Love from the Past - Tina Keller - E-Book
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Tina Keller

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Beschreibung

Als die chronisch chaotische Josie den Wagen des Star-Architekten Mike Shepherd rammt, sind das keine guten Vorzeichen, um den heiß begehrten Job als Innenarchitektin bei ihm zu ergattern. Zu allem Überfluss entpuppt sich Mike auch noch als Josies Jugendschwarm Michael, für den sie damals Luft war. Josie ist hin und her gerissen. Einerseits ist sie immer noch wegen der früheren Zurückweisung verletzt; andererseits ist aus Mike ein höllisch attraktiver Mann geworden, der sie alles andere als kalt lässt. Mike weiß nicht, wer Josie in Wirklichkeit ist und hat keine Ahnung von ihrem Gefühlswirrwarr. Er fühlt sich fast magisch zu ihr hingezogen, was seine Aufgabe nicht gerade leichter macht, sie mit einem äußerst pikanten Detail des Auftrags zu konfrontieren …

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Kapitel 1 – Josie

Ich bin spät dran. Ausgerechnet heute, wo ich einen wirklich wichtigen Termin habe. Warum war ich auch so unvernünftig, mein Auto zu nehmen, anstatt mit der U-Bahn zu fahren? Niemand tut das hier in London. Nur ich, die sture Deutsche aus Westfalen, die immer alles besser weiß.

­­­Zur Strafe stehe ich jetzt direkt am Piccadilly Circus im Stau, und es geht gar nichts mehr. Die typischen roten Doppeldeckerbusse, die schwarzen, etwas altmodischen Taxis und Dutzende anderer Wagen warten geduldig, bis es weitergeht. Engländer verlieren nur selten ihre gute Laune, und selbst dieses nervige Stop and Go nehmen sie mit Humor.

Ich nicht. Ich bin Deutsche, und Deutsche sind per se genervt, ob sie nun einen Grund dazu haben oder nicht. Und diesmal habe ich weiß Gott einen Grund.

Wenn ich unpünktlich bin, macht das garantiert keinen guten Eindruck auf meinen potentiellen Arbeitgeber. Das kann ich mir nicht leisten, denn ich will den Auftrag unbedingt an Land ziehen. Mike Shepherd, einer der renommiertesten Architekten Europas, will aus einem alten maroden Krankenhaus am Rande Londons ein Fünf-Sterne-Hotel machen. Für die Innenausstattung sucht er diverse Innenarchitekten, und da kommt meine Wenigkeit ins Spiel.

Ich heiße Josephine, bin 36 Jahre alt, komme ursprünglich aus einem Kaff in Westfalen und lebe seit fünf Jahren in London. Damals habe ich an einem Wettbewerb teilgenommen, bei dem der Wellness-Bereich eines großen Hotels neu gestaltet werden sollte. Ich habe mich mächtig ins Zeug gelegt und bin fast vor Stolz geplatzt, als ich den Wettbewerb tatsächlich gewonnen habe. Dieser Auftrag holte mich für drei Monate nach London, und in dieser Zeit habe ich mich so sehr in die Stadt verliebt, dass ich geblieben bin.

Es ist diese Mischung aus Tradition und Moderne, die London für mich so einzigartig macht. Die Engländer wahren ihre Traditionen in einer Form, die es in Deutschland einfach nicht gibt. Ein Besuch im Tower und die Beefeater in ihren Outfits, die Wachen am Buckingham Palace, die mitunter rockigen Sounds bei der Wachablösung. Auf der anderen Seite die witzigsten Läden, die sensationellsten Trödelmärkte, ein absoluter Multi-Kulti-Mischmasch, nette, offene Leute, handzahme Eichhörnchen im Hyde Park. Und überall die höflichen, gelassenen, stets gut gelaunten Briten, die nichts aus der Ruhe zu bringen scheint. Bewundernswert. Diese Gelassenheit werde ich mit meinen nervösen deutschen Genen niemals erreichen.

Jetzt zum Beispiel könnte ich vor lauter Wut in mein Lenkrad beißen und laut schreien, während der alte Mann links neben mir in einem noch älteren Jaguar genüsslich in sein Brot beißt. Zu meiner Rechten lachen sich zwei Geschäftsmänner in einem knallroten Bentley halb schlapp und finden es offenbar total amüsant, hier festzusitzen.

Haben die alle keine Termine? Werden sie nirgendwo erwartet und haben Zeitdruck? Warum um Himmels willen sind die alle so relaxed? Das frage ich mich schon, seit ich in England gelandet bin. Ich verstehe es einfach nicht. Es muss tatsächlich genetisch bedingt sein.

Ich kann jedenfalls nicht relaxed sein, wenn es um einen wichtigen Auftrag geht, denn der soll schließlich für ein paar Monate meine Existenz sichern. Seit drei Jahren bin ich selbständig und kann mich über lukrative Aufträge nicht beklagen, aber das heißt noch lange nicht, dass es automatisch auch so bleibt. Irgendwie habe ich immer latent Angst, es könne ganz plötzlich vorbei sein.

Aber das ist ja auch so typisch deutsch: immer diese diffuse Angst, es könne etwas ganz Schreckliches passieren. Meistens passiert dann gar nichts, aber Hauptsache, man hat sich mal wieder den Tag verdorben. Die Deutschen sind wirklich Weltmeister darin, sich über alles Sorgen zu machen und permanent zu meckern. Ich kann mich da leider nicht ausschließen. Ich sorge mich auch dauernd darum, meinen bescheidenen Wohlstand wieder zu verlieren. Immerhin kann ich mir ein schickes Apartment in Notting Hill leisten, das schon als Nobelviertel gilt und möchte da ungern wieder ausziehen.

