Loki - Wie man als schlechter Gott ein guter Mensch wird (oder auch nicht) - Louie Stowell - E-Book

Loki - Wie man als schlechter Gott ein guter Mensch wird (oder auch nicht) E-Book

Louie Stowell

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Beschreibung

Nordische Mythologie trifft auf irdisches Schulleben: das Tagebuch eines elfjährigen Gottes, mit viel Witz illustriert von Ulf K. Als Gott zwischen stinknormalen Menschen? Nichts leichter als das – oder?! Loki ist der witzigste und trickreichste unter den nordischen Göttern. Findet zumindest er. Dumm nur, dass die anderen Bewohner Asgards seinen Humor nicht teilen und ihn auf die Erde verbannen. Unverschämtheit! Getarnt als Elfjähriger und ohne die Hilfe seiner göttlichen Kräfte, muss Loki beweisen, dass er es verdient, zu den anderen Göttern zurückzukehren. Schnell wird klar: Das Leben unter Sterblichen hat es in sich – mieses Essen, nervige Geschwister, fiese Lehrer, neugierige Mitschüler –, und Loki hat wirklich absolut keine Ahnung, wie man Gut von Böse unterscheidet. Seine Erlebnisse hält er in diesem Tagebuch fest – ironisch, geistreich und urkomisch!

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Seitenzahl: 146

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Louie Stowell

Loki

Wie man als schlechter Gott ein guter Mensch wird (oder auch nicht)

Mit Illustrationen von Ulf K.

Aus dem Englischen von André Mumot

Hanser

Dieses Buch ist Adrian Mole gewidmet, der vorausgelaufen ist, damit Loki irgendwie hinterherstolpern und alles vor die Wand fahren konnte.

Tag 1

Mittwoch

LOKIS TUGEND-SCORE (LTS):

– 3000

Ich heiße Loki, und ich bin ein Gott. Zumindest war ich einer bis gestern. Jetzt hat Odin mich in der Gestalt eines elfjährigen Jungen auf die Erde verbannt. Diese Situation ist aus vielen unterschiedlichen Gründen katastrophal.

Erst einmal ist da die generelle Schwäche dieses sterblichen Körpers. Ich bin auch sonst nicht der Stärkste unter den Göttern, aber jetzt sehen meine Beine aus wie Streichhölzer, und ich habe in etwa so viel Kraft im Oberkörper wie ein unterernährtes Eichhörnchen!

Wenn Götter erschaffen werden, nehmen sie sofort ihre endgültige Gestalt an, ich bin also noch nie ein Kind gewesen. Anscheinend denkt Odin aber, dass ich so aussehen würde, wenn ich eins wäre. Unverschämtheit!

Zweitens ist da meine angebliche Familie: der Wächtergott Heimdall (der mich hasst) und eine furchteinflößende Riesin namens Hyrrokkin (keine Ahnung, was die von mir hält). Sie haben die Aufgabe, so zu tun, als wären sie meine Eltern, während wir uns auf der Erde aufhalten. Ich muss bei ihnen wohnen und tun, was sie sagen. Diese Erniedrigung empört mich zutiefst. Ich bin schließlich Tausende Jahre alt! Ich sollte nicht um neun Uhr abends ins Bett geschickt werden! Ich sollte keine Hausarbeiten erledigen müssen! Und unter absolut gar keinen Umständen sollte man von mir erwarten, dass ich meine eigene Unterwäsche zusammenlege!

Drittens muss ich es mit dem elfjährigen Thor aufnehmen, dem es scheinbar das größte Vergnügen bereitet, sich auf mein Gesicht zu setzen und zu furzen.

Vielleicht sollte mich die Tatsache trösten, dass er nun ebenfalls hier sein und mit mir leiden muss … aber es ist schwer, sich mit irgendwas zu trösten, wenn man gerade angefurzt wird.

Solange ich auf der Erde bin, muss ich einen vollen Monat lang jeden Tag in dieses dämliche Buch schreiben, um zu beweisen, dass ich mich bessere und dass ich Asgards würdig bin, was auch immer das heißen mag.

