Loki - Warum man als schlechter Gott immer an allem schuld ist (oder auch nicht) - Louie Stowell - E-Book

Loki - Warum man als schlechter Gott immer an allem schuld ist (oder auch nicht) E-Book

Louie Stowell

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Beschreibung

In Band 2 der Loki-Reihe von Louie Stowell muss der elfjährige Gott Loki die Welt retten. Erfrischend, leicht und grandios illustriert von Ulf K.

Lokis unglaubliche Abenteuer in der Menschenwelt gehen weiter: Chaos und lautes Lachen beim Lesen sind vorprogrammiert! Gern würde Trickster-Gott Loki wieder in Asgard bei den anderen Göttern leben. Leider sitzt er aber auf der Erde fest – und das ausgerechnet mit Thor. Der ist nicht nur beliebter und sportlicher als Loki, zu allem Überfluss darf er auch noch eine große Geburtstagsparty schmeißen. Unfair! Als nach der Feier Thors Lieblingshammer verschwunden ist, wird Loki schnell zum Hauptverdächtigen. Doch weil er (ausnahmsweise) wirklich unschuldig ist, beginnt er, eigene Ermittlungen anzustellen. Dabei bekommt er es mit fiesen Frostriesen und einem perfiden Racheplan zu tun. Kann er endlich beweisen, dass er die Rückkehr nach Asgard verdient hat?

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Das ist das Cover des Buches »Loki« von Louie Stowell

Über das Buch

Lokis unglaubliche Abenteuer in der Menschenwelt gehen weiter: Chaos und lautes Lachen beim Lesen sind vorprogrammiert! Gern würde Trickster-Gott Loki wieder in Asgard bei den anderen Göttern leben. Leider sitzt er aber auf der Erde fest — und das ausgerechnet mit Thor. Der ist nicht nur beliebter und sportlicher als Loki, zu allem Überfluss darf er auch noch eine große Geburtstagsparty schmeißen. Unfair! Als nach der Feier Thors Lieblingshammer verschwunden ist, wird Loki schnell zum Hauptverdächtigen. Doch weil er (ausnahmsweise) wirklich unschuldig ist, beginnt er, eigene Ermittlungen anzustellen. Dabei bekommt er es mit fiesen Frostriesen und einem perfiden Racheplan zu tun. Kann er endlich beweisen, dass er die Rückkehr nach Asgard verdient hat?

Louie Stowell

Loki

Warum man als schlechter Gott immer an allem schuld ist (oder auch nicht)

Mit Illustrationen von Ulf K.

Aus dem Englischen von André Mumot

Hanser

Für die Schöpfer meines Universums, Jean und Frank

Weltenbaum

Über dieses Buch

Seid gegrüßt, ihr Sterblichen. Mein Name ist Loki, und ich bin ein Gott.

Also … in gewisser Weise.

Es ist kompliziert.

Momentan lebe ich in Midgard (euch auch bekannt als Erde), und zwar in Gestalt eines mickrigen sterblichen Jungen namens Liam.

Ich verfüge noch immer über die Kräfte eines mächtigen Gottes, aber es ist mir verboten, sie öffentlich einzusetzen. Außerdem muss ich in die Schule gehen.

Niemals hat jemand so sehr gelitten wie ich.

Aber sagen wir mal so: Es hätte noch schlimmer kommen können. Gestattet mir, dass ich euch auf den neuesten Stand bringe …

Das eigentliche Ende war das aber nicht, oder, Loki?

O Mann. Musst du wirklich jede kleinste Ausschmückung der Wahrheit korrigieren?

Ja. Genau dies ist die Aufgabe dieses Tagebuchs.

PAH. Du solltest dir mal ein Hobby zulegen.

