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Teil I und II des amerikanischen Klassikers in edler Schmuckausgabe mit Goldprägung. Neuengland in den 1860er-Jahren: Die Schwestern Meg, Jo, Betty und Amy halten eng zusammen, denn ihr Vater ist als Pastor im amerikanischen Bürgerkrieg, und finanziell ist die Familie nicht auf Rosen gebettet. Die vier so ganz verschiedenen Mädchen durchleben ihre Jugend mit allem, was sie ihnen bietet und zumutet – Nachbarjungs und Moralapostel, Theatergänge und Sonntagsschule, Glück und Leid. »Little Women« erzählt von den verschlungenen Wegen, auf denen die vier jungen Frauen ihren Platz in der Welt erobern.
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Seitenzahl: 938
Louisa May AlcottBetty und ihre Schwestern
Louisa May Alcott
Gesamtausgabe
Titel der amerikanischen Originalausgaben: Little Women or Meg, Jo, Beth and Amy (Boston, Massachusetts: Roberts Brothers 1868). Good Wives (ebd. 1869) Die anonyme deutsche Übersetzung folgt der Ausgabe Kleine Frauen oder Meg, Jo, Beth und Amy. Dritte, durchgesehene Auflage in einem Bande. Leipzig: Fr. Wilh. Grunow 1902. Der Text wurde an wenigen Stellen behutsam überarbeitet und auf neue deutsche Rechtschreibung umgestellt.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2015 Anaconda Verlag GmbH, Köln
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlagmotiv: Jessie Willcox Smith, »They All Drew to the Fire«,
© GraphicaArtis / Corbis
eISBN: 978-3-7306-9089-5
ISBN 978-3-7306-0217-1
www.anacondaverlag.de
Erster Teil
1 Das Spiel der Pilgerreise
2 Fröhliche Weihnachten
3 Der junge Laurence
4 Bürden
5 Gute Nachbarn
6 Betty findet den Palast Wunderschön ….
7 Amys Tal der Demütigung
8 Jo kämpft mit Apollyon
9 Meg geht auf den Jahrmarkt des Lebens
10 P. C. und P. O.
11 Experimente
12 Camp Laurence
13 Luftschlösser
14 Geheimnisse
15 Ein Telegramm
16 Briefe
17 Klein Immertreu
18 Dunkle Tage
19 Amys Testament
20 Im Vertrauen
21 Laurie richtet Unheil an und Jo stiftet Frieden
22 Selige Fluren
23 Tante March bringt die Sache ins Reine
Zweiter Teil
1 Plaudereien
2 Die erste Hochzeit
3 Kunstversuche
4 Literarische Erfahrungen
5 Häusliche Erfahrungen
6 Besuche
7 Folgen
8 Unsere ausländische Korrespondentin
9 Zärtliche Sorgen
10 Jos Tagebuch
11 Ein Freund
12 Herzweh
13 Bettys Geheimnis
14 Neue Eindrücke
15 Beiseitegelegt
16 Lauries dolce far niente
17 Das Tal der Schatten
18 Vergessen lernen
19 Ganz allein
20 Überraschungen
21 Mylord und Mylady
22 Daisy und Demi
23 Unter dem Regenschirm
24 Erntezeit
Weihnachten ohne Bescherung ist nicht Weihnachten!, murrte Jo, die auf dem Kaminteppich ausgestreckt lag.
Wie schrecklich ist es, arm zu sein!, seufzte Meg mit einem Blick auf ihr altes Kleid.
Ich finde es nicht hübsch, dass manche Mädchen die schönsten Sachen im Überfluss und andere gar nichts haben, setzte die kleine Amy in etwas gekränktem Ton hinzu.
Wir haben immerhin Vater, Mutter und uns einander, rief Betty zufrieden aus ihrem Winkelchen herüber.
Die vier jungen, vom Feuerschein beleuchteten Gesichter erhellten sich bei diesen Worten, wurden aber sofort wieder düster, als Jo traurig sagte:
Wir haben den Vater nicht und werden ihn lange nicht haben. Sie setzte nicht hinzu: Vielleicht nie! Aber die anderen taten’s im Stillen und gedachten des Vaters, der fern auf dem Schlachtfeld weilte.
Eine Minute lang sprach niemand, dann begann Meg in verändertem Ton:
Ihr wisst, der Grund, weshalb unsere Mutter dies Weihnachtsfest ohne Geschenke zu begehen beschloss, ist der, dass dieser Winter für jedermann ein sehr harter ist. Sie will kein Geld für Vergnügen ausgegeben wissen, während unsere Leute draußen die Drangsale des Kriegs zu erdulden haben. Wir vermögen nicht viel, aber wir können doch auch unsere kleinen Opfer bringen und sollen dies freudig tun. Doch ich fürchte, freudig tue ich’s nicht! Dabei schüttelte Meg den Kopf, indem sie an all die hübschen Dinge dachte, die sie sich wünschte.
Aber ich denke, das wenige, was wir draufgehen lassen, könnte auch nichts helfen. Wir besitzen jede einen Dollar, und der würde der Armee nicht viel nützen. Ich bin damit einverstanden, von der Mutter und euch nichts zu bekommen, doch möchte ich mir »Undine« und »Sintram« für mich selbst kaufen; ich wünsche sie mir so lange schon!, sagte Jo, die ein Bücherwurm war.
Ich hatte mir vorgenommen, meinen Dollar für Noten auszugeben, sagte Betty mit einem kleinen Seufzer, den niemand hörte als der Kaminbesen und der Kesselhaken.
Ich werde mir ein hübsches Etui mit Faber’schen Bleistiften kaufen, die ich notwendig brauche, sagte Amy entschieden.
Die Mutter hat unseres Geldes wegen nichts bestimmt, und sie wird nicht wollen, dass wir allem entsagen. So lasst uns jede kaufen, was wir nötig brauchen, und uns einen kleinen Spaß machen. Ich meine, den haben wir uns sauer genug verdienen müssen!, rief Jo und betrachtete wie ein Mann ihre Stiefelabsätze.
Von mir weiß ich das gewiss, fast den ganzen Tag lang diese schrecklichen Kinder zu unterrichten, wenn man sich’s daheim gern möchte wohl sein lassen, fügte Meg, in den kläglichen Ton zurückfallend, hinzu.
Ihr habt’s nicht halb so schlimm wie ich, jammerte Jo. Wie würd es euch gefallen, stundenlang mit einer alten, nervösen, verwöhnten Dame eingeschlossen zu sein, die euch stets im Trab hält, nie zufrieden ist und euch quält, bis ihr zum Fenster hinausfliegen oder sie ohrfeigen möchtet?
Es ist unartig, zu klagen, aber meine Meinung ist, dass Geschirraufwaschen und Möbelabstäuben die schlimmsten Arbeiten in der Welt sind. Es macht mich verstimmt und meine Hände so steif, dass ich kaum meine Stücke üben kann. Dabei sah Betty auf ihre rauen Hände mit einem Seufzer, den diesmal jeder hören konnte.
Ich glaube nicht, dass eine von euch so leidet wie ich, rief Amy, denn ihr braucht nicht mit impertinenten Mädchen in die Schule zu gehen, die euch plagen, wenn ihr eure Aufgabe nicht könnt, euren Anzug bespötteln, über eure Nase lachen, wenn sie nicht hübsch ist, und euren Vater etikettieren, wenn er nicht reich ist.
Wenn du persiflieren meinst, könntest du recht haben, doch sprich nicht von Etiketten, als ob Papa eine Pickelbüchse wäre, sagte Jo lachend.
Ich weiß, was ich meine, und du brauchst darüber nicht satirisch zu sein. Es ist sehr gut, sich gewählter Ausdrücke zu bedienen und seinen Wortschatz zu bereichern, sagte Amy mit Würde.
Hackt nicht aufeinander, Kinder! Wünschst du nicht, dass wir das Geld noch hätten, das Papa verlor, als wir klein waren, Jo?, fragte Meg, die an vergangene bessere Zeiten zurückzudenken vermochte. Lieber Gott, wie glücklich und gut würden wir sein, wenn wir keine Mühsal hätten.
Neulich sagtest du doch, wir seien viel glücklicher als Kings Kinder, die sich trotz ihres Geldes alle Tage zanken und ärgern.
Das sagte ich, Betty. Ja, ich denke, wir sind’s auch: denn obgleich wir hart arbeiten müssen, so haben wir doch auch unseren Spaß unter uns und sind ein urgemütliches Volk, wie Jo sagen würde.