Jetzt denkt ihr wahrscheinlich: »Loki, du bist der Gott der Lügen, der größte Schwindler aller Zeiten – warum lügst du nicht einfach und schreibst in das Buch, dass du den ganzen Monat sehr, sehr brav gewesen bist?«

Leider hat Odin in seiner ätzenden Weisheit diese Möglichkeit vorausgesehen. Dies ist ein magisches Tagebuch. Wenn ich lüge, korrigiert das Buch es von selbst. Wenn ich zum Beispiel schreibe …

ICH BIN DER MÄCHTIGSTE ALLER GÖTTER.

BERICHTIGUNG: Nein, das bist nicht du, sondern Odin. Du bist ein erbärmlicher Wurm, dessen einzige Macht darin besteht, sich körperlich zu verwandeln und ziemlich heimtückisch zu sein.

… erhalte ich eine derart unhöfliche Reaktion.

Also bleibt mir nur folgende Wahl: Entweder ich lüge, bleibe damit meinem grandiosen Wesen treu und werde dafür hier von dieser unpersönlichen, körperlosen Stimme gemaßregelt, oder aber ich erzähle die öde, unverblümte und meistens wenig schmeichelhafte Wahrheit.

BERICHTIGUNG: Ich bin nicht bloß eine unpersönliche Stimme. Ich bin eine Simulation von Odin höchstpersönlich – ausgestattet mit all seiner Weisheit.

Wenn du so weise bist: An welche Zahl denke ich gerade?

Du denkst an gar keine Zahl. Du denkst: »Odin ist blöd.«

Ah. Wenn das so ist, bin ich auf diesen Seiten vielleicht doch lieber ehrlich. Man muss ja alles mal ausprobieren.

Meine Tragödie begann damit, dass ich eine kleine Aktion gestartet hatte, bei der die Göttin Sif, ihre langen goldenen Locken, eine Schere und ein leichtsinniges Nickerchen zusammenkamen. Ich erspare euch die Details. Sagen wir einfach, dass in Asgard wirklich niemand Sinn für Humor hat. Oder für moderne Frisuren.

Schon im nächsten Moment fand ich mich in Ketten wieder, meiner göttlichen Kräfte beraubt und in ein Verlies gesperrt, während Odin über eine angemessene Strafe nachdachte.

Schnitt zum heutigen Vormittag, als ich mit grober Gewalt aus meinem Kerker gestoßen wurde. Kaum blinzelte ich in den Sonnenschein von Asgard, drückte mir Odin auch schon dieses Buch in die Hand und beförderte mich mit einem Fußtritt aus Asgard über die Regenbogenbrücke nach Midgard oder – wie ihr es nennt – auf die Erde.

Bei meinem Sturz nahm ich dann auch meine derzeitige erbärmliche Gestalt an. Und auf der Erde landete ich zu allem Übel noch in einer matschigen Pfütze. Sekunden später landete übrigens auch Thor – und zwar direkt auf mir. Selbst als menschlicher Junge ist er nicht gerade ein Leichtgewicht. Außerdem hielt er noch seinen Lieblingshammer in der Hand, was ihn natürlich noch schwerer machte. Ich habe jetzt jedenfalls einige ziemlich dunkelblaue Flecken.

Ich rappelte mich auf und schaute mich um. Ich befand mich an einem traurigen, grauen Ort voller Sterblicher, und niemand schaute mich an. Deshalb wurde mir auch augenblicklich klar, dass sich meine Gestalt verändert haben musste. Eigentlich bin ich nämlich so schön, dass mir unweigerlich alle Blicke zufliegen.

BERICHTIGUNG: Für einen Gott siehst du höchstens durchschnittlich aus, und in Asgard starren dich nur deshalb alle an, weil sie sichergehen wollen, dass du nicht gerade wieder irgendwas ausheckst.

Habe ich schon erwähnt, wie sehr ich die Wahrheit verabscheue? Sie ist so hässlich und nackt wie diese Nacktmulle, die aussehen wie rosafarbene Schneckenbabys, die an zu vielen Steinen gekaut haben.

