Liebe blüht, wenn man sie gießt - Petra Teufl - E-Book
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Liebe blüht, wenn man sie gießt E-Book

Petra Teufl

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Beschreibung

Nach ihrer geplatzten Hochzeit sucht Autorin Anna nichts als Ruhe. In der geerbten Gärtnerei ihres Großvaters will sie schreiben – ganz ohne Ablenkung. Doch dann steht eines Nachts Tom vor der Tür: Botaniker, charmant, unwiderstehlich. Widerstrebend nimmt Anna ihn als Untermieter auf – und fühlt sich schon bald mehr als nur wohl in seiner Nähe. Doch als Toms manipulative Ex-Freundin Patricia auftaucht, droht das frische Glück zu zerbrechen. Mit ihren skrupellosen Intrigen bringt sie nicht nur Annas Gefühle durcheinander, sondern setzt auch die Gärtnerei aufs Spiel. Plötzlich findet sich Anna in einem echten Drama wieder – und das ist so gar nicht ihre Art von Geschichte. Wird sie dem Mann, der ihr Herz erobert hat, vertrauen? Oder kehrt sie der Liebe endgültig den Rücken? Eine humorvolle, emotionale Liebesgeschichte über Neuanfänge, Vertrauen und den Mut, sein Herz aufs Spiel zu setzen.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Petra Teufl

Liebe blüht, wenn man sie gießt

Die Autorin Anna hat genug von Männern. Doch dann zieht Tom als Untermieter bei ihr ein und sie verliebt sich. Kann sie ihm vertrauen? Der attraktive Botaniker macht es ihr nicht leicht. Denn mit seiner intriganten Exfreundin verbindet ihn immer noch mehr als ein Forschungsprojekt.

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Über dieses Buch

Nach einer geplatzten Hochzeit weiß die Autorin Anna, was sie braucht: einen Neuanfang. Dafür zieht sie in das geerbte Haus der Gärtnerei von Opa Erich. Doch ihr Plan, Ruhe für das Schreiben zu finden, scheitert. Eines Nachts steht ein Untermieter vor der Tür. Tom ist Botaniker, attraktiv und charmant. Widerwillig folgt Anna dem Rat ihrer gewitzten Freundin Effi und arrangiert sich mit dem Eindringling - und mehr noch, sie verliebt sich in den Pflanzennarren. Gerade als ihr Herz wieder zu heilen beginnt, taucht Toms Ex-Freundin auf und wirbelt alles durcheinander. Mit ihren fiesen Intrigen bringt Patricia nicht nur Annas Gefühle durcheinander, sondern gefährdet auch ihr Erbe. Plötzlich findet sie sich als Figur eines Thrillers wieder. Das ist so gar nicht ihr Genre. Und Tom? Hat er wirklich die Trennung von Patricia überwunden?

Anna würde lieber als Einsiedlerin leben, als sich noch einmal in einem Mann zu täuschen.

Petra Teufl

Liebe blüht,

wenn man sie gießt.

Roman

Alle Rechte der Vervielfältigung, Bearbeitung und Übersetzung, ganz oder teilweise, sind für alle Länder vorbehalten. Die Autorin oder der Autor oder Herausgeber ist alleinige*r Inhaber*in der Rechte und verantwortlich für den Inhalt dieses Buches. Das Gesetz über geistiges Eigentum verbietet Kopien oder Vervielfältigungen, die für eine kollektive Nutzung bestimmt sind. Jede vollständige oder teilweise Darstellung oder Vervielfältigung, die durch ein beliebiges Verfahren ohne die Zustimmung der Autorin oder des Autors oder seinen Berechtigten oder Rechtsnachfolger*innen erfolgt, ist rechtswidrig und stellt eine Fälschung im Sinne der Artikel L.335-2 ff. des Gesetzes über das geistige Eigentum dar.

© 2024 Petra Teufl - petrateufl.com

Petra Teufl, Kleinfeld 5a, 93055 Regensburg

Covergestaltung/Bildrechte: © Clara Teufl

ISBN: 978-381-940341-5

Kapitel 1

Anna steht mitten in der engen Krämergasse, umgeben von 5 Umzugskisten, 2 Kleidersäcken, 10 Bananenkisten voller Bücher und einem buschigen Zimmerbaum. Sie wischt sich den Schweiß von der Stirn und knotet das grüne Haarband fester um die Lockenmähne. Wenn sie eines hasst, dann auffällig irgendwo herumzustehen und zwangsläufig beäugt zu werden. Natürlich glotzen Passanten sie neugierig an und Autofahrer haben in der 30-km-Zone auch nichts Besseres zu tun, als sie anzustarren. Klasse, ihr Neustart beginnt eindeutig holprig. Zuerst konnte ihr Bruder, Albert, nur dabei helfen, die Umzugsfuhre vier Stockwerke, ohne Lift, über die verwinkelten Treppen des Altbaus runter vor die Haustür zu tragen, bevor ein Anruf ihn zu einem Notfall zu einer seiner Baustellen gerufen hat. Und dann taucht Effi mit dem Transporter nicht auf. Wo zum Teufel bleibt sie? Ihre Freundin wollte schon vor einer halben Stunde da sein. Hat sie ihre Zusage vergessen, Anna beim Umzug zu helfen? Das sähe Effi ähnlich. Als Betreiberin eines Bistros läuft sie meist auf Hochtouren, vor allem wenn der Bäcker die Törtchen nicht pünktlich liefert, eine Angestellte krank ist oder die Heizung nicht funktioniert. Was ist es diesmal? Anna betrachtet besorgt den bewölkten Himmel. Wenn es jetzt noch regnet, wäre das eindeutig ein schlechtes Omen für ihre Zukunft.

Anna schlüpft in ihre Jeansjacke und durchsucht die Taschen nach ihrem Schlüssel. Hat sie den etwa in ihrer Dachwohnung liegen gelassen? Auch das wäre ein klarer Hinweis des Schicksals, dass ihre Entscheidung, das gemütlich möblierte Appartement nach zehn Jahren zu verlassen, eine Schnapsidee war. Es haben sie ohnehin alle gewarnt. „Du weißt nicht, was du dir da aufhalst“, hat ihre Mutter kopfschüttelnd festgestellt. Freunde fragen einhellig: „Was willst du als Schriftstellerin mit einer stillgelegten Gärtnerei und einem heruntergekommenen Haus?“ Und Albert legte ihr eindringlich nahe, Opa Erichs Gärtnerei zu verkaufen, weil die Grundstückspreise gerade auf einem phänomenalen Höchststand seien. „Kauf dir ein altes Kino“, riet er ihr. „Das passt besser zu dir.“ Wie er darauf gekommen ist, versteht Anna heute noch nicht. Was bitte, hat sie mit einem alten Kino zu tun?

Aber das Blöde ist eigentlich, dass sie mit ihren Einwänden gar nicht so falschlagen. Schließlich ist sie weder eine Naturliebhaberin noch kann sie mit handwerklichem Geschick glänzen. Ihr Domizil war ihr Schreibtisch an dem großen Fenster mit Blick über die Dächer der Altstadt und ihre Leidenschaft ist das Schreiben. Trotzdem ist Anna entschlossen, einen Schlussstrich unter ihr Stadtleben zu ziehen und zukünftig in Opas Häuschen auf dem Gelände seiner Gärtnerei zu wohnen. Wo sonst lassen sich Romane besser schreiben als an einem Ort im Grünen?

In der Innentasche der Jeansjacke verfängt sich ein Band zwischen Annas Fingern. Erleichtert zieht sie es heraus und lässt den daran hängenden Wohnungsschlüssel hin und her baumeln. Es ist Zeit, ein Zeichen ihrer Entschlossenheit zu setzen. Anna steigt über den Kleidersack auf die Haustür zu, drückt sie auf und schreitet die Reihe der Briefkästen ab. Vor dem von Frau Schmidts, der Vermieterin, bleibt sie stehen. Andächtig lässt sie den Schlüssel durch den Schlitz gleiten, hält einen Moment inne und lässt ihn dann los. Der Aufprall des Schlüssels auf den Boden des Briefkastens hallt blechern durch das Treppenhaus. Weil sich das so gut anfühlt, geht Anna zur Klingelanlage, pult mit einem Kuli das Pappschild mit ihrem Namen aus dem Schlitz und wirft es in die Mülltonne. Das war's also mit ihrer ersten eigenen Wohnung, in der sie zehn Jahre gelebt hat. Hier hat sie die Höhen und Tiefen des Germanistikstudiums durchlebt und ihren ersten Roman geschrieben. Sie hat eine stürmische Liebesgeschichte mit Frederik durchlebt und dann den Liebeskummer einer verlassenen Braut durchlitten. Keine schlechte Bilanz für eine junge Frau, die am liebsten am Schreibtisch sitzt und in Gedanken durch die Leben ihrer Romanfiguren spaziert. Anna setzt sich seufzend auf eine Kiste, schlägt die Beine übereinander und verschränkt die Arme vor der Brust. Einatmen, ausatmen – sie kommt sich wie ein ausgesetztes Kätzchen vor, dem der Wind um die Ohren pfeift. Lächerlich!

Endlich biegt Effis pinkfarbener VW Caddy schwungvoll und hupend in die Krämergasse ein und parkt vor Annas gestapelten Habseligkeiten.

„Pardon! Es tut mir leid“, ruft Effi mit ihrem französischen Akzent, noch während sie aussteigt. „Ich musste noch zum Großmarkt. Milch und Champagner waren ausgegangen. Ich sage dir, gestern Abend war die Hölle los im Bistro.“ Effi in knallrotem Minirock, schwarzen Stöckelschuhen und knapper Seidenbluse schlängelt sich zwischen den Kisten durch und küsst Anna auf beide Wangen. „Hast du schon lange gewartet, Chérie?“

Anna schüttelt den Kopf. „Habe nur gedacht, du lässt mich sitzen.“

„Ach was, jamais!“ Mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtet sie die Umzugsfuhre. „Hast du armes Häschen alles allein heruntergetragen?“

„Albert hat mir geholfen. Der musste aber dann zur Arbeit“, erklärt Anne.

