Loretta und der Tote vom Wieter - Rolf Peter Dix - E-Book

Loretta und der Tote vom Wieter E-Book

Rolf Peter Dix

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Beschreibung

Vier neue Fälle erfordern Lorettas Scharfsinn und führen sie nach Northeim, Oldenrode und Echte.

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Seitenzahl: 260

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Danksagung

Dank allen, die mir bei diesem Buch geholfen haben. Hervorheben möchte ich meinen Sohn Heiko der dem Ganzen den letzten „Schliff“ gegeben hat.

Und natürlich meiner lieben Schwägerin Ute Möller, die, wie gehabt, ein waches Auge auf meine etwas unterentwickelte Interpunktion hatte, und mir auch bei einigen Formulierungen hilfreich unter die Arme griff.

Alle Personen und Namen der nachfolgenden Geschichten sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit Personen und deren Namen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Na ja, einige Namen und Örtlichkeiten stimmen doch mit der Wirklichkeit überein, aber das bleibt nicht aus, wenn man mit regionalem Bezug schreibt.

Inhaltsverzeichnis

Loretta und der Tote vom Wieter

Loretta und der Clown

Loretta nimmt ab

Loretta und die Sterbekasse

Loretta und der Tote vom Wieter

Ende November. Der Wind pfiff um den das Städtchen Northeim überragenden Wieter. Leichter Schneegriesel hatte eingesetzt. Im Vergleich zu den vergangenen Jahren ein früher Wintereinbruch. Vorsichtig bewegte sich ein Lieferwagen die schmale Zufahrtstraße den Berg hinauf. Besondere Obacht galt den engen Kehren. Einmal von dem Teerband des Weges abgekommen - und das Fahrzeug würde unaufhaltsam den steilen Abhang abwärts rasen. Zum Stehen kommen könnte es nur, wenn einer der mächtigen Buchenstämme die Talfahrt abrupt beendete. Verbunden mit Schaden für Mensch und Maschine.

Harm Frerksen, selbständiger Tischlermeister, einziger Beschäftigter in seiner Firma, sah man einmal von seiner Frau ab, die den Papierkram erledigte, war nicht begeistert von dem zu erwartenden Auftrag. Aber wenn es um die Stadt Northeim ging, nahm er jede noch so kleine Arbeit an. Konnte ja sein, dass er durch seine Bereitwilligkeit, diese Tätigkeiten zu übernehmen, auch einmal einen größeren Brocken an Land würde ziehen können.

Fluchend kurbelte der massige Mann am Lenkrad. Berge, wer brauchte die schon. In Leer, seiner Geburtsstadt, gab es so was nicht. Da konnte der Blick ungehindert in der freien Landschaft schweifen.

Eine Böe erfasste den Kastenwagen, drückte ihn an den bergwärts gerichteten Hang. Die rechten Räder gerieten in den weichen Grund neben der Straße, fanden keinen Halt mehr und drehten durch. Da die noch auf dem Asphalt befindlichen Reifen weiterhin für Vortrieb sorgten geriet das Fahrzeug ins Schlingern. Mit einer Reaktion, die Sebastian Vettel Ehre gemacht hätte, zog Harm Frerksen den Wagen wieder in die Spur.

Nur noch wenige Serpentinen, dann war er oben. Auf dem Parkplatz der um diese Jahreszeit geschlossenen Gaststätte stellte er seinen Wagen ab. Sein Einsatzort war der Wieterturm. Dieser Turm wurde in den neunziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts als Aussichtspunkt auf den Überresten eines im Mittelalter errichteten Wartturmes erbaut. Die Basis bildete ein eingeschossiger aus großen Sandsteinblöcken ausgeführter Unterbau, dem eine mit Schieferplatten verkleidete Holzkonstruktion bis in die Höhe von 19 Metern aufgesetzt war.

Die Tür zum Aufgang war mit einem Vorhängeschloss gesichert. In früheren Jahren war der Turm jederzeit frei zugänglich gewesen. Da dieser aber in letzter Zeit immer wieder zu feuchtfröhlichen Feten, verbunden mit Vandalismus und totaler Verschmutzung des Gebäudes, missbraucht wurde, hatte die Stadt beschlossen, den Zugang nunmehr nur noch kontrolliert zu gestatten. Während der Öffnungszeiten der Gaststätte konnte man sich den Schlüssel zu besagtem Vorhängeschloss vom Personal des Lokals aushändigen lassen und somit den Turm besteigen.

Und in eben diesem Turm sollte Harm Frerksen einige verrottete Treppenstufen erneuern. Mit klammen Fingern holte er den Schlüssel aus seiner Jackentasche, versuchte ihn im Schloss zu drehen. Vergebens. Der Schlüssel drehte nicht. Eingerostet oder eingefroren konnte das Schloss durchaus sein. Aber das sollte ihn nicht daran hindern, seinen Auftrag auszuführen. Der Handwerker besah sich in dem schwindenden Licht des Novembernachmittags die Befestigung der Schließanlage. Einfache Sache. Acht Schrauben hielten die Konstruktion. Mit seinem Akkuschrauber machte sich der Tischler an die Arbeit. Im Nu war die Tür offen. Im Aufgang empfing den Mann die Finsternis eines fensterlosen Raumes. Er würde bei der Arbeit Licht benötigen. Jetzt musste aber erst einmal die mitgeführte Taschenlampe ausreichen.