Als schließlich auch Heimdall und Hyrrokkin eintrafen, sahen sie mehr oder weniger aus wie immer. Abgesehen davon, dass Hyrrokkin nur halb so groß war wie sonst und Heimdall all seinen göttlichen Bombast abgelegt hatte. Beide trugen Menschenkleidung ohne jede Klasse. Statt Tierfellen und jeder Menge Goldketten und -reife hatte Hyrrokkin eine menschliche Aufmachung gewählt, die aussah, als sei sie gerade auf dem Weg zur Konferenz der Langweiler-und-Stumpfsinnigen-Vereinigung. Und dann kam sie auch noch zu Fuß. Für gewöhnlich reitet sie auf einem Wolf und benutzt Schlangen als Zügel.

Heimdalls strahlende Rüstung und seine machtvollen Waffen waren durch Trainingsanzug und Schlappen ersetzt worden. Und so bekleidet führten sie mich schließlich zu einer Bruchbude, in der wir zusammen als falsche Familie von Sterblichen leben sollten.

BERICHTIGUNG: Nach menschlichem Standard handelt es sich um ein sehr hübsches Haus mit schnellem Breitbandanschluss und Massage-Dusche.

Na egal. Wenden wir uns wieder meiner entsetzlichen neuen Lebensrealität zu. In einem der kleinen, tristen Zimmer unserer neuen Behausung setzten sich Heimdall und Hyrrokkin mit mir zusammen und erteilten mir meine Befehle.

BERICHTIGUNG: Hyrrokkin hat dir nicht mit ihrem Wolf gedroht.

Die Drohung stand aber unausgesprochen im Raum. Diese ganze Aktion ist lächerlich. Man kann nicht darauf vertrauen, dass Heimdall und Hyrrokkin Odin wahrheitsgemäß berichten, wie sehr ich mich gebessert habe. Sie hassen mich!

BERICHTIGUNG: Nur Heimdall hasst dich, Hyrrokkin hat sich noch kein abschließendes Urteil gebildet. Und sie erstatten Odin ohnehin keinen Bericht. Diese Aufgabe liegt ganz bei mir, deinem Tagebuch.

Warum fasst du dann das ganze Arrangement nicht einmal prägnant zusammen, statt mich andauernd zu unterbrechen?

Na schön.

•Du, Loki, musst deine moralische Besserung unter Beweis stellen, die in Tugend-Punkten gezählt wird. Dein Ausgangswert liegt bei – 3000. Dein Zielwert beträgt + 3000.

•Dein Punktestand, der sogenannte Tugend-Score, wird von einem Buch angerechnet (also von mir), das Odins gesamte Weisheit enthält, einschließlich wichtiger Informationen über das 21. Jahrhundert.

•Hyrrokkin und Heimdall werden dich in der Gestalt menschlicher Eltern beaufsichtigen.

•Thor, der so tut, als wäre er dein Bruder, wird dich an die Plätze im Reich der Sterblichen begleiten, an die sich Eltern nicht wagen. In die Schule zum Beispiel.

•Du darfst keinem Menschen deine wahren, göttlichen Kräfte offenbaren. Solltest du es doch tun, wirst du zu einer sofortigen und endlosen Strafe verurteilt.

•Sollte der Menschheit während deiner Zeit in Midgard eine Katastrophe zustoßen, wirst du unverzüglich bestraft.

Moment mal. Mir wird alles Apokalyptische in die Schuhe geschoben, was passiert, während ich auf der Erde bin? Auch ein Meteoriteneinschlag? Oder ein Atomkrieg? Oder eine Heuschreckenplage?

Korrekt.

ABSOLUT UNFAIR!

Im Notfall musst du lediglich die Worte »Hey, Odin!« aussprechen, worauf der Allvater augenblicklich antworten wird.

Ich bin zu grandios, um so behandelt zu werden! Ich bin Loki, der cleverste, raffinierteste Betrüger! Ich weigere mich, einen ganzen Monat lang ausschließlich öde, tugendhafte Dinge zu tun. Ich werde in dieses Tagebuch nicht mehr schreiben! Du bist nicht mein Boss!

