Lieutenant Gustl - Arthur Schnitzler - E-Book

Lieutenant Gustl E-Book

Arthur Schnitzler

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Beschreibung

Nach einer Ehrverletzung irrt Lieutenant Gustl durch Wien. In Form eines inneren Monologs lässt Schnitzler an Gustls Gedanken teilhaben: Muss er Selbstmord begehen, oder gibt es einen anderen Ausweg? Klassenlektüre und Textarbeit einfach gemacht: Die Reihe »Reclam XL – Text und Kontext« erfüllt alle Anforderungen an Schullektüre und Bedürfnisse des Deutschunterrichts: * Schwierige Wörter werden am Fuß jeder Seite erklärt, ausführlichere Wort- und Sacherläuterungen stehen im Anhang. * Ein Materialienteil mit Text- und Bilddokumenten erleichtert die Einordnung und Deutung des Werkes im Unterricht. * Natürlich passen auch weiterhin alle Lektüreschlüssel, Erläuterungsbände und Interpretationen dazu! E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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Seitenzahl: 98

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Arthur Schnitzler

Lieutenant Gustl

NovelleReclam XL | Text und Kontext

Herausgegeben von Sabine Wolf

Reclam

2013, 2022 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Durchgesehene Ausgabe 2022

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2022

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-960268-4

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-016146-3

www.reclam.de

Inhalt

Lieutenant Gustl

Anhang

1. Zur Textgestalt

2. Anmerkungen

3. Leben und Zeit

4. Die k. u. k. Doppelmonarchie Österreich-Ungarn und das Fin de siècle

5. »Das ist nicht schlecht, jetzt bin ich gar im Prater …« – Lieutenant Gustls Weg durch Wien

6. »Habe die Ehre, Herr Lieutenant …« – Der Ehrbegriff bei Lieutenant Gustl

7. »… da pfeif’ ich auf’n ganzen Antisemitismus!« – Antisemitische Entwicklungen in Militär und Gesellschaft

8. Lieutenant Gustl: Künstlerische Freiheit oder literarische Perversität?

9. »Dich hau’ ich zu Krenfleisch!« – Das Duell als Mittel zur Sühne?

Literaturhinweise

Fußnoten

Titelabbildung der ersten Buchausgabe des LieutenantGustl bei S. Fischer (1901) Illustration von Moritz Coschell, 1900/01

Lieutenant Gustl

[7]Wie lang wird denn das noch dauern? Ich muss auf die Uhr schauen … schickt sich wahrscheinlich nicht in einem so ernsten Konzert. Aber wer sieht’s denn? Wenn’s einer sieht, so passt er gerade so wenig auf, wie ich, und vor dem brauch’ ich mich nicht zu genieren … Erst viertel auf zehn? … Mir kommt vor, ich sitz’ schon drei Stunden in dem Konzert. Ich bin’s halt nicht gewohnt … Was ist es denn eigentlich? Ich muss das Programm anschauen … Ja, richtig: Oratorium! Ich hab’ gemeint: Messe. Solche Sachen gehören doch nur in die Kirche! Die Kirche hat auch das Gute, dass man jeden Augenblick fortgehen kann. – Wenn ich wenigstens einen Ecksitz hätt’! – Also Geduld, Geduld! Auch Oratorien nehmen ein End’! Vielleicht ist es sehr schön, und ich bin nur nicht in der Laune. Woher sollt’ mir auch die Laune kommen? Wenn ich denke, dass ich hergekommen bin, um mich zu zerstreuen … Hätt’ ich die Karte lieber dem Benedek geschenkt, dem machen solche Sachen Spaß; er spielt ja selber Violine. Aber da wär’ der Kopetzky beleidigt gewesen. Es war ja sehr lieb von ihm, wenigstens gut gemeint. Ein braver Kerl, der Kopetzky! Der einzige, auf den man sich verlassen kann … Seine Schwester singt ja mit unter denen da oben. Mindestens hundert Jungfrauen, alle schwarz gekleidet; wie soll ich sie da herausfinden? Weil sie mitsingt, hat er auch das Billet gehabt, der Kopetzky … Warum ist er denn nicht selber gegangen? – Sie singen übrigens sehr schön. Es ist sehr erhebend – sicher! Bravo! bravo! … Ja, applaudieren wir mit. Der neben mir klatscht wie verrückt. Ob’s ihm wirklich so gut gefällt? – Das Mädel drüben in der Loge ist sehr hübsch. Sieht sie mich an oder den Herrn dort mit dem blonden Vollbart? … [8]Ah, ein Solo! Wer ist das? Alt:Fräulein Walker, Sopran: Fräulein Michalek … das ist wahrscheinlich Sopran … Lang’ war ich schon nicht in der Oper. In der Oper unterhalt’ ich mich immer, auch wenn’s langweilig ist. Übermorgen könnt’ ich eigentlich wieder hineingeh’n, zur »Traviata«. Ja, übermorgen bin ich vielleicht schon eine tote Leiche! Ah, Unsinn, das glaub’ ich selber nicht! Warten S’ nur, Herr Doktor, Ihnen wird’s vergeh’n, solche Bemerkungen zu machen! Das Nasenspitzel hau’ ich Ihnen herunter …

