Lore-Roman 218 - Yvonne Uhl - E-Book

Lore-Roman 218 E-Book

Yvonne Uhl

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Beschreibung

Seit Generationen thront Schloss Bernsdorf auf der Anhöhe - Sinnbild einer alten Familie, deren Glanz zu verblassen droht. Fred Graf Bernsdorf steht am Scheideweg: Der Besitz droht verloren zu gehen. Nur ein letztes Hoffnungsschimmer bleibt - seine entfremdete Schwester Adelinde, die seit Jahrzehnten keinen Fuß mehr in das Schloss setzte. Doch der Griff nach der Vergangenheit bringt Überraschendes zutage. Statt Adelinde betreten deren Töchter, die lebensfrohe Ada und die kluge Linda, das altehrwürdige Anwesen. Zwischen dem Grafen und den beiden jungen Frauen beginnt ein zaghaftes Annähern, während dunkle Machenschaften das Schloss umgeben. Bauunternehmer, politische Intrigen und persönliche Verletzungen bringen Fred an seine Grenzen. Und dann kehrt Irene Freyberg, seine einstige große Liebe, zurück. Erinnerungen werden wach, alte Gefühle flammen auf - und Fred muss entscheiden: Geht er unter im Stolz vergangener Tage oder findet er einen neuen Anfang, vielleicht sogar mit seiner Irene?

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Seitenzahl: 148

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

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Nach langen einsamen Jahren...

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Impressum

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsbeginn

Impressum

Nach langen einsamen Jahren...

...begegnete der Graf seiner unvergessenen Liebe

Von Yvonne Uhl

Seit Generationen thront Schloss Bernsdorf auf der Anhöhe – Sinnbild einer alten Familie, deren Glanz zu verblassen droht. Fred Graf Bernsdorf steht am Scheideweg: Der Besitz droht verloren zu gehen. Nur ein letzter Hoffnungsschimmer bleibt – seine entfremdete Schwester Adelinde, die seit Jahrzehnten keinen Fuß mehr in das Schloss setzte. Doch der Griff nach der Vergangenheit bringt Überraschendes zutage. Statt Adelinde betreten deren Töchter, die lebensfrohe Ada und die kluge Linda, das altehrwürdige Anwesen. Zwischen dem Grafen und den beiden jungen Frauen beginnt ein zaghaftes Annähern, während dunkle Machenschaften das Schloss umgeben. Bauunternehmer, politische Intrigen und persönliche Verletzungen bringen Fred an seine Grenzen. Und dann kehrt Irene Freyberg, seine einstige große Liebe, zurück. Erinnerungen werden wach, alte Gefühle flammen auf – und Fred muss entscheiden: Geht er unter im Stolz vergangener Tage oder findet er einen neuen Anfang, vielleicht sogar mit seiner Irene?

Mirabell Gräfin Bernsdorf blickte ihrem Sohn fest in die Augen.

»Was sollen wir also tun, Fred?«

»Was weiß ich ...«, murmelte der Graf. »Ich bin am Ende mit meinem Latein. Wenn wir zum kommenden Gerichtstermin die Besitzurkunden nicht vorweisen können, werden wir enteignet. Und was das heißt, Mama, ist dir ja hoffentlich klar.«

Die Gräfin presste ihre Fingerspitzen an die Schläfen. Sie schloss die Augen.

»Ich sehe die Urkunden noch vor mir ... dein Vater zeigte sie mir. Dieses Land, auf dem Schloss Bernsdorf steht, hat immer deinen Vorfahren gehört.«

»Aber wir können es nicht beweisen. Und nach dem Brand im Katasteramt sind alle Grundbucheintragungen vernichtet.«

»Aber es muss noch eine Chance für uns geben«, brauste die Gräfin auf.

Sie war fast siebzig, aber noch immer eine schöne, stolze Frau, wenn auch die Jahre tiefe Falten in ihr Gesicht gegraben hatten. Ihr gepflegtes Äußeres ließ sie jünger erscheinen. Auch hatte sie sich eine gute Figur bewahrt.