Jo bedient sich solcher Studentenausdrücke, bemerkte Amy, indem sie die auf dem Kaminteppich ausgestreckte Gestalt missbilligend ansah. Jo sprang sofort in die Höhe, steckte ihre Hände in die Schürzentaschen und begann zu pfeifen.
Lass das sein, Jo, es ist so burschikos.
Deshalb tu ich’s eben!
Ich verabscheue rohe, unweibliche Mädchen.
Ich hasse zimperliche Zierpüppchen.
Vöglein im Nest vertragen sich, sang Betty, die Friedensstifterin, mit so spaßhafter Miene, dass beide ärgerlichen Gesichter sich zu einem Lachen aufklärten und das »Hacken« eine Zeit lang unterblieb.
Wirklich, ihr Mädchen, ihr seid beide zu tadeln, begann Meg, die sich als älteste Schwester des Rechts der Rüge bediente. Du bist alt genug, Josephine, um diese knabenhaften Manieren beiseitezulassen und dich besser betragen zu lernen. Als du ein kleines Kind warst, kam nicht viel darauf an, doch nun, da du so groß bist und dein Haar aufgebunden trägst, solltest du daran denken, dass du eine junge Dame bist.
Ich bin keine! Und wenn das Haaraufstecken mich zu einer macht, so will ich’s in zwei Zöpfen hängen lassen, bis ich zwanzig Jahre alt bin!, rief Jo, indem sie ihr Netz vom Kopf riss und ihre nussbraune Mähne schüttelte. Ich mag gar nicht daran denken, dass ich zu einer Miss March heranwachsen, lange Kleider tragen und steif wie eine Porzellanaster aussehen soll. Es ist sowieso schrecklich genug, ein Mädchen zu sein, wenn man Knabenspiele, Knabenarbeit und Manieren liebt. Ich kann meinen Ärger, dass ich kein Knabe bin, nicht verwinden, und jetzt quält er mich mehr denn je, wo ich so gern mit Papa in den Krieg gezogen wäre und nun zu Hause bleiben und wie eine wackelige alte Frau Strümpfe stricken muss.
Dazu schüttelte Jo den blauen Soldatenstrumpf, dass die Nadeln wie Kastagnetten klapperten und das Knäuel im Zimmer umherhüpfte.
Arme Jo! Es ist zu schlimm! Doch da es nun einmal nicht zu ändern ist, musst du dich damit begnügen, deinem Namen einen männlichen Klang zu geben und uns drei Schwestern gegenüber Bruder zu spielen, sagte Betty, indem sie den wirren Kopf, der auf ihrem Schoß lag, mit einer Hand streichelte, deren Berührung trotz allen Geschirraufwaschens und Abstäubens nicht rau geworden.
Was dich betrifft, Amy, fuhr Meg fort, so bist du viel zu steif und geziert. Deine Art und Weise ist jetzt nur komisch, doch wirst du mit der Zeit ein affektiertes Gänschen werden, wenn du dich nicht änderst. Ich mag deine hübschen Manieren und deine feine Redeweise ganz gern, sobald du dich nicht bemühst, elegant zu sein; aber deine gesuchten Ausdrücke sind ebenso absurd wie Jos Kraftworte.
Wenn Jo ein Wildfang und Amy eine Gans ist, was bin dann ich, bitte?, fragte Betty, die auch ihren Teil Schelte haben wollte.
Du bist unser Liebling und nichts weiter, antwortete Meg herzlich, und niemand widersprach ihr, denn »die Maus« war das Schoßkind des Hauses.
Da junge Leser gern wissen wollen, wie die Leute aussehen, so benutzen wir diesen Moment, die vier Schwestern zu skizzieren, die im Dämmerlicht emsig strickten, während draußen der Schnee fiel und drinnen das Kaminfeuer knisterte.
Das Zimmer machte einen behaglichen Eindruck, obschon der Teppich verblichen und die Einrichtung sehr einfach war; denn einige gute Bilder hingen an den Wänden, Bücher reihten sich auf den Gestellen, Chrysanthemen und Weihnachtsrosen blühten am Fenster, und ein wohltuender Hauch häuslichen Friedens erfüllte den Raum.
Margarete, die älteste der vier Schwestern, war sechzehn und sehr hübsch; rundlich und zart, mit großen Augen, einer Fülle weichen, braunen Haars, einem lieblichen Mund und feinen weißen Händen, auf die sie nicht wenig stolz war. Die fünfzehnjährige Jo war groß, mager, braun und erinnerte an ein junges Füllen, da sie nie recht wusste, was sie mit ihren langen Gliedern anfangen sollte, die ihr sehr im Wege waren. Sie hatte einen entschlossenen Mund, eine drollige Nase und graue, scharfblickende Augen, die alles zugleich zu sehen schienen und abwechselnd wild, spaßhaft oder nachdenklich blicken konnten. Ihr langes, reiches Haar war ihre einzige Schönheit, doch trug sie es gewöhnlich in einem Netz, damit es ihr nicht beschwerlich falle. Außerdem besaß Jo runde Schultern, große Hände und Füße, eine Nichtachtung für ihre äußere Erscheinung und jenes unschöne Wesen eines gegen seinen Willen zur Frauengestalt aufgeschossenen Kindes. Elisabeth, oder Betty, wie sie von jedermann genannt wurde, war ein rosiges, weichhaariges, helläugiges Mädchen mit einem schüchternen Benehmen, einem furchtsamen Stimmchen und einem friedvollen Gesichtsausdruck, der nur selten gestört wurde. Ihr Vater nannte sie sein »Kindchen Stillvergnügt«, und der Name passte sehr gut für sie, denn sie schien in einer ihr eigenen glücklichen Welt zu leben, aus der sie nur heraustrat, um mit wenigen, die sie liebte und denen sie vertraute, zu verkehren. Amy, obschon die Jüngste, war ein sehr wichtiges Persönchen, wenigstens nach ihrer eigenen Meinung. Eine wahre Schneejungfrau, mit blauen Augen, gelbem, über die Schultern fallendem Lockenhaar und der Haltung einer selbstbewussten jungen Dame.
Die Charaktere der vier Schwestern mag sich der Leser selbst zusammensetzen.
Die Uhr schlug sechs, und nachdem Betty den Herd abgekehrt, setzte sie ein Paar Hausschuhe auf denselben, um sie zu wärmen. Der Anblick der Schuhe, die die baldige Heimkehr der Mutter verkündigten, tat eine gute Wirkung auf die Mädchen; sie erheiterten sich, um die Mutter freundlich zu begrüßen. Meg hörte mit Schelten auf und steckte die Lampe an, Amy stand unaufgefordert von dem Lehnstuhl auf, in dem sie gesessen, und Jo vergaß ihre Müdigkeit, stellte sich ans Feuer und wärmte die Schuhe.
Sie sind ganz abgetragen. Marmee muss ein neues Paar bekommen.
Ich dachte, ihr ein Paar für meinen Dollar zu kaufen, sagte Betty.
Nein, ich werde es tun!, rief Amy.
Ich bin die Älteste, begann Meg; doch Jo fiel ihr gebieterisch ins Wort:
Ich bin der Mann im Haus, da Papa fort ist, und ich werde die Hausschuhe kaufen; Papa hat mir bei seiner Abreise die Fürsorge für die Mutter übertragen.
Ich will euch sagen, was wir tun, versetzte Betty, lasst uns ihr jede etwas für unser Geld und nichts für uns selbst kaufen.
Das sieht dir ähnlich, du Liebe!, rief Jo. Was wollen wir kaufen?
Jede dachte eine Minute ruhig nach, dann eröffnete Meg, als ob ihr der Gedanke durch den Anblick ihrer eigenen schönen Hände gekommen sei:
Ich werde ihr ein Paar nette Handschuhe kaufen.
Die besten Soldatenschuhe, die zu haben sind!, rief Jo.
Einige bereits gesäumte Taschentücher, meinte Betty.
Ich denke, ihr eine kleine Flasche Eau de Cologne zu kaufen, das sie sehr liebt; dies wird nicht viel kosten, und so bleibt mir noch etwas Geld für mich selbst übrig, setzte Amy hinzu.
Wie wollen wir ihr die Sachen geben?, fragte Meg.
Wir legen alles auf den Tisch, führen sie herein und lassen sie die Pakete öffnen. Wisst ihr nicht mehr, wie wir es immer an unseren Geburtstagen machten?, antwortete Jo.