Wenn ich die in der Loge nur genau sehen könnt’! Ich möcht’ mir den Operngucker von dem Herrn neben mir ausleih’n, aber der frisst mich ja auf, wenn ich ihn in seiner Andacht stör’ … In welcher Gegend die Schwester vom Kopetzky steht? Ob ich sie erkennen möcht’? Ich hab’ sie ja nur zwei oder drei Mal gesehen, das letzte Mal im Offizierskasino … Ob das lauter anständige Mädeln sind, alle hundert? O jeh! … »Unter Mitwirkung des Singvereins«! – Singverein … komisch! Ich hab’ mir darunter eigentlich immer so was Ähnliches vorgestellt, wie die Wiener Tanzsängerinnen, das heißt, ich hab’ schon gewusst, dass es was anderes ist! … Schöne Erinnerungen! Damals beim »Grünen Tor« … Wie hat sie nur geheißen? Und dann hat sie mir einmal eine Ansichtskarte aus Belgrad geschickt … auch eine schöne Gegend! – Der Kopetzky hat’s gut, der sitzt jetzt längst im Wirtshaus und raucht seine Virginia! …

Was guckt mich denn der Kerl dort immer an? Mir scheint, der merkt, dass ich mich langweil’ und nicht herg’hör … Ich möcht’ Ihnen raten, ein etwas weniger freches Gesicht zu machen, sonst stell’ ich Sie mir nachher im Foyer! – Schaut schon weg! … Dass sie alle vor meinem Blick so eine Angst hab’n … »Du hast die schönsten Augen, die mir je vorgekommen sind!« hat neulich die Steffi gesagt … O Steffi, Steffi, Steffi! – Die Steffi ist eigentlich schuld, dass ich dasitz’ und mir stundenlang vorlamentie[9]ren lassen muss. – Ah, diese ewige Abschreiberei von der Steffi geht mir wirklich schon auf die Nerven! Wie schön hätt’ der heutige Abend sein können. Ich hätt’ große Lust, das Brieferl von der Steffi zu lesen. Da hab’ ich’s ja. Aber wenn ich die Brieftasche herausnehm’, frisst mich der Kerl daneben auf! – Ich weiß ja, was drinsteht … sie kann nicht kommen, weil sie mit »ihm« nachtmahlen gehen muss. … Ah, das war komisch vor acht Tagen, wie sie mit ihm in der Gartenbaugesellschaft gewesen ist, und ich vis-à-vis mit’m Kopetzky; und sie hat mir immer die Zeichen gemacht mit den Augerln, die verabredeten. Er hat nichts gemerkt – unglaublich! Muss übrigens ein Jud’ sein! Freilich, in einer Bank ist er, und der schwarze Schnurrbart … Reservelieutenant soll er auch sein! Na, in mein Regiment sollt’ er nicht zur Waffenübung kommen! Überhaupt, dass sie noch immer so viel Juden zu Offizieren machen – da pfeif ich auf’n ganzen Antisemitismus! Neulich in der Gesellschaft, wo die G’schicht’ mit dem Doktor passiert ist bei den Mannheimers … die Mannheimer selber sollen ja auch Juden sein, getauft natürlich … denen merkt man’s aber gar nicht an – besonders die Frau … so blond, bildhübsch die Figur … War sehr amüsant im Ganzen. Famoses Essen, großartige Zigarren … Na ja, wer hat’s Geld? …