Stufe für Stufe überprüfte er die Treppe. Markierte die zu erneuernden Teile. Nach einer Weile erreichte er den ersten Absatz des Aufbaues. Hier roch es komisch. Ein süßlicher Duft hing im Raum. „Lange nicht gelüftet“, dachte der Handwerker und machte sich an den Aufstieg zum Obergeschoss. In Gedanken schon bei dem wunderschönen Blick über die Stadt Northeim und das dahinter liegende Leinetal. Bis nach Salzderhelden und zum Solling konnte man bei klarem Wetter von dieser Warte sehen, in 326 Metern Höhe, gut 220 Meter oberhalb der Stadt. Nach Nordwesten war eine Sichtschneise in den Buchenholzbestand geschlagen worden. Anders der Ausblick Richtung Harz und Eichsfeld. Hier versperrten die im neunzehnten Jahrhundert gepflanzten Buchen den freien Blick ins Land.

Während der Tischler sich mit klammen Fingern Notizen für das der Stadt zu erstellende Angebot über die Kosten der Reparatur machte, hatte Wispütz ganz andere Sorgen. Dr. Arnold Wifelspütz, seines Zeichens Kriminaloberrat an der Polizeiinspektion Northeim, war stinksauer. Seine schon vor sechs Monaten so gut wie bewilligte Versetzung nach Hannover hatte sich erledigt. Die gerade durchgeführten Landtagswahlen hatten einen Wechsel in der Führung der Landesregierung zur Folge gehabt, und nun versorgten die Herrschaften der ehemaligen Opposition ihre Schäfchen mit Posten und Pöstchen. Und er war leider dabei, wie man so schön sagt, durch das Sieb gefallen. Nichts war es mit einem ruhigen Bürostuhl in der Verwaltung in Hannover und mit der damit verbundenen Möglichkeit, weitere Stufen der Beförderungsleiter zu erklimmen.

Gedankenverloren kraulte er Hund hinter den Ohren, ungeachtet dessen struppiger, borstiger Haare. Das Tier war ein rechter Trost für ihn. So ruhig und verständnisvoll. Und es teilte mit ihm die Liebe zur Musik des Übervaters Wagner.

Aber nicht nur die nicht zustande gekommene Versetzung bereitete Wispütz Kummer. Ein Mitglied seines Golfclubs war seit einigen Tagen verschwunden. Gero von Stetten, seines Zeichens Leiter des Bauhofes der Stadt Northeim. Der zweite Vermisstenfall in einem halben Jahr. Frau Bertolucci ermittelte bereits, konnte aber bislang keine Ergebnisse vorweisen. Ach ja, die Frau Bertolucci. Der würde er wohl in absehbarer Zeit die betrübliche Mitteilung machen müssen, dass es mit seiner Versetzung, und folglich auch mit ihrem Aufstieg in Northeim, nicht klappen würde.

Hauptkommissarin Loretta Bertolucci und Kommissar Gunther Blum saßen bei Kaffee und von Maximilie Wanders, kurz Maxi genannt, gestiftetem Kuchen in Lorettas Büro. Die Ermittlungen im Zusammenhang mit dem vermissten Bauhofleiter hatten keinerlei Erkenntnisse ergeben. Ganz schön frustrierend. Der Mann schien allseits beliebt zu sein. Hatte ein harmonisches Familienleben. Die Kinder waren bereits aus dem Haus und studierten in Bonn und Berlin. Seine Frau war eine, wie Gunni sagte, Kümmererin. Sie kümmerte sich um alles und jeden. Hatte immer ein tröstendes Wort auf den Lippen und half, wo es nur ging. Zusammen waren die von Stettens im Golfclub in Nörten- Hardenberg. Gute Bekannte des Grafen, dem der Golfplatz gehörte. Sozial engagierte sich Verena von Stetten in einigen Hilfseinrichtungen der Stadt Northeim. Im Bauhof selbst und in der Stadtverwaltung wurde dessen Leiter ob seiner Effektivität nur mit lobenden Äußerungen bedacht. Von Feinden oder Unstimmigkeiten mit Zulieferern oder externen Handwerkern keine Spur. Die reinsten Lichtgestalten die beiden. Und das bereitete Loretta Unbehagen. Denn: „Wo viel Licht, da auch viel Schatten“, um dieses alte Sprichwort einmal zu zitieren. Nur vom Schatten hatten sie bis jetzt nicht den leisesten Hauch entdecken können. So denn Schatten überhaupt zu hauchen in der Lage sind.

Es ging auf Feierabend zu. Die Finsternis senkte sich über die Stadt. Die dunkle Jahreszeit hatte ihre Regentschaft angetreten. Dunkelheit und Kälte würden die Zeit bis zum März des kommenden Jahres prägen. Loretta ging zum Büro ihres Chefs, um ihren Hund zu holen.