Ich war jedes Mal so erschrocken, wenn die Reihe an mich kam, mit einer Krone auf dem Kopf in dem großen Stuhl zu sitzen und zu sehen, wie ihr alle feierlich einhergeschritten kamt, um mir die Geschenke mit einem Kuss zu überreichen. Ich freute mich über die Geschenke und die Küsse, aber es war mir schrecklich, eure Augen alle auf mich gerichtet zu wissen, während ich die Pakete öffnete, sagte Betty, welche zu gleicher Zeit ihr Gesicht und die Brotschnitte röstete.
Marmee mag denken, dass wir für uns selbst einkaufen, und dann überrascht sein. Wir müssen morgen einkaufen gehen, Meg: Es ist so viel noch für das Weihnachtsspiel zu besorgen, sagte Jo, indem sie, die Hände auf dem Rücken und die Nase in der Luft, im Zimmer auf und ab marschierte.
Ich denke, dies soll mein letztes Weihnachtsspiel sein, ich werde zu alt für solche Sachen, bemerkte Meg, die so kindisch wie möglich war, wenn es sich ums Verkleiden handelte.
Ich weiß, du wirst nicht so bald aufhören, du siehst dich gar so gern im langen weißen Kleid, mit fliegendem Haar und mit Goldpapierjuwelen geschmückt. Du bist unsere beste Schauspielerin, und wir müssen einpacken, wenn du den Brettern Lebewohl sagst, meinte Jo.
Wir müssen heute Abend Probe halten; komm her, Amy, mach die Ohnmachtsszene, denn du bist so steif darin wie ein Schüreisen.
Ich kann’s nicht besser, ich habe noch niemand ohnmächtig werden sehen, und ich mag nicht, wie du meinst, mich platt hinwerfen, um blaue Flecke davonzutragen. Wenn’s zierlich geschehen kann, so will ich umfallen, wenn nicht, so sinke ich graziös in einen Stuhl. Ich mache mir gar nichts daraus, wenn Hugo mit einem Pistol auf mich losstürzt, entgegnete Amy, die keine Spur dramatischen Talents besaß und nur mitspielen sollte, weil sie klein genug war, um vom Helden des Stücks schreiend von der Bühne getragen werden zu können.
Sieh her, mach’s so wie ich, ringe die Hände und schwanke, wie wahnsinnig »Roderigo, rette mich! Rette mich!« schreiend über die Bühne. Und Jo taumelte dahin und stieß einen markerschütternden melodramatischen Schrei aus.
Amy versuchte ihr’s nachzutun, aber sie streckte die Hände steif vor sich hin und knickte wie eine Marionette zusammen, während ihr »Au!« eher von einem Stecknadelstich als von tragischer Verzweiflung hervorgerufen schien.
Jo stieß ein Stöhnen vollständiger Entmutigung aus, Meg lachte hell auf, und Betty, die der dramatischen Probe aufmerksam folgte, ließ ihr Brot am Feuer anbrennen.
Es geht nicht, tu, was du kannst, bei der Aufführung, doch wenn dich die Zuschauer auslachen, so gib nicht mir die Schuld. Nun komm, Meg!
Jetzt gingen die Sachen glatt. Don Pedro trotzte der Welt in einer zwei Seiten langen Rede, ohne zu stocken; Hagar, die Hexe, sang eine schauerliche Beschwörung über ihrem Kessel voll kochender Kröten mit wundervollem Effekt; Roderigo zerriss mit männlichem Anstand seine Ketten, und Hugo starb in Todesqualen, von den Wirkungen des Arseniks und den Gluten der Reue gepeinigt, mit einem wilden »Ha! Ha!«.
Es ist das Beste, was wir gehabt haben, sagte Meg, als der tote Bösewicht aufstand und seine Ellbogen rieb.
Ich kann nicht begreifen, wie du solch herrliche Sachen schreiben und spielen kannst, Jo; du bist ein zweiter Shakespeare, rief Betty, die fest an eine ungewöhnlich wundervolle Begabung ihrer Schwester glaubte.
Nicht ganz, entgegnete Jo bescheiden. Ich halte zwar die tragische Oper »Der Fluch der Hexe« auch für ein nettes Stück, würde aber lieber »Macbeth« versuchen, wenn wir nur eine Versenkung für Banquos Geist hätten. Ich möchte so gern die Mörderrolle spielen. Ist dies ein Dolch, was ich da vor mir sehe?, murmelte Jo, ihre Augen rollend und in die Luft greifend, wie sie dies einst von einem berühmten Tragöden gesehen hatte.
Nein, es ist die Röstgabel mit Mamas Schuh daran statt des Brots; auch Betty ergreift das Theaterfieber!, rief Meg, und die Probe endete unter allgemeinem Gelächter.
Freut mich, euch so lustig zu finden, meine Mädchen, ließ sich eine freundliche Stimme von der Tür her vernehmen, und Schauspieler wie Publikum eilten, eine starke, mütterlich aussehende Frau zu begrüßen, der Güte und Hilfsbereitschaft aufs Wohltuendste aus den Augen leuchtete. Sie war nicht eben eine besonders hübsche Erscheinung, doch Mütter sind in ihrer Kinder Augen immer reizend, und die Mädchen meinten, der graue Mantel und der altmodische Hut bedeckten die schönste Frau der Welt.
Nun, ihr Lieben, wie habt ihr den Tag verbracht? Es gab so viel mit dem Einpacken der Schachteln, die morgen abgehen sollen, zu tun, dass ich nicht zu Tisch kommen konnte. Ist jemand da gewesen, Betty? Wie steht’s mit deiner Erkältung, Meg? Jo, du siehst mir todmüde aus. Komm und küsse mich, Kleine!
Während Mrs March diese mütterlichen Fragen tat, zog sie ihre nassen Sachen aus, die warmen Schuhe an, setzte sich in den Armstuhl, zog Amy auf ihren Schoß und machte sich bereit, die glücklichste Stunde des Tages zu genießen, den sie in Arbeit und Anstrengung verbracht. Die Mädchen flogen umher, jede auf ihre Weise bemüht, alles gemütlich herzurichten. Meg deckte den Teetisch; Jo brachte Holz herbei und setzte die Stühle zurecht, alles, was sie in die Hand nahm, fallen lassend, umwerfend und klappernd machend. Betty trottete ruhig und gelassen zwischen Wohnstube und Küche hin und her, während Amy, die Hände im Schoß dasitzend, allen Befehle austeilte.
Als sie um den Tisch gereiht saßen, sagte Mrs March mit einem ganz besonders glücklichen Gesicht: Ich habe nach dem Tee einen Schmaus für euch.
Ein schnelles, freudiges Lächeln flog wie ein Sonnenstrahl über jedes Gesicht. Betty schlug, ungeachtet des heißen Biskuits, das sie hielt, ihre Hände zusammen, und Jo warf ihre Serviette in die Höhe mit dem Ruf: Ein Brief, ein Brief! Drei Hurra für Papa!
Ja, ein hübscher, langer Brief. Er befindet sich wohl und hofft die kalte Jahreszeit besser zu überstehen, als wir gefürchtet. Er sendet alle möglichen zärtlichen Wünsche fürs Weihnachtsfest und eine besondere Botschaft für euch, ihr Mädchen, sagte Mrs March, an ihre Tasche klopfend, als ob diese einen Schatz enthielte.
Beeilt euch, dass ihr fertig werdet! Halte dich nicht damit auf, deinen kleinen Finger zu drehen und dich über deinem Teller zu zieren, Amy, rief Jo, indem sie ihren Tee hinunterstürzte und ihr Brot, mit der Butter nach unten, auf den Teppich fallen ließ in der Hast, den verheißenen Schmaus zu genießen.
Betty aß nicht mehr, sondern schlich in ihr dunkles Eckchen, wo sie sich ganz still auf den Genuss freute, der ihr bevorstand, wenn die anderen fertig wären.
Ich finde es so herrlich vom Vater, dass er als Feldgeistlicher mitging, da er zu alt und nicht stark genug war, um den Krieg als Soldat mitzumachen, sagte Meg herzlich.
Wie wünschte ich, als Tambour, als Vivan – wie heißt’s doch gleich? – oder als Krankenwärterin zu gehen, sodass ich bei ihm sein und ihm beistehen könnte!, rief Jo laut atmend.
Wie schrecklich, seufzte Amy, unter einem Zelt zu schlafen, alle möglichen schlecht schmeckenden Dinge zu essen und aus einem Zinnkrug zu trinken.
Wann wird er heimkommen, Marmee?, fragte Betty mit einem leisen Zittern ihrer Stimme.