„Brüder sind sooo wundervoll, n’est-ce pas?“

Anna lacht. Sie hat schon länger das Gefühl, dass Effi und Albert mehr als gute Freunde sein könnten, wenn einer endlich den ersten Schritt wagen würde.

„Albert ist zwar ein guter Bruder, aber leider auch Architekt“, sagt sie, während sie eine Kiste zum Auto schleppt. „Der ist mindestens so schlimm wie du. Zu viel Arbeit und nie weiß er, wann er Zeit für mich hat.“

Gemeinsam hieven sie die erste Kiste in den Laderaum des Caddys.

„Ist er deswegen Single?“, fragt Effi, die trotz ihres unpassenden Outfits ordentlich zupackt. Anna sieht ihre Freundin mit einem verschmitzten Lächeln an.

„Du kennst ihn doch“, behauptet sie. „Er ist ein Stoffel und Banause, was den Umgang mit Frauen angeht.“

„Nun, so schlimm ist er nicht“, entgegnet Effi. „Er ist schon, na wie sagt man, très charmant.“

Anna beißt sich auf die Lippe. Wenn die Französin ihren Bruder charmant findet, dann hält sie jetzt lieber den Mund. Nicht, dass sie ein aufkeimendes Pflänzchen mit Worten zurück in den Untergrund tritt. Wäre doch nett, wenn aus den beiden ein Paar werden würde. Mit Effi zu arbeiten heißt, zügig zu arbeiten, und so sind die Kisten bald in dem VW, die Kleidersäcke, zwei Bücherkisten und die ausladende Zimmerpflanze in Annas kleinem Renault verstaut.

„So, meine Liebe“, sagt Effi und legt einen Arm um Annas Schulter. „Sag ‚adieu' zu deiner Studentenbude und endlich auch endgültig zu dem horrible Frederik, der dich stehen gelassen hat, vor dem …“

„Hey, stopp!“, platzt Anna dazwischen und windet sich aus Effis Umarmung. „Sprich das nicht aus! Ich will das nicht hören.“

„Mon Dieu!“ Effi wedelt mit ihrer Hand und dem daran klimpernden Armband durch die Luft. „Erst wenn du es hören kannst, ohne dir die Ohren zuzuhalten, hast du es geschafft. Vielleicht ist es wirklich eine bonne idée, wenn du in diese Bruchbude ziehst.“

Anna drückt ihr einen Kuss auf die Wange. „Lass uns endlich losfahren, sonst holen mich doch noch die Bedenken ein und ich bleibe hier, wo alles vertraut ist und sicher.“

„Du würdest dein ganzes Zeug wieder in den vierten Stock schleppen?“

„Nein, sicher nicht“, lacht Anna und setzt sich auf den Beifahrersitz des Caddys.

Mit einem mulmigen Gefühl im Magen tippte sie ihre neue Adresse in das Eingabefeld des Navis, Kleinfeld 85. Effi schüttelt den Kopf, während sie den Motor startet.

„Wo soll das sein? Hinter den sieben Bergen?“

Anna pufft sie mit dem Ellenbogen in die Seite. „Rede nicht so! Ich brauche viel Aufmunterung. Zweifel habe ich selbst ausreichend.“

„Pardon!“, erwidert Effi fröhlich. „Also, du machst das prima! Eine neue Wohnung bedeutet frisches Glück und eine neue Liebe!“

„Vielen Dank“, sagt Anna übertrieben höflich, steigt aus, wirft die Autotür zu und sieht ihrer Freundin hinterher, die sich in den Verkehr einfädelt und bald aus der Krämergasse verschwindet.

Effi hat es schon immer geschafft, mit ihrer sorglosen Art Annas düstere Wolken zu vertreiben. Selbst als Frederik vor einem halben Jahr im Angesicht der festlichen Hochzeitsgesellschaft Anna statt des Ja-Wortes ein „… eigentlich … du musst verstehen … Nein“ entgegen gestammelt hat. Drei Wochen lang hat Anna ihre Wohnung nicht verlassen. Sie hat sich die Augen wund geheult und ihr gebrochenes Herz mit einem Druckverband zusammengehalten. Dann hat Effi unerbittlich erst an ihre Tür geklopft und schließlich getreten. Sie hat Anna regelrecht gezwungen, ihre vom Putzen wund gescheuerte Nase durch den Türspalt zu stecken. Effi hat sich Einlass verschafft, die Fenster aufgerissen, die Pizza- und Eisverpackungen eingesammelt und dabei eine energische Rede in einem deutsch-französischen Kauderwelsch gehalten. Schlussendlich willigte Anna ein, einmal in der Woche bei Effis Bistro zu arbeiten. „Du gehst hier ein wie ein schrumpelnder Kaktus“, waren Effis überzeugende Argumente. „Du brauchst Wasser. Arbeit in meinem Bistro wirkt wie eine erfrischende Sprinkleranlage!“

Anna wirft einen Blick in den Rückspiegel, schert aus und fährt langsam die einspurige Gasse entlang, schiebt sich durch die belebte Fußgängerzone und erst als sie die vierspurige Straße stadtauswärts erreicht, schaltet sie das Radio an. Begleitet von schwungvollen Popsongs lässt sie erst die Altstadt dann Wohn- und Gewerbegebiete hinter sich. Mit jedem Kilometer nimmt sie Abschied von ihrem Stadtleben. Ach was, korrigiert sie sich, ganz so dramatisch ist es nun auch wieder nicht. Schließlich wird sie weiterhin innerhalb der Stadtgrenzen von Weissling wohnen. Nur eben im Randbereich. Sie wird weiterhin einmal in der Woche in Effis Bistro jobben und sie kann jederzeit mit der Stadtbahn ins Zentrum fahren. Der einzige Unterschied zu ihrem bisherigen Leben wird die Fahrzeit sein. Fünfzehn Minuten sind ein Klacks. Dafür wird sie in der Ruhe der Abgeschiedenheit, mit Blick auf Beete und Gewächshäuser, an ihrem zweiten Roman schreiben. Da sie keine Miete mehr zahlen muss, würde ihr das Geld von dem Job im Bistro und dem Vorschuss des Verlages für den Folgeroman mindestens ein Jahr reichen.

Hinter der Autobahnunterführung, nach der Steinsäule, biegt sie links in eine kleine abschüssige Straße, fährt an Reihen- und Einfamilienhäusern, Wegweisern zum Sportverein, Feuerwehr und Kindergarten vorbei bis zu dem Tor der Gärtnerei Burger am Ende der Straße. Effis Caddy steht schon vor dem Haus. Wie war sie durch das Tor gekommen? War das nicht abgeschlossen? Hat das jemand aufgebrochen? Einbrecher vielleicht oder Obdachlose? Ein Panikschub rauscht durch Annas Körper. Sie atmet einmal tief durch. Wahrscheinlich hat ihre Mutter einfach vergessen, das Tor abzuschließen, als sie Opa Erichs persönliche Sachen aus dem Haus geholt hat.

Die letzten Meter bis zum Haus lässt sie den Renault über den Kiesweg rollen und starrt auf das verwahrloste Gelände. Sie hätte vorher einmal nach dem Rechten sehen sollen, anstatt sich blindlings auf ihre Erinnerung an eine florierende, gepflegte Gärtnerei zu verlassen. Dabei hat sie schlichtweg verdrängt, dass ihr Großvater die Gärtnerei vor fünfzehn Jahren stillgelegt und sich danach nur notdürftig um die Gewächshäuser, Beete und das Haus gekümmert hat. Natürlich war das Gelände heruntergekommen, die Beete zugewuchert, das Glas der Gewächshäuser blind vom Schmutz. Efeu, wilder Wein und Brunnenkresse arbeiten sich an allem hoch, was sie erreichen können. Wenigstens sorgt das frische, zarte Frühlingsgrün dafür, dass Anna den Anblick ihres Erbes mit wild romantisch' bezeichnen kann. In der Mitte des Geländes, vor einem lang gezogenen, ebenerdigen Wohnhaus, dessen Farbe zwischen Braun und Grau changiert, wartet Effi, lässig an den Caddy gelehnt „Sieht charmant aus, vraiment! All dieses Grün! Oh lala!“

„So kann man es auch sagen“, murmelt Anna etwas desillusioniert und steigt aus.

Mit bedenklich gespitzten Lippen lässt Effi ihren Blick über den chaotischen Wildwuchs schweifen. Sie würde wahrscheinlich nur zu gern zum nächsten Spaten greifen und für Ordnung sorgen. Ihre Tatkraft bei handwerklichen Arbeiten könnte ich auch gebrauchen, denkt Anna, als sie die im Unkraut erstickten Gemüsebeete, den vom Efeu zugewachsenen Geräteschuppen und den vermoosten Rasen betrachtet, auf dem verrostete Gartenstühle, eine Teppichstange und die alte Hundehütte stehen.

„Dites-moi, wie lange steht das Haus jetzt leer?“, fragt Effi, während sie die Türen ihres Caddys öffnet.

„Also, Opa Erich ist vor einem halben Jahr gestorben und davor war er mindestens für eineinhalb Jahre in einem Pflegeheim“, erklärt Anna, zerrt eine Kiste aus dem Wagen und setzt sie stöhnend neben der Haustür ab.

„Du warst nicht zwischendurch mal da, um zu sehen, ob alles o.k. ist?“

„Nein, ich dachte, es wird schon nicht so schlimm werden“, antwortet Anna leise. „Außerdem ist es jetzt zu spät. Oder?“

Sie laden die Autos aus und stapeln alles vor dem Haus.

„Hast du deinen Opa gemocht?“, fragt Effi, als sie sich auf einen großen Stein hockt, um auszuruhen.