Harm Frerksen hatte sich bis zu den letzten Stufen der Treppe emporgearbeitet. Nun würde er sich den herrlichen Ausblick über das Leinetal und die Stadt gönnen. Der seltsame Geruch war stärker, aber nicht aufdringlich stark, geworden. Dies mochte von der luftigen Konstruktion des oberen Teiles des Turmes herrühren. Hier pfiff der heftige Wind nahezu ungehindert durch den Raum. Mit der Taschenlampe leuchtete der Tischler das Obergeschoss ab. Saß da in der Ecke jemand? Fast schien es, als ob es sich ein vergessener Besucher des Turmes in einem Winkel bequem gemacht hätte. Harm Frerksen war ein Bär von Mann. Angst kannte er keine. Zumindest nicht vor Dingen die er genau beurteilen konnte. Aber das hier war seltsam. Es sollte doch seit Wochen kein Mensch mehr hier oben auf dem Turm gewesen sein? Zögernd ging er auf die in der Ecke zusammengesunken sitzende Gestalt zu, stupste sie mit seinem Zollstock an und wartete auf eine Reaktion. Als die nicht erfolgte ging er schnaufend in die Hocke und sah sich die Person genauer an. Im Licht der Taschenlampe war zu erkennen, dass es sich um einen leblosen Körper handelte. Erschrocken bewegte Harm sich im Entengang zurück. Als er genug Abstand geschaffen hatte, richtete er sich auf. Seine Hand fuhr in die Jackentasche, er zückte sein Handy und wählte ohne hinzusehen die 110. Nachdem er seinen Fund gemeldet hatte, stieg er wieder zum Eingang des Turmes hinab und wartete auf das Eintreffen der Polizei.

Loretta fuhr mit Hund nach Echte. Sie würde mit dem Tier zusammen den Abend verbringen. Ihre stürmische, dafür aber umso kürzere Liaison mit dem Wirt der Siedlerklause war so schnell beendet gewesen wie sie angefangen hatte. Die zwei Wochen auf Djerba erwiesen sich als ein Desaster. Die ersten Tage verliefen wie im Rausch. Dann aber, nachdem man sich näher kennengelernt hatte, kam die große Ernüchterung. Sie passten zwar biologisch bestens zueinander, aber ihre Ansichten über das Leben und wie man es gestalten sollte klafften weit auseinander. Dazu die Intoleranz, die Nils Petersson offenbarte. Wie auch sein Benehmen gegenüber den einheimischen Tunesiern und dem Personal der Ferienanlage. Loretta war zutiefst enttäuscht von ihrem Liebhaber. Nach einer heftigen Aussprache trennten sie sich, verbrachten die letzten Tage auf Djerba zwar zusammen, waren innerlich aber schon jeder wieder in seiner eigenen Welt.

Nach dem Abendessen, ein Mikrowellengericht für Loretta und ein Futternapf voller Trockenfutter für den Hund, lag wieder ein langer einsamer Abend vor den beiden. Nach kurzem Überlegen schnappte sie sich ihre Jacke, pfiff Hund, beide verließen ihr trautes Heim und nahmen den Weg zum Bistro.

Nachdem Loretta ihr Bier bestellt hatte, geriet sie in eine Unterhaltung mit einem im Ort ansässigen Malermeister. Im Verlaufe des Gespräches kam die Rede auch auf den verschwundenen Bauhofleiter. In den Augen des Malers eine korrupte Sau, wie er sich auszudrücken beliebte. Zu vergebende Aufträge seitens der Stadt wären angeblich auch immer mit der kostenlosen Ausführung von Arbeiten auf dem Anwesen derer von Stetten verbunden gewesen. Alles sehr dezent angedeutet, natürlich ohne jegliche schriftliche Fixierung. Bargeld allerdings sei, seines Wissens, nie geflossen. Vorteilsnahme im Amt. So etwas kam immer wieder einmal vor. Dies zu beweisen dürfte aber schwerfallen. Zur Not stand Aussage gegen Aussage. Keine Zeugen, keine Unterlagen. Keine Anklage. Aber jetzt doch ein leichter Grauschleier auf der Person des von seiner näheren Umgebung als Lichtgestalt hingestellten Bauhofleiters. Loretta würde in diese Richtung anfangen zu recherchieren. Vielleicht hatte der Herr von Stetten doch noch weiteren Dreck am Stecken.

Lorettas Handy krähte dumpf aus der Tiefe ihrer Umhängetasche. Gunni war bereits auf dem Wieter und setzte sie vom Stand der Dinge in Kenntnis. Der Tote, den Tischler Frerksen in einem Winkel des Obergeschosses entdeckt hatte, war eindeutig der vermisste Bauhofleiter. Dr. Raus und die Spurensicherung waren bereits informiert und sollten bald eintreffen. Die Hauptkommissarin bezahlte ihr Bier und eilte mit Hund zurück zu ihrem Haus. In Windeseile zog sie sich um. Wärmere Klamotten waren da oben auf dem Berg bestimmt angebracht. Hund blieb in der warmen Stube auf dem Sofa liegen, während seine Futterherrin sich mit dem Auto auf den Weg zum Wieterturm machte.