HEY, ODIN! HÖRSTDUMICH?

Ich spiele dein Spiel nicht mit!

Ich weigere mich!

Hol mich doch!

Kurz darauf:

Wie sich rausstellt, ist Odin tatsächlich mein Boss, und ich werde meine Taten weiterhin in dieses Tagebuch eintragen – sonst … Es bereitet mir zwar Schmerzen, das hier aufzuschreiben, aber folgendermaßen ging die Sache weiter:

»Du hast deine Aufgabe abgelehnt«, sagte Odin. »Dies ist die Konsequenz daraus. Darf ich vorstellen: Spitzzahn, dein neuer schlimmster Feind.«

»Wir wollen uns doch nicht zu voreiligen Reaktionen hinreißen lassen«, sagte ich und wich vor den gifttriefenden Zähnen der Schlange zurück. »Wir können uns doch wie Erwachsene unterhalten. Oder eben wie ein Erwachsener mit einem anderen Erwachsenen, der im Körper eines Kindes steckt.«

Odin winkte ungnädig ab, als wollte er einen unartigen Hund in die Ecke schicken. »Du bist eindeutig zu faul, um dich auch nur einen Monat lang tugendhaft zu verhalten. Herzlich willkommen im Rest deiner Ewigkeit. In einer Kammer, in der der schwere Geruch von verrottetem Fisch und Urin in der Luft liegt und dir für alle Zeiten der Song, den du am wenigsten ausstehen kannst, ein Ohrwurm sein wird. Sif hat versprochen, regelmäßig vorbeizukommen und dir all deine Haare abzuschneiden, von denen dann einige in deinem Nacken hängen bleiben, wo du nie an sie herankommst, und dich schrecklich kitzeln. Und Thor wird …«

»Bitte, o Allvater, nur das nicht«, flehte ich. »Ich tue ja alles. Bitte zwing mich nicht hierzubleiben.« Ich erschauderte. Ich musste nicht hören, welche zusätzliche Folter Thors Auftauchen beinhalten würde.

Hinzu kam noch die Schlange, die sich inzwischen über meinem Kopf vor und zurück schlängelte und zischend ihr Gift versprühte.

Odin schnaufte verächtlich. »Ich glaube nicht, dass du es schaffst. Du bist schwach.«

Das traf mich ganz besonders. »Bin ich NICHT! Ich bin Loki! Ich kann ALLES schaffen!«

Odin schaute mich lange schweigend an.

Ich hielt den Atem an – und nicht nur wegen des furchtbaren Gestanks.

»Deine Herausforderung gilt noch immer. Ein Monat, um zu beweisen, dass du Asgards würdig bist. Kein Tag mehr, kein Tag weniger. Und wenn du scheiterst …« Er schüttelte den Kopf und deutete stumm auf die zischende Schlange.

Ich sage mal so: Der Hinweis kam bei mir an.

Und dann war ich, ohne ein weiteres Wort, wieder hier in meiner hässlichen kleinen Kammer, lag auf dem ungemütlichen Bett, und die Tränen trockneten auf meinen Wangen.

Es sieht nun also so aus, dass Odin dieses Tagebuch am Ende des Monats lesen und dann über mein weiteres Schicksal entscheiden wird. Darf ich nach Hause zurück, oder werde ich zu ewiger Folter verdammt?

DA-DA-DA

DAMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMM!

(Dramatische Musik.)

Das wird ein laaaaaaaaaaanger Monat.

EIN TAG GESCHAFFT -

NOCH 1.000.000.000 (gefühlt)

Tag 2

Donnerstag

LOKIS TUGEND-SCORE (LTS):

– 3050

50 Punkte abgezogen dafür, dass du aufgeben wolltest, bevor es überhaupt losging.

Was? Frechheit!

Ich schlief schlecht in meinem durchgelegenen Menschenbett. Wo sind meine Kissen aus Taubenfedern und meine mit weichen, fluffigen Wolken verknüpften Eiderdaunen? Man kann sich ja über einiges beschweren (und das tue ich oft), aber wenn es um weich gepolsterte Möbel geht, kann mit Asgard so schnell nichts mithalten.