„Na ja, als Kind habe ich Angst vor ihm gehabt“, gesteht Anna. „Er war so ein grantiger alter Mann, der nie gelacht oder mit Albert und mir gespielt hat. Wenn wir ihn in der Gärtnerei besucht haben, hat er uns alles Mögliche verboten. Spielt nicht mit dem Wasser, geht weg von den Beeten, betretet die Gewächshäuser nicht!“

„Und später?“, will Effi wissen.

„Als Jugendliche habe ich mich geweigert, Opa Erich zu besuchen. Vor einigen Jahren hat mich Mama aber gebeten, einmal im Monat bei ihm vorbeizuschauen. Da war er dann gar nicht mehr so schlimm. Griesgrämig, wortkarg – aber das war erträglich. Ich glaube, er war ganz froh über meine kurzen Besuche. Im Pflegeheim hat er sogar manchmal gelächelt, wenn er mich sah. Ich glaube, er hätte sich gefreut zu erfahren, dass wir seine Gärtnerei nicht verkauft haben.“

„Ja, aber nur, weil du dich gegen das viele, viele Geld entschieden hast. N’ est pas? War das nicht so? Opa Erich hatte mehr auf der Bank, als ihr erwartet habt“, ergänzt Effi mit erhobenem Zeigefinger. „Ich will dies deutlich aussprechen, bevor du das verschrumpelte Haus betrittst, für das du klimpernde Münzen und raschelnde Scheine ausgeschlagen hast.“

„Ja, schon gut! Keiner versteht meine Entscheidung. Aber vielleicht verkaufe ich die Gärtnerei doch noch und dann klimpern die Münzen in meiner Tasche“, erwiderte Anna.

Sie schließt die Haustür auf, wirft einen kurzen Blick in den dunklen Flur – und hustet. Ein Schwall abgestandener Luft voller Staubflusen nimmt ihr den Atem. Mit einer einladenden Geste stößt sie die Tür auf.

„Willkommen in meinem neuen Heim!“

Edith winkt lachend ab. „No, ma Chérie! Je suis désolée.“ Sie umarmt Anna fest, drückt ihr einen Kuss auf die Wange und steigt in den Caddy. „Du weißt, wenn ich Schmutz sehe, muss ich sofort wischen. Ein Reflex. Deshalb schaue ich lieber nicht hin. Ich muss zurück ins Bistro. Benno ist krank und ich muss seine Schicht übernehmen.“ Bevor sie losfährt, winkt sie aus dem Fenster. „Wie gut, dass du nicht nach Amerika gezogen bist.“

„Stimmt!“, stellt Anna erleichtert fest. „Ich bin nur jenseits der Autobahn in einem dörflichen Anhang von Weissling gelandet.“

„Wann gibst du eine Feier zum Einzug? Die Location ist ideal für eine Gartenparty, ein Candle-Light-Dinner im Gewächshaus – welch wunderbare Möglichkeiten!“

„Lass mir zwei Wochen Zeit, dann gern.“

„Bonne Chance, meine Liebe!“

Anna folgt dem Caddy, bis er das Gelände verlassen hat, und winkt der Französin, die ihre Welt wieder einmal in ein schillerndes Licht getaucht hat. Dann drückt sie die Torflügel zu, schließt ab, ruckelt daran und obwohl sie sicher ist, dass das Schloss funktioniert, legt sie auch noch den Bügel quer die Halterung. Mit der beruhigenden Gewissheit, dass ihr Burgtor fest verrammelt ist, dreht sie sich um und schlendert zurück zum Haus. „Es ist perfekt“, denkt Anna. Was soll das denn? Perfekt ist nun wirklich etwas Anderes. Aber solange das Dach dicht ist, die Heizung funktionstüchtig, Wasser und Strom fließen – verflixt! Nicht einmal darum hat sie sich gekümmert. Sicher hat ihre umsichtige Mutter alles abdrehen lassen, was Geld kostet, als Opa Erich ins Pflegeheim gezogen ist. Schließlich haben alle gedacht, der alte Gärtner habe nur eine kleine Rente, die nicht einmal für das Pflegeheim reiche. Anna atmet durch. Egal, das waren zwei Anrufe und die Sache wäre geregelt.

Kapitel 2

Gleich als Erstes, nachdem Anna die Haustür hinter sich geschlossen hat, drückt sie den Lichtschalter. Die Lampe im Flur leuchtet! Super! Dann dreht sie den Hahn in der Küche auf. Wasser fließt! Doppelt super! Wo steht der Router? Im Flur auf der Kommode und die Lämpchen leuchten grün. Sie zückt ihr Handy und ruft ihre Mutter an.

„Hast du dafür gesorgt, dass hier alles läuft?“

„Ja, natürlich“, antwortet Gertrud und lacht. „Sobald du mir deinen Entschluss mitgeteilt hast, in Papas Gärtnerhäuschen zu ziehen, habe ich alles in die Wege geleitet. Ich weiß doch, dass du an so etwas Banales nicht denken würdest.“

„Vielen Dank! Du hattest recht – habe ich voll vergessen.“

„Eigentlich dürfte es dir an nichts fehlen, oder? Ich habe immer darauf geachtet, dass Papa alles hat, um sich selbst versorgen zu können.“

„Waschmaschine, Internet, Haushaltsgeräte und ein großer Flachbildschirmfernseher! Auf den freue ich mich besonders. Da kann ich Seriensuchteln ohne Ende.“

Es dauert noch einige Minuten, bis sie ihre Mutter davon überzeugt, dass sie wirklich – ganz sicher! – gut angekommen sei und auch nicht den Hauch eines Zweifels hege, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Das ist zwar gelogen, aber nur ein bisschen.

„Soll ich morgen mal zum Putzen vorbeikommen?“ In Gertruds Stimme schwingt eine drängende Forderung mit, die Anna nur zu gut kennt.

„Nein, Mama, danke, aber lass mir zwei Wochen Zeit, dann mache ich eine Einweihungsfeier, zu der du hiermit eingeladen bist.“

„Wie du willst“, erwidert Gertrud mit deutlich hörbarer Enttäuschung. „Dann komme ich zu deinem Fest. Ist ja sowieso erfreulich, dass du wieder etwas zu feiern hast nach dem Hochzeitsdebakel.“

Anna holt tief Luft, um möglichst ruhig zu erwidern: „Mutter! Wie soll ich darüber hinwegkommen, wenn du es ständig erwähnst?“

„Ja, ja, du hast recht! Kein Wort mehr darüber, versprochen.“

Und aus! Anna beendet das Gespräch, bevor Gertruds bohrende Fragen sich wie suchende Tentakel in ihr neues Heim tasten konnten.

Zugegeben, dieses Mal ist sie ihrer Mutter wirklich dankbar, für die Hilfe. Meistens allerdings könnte sie aus der Haut fahren, wenn Gertrud sich unaufgefordert in ihre Angelegenheiten einmischt. Als wenn sie, die einen Doktorgrad in Germanistik erworben, einen Roman geschrieben und den bei einem bekannten Publikumsverlag untergebracht hat, eine lebensuntaugliche Träumerin wäre. Dabei hat Gertrud, die erfolgreich eine Firma für Gebäudereinigung betreibt, jeden Tag Umgang mit Leuten, die auf kurvenreichen Berufswegen unterwegs sind. Eigentlich müsste sie wissen, dass einige, genau wie Anna, zwar manchmal etwas spleenig und verpeilt, aber dennoch in der Lage sind, sich am Leben zu erhalten. Trotzdem jammert Gertrud viel zu oft: „Liebes, ich sehe das doch jeden Tag. Zu einem Künstlerinnendasein hast du nicht genug Durchsetzungskraft. Du musst erwachsen werden. Schöne Worte machen nicht satt. Schreiben kannst du doch nebenher. Such dir eine Stelle bei einem Verlag oder an der Uni. Dann bist du wirtschaftlich abgesichert.“ Und wenn sie ganz in ihrer mütterlichen Sorge versinkt, hängt sie noch an: „Schau dir deinen Bruder an!“ Als wenn Albert, oder Männer im Allgemeinen, sich zuverlässiger die Wurst auf dem Brot sichern könnten! Nein, auch sie ist durchaus dazu in der Lage. Man musste ihr nicht mehr die Nase putzen und auch kein Pflaster auf das aufgeschlagene Knie kleben.

Bei jedem Kraftakt, den Anna aufbringen muss, um die Kisten in die Zimmer zu verteilen, wiederholt sie eine stärkende Affirmation, die die Sorge ihrer Mutter aus ihren Gedanken vertreiben soll, was ihr aufgrund jahrelanger Übung auch gelingt. Bald hat sie die Kisten dorthin verteilt, wo sie hingehören, und stellt erfreut fest, dass in diesem alten, verlassenen Haus alles vorhanden ist, was sie zum Leben braucht. Oder? Vorräte? An die hat Effi gedacht. In der letzten Kiste findet Anna zwei Rotweinflaschen, Kaffee, drei Raviolidosen, Toast, Marmelade und Salami. Damit sind die ersten Mahlzeiten gesichert. Wenn das kein Zeichen des Universums ist, dass die Sterne günstig für ihren Neuanfang stehen! Es hat ja auch nicht geregnet, als ihre Kisten auf der Straße standen und Effi ist schlussendlich auch mit ihrem Caddy aufgetaucht. Seltsam, denkt Anna, während sie eine Rotweinflasche entkorkt, wie schnell sie düstere Vorzeichen identifiziert, aber, wenn diese sich als Irrtum herausstellen, nicht auf die Idee kommt, dies als einen wegweisenden Sonnenstrahl zu sehen.