»Mama, so sieh doch ein, dass wir verspielt haben. Die Freybergs werden uns von unserem Grund und Boden verjagen, ohne dass wir es verhindern können.«

»Soll ich wirklich alles allein machen?«, fuhr die Gräfin ihren Sohn an. »Wo ist deine männliche Initiative? Wo dein Kampfgeist? Bist du wirklich ein Bernsdorf? Deine Ahnen waren tapfer und gerissen. Die hätten sich nie ihren Besitz stehlen lassen.«

Fred Graf Bernsdorf seufzte.

»Weißt du vielleicht noch eine Möglichkeit, wie wir einen Beweis dafür finden können, dass uns der Grund und Boden gehört?«, fragte er bitter.

»Gewiss. Es gibt noch eine winzige Chance für uns, Fred.« Die Gräfin machte eine Pause. »Du weißt, dass dein Vater und deine Schwester Adelinde ein Herz und eine Seele waren. Möglicherweise hat er sie eingeweiht, wo er die Besitzurkunden versteckt hat.«

Der Graf sah seine Mutter entgeistert an. »Adelinde?«, wiederholte er.

»Ja. Ich weiß, dass wir ihren Namen hier im Schloss nicht mehr erwähnen wollten. Und doch ist Adelinde unsere einzige Hoffnung.«

»Weißt du überhaupt ihre Adresse?«

»Wir könnten an die alte Adresse in München schreiben.«

»Du kennst eine Adresse von ihr?« Der Graf war fassungslos. »Mama, ich dachte, jeglicher Kontakt zwischen euch und Adelinde wäre abgebrochen worden, als sie damals das Schloss verließ. Wie lange ist das jetzt her?«

»Ich glaube, dass sie mit ihrem Mann bald silberne Hochzeit feiern müsste«, sprach die Gräfin mit spröder Stimme. »Vorausgesetzt, dass sie es so lange bei ihm ausgehalten hat.«

»Wie alt ist Adelinde jetzt?«

Stumm zählte die Gräfin die Jahre nach. »Sie müsste vierundvierzig Jahre alt sein.«

»Aber Mama, weißt du das nicht genauer?«

»Du bist achtundvierzig, oder? Und sie ist vier Jahre jünger als du. Setz dich an die Schreibmaschine und schreib ihr.«

»Ich?«

»Soll ich ihr vielleicht schreiben?«, fuhr ihn die Gräfin an.

»Und was soll ich ihr schreiben?« Der Graf beobachtete seine Mutter nachdenklich. Sie hatte das Thema Adelinde also immer noch nicht überwunden.

»Schreib ihr, dass du dich irgendwo mit ihr treffen willst. Und wenn du nach München fahren müsstest. Schreib ihr meinetwegen, sie könnte auch hierherkommen. Schreib ihr auch unsere Telefonnummer, vielleicht ruft sie uns an.«

Fred Graf Bernsdorf schüttelte den Kopf.

»Wie kannst du so ruhig mit mir über Adelinde sprechen?«

»Warum? Junge, ich habe schon lange meinen Frieden mit ihr gemacht. In Gedanken, meine ich. Ich würde sie gern noch einmal sehen, ehe ich sterbe.«

»Mama! Du bist noch viel zu jung, um vom Sterben zu reden.«

»Zu jung? Mit neunundsechzig Jahren? Das glaubst du wohl selbst nicht. Aber wenn ich die Augen schließe, möchte ich gern sicher sein, dass den Bernsdorfs ihr Besitz nicht weggenommen wird.« Grübelnd blickte sie vor sich hin. »Es ist so gespenstisch. Ich weiß genau, dass die Besitzurkunden – es handelt sich um einen dicken Dokumentenordner – hier irgendwo im Schloss sein müssen. Dein armer Vater war ja kurz vor seinem Tode geistig umnachtet. Er wusste nicht mehr, was er tat. Er erlitt – wie du weißt – einen Schlaganfall, als Adelinde fortging. Vielleicht hätte er noch weitergelebt, wenn er sie nicht so vermisst hätte. Aber lassen wir das jetzt. Adelinde war in diesen Jaspar Oynitz so vergafft, dass sie uns völlig vergaß. Aber sie könnte wissen, wo Papa damals die Urkunden versteckt hat. Du weißt doch, er bildete sich zeitweise ein, Diebe wollten uns das Schloss streitig machen, schon, als er geistig noch ganz gesund war.«