Bravo, bravo! Jetzt wird’s doch bald aus sein? – Ja, jetzt steht die ganze G’sellschaft da droben auf … sieht sehr gut aus – imposant! – Orgel auch? … Orgel hab’ ich sehr gern … So, das lass’ ich mir g’falln – sehr schön! Es ist wirklich wahr, man sollt’ öfter in Konzerte gehen … Wunderschön ist’s g’wesen, werd’ ich dem Kopetzky sagen … Werd’ ich ihn heut’ im Kaffeehaus treffen? – Ah, ich hab’ gar keine Lust, in’s Kaffeehaus zu geh’n; hab’ mich gestern so gegiftet! Hundertsechzig Gulden auf einem Sitz verspielt – zu dumm! Und wer hat alles gewonnen? Der Ballert, grad’ der, der’s nicht notwendig hat … Der Ballert ist eigentlich [10]schuld, dass ich in das blöde Konzert hab’ geh’n müssen … Na ja, sonst hätt’ ich heut’ wieder spielen können, vielleicht doch was zurückgewonnen. Aber es ist ganz gut, dass ich mir selber das Ehrenwort gegeben hab’, einen Monat lang keine Karte anzurühren … Die Mama wird wieder ein G’sicht machen, wenn sie meinen Brief bekommt! – Ah, sie soll zum Onkel geh’n, der hat Geld wie Mist; auf die paar hundert Gulden kommt’s ihm nicht an. Wenn ich’s nur durchsetzen könnt’, dass er mir eine regelmäßige Sustentation gibt … aber nein, um jeden Kreuzer muss man extra betteln. Dann heißt’s wieder: Im vorigen Jahr war die Ernte schlecht! … Ob ich heuer im Sommer wieder zum Onkel fahren soll auf vierzehn Tag’? Eigentlich langweilt man sich dort zum Sterben … Wenn ich die … wie hat sie nur geheißen? … Es ist merkwürdig, ich kann mir keinen Namen merken! … Ah, ja: Etelka! … Kein Wort deutsch hat sie verstanden, aber das war auch nicht notwendig … hab’ gar nichts zu reden brauchen! … Ja, es wird ganz gut sein, vierzehn Tage Landluft und vierzehn Nächt’ Etelka oder sonstwer … Aber acht Tag’ sollt’ ich doch auch wieder beim Papa und bei der Mama sein … Schlecht hat sie ausg’seh’n heuer zu Weihnachten … Na, jetzt wird die Kränkung schon überwunden sein. Ich an ihrer Stelle wär’ froh, dass der Papa in Pension gegangen ist. – Und die Klara wird schon noch einen Mann kriegen … Der Onkel kann schon was hergeben … Achtundzwanzig Jahr’, das ist doch nicht so alt … Die Steffi ist sicher nicht jünger … Aber es ist merkwürdig: die Frauenzimmer erhalten sich länger jung. Wenn man so bedenkt: die Maretti neulich in der »Madame Sans-Gêne« – siebenunddreißig Jahr ist sie sicher, und sieht aus … Na, ich hätt’ nicht nein g’sagt! – Schad’, dass sie mich nicht g’fragt hat …