Nicht unter mehreren Monaten, mein Kind, wenn er nicht krank wird. Er wird bleiben und sein Werk, solange er kann, treulich zu Ende führen, und wir wollen ihn uns nicht eine Minute eher zurückwünschen, als er entbehrt werden kann.
Alle reihten sich ums Feuer, die Mutter in ihrem Armstuhl mit Betty zu ihren Füßen, Meg und Amy ihr zur Seite, je eine auf der Armlehne des Stuhls sitzend, und Jo über die Rückenlehne gebeugt, wo niemand ein Zeichen ihrer Erregung sehen konnte, wenn der Brief etwa rührende Stellen enthalten sollte.
Wenig Briefe wurden während dieser harten Zeiten geschrieben, die nicht rührend gewesen wären, besonders die, die die Väter nach Hause sandten. In diesem war nicht viel von ertragenen Beschwerden, bestandenen Gefahren oder überwundenem Heimweh die Rede; es war ein heiterer, hoffnungsfroher Brief, voll von lebendigen Beschreibungen des Lebens im Feld, der Märsche und militärischen Neuigkeiten; nur am Ende des Briefs floss des Schreibers Herz in väterlicher Liebe und Sehnsucht für die kleinen Mädchen daheim über.
Sag ihnen allen, dass ich sie innig liebe und küsse; sag ihnen, dass ich des Tages ihrer gedenke und des Nachts für sie bete und mein größtes Glück allzeit in ihrer Liebe finde.
Ein Jahr bis zum Wiedersehen scheint wohl eine lange Zeit, doch erinnere sie daran, dass wir die Tage des Wartens mit Arbeit ausfüllen, sodass sie nicht verloren sind. Ich weiß, dass sie alle meiner Gebote eingedenk sein werden, dir zärtliche Kinder sein, ihre Pflichten getreulich erfüllen, ihre bösen Regungen tapfer bekämpfen und sich siegreich beherrschen lernen werden, dass ich, wenn ich zurückkehre, mit mehr Stolz und Liebe als je, mich meiner »kleinen Frauen« erfreuen kann.
Alle hatten Tränen in den Augen, als man an diese Stelle gekommen war. Jo schämte sich der großen Zähre nicht, die von ihrer Nasenspitze tropfte, und Amy kümmerte sich um das Zerdrücken ihrer Locken nicht, als sie ihr Gesicht an der Mutter Schulter barg und schluchzend rief: Ich bin ein selbstsüchtiges Geschöpf! Aber ich will mich zu bessern suchen, damit er einst nicht durch mich in seinen Hoffnungen getäuscht werde.
Das wollen wir alle, rief Meg; ich bin eitel und hasse die Arbeit! Aber ich will mich ändern, wenn ich’s kann!
Ich werde mir Mühe geben, das zu sein, was er wünscht, dass ich sein soll: eine kleine Frau, und nicht roh und wild bleiben; hier meine Pflicht erfüllen, statt mich in die Ferne zu sehnen, sagte Jo, in der Meinung, das Bekämpfen ihrer Sinnesart daheim sei eine viel schwerere Aufgabe als die, einigen Rebellen drunten im Süden gegenüberzustehen.
Betty sagte nichts, sondern trocknete ihre Tränen mit dem blauen Soldatenstrumpf ab und fing mit aller Macht zu stricken an, um an ihrer nächstliegenden Pflicht nichts zu versäumen, während sie in ihrer kleinen, stillen Seele den Entschluss fasste, so zu werden, wie ihr Vater sie zu finden hoffte, wenn die Zeit ihn einst glücklich in die Heimat zurückführen würde.
Mrs March unterbrach die Stille, die Jos Worten gefolgt war, indem sie mit ihrer freundlichen Stimme sagte: Erinnert ihr euch, wie ihr die Pilgerreise zu spielen pflegtet, als ihr kleine Kinder wart? Nichts machte euch mehr Freude, als wenn ich euch meine Flickenbündel auf den Rücken band als Bürden, euch Pilgerhüte, Stecken und Papierrollen gab und euch durchs ganze Haus wandern ließ, vom Keller, wo die Stadt des Verderbens war, bis hinauf aufs Dach, wo ihr alle hübschen Dinge, deren ihr habhaft werden konntet, aufgestellt hattet, um die Stadt der Seligkeit darzustellen?
Wie spaßhaft war es, rief Jo, bei den Löwen vorüberzugehen, mit Apollyon zu kämpfen und durch das Tal der Gespenster zu wandern!
Ich liebte die Stelle, wo die Bürden uns vom Rücken fielen und die Treppe hinabkollerten, sagte Meg.
Mein Lieblingsplatz war das flache Dach, wo unsere Blumen und Lauben und alle hübschen Sachen standen und wo wir so freudig im hellen Sonnenschein sangen, meinte Betty, in Erinnerung an jenen glücklichen Augenblick still vor sich hin lächelnd.
Ich kann mich all dessen nicht mehr genau entsinnen, nur, dass ich mich vor dem Keller und dem dunklen Hausgang fürchtete und mich an der Milch und dem Kuchen freute, die wir auf dem Dach fanden. Wenn ich nicht zu alt wäre, würde ich es gern noch einmal spielen, setzte Amy hinzu, die, im reifen Alter von zwölf Jahren stehend, vom Aufgeben kindlicher Freuden zu reden begann.
Wir sind hierzu nie zu alt, liebes Kind, denn es ist ein Spiel, das wir lebenslang auf diese oder jene Weise spielen müssen. Wir haben unsere Bürden, unser Weg liegt vor uns, und die Sehnsucht nach Frömmigkeit und Glückseligkeit ist unsere Führerin durch manche Wirrsale und Irrtümer bis zum Frieden, der die wahre Stadt der Seligkeit ist. Nun, meine kleinen Pilger, was meint ihr? Fangt noch einmal an, nicht im Spiel, sondern im Ernst, und seht, wie weit ihr bis zur Rückkehr des Vaters gelangt.
Wirklich, Mutter? Wo sind unsere Bürden?, fragte Amy, die eine sehr am Buchstaben haftende junge Dame war.
Jede von euch hat ihre Bürde bereits genannt, außer Betty, ich denke, sie hat gar keine, sagte die Mutter.
Ja, ich habe meine Bürde!, rief Betty. Schüsseln sind drin und Wischtücher und der Neid auf die Mädchen, die schöne Pianos besitzen, und die Furcht vor den Menschen.
Bettys Bürde war so drolliger Art, dass jede darüber lachen wollte, aber keine tat’s, um des Schwesterchens Gefühle nicht zu verletzen.
Lasst uns pilgern, meinte Meg, es ist nur ein anderer Name für die Bemühung, gut zu sein; das Gleichnis mag uns helfen, denn obschon wir gut sein möchten, ist es doch schwere Arbeit, wir vergessen oft und strengen uns nicht an.
Wir waren heute Abend im Pfuhl des Kleinmuts, bis die Mutter kam und uns herauszog, wie die Hilfe es in der Erzählung tut. Wir sollten auch wie dort unsere Wegweiserrollen haben. Wie sollen wir das anfangen?, fragte Jo, entzückt von dem Gedanken, durch etwas Romantik die oft trübe und schale Arbeit der Pflichterfüllung sich zu erleichtern.
Seht am Christmorgen unter euer Kopfkissen, da werdet ihr euren Wegweiser finden, sagte Mrs March.
Sie besprachen den neuen Plan, während Hannah den Tisch abräumte; dann wurden die vier Arbeitskörbe herbeigeholt, und die Nadeln der Mädchen flogen emsig, an Betttüchern für Tante March zu nähen.
Es war eine langweilige, uninteressante Arbeit, doch heute Abend murrte niemand. Sie gingen auf Jos Vorschlag ein, die langen Säume in vier Teile zu teilen und diese Viertel Europa, Asien, Afrika und Amerika zu nennen; auf diese Art ging es trefflich vorwärts, besonders wenn sie sich über die verschiedenen Gegenden unterhielten, indem sie sich lustig durch den Weltteil fortstichelten.
Um neun Uhr hörten sie mit ihrer Arbeit auf und sangen wie gewöhnlich, ehe sie sich niederlegten.