Das Tier, das kurz vorm Eindösen war, vertrieb sich wieder einmal mit seinen Buchstabenspielen die Zeit. Heute ein etwas längeres Wort. Tagesschau: Tag, Tage, Tages, Tau, Taue, Taues, Tasse, Tasche, Tusche, Tausch, tausche, tue, As, Ass, Asse, Aue, Auge, Auges, … Hund fielen die Augen zu und der Rest der Buchstabenspielerei verschwand hinter Bildern williger Hündinnen.

Loretta, dem schmalen Forstweg den Wieter hinauf folgend, hatte eine Krise. Eigentlich hielt sie sich für eine durchaus passable Autofahrerin. Doch das hier brachte sie an ihre Grenzen. In finsterster Nacht, bei Schneefall und heftigem Wind solch eine Strecke fahren zu müssen wünschte sie keinem, auch nicht ihrem ärgsten Feind. Obwohl, da gab es einige, denen sie es doch wünschte. Eine Kehre nach der anderen bewältigte sie. Verdammt, wann war denn endlich Schluss damit? Hinter ihr tauchten Scheinwerfer auf. Nun wurde sie auch noch von hinten durch das Licht des zu ihr aufschließenden Wagens geblendet. Der Verlauf des Weges war kaum noch zu erahnen. Sie verlangsamte die Fahrt, um letztendlich stehenzubleiben. Mit drohender Miene ging sie auf das Fahrzeug zu, das hinter ihrem Wagen angehalten hatte. Dr. Raus, gewandet mit Smoking und Fliege, sah sie mit großen Augen an. „Warum halten wir denn hier? Es ist doch noch ein ganzes Stück bis nach oben. Guten Abend übrigens, Frau Bertolucci.“ Loretta nickte nur und fauchte den Mediziner an: „Mensch, wenn Sie weiterhin so dicht auffahren, können Sie mich bald zu Ihren Gästen ins Leichenschauhaus legen. Ich seh´ einfach nix wenn Sie mir mit Ihren Scheinwerfern die Augen blenden.“ Man einigte sich darauf, dass der Arzt einen größeren Abstand einhalten sollte. „Aber bitte, fahren Sie doch etwas zügiger, Frau Bertolucci. Ich hab´s eilig. Will zurück in die Stadthalle, noch den Rest des Schauspiels mitkriegen.“ „Wenn ich schneller fahre erleben Sie hier gleich ein Schauspiel. Ach, was sage ich, ein Drama!“

Schließlich kamen sie doch auf der Höhe an. Der Parkplatz war mit Polizeifahrzeugen, einem Lieferwagen, einem Krankenwagen und privaten Pkws besetzt. Loretta und der Doktor quetschten ihre Autos an den Rand der schmalen Zufahrt. Beide eilten, aus verschiedenen Gründen, der Arzt des Schauspiels wegen, die Hauptkommissarin der Kälte wegen, auf den über dem Parkplatz aufragenden Turm zu. Gunther Blum informierte sie über die bisherigen Erkenntnisse. Der Entdecker der Leiche stand neben ihm. Loretta bat diesen, sie über die Fundumstände in Kenntnis zu setzen.

Harm Frerksen fing ganz von vorne an. Wie er zum Turm ging, sich das blöde Schloss nicht öffnen ließ, er die Treppenstufen auf Schadstellen untersuchte, um dann endlich im Obergeschoss auf den Leichnam zu stoßen.

„Das Schloss an der Tür war also intakt? Nicht aufgebrochen? Wie sind Sie denn dann in den Turm gelangt?“„Hab´ ich vergessen zu sagen. Hab´ die Schrauben der Bleche gelöst und die ganze Vorrichtung in einem Stück abgenommen. Muss hier noch irgendwo neben der Tür liegen.“ „Den Schlüssel haben Sie noch? Von wem haben Sie den denn überhaupt ausgehändigt erhalten?“ „Hier“, der Mann reichte Loretta den Schlüssel, „musste ich auf dem Bauhof für unterschreiben. Brauch´ ich ´nen Beleg, dass ich Ihnen den gegeben hab´?“ Loretta schüttelte den Kopf. „Das wird wohl nicht nötig sein. Schlüssel und Schloss gehen zur KTU, unserer Spusi. Vielleicht finden die einen Grund, warum sich das Ding nicht aufsperren ließ. Und den Herrn von Stetten, den haben Sie sofort identifizieren können? Bei dem Licht und in seiner zusammengesunkenen Stellung?“ „Nein, hab` bloß gesehen, dass da ´ne Leiche an der Wand hockt. War schon ´n richtiger Schock für mich. Hab´ dann ja auch gleich die Polizei angerufen.“