Heiß wird’s! Noch immer nicht aus? Ah, ich freu’ mich so auf die frische Luft! Werd’ ein bissl spazieren geh’n, über’n Ring … Heut’ heißt’s: früh in’s Bett, morgen Nach[11]mittag frisch sein! Komisch, wie wenig ich daran denk’, so egal ist mir das! Das erste Mal hat’s mich doch ein bissl aufgeregt. Nicht, dass ich Angst g’habt hätt’; aber nervos bin ich gewesen in der Nacht vorher … Freilich, der Oberlieutenant Bisanz war ein ernster Gegner. – Und doch, nichts ist mir g’scheh’n! … Auch schon anderthalb Jahr’ her. Wie die Zeit vergeht! Und wenn mir der Bisanz nichts getan hat, der Doktor wird mir schon gewiss nichts tun! Obzwar, gerade diese ungeschulten Fechter sind manchmal die gefährlichsten. Der Doschintzky hat mir erzählt, dass ihn ein Kerl, der das erste Mal einen Säbel in der Hand gehabt hat, auf ein Haar abgestochen hätt’; und der Doschintzky ist heut’ Fechtlehrer bei der Landwehr. Freilich – ob er damals schon so viel können hat … Das Wichtigste ist: kaltes Blut. Nicht einmal einen rechten Zorn hab’ ich mehr in mir, und es war doch eine Frechheit – unglaublich! Sicher hätt’ er sich’s nicht getraut, wenn er nicht Champagner getrunken hätt’ vorher … So eine Frechheit! Gewiss ein Sozialist! Die Rechtsverdreher sind doch heutzutag’ alle Sozialisten! Eine Bande … am liebsten möchten sie gleich ’s ganze Militär abschaffen; aber wer ihnen dann helfen möcht’, wenn die Chinesen über sie kommen, daran denken sie nicht. Blödisten! – Man muss gelegentlich ein Exempel statuieren. Ganz recht hab’ ich g’habt. Ich bin froh, dass ich ihn nimmer auslassen hab’ nach der Bemerkung. Wenn ich dran denk’, werd’ ich ganz wild! Aber ich hab’ mich famos benommen; der Oberst sagt auch, es war absolut korrekt. Wird mir überhaupt nützen, die Sache. Ich kenn’ manche, die den Burschen hätten durchschlüpfen lassen. Der Müller sicher, der wär’ wieder objektiv gewesen oder so was. Mit dem Objektivsein hat sich noch jeder blamiert … »Herr Lieutenant!« … schon die Art, wie er »Herr Lieutenant« gesagt hat, war unverschämt! … »Sie werden mir doch zugeben müssen« … – Wie sind wir denn nur d’rauf gekom[12]men? Wieso hab’ ich mich mit dem Sozialisten in ein Gespräch eingelassen? Wie hat’s denn nur angefangen? … Mir scheint, die schwarze Frau, die ich zum Buffet geführt hab’, ist auch dabei gewesen … und dann dieser junge Mensch, der die Jagdbilder malt – wie heißt er denn nur? … Meiner Seel’, der ist an der ganzen Geschichte schuld gewesen! Der hat von den Manövern geredet; und dann erst ist dieser Doktor dazugekommen und hat irgendwas g’sagt, was mir nicht gepasst hat, von Kriegsspielerei oder so was – aber wo ich noch nichts hab’ reden können … Ja, und dann ist von den Kadettenschulen gesprochen worden … ja, so war’s … und ich hab’ von einem patriotischen Fest erzählt … und dann hat der Doktor gesagt – nicht gleich, aber aus dem Fest hat es sich entwickelt – »Herr Lieutenant, Sie werden mir doch zugeben, dass nicht alle Ihre Kameraden zum Militär gegangen sind, ausschließlich um das Vaterland zu verteidigen!« So eine Frechheit! Das wagt so ein Mensch einem Offizier in’s Gesicht zu sagen! Wenn ich mich nur erinnern könnt’, was ich d’rauf geantwortet hab’? … Ah ja, etwas von Leuten, die sich in Dinge dreinmengen, von denen sie nichts versteh’n … Ja, richtig … und dann war einer da, der hat die Sache gütlich beilegen wollen, ein älterer Herr mit einem Stockschnupfen