Der Tag wurde nicht besser. Statt meines üblichen Frühstücks aus Honig, Ambrosia und gegrilltem Fleisch wurde ich gezwungen, an einem winzigen Tisch zu sitzen, dicht an dicht mit Thor – und vor mir ein trauriger Karton, auf dem die Worte OHA-Ferflocken prangten. Ich begriff schließlich, dass es sich nicht um einen Fall von mangelhafter Rechtschreibung handelte, sondern um den Versuch, witzig zu sein.

Leider muss ich sagen: Der Inhalt dieses Kartons war keine freudige Überraschung, Rechtschreibung hin oder her. Es war, als würde man mit Zucker überzogenen Kies essen. Aus irgendeinem Grund, den ich beim besten Willen nicht nachvollziehen kann, wurde dieser auch noch in Milch versenkt, bis er sich so vollgesogen hatte, dass er die Konsistenz von haarigem Nasenschnodder angenommen hatte. Anscheinend essen Menschen so etwas jeden Tag! Und das nicht mal, weil es Teil einer göttlichen Strafe ist.

Es scheint, dass ich noch viel zu lernen habe, bevor ich die Sterblichen verstehe.

Allerdings muss ich zugeben: Ich habe auch noch viel zu lernen, bis ich Thor verstehe. Es verblüfft mich, dass die Götter ausgerechnet ihn so bewundern. Ich habe ihn einmal dabei erwischt, wie er sich an der großen Tafel unserer göttlichen Gelage die Fußnägel geschnitten hat. Ich sage »erwischt«, aber das war gar nicht nötig, denn tatsächlich rief er laut aus: »Seht meine mächtigen Fußnägel! Seht, wie sie durch unsere Gelage-Halle fliegen!«

Es war also wirklich nicht viel Detektivarbeit von meiner Seite erforderlich.

Nach unserem erbärmlichen Frühstück begleitete Hyrrokkin uns zu jenem schrecklichen Ort, den die Menschen Schule nennen. Man stelle sich ein Gefängnis voll grausamer Wärter vor, in dem die Gänge nach Reinigungschemikalien und Verzweiflung riechen – dann hat man vielleicht halbwegs eine Vorstellung davon, was einen in einer Sterblichen-Schule erwartet.

Es war uns nicht erlaubt, den Weg per Wolf zurückzulegen, weil ich a) nach meinem letzten Ausflug den Wolf nicht mehr reiten darf und b) Menschen sofort vor Angst davonrennen würden und mich das schon wieder Punkte kosten würde.

Außerdem hat Hyrrokkin ihren Wolf in einen Hund verwandelt. Und welcher Gott mit einem letzten bisschen Selbstachtung würde auf einem Hund reiten? Immerhin durften wir ihn auf den Weg zur Schule mitnehmen. Hyrrokkin meinte, mit ihm würden wir leichter Freunde finden. Kam mir völlig absurd vor. Aber in der Tat: Kaum hatten wir die Schultore erreicht, versammelten sich einige Kinder um uns und wollten unbedingt den Hund streicheln.

Menschen haben wirklich ein merkwürdiges Verhältnis zu Hunden. Scheinbar ist ihnen einfach nicht klar, dass sie wie Wölfe sind, nur in erbärmlich.

Hyrrokkin hat ihrem Wolf in Hundegestalt den Namen Bello gegeben. Riesen sind ja für vieles bekannt – für ihre Kampfkünste, für Magie und raffinierten Betrug, fürs Errichten von sehr hohen Mauern und fürs Wechseln ihrer Gestalt – aber Fantasie gehört offensichtlich nicht zu ihren Top-Qualitäten.

Kaum hatte Hyrrokkin sich umgedreht und war mit dem Hund wieder abgezogen, schlossen wir uns einer Flut sterblicher Kinder an, die durch die Schultore strömten und dabei allesamt brüllten und schrien und lachten.