Na gut, okay, das war also nicht das Ende meiner Geschichte: Trotz all meiner Heldentaten muss ich nach wie vor auf der Erde bleiben und weiterhin in dieses lächerliche Tagebuch schreiben. Es verleiht mir Punkte, wenn ich Gutes tue, und zieht mir Punkte ab, wenn ich … weniger Gutes tue. Das muss ich erdulden, bis ich mich »Asgards würdig« erwiesen habe. Was auch immer das bedeuten soll.

Hinzu kommt, dass ich seit Neuestem eine Mission habe: Meine Aufgabe ist, das Reich der Sterblichen gegen Frostriesen und weitere unangenehme Gestalten aus den anderen Reichen zu schützen.

Also, da wir jetzt alle auf dem neuesten Stand sind, kann die große Loki-Show beginnen!

Tag 1

Montag

LOKIS TUGEND-SCORE (LTS):

0

Reset für einen echten Neustart.

Na ja, wahrscheinlich immer noch besser als die Millionen Minuspunkte davor.

Heute habe ich in der Schule eine erhabene Großtat vollbracht: Ich war nett zu unserer neuen Mitschülerin.

Wer nie eine Sterblichen-Schule besucht hat, weiß vielleicht nicht, dass es dort eine altbewährte Tradition gibt: Alle neuen Mitschüler werden grundsätzlich mit Herablassung und Grausamkeit behandelt.

Da ich aber nun ein Guter Gott™ bin, habe ich diesen Brauch ignoriert und aufopferungsvoll den Zorn meiner Mitwelt in Kauf genommen.

»Sarah kann neben mir sitzen, Miss«, sagte ich zur Lehrerin und wies großzügig auf den leeren Platz neben mir.

Thor, der auf meiner anderen Seite saß, beugte sich herüber und raunte: »Was hast du mit dem Stuhl angestellt? Erdnussbutter auf die Sitzfläche geschmiert? Oder Sekundenkleber?«

»Gar nichts«, versicherte ich.

Keine Lüge festgestellt.

»Eigentlich«, sagte Sarah, »würde ich lieber da drüben sitzen, wenn das okay ist?« Sie deutete auf einen Platz, der weit, weit entfernt von mir war.

Mit offenem Mund sah ich zu, wie Sarah zu ihrem neuen Sitzplatz hinübermarschierte. Ich hatte mir diese noble Tat abgerungen, angetrieben von meinem Mitleid mit einer armen, unglücklichen Seele und … sie lehnte mein Angebot ab? Sie hat Loki einen Korb gegeben? MIR?!

Nun ja. Ich weiß auch nicht, warum ich überhaupt einen einzigen Gedanken daran verschwende.

Du verschwendest einen Gedanken daran, weil du tugendhaft werden willst, damit man dir erlaubt, endlich in dein Zuhause, nach Asgard, zurückzukehren. Und um das zu erreichen, musst du noch STARK an dir arbeiten.

Ich hasse dieses Tagebuch. Ich denke gerade ernsthaft darüber nach, es ins Feuer zu werfen.

Ich bin feuerfest — selbst die höchsten Temperaturen in der Flammenwildnis von Muspelheim können mir nichts anhaben.

(Notiz für später: Rauskriegen, wie heiß es in Muspelheim ist.)

Nach der Schule schaute ich mit Thor und Hyrrokkin fern. Heimdall war derweil damit beschäftigt, etwas zu installieren, was die Sterblichen Alarmanlage nennen.

Ratgeber für sterbliches Leben im 21. Jahrhundert auf einen Blick

ALARMANLAGE: Eine Vorrichtung, die hohe Töne ausstößt, wenn Diebe ins Haus einbrechen. Darüber hinaus neigt sie dazu, in unregelmäßigen Abständen und ohne jeglichen Grund von alleine loszuschrillen. Am liebsten mitten in der Nacht.

Loki: Wenn ich über ein Phänomen der Sterblichen stolpere, das mir nicht vertraut ist, liefert mir dieses Buch eine Erklärung, die vom »allwissenden« Odin persönlich verfasst wurde. Manchmal lesen sich diese Erklärungen allerdings, als würde er sich bloß über die Menschen lustig machen.