Aber wenn ich jetzt zu spät komme, kriege ich den Auftrag nicht, und vielleicht kriege ich in den nächsten Monaten gar keine Aufträge mehr oder überhaupt niemals wieder. Dann muss ich mein schickes Apartment aufgeben, nach Deutschland zurückkehren, bin arbeitslos und hause in irgendeinem Dreckloch. Und nur, weil ich es mal wieder nicht schaffe, pünktlich zu sein. Himmel, warum bin ich auch nur so eine Chaotin! Der Wecker hat nicht geklingelt (habe ich ihn wirklich nicht gestellt?), mir ist Kaffee auf meine Bluse getropft und ich musste mich noch mal umziehen, meinen Schlüssel habe ich wie immer nicht gefunden, ich wollte den Müll rausbringen und dann riss die Tüte auf … Warum passiert das eigentlich immer mir? Bis ich es morgens geschafft habe, aus dem Haus zu kommen, sind mir schon mehr Dramen passiert als anderen in einem ganzen Jahr. Andere finden immer ihren Schlüssel und ihr Portemonnaie, und den Müll bringt die Putzfrau raus.

Ja, ich weiß: Lege Schlüssel und Portemonnaie stets an demselben Platz ab! Das versuche ich ja auch, aber ich vergesse jedes Mal, welchen Platz ich mir nun ausgesucht habe, und dann wechsele ich den Platz auch gern mal.

Geht Ihnen das auch so? Verzweifeln Sie auch oft an den einfachen Dingen des Lebens? Oder denken Sie jetzt schon:

„Oh, mein Gott, was für eine Chaotin! Wenn die sich nicht endlich mal beeilt, anstatt hier endlos rumzuschwafeln, kommt die doch nie zu ihrem Termin. Da muss die sich auch gar nicht wundern, wenn sie irgendwann frustriert in good old Germany hockt und nur noch Puppenhäuser entwirft. Nun los, Mädel, hopp, hopp!“

Jaja, Sie haben ja Recht. Aber ich kann nicht einfach über den Stau hinwegfliegen. Sie sagen, ich soll das Auto irgendwo abstellen und doch noch die U-Bahn nehmen? Ja, wo genau soll ich das Auto denn Ihrer Meinung nach abstellen?

Es ist ziemlich bescheuert, mit jemandem ein fiktives Zwiegespräch zu halten, oder? Ich will Sie auch nicht länger beim Lesen stören. Außerdem – hurra! – löst sich der Stau jetzt offenbar auf und es geht weiter. Na, sehen Sie! Ich muss mein Auto nirgendwo abstellen. Aber danke trotzdem für den Hinweis.

Ich fahre die Regent Street entlang, biege am Hyde Park ab und bin tatsächlich nur wenige Minuten später an meinem Ziel angelangt, einem mondänen Bürokomplex im viktorianischen Stil. Zum Glück gibt es eine Tiefgarage, und ich lenke meinen Wagen in die Einfahrt. Tiefgaragen sind mir immer etwas unheimlich, weil ich gern vergesse, wo genau ich meinen Wagen geparkt habe und ihn dann stundenlang suche. Auch die Öffnungszeiten habe ich schon übersehen, stand vor verschlossenen Toren und konnte mein Auto erst am nächsten Tag wieder abholen.

Kommt Ihnen das bekannt vor? Nein? Okay, Sie gehen sicher schnurstracks zu Ihrem Auto, wissen die Nummer des Parkdecks und natürlich auch noch die Nummer des Parkplatzes. Und selbstverständlich verlassen Sie das Parkhaus mindestens eine Stunde vor Schließung – aus lauter Angst, Ihnen könne das passieren, was mir schon passiert ist. So eine Chaotin wie ich sind Sie schließlich nicht.

Herzlichen Glückwunsch! Das ist jetzt gar nicht ironisch gemeint. Ich wäre auch gern so strukturiert und ordentlich wie Sie, aber leider kann man sich das nicht aussuchen. Ich muss eben das Beste aus meinem Schicksal machen. Zum Beispiel, die Nummer des Parkdecks und des Parkplatzes auf einem Zettel notieren, den ich dann wiederum verliere.

Ich erinnere mich noch daran, dass mir meine Eltern so aufbauende Sätze zugerufen haben wie „Wenn der Kopf nicht angewachsen wäre, würdest du den auch noch vergessen“ und mich „unser kleines Schusselchen“ genannt haben. Ich war offenbar schon immer so. Und daran kann man jetzt auch nichts mehr ändern. Was soll’s, ich habe mich damit abgefunden, und das sollten Sie besser auch, sonst könnte ich Sie noch ziemlich nerven.

Langsam fahre ich an den parkenden Autos vorbei und halte Ausschau nach einer winzigen Lücke für meinen Smart. Aber natürlich ist alles besetzt und ich muss auf die nächsthöhere Ebene fahren. Dort wiederholt sich dasselbe Spiel, und mein Adrenalinpegel steigt. Warum ist denn hier alles besetzt? Das gibt es doch wohl nicht!

Auf der siebten Parkebene bin ich total verzweifelt und einem Herzanfall nah. Warum muss immer mir so etwas passieren? Wenn ich in diesem Parkhaus keinen Parkplatz finde und woanders suchen muss, komme ich definitiv zu spät – so spät, dass ich den Auftrag vergessen kann. Eigentlich brauche ich dann gar nicht mehr hinzugehen. Ja, ich weiß, ich hätte die U-Bahn nehmen sollen, Sie müssen es mir nicht noch mal sagen. Und das hämische Grinsen ist jetzt auch irgendwie fehl am Platz.