Mit einem Glas Wein in der Hand durchstreift Anna die Zimmer ihres Hauses. Wohnküche mit Holzofen, Schlafzimmer, eine Kammer, die Opa Erich als Büro genutzt hat, gegenüber das Bad mit Gewölbedecke und am Ende des Ganges das Gewölbe-Zimmer. Die Fotos an der Wand erzählen von der Geschichte des Hauses. Gebaut wurde es als kleiner Bauernhof. Das jetzige Bad war der Schweinestall und das Gewölbe-Zimmer der Kuhstall. Unter dem Dach, wo sich alte Geräte, Möbel und Kisten stapeln, wurden früher Stroh, Futtermittel und Getreide gelagert. Nach dem Krieg haben Opa Erich und Oma Helga das Haus gekauft und die Gärtnerei aufgebaut. Damals war Zotau noch ein eigenständiges Dorf vor der Stadt Weissling.

Eines der Fotos hat Anna schon als Kind geliebt. Opa Erich mit Strohhut und Spaten, einen Arm um Oma Hilde gelegt, die ein einfaches Kleid mit Schürze und Kopftuch trägt, ein Korb voller Blumen hängt an ihrem Arm. Annas Mutter und ihr Onkel als Kinder, rotbackig in Holzklogs, mit aufgeschürften Knien und wirren Haaren, stehen daneben. Alle sehen lachend in die Kamera. Dass ihr Leben selten so fröhlich gewesen ist, weiß Anna von den Erzählungen ihrer Mutter. Die Gärtnerei machte viel Arbeit. Für Hilfskräfte ist lange kein Geld da gewesen. So musste die ganze Familie auf den Beeten und in den Gewächshäusern mit anpacken. Als Oma Hilde vor fünfzehn Jahren plötzlich starb, hatte Opa Erich aller Mut verlassen. Die Gärtnerei allein weiterzuführen, kostete seine letzten Kraftreserven. Gertrud und Heinrich wohnten zu der Zeit schon lange in die Stadt, hatten eigene Familien und Berufe, die in Büros und nicht an der frischen Luft ausgeübt wurden. Opa Erich hat sich noch einige Jahre mit der Gärtnerei abgemüht, bis er diese schließlich stilllegte.

Bis zur Eröffnung von Opas Testament beim Rechtsanwalt hat jeder geglaubt, er habe nicht mehr als seine spärliche Rente gehabt. Deshalb haben seine Kinder zur Begleichung der Kosten für das Pflegeheim dazu gezahlt. Doch dann fiel der Familienversammlung sprichwörtlich die Kinnlade runter, als der Anwalt vorlas, wie hoch das Erbe war, das verteilt werden konnte. Opa Erich hat nicht nur Blumen gezüchtet, sondern nebenbei mit Aktien ein kleines Vermögen erwirtschaftet. Und als Anna verkündete, dass sie kein Geld, aber dafür Opas Gärtnerei haben wolle, um dort zu wohnen, stieß sie durchweg auf Widerstand. Nicht, dass irgendjemand sonst die Gärtnerei haben wollte, aber man könnte sie verkaufen und das Geld entsprechend aufteilen. Das wäre doch auch für Anna das Beste. Sie könnte sich irgendwo eine moderne Wohnung kaufen. Doch Anna blieb bei ihrer Entscheidung. Die wieder und wieder gestellte Frage nach dem Warum, konnte sie allerdings nicht beantworten. Wie auch. Es war ja nur ein Gefühl gewesen, das zu ihrer Wahl geführt hat. Und das war aus Sicht ihrer Mutter und ihres Bruders eine denkbar schlechte, absolut untaugliche Grundlage für eine so weitreichende Entscheidung. Aber nicht für Anna.

Sie prostet dem Familienfoto zu. „Und jetzt bin ich hier“, stellt sie zufrieden fest. „Keine Ahnung, was mich da geritten hat.“ Sie trinkt einen großen Schluck Wein und wirft einen schnellen Blick auf das Hochzeitsbild ihrer Großeltern. Schluss mit Hochzeiten! Schluss mit Männern! Kurzentschlossen nimmt sie das Foto von der Wand und verschließt es der Schublade einer Kommode. Erleichtert lässt sie sich in einen Sessel fallen, aus dessen Polster eine Staubwolke quillt, die ihr in die Nase steigt und zum Niesen bringt. Trotzdem – es ist herrlich, in diesem Haus zu sein! Wieder hebt sie ihr Glas und prostet den Fotos aus vergangenen Tagen zu.

Doch je länger sie in dem Sessel sitzt und ihr neues Zuhause auf sich wirken lässt, verpufft ihre Euphorie. Alles wirkt verbraucht und müde, wie der Gemütszustand, in dem sich Opa Erich befand, als er in das Pflegeheim übersiedelte. Auch die Stille in diesem Gewölbe-Zimmer ist unheimlich. Offensichtlich hat sie sich zu lange mit den Bildern der Menschen beschäftigt, die tot und beerdigt und eigentlich nicht mehr hier sein sollten.

„Hallo? Spukt es hier vielleicht?“, ruft sie sicherheitshalber in das inzwischen dunkle Haus. „Wenn ja, dann meldet euch bitte gleich, sonst erschrecke ich noch vor euch Gespenstern!“ Sie spitzt die Ohren und sieht sich um – wie gut, dass sie niemand beobachtet! Anna betrachtet das Glas in ihrer Hand. Es ist leer. Hat sie ein oder zwei Gläser getrunken? Hoffentlich waren es zwei gewesen oder lieber noch mehr, damit ließe sich ihre gedankliche Irrfahrt in das Horror-Genre wenigstens entschuldigen.

In der ersten Nacht wälzt sich Anna auf Opa Erichs durchgelegener Matratze schlaflos hin und her. Trotz ausgiebigen Lüftens riecht es im Zimmer muffig. Also trägt sie Opas Bettzeug auf die Terrasse und schlüpft unter ihre eigene Decke. Das hilft etwas. Dann kreisen ihre Gedanken unaufhörlich um die lange Arbeitsliste. Was soll sie zuerst anpacken? Die Wände streichen oder tapezieren und in welchen Farben? Wo möchte sie ihren Schreibplatz einrichten? Im Gewölbe-Zimmer am Fenster mit Blick auf die dichte Thujen Hecke? Nein, die wirkt wie ein Brett vor dem Kopf. Eigentlich ist der beste Platz zum Schreiben – sie geht in Gedanken durch das Haus – die Küche. Da ist es hell und der Blick aus dem Fenster geht auf die Beete und ein Gewächshaus. Idyllisch, wenn nicht alles so bedauernswert verwachsen wäre – also doch eher deprimierend. Dann überlegt sie, ob sie das Fenster öffnen soll, damit kühle, frische Nachtluft hereinkäme. Aber sie ist quasi auf dem Land, auf unbekanntem Terrain. Welche Viecher surren, schnüffeln und kriechen hier herum? Und was ist mit Einbrechern? Die hätten bei einem offenen Fenster im Erdgeschoss ein leichtes Spiel. Sporadisch fällt sie in einen Halbschlaf, der in einen kurzen Tiefschlaf führt, aus dem sie wieder aufschreckt, um die Einschlafstrecke von vorn zu beginnen.

Der Sommer macht eine Pause. Ausgerechnet jetzt regnet es Bindfäden. Anna hätte Sonnenschein und blauen Himmel brauchen können. Dann könnte sie die kleineren Möbel vor das Haus stellen, um den zähen Schmutzfilm, der sich über die zwei unbewohnten Jahre des Hauses gebildet hat, mit Scheuermittel und Wurzelbürste abzuschrubben. Sie könnte die gewaschenen Gardinen und Bettüberzüge zum Trocknen hinaushängen und den groben Schmutz aus den Teppichen klopfen. So schiebt sie die Tische, Sessel, Kommoden von einer Zimmerseite zur anderen, legt die Wäsche über die Möbel und fährt mit dem altersschwachen Staubsauger zehnmal über dieselbe Teppichstelle.

„Hallo?“ Eine Frauenstimme dringt schrill von der offenen Haustür her. Anna, die gerade die Küchenschränke auswischt, horcht auf. Hat sie sich die Stimme eingebildet? Hastig wischt sie sich die Hände an der Jeans ab, zieht ihr T-Shirt zurecht und eilt zur Tür.

Eine kleine, rundliche Frau in knallgrüner Sportkleidung steht im Eingang und sieht sich neugierig um. Ihr zu einem Pferdeschwanz gebundenes, blondes Haar ist eindeutig gefärbt und die Schminke im Gesicht spricht nicht für eine anstrengende Trainingsstunde.

„Hallo, ich bin Frau Dorste, ihre Nachbarin.“ Sie deutet auf das ausladende Einfamilienhaus vor dem Tor zur Gärtnerei. „Ich hoffe, ich störe Sie nicht.“

„Nein, gar nicht.“ Anna wischt sich eine Haarsträhne aus dem verschwitzten Gesicht.

„Ich wollte nur mal eben Hallo sagen, was ich ja auch getan habe, nicht?“ Frau Dorste kichert, wobei sie ihren rosa Lippenstiftmund spitz zusammenzieht.

„Nett von Ihnen.“

„Ich kenne Sie ja schon vom Sehen. Sie haben ihren armen Großvater oft besucht. Wie traurig, dass er nun gestoben ist, nicht wahr?“

„Ja, sicher.“

Der Blick von Frau Dorste schielte an Anna vorbei. „Sie putzen gerade. Das ist sicher nötig, solange wie das Haus schon leer steht.“

„Ja, genau, ich kann ihnen auch noch gar nichts anbieten“, erklärt Anna, froh noch nicht eingekauft zu haben.

„Nein, nein, gar nicht nötig“, versichert Frau Dorste, und schiebt sich einige Zentimeter nach rechts. Was will die Frau so unbedingt sehen? Braucht sie neuen Stoff für den Klatsch unter der Nachbarschaft? Spitzenunterwäsche? Einen nackten Mann? Anna lehnt sich wie zufällig gegen die Haustür, mitten in das Blickfeld der Nachbarin.