»Als ob er es vorausgeahnt hätte«, murmelte der Graf. »Gut, Mama, was soll ich Adelinde also schreiben? Ich werde ihr mit der Hand schreiben. Maschinengeschriebene Briefe wirken so unpersönlich. Und immerhin ist Adelinde ja meine Schwester.«

»Aber du hast sie offenbar nie vermisst.«

»Wir waren sehr oft getrennt, Mama. Ich war im Internat in England, während sie in der Schweiz erzogen wurde. Wir hatten nicht viel Gemeinsames.«

»Aber Blut ist nun einmal dicker als Wasser. Ich bin sehr betrübt darüber, dass Adelinde in diesen fünfundzwanzig Jahren nie versucht hat, sich bei uns zu melden. Schade! Ich habe so oft darauf gewartet und ein Lebenszeichen von ihr herbeigesehnt. Aber das hat sie nie getan. Es ist beinahe, als ob sich ein Tor hinter ihr schloss, als sie ihr Vaterhaus verließ.« Die Gräfin hielt inne. Sie starrte an ihrem Sohn vorüber. »Auch wenn sie immer die Tochter deines Vaters war, Fred, so bin ich doch ihre Mutter. Und ich habe nie aufgehört, sie zu lieben. Doch sie müsste den Anfang machen, unseren Streit zu begraben, nicht wir.«

»Ob sie Kinder hat?«

»Das hätte sie uns doch mitgeteilt, oder nicht?«

»Vielleicht auch nicht, Mama.«

»Aber diese Kinder wären auch die Kinder von Jaspar Oynitz. Nein, ich glaube nicht, dass ich sie liebgewinnen könnte. Schreib ihr also, wir müssten unbedingt mit ihr in Verbindung treten, es sei lebenswichtig.«

»Gut. Ich gehe gleich hinüber und schreibe ihr. Frau Adelinde Oynitz heißt sie, nicht wahr? Wie fremd das klingt. Und das soll meine Schwester sein?«

»Ich ahne nicht einmal, ob es ihr finanziell gut geht. Jaspar Oynitz war damals, als sie ihn heiratete, ein kleiner Lehrer in einer Grundschule. Deshalb war Papa ja auch so böse, dass Adelinde ihn heiraten wollte.«

»Ich sehe ja ein, Mama, dass ihr nicht viel Glück mit euren beiden Kindern hattet. Ich bin Junggeselle geblieben, und Adelinde ist euch davongelaufen, als ihr mit der Wahl ihres Gatten nicht einverstanden ward.«

»Ja, wir Eltern haben manchmal eine schwere Last zu tragen«, erwiderte Mirabell Gräfin Bernsdorf. »Aber ich habe nie den Optimismus verloren. Natürlich habe ich die Idee längst aufgegeben, dass du noch einmal heiraten wirst. Doch da gibt es immer noch Götz, deinen Neffen, der als Erbe des Bernsdorf-Vermögens infrage kommt.«

»Vorausgesetzt, uns bleibt überhaupt noch etwas«, seufzte der Graf. »Wenn man uns nämlich hier vom Schloss weist und die Stadt es als Sanatorium umbaut, müssen wir uns für unsere Ersparnisse eine neue Bleibe kaufen.«

»Aber so schlimm kann das doch nicht sein.«

»Mama, du bist das Leben hier im Schloss gewöhnt, du hattest niemals Geldsorgen«, beschwor Fred Graf Bernsdorf seine Mutter, »in einer Stadtwohnung könntest du gar nicht richtig atmen. Und wenn wir uns einen ähnlich großzügigen Besitz kaufen wie diesen hier, müssen wir mindestens eine Million auf den Tisch legen.«

»Du tust gerade so, als hätten wir nur diese eine Million.«

»Nein, aber wir müssen auch weiterdenken. Du würdest dich wundern, Mama, wenn du nicht mehr ausreiten könntest, wenn man dir einen weitläufigen Park verwehrte, in dem du gern spazieren zu gehen pflegst, wenn du dich einschränken müsstest.«

»Nun male den Teufel nicht an die Wand. Schreibe an Adelinde. Ich bin sicher, dass sie uns einen Tipp geben kann, wo euer Vater die Urkunden versteckt haben könnte.«

***

Marius Freyberg rollte die Pläne zusammen und lachte.