Hektisch schaue ich auf die Uhr. Ich habe nur noch sechs Minuten. Das ist echt nicht mehr viel.

Da, endlich! Ein ganzes Gebirge fällt mir vom Herzen, als ich die rettende Parklücke entdecke. Nichts wie hin, bevor mir jemand anderes den einzig freien Parkplatz hier in diesem ganzen verf… Parkhaus wegschnappt! In meiner Euphorie gucke ich weder nach rechts noch nach links, sondern sprinte los. Darum sehe ich auch den schwarzen BMW nicht, der plötzlich eine Vollbremsung einlegt und mit quietschenden Reifen zum Stehen kommt. Zu spät. Er hat mich gerammt, und ich höre das unangenehme Geräusch von Blech auf Blech. Scheiße. Das hat mir gerade noch gefehlt. Erstens wird mich der Typ umbringen, und zweitens komme ich dadurch auf jeden Fall zu spät.

Ich sehe mich schon in einem schäbigen Hochhaus irgendwo in Deutschland sitzen und die Regentropfen am Fenster zählen, weil ich keinen Job mehr bekomme und nichts zu tun habe. Ein ödes, sinnloses Leben erwartet mich, und das alles nur, weil ich nicht auf Sie gehört und die U-Bahn genommen habe.

„Haben Sie keine Augen im Kopf?“

Die Tür des protzigen Wagens wird aufgerissen, und ein großer Mann in einem edel schimmernden, silbergrauen Anzug springt heraus. Ich klettere ebenfalls aus meinem Auto und will gerade etwas erwidern, als meine Augen seine treffen.

Oh mein Gott. Diese Augen hauen mich um. Es ist wie ein Blitz, der aus ihnen herausschießt und sich auf direktem Weg in meine Seele beamt. Mir bleibt fast das Herz stehen. Völlig paralysiert starre ich den Mann an und bringe keinen Ton heraus. Die Augen sind der Hammer. Der Oberhammer. Der absolute Mega-Oberhammer. Ich kann es Ihnen gar nicht beschreiben. Wie soll man das auch? Oder doch: Stellen Sie sich die grünen Augen von Robbie Williams vor, aber noch intensiver. Noch schöner.

Ich kann mich überhaupt nicht mehr bewegen.

Das hatte ich doch schon mal, genau dasselbe Gefühl. Genau dieselben Augen, die mich geflashed haben; eine unendliche Ewigkeit scheint das her zu sein. Gibt es so etwas zweimal? Woher kommt dieses Deja-Vu?

Der Mann rennt um sein Baby herum und betrachtet sorgenvoll den Kotflügel. Ich eile ihm zu Hilfe und will mich gerade hinunterbeugen, um das Ausmaß des Schadens zu begutachten, als der Typ seinen Kopf hebt und unsanft mit meinem zusammen knallt. Autsch, das tut höllisch weh.

Ich verrate Ihnen ein peinliches Geheimnis: Dasselbe ist mir sogar schon beim Sex passiert. Naja, wenn zwei Chaoten versuchen, miteinander zu schlafen, kommt eben so etwas dabei heraus. Die erotische Stimmung war danach natürlich komplett im Eimer. Aber wir haben sehr viel gelacht.

Die unfassbar grünen Augen funkeln mich jetzt böse an. Ich kann den Mann verstehen. Erst fahre ich sein Auto zu Schrott und dann verpasse ich ihm eine unschöne Beule, die morgen seine Stirn zieren wird. Dafür wird er sich bestimmt ein paar dumme Sprüche anhören müssen. Vielleicht denken dann alle, dass er sich die beim Sex geholt hat und ein lausiger Lover ist.

„Wem wollen Sie denn noch Blessuren verpassen?“, herrscht er mich an und zieht seine Augenbrauen unheilvoll zusammen. Ganz offensichtlich ist das hier kein gelassener Brite. Er sieht aus wie ein hasserfüllter Deutscher, dem gerade jemand den letzten Schnäppchen-Computer bei Aldi weggeschnappt hat.

„Es tut mir unendlich leid“, setze ich zu einer Entschuldigungsrede an. „Ich habe Sie einfach nicht gesehen. Ich hatte es eilig und als ich die freie Parklücke sah …“

Der Mann winkt ungeduldig ab und sieht noch finsterer aus.

„Möchten Sie meine Daten haben?“, schlage ich verzweifelt vor. „Natürlich kommt meine Versicherung für den Schaden auf.“

Der Mann mit den schönen Augen schnaubt.

„Dafür habe ich keine Zeit. Ich habe einen Termin. Lassen Sie es gut sein.“

Mit diesen Worten dreht er sich um, steigt in seinen Angeber-Schlitten und braust davon. Völlig perplex stehe ich immer noch neben meinem Auto und starre ihm nach.

Ich kenne ihn. Verdammt noch mal, ich kenne ihn. Aber woher?

Doch ich habe keine Zeit, um darüber nachzudenken, denn die Zeit drängt jetzt wirklich. Hastig parke ich endlich ein, greife nach der Aktentasche mit meinen Unterlagen und sprinte auf den Ausgang zu. Natürlich merke ich mir wie immer nicht, wo genau ich geparkt habe. Den Rest des Tages werde ich wahrscheinlich damit verbringen, mein kleines Auto zu suchen.