„Also wie gesagt, wir wohnen dort vorne. Ich wollte nur sehen, wer hier ein und aus geht. Man weiß ja nie, wer sich hier herumtreibt.“

„Das ist nett. Aber es ist alles in Ordnung, Frau Droste.“

„Dorste“, verbessert die Nachbarin und scheint endlich zu begreifen, dass hier und jetzt weder ein Kaffee noch picante Neuigkeiten zu bekommen sind. Sie schüttelt Anna kraftvoll die Hand und verabschiedet sich mit: „Auf eine gute Nachbarschaft.“

Das ist also der Wachhund, stellt Anna fest, als sie der farbenfrohen Frau hinterher sieht, die mit sportlichem Schritt das Gelände verlässt.

In der zweiten Nacht schläft Anna wie ein Murmeltier im Winter. Nach dem Putz- und Räum Tag schmerzt zwar jeder Muskel, aber sie ist hundemüde.

Und nach dem zweiten Tag mit einem engen Räum-Putz- und Packprogramm kommt die dritte Nacht. Und in der findet Anna gar keinen Schlaf.

Kapitel 3

Anna schließt die Augen, atmet tief ein und streckt sich genüsslich im Bett aus. Jede Zelle fühlt sich müde und zugleich unglaublich leicht an. Als wäre sie gerade zehn Bahnen Schwimmen aus dem Becken gestiegen. Zwei anstrengende Tage des Putzens und Sortierens liegen hinter ihr. Dabei hat sie Muskeln in ihrem Körper aktiviert, von denen sie keine Ahnung hatte. Sie hat Opa Erichs Kleidung, Toilettenartikel, Medikamente, Gartenbücher, Fachzeitschriften, Fotobücher, Platten und andere persönliche Dinge in die Umzugskisten gepackt und über die steile Treppe auf den Dachboden gehievt. Gleichzeitig hat sie ihre Habseligkeiten in die Schubladen, auf die Regale und in die Schränke geräumt. Ihre armselig dahinvegetierende Zimmerpflanze hat sie in das Büro gestellt. So hat sie das elende Sterben des Ficus benjamina nicht ständig vor Augen. Das Haus ist sauber und bewohnbar. Alles, was nun noch ansteht, Wände streichen, Möbel austauschen, Bilder aufhängen oder Teppiche auslegen, kann warten. Welch eine Erleichterung. Anna räkelt sich, streckt Beine und Arme, genießt das Ziehen in den Muskeln und kuschelt sich in die Decke.

Morgen würde sie sich endlich wieder dem widmen können, wonach es sie am meisten drängt. Dem Schreiben! Dafür muss sie nicht einmal die Sache mit Opas altem Schreibtisch klären. Sie stellt sich gerne vor, an dem alten, klobigen Möbelstück zu sitzen und an ihrem neuen Roman zu schreiben. Doch dafür müsste sie das Monstrum erst aus der dunklen, engen Kammer holen, die Opa Erich als Büro genutzt hat. An dem Platz würden ihr nur Horrorgeschichten oder Thriller einfallen und das waren ganz bestimmt nicht ihre Genres. Den Laptop kann sie überall aufstellen, um eine Geschichte zu entwerfen, die die gleiche Heiterkeit vermittelt, wie Das Bistro an der Ecke, ihr Debütroman.

Sie betrachtet den schmalen Lichtstreifen, den der Mond zwischen den Vorhängen hindurchzwängt. Ihre Augen wandern über die Decke, an der altbackenen Hängeleuchte vorbei, die fleckige Blumentapete runter zur Bettdecke und spürt, wie unvermittelt ihr Herz schneller klopft. Das Bistro an der Ecke von Anna Burger, Cover, Klappentext, Autorenvita, Foto und Preis – so steht ihr Roman seit acht Monaten auf den Plattformen des Online-Buchhandels und in den Buchläden von Weissling. Jeder kann lesen, was sie gedacht und aufgeschrieben hat, und sie hat keinen Einfluss darauf, was die Leute über das Buch und über sie denken. Das fühlt sich genau so an, wie vor zwei Tagen, als sie mit ihrem ganzen Kram auf der Straße stand und jeder sehen konnte, was und wie viel sie besaß. Sie hat bisher kaum Gelegenheit gehabt, sich daran zu gewöhnen, auf ihren Roman angesprochen zu werden. Kurz nach der Veröffentlichung ist erst Opa Erich gestorben und dann hat Frederik sie öffentlich im Standesamt nicht geheiratet. Lesungen zu organisieren oder zu bestreiten, war unter den Umständen einfach nicht drin gewesen. Der Verlag hat verständnisvoll reagiert. Irgendwann würde ihre Lektorin aber auf solche Marketing-Aktionen bestehen. Und überhaupt, die Veröffentlichung liegt bereits acht Monate zurück. Viel zu lange. In einem Jahr soll sie ein neues Manuskript beim Verlag abliefern und sie hat kein Fünkchen einer Idee für eine neue Geschichte. Wie auch? Ohne Frederik hätte sie es nie geschafft, den ersten Roman fertig zu schreiben. Er war ihr Mentor und Liebhaber gewesen, ihr Testleser und Kritiker. Frederik Dobler war schon ein vom Feuilleton anerkannter Schriftsteller gewesen, als sie sich in ihn verliebte. Während sie an ihrem kleinen Unterhaltungsroman arbeitete, schrieb er an seinem dritten gesellschaftskritischen Werk. Dass er sich ebenfalls in sie verliebt hat, zumindest hat sie das geglaubt, und sie bei ihren ersten literarischen Versuchen unterstützte, war der Himmel auf Erden gewesen. Bis ihr der Himmel auf den Kopf gefallen ist. Seitdem steht für Anna alles infrage - ihre Menschenkenntnis, ihr Selbstvertrauen, ihr Traum, vom Schreiben leben zu können.

Sie dreht sich seufzend auf die Seite, wischt diese Gedanken mit einem imaginären, schäumenden Lappen fort, wie die klebrigen Reste aus Opa Erichs Küchenschränken. Stattdessen denkt sie an den Küchentisch vor dem breiten Fenster mit Blick auf die Gärtnerei. Den hat sie zu ihrem neuen Schreibplatz ernannt und sorgfältig ihre Notizhefte, Stifte, Lieblingsbücher und den Laptop darauf ausgebreitet. Wer braucht schon einen großen Tisch, um daran allein aus einer Schüssel das Müsli zu löffeln? Anna jedenfalls nicht. Essen kann sie überall. Sie würde morgen dort sitzen und sich von der Muse küssen lassen. Mit diesem Bild schläft sie ein.

Wie vom Blitz getroffen schreckt Anna aus dem Tiefschlaf, lauscht und starrt in die Nacht. Hat sie geträumt oder rüttelte jemand an der Haustür? Schritte? Im Haus oder draußen? Doch da ist nichts außer Stille – alles um sie herum ist ruhig und stockdunkel. Also doch ein Traum. Alles in Ordnung, redet sie sich ein und legt sich wieder hin, schließt die Augen und reißt sie wieder auf. Hat sie die Haustür abgeschlossen? Sind die Fenster zu? Verdammt, so geht das nicht! Sie steht auf, schaut in jedem Zimmer nach, ob tatsächlich die Fenster verriegelt, die Terrassen- und Haustür abgesperrt sind. Doch da – ihre Augen erfassen eine Bewegung außerhalb: Ein Lichtschein gleitet über den Fensterrahmen des Geräteschuppens hinter dem Glashaus. Kälte steigt in ihr auf. Wieder tanzt ein Lichtstrahl am Fenster des Schuppens vorbei. Eine Taschenlampe! Kein Zweifel, da ist jemand drin. Wer? Wozu? Was soll sie tun? Sie schläft mit Sicherheit nicht wieder ein, wenn sich ein Unbekannter auf ihrem Gelände herumtreibt. Als wenn es außer alten verrosteten Gartengeräten etwas zu klauen gäbe. Sie ballt die Hände zu Fäusten, atmet flach durch den Mund und denkt an die amerikanischen Filme, in denen jemand in solch einer Situation die Flinte von der Wand nimmt und lädt. Sie will auch so ein Schießeisen. Oder wenigstens einen Baseballschläger. Hat sie aber nicht. Also reißt sie sich von dem Anblick des Lichtscheins los und greift sich den nächstbesten Gegenstand, der als Waffe dienen kann. Mit dem Schrubber in der Hand schließt sie die Haustür auf und drückt die Klinke vorsichtig runter.

Sie schleicht auf dem Plattenweg entlang des Gewächshauses durch die Dunkelheit. Der Mond versteckt sich hinter dicken Wolken und die Straßenlampe leuchtet nicht bis hierher. Eine Taschenlampe wäre hilfreich und sie hätte sich wenigstens Schuhe anziehen sollen. Die Betonplatten unter ihren Füßen sind feucht. Eine kühle Brise kriecht unter ihren Pyjama und erinnert sie daran, dass sie auch keine Jacke angezogen hat. Punktabzug für ihren Auftritt als Jägerin. Abrupt bleibt sie stehen. Sie hat nicht einmal einen Plan. Was stellst du dir vor? fragt sie sich. Willst du etwa zuschlagen, wenn sich ein Obdachloser im Geräteschuppen eingerichtet hat? Oder wenn es ein Einbrecher ist? Meinst du, du siehst bedrohlich aus, barfuß und im Schlafanzug? In den letzten zehn Jahren in der Stadt war sie nicht einmal in eine solch ungemütliche Situation geraten. Dabei ist sie oft spätnachts zu Fuß durch die Stadt nach Hause gegangen und es hat immer wieder Einbruchsserien in der Altstadt gegeben. Und jetzt ist sie gerade mal drei Nächte in Zotau, dem idyllischen Vorort, wo es eigentlich friedlich zugehen sollte und irgendein Fremder treibt sich in ihrem Schuppen herum.