Niemand außer Betty vermochte dem alten Klavier musikalische Töne abzulocken, sie aber hatte eine ganz eigene Art, die alten gelben Tasten ganz leise zu berühren und die einfachen Gesänge lieblich zu begleiten. Meg hatte eine Flötenstimme und leitete mit ihrer Mutter den kleinen Chor. Amy zirpte wie eine Grille, und Jos Stimme flog nach ihrem eigenen süßen Willen durch die Lüfte und kam immer an falscher Stelle mit einem Triller oder Häkchen zum Vorschein, womit sie die gefühlvollste Melodie verdarb. Sie hatten diese Abendgesänge schon seit jener Zeit begonnen, wo sie eben zu lispeln begannen:
Blinke, blicke, kleiner Stern,
und so war es ein Hausbrauch geworden, denn die Mutter war eine geborene Sängerin. Der erste Ton des Morgens war ihre Stimme, wenn sie, singend wie eine Lerche, durchs Haus ging, und der letzte Ton des Abends war derselbe freundliche Klang, und die Mädchen wurden nie zu alt für diese lieben, gewohnten Wiegenlieder.
Jo erwachte zuerst im grauen Dämmerlicht des Weihnachtsmorgens. Keine Strümpfe hingen am Kamin, und im ersten Augenblick fühlte sie sich ebenso enttäuscht wie einst vor Jahren, als ihr kleines Strümpfchen herabgefallen war, weil es so schwer mit guten Dingen angefüllt gewesen. Dann dachte sie an das Versprechen ihrer Mutter, steckte die Hand unter ihr Kopfkissen und zog ein kleines, rot gebundenes Buch hervor. Sie kannte es sehr gut, denn es enthielt die alte, schöne Geschichte des besten Lebens, das je gelebt worden ist, und Jo fühlte, dass es ein guter Wegweiser für jeden Pilgrim auf der langen Reise sei. Sie weckte Meg mit einem »Fröhliche Weihnacht!« und forderte sie auf, unter ihr Kopfkissen zu sehen, was darunterläge. Ein grün eingebundenes Buch kam zum Vorschein, mit dem gleichen Titelbild und einigen Worten von der Hand der Mutter. Jetzt erwachten auch Betty und Amy, die ebenfalls nach dem Christgeschenk suchten und dieselben Büchlein mit der Mutter Handschrift fanden, die jeder ihre Gabe besonders wertvoll machte: das eine mit taubenfarbigem, das andere mit blauem Einband; und alle saßen sich ihrer Bücher freuend und darüber plaudernd, während der erwachende Tag den Osten rosig färbte.
Ungeachtet ihrer kleinen Eitelkeit hatte Margarete in ihrem Wesen etwas so Süßes und Frommes, dass sie unbewusst ihre Schwestern beeinflusste, ganz besonders Jo, die sie zärtlich liebte und ihr gehorchte, weil ihre Ratschläge auf so sanfte Weise gegeben wurden.
Ihr Mädchen, sagte Meg mit ernstem Ton, indem sie von Jos wirrem Kopf zu den zwei benachtmützten Köpfen ins Nebenzimmer sah, die Mutter wünscht, dass wir diese Bücher betrachten, lesen und werthalten, und wir müssen sogleich den Anfang damit machen. Früher lasen wir getreulich darin, doch seitdem der Vater fort ist und all diese Kriegsunruhe uns verwirrt, haben wir mancherlei Nötiges versäumt. Ihr könnt es halten, wie ihr wollt, doch ich werde mein Buch hier auf meinem Tisch liegen lassen und jeden Morgen, wenn ich erwache, ein Stück daraus lesen; das wird mir, wie ich gewiss weiß, guttun und durch den Tag forthelfen.
Damit schlug sie ihr neues Buch auf und begann zu lesen. Jo schlang ihren Arm um der Schwester Hals, und Wange an Wange gelehnt las auch sie mit einer so friedvollen Miene, wie sie sich nur selten auf ihrem unruhigen Gesicht zeigte.
Wie gut ist Meg! Komm, Amy, wir wollen ihrem Beispiel folgen. Ich werde dir bei den schweren Worten helfen, und die Schwestern werden uns das, was wir nicht verstehen, erklären, flüsterte Betty, sehr eingenommen von den hübschen Büchern und dem guten Beispiel.
Ich freue mich, dass meins blau ist, sagte Amy, und dann wurde es ganz still in dem Schlafstübchen. Man vernahm nur das leise Umwenden der Blätter, und der Wintersonnenschein schlüpfte herein und küsste die hellen Köpfe und ernsten Gesichter zum frohen Weihnachtsgruß.
Wo ist die Mutter?, fragte Meg, als sie und Jo nach einer halben Stunde herunterkamen, um ihr für ihre Geschenke zu danken.
Gott weiß es. Ein armes Geschöpf kam, um zu betteln, und Ihre Mama ging sogleich fort, um zu sehen, was nottut. Eine solche Frau lebt nicht mehr, die Essen und Trinken, Kleider und Feuerung so weggibt, sagte Hannah, die seit Megs Geburt im Hause war und mehr als Familienglied denn als Dienerin angesehen wurde.
Vermutlich kommt sie bald zurück, sagte Meg, so macht eure Kuchen fertig und haltet alles bereit. Damit überblickte sie die Geschenke, die, in einem unter dem Sofa versteckten Korb verborgen, des Moments, wo sie hervorkommen durften, harrten. Wo ist Amys Eau de Cologne?, fragte sie, die kleine Flasche vermissend.
Sie nahm sie vorhin aus dem Korb und lief damit fort, um sie mit einem Band oder dergleichen zu schmücken, sagte Jo, die im Zimmer umhertanzte, um den neuen Schuhen, die sie angezogen hatte, die erste Steifheit zu nehmen.
Wie hübsch meine Taschentücher aussehen, nicht? Hannah wusch und plättete sie mir, und ich zeichnete sie alle selbst, sagte Betty und betrachtete stolz die etwas ungleichen Buchstaben, die ihr so viel Mühe verursacht hatten.
Welch ein Kind! Sie hat Mutter statt Mrs March in die Tücher gezeichnet! Wie drollig!, rief Jo, eins derselben in die Hand nehmend.
Ist’s nicht recht so? Ich dachte, es sei besser, da Megs Buchstaben auch M. M. sind und nur Marmee meine Tücher benutzen soll, sagte Betty etwas betreten.
Es ist ja ganz gut, Schatz; eine hübsche Idee und ganz gescheit, denn nun kann kein Irrtum stattfinden. Sie wird sich darüber freuen, glaub ich, fiel Meg eifrig ein, mit einem zärtlichen Lächeln für Betty und einem missbilligenden Blick auf Jo.
Die Mutter kommt! Schnell, versteck den Korb!, rief Jo, als man die Haustür zuschlagen hörte und Schritte im Flur erklangen.
Amy trat eilig ein und sah etwas verlegen aus, als sie die Schwestern alle ihrer wartend fand.
Wo warst du denn, und was hältst du so verborgen?, fragte Meg, die ganz erstaunt war, die so träge kleine Amy am frühen Morgen schon in Hut und Mantel von einem Ausgang heimkommen zu sehen.
Lach mich nicht aus, Jo, ich hoffte, dass es niemand vor der Zeit erfahren sollte. Ich habe nur die kleine Flasche gegen eine große vertauscht, ich gab all mein Geld dafür hin und will mir nun die größte Mühe geben, nicht mehr eigennützig zu sein.
Indem sie sprach, zog Amy die größere Flasche hervor, die die billigere ersetzen sollte, und sah so ernst und so demütig bei ihrem kleinen Versuch, sich selbst zu vergessen, aus, dass Meg sie auf der Stelle umarmte, Jo sie ein Blitzmädel nannte und Betty ans Fenster lief, um ihre schönste Rose zum Schmuck der stattlichen Flasche zu pflücken.
Ich schämte mich meines Geschenks, nachdem wir heute früh so viel über Gutsein gelesen und gesprochen hatten, und so lief ich, sobald ich aufgestanden war, um die Ecke und vertauschte das Fläschchen; ich bin froh, denn mein Geschenk ist nun das schönste.
Wieder schlug die Haustür zu, und der Korb verschwand unter dem Sofa, während die Mädchen sich um den Frühstückstisch reihten.
Fröhliche Weihnachten, Marmee! Noch viel, viel fröhliche Weihnachten! Danke für die Bücher! Wir lasen schon darin und denken es nun jeden Morgen zu tun!, riefen die Mädchen im Chor.