Mein Herz hämmert, als ich aus dem Parkhaus stürze. Warum nur bin ich eine solche Chaotin? Ich habe oft innovative Ideen für meinen Job, aber im alltäglichen Leben bin ich die Totalversagerin. Ich kann ein bahnbrechendes Konzept für eine Inneneinrichtung entwickeln, aber meinen Schlüssel an eine Stelle zu legen, an der ich ihn auch wieder finde, überfordert mich komplett. Nennt man sowas nicht Fachidiot?

Immerhin finde ich auf Anhieb den Fahrstuhl, der mich in die 13. Etage zu Shepherd & Steelford befördert, dem berühmten Architektenduo. Dabei verfolgen mich immer noch diese irren grünen Augen. Eigentlich schade, dass der Typ nicht meine Kontaktdaten haben wollte, aber das war ihm wohl zu aufwändig. Jemand wie er mit seinem dreitausend Pfund teuren Maßanzug zahlt einen solchen Blechschaden locker aus der Portokasse. Wahrscheinlich hat er sowieso mehrere dieser Angeber-Schlitten und schickt einen seiner Untergebenen schnurstracks zur Werkstatt. Um so etwas Profanes wie eine Blechschaden-Reparatur wird sich Mr Millionaire garantiert nicht selbst kümmern. Da hat er sicher Wichtigeres zu tun.

Vor einer schweren Metalltür mit dem schwarzen Schriftzug Shepherd & Steelford bleibe ich stehen und werfe einen Blick auf meine Uhr. Es ist Punkt 11 und somit bin ich tatsächlich auf die Minute da. Wer hätte das gedacht. Also, ich nicht. Sie auch nicht, oder?

Ich drücke auf die Klingel und atme tief durch. Meine Zukunft verbirgt sich hinter dieser Tür. Hoffentlich kann ich das Architektenduo von mir überzeugen.

Eine freundliche Sekretärin in einem blauen Kostüm, die aussieht wie eine Stewardess, platziert mich an einem riesigen Glastisch mit schweren Metallbeinen. Ich blicke mich um. Der Raum ist sehr groß mit hohen Decken und bodentiefen Fenstern. Auf dem Tisch steht ein Projektor, an der Decke hängt eine riesige Leinwand. In die Wände sind flache Schränke eingelassen. Der Raum wirkt kahl, leer und nüchtern.

Ob Mike Shepherd, der mir als Gesprächspartner avisiert worden ist, auch so nüchtern ist? Was für ein Typ wird er wohl sein? Ich habe keine Ahnung. Er hat neben den üblichen Wohnungs-, Industrie- und Wirtschaftsgebäuden Konzerthäuser entworfen, Museen, Theater, Sakralbauten, Yachthäfen und gilt als Ausnahmetalent. Für ihn zu arbeiten wäre für mich eine absolut geniale Referenz.

Als ich Schritte höre, straffe ich mich unwillkürlich. Ich weiß nicht, wie Mr Shepherd aussieht, denn auf seiner Website ist merkwürdigerweise kein Foto von ihm abgebildet, und im Internet habe ich auch keins gefunden. Offenbar will er ausschließlich durch seine Bauten wirken – oder er ist ein Ausbund an Hässlichkeit und will den Besuchern seiner Website seinen Anblick ersparen. Ich bin jedenfalls sehr gespannt, ob jetzt der Glöckner von Notre Dame durch die Tür schreitet oder ob es nicht ganz so schlimm ist.

Dann prasseln so viele Eindrücke gleichzeitig auf mich nieder, dass ich nicht mehr weiß, was ich zuerst denken soll. Der Mann, der den Raum betritt, ist ER. Der mit den grünen Robbie-Augen, dem ich ins Auto gefahren bin. Der Typ, dessen BMW ich gerammt habe. Der Mann in diesem sündhaft teuren Anzug.

Doch damit nicht genug. Ich weiß jetzt, woher ich diese unfassbar schönen, grünen Augen kenne. Es sind die Augen des Jungen, in den ich vor zwanzig Jahren unsterblich verliebt war, der mich aber keines Blickes gewürdigt hat.

Mike Shepherd. Warum hat es bei mir nicht sofort geklingelt? Er hat seinen deutschen Namen einfach ins Englische übersetzt. Michael Schäfer. Wieso bin ich da nicht gleich drauf gekommen? Ich muss echt Tomaten auf den Augen gehabt haben. Es ist doch total offensichtlich.

Mein Herz droht, mir jeden Moment aus der Brust zu springen. Ich stehe völlig unerwartet meiner Jugendliebe gegenüber; besser gesagt, meinem Jugendschwarm, denn meine Gefühle wurden von ihm in keinster Weise erwidert. Er hat mich damals gar nicht wahrgenommen. Ich war für ihn unsichtbar, komplett Luft.

Am liebsten würde ich mich umdrehen und abhauen. All die schmerzhaften Gefühle kommen wieder an die Oberfläche. Der Schmerz, nicht gut genug zu sein und mit den anderen Mädchen nicht mithalten zu können. Ich weiß es noch wie heute. Ich habe es niemals überwunden.

Zu allem Überfluss war Michael auch noch in meine beste Freundin Babsi verliebt, so dass ich hautnah miterleben durfte, wie er um sie herum scharwenzelte. Eine kurze glückliche Zeitlang bildete ich mir sogar ein, er sei an mir interessiert, weil er immer zu mir herüberschaute. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass er dauernd Babsi anstarrte, die neben mir saß – und keinesfalls mich. Als mir das klar wurde, schrumpelte ich förmlich zusammen, weil ich mich vor mir selbst schämte. Wie hatte ich nur glauben können, ich sei gemeint! Ich war froh, dass ich niemandem davon erzählt hatte. Wie sehr hätte ich mich blamiert!