So nicht! Das muss von Anfang an klar sein. Bei ihr ist nichts zu holen. Sie atmet tief ein und packt den Schrubber fester. Was ist mit der Polizei? Anna lässt den Schrubber sinken. Schön blöd! Das Handy liegt auf dem Nachtkästchen. Also zurück und einfach die Polizei rufen? Da öffnet sich knarzend die Tür des Schuppens. Anna starrt angestrengt auf die dunkle Gestalt, die einen an der Wand lehnenden Rucksack anhebt und hineinzerrt. Also ein Obdachloser. Wer geht schon mit einem vollen Rucksack auf Diebestour? Trotzdem, bei allem Verständnis für Menschen ohne Wohnung, aber hier war keine Notschlafstelle. Das geht zu weit. Entschlossen geht Anna auf die kleine Hütte zu, pumpt sich die Lungen voller Mut und reißt die Holztür auf.

„Was soll das hier? Wer sind sie?“, ruft sie resolut in einen blendenden Lichtstrahl hinein, den Schrubber abwehrbereit vor sich haltend.

„Wollen Sie hier putzen oder jemanden erschlagen?“, hört sie eine tiefe Männerstimme hinter dem gleißenden Licht. Anna senkt den Blick und schirmt mit der Hand die Augen vor dem blendenden Licht ab. Der Lichtkegel wandert an ihr rauf und runter. Für einen kurzen Moment erkennt sie nackte Männerfüße.

„Nehmen Sie die Taschenlampe weg!“, fordert sie.

„Nur, wenn Sie sich umdrehen.“

„Was? Warum?“

„Ich bin nackt und würde mich gerne anziehen, bevor wir weiterreden.“ In der Stimme des Fremden hört Anna einen amüsierten Unterton. Das ist ja das Letzte! Macht sich der Kerl etwa über sie lustig?

„Genießen Sie den Anblick nackter Männer?“ Seine Stimme klingt eindeutig zu frech.

„Keineswegs!“ Anna errötet, das spürt sie genau. Wie gut, dass der Typ das nicht sehen kann. Betont langsam dreht sie sich um. Vor ihr liegt ihr Schatten auf der gepflasterten Fläche.

„Wieso stehen sie unbekleidet in meinem Schuppen? Sind Sie ein Nudist oder was?“

„Ich war gerade dabei, mich umzuziehen, als Sie hier reinplatzten.“

„Beeilen Sie sich. Ich friere!“

„Dafür kann ich nichts.“

„Doch natürlich!“, entgegnet Anna aufgebracht. „Sie sind hier eingedrungen, ohne Erlaubnis und mitten in der Nacht. Meinen Sie, da suche ich erst eine passende Garderobe aus, bevor ich Sie vertreibe?“

Der Fremde hinter ihr lacht leise. Etwas mehr Bedauern oder Schuldbewusstsein hätte sie schon erwartet. Anna ballt ihre Hand um den Holzstiel des Schrubbers, die andere vergräbt sie in der Hosentasche des Schlafanzugs. Das ist doch absurd! Sie steht regungslos in dem Lichtstrahl wie eine überführte Einbrecherin und er zieht sich in aller Seelenruhe seine Klamotten an.

„Wenn Sie fertig sind, dann erklären Sie mir bitte, was das hier soll“, fordert sie energisch, den Kopf halb ihm zugewandt und hält sich bereit, jederzeit mit dem Schrubber zuzuschlagen. Ein Rascheln und noch ein leicht spöttisches Schnauben, dann endlich erlöscht der Schein der Taschenlampe.

„Okay, ich bin so weit“, sagt der Fremde. Anna dreht sich um und anstatt in den Lichtkegel der Taschenlampe sieht sie nur schwarz. Als ihre Augen sich an den Wechsel einstellen, erkennt sie im Dunkeln die Umrisse eines großen, breitschultrigen Mannes mit undefinierten Haaren, die Hände an die Hüfte gestemmt, als habe er hier etwas zu fordern. Da hatte er sich aber getäuscht. Die Chefin ist sie. Um das klarzustellen, stellt sie den Schrubber neben sich ab, als sei er eine Standarte.

„Also, wer sind Sie und was wollen Sie hier?“, fragt sie die Gestalt im Dunkel.

„Mein Name ist Thomas Berthold von Klattwitz.“

„Quatsch!“, fährt Anna ihm lachend ins Wort.

„Glauben Sie, so einen Namen kann man sich auf die Schnelle ausdenken?“, fragt der Unbekannte, während er eine Seitentasche seines Rucksacks durchsucht.

„Sie hatten ausreichend Zeit dafür, während Sie sich anzogen.“

„Hier mein Ausweis.“ Er hält ihr eine Karte entgegen.

Anna beugt sich vorsichtig vor und zieht sie schnell aus seinen Fingern.

„Ich kann nichts lesen. Zu dunkel.“ Er schaltet die Taschenlampe an und legt sie auf eine Kiste, sodass der Lichtstrahl zwischen ihnen verläuft. Anna hält den Ausweis ins Licht. Auf dem Foto erkennt sie einen gut aussehenden, glattrasierten, kurzhaarigen, jungen Mann, fünf Jahre älter als sie, wohnhaft in Berlin, geboren auch dort. Sie kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Das gibt es doch nicht. Der Name ist tatsächlich ...“

„Ja?“

„Selten.“ Anna gibt dem Herrn von irgendwas den Ausweis zurück. „Trotzdem müssen sie gehen. Das hier ist weder ein Campingplatz noch ein Obdachlosenasyl.“

Mit einem Seufzer lässt sich der Eindringling auf irgendetwas nieder, was hinter ihm steht. Anna nimmt die Taschenlampe von der Kiste und hält den Lichtstrahl auf ihn. Nun, sie hat eigentlich laut Ausweis einen gepflegt aussehenden Mann erwartet. Wobei unklar wäre, was so einer nachts in dem Schuppen einer Gärtnerei verloren hat. Aber vor ihr hockt ein scheinbar gut gebauter Mann in sauberem Sweatshirt und Jogginghose, dessen Vollbart und halblanges Haar allerdings das Gesicht so verdecken, dass Anna sich nicht sicher ist, ob es mit dem auf dem Ausweis übereinstimmt. Also doch eher ein Gestrandeter, den sie aus Mitleid nicht in die Nacht hinausjagen sollte? Er wedelt mit der Hand durch das Licht. Sofort senkt Anna die Taschenlampe.

„Ich wollte auch im Haus übernachten“, erklärt Thomas, angelt einen Schlüsselbund von irgendwo aus dem Dunkel und lässt ihn im Lichtstrahl baumeln. „Leider wurde anscheinend das Schloss ausgewechselt.“

Anna verschränkt die Arme und tritt zwei Schritte zur Seite, um aus dem kalten Luftzug herauszukommen. Der Mai ist einfach kein August. Sie ist durchgefroren und will so schnell wie möglich zurück ins Haus.

„Mir ist verdammt kalt“, sagt sie, wobei sie nicht verhindern kann, dass ihre Zähne klappern. „Packen Sie jetzt ihr Zeug und verschwinden Sie.“

„Ich bin aber Untermieter in diesem Haus. Fragen Sie Erich Burger, den Besitzer der Gärtnerei.“

„Geht nicht, mein Großvater ist vor einem halben Jahr gestorben.“ Anna hätte noch gerne etwas Giftiges gesagt, aber erstens fror ihr Gehirn langsam ein und zweitens erstarrte der Fremdling. Die Nachricht hat ihn anscheinend überrascht.

„Mein Name ist Anna Burger, Enkelin von Erich und ich habe nicht die Spur einer Ahnung, was sie da von Untermiete faseln.“ Verblüfft sieht sie dem unverschämten Fremdling dabei zu, wie er seelenruhig eine Campingmatte auf dem Boden ausrollt und einen Schlafsack auspackt.

„Das mit Erich tut mir leid. Ehrlich. Er war ein verdammt guter Kerl. Aber ich habe eine lange Reise hinter mir, habe seit zwei Tagen nicht geschlafen und werde mich jetzt in diesen Schlafsack verkriechen und schlafen.“

„Aber …“ Anna fehlten die Worte.

„Wir können doch das Ganze morgen besprechen“, sagt Thomas, setzt sich auf die Matte und schiebt ein Bitte hinterher.

Inzwischen zittert Anna so, dass sie ihre Schrubberwaffe nicht mehr ruhig halten kann. Wortlos verlässt sie den Geräteschuppen, schließt die Tür und geht wie betäubt zurück zum Haus.

Bevor sie sich auf ihr Bett setzt und die Decke hochzieht, geht sie noch einmal durch alle Räume, um die Fenster und Türen zu kontrollieren. Bis auf die Füße wärmt sich ihr Körper langsam auf. Ist das jetzt wirklich passiert? Schläft dort im Schuppen tatsächlich ein ansehnlicher, oder wenn sie ehrlich ist, ein attraktiver Mann? Untermieter? Niemals! Der sollte ihr nicht noch einmal unter die Augen treten. So etwas von unverfroren! Ha! Ein Wortspiel, denkt Anna amüsiert. Natürlich war der Fremde unverfroren, er hat ja auch seinen Jogginganzug angehabt. Nachdem er nackt vor ihr gestanden ist.

Sie zetert weiter in sich hinein und als sie auf den Wecker sieht, ist es 3:15 Uhr. An Schlaf ist nicht zu denken. Also steht sie auf, wickelt sich in die Decke und geht ins Gewölbe-Zimmer. Sie schaltet den Fernseher ein, klickt sich auf einen Streaming-Anbieter und holt sich den Abenteuerfilm Pirates of the Caribbean auf den Flatscreen. Und während ihre Gedanken um die Worte, das Lachen und den Anblick des Herrn Thomas Berthold von Klattwitz kreisen, starrt sie auf den Film, den sie schon mindestens zehnmal gesehen hat.