Fröhliche Weihnachten, meine Töchterchen! Es freut mich, dass ihr gleich angefangen habt, und ich hoffe, ihr werdet fortfahren. Doch will ich ein Wort mit euch reden, ehe wir uns zum Frühstück setzen. Nicht weit von hier liegt eine arme Frau mit einem kleinen neugeborenen Kind; sechs große Kinder sind in einem Bett zusammengepackt, um sich vorm Erfrieren zu schützen, denn sie haben kein Feuer. Sie haben nichts zu essen, und der älteste Knabe kam herüber, um mir zu sagen, dass sie hungern und frieren. Meine lieben Mädchen, wollt ihr ihnen euer Frühstück als Weihnachtsgeschenk geben?
Sie waren alle ungewöhnlich hungrig, da sie fast eine Stunde bereits gewartet hatten, und minutenlang blieb alles still, doch nur minutenlang, dann rief Jo eifrig:
Ich bin froh, dass du kamst, ehe wir anfingen!
Darf ich die Sachen zu den armen Kindern tragen?, fragte Betty dienstfertig.
Ich werde die Sahne und die Pfannkuchen tragen, setzte Amy hinzu, heldenmütig diejenigen Gegenstände preisgebend, die sie am meisten liebte.
Meg deckte die Buchweizenbrötchen zu und schichtete das Brot in einem großen Teller.
Ich dachte mir wohl, dass ihr mir beistimmen würdet, sagte Mrs March mit zufriedenem Lächeln. Ihr sollt alle mit mir gehen, und wenn wir zurückkommen, frühstücken wir Brot und Milch und halten uns zu Mittag schadlos.
Sie waren bald bereit, und der Zug setzte sich in Bewegung. Glücklicherweise war es noch früh am Tag; sie gingen durch Hintergassen, wo sie von wenig Leuten gesehen wurden, und niemand lachte über die drollige Prozession.
Sie traten in ein armes, kahles, elendes Stübchen mit zerbrochenen Fenstern, ungeheizt; hier fanden sie eine kranke Mutter mit einem wimmernden Neugeborenen, eine Schar hungernder blasser Kinder, auf zerrissenen Laken unter ein altes Bett gehockt, um sich zu erwärmen. Wie sie mit großen Augen staunten und wie die blau gefrorenen Lippen lächelten, als die Mädchen eintraten!
Ach, mein Gott, unsere guten Engel kommen zu uns!, rief die arme Frau und weinte vor Freude.
Drollige Engel in Kapuzen und Fausthandschuhen!, rief Jo und machte sie lachen.
Und in wenigen Minuten schien es wirklich, als ob gute Geister hier ihr Wesen getrieben hätten. Hannah hatte Holz gebracht, ein Feuer angezündet, die zerbrochenen Scheiben mit alten Sachen und ihrem eigenen Schal verstopft. Mrs March gab der Mutter Tee und Brühe, tröstete sie durch Hilfsverheißungen, während sie das Kindchen so zärtlich ankleidete, als ob es ihr eigenes gewesen wäre, und die Mädchen den Tisch deckten, die Kinder um das Feuer setzten und sie wie verhungerte Vögelchen fütterten; lachend, plaudernd und sich bemühend, das gebrochene Englisch der deutschen Kinder zu verstehen.
Das ist gut! Die Engelskinder!, riefen die armen Dinger, während sie aßen und ihre rot gefrorenen Hände an dem behaglichen Feuer wärmten. Die Mädchen, die noch niemand zuvor Engelskinder genannt hatte, fanden dies sehr hübsch, besonders Jo, die, seit sie denken konnte, immer nur als »ein Sancho« betrachtet worden war. Es war ein glückliches Frühstück, obgleich sie nichts davon bekamen, und als sie weggingen, Trost und Freude hinter sich zurücklassend, gab es gewiss in der ganzen großen Stadt nicht vier glücklichere Menschen als die vier hungrigen Mädchen, die ihr Frühstück weggegeben hatten und sich am Weihnachtsmorgen mit Brot und Milch begnügten.
Das heißt seinen Nächsten mehr als sich selbst lieben, und das gefällt mir, sagte Meg, indem sie ihre Geschenke aufstellten, während die Mutter oben alte Sachen für die armen Hummels zusammensuchte.
Keine prächtige Bescherung, aber eine Menge Liebe war in den kleinen Paketen eingeschlossen. Und die große Vase, mit roten Rosen, weißen Chrysanthemen und rankendem Weinlaub gefüllt, die in der Mitte stand, gab dem Tisch ein festliches Ansehen.
Sie kommt, fang an, Betty, öffne die Tür, Amy. Drei Hurra für Marmee!, rief Jo, umherhüpfend, während Meg die Mutter auf den Ehrenplatz führte.
Betty spielte ihren heitersten Marsch, Amy öffnete die Tür, und Meg führte die Eskorte mit großer Würde aus. Mrs March war ebenso erstaunt wie gerührt und lächelte mit tränennassen Augen, während sie ihre Geschenke betrachtete und die kleinen Zettel las, die dabeilagen.
Die Schuhe wurden sogleich angezogen, eines der neuen Taschentücher, mit Amys Eau de Cologne befeuchtet, ward in die Tasche gesteckt, die Rose am Busen befestigt und die netten Handschuhe als »vortrefflich passend« bezeichnet.
Nun wurde viel gelacht, geküsst, erklärt, in jener einfachen, zärtlichen Weise, die diese häuslichen Feste so freundlich und die Erinnerung daran so süß macht noch auf lange Zeiten hinaus. Und dann begannen alle zu arbeiten.
Die barmherzige Tat und die Festlichkeit, die ihr gefolgt, hatten so viel Zeit in Anspruch genommen, dass die ganze übrige Tageszeit zu Vorbereitungen für die Abendaufführung in Anspruch genommen werden musste.
Da die Mädchen noch zu jung waren, um öfter ins Theater zu gehen, und nicht reich genug, um große Ausgaben für Privatvorstellungen zu machen, so strengten sie ihren Witz an, und die Notwendigkeit, die Mutter der Weisheit, tat ihr Mögliches dazu. Einige ihrer Theaterrequisiten waren Kunstwerke: Gitarren aus Pappe, antike Lampen, aus altmodischen, mit Goldpapier verklebten Butterbüchsen hergestellt, prächtige Gewänder aus altem Kattun, glänzend mit Spangen geschmückt, die man aus den Blechdeckeln alter Einmachbüchsen zurechtgeschnitten, und Waffen, die demselben diamantglänzenden Material ihr Dasein verdankten. Das Meublement ward von unten nach oben gekehrt, und die große Wohnstube wurde der Schauplatz manches unschuldigen Jubels.
Da kein Mann teilnehmen durfte, konnte Jo nach Herzenslust Männerrollen spielen und gefiel sich unsagbar in einem Paar fuchsroter Stiefel, dem Geschenk einer Freundin, die eine andere Freundin hatte, die einen Schauspieler kannte. Diese Stiefel, ein altes Rapier und ein geschlitztes Wams, das von einem Maler einst für ein Bild benutzt worden war, machten Jos vornehmste Schätze aus und erschienen bei jeder Gelegenheit auf der Bühne. Die Kleinheit des Personals machte es nötig, dass die beiden Hauptdarsteller verschiedenerlei Rollen übernahmen, und sicherlich war die Mühe anerkennenswert, die ihnen das Lernen mehrerer Rollen, das An- und Ausziehen der mancherlei Kostüme und die Darstellung auf den Brettern verursachte. Diese Aufführungen waren eine vortreffliche Übung für ihr Gedächtnis, ein harmloses Vergnügen und halfen ihnen manche Stunde angenehm verbringen, die sonst müßig, einsam oder weniger nutzbringend verflossen sein würde.
Am Weihnachtsabend hatte sich ein Dutzend junger Mädchen auf einem zu einer Theaterloge hergerichteten Feldbett in einem schmeichelhaften Zustand von Erwartung vor den blau und gelb gemusterten Zitzvorhängen der Bühne aufgepflanzt. Hinter denselben machte sich ziemlich viel Rascheln und Flüstern, etwas Lampenrauch und ein gelegentliches Kichern Amys, die in der Aufregung des Augenblicks hysterisch zu werden pflegte, bemerkbar. Plötzlich schrillte der Ton der Klingel, der Vorhang flog auf, und die tragische Oper nahm ihren Anfang.
»Ein düsterer Wald«, wie ihn der Theaterzettel nannte, wurde durch einige Strauchgewächse in Blumentöpfen, einen grünen, den Boden bedeckenden Teppich und eine Höhle im Hintergrund versinnbildlicht.
Die Höhle war aus einem Kleiderhalter als Dach und einigen Schränken als Wände hergestellt worden, und inmitten derselben brannte ein kleiner Ofen mit einem daraufstehenden Topf, über den eine alte Hexe gebeugt stand. Die Bühne war finster, und das im Hintergrund brennende Feuer machte den gewünschten Effekt, besonders als dem Topf, von dem die Hexe den Deckel lüftete, wirklicher Dampf entstieg.
Man gestattete nach der ersten Überraschung eine kleine Pause, darauf stapfte Hugo, der Bösewicht, mit klirrendem Schwert, einem Schlapphut, schwarzem Bart, einem geheimnisvollen Mantel und den bewussten Stiefeln herein. Nachdem er mehrere Male in äußerster Aufregung auf und ab gegangen war, schlug er sich vor die Stirn und brach in einen wilden Gesang aus, in dem er seinen Hass auf Roderigo, seine Liebe zu Zara und seinen löblichen Entschluss, Ersteren zu töten und Letztere zu gewinnen, an den Tag legte.
Die tiefen Töne des Sängers, mit gelegentlichem Aufschrei bei besonderer Gefühlssteigerung, machten großen Eindruck, und ein lebhaftes Klatschen erfolgte, als er schwieg, um Atem zu schöpfen. Nachdem er sich mit der Gebärde eines an dergleichen gewöhnten Mimen verneigt hatte, schlich er zur Höhle und befahl Hagar mit dem Ruf »Holla, Schatz, ich brauche dich!«, hervorzukommen.
Und Meg, ihr Gesicht von grauem Pferdehaar umhangen, in rot und schwarzem Gewand, einen Stab in der Hand und kabbalistische Zeichen auf dem Mantel, kam zum Vorschein.
Hugo verlangte einen Zaubertrank von ihr, um Zaras Liebe zu gewinnen, und einen anderen, um Roderigo zu töten. Hagar versprach beides in einem schönen, dramatischen Gesang und beschwor den Geist, der den Liebestrank bringen sollte:
Luft’ger Geist, aus deinem Reich
Hierher, hierher komme gleich!
Rosenkind, genährt von Tau,
Deinen Zaubertrank mir brau!
Bring den duft’gen Saft mir her,
Elfenschnell, auf mein Begehr;
Lass ihn süß und kräftig sein;
Geist, ich rufe dich! Erschein!
Eine sanfte Musik ließ sich vernehmen, und im Hintergrund der Höhle erschien eine kleine, in wolkiges Weiß gekleidete Gestalt, mit glänzenden Flügeln, goldenem Haar und einem Rosenkranz auf dem Kopf. Einen Zauberstab schwingend, sang sie:
Ich komme zu dir
Aus dem luft’gen Revier,
Aus des Mondes silberner Helle,
Nimm den Zauber dahin;
Mit bedächtigem Sinn
Benutz ihn, sonst schwindet er schnelle –
Und eine kleine, vergoldete Flasche zu den Füßen der Hexe werfend, verschwand die Erscheinung. Ein neuer Gesang Hagars rief einen zweiten Geist herbei, nicht einen lieblichen, sondern unter lautem Getöse erschien ein hässlicher Zwerg, der, nachdem er eine Antwort gekrächzt hatte, Hugo eine Flasche zuwarf und unter Hohngelächter verschwand. Darauf ging Hugo ab, nachdem er seinen Dank gesungen und die Flaschen in seine Stiefel gesteckt hatte, und Hagar benachrichtigte die Versammlung, da er in früheren Zeiten einige ihrer Freunde getötet und sie ihn verflucht habe, werde sie seine Pläne durchkreuzen und ihn verderben. Dann fiel der Vorhang, und die Zuhörer verschnauften, während sie Kandiszucker aßen und über die Vorstellung ihre Urteile austauschten.
Ehe der Vorhang sich abermals hob, ließ sich viel Geräusch von Hammerschlägen vernehmen, doch als endlich das entstandene Meisterstück einer kunstvollen Bühnendekoration sichtbar wurde, murrte niemand über den Verzug. Was man erblickte, war superb. Ein Turm erhob sich bis an die Decke, auf dessen halber Höhe ein erleuchtetes Fenster sichtbar war, hinter dem man, halb von einer Gardine verhüllt, in Weiß und Blau gekleidet die holde Zara bemerkte, die ihres Ritters harrte. Roderigo trat auf, in prächtigem Anzug mit Federbarett, rotem Mantel, braunen Schmachtlocken, eine Gitarre im Arm und, selbstverständlich, in den bekannten Stiefeln.
Am Fuße des Turms kniend, sang er in schmelzenden Tönen eine Serenade. Zara erwiderte diesen Gruß, und nach einem musikalischen Zwiegespräch fassten sie den Entschluss, zu fliehen. Jetzt kam der Haupteffekt des Stücks. Roderigo brachte eine Strickleiter mit fünf Stufen zum Vorschein, warf ein Ende derselben in die Höhe und lud Zara ein, herabzusteigen. Schüchtern schlüpfte sie aus ihrem Fenster, legte ihre Hand auf Roderigos Schulter und war eben im Begriff, graziös herabzugleiten, als sie – wehe, wehe, Zara! – ihre Schleppe vergaß. Diese blieb im Fenster hängen, der Turm schwankte, beugte sich nach vorn, fiel polternd zu Boden und begrub das unselige Liebespaar unter seinen Trümmern.
Ein allgemeines Geschrei erhob sich, als die fuchsroten Stiefel wild unter den Ruinen zappelten und ein goldhaariges Köpfchen hervortauchte und jammernd schrie: Ich hab’s ja gesagt, ich hab’s ja gesagt!
Doch mit bewundernswerter Geistesgegenwart stürzte Don Pedro, der grausame Sire, herbei, zog seine Tochter aus den Trümmern hervor und flüsterte ihr mit einem hastigen »Beiseite« zu: Lach nicht, spiel fort, als ob es so sein müsste!
Und indem er sich an Roderigo wandte, verbannte er ihn voll Zorn und Wut aus seinem Reich. Roderigo, obgleich durch den Einsturz des Turms etwas aus der Fassung gebracht, trotzte diesem Gebot standhaft und weigerte sich, zu gehen. Dieses kühne Beispiel feuerte auch Zaras Mut an, auch sie widerstand dem grausamen Vater, und dieser befahl, beide in den tiefen Kerker des Schlosses zu werfen. Ein kleiner, dicker Diener erschien, der sehr erschrocken aussah und jedenfalls, da er stumm blieb, seine Rolle vergessen hatte, die Liebenden in Ketten schloss und dann hinwegführte.
Im dritten Akt sah man den Saal der Burg. Hagar erschien, in der Absicht, die Liebenden zu befreien und Hugo abzutun. Sie hört ihn kommen und verbirgt sich, beobachtet ihn, wie er die beiden Tränkchen in zwei Becher mit Wein schüttet und dem kleinen Aufwärter befiehlt: Trag diese in die Kerker zu den beiden Gefangenen und sag ihnen, dass ich gleich selbst kommen werde.
Während der kleine Diener Hugo beiseitenimmt, um ihm irgendetwas zu sagen, vertauscht Hagar schleunig die beiden Becher mit zwei unschädlichen. Fernando, der Niedliche, trägt sie fort, und Hagar setzt unbemerkt den für Roderigo bestimmten Giftbecher wieder auf den Tisch. Hugo wird nach einem langen Gezwitscher durstig, trinkt den Becher leer, verliert die Besinnung und fällt nach vielem Gezappel und Getrappel flach auf den Boden und stirbt, während Hagar ihm in einem ausführlichen, vortrefflichen Gesang über das, was sie getan, Bericht erstattet.
Dies war eine wahrhaft erschütternde Szene, obgleich man wohl hätte annehmen können, dass das Herabfallen eines großen Haarschopfes vom Kopf des Bösewichts einigermaßen den Effekt der Todesszene beeinträchtigt haben müsste. Er ward herausgerufen und erschien vor dem Vorhang, Hagar, deren Gesang als die Quintessenz des ganzen Stücks angesehen ward, zierlich an der Hand führend.
Der vierte Akt zeigt den verzweifelten Roderigo, der im Begriff stand, sich wegen Zaras vermeintlicher Untreue zu erdolchen. Eben als der Dolch sich seinem Herzen nähert, belehrt ihn ein reizender Gesang unter seinem Fenster, dass Zara ihm treu geblieben, sich aber in einer Gefahr befindet, aus der er sie retten kann, wenn er will. Ein Schlüssel wird in sein Gefängnis geworfen, er öffnet die Tür, reißt in einem Anfall von Verzückung seine Ketten ab und stürzt davon, um seine Dame zu suchen und zu retten.
Akt fünf endlich wird mit einer heftigen Szene zwischen Zara und ihrem Vater eröffnet. Dieser verlangt, sie solle in ein Kloster gehen, wovon sie nichts hören will, und eben steht sie im Begriff, nach einem rührenden, wiewohl vergeblichen Versuch, des Vaters Herz zu erweichen, in eine Ohnmacht zu sinken, als Roderigo hereinstürzt und um ihre Hand bittet. Don Pedro schlägt es ihm ab, weil er nicht reich ist.
Alle schreien und gestikulieren ganz erstaunlich viel, ohne sich zu einigen, und Roderigo will die halb tote Zara hinwegtragen, als der schüchterne Diener erscheint und einen Brief nebst einem Bündel von Hagar, die geheimnisvollerweise verschwunden ist, überbringt. Der Brief verheißt dem jungen Paar zahllose Reichtümer und Don Pedro ein schreckliches Geschick, wenn er dem Glück des Liebespaares hinderlich wäre. Das Bündel wird geöffnet, und einige Maßkannen Blechgeld regnen über die Bühne, bis diese ganz davon glitzert. Dies zähmt des Vaters Starrsinn, er willigt ohne Mucken ein, der Chor singt ein Jubellied, und der Vorhang fällt über dem in romantischer Attitüde vor dem sie segnenden Don Pedro knienden Liebespaar.
Lärmender Applaus folgte dem Fallen des Vorhangs, wurde aber auf jähe Weise unterbrochen, dieweil das Feldbett, auf dem die Zuschauerloge errichtet war, zusammenbrach und die enthusiastischen Insassen begrub.
Roderigo und Don Pedro flogen zur Hilfe herbei, und alle wurden unverletzt, obgleich manche halb tot vor Lachen, aus den Trümmern gezogen.
Kaum hatte sich die allgemeine Aufregung etwas beruhigt, als Hannah erschien, mit Mrs Marchs Empfehlung und der Einladung zum Abendessen.
Dies war eine Überraschung, selbst für die Schauspieler, und als sie den gedeckten Tisch erblickten, sahen alle einander mit wortlosem Staunen an. Es sah dem Mütterchen schon ähnlich, ihnen einen kleinen Schmaus zu bereiten: Doch solche Dinge, wie sie sie hier fanden, waren unerhört seit den Tagen vergangenen Überflusses. Da stand Eiscreme, zwei ganze Schüsseln voll, rot und weiß, Kuchen, Obst, köstliches französisches Zuckerwerk und inmitten des Tisches vier große Buketts von Gewächshausblumen.
Der unerwartete Anblick benahm ihnen fast den Atem, sie starrten erst den Tisch und dann die Mutter an, die sich an ihrem Staunen unendlich zu weiden schien.
Sind’s Elfen gewesen?, fragte Amy.
Oder Sankt Nikolaus?, sagte Betty.
Mütterchen tat’s. Und Meg lächelte selig, trotz ihres grauen Barts und weißer Augenbrauen.
Tante March hatte einen Anfall und sandte den Schmaus!, rief Jo mit einer plötzlichen Eingebung.
Alles ist falsch geraten; der alte Mr Laurence sandte es, entgegnete Mrs March.
Des jungen Laurences Großvater? Was in aller Welt fällt ihm denn ein? Wir kennen ihn ja nicht!, rief Meg.
Hannah hat zu einem seiner Diener von eurem Frühstück gesprochen, und dies hat dem alten, wunderlichen Herrn gefallen. Er hat vor langen Jahren meinen Vater gekannt und sandte mir heute Nachmittag ein höfliches Briefchen, in dem er um die Erlaubnis bat, seinen freundschaftlichen Gefühlen für meine Kinder Ausdruck zu geben, indem er ihnen zu Ehren des Tages einige Kleinigkeiten sende. Ich konnte es nicht abschlagen, und so habt ihr einen kleinen Abendschmaus, der das Brot- und Milchfrühstück ausgleichen möge.
Das hat ihm sein Enkel in den Kopf gesetzt; ich bin fest davon überzeugt! Er ist ein prächtiger Mensch, und ich wollte, wir könnten mit ihm bekannt werden. Es kommt mir oft so vor, als ob er uns kennenlernen wollte, doch er scheint so schüchtern zu sein, und Meg ist viel zu zimperlich, als dass sie mich einmal im Vorbeigehen stehen bleiben und ihn anreden ließe, plauderte Jo, während die Schüsseln im Kreis umhergingen und das köstliche Eis unter »Oh!« und »Ah!« des Entzückens dahinzuschmelzen begann.
Meint ihr die Leute, die da nebenan in dem großen Haus wohnen?, fragte eins der Mädchen. Meine Mutter kennt den alten Mr Laurence, doch sie meint, er sei sehr stolz und gebe sich nicht gern mit seinen Nachbarn ab. Er schließt seinen Enkel ein, wenn er nicht mit seinem Erzieher ausreitet oder -geht, und lässt ihn schrecklich viel studieren. Wir luden ihn zu unserer Gesellschaft ein, aber er kam nicht. Die Mutter sagt, er sei sehr nett, obgleich er nie mit uns Mädchen spricht.
Er brachte mir einst unsere Katze wieder, die davongelaufen war, und wir plauderten viel miteinander vom Kricketspiel und waren eben im besten Zuge in unserer Unterhaltung über den Zaun hinweg, als er Meg kommen sah und davonlief. Ich werde mich noch mit ihm bekannt machen, denn er braucht ein bisschen Spaß, das sah ich ihm an, sagte Jo entschieden.
Ich finde seine Manieren sehr anständig, und sein Betragen ist das eines Gentlemans, darum habe ich gegen eine nähere Bekanntschaft, wenn sich eine passende Gelegenheit findet, nichts einzuwenden. Er brachte die Blumen selbst, und ich hätte ihn gern gebeten, dazubleiben, wenn ich genau gewusst hätte, was ihr oben vorhattet. Er sah so traurig aus, als er fortging und eure Lustigkeit von oben her vernahm, da er wahrscheinlich nichts dergleichen hat.
Gut, Mütterchen, dass du ihn nicht aufgefordert hast, lachte Jo mit einem Blick auf ihre Stiefel. Aber wir werden nächstens ein anderes Stück spielen, das er sehen kann. Vielleicht kann er sogar selbst mitspielen; das wäre ein köstlicher Spaß.
Noch niemals hat mir jemand ein Bukett geschenkt, sagte Meg, mit großem Interesse ihre Blumen betrachtend; wie reizend ist es!
Sie sind prächtig, aber Bettys Rosen sind süßer für mich!, sagte Mrs March, an dem halb welken Sträußchen riechend, das in ihrem Gürtel stak.
Betty schmiegte sich an ihre Mutter an und sagte leise flüsternd: Ich wünschte, meinen Strauß dem Papa schicken zu können. Er hat wohl kein so frohes Weihnachtsfest wie wir!
Jo, Jo, wo bist du?, rief Meg vom Fuß der Bodentreppe aus. Hier!, rief eine dumpfe Stimme von oben herab.
Als Meg hinaufgestiegen war, fand sie ihre Schwester, in einen alten Schal eingehüllt, Äpfel essend und über der Lektüre des »Erben von Redcliff« in Tränen schwimmend, an einem sonnigen Fenster sitzen. Dies war Jos Lieblingsschlupfwinkel, und es war ihr ein Genuss, sich mit einem hübschen Buch und einem halben Dutzend Äpfel hierher zurückzuziehen und die Stille in Gesellschaft einer Lieblingsratte, die nebenan wohnte und sich nicht im Geringsten stören ließ, zu genießen. Als Meg erschien, verschwand Skrabbel in ihrem Loch, Jo schüttelte die Tränen von den Wangen und wartete der Dinge, die da kommen sollten.
Wie drollig!, rief Meg. Da, sieh nur, eine richtige Einladung von Mrs Gardiner auf morgen Abend! Und sie schwang das köstliche Briefchen und las es dann mit mädchenhafter Freude vor:
Mrs Gardiner würde sich sehr freuen, Miss March und Miss Josephine zu einer kleinen Tanzgesellschaft am Neujahrstag bei sich zu sehen.
Mütterchen erlaubt uns, hinzugehen, aber was sollen wir anziehen?
Wozu das Fragen, da du weißt, dass wir unsere Popelins tragen müssen, da wir nichts anderes haben!, antwortete Jo mit vollem Mund.
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