Natürlich war es Babsi mit dem strahlenden Lachen, den leuchtenden blauen Augen und der perfekten Figur, die Michael begehrte. Nicht mich, das schüchterne Mädchen voller Hemmungen und Komplexe, das sich zu dick fühlte und für seine große Oberweite schämte, die alle Blicke auf sich zog. Meistens trug ich weite Blusen und lief mit einem Buckel herum, um nicht so aufzufallen.

Meine Mutter hielt mir bei jeder Gelegenheit vor, dass meine Brüste zu groß waren und ich sie verstecken müsste.

Damals war mir nicht klar, dass meine Mutter einfach neidisch war, weil ihre Tochter sich allmählich zu einer Frau entwickelte, während sie selbst alterte. Sie impfte mir einen Haufen Minderwertigkeitskomplexe ein, und es dauerte viele Jahre, bis ich diese ablegen konnte. Und ein Rest davon ist immer noch vorhanden. Jetzt, wo ich Michael wiedersehe, sogar mehr als ein Rest. Ich spüre die Verletzungen plötzlich so deutlich, als sei das alles erst gestern gewesen.

Kapitel 2 – Josie

Ich starre ihn an. Er starrt mich an. Erkennt er mich? Aber nein, er hat mich damals gar nicht wahrgenommen, wie sollte er mich da wieder erkennen?

„Na, das ist ja eine Überraschung“, sagt er auf Deutsch und zieht affektiert seine Augenbrauen hoch. Die sehen so perfekt aus, als wären sie gezupft und gefärbt. Sind sie wahrscheinlich auch. Ein Mann wie er achtet ganz sicher auf sein Äußeres.

Er spricht also Deutsch mit mir. Klar, er hat meinen Unterlagen entnommen, dass ich aus Deutschland komme. Er vergräbt seine Hände in den Taschen seines Sakkos und schaut mich unbeteiligt an. Ich kann an seiner Miene nicht ablesen, welchen Gemütszustand mein Anblick bei ihm auslöst. Ich hingegen fange unangenehm an zu schwitzen und hoffe, dass mein neues Deo nicht ausgerechnet heute versagt.

„Dass ich Sie nochmal treffe, hätte ich nicht gedacht. Ich hoffe, Sie zertrümmern nicht auch noch meinen Glastisch.“

„Nein, das … äh … habe ich nicht vor“, stammele ich und spüre, wie mir die Röte ins Gesicht steigt. Charmant ist er nicht gerade, aber er hat natürlich auch keinen Anlass dazu.

„Wenn Sie schon mal hier sind, können Sie mir doch die Daten Ihrer Versicherung bekanntgeben, wie Sie vorhin angeboten hatten.“

In seinem Gesicht ist nicht der Hauch eines Lächelns und auch keine Freundlichkeit. Okay, unsere erste Zusammenkunft war nicht sehr erfreulich, aber ich habe das schließlich nicht mit Absicht gemacht. Und das weiß er ganz genau.

Ich hasse ihn. Dieses arrogante Arschloch. Er hat sich überhaupt nicht verändert. Im Gegenteil. Wahrscheinlich ist er durch den Erfolg erst recht zu einem richtigen Kotzbrocken geworden. Und ich muss zu allem Überfluss auch noch nett zu ihm sein, wenn ich den Auftrag haben will. Das geht mir jetzt aber gewaltig gegen den Strich.

„Wie ich schon sagte: Es tut mir wahnsinnig leid“, knirsche ich mit zusammen gebissenen Zähnen.

„Ich war in Eile, weil ich zu dem Termin mit Ihnen nicht zu spät kommen wollte. Der Termin ist mir sehr wichtig. Und selbstverständlich gebe ich Ihnen die Daten meiner Versicherung.“

Als ob er auf diese lächerlichen paar hundert Pfund angewiesen wäre. Und ich werde dann gleich wieder bei der Versicherung hochgestuft. Aber so sind diese Millionäre ja: immer noch mehr zusammenraffen, damit sie irgendwann der Reichste auf dem Friedhof sind. Ekelhaft.

Er zieht die perfekten Augenbrauen zusammen und mustert mich unheilvoll. Dabei sagt er kein Wort, und ich schwitze noch mehr. Jetzt fühle ich mich exakt so wie damals, wenn er Babsi vollsülzte und ich nur belämmert daneben stand. Mein Gott, ich habe mich gefühlt wie ein Nichts. Warum muss ich das noch einmal erleben?

„Es tut mir wirklich sehr leid“, wiederhole ich mich und schlucke. „Es war keine Absicht.“

Michael blickt mich an, als hätte ich komplett den Verstand verloren. Klar. Warum sollte ich ihn auch absichtlich rammen? Mein eigenes Auto nimmt ja auch Schaden dabei. Was rede ich da eigentlich für einen Blödsinn? Warum bin ich plötzlich wieder das gehemmte Schulmädchen?

Inzwischen bin ich eine mehr oder weniger erfolgreiche Innenarchitektin, und die Sache mit ihm ist ewig her. Aber scheinbar habe ich sie immer noch nicht vergessen.

Nein, das habe ich tatsächlich nicht. Wenn ich gewusst hätte, dass er der Michael Schäfer ist, der mir damals das Herz gebrochen hat, hätte ich ihn nicht nur gerammt, sondern seine verdammte Karre zu Schrott gefahren.

„Davon gehe ich aus“, erwidert Mike Sheperd alias Michael Schäfer und schüttelt unmerklich den Kopf. Er muss mich für völlig bekloppt halten. So jemandem gibt er bestimmt keinen Auftrag. Genauso, wie er mir vor zwanzig Jahren nicht den Hauch einer Chance gegeben hat.

