang hatte sie versucht, sich Neu-Erde auszumalen, und nun wurde ihr klar, dass ihr das überhaupt nicht gelungen war. Was sie vor sich sah, war anders als alles, was sie sich vorgestellt hatte. Sie hatte das schwindelerregende Gefühl, in ein sich ständig verschiebendes Kaleidoskop zu schauen. Türen schienen aus dem Nichts aufzutauchen. Von den weiter oben liegenden Ebenen hingen weit geschwungene Treppen herunter, von schummrigem blauem Neonlicht umgeben. Ohne Wände oder Stützen wirkten sie wie gewundene Bänder.

Liza ertappte sich dabei, dass sie in der Menge nach Piper Ausschau hielt. Ihre Beziehung war ziemlich kompliziert und schwierig gewesen, aber jetzt war Piper die einzige Person, die sie kannte und die vielleicht verstehen würde, was sie gerade empfand, oder die sich genauso verloren fühlte. Aber inzwischen hatte sie die Gelegenheit verpasst und konnte Piper nirgendwo mehr entdecken.