»Wer sollte denn in diese erbärmliche Bruchbude einbrechen wollen?«, fragte ich.

»Riesen!«, erwiderte Heimdall.

»Und was sollten die Riesen bei uns stehlen?«, fragte ich und gestikulierte in der öden Sterblichen-Unterkunft herum, die wir unser Zuhause nennen. Nirgends ein goldener Thron oder ein mit Diamanten verzierter Kelch, anders als in Asgard.

»Sie könnten es auf Thors Hammer abgesehen haben!«, sagte Heimdall. »Oder einen von uns entführen wollen. Oder …« Sein Blick schweifte durch den Raum. »… unseren Fernseher stehlen. Der ist schließlich ziemlich groß. Aber egal. Zeit fürs Abendessen. Geh dir die Hände waschen. Und zwar mit Seife!«

Nach dem Abendessen fütterte Hyrrokkin ihre Schlangen. Während sie vollauf damit beschäftigt war, tote Mäuse in die gierigen Mäuler der Kriechtiere zu werfen, erledigten Thor und ich unsere Haushaltspflichten.

Haushaltspflichten gehören zum Grausamsten, was man als sterbliches Kind erdulden muss. Insbesondere die entsetzlichen Pflichten des heutigen Tages:

LOKI: Räum dein Zimmer auf, es ist der reinste Saustall!

THOR: Staub doch bitte noch deine Hammer-Sammlung ab, dein Zimmer ist bereits sauber.

Wenn man in Asgard etwas zu Boden fallen lässt, kehrt es auf magische Weise zu dem Ort zurück, an den es gehört. Tragischerweise passiert dies im Reich der Sterblichen nicht. Und anscheinend finden meine angeblichen Eltern das von mir entwickelte Aufbewahrungssystem für meine Besitztümer nicht akzeptabel. Ich verstehe nicht, warum. Ich weiß immer ganz genau, wo sich alles befindet. Es nervt mich ziemlich, dass Thor so gut darin ist, sein Zimmer sauber zu halten. Ich glaube, er macht das nur, um mich zu ärgern.

Nachdem er seine Hämmer abgestaubt hatte, kam er dann auch gleich zu mir herüber, um mich in den Wahnsinn zu treiben. Während ich mir meine zarten Finger wund arbeitete, redete er auf mich ein, wie lustig es angeblich gewesen sei, dass die neue Mitschülerin den Platz neben mir abgelehnt hatte. Ich glaube nicht, dass Thor das Konzept Humor begriffen hat. Eine Demütigung ist nur dann lustig, wenn sie nicht mich trifft!

»Das war sehr unhöflich von ihr«, sagte ich ungehalten.

»Deswegen war es ja so lustig«, erwiderte Thor. »Noch lustiger war allerdings dein Gesicht, als sie dich links liegen ließ wie einen Loser ohne Freunde.«

Kurz bevor ich an Thor schreckliche Rache üben und somit meinen Status als Guter Gott™ zunichtemachen konnte, rief uns Hyrrokkin nach unten.

»Ich habe eine E-Mail von eurer Schule bekommen«, sagte sie mit gerunzelter Stirn.

Hyrrokkin hält nichts von E-Mails. Dazu muss man allerdings wissen, dass sie schon Buchstaben als neumodisches Zeug abtut. Sie bevorzugt Runen, die in Stein gemeißelt oder zumindest auf »ein schönes Stück Pergament« gemalt werden.

»Die Schule wird am Donnerstag ein mystisches Ritual abhalten, das eurer Beurteilung dient«, fuhr sie fort. »Eure Lehrer werden Heimdall und mir daraufhin mitteilen, ob ihr euch als würdig erwiesen habt.«

Thor: Aber woher sollen denn meine Lehrer wissen, ob ich würdig bin? Ich habe noch keine Questen vollbringen können, um meinen Wert unter Beweis zu stellen!

Hyrrokkin erklärte uns, dass es sich bei dem mystischen Ritual um eine Veranstaltung handelt, die sich »Elternabend« nennt, und dass unser Wert danach beurteilt würde, wie »Liam« (ich) und »Thomas« (Thor) sich in der Schule verhalten und welche Noten wir bekommen hatten.

Natürlich wusste ich, dass es immer eine reine Freude ist, mich um sich zu haben, und dass ich vor geistreichem Witz nur so sprühe. Trotzdem. Die Vorstellung, von meinen Lehrern beurteilt zu werden, verursachte ein komisches Gefühl in meinem Magen.

Man muss wissen: Manchmal wird meine Genialität missverstanden. Es ist tatsächlich schon vorgekommen, dass Lehrer mich angeschrien haben. Zum Beispiel so: »Liam, hör auf, den Unterricht zu stören!« Oder: »Liam, hör auf, grundlos grausam zu Sophie zu sein!« Oder: »O Gott, warum mussten sie dich ausgerechnet in meine Klasse stecken? Hasst mich der Direktor so sehr?«

Aber ich wischte meine Bedenken beiseite. Was bedeutet es schon, was meine Lehrer in drei Tagen bei diesem erbärmlichen Treffen über mich sagen werden? Ich bin ein unsterblicher Gott, ruhmreich und machtvoll! Ich habe es nicht nötig, von ihnen gelobt zu werden.

Du hast es nötig, von allen gelobt zu werden, Loki. Du bist unfassbar unsicher.

Habe ich schon erwähnt, dass ich dieses Tagebuch hasse?

Tag 2

Dienstag

LOKIS TUGEND-SCORE (LTS):

50

Dafür, dass du der neuen Schülerin einen Platz angeboten hast.

Das WAR aber auch nett von mir!

Vor der Schule gingen Thor und ich mit Hyrrokkins Hund Bello Gassi.

Als wir unsere Runde machten, liefen wir meiner besten sterblichen Freundin Valerie über den Weg, die sich einen seltsamen schwarzen Helm aufgesetzt hatte.

Bis vor Kurzem hätte ich Thor noch vors Schienbein getreten, wenn er Götter-Angelegenheiten einfach so in der Gegend herumposaunt, aber Valerie kennt die Wahrheit. (Okay — weil ich sie ihr erzählt habe. Aber aus heldenhaften Gründen.)

»Krieg? Nein, ich gehe vor der Schule noch zum Reitstall.« Sie beugte sich näher. »Aber ziehen Götter oft in den Krieg? Darüber würde ich gern mehr erfahren …«

»Warte …« Thor zog seine nervtötend hübsche Stirn in Falten. »Nein! Du weißt bereits viel zu viel, Sterbliche!«

»Aber sie ist keine bloße Sterbliche«, wandte ich ein. »Sie ist Valerie Kerry, beste Freundin des großen Loki!«

Valerie: Ich war noch nie die beste Freundin von jemandem, der auch in der Öffentlichkeit mit mir sprechen würde.

Loki: Ich bin ein großzügiger Gott. Ich werde auch vor anderen mit dir sprechen.

Valerie: Ähm … danke?

»Der Hund hat Fäkalien auf dem Boden hinterlassen. Es ist deine Aufgabe, sie aufzuheben«, sagte Thor und unterbrach damit unseren überaus berührenden Moment wahrer Freundschaft.

Also machte sich Valerie Richtung Reitstall auf, während ich Hundekacke vom Boden aufklaubte — lediglich mit einer Plastiktüte zwischen meiner göttlichen Hand und den Exkrementen. Das Leben der Sterblichen ist wirklich der letzte Dreck.

Später in der Schule plauderte ich in der Pause mit Valerie. Ich hatte gehofft, wir könnten uns ein wenig über meine Großartigkeit austauschen, aber statt mir Fragen über mich zu stellen und gebannt an meinen Lippen zu hängen (wie ich es verdiene), redete sie über ein Mädchen, das sie an diesem Morgen beim Reitstall kennengelernt hatte.

»Sie heißt Georgina, und sie ist mega. Sie geht in eine andere Klasse, deshalb kennst du sie nicht. Aber sie reitet schon fast genauso lange wie ich. Auf Außerirdische fährt sie nicht so ab — was echt schade ist —, aber ich mag sie trotzdem total gern. Sie steht aufs Programmieren, und sie ist so hübsch, und sie hat echt ein Händchen für Pferde, und sie kann auch Sprünge! Ach ja, und die neue Besitzerin des Reitstalls meinte, so eine gute Reiterin wie Georgina hätte sie seit Jahren nicht gesehen!«

All das stieß Valerie in so atemloser Geschwindigkeit aus, dass ich wirklich Angst bekam, sie würde ersticken. Diese Georgina tat Valerie offensichtlich gar nicht gut.

Loki: So ein gutes Händchen für Pferde wie ich, Loki, hat sie doch garantiert nicht?

»Viel besser!«, sagte Valerie.

»Aber … ich war selbst mal ein Pferd!«, protestierte ich.

»Nur weil du mal ein Pferd gewesen bist, heißt das noch lange nicht, dass du Pferde gut reiten kannst. Das ist, als würde man sagen, du warst mal eine Kuh und kannst deshalb gut melken.«

(Tatsächlich habe ich acht Jahre lang im Untergrund gelebt und in dieser Zeit professionell Kühe gemolken. Ist eine lange Geschichte. Ich werde sie mal erzählen, wenn ich nicht gerade beweisen muss, dass ich einer mysteriösen Fremden deutlich überlegen bin.)

»Na egal, ich glaube jedenfalls, dass du sie auch total mögen wirst. Sie ist so interessant und witzig und clever«, sagte Valerie.

Und dann redete sie weiter und weiter über diese Georgina. So langsam fühlte ich mich ein wenig unwohl. Würde Valerie jemals zu reden aufhören? Sie ging bereits das Risiko einer ernsthaften Stimmbänderzerrung ein.

Valerie: GeorginaGeorginaGeorginaGeorginaGeorginaGeorgina.

»Und weißt du was?«

»Sie kann auch fliegen und Regenbogen furzen?«, fragte ich giftig.

»Nein! Letztes Jahr war sie auch in der Klasse von Mrs Williams! Wir haben so viel gemeinsam!« Valerie schien hoch erfreut zu sein über diesen Zufall, der eigentlich gar kein Zufall ist, wenn man bedenkt, dass es an unserer Schule nur eine sehr begrenzte Anzahl an Lehrkräften gibt.

Mrs Williams ist unsere Klassenlehrerin. Ich würdige Lehrpersonal nicht gern damit, dass ich es beim Namen nenne, aber widerwillig gebe ich zu, dass ich sie kenne.

Dies war nicht die erfreuliche Unterrichtspause, auf die ich gehofft hatte. Valerie ließ mich für eine bloße Sterbliche im Stich! Dabei ist sie meine Freundin! Das ist wie mit Thors Hammer: Würde den jemand anderer anfassen, wäre es nicht mehr sein Hammer. Diese Georgina betrieb Freundinnen-Diebstahl am helllichten Tag!

Eigentlich wollte ich Folgendes sagen:

Tatsächlich aber sagte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen: »Ich würde sie gern mal kennenlernen.«

»Ich bin mir sicher, sie würde dich auch gern treffen! Ich habe ihr schon alles von dir erzählt. Also, die Götter-Sache natürlich nicht«, erwiderte Valerie.

Dieser dämliche Schwur vor Odin macht es so viel schwerer, zu zeigen, wie cool ich wirklich bin. (Ich habe einen Schwur geleistet, dass ich meine göttlichen Kräfte Sterblichen gegenüber niemals preisgeben werde. Einmal bin ich zwar damit durchgekommen, diesen Schwur zu brechen, aber ich fürchte, Odin wäre kein weiteres Mal so nachsichtig.)

»Ich bin mir sicher, dass sie dich mögen wird«, fuhr Valerie fort. »Georgina ist so nett, die mag jeden.«

Jeden?! Dieses Wort traf mich wie ein Schlag in die Magengrube, und zwar von einer sehr großen und knotigen Riesenkeule. Ich bin nicht jeder! Ich bin anbetungswürdig! Man liebt mich, weil ich fantastisch bin, nicht bloß, weil andere nett sind! Ich brauche von niemandem Mitleid — und auch keine Freunde aus zweiter Hand!

Ich leistete einen stummen Eid:

Statt mich wie sonst in Englisch neben Valerie zu setzen, legte ich mein Federmäppchen nach der Pause also neben Sarah, die Neue. Dies ist ein universelles Zeichen, mit dem sterbliche Kinder signalisieren, dass dieser Platz nun ihnen gehört. Aber nachdem ich mir von vorne ein Blatt Papier geholt hatte, musste ich entsetzt feststellen, dass Sarah mein Mäppchen auf einen anderen Platz gelegt hatte.

Einen Augenblick lang stieg mir Galle in der Kehle hoch. Dann kam mir ein Gedanke: Dass sie meinte, ich sei ihre Freundschaft nicht wert, war überhaupt nicht logisch. Vermutlich hatte sie mein Mäppchen nur aus reiner Bescheidenheit woanders hingelegt. Bestimmt glaubte sie, sie sei es nicht wert, neben jemandem zu sitzen, der so besonders ist wie ich! Also schenkte ich ihr ein verständnisvolles Lächeln und setzte mich trotzdem neben sie.

Offenkundig überwältigt von meiner Großmut, ließ sie sich nach vorn auf ihre Arme fallen und stieß ein lautes Stöhnen aus. Dann richtete sie sich wieder auf und hob die Hand: »Liam versucht ständig, neben mir zu sitzen.«

»Aber ich will doch bloß nett sein!«, warf ich ein.

Trotzdem zwang mich Mrs Williams, zu meinem Platz neben Valerie zurückzukehren. Also setzte ich mich neben die einzige Person, von der ich sicher sein konnte, dass sie mich mit Freude und Dankbarkeit begrüßen würde. Aber als ich Platz nahm, schaute Valerie nicht einmal auf. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt dem Bild eines reitenden Mädchens, das sie gerade zeichnete.

Es war eine sehr gute Zeichnung. Wirklich schade, dass sie am Ende der Stunde zu Boden fiel und die ganze Klasse auf dem Weg nach draußen über sie hinwegtrampelte.

Und warum ist sie zu Boden gefallen?

Ähm …

Das dachte ich mir. Einen Teil der Wahrheit auszulassen, ist auch eine Art Lüge, weißt du?

Pah! Das stimmt doch gar nicht. Würde man jedes einzelne Detail in einer Geschichte erwähnen, wäre sie stinklangweilig!

Nach der Schule ging ich mit Thor nach Hause. An einer Mauer, nicht weit von unserer Sterblichen-Unterkunft, hatte jemand einige Plakate angebracht, auf denen eigentümliche Bitten und Befehle prangten.

Anfangs glaubte ich, es handele sich um eine Art Sterblichen-Code der moralischen Belehrung, aber dann fiel mir ein, dass die Sterblichen so was Werbung nennen. Das Tagebuch hatte mir dieses Phänomen erst kürzlich erklärt:

Ratgeber für sterbliches Leben im 21. Jahrhundert auf einen Blick

WERBUNG: Eine Methode, um Sterbliche dazu zu bringen, Geld auszugeben oder Dinge zu tun, die sie eigentlich nicht tun wollen. Werbung sollte keine direkten Lügen enthalten, aber sie biegt sich die Wahrheit so lange zurecht, bis diese schreit: »Bitte hör auf — das tut mir weh!«

Als Meister der Trickserei imponiert mir so viel Unwahrheit natürlich sehr!

Thor, das Spatzenhirn, fiel auch sofort darauf rein: »Hmm, vielleicht sollte ich HAMMERSWAP tatsächlich mal ausprobieren … Einige meiner Hämmer sind wirklich schon ziemlich alt.«

»Du bist so leichtgläubig«, sagte ich. »Werbung existiert nur, um sich an den geistig Schwachen zu bereichern!«

Dann kamen wir an einem Plakat vorbei, das eine neue Chips-Geschmacksrichtung anpries.

Okay, vielleicht muss ich zugeben: Werbung ist nicht immer nur Betrug.

Tag 3

Mittwoch

LOKIS TUGEND-SCORE (LTS):

— 50

Punktabzug, weil du Sarah deine Freundschaft aufdrängen wolltest und Valeries Zeichnung zerstört hast.

In der Theaterstunde haben wir heute etwas gemacht, das man Improvisation nennt. Das Beste überhaupt! Es bedeutet, dass man sich ganz spontan Lügen ausdenken darf und von der Lehrerin dafür gelobt wird! Mein gesamtes bisheriges Leben ist auf diese Schulstunde zugelaufen!

Wir sollten in Zweiergruppen arbeiten, aber leider hat die Lehrerin mich mit Thor zusammengesteckt, der das Grundprinzip der Schauspielerei einfach nicht versteht.

Rasch rannte ich hinter ihm her. Dank seines überaus einfältigen Geistes hätte der Zoo der Stadt sonst seine Hauptattraktion verloren. Oder Jean, die Tigerin, hätte in Kürze einen sehr wütenden Gott in ihrem Bauch gehabt …

Als ich ihn zurück in den Klassenraum schleifte, erklärte ich lauthals den Sachverhalt: Thomas hatte aufs Klo gemusst, und da er zu dumm war, den Weg zu finden, ohne sich zu verlaufen, hatte ich ihm helfen müssen. Dies führte zu einem blauen Fleck an meinem Arm, verursacht von Thors Faust.

Am Ende der Stunde, als alle die Klasse verließen, ging unsere Lehrerin voran.

Es war zum Totlachen. Zumindest war es zum Totlachen, bis sie sich wieder aufgerappelt hatte und mit dem Finger auf mich zeigte: »Liam Smith, du gehst augenblicklich ins Büro des Direktors!«

»Aber ich war das nicht!«, sagte ich. Was auch stimmte!

Wahrheit vermerkt. Eine erstaunliche Neuheit!

»Nun, nur du und Thomas habt während der Stunde die Klasse verlassen … Willst du etwa behaupten, dass es Thomas gewesen ist?«

Nicht einmal ich konnte mir vorstellen, dass Thor eine derart witzige Aktion zustande bringen würde — oder könnte.

»Ich gehe mit großer Freude zum Direktor. Auch wenn ich an dieser Sache keine Schuld trage, belustigt es mich sehr, dass dies geschehen ist!«, sagte ich und flitzte den Flur hinab, um mich meiner sinnlosen Bestrafung zu stellen. Nach der Aussicht auf ewige Schlangenfolter, mit der mir Odin drohte, machten mir ein paar strenge Worte eines irrelevanten Sterblichen keine Angst!

Vor meinem Abgang war mir übrigens aufgefallen, dass Sarah mich mit finsterer Miene angestarrt hatte. Offensichtlich hasst sie alles, was mit Spaß zu tun hat.

Ich wüsste nur zu gern, wer sich diesen Skateboard-Streich ausgedacht hat. Da ich der Gott der Streiche bin, sehe ich solche Aktionen natürlich als Huldigung an mich.

Es geht nicht bei allem nur um dich.

Aber bei allem, was zählt!

Zur Strafe musste ich einen Entschuldigungsbrief an die Theaterlehrerin schreiben. WEGEN EINES VERBRECHENS, DAS ICH NICHT BEGANGEN HABE! Und das in der mir heiligen Mittagspause. Was für eine Ungerechtigkeit!