„Warum sollten Sie freiwillig Ihr eigenes Auto demolieren? Das macht wenig Sinn, finden Sie nicht?“

Er geht um den riesigen Tisch herum und bedeutet mir mit einer Handbewegung, Platz zu nehmen. Oh Mann. Er ist ein typisch humorloser Deutscher und nicht im mindesten so nett und zuvorkommend wie die Engländer, von denen er sich mal mehrere Scheiben abschneiden sollte.

„Nein, nicht wirklich“, sage ich blöde und betrachte ihn genauer. Schon als Teenager hat er viel Sport getrieben, aber jetzt ist er noch um einiges muskulöser. Sein Jackett hat er inzwischen ausgezogen und präsentiert mir den absolut perfekten Body, der sich unter seinem leicht durchsichtigen weißen Hemd und der Anzughose abzeichnet. Durchtrainiert, aber nicht zu aufgepumpt, sonnengebräuntes Gesicht, markante Züge, diese grandiosen Augen, kurze, dunkle Haare, Bartschatten. Ein Traum von einem Mann, heute sogar noch viel mehr als früher. Jetzt verstehe ich erst recht nicht, warum es keine Bilder von ihm im Netz gibt.

Kaum habe ich das gedacht, habe ich diese Frage auch schon ausgesprochen. Oh mein Gott, bin ich völlig bescheuert? Jetzt denkt er auch noch, dass ich ihn attraktiv finde. Das stimmt ja auch, aber muss ich ihm das unbedingt sagen?

Michael verzieht sein Gesicht zu einem Lächeln, zum ersten Mal. Okay, bisher hatte er mit mir auch noch nicht viel zu lächeln, ich gebe es ja zu.

„Das hat schon seinen Grund. Ich möchte durch meine Taten wirken, nicht durch mein Aussehen. Ich bin Architekt und kein Model. Die Leute sollen sich meine Projekte anschauen, nicht mich. Mein Aussehen ist bei meinem Job völlig unwichtig. Es tut nichts zur Sache.“

Überrascht starre ich ihn an. Ich bin wirklich baff, denn da habe ich ihn völlig falsch eingeschätzt. Ich dachte, er ist total selbstverliebt und kann sich gar nicht genug bewundern. Und das zu Recht, denn er sieht wirklich hammermäßig aus. Zu meinem Ärger spüre ich, wie sich mein Magen aufgeregt zusammenzieht. Dieses Lächeln hat mich schon damals um den Verstand gebracht. Und das scheint sich nicht geändert zu haben.

Nein, er erkennt mich nicht. Weder vom Aussehen her noch von meinem Namen. Mein Aussehen hat er ganz sicher nicht abgespeichert, denn was gibt es bei einem unscheinbaren, schüchternen Mädchen schon abzuspeichern? Und mein Name hat ihn sicher auch nie interessiert. Abgesehen davon habe ich mich von meinem altmodischen Namen Josephine, den ich schon immer gehasst habe, getrennt und in Josie umbenannt. Und da ich mit Anfang Zwanzig unbedingt einen durchgeknallten, amerikanischen Musiker heiraten musste, heiße ich nicht mehr Stahl, sondern Jackson. Josie Jackson klingt schon besser als Josephine Stahl, finde ich. Seltsam, dass wir beide unsere deutschen Namen angepasst haben.

Michael behält sein faszinierendes Lächeln bei.

„Das ist aber eine ungewöhnliche Einstellung“, finde ich.

„Ich dachte eigentlich, jemand, der so aussieht wie Sie, kann gar nicht genug Bilder von sich auf seiner Website präsentieren.“

Oh, Mann, wann lerne ich endlich, meinen vorlauten Mund zu halten? Muss ich diesem Arschgesicht mit Ohren jetzt auch noch ein fettes Kompliment machen? Das hat er wirklich überhaupt nicht verdient.

„Ich meine, wenn Ihnen Ihr Aussehen egal wäre, würden Sie ja wohl nicht so viel dafür tun, um so gut auszusehen“, mache ich es noch schlimmer.

Michael zieht amüsiert eine Augenbraue nach oben, während ich am liebsten im Boden versinken würde.

„Vielen Dank für Ihr Kompliment, das ich wirklich sehr zu schätzen weiß. Ich habe nicht gesagt, dass mir mein Aussehen egal ist. Aber es hat nichts mit meinem Beruf zu tun. Wenn ich mich im Internet anpreisen wollte, würde ich selbstverständlich Bilder von mir hochladen. Aber als Architekt preise ich nicht mich an, sondern meine Leistung. Das ist ein gravierender Unterschied.“

„Trotzdem ganz schön radikal“, finde ich. „Ein kleines Bild könnte doch nicht schaden.“

„Ich habe meine Gründe.“ Michaels Lächeln gefriert.

Irgendwie habe ich den Eindruck, da steckt mehr dahinter. Aber egal, es geht mich nichts an, und ich werde jetzt endlich mal aufhören, einfach loszuplappern und erst danach darüber nachzudenken, ob ich nicht besser geschwiegen hätte.

Ich atme auf, als Michael seine Mundwinkel wieder nach oben verzieht. Mein Herz flattert. Mein Gott, sieht dieser Mann gut aus! Da kann jedes Model einpacken. Wie kann man nur so schön und gleichzeitig so erfolgreich sein? Das ist wirklich ungerecht.