Kapitel 4

Der Knall einer Kanonenkugel, die in eine englische Fregatte einschlägt, weckt Anna. Irritiert registriert sie, wie Jonny Depp als Captain Jack Sparrow durch die Karibik taumelt. Immer noch? Oder schon wieder? Mit zusammengekniffenen Augen fokussiert sie das Bild auf dem Flatscreen und erkennt das dramatische Finale des fünften Teils der Filmreihe. Sie rechnet kurz nach und kommt zu dem Schluss, dass sie vier Teile der Piratenfilme verschlafen hat. Stöhnend reibt sie sich mit den Händen über das Gesicht. Es muss also ungefähr elf Uhr vormittags sein, womit die Hälfte ihres Schreibtages vergeudet ist. Und das nur wegen dieses nackten Mannes im Geräteschuppen. Dass ihr nackt als Beschreibung für den Fremden als Erstes einfällt, amüsiert sie. Vor allem, weil sie ihn ja nicht wirklich unbekleidet gesehen hat. Vielleicht genau deswegen. So fies arbeitet die Fantasie. Was du nicht siehst, stellst du dir vor. Sie vermutet, dass sie sich Thomas Körper in ihren Träumen unbekleidet in allen Variationen ausgemalt hat. Wie gut, dass weder sie noch sonst jemand ihre Träume reaktivieren kann.

Fluchend strampelt sie die Bettdecke von sich ab und setzt sich auf. Der Nacken schmerzt und jeder Muskel protestiert. Kein Wunder. Opa Erichs Sofa, auf dem sie eingeschlafen ist, besteht praktisch nur aus Springfedern mit einer dünnen Schicht Polsterung. Ein Blick aus dem Fenster erklärt ihr, warum es in dem Gewölbe-Zimmer so deprimierend düster ist. Es regnet Bindfäden, was Anna gleichgültig ist, weil sie ohnehin am Küchentisch sitzen wird, um ihre tolle, neue Story zu entwerfen. Verdammt! Das wird sie von ihrem Tagesplan streichen müssen, weil erst dieser Thomas aus ihrem Dunstkreis verschwinden muss – unbedingt und absolut! Oder hat er sich schon verzogen? Mit der leisen Hoffnung, der selbst ernannte Untermieter habe seinen Rucksack gepackt und sich vom Acker gemacht, steht Anna auf und geht in die Küche. Der Blick aus dem Fenster verrät gar nichts. Durch den dichten Regen erkennt sie nur, dass der Geräteschuppen dasteht, wie immer. Aber was spielt sich drinnen ab? Vielleicht rennen nur Mäuse und Ratten zwischen den Geräten herum, was sie sich lieber nicht so genau ausmalt. Schlimmer wäre allerdings ein Mann, der immer noch auf seiner Matte liegt oder auf einer Kiste sitzt und mit der Taschenlampe herumspielt. Enttäuscht wendet sie sich der Kaffeemaschine zu. Erst einmal einen Kaffee trinken, dann ins Bad gehen und dann noch einmal aus dem Fenster schauen. Vielleicht bleibt es ihr doch noch erspart, im Schuppen nachzusehen, ob der Herr von irgendwas mit Witz noch da ist.

Anna stellt den Kaffeebecher auf den Bord unter dem Badschränkchen. Während sie sich die Zähne putzt, betrachtet sie sich im Spiegel. Verheerend lautet ihr Urteil. Die dunkelbraunen Locken stehen wild in allen Richtungen, was normal ist. Aber ihre Augen sind klein, um sie herum ziehen sich Fältchen, obwohl das Gewebe irgendwie aufbläht wirkt. Als habe sie die Nacht in einem Club durchgefeiert. Dabei hätte sie ja wenigstens Spaß gehabt. Die Spuren in ihrem Gesicht sind dagegen aus Ärger, Wut und zu wenig Schlaf entstanden. Mit Nachdruck spuckt sie die Zahnpasta ins Waschbecken.

Von ihrem Handy aus lässt sie eine Playlist mit Filmmusik laufen, stellt die Lautstärke auf Anschlag und von dramatischen Klängen eines epischen Kampfes begleitet geht sie unter die Dusche. Erst als sie spürt, dass das heiße Wasser ihre Anspannung weggespült hat, trocknet sie sich ab. Die Lösung war doch eigentlich ziemlich simpel. Sollte der Kerl noch da sein und sich weigern zu verschwinden – dann wird sie kurzerhand die Polizei anrufen und fertig. Als sie das Bad verlässt, fühlt sie sich leichter und in der Lage, unerbittlich ihr Grundstück zu verteidigen.

Kaum hat sie sich angezogen, klingelt es an der Haustür. Bitte lass es Frau Dorste sein! Lieber trinke ich einen Kaffee mit der neugierigen Nachbarin, als den unweigerlichen Streit mit dem nächtlichen Fremdling auszufechten. Pech gehabt! Durch die verzerrenden Glasscheiben der Haustür erkennt Anna eindeutig eine männliche Kontur. Anna holt tief Luft, streicht die noch feuchten Haare aus dem Gesicht und öffnet die Tür.

Bei Tageslicht wirkt Thomas Berthold von Klattwitz – Anna starrt in das bärtige Gesicht, bevor sie ihren Gedanken weiterführt – ziemlich interessant. Die dunkelblonden Haare sind zwar zerzaust und ebenso wie der Bart zu lang, was aber eigentlich eher verwegen als verwildert aussieht. Was Anna von den unbehaarten Teilen des Gesichts erkennen kann, würde sie spontan als markant bezeichnen. Oder wie beschreibt man ausgeprägte Wangenknochen, eine Nase mit einer leichten Biegung nach rechts – hat er sich die mal gebrochen? Bei einem Boxkampf? – und gebräunter Hautfarbe – den Winter hat er eindeutig nicht auf der Nordhalbkugel der Erde verbracht – mit einem Wort? Seine Augen sind eindeutig blau und scheinen sie genauso zu mustern wie sie ihn.

„Guten Morgen, schön, dass Sie endlich öffnen“, sagt er. An der Bewegung des Bartes erkennt Anna ein Lächeln. Sie senkt den Blick, räuspert sich, verschränkt die Arme vor der Brust und fragt, was er denn jetzt schon wieder wolle und er solle sein Zeug packen und verschwinden. Nachdrücklich möchte sie ihm die Tür vor der Nase zuschlagen. Die prallt aber an dem abgestoßenen Schnürstiefel ab, den der Fremdling vorgeschoben hat. Kurz blitzt Panik in Anna auf. Doch sie beißt die Zähne zusammen, zieht mit der freien Hand ihr Mobiltelefon aus der Jeanstasche und wischt über das Display, um es zu entsperren.

„Wenn Sie nicht augenblicklich ihren Fuß zurückziehen“, droht sie und sieht durch den Türschlitz in Thomas unbewegte Miene, „und hier verschwinden, rufe ich die Polizei.“ Er sieht auf seinen Fuß im Türspalt, dann wieder in ihr Gesicht und schüttelt den Kopf.

„Das ist Hausfriedensbruch“, stellt sie kühl fest und drückt die Haustür fester gegen seinen Fuß, damit er ihn endlich zurückzieht. Keine Reaktion. Nicht einen Millimeter weicht der Kerl zurück. Sie lehnt sich mit dem Rücken gegen die Tür, ohne den Druck zu verringern, und tippt die Nummer des Notrufs auf dem Handy an.

„Letzte Chance“, warnt sie, wobei sie das Telefon in den umkämpften Türspalt hält, damit er das Display sehen kann. Er stöhnt hörbar auf. Ausgezeichnet. Doch sein störender Fuß bewegt sich immer noch nicht. Anna tippt auf die grüne Taste; ein Tuten zeigt, dass der Anruf vermittelt wird. Da schiebt sich ein gefaltetes Blatt Papier durch den Türschlitz. Anna erkennt die Handschrift von Opa Erich. Schnell unterbricht sie ihren Anruf.

„Hier der Mietvertrag, den ich mit Erich geschlossen habe. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn ich einen Kaffee kriegen würde, das Bad benutzen dürfte und wir uns dann in Ruhe über die verfahrene Situation unterhalten würden.“

Anna hört den genervten Beiklang in Thomas Stimme. Nur nicht einschüchtern lassen, mahnt sie sich, nimmt das Schreiben und überfliegt die handschriftliche Vereinbarung, die ihr Großvater unterzeichnet hat. Das darf doch alles nicht wahr sein. Muss sie den Mann jetzt etwa hereinlassen? In ihr Haus?

„Hören Sie, lassen Sie mich jetzt bitte rein“, fordert der Mann vor der Tür und das klingt eindeutig, als sei er am Ende seiner Geduld. „Es ist nass hier draußen und im Schuppen auch. Das Dach ist nicht mehr dicht und meine Sachen sind feucht. Holen Sie von mir aus wieder ihren Schrubber, wenn Sie sich damit besser fühlen.“

„Machen Sie sich jetzt auch noch lustig über mich?“, faucht Anna, während sie auf das Schriftstück schielt, um dessen Inhalt grob zu erfassen. Die Worte Mietvertrag und unbefristet, Opas Name und Adresse, Thomas Angaben, Datum von vor zwei Jahren. Nebenbei hört sie, wie Thomas irgendetwas von Einsicht und Sturheit redet. Kontra zu geben hat keinen Sinn mehr, entscheidet Anna. Das Schreiben in ihrer Hand war zumindest soweit korrekt, dass sie tatsächlich mit Thomas darüber reden sollte. Fluchend lässt sie die Tür los und geht in die Küche.