»Das Bauamt wird mit uns zufrieden sein, Jens.«

Jens paffte an seiner Pfeife. »Wenn nur endlich die Besitzverhältnisse geklärt wären. Ich kann es kaum erwarten, das Schloss der Bernsdorfs umzubauen.«

»Langsam, langsam«, schmunzelte der Bauunternehmer. »Immer langsam mit den jungen Pferden, mein Junge. Immer will die Jugend mit dem Kopf durch die Wand, es ist wirklich zum Auswachsen.«

Jens fuhr sich mit der gespreizten Hand durch das Haar.

»Und wie stehen unsere Chancen?«

»Tatsache ist, dass die Familie Bernsdorf die größten Schwierigkeiten hat, zu beweisen, dass der Schlossbesitz ihnen gehört. Natürlich können sie auf das Gewohnheitsrecht pochen. Es handelt sich hier um ungeschriebene Rechtssätze, die ,auf ständiger gleichförmiger Übung und auf der Rechtsüberzeugung der Beteiligten beruhen', wie es so schön heißt. Aber ich sehe wirklich nicht ein, warum die beiden Bernsdorfs sich so konstant weigern, das Schloss für den Sanatoriumsbau zur Verfügung zu stellen.«

»Das ist auch meine Meinung. Der Schlossbesitz ist großartig dazu geeignet, das Sanatorium zu errichten. Und dieses riesige Schloss mit seinen sechsundvierzig Räumen steht praktisch leer, wenn man von den paar Zimmern absieht, die die alte Gräfin mit ihrem Sohn bewohnt. Außerdem haben wir den Verein für Denkmalspflege hinter uns. Die Bernsdorfs tun trotz ihres Reichtums viel zu wenig für die Erhaltung ihrer Gebäude. Der Schlossturm westlich vom Park jedenfalls muss, wenn nicht bald etwas passiert, abgerissen werden, weil er vom Einsturz bedroht ist.«

Marius Freyberg lächelte.

»Du bist genauso clever und tüchtig wie deine Tante Irene.«

»Das macht mich stolz, Papa. Sie ist nun einmal meine Lieblingstante, und wie sie dort drüben in Belgien die Zweigstelle unseres Unternehmens auf die Beine gestellt hat, ist bewunderungswürdig. Es ist wirklich ein Wunder, dass sie nie geheiratet hat.«

»Nie ist gut«, scherzte der Bauunternehmer. »Irene ist einundvierzig Jahre alt, und es ist durchaus drin, dass sie noch in den Stand der Ehe tritt.«

»Wahrscheinlich ist sie den meisten Männern zu klug und clever«, seufzte Jens. »Ich jedenfalls wäre froh, wenn ich einmal ein Mädel fände, das auch nur annähernd so intelligent ist wie Tante Irene.«

Marius Freyberg schwieg. Er erzählte Jens besser nicht, dass Irene, seine Schwester, einmal eine kleine Affäre mit Fred Graf Bernsdorf hatte. Das war allerdings schon beinahe achtzehn Jahre her, soweit er sich erinnern konnte. Als die Geschichte auseinanderging, hatte Irene in Belgien zu wirken angefangen. Und der beispiellose Erfolg, dort ein Zweigunternehmen seiner Firma auf die Beine zu stellen, hatte ihr recht gegeben. Irene Freyberg war eine unglaublich tüchtige Dame, die sich nie ein X für ein U vormachen ließ.

»Tante Irene kennt doch das Schloss?«, erkundigte sich Jens Freyberg. »Sie ist doch hier aufgewachsen, nicht wahr?«

»Natürlich«, bestätigte Marius Freyberg. »Sie ist ins Mädchenlyzeum gegangen, das dem Knabengymnasium direkt gegenüberliegt, und du kannst dir denken, dass es damals schon genauso war wie heute und wie zu deiner Zeit. Es gab viele zarte Bande zwischen beiden Lehranstalten, und in den Pausen flogen geheime Botschaften über die hohe Mauer, die auch manchmal von den Lehrkräften aufgefangen wurden.«

Jens grinste. »Ich kann mir meine heiß bewunderte, energische Tante Irene als Teenager wirklich nicht vorstellen. Wann erwartest du sie?«

Der Bauunternehmer zuckte die Schultern.