Die Hauptkommissarin bedankte sich fürs Erste bei dem Mann und machte sich an den Aufstieg in das Obergeschoss. Dr. Raus kniete vor dem zusammengesunkenen Körper. Er hatte nichts verändert und wartete auf Loretta. Das hatte sich im Laufe der Zeit so eingespielt. Erst wenn sie die Leiche und deren Umgebung in Augenschein genommen hatte, begann der Gerichtsmediziner mit seiner Arbeit. Jetzt allerdings wandte er sich an die neben ihm stehenden Sanitäter: „Tut mir leid Jungs, kein Job für euch. Könnt wieder nach Hause fahren. Der hier braucht euch nicht mehr. Da ist unser dunkles Autochen gefragt. Frau Bertolucci, kann ich anfangen?“ Loretta zog fröstelnd ihre Überjacke zusammen und nickte. In ihrem Schädel schossen die Gedanken durcheinander. Der Tote hatte sich nicht selbst in diesem Turm einsperren können. Welche Möglichkeiten gab es da? Ein konspiratives Treffen mit einem Handwerker, um eine Schwarzbautätigkeit auf dem von Stettenschen Anwesen zu besprechen? Wohl kaum. Das wäre, trotz der Abgeschiedenheit des Fundortes der Leiche, zu aufwändig und sicher auch zu auffällig gewesen. Es kamen in dieser Jahreszeit doch hin und wieder Leute auf den Wieter. Eine heimliche erotische Zusammenkunft mit tragischem Ende? Möglich. Manche Menschen fuhren auf den besonderen Kick ab, es an den seltsamsten Orten zu treiben. Aber auch hier wäre die Gefahr der Entdeckung sehr groß gewesen. War von Stetten hierher gelockt worden, um ihn umzubringen? Wieder möglich, aber warum und wer? Und wo war sein Fahrzeug? Loretta beschloss, zunächst erst einmal die Untersuchung der Leiche abzuwarten und von diesen Erkenntnissen her ihre Vorgehensweise zu planen.

Der Krankenwagen hatte den Parkplatz verlassen, da kam auch schon das Fahrzeug der Gerichtsmedizin und nahm den frei gewordenen Stellplatz ein.

Auf ihre Frage, ob Dr. Raus schon eine Aussage treffen könne, blickte der Mediziner die Frau groß an und sagte: „Ja, der Mann ist tot. Nun im Ernst. Morgen gegen zehn Uhr können Sie bei mir anrufen, dann dürften die ersten Ergebnisse vorliegen. Kann ich ihn nun mitnehmen?“ Loretta nickte und stieg zusammen mit dem Arzt die Stufen hinunter. Die Leute von Werner Richter begannen mit ihrer Arbeit. In ihm kochte es. Schon wieder hatten zu viele Menschen an einem Tatort herumgetrampelt. Ein Großteil der Spuren war bestimmt vernichtet und eine Unmenge neuer Spuren dem Gesamtbild hinzugefügt worden. So machte die Arbeit der Spurensicherung wirklich keinen Spaß. Warum ließ man sie nicht als erste ihre Arbeit machen? Die Leiche lief ja schließlich nicht mehr weg. Oder?

Loretta war mittlerweile wieder unten bei Gunni angelangt. Der hatte inzwischen die vom Tischler abgebaute Schließanlage in einen Plastikbeutel gesteckt, zur späteren Untersuchung durch die Leute von der Spusi.

„Was hältst du von der Sache? Mord, Selbstmord, einfach so gestorben? Wenn Mord, wurde er hier umgebracht, irgendwo anders? Und wieder einmal die Frage: Wem nützt dieses Verbrechen, wenn es denn eines war?“ Gunther Blum zuckte mit den Schultern. „Werden wir wohl besser die Ergebnisse von unserem Leichenschlitzer abwarten. Im Moment können wir ja eh nur spekulieren. Aber dass der Turm verschlossen war gibt doch zu denken.“

Das Spurensicherungsteam war mit der Arbeit fertig. Dr. Raus gab seinen Männern Anweisung, die Leiche zu bergen.

„Wir sehen ihn uns hier unten einmal genauer an. Vielleicht kann ich Ihnen dann schon Näheres über die Todesursache sagen.“

Als der gewesene Bauhofleiter auf der Trage liegend vor dem Arzt abgesetzt wurde, öffnete dieser dessen Jackett. Auf dem darunter befindlichen gelben Pullunder zeichnete sich in der Herzgegend ein roter Fleck ab.

„Erste Diagnose: ein Stich genau ins Herz. Sofortiger Todeseintritt. So, das war´s fürs erste. Macht´s hübsch. Ich verziehe mich wieder in die warme Stadthalle.“ Recht hatte der Mann, die Temperaturen waren weiter gesunken, der Schneefall hatte zugenommen. Loretta hatte es plötzlich sehr eilig, wieder auf Stadthöhe zu kommen. Steile enge Straße, teilweise durch die schon den Berg hinab gefahrenen Autos festgefahrene Schneedecke, Dunkelheit und Schneetreiben. Nicht gerade ihr Terrain.

Nach einer halsbrecherischen Abfahrt stoppte sie ihren Wagen am Anfang der Wieterstraße. Das reichlich ins Blut geschossene Adrenalin abbauen. Die anschließende Fahrt nach Echte durch den immer dichter fallenden Schnee kam ihr gemütlich wie ein Maienspaziergang vor.