Anna beugt sich über das leicht feuchte Papier, das sie auf der Arbeitsplatte ausgelegt hat, und studiert konzentriert dessen Inhalt. Demnach hat Opa Erich mit diesem von Klattwitz kurz bevor er ins Pflegeheim gezogen ist, einen Mietvertrag abgeschlossen. Ein Zimmer und die Benutzung von Bad und Küche für den lächerlichen monatlichen Betrag von 50 €. Da hat der Kerl den Opa aber ganz schön über den Tisch gezogen! Ausbeuter! Beutelschneider! Parasit! Mehr fällt ihr dazu nicht ein, bis sie den Nachtrag liest. Demnach würde sich von Klattwitz zusätzlich um das Gelände der Gärtnerei kümmern. Das hat er ja nun eindeutig nicht getan, so wie es da draußen aussieht. Hat er überhaupt seither Miete gezahlt? Das würde sie noch herausbekommen. Opas Kontounterlagen hat Gertrud. Na, ihre Mutter würde dem Herrn von Klattwitz aber auch den Marsch blasen.

„Ich mache Ihnen anscheinend ziemliche Umstände. Das tut mir leid.“

Bitte? Anna dreht sich um, betrachtet Thomas Berthold von Klattwitz, wie er in der Küche steht, barfuß in grauem Sweatshirt, schwarzer Jogginghose, die Hände in die Hosentaschen geschoben, groß, schlank, breitschultrig. Sein bedauerndes Lächeln entwaffnet sie ungewollt. Wieso ist er nicht wütend oder wenigstens fordernd! Wie soll sie ihren Kampfgeist aufrecht halten, wenn er so wirkt, als meine er es ehrlich?

„Kaffee?“, fragt sie und zieht die Kanne aus der Maschine. So hat sie einen Grund, wegzusehen.

„Gerne“, antwortet er, ohne sich zu rühren.

Anna holt einen Becher und schenkt ein. Die Geräusche drängen sich in die Stille.

„Zucker? Milch?“

„Kardamom?“

„Wie bitte?“

„Ich mag den Kaffee schwarz mit einer Prise Kardamom.“

„Habe ich nicht.“

„Dann schwarz. Danke.“

Sie stellt den Kaffeebecher an den Rand des Tisches, sodass er zwei Schritte gehen muss, um ihn zu holen. Sie lehnt sich an die Arbeitsplatte und beobachtet Thomas, der sich den Kaffee nimmt und sich gleich wieder zurückzieht und einen Schluck trinkt.

„Davon hatte ich keine Ahnung“, erklärt sie und deutet auf den Mietvertrag. „Ich weiß jetzt auch nicht. Ich habe das Haus von Opa Erich geerbt und habe an Mitbewohnern nicht das geringste Interesse.“

„Habe ich mir schon gedacht“, sagt er und deutet auf einen Stuhl am Küchentisch. „Darf ich mich setzen?“

Anna sieht ihren sorgfältig gestalteten Schreibplatz. Schnell schiebt sie die Notizhefte und den Laptop etwas mehr nach links und deutet auf den Stuhl am Ende des rechten Tischrands. „Bitte“, sagt sie und zieht sich wieder zur Arbeitsplatte zurück.

Er sieht sie mit spöttischen Augen an, grinst und stellt sich hinter den angebotenen Stuhl.

„Hierher?“, fragt er und zeigt auf den begrenzten Platz auf dem Tisch.

Anna nickt und spürt, wie ihr Gesicht warm wird. War sie kleinlich? Ungastlich? Und wennschon! Schließlich ist der Kerl ein Eindringling, dem sie nicht einen Millimeter von ihrem Haus überlassen wird. Jedenfalls nicht, solange sie den Inhalt auf diesem Fetzen Papier nicht auf Herz und Nieren in Hinblick auf seine rechtliche Wirksamkeit überprüft hat. Thomas setzt sich, fährt sich durch das Haar und seufzt mit einem grummelnden Unterton.

„Also, den Mietvertrag oder besser, Untermietvertrag haben Erich und ich vor zwei Jahren geschlossen. Das war kurz vor meiner Abreise nach Südamerika.“ Er trinkt einen Schluck, sieht aus dem Fenster und fährt fort. „Wir haben geplant, dass ich seine Gärtnerei benutze, um die Pflanzensamen, die ich auf meiner Reise sammeln würde, in den Gewächshäusern anzusetzen.“

„Was für Samen? Cannabis? Kokapflanzen?“, fragt Anna spitz.

„Nein, ich bin Botaniker, kein Drogendealer. Es geht um medizinisch wirksame Kräuter. Erich fand die Idee toll. Er freute sich, dass seine Gärtnerei wieder genutzt werden würde. Seinen grünen Daumen hat er ja anscheinend nicht an seine Kinder vererbt.“ Er sieht Anna fragend an und sie schüttelt den Kopf. Sie hat ihre Großeltern nie verstanden. Sich tagein, tagaus die Hände wund zu arbeiten, nur damit Blumen, Gemüse, Stauden und sonstiges Grünzeug wachsen, war ihr nie attraktiv erschienen. Dass Opa Erich auch als Aktienhändler hätte überleben können, war eine neue Variante in der Familienchronik. Also nein, kein Interesse für Gartenarbeit weit und breit bei der Familie Burger. Annas Blick fällt auf den veralteten Gartenkalender an der Wand. Sie hängt ihn ab und lässt ihn demonstrativ in den Abfalleimer fallen.

„Wie praktisch“, erklärt Thomas. „Stellen Sie sich vor, wir müssten uns um die Nutzung der Gärtnerei streiten. Das wäre viel komplizierter. Zwischen uns geht es jetzt nur um einen Schlafplatz für mich.“

Anna stellt ruckartig ihren Kaffeebecher ab. „Zwischen uns geht es um überhaupt nichts. Ich erkenne den Mietvertrag nicht an.“

„Ach ja?“ Thomas schien ihre Meinung nicht sonderlich zu beunruhigen. „Dann werden Sie die Beete umgraben und die angeflogenen Hollerbüsche ausreißen? Ich denke nicht. Sie wollen aber bestimmt kein Grundstück, das über den Sommer so verwildert, dass sie ein Buschmesser brauchen, um zur Haustür zu kommen.“

„So ein Blödsinn!“, entgegnet Anna genervt. „So schnell geht das nicht.“

„Sprach die – was machen sie eigentlich beruflich?“ Er deutet auf ihre Schreibsachen und Anna hätte ihm am liebsten verboten, diese auch nur mit einem Seitenblick anzusehen.

„Ich bin Autorin.“

„Also die Autorin widerspricht dem Botaniker, denkt, die Pflanzen richten sich mit ihrem Wachstum nach ihren Wünschen?“

Wieder trinkt er und Anna spürt genau, dass er in den Becher hinein grinst. Zu blöd, dass er einen Treffer gelandet hat und ihr kein passender Widerspruch einfällt. Sie wollte das Haus als idealen Schreibort. Natürlich hat sie gewusst, dass drumherum eine Menge Grünzeug wächst. Aber daran hat sie bisher nur einen halben Gedanken verschwendet. Doch jetzt kommt ihr allein das Mähen des Rasens wie eine große Herausforderung vor. Sie hat bisher nur in Stadtwohnungen gelebt, wo selbst die Balkonpflanzen selten den Sommer überlebten. Kurz sticht der erbarmungswürdige Zustand ihres Ficus in ihr Bewusstsein. Aber das mit dem Gelände würde sich schon regeln. Ein Aushang in Effis Bistro oder ein Rundruf im Freundeskreis und schon hätte sie eine Liste von Interessenten für Urban Gardening. Oder nicht? Thomas steht auf und überblickt das Gartengelände.

„Ich male Ihnen mal aus, was Sie diesen Sommer da draußen erwartet. Hinten links, wo so wenig Sonne hinkommt, hat sich ein Brennnessel-Feld breitgemacht. Das wird weiter wuchern. Dort zwischen den Gehwegplatten sprießen nicht nur Löwenzahn und Giersch, sondern auch Birken. Haben Sie das schon bemerkt? Ach ja! In den Beeten wird es nur so von angeflogenen Hollerbüschen und anderen Sträuchern wimmeln. Der alte Kirschbaum muss untersucht werden, ob er noch stabil steht, und die beiden Apfelbäume müssen dringend geschnitten werden. Ach, und da“, er deutet in Richtung Tor, „kommt Gerda. Das ist ja nett!“

Anna stößt sich von der Arbeitsplatte ab und schaut aus dem Fenster. Frau Dorste, diesmal in einem knallgelben Trainingsanzug mit hellblauen Sneakers, schreitet zielsicher auf die Haustür zu. In der einen Hand hält sie einen gelben Regenschirm, in der anderen eine runde Tupperdose. Was will die denn jetzt und warum duzt Thomas die Nachbarin? Mit einem unmutigen Schnaufen öffnet Anna die Tür. Dass Thomas ihr gefolgt ist, hat sie nicht gemerkt, und als sie die Tür aufzieht, strahlt die rundliche, überschminkte Besucherin ihren Untermieter an.

„Thomas! Wie schön, dass du wieder da bist!“, ruft sie, drückt Anna die Dose in die Hand, schließt den Regenschirm und fällt geradewegs Thomas um den Hals.

„Guten Tag, Frau Dorste“, sagt Anna extra laut und deutlich. Nachdem Dorste dem Botaniker die bärtigen Wangen geküsst hat, dreht sie sich endlich um.

„Guten Tag Frau Burger, entschuldigen Sie, aber ich habe schon gedacht, nachdem ihr Großvater tot ist, dass Thomas sicher nie wieder hier auftaucht. So eine Freude!“ Sie nimmt Anna die Tupperbox ab und geht plappernd in die Küche. „Ich habe dich vorhin vor der Haustür gesehen und dachte, ich traue meinen Augen nicht. Wie gut, dass ich von dem Treffen mit der Häkel-Gruppe noch Muffins übrighabe. Wer möchte?“

Bevor Anna etwas sagt, steht Dorste bereits beim Küchenschrank, holt Teller heraus, legt auf einen zwei Muffins und hält ihn mit einem strahlenden Lächeln Thomas entgegen.

„Gerda, du bist die Beste!“, schwärmt er und beißt in ein Kuchenstück.

„Ach was! Charmeur wie immer“, gibt Dorste verschämt zurück.

„Komm, setz dich!“, lädt Thomas sie ein.



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