»Ich habe wirklich nicht die geringste Ahnung. Sie ist mit dem Wagen von Belgien unterwegs, und man weiß nie, wo sie hängenbleibt. Aber ich bin sicher, dass sie pünktlich zu meinem fünfzigsten Geburtstag hier eintrudelt.«

»Wir zeigen ihr die Pläne vom Schlossumbau, ja? Ich bin auf ihre fachmännische Meinung gespannt.«

»Ich auch. Aber jetzt komm, Mutti wartet mit dem Essen auf uns.«

Marius Freyberg erhob sich. Jens legte die Pfeife in den Aschenbecher und sprang auf.

Direkt dem großen Atelierfenster gegenüber sahen sie Schloss Bernsdorf auf der Anhöhe jenseits der Autobahn thronen. Ein herrlicher Anblick! Das Schloss bot sich geradezu an, ein Sanatorium zu werden. Es lag verkehrsmäßig sehr günstig, war aber weit genug von der Autobahn entfernt, um von ihr gehört zu werden. Ein Jammer, wenn so ein großes Haus brachliegt, nur weil eine adelige Familie zu dünkelhaft und stolz ist, einzusehen, dass sie auch etwas für die Allgemeinheit tun muss, dachte Jens.

***

»Jessas, jetzt laust mich aber der mit dem Zottelpelz«, brummte der Briefträger und kratzte sich hinterm Ohr. Er drückte seinen Daumen auf die Klingel und wartete.

Kurz darauf öffnete sich die Tür.

»Hallo, Herr Postrat!«, begrüßte ihn eine fröhliche Stimme, und zwei braune Mädchenaugen blickten ihn übermütig an.

Der Briefträger räusperte sich.

»Hören S' zu, Fräulein ...«, sagte er gedehnt, »ich hätt' da einen Einschreibbrief für ...« Er stockte, machte ein strenges Gesicht und musterte die junge Dame. »Wer von euch beiden ist denn nun die Adelinde Oynitz?«

»Adelinde Oynitz?«, wiederholte das Mädchen. Dann steckte sie zwei Finger in den Mund, drehte sich um und pfiff gellend.

»Komm mal her«, schrie sie.

Der Briefträger lachte leise. »Wie ein Bub«, sagte er. »Und lange Hosen trägt sie auch!«

Neben das junge Mädchen stellte sich jetzt eine bildschöne, junge Dame.

»Was gibt es?«, fragte sie höflich.

Das Mädchen stieß sie in die Seite. »Er hat einen Einschreibebrief für Adelinde Oynitz.«

Die Ältere nahm dem Briefträger das Kuvert aus der Hand und sah darauf nieder.

»Die Adresse stimmt«, sagte sie. »Merkwürdig.« Sie drehte den Umschlag um. Dort las sie in verschnörkelten Druckbuchstaben »Schloss Bernsdorf« und stutzte.

»Komisch«, sagte sie und blickte auf. »Hören Sie zu, Adelinde Oynitz ist unsere Mutter. Sie tragen in diesem Postbezirk noch nicht lange Briefe aus, sonst müssten Sie wissen, dass wir schon seit Jahren in dieser Wohnung in der Adalbertstraße wohnen. Sie wüssten dann auch, dass unsere Mutter vor mehr als drei Jahren starb.«

»Dann muss der Brief wieder zurückgehen«, sagte der Briefträger.

Die Jüngere aber protestierte.

»Nein, warum? Sie können uns den Brief geben.«

»Geht nicht«, sagte der Briefträger lakonisch. »Ist gegen die Vorschrift.«

»Aber es gibt in dieser Wohnung jemand, der sich ,Adelinde Oynitz' nennen kann.«

»So?« Der Briefträger wurde misstrauisch. »Wen?«

»Uns«, sagte die Ältere. Sie deutete auf das Mädchen an ihrer Seite. »Das ist Ada«, sagte sie, »und ich bin Linda. Wir können also den Empfangszettel beide unterschreiben, und es ist völlig legal.«

»Ada? Linda?«, fragte der Briefträger. Er dachte angestrengt nach.