Am folgenden Morgen begrüßte sie ein strahlendblauer Himmel. Die Temperatur war um fast zehn Grad gestiegen. Milde Luft machte die Wetterunbilden des vergangenen Tages vergessen. Aprilwetter im November. Loretta drehte mit Hund die Klorunde. Bei der Grundschule traf sie den Malermeister, den sie am vergangenen Abend im Bistro gesprochen hatte. Nach einer kurzen Begrüßung lenkte sie die Unterhaltung auf den Bauhofleiter und dessen Geschäftsgebaren, in der Hoffnung weitere Informationen über ihn zu erhalten. Seinen Tod und die dubiosen Fundumstände erwähnte sie nicht. Viel mehr als am Vortag wusste der Handwerker nicht zu erzählen. Interessant war aber seine Schilderung zu der geplanten Errichtung des neuen Einkaufszentrums mitten im Stadtgebiet. Dafür sollten das bestehende City Center und ein Großteil der umliegenden Häuser abgerissen und ein Verkaufskomplex von fast doppelter Größe erbaut werden. Über dieses ihr bislang unbekannte Vorhaben war Loretta doch sehr erstaunt. Reichte denn das, auch jetzt schon von Leerständen gebeutelte Gebäude nicht aus? Noch größer, noch toller, noch leerer, war das die Zukunft für Northeims Innenstadt? Da drängte sich auch gleich wieder die Frage auf: Wer verdient daran? Aber wieso war von diesem Vorhaben noch nichts an die Öffentlichkeit gelangt? Dass ein Malermeister aus Echte über diese Informationen verfügte, legte den Verdacht nahe, dass ein größerer Personenkreis Kenntnis von diesem Plan hatte. So weit der Mann wusste gab es bisher keine Bauanfrage bei der Stadt. Und auch die an diesem Projekt beteiligten Geldgeber hielten sich noch bedeckt. Ein mehr als nebulöses Unterfangen.

Loretta verabschiedete sich von ihrem Gesprächspartner und machte sich mit Hund auf den Weg zu ihrem Haus. Nur um von dort aus unverzüglich die Fahrt ins Amt anzutreten.

Gunther Blum saß bereits an seinem Computer und versuchte den Hintergrund der Familie von Stetten zu erhellen. Soweit er bisher herausgebracht hatte war sie schon seit dem Mittelalter in der Region präsent, besaß riesige Ländereien und hatte es geschafft, über die Jahrhunderte den angehäuften Reichtum zu mehren. Gero von Stetten hätte sicherlich auch in anderen Funktionen tätig werden können. Lag dem ein Kalkül zu Grunde? Eine strategische Besetzung wichtiger Posten zum Wohle der Sippe derer von Stetten? Ein weit hergeholter Gedanke. Aber alles was denkbar war, war, zumindest in den meisten Fällen, auch machbar. Gunni suchte weiter nach Hinweisen auf die Familie.

Loretta telefonierte mit dem Gerichtsmediziner. Die Aussage des Vortages blieb bestehen. Der Mann war durch einen gezielten Stich mit einem Stilett, oder einem ähnlich geschliffenen Messer, direkt in das Herz getroffen worden. Ein anatomisch nicht ausgebildeter Mensch hätte diesen Stich nur mit sehr viel Glück mit dieser Präzision ausführen können. Es war davon auszugehen, dass der Täter genau wusste was er tat. Ansonsten gab es an der Leiche, die laut Dr. Raus schon zirka vier Tage dort oben auf dem Wieterturm gelegen haben musste, keine Auffälligkeiten. Es ließen sich Spuren von Heroin nachweisen, der Magen war weitestgehend leer. Dies legte den Schluss nahe, dass der Mann schon seit einer längeren Zeit keine Nahrung zu sich genommen hatte. Keine sonstigen Verletzungen, keine Spuren eines Kampfes. Der Stich musste ihn vollkommen unvorbereitet getroffen haben. Der Fundort der Leiche war übrigens nicht der Tatort. An dem toten Körper waren eindeutige Transportspuren auszumachen.

Da es Dienstag war musste der Mord also mit großer Wahrscheinlichkeit am vergangenen Freitag, vielleicht auch schon am Donnerstag, verübt worden sein. Vermisst gemeldet wurde Gero von Stetten am Samstag. Dies deutete eher auf den Freitag hin. Die Ermittlungen standen noch ganz am Anfang. Hätte Wispütz nicht auf Nachforschungen gedrängt, sie hätten sich sowieso erst am morgigen Tag mit dem Fall befasst. Nun hieß es also, die übliche Routine bei einer Mordermittlung abzuspulen. Sichtung der gefundenen Spuren, Befragung von Hinterbliebenen, Arbeitskollegen und Freunden. Klärung des finanziellen Hintergrundes, kurz gesagt: Das Leben des getöteten Mannes wurde, wie mit einem Röntgengerät, durchleuchtet. Und da fanden sich manches Mal reichlich dunkle Flecken. Sie würden, dieses Mal aber intensiver, mit den Kollegen auf dem Bauhof anfangen. Dann kam die Familie dran. Danach würde man weitersehen.

Loretta und Gunni fuhren die kurze Strecke vom Amt zum Bauhof. Hier trennten sie sich und begannen mit den Befragungen.