Michael wurde schon mit dem berühmten goldenen Löffel im Mund geboren. Seine Eltern waren ebenfalls Architekten und ziemlich reich. Jedenfalls schwärmten einige meiner Mitschüler von einem mondänen Haus, das sehr luxuriös und ungewöhnlich eingerichtet war. Michael feierte in einem Partykeller oft wilde Partys, zu denen ich natürlich niemals eingeladen wurde. So blieb mir nur übrig, mit sehnsüchtigem Herzen zuzuhören, wenn die anderen davon erzählten und mir zu wünschen, Michael würde mich endlich einmal beachten. Vergeblich.

„Was meinen Wagen betrifft …“

Er macht eine kunstvolle Pause, und ich verkrampfe mich. Dann winkt er ab.

„Es ist nicht der Rede wert. Ich lasse ihn heute Abend in die Werkstatt fahren, und morgen ist er wieder wie neu. Keine große Sache. Machen Sie sich keine Sorgen.“

„Danke“, bringe ich mühsam hervor und atme auf. Dann werde ich wenigstens nicht bei der Versicherung hochgestuft.

Michael grinst.

„Immerhin waren Sie ja auf dem Weg zu mir und haben sich deshalb so beeilt, da will ich mal Gnade walten lassen.“

Wie außerordentlich großzügig von ihm. Soll ich jetzt auf die Knie fallen?

„Kommen wir zum Grund unseres Termins.“

Mike fixiert mich von oben bis unten, und ich wüsste wirklich gern, was er jetzt über mich denkt. Es heißt doch, in den ersten drei Sekunden würde man intuitiv abchecken, ob man mit seinem Gegenüber ins Bett steigen würde oder nicht. Wie fällt sein Check Up aus?

Ich habe mich heute selbstverständlich nicht aufreizend angezogen, sondern trage eine Jeans, dazu eine weiße Bluse und einen dunkelblauen Blazer. Meine langen Haare habe ich hochgesteckt und mich nur dezent geschminkt. Mittlerweile bin ich mit meinem Aussehen zufrieden, zumal ich weiß, dass sehr viele Männer auf kurvige Frauen stehen. Aber ein durchtrainierter Mann wie Michael steht bestimmt auf eine Sportskanone, das war ja schon früher so.

Warum zum Teufel interessiert mich das überhaupt? Ich soll für ihn arbeiten, nicht mit ihm schlafen. Ich muss die Vergangenheit in den hintersten Winkel meines Gehirns schieben, wenn es mit einer Zusammenarbeit zwischen uns klappen soll.

„Ihre Referenzen für den Bereich, den ich Ihnen gern übertragen würde, sind außerordentlich gut“, wirft mir Michael unvorbereitet ein Kompliment an den Kopf.

„Sie haben den Wellness-Bereich für das Impact Hotel gestaltet, und der hat mir sehr gefallen, vor allem die gläserne Kuppel und die ganze ziemlich ungewöhnliche Aufteilung. Das Hotel, das mir vorschwebt, soll in jeder Hinsicht Aufsehen erregend sein, und das gilt auch für den Spa-Bereich. Ich zeige Ihnen jetzt die Skizzen meines Entwurfs.“

Er faltet einen riesigen Plot auseinander und erklärt mir im Detail, wie er das Hotel bauen will. Dann kommt er zum Spa-Bereich. Der soll eine Grotte beinhalten, mehrere Wasserfälle und eine Unter-Wasser-Bar. Ein Mike Sheperd gibt sich nicht mit Hamam und Himmelbetten zufrieden.

Ich höre ihm zu, und er wird mir immer sympathischer, als er euphorisch von seinen Plänen erzählt. Er scheint total in dem, was er tut, aufzugehen. Seine Augen funkeln, und er macht ausladende Bewegungen mit seinen Armen. Und seine Ideen sind wirklich klasse, da hat er sich echt was einfallen lassen.

Betten, die auf einem Podest stehen und sich drehen oder in die Höhe gefahren werden können, Springbrunnen in den Zimmern, beheizbare Whirlpools, riesige Leinwände, die aus dem Boden empor wachsen, eine gigantische Soundanlage, die so klingen soll, als befände man sich mitten auf einem Konzert, Schränke, die komplett in den Wänden verschwinden und so weiter.

Jedenfalls ist er ganz begeistert und wirkt dadurch extrem anziehend. Menschen, die eine Leidenschaft leben, wirken immer besonders attraktiv. Und Mike ist auch so schon ein echter Hingucker.

Er freut sich ganz offensichtlich darüber, dass er jemandem demonstrieren kann, was er sich in den letzten Wochen ausgedacht hat. Und das ist wirklich verdammt gut. Nicht umsonst ist er einer der begehrtesten Architekten Europas. Er hat es wirklich weit gebracht. Das hätte man damals gar nicht gedacht, denn er hat eigentlich nur das Nötigste für die Schule getan. Viel lieber ist er nachts durch die Clubs gezogen und hat Schlagzeug in einer Rockband gespielt. Ob er das immer noch tut?

Michael war Klassensprecher, später sogar Schulsprecher, Schlagzeuger und der absolute Mädchenschwarm. Ich glaube, außer unserer Streberin Brigitte, die sich nur fürs Lernen interessierte und Heidi, die schon damals wusste, dass sie auf Mädchen stand, waren alle Mädels in ihn verliebt.

Er kam mitten im Schuljahr neu in unsere Klasse, weil er mit seinen Eltern aus Hamburg hergezogen war. Schon als er die Klasse betrat und in den Raum grinste, starrten ihn die Mädchen wie hypnotisiert an. Er hatte einfach etwas total Unwiderstehliches an sich, das ihn wahnsinnig anziehend machte. Ich habe nie herausgefunden, was es eigentlich war, aber ich war von der ersten Minute fasziniert von ihm.