»Ja. Unsere Namen bilden den Doppelnamen unserer Mutter.«

»Ja, dann ...«, der Mann seufzte und schob der Jüngeren den Einschreibezettel hin, »hier, unterschreiben Sie mit Ihrem Vornamen, Fräulein Oynitz.«

Das Mädchen in den saloppen, langen Hosen nickte. Sie unterschrieb mit »Ada«.

Der Briefträger nahm ihr den Kugelschreiber weg und reichte ihn der anderen. »Unterschreiben jetzt Sie, Fräulein Oynitz.«

»Wie?«

»Mit Ihrem vollen Namen: Linda Oynitz.«

Erst jetzt durften sie den Einschreibebrief in Empfang nehmen.

»Vielen Dank, Herr Postrat«, sagte Ada spitzbübisch. »Sonst haben Sie nichts für uns? Bloß diesen Brief?«

»Nein. Leider. Vielleicht morgen.« Er tippte an den Mützenschirm und ging zur Treppe.

Linda schob mit dem Schuh die Tür zu.

»Und was ist das nun für ein Brief, Linda?«, wollte Ada wissen.

»Du errätst es nicht.«

Ada gähnte. »Ich bin auch noch viel zu müde, um Rätsel zu raten. Nun sag schon. Vom Gerichtsvollzieher?«

»Unsinn, Ada. Dieser Brief ist von adeligen Leuten.« Linda strich sich über das kurze blonde Haar. »Ulkig, was? Ahnst du, von wem?«

»Nun sag schon«, rief Ada.

Sie war dunkelblond, hatte langes, seidiges, glatt gebürstetes Haar und große braune Augen.

»Der Brief kommt von Schloss Bernsdorf.«

»Ah ...« In Adas hübschem Gesicht zuckte es. Dann schlug sie sich gegen die Stirn. »Mamas Verwandte leben doch dort.«

»Genau.«

»Mach auf«, verlangte Ada.

Linda wog den Brief in der Hand.

»Weißt du, was es bedeutet, dass die uns schreiben? Sie wissen nicht, dass Mama tot ist.«

Ada warf sich mit Vehemenz in einen der tiefen Sessel im Wohnzimmer.

»Au verflixt. Hast du es ihnen nicht mitgeteilt?«

»Ich? Nein. Ich kannte ja keine Adresse. Ja, ich wusste nicht einmal, dass es ein Schloss Bernsdorf gibt. Du weißt ja, dass Mama nie gern über ihre Verwandten sprach.«

»Mach endlich den Brief auf, ich platze vor Neugierde«, murmelte Ada, lehnte sich zurück und schloss die Augen.

Sie hörte, wie Linda das Kuvert aufriss.

»Ein handgeschriebener Brief. Ein gewisser Alfred Graf Bernsdorf hat unterschrieben.«

»Lies vor, was er will«, sagte Ada.

Linda räusperte sich.

Liebe Schwester Adelinde. Lange Zeit haben wir voneinander nichts gehört. Ich finde, dass wir endlich wieder einmal in Verbindung treten sollten. Wir wissen nicht, wo Du lebst, ob Du zufrieden bist, wie es Dir geht. Hoffentlich erreicht Dich dieser Brief überhaupt, denn wir haben nur die alte Adresse in der Münchener Adalbertstraße. Mama und ich leben allein im Schloss. Papa starb gleich nach Deinem Wegzug damals vor fünfundzwanzig Jahren. Seitdem bin ich mit Mama allein. Ich bin Junggeselle geblieben. Es geht uns gesundheitlich gut. Auch Mama, die ja fast siebzig ist, hat sich eine rüstige Gesundheit bewahrt. Doch hat sie es nie ganz verwunden, dass Du nichts mehr von Dir hast hören lassen. Bitte, komm zu uns. Oder antworte auf diesen Brief. Vielleicht rufst Du uns auch im Schloss an? Die Nummer steht oben auf dem Briefkopf. Wir haben auch einige wichtige Dinge mit Dir zu besprechen, weshalb wir Dich unbedingt sehen müssen.