Der Stellvertreter des getöteten Bauhofleiters war ein kurz vor der Rente stehender Mann. Mit dickem Bierbauch und leuchtender Glatze. Auch er hob wieder zu Lobeshymnen über seinen Ex- Chef an. Die Nachricht vom Tod des Herrn von Stetten hatte sich, wie auch immer, in Windeseile in Northeim verbreitet. So war es nicht verwunderlich, dass auch sein Untergebener in der Vergangenheitsform von ihm sprach.

„Also, besser als wie der Gero konnte man diesen Job nicht machen. Der hatte immer den besten Handwerker oder Lieferanten an der Hand. Dem konnte auch keiner ein X für´n U vormachen. Aber sonst, ne da kann ich Ihnen nix sagen. Wir haben uns zwar geduzt, aber so mit der Familie und so waren wir nie zusammen. Also nochmal: Hier auf Arbeit war das alles topp mit ihm.“

So, so, auf der Arbeit. Und weiter? Loretta war aufgefallen, dass ihr Gesprächspartner die hier übliche Zusammenziehung der Wörter „wie“ und „als“ zu einer Einheit benutzte. Falsch konnte man ja nicht liegen, wenn man beide gleichzeitig einsetzte. Ein Treffer war dann garantiert dabei.

„Wie war das denn so mit den Handwerkern? Die gaben ihre Angebote ab, und der Herr von Stetten hat dann die Aufträge vergeben? Oder wie lief das?“

„So einfach ja nicht gerade. Die Angebote wurden eingereicht, dann haben wir uns mit unserem Arbeitskreis zusammengesetzt und den für uns günstigsten Anbieter rausgesucht. Wer günstiger wie die anderen war erhielt dann den Zuschlag. Nur manchmal, ja, da hat dann der Gero später dann doch eine andere Firma mit der Ausführung beauftragt. Wird er schon seine Gründe für gehabt haben.“

„Wozu dann ein Arbeitskreis?“ fragte sich Loretta. Und wie war das nochmal mit „wie“ und „als“? Bei Gleichheit wie, bei Unterschied als.

„Und das kam öfter vor? Ich meine, dass er von sich aus andere Firmen anstatt der ausgewählten beauftragte?“

„Ne, aber bei größeren Posten kam das schon Mal vor. Aber sagen Sie, wollen Sie dem Gero was am Zeug flicken? Das geht denn dann doch zu weit. Der hat seine Arbeit hier besser gemacht wie sonst wer. Und außerdem, Toten soll man nichts Schlechtes nachsagen!“ „Wenn du wüsstest, was die lieben Verstorbenen manchmal für Leichen im Keller haben“, Loretta schmunzelte trotz des makabren Themas innerlich,“du würdest staunen.“

Im Amt untersuchte währenddessen Werner Richter die Bekleidungsstücke des Ermordeten. Einer seiner Mitarbeiter beschäftigte sich mit dem Vorhängeschloss, das der Handwerker von der Eingangstür zum Wieterturm abgebaut hatte. Und machte dabei eine irritierende Entdeckung. Schloss und Schlüssel passten nicht zueinander. Außerdem war das Schloss zu neu, als dass es schon längere Zeit der Witterung ausgesetzt gewesen sein konnte. Vom Typ her war es zwar identisch mit dem ursprünglichen, jedoch von der Seriennummer her aus einer späteren Produktion stammend. Daraus ließ sich der Schluss ziehen, dass das alte Schloss, in Ermangelung des passenden Schlüssels, geknackt worden war und durch ein neues des gleichen Herstellers ersetzt wurde. Die auf dem Schloss befindlichen Fingerabdrücke waren bereits gesichert und zur daktyloskopischen Auswertung gegeben worden. Nun galt es zu ermitteln, welche Geschäfte diese Art von Vorhängeschlössern im Sortiment hatte, und ob sich dort das Personal an die Person erinnerte, die eben solch ein Schloss erworben hatte.

Werner Richter, von seinem Kollegen über den Sachverhalt informiert, dachte ein wenig weiter. Wenn der Täter ein Schloss gleichen Typs erworben hatte, musste er gewusst haben, was zu besorgen war. Daraus folgerte, dass der oder die Täter schon vor der Ablage des Toten auf dem Wieterturm die Örtlichkeit erkundet hatten. Der Spusi-Leiter machte sich Notizen. Die würde er nach der Untersuchung der Bekleidung des Herrn von Stetten Loretta vorlegen und mit ihr durchsprechen.

In den Taschen von Jackett und Anzughose fanden sich nur die bei Männern üblichen Gegenstände. Unter anderem ein Schlüsselbund an dem auch ein Autoschlüssel befestigt war. Ungewöhnlich nur, dass in der linken Hosentasche, neben einigen Münzen auch ein Golfball der Marke „RANGE“ zu finden war. Vielleicht eine Marotte des Getöteten, schließlich spielte er ja Golf in Nörten- Hardenberg.