Natürlich hatte ich nicht die geringste Chance. Eigentlich sah ich gar nicht so schlecht aus, doch ich war schüchtern und gehemmt und fühlte mich abgrundtief hässlich. Dass meine beste Freundin Babsi das schönste Mädchen der Klasse war, machte es nicht unbedingt besser, denn neben ihr fühlte ich mich erst recht wie ein hässliches Entlein.

Als Michael anfing, Babsi anzubaggern, tat es höllisch weh. Da Babsi und ich unzertrennlich waren, bekam ich hautnah mit, wie er sie in der Pause ansprach, sich mit ihr verabredete, um sie warb. Das war hart. Ich war immer dabei, wenn er mit ihr sprach, doch für ihn war ich Luft. Und als er mich tatsächlich einmal ansprach und ich fast in Ohnmacht fiel, tat er das nur, weil er wissen wollte, wann Babsi Geburtstag hatte. Ich war so enttäuscht, dass ich Mühe hatte, nicht auf der Stelle in Tränen auszubrechen.

Zum Glück war Babsi nicht sonderlich an Michael interessiert, weil sie bereits einen festen Freund hatte. Ich glaube, wenn sie tatsächlich mit Micheal gegangen wäre, hätte das unsere Freundschaft extrem belastet oder sogar zerstört. Ich hätte es nicht ertragen, wenn sie das gehabt hätte, wonach ich mich so sehr sehnte. Tag und Nacht träumte ich davon, wie es wäre, Michaels Freundin zu sein, doch dieser Traum erfüllte sich nie. Michael zeigte keinerlei Interesse an mir, und ich war viel zu gehemmt, um auf ihn zuzugehen. Es hätte sowieso nichts gebracht. Er spielte einfach in einer ganz anderen Liga als ich.

Drei Jahre war ich in ihn verliebt, dann trennten sich nach dem Abitur unsere Wege und ich sah ihn nie wieder. Bis heute. Was für eine Ironie des Schicksals!

„Sie sind also Deutsche“, schreckt Michael mich aus meinen Gedanken auf, die komplett in die Vergangenheit abgedriftet sind.

„Gut erkannt“, lobe ich ihn. „Sonst würden wir uns wohl kaum schon die ganze Zeit auf Deutsch unterhalten.“

Jetzt lacht er schallend, und ich muss höllisch aufpassen. Er hat immer noch dieses spitzbübische Grinsen im Gesicht, das mich damals völlig weggeblasen hat. Verdammt, sieht der Mann gut aus, wenn er lacht. Viel zu gut.

„Das habe ich natürlich Ihren Bewerbungsunterlagen entnommen“, teilt mir der pfiffige Mike mit und betrachtet mich interessiert.

„Und das lustige ist, dass wir beide aus Westfalen kommen. Aus welcher Stadt stammen Sie?“

In meinen Unterlagen habe ich nicht angegeben, wo genau ich gelebt habe. Dieses piefige Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, kennt sowieso niemand.

„Lippstadt“, lüge ich. „Und Sie?“

„Störmede“, antwortet er. „Na, das ist ja nicht weit voneinander entfernt. Vielleicht sind wir uns sogar früher mal begegnet.“

Ja, mein Lieber, öfter als du denkst. Aber es waren für mich keine sonderlich erfreulichen Begegnungen.

„Das halte ich eher für unwahrscheinlich“, lüge ich frech. „Daran würde ich mich bestimmt erinnern.“

Dieser Arsch schweigt jetzt natürlich und sagt nicht, dass er sich auch an mich erinnern würde. Wahrscheinlich hat er mich schon vergessen, wenn ich aus der Tür gegangen bin. Sicher ist er mit einem dieser Models liiert, das so mager ist, dass es in der Dusche von einem Wasserstrahl zum anderen springen muss, um überhaupt nass zu werden. Männer wie Mike-Michael stehen ganz sicher nicht auf stämmige Frauen wie mich. Nicht umsonst war er in die Sportskanone Babsi verliebt.

Oh Mann, ich weiß gar nicht, ob ich den Auftrag überhaupt noch haben will. Wiederholt sich damit nicht das Trauma aus meiner Jugend? Ich bin ja jetzt schon verletzt, dass er mich nicht erkennt, so albern das auch ist. Ich sollte vielleicht wirklich mal zum Psychiater gehen.

„Und dann hat Sie der Wettbewerb für das Impact Hotel nach London geholt.“ Mike mustert mich interessiert und greift nach seinem Mineralwasser.

„Fühlen Sie sich wohl in London?“

„Ja, sonst wäre ich nicht hier geblieben. Und Sie? Was hat Sie nach London verschlagen?“

Mike holt tief Luft und nimmt erst einen Schluck, bevor er antwortet.

„Private Gründe. Ich war mit einer Engländerin liiert. Die Beziehung ging auseinander, aber ich bin trotzdem geblieben. Ich mag London. Es ist pulsierend, aufregend, inspirierend. Und ich mag die Mentalität der Briten.“

„Ich auch“, pflichte ich ihm bei. „Sie sind nicht so stur wie die Deutschen und viel besser gelaunt.“

Mike lacht und sieht dabei wieder hinreißend aus. Selbst, wenn er nicht der Michael aus meiner Jugendzeit wäre, würde ich ihn jetzt wahnsinnig attraktiv finden. Ganz einfach, weil er es nun mal ist. Ich habe selten einen so faszinierenden Mann gesehen.

„