Wir folgten dem Pulk in einen leeren Freiluftbereich im Inneren der Schulmauern – eine Art Innenhof. Kam mir aber eher wie ein offener Stall vor, perfekt geeignet für diese animalischen Geschöpfe. Sie brüllten und kämpften und rauften sich jedenfalls wie Tiere. Für Thor zweifellos das perfekte Umfeld.

Während wir dieses Gehege durchschritten, von dem ich später erfuhr, dass man es Pausenhof nennt, hielten viele inne, um uns anzuschauen. Oder sagen wir: um Thor anzuschauen.

Es schmerzt mich, zugeben zu müssen, dass sich alle Köpfe nach ihm umdrehten. Mädchen kicherten, als er an ihnen vorbeiging. Die Jungs nahmen Haltung an. (Auch von ihnen kicherten einige.) Nur eine einzige Person warf ihm keinen Blick voll strahlender Begeisterung zu: ein großes, kräftig gebautes Mädchen mit geflochtenen blonden Zöpfen und schlecht gelaunter Miene. Sie schaute uns beide missmutig an, als wir an ihr vorbeigingen. Ich weiß nicht, ob wir sie mit irgendetwas verärgert hatten oder ob es an ihrem Gesicht lag und sie einfach immer so aussah.

Mir kam dieser Blick bekannt vor. Auf dem Gesicht der Göttin Sif hatte ich ganz genau denselben Ausdruck gesehen, nachdem ich ihr die Haare abgeschnitten hatte. Ehrlich gesagt werfen mir alle Götter genau diesen Blick mindestens einmal im Monat zu, meistens, nachdem ich etwas ausgesprochen Geistreiches und Amüsantes angestellt habe. Ich weiß nicht, warum dieses Mädchen mich so anschaute. Ich hatte ihr nichts getan, außer dass ich an ihr vorbeigegangen und absolut grandios gewesen war. Es sei denn, sie war eifersüchtig auf meine Grandiosität. Vermutlich war das der Grund.

BERICHTIGUNG: Das war nicht der Grund.

Am Eingang des Schulgebäudes wurden wir von einer Frau in Empfang genommen, die um ihren Hals eine Schnur trug, an der ein Foto hing, das genau dieselbe Frau zeigte. (Sinnlos.) Unter dem Bild stand ihr Name. (Wen interessiert’s?) Ich fand heraus, dass sie das war, was Sterbliche eine Lehrerin nennen: ein erwachsener Mensch, der Kinder tagsüber einsperrt und ihnen irgendwelche Fakten entgegenbrüllt. Wie wahre Schurken setzen Lehrer die Kinder jeden Nachmittag auf freien Fuß, um sie die Freuden der Welt genießen zu lassen. So wirkt ihre neuerliche Einkerkerung am nächsten Morgen wie eine besonders grausame Folter.

»Du musst Liam sein. Und du Thomas?«, sagte die Folterin. Offenbar hatte Odin uns falsche Namen gegeben, damit wir uns unauffälliger unter die Sterblichen mischen konnten.

Loki: Ja, wir sind Brüder. Ich bin der clevere von uns beiden. Und der hübschere.

Thor stieß ein dümmliches Knurren aus, was meinen überlegenen Intellekt dankenswerterweise sofort bestätigte.

»Ähm … Okay. Ich bin Mrs Williams«, sagte die Lehrerin. »Ich möchte euch der Klasse vorstellen.«

Unsere »Klasse« entpuppte sich als Gruppe von Kindern, die alle in einem Raum gefangen waren und elendig und unglücklich aussahen. Gemeinsam mit diesen armen Seelen wurde uns eine Reihe von Aufgaben gestellt. Die Prüfungen, die Götter bestehen müssen, beinhalten meist bewaffnete Kämpfe oder das Aufspüren eines magischen Gegenstandes oder das Verzehren eines unendlichen Festmahls. Ist man ein sterbliches Kind, beinhalten die Prüfungen hauptsächlich die Beherrschung von Stift und Papier.

Die erste unserer morgendlichen Herausforderungen lautete beispielsweise, dass wir einfache Wörter auflisten sollten, um zu zeigen, dass wir die richtigen Runen dafür benutzten – oder Buchstaben, wie die Sterblichen sie heutzutage nennen.