Loretta und Gunni hatten ihre Befragung im Städtischen Bauhof beendet und waren auf dem Weg zurück zur Dienststelle. Als Gunther Blum den Wagen auf dem Parkplatz vor dem Amt abstellte, blickte Loretta ostentativ auf ihre Armbanduhr. „Mittag. Lass uns was essen bevor wir einen Hungerast kriegen. Heute Nachmittag nehmen wir uns dann die Familie von Stetten vor. Kommst du mit oder wartet Mama auf dich?“ Ihr Kollege druckste verlegen. „Ich fahre wohl besser nach Hause. Mama wartet bestimmt schon. Und du weißt ja, wie sie sich immer aufregt, wenn ich mich nicht melde oder unpünktlich bin.“ „Dann bis später. Wir treffen uns wieder hier im Amt“, Loretta nahm ihre Umhängetasche und ging Richtung Innenstadt. Gunni legte den ersten Gang ein und fuhr heim zu Mama.

Inzwischen hatte sich der Himmel zugezogen. Leichter Nieselregen und gefallene Temperaturen versprachen einen grauen Novembertag. Nach der Mittagspause wartete Loretta in ihrem Büro auf ihren Kollegen. Das Telefon klingelte. Werner Richter bat um eine Unterredung. Einige Minuten später saßen sie sich gegenüber und erörterten die von der Spusi festgestellten Ungereimtheiten. Der nicht zu dem Schloss passende Schlüssel war ein Problem. Dann dieser ominöse Golfball. Welcher normale Mensch lief mit einem Golfball in der Hosentasche durch die Gegend?

Inzwischen war auch Gunther Blum wieder im Amt angekommen. Er hatte sich während des Essens, das Mama wieder liebevoll dekoriert hatte, mit dem Fall beschäftigt. Was ihn am meisten störte war die scheinbar unmotivierte Ablage einer Leiche im Wieterturm. Da musste es doch einen Grund für diese makabere Inszenierung geben. Den Leichnam hätte man an zig anderen Stellen im Landkreis effektiver und versteckter entsorgen können. Alle bisher bekannten Umstände deuteten auf eine geplante Aktion hin. Es hatte den Anschein, dass der Tote gefunden werden sollte. Weswegen? Als Warnung? Wer sollte gewarnt werden? Wer hatte überhaupt einen Grund von Stetten zu erstechen?

Die Bestätigung dafür, dass die Tat geplant gewesen sein musste, erhielt er, als er in Lorettas Büro ging und von ihr und dem Leiter der Spusi über die neuesten Erkenntnisse informiert wurde. Da aber alle ihre Mutmaßungen sie nicht zum Ziel führen konnten, beschlossen Loretta und Gunther Blum, mit den Befragungen in der Familie des Opfers und beim Personal des Landsitzes zu beginnen.

Hund kam wieder auf den Rücksitz. Die beiden Kriminalbeamten stiegen ein und wollten abfahren. Nur, das ging nicht. Vor der Kühlerhaube hatte sich ein Kollege der Verkehrspolizei aufgebaut. Wohl wissend, wen er anzusprechen hatte, begann er: „Frau Kollegin, …“ Solche Gesprächseröffnungen liebte Loretta. Das verhieß nicht Gutes. Und schon fuhr er fort „…wissen Sie wie gefährlich es ist, einen ungesicherten Gegenstand, und als diesen betrachten wir auch einen Hund, im Fond eines Kraftfahrzeuges liegen zu haben? Scheinbar nicht. Ansonsten hätten Sie doch bestimmt vorgesorgt und dem Tier einen, auf seine Größe zugeschnittenen, Sicherheitsgurt angelegt. Oder aber für eine Abtrennung zwischen Vorder- und Rücksitzen gesorgt. Gerade wir als Polizeibeamte sollten da der Bevölkerung mit gutem Beispiel vorangehen. Es geht ja nun gar nicht an, dass wir uns mit solchen Gedankenlosigkeiten angreifbar machen. Abgesehen von den Gefahren, die durch ungesichert im Fahrzeug herumliegende Gegenstände ausgehen können. Stellen Sie sich nur einmal vor, was mit dem Hund geschieht, wenn Sie bei Tempo 50 voll in die Bremsen gehen müssen. Das Tier klebt Ihnen an der Windschutzscheibe oder schlimmer noch, es erwischt Sie oder Ihren Mitinsassen am Kopf. Die Folgen reichen von unangenehm bis tödlich.“ Für Gunther Blums Einwand, dass sie doch nur bis Hammenstedt zu fahren gedächten, hatte der Verkehrspolizist nur ein müdes Lächeln übrig.“Gunni, du kennst das doch alles. Man selbst kann sicher und vorsichtig fahren, irgendein Idiot schafft es bestimmt einmal, euch in die Quere zu kommen. Also, was ist zu tun?“ Recht hatte der Mann. Loretta überlegte, wo sie auf die Schnelle ohne Montage ein Absperrgitter oder Fangnetz auftreiben konnte. Der Kollege gab ihr den Rat, in der Kraftfahrzeugabteilung eines größeren Baumarktes eine mit Federkraft zu fixierende Vorrichtung zu erwerben. Und für die Fahrt ins Medenheim Center den Hund in den Fußraum vor den Rücksitzen zu verbannen. Also verschwand Hund, unter Protest seinerseits, im Fußraum und Loretta und Gunni fuhren, um diesen segenbringenden Gegenstand zu erwerben. Der Einbau ließ sich erstaunlich einfach erledigen. Hund durfte wieder auf den Rücksitz, und zu dritt machten sie sich auf den Weg nach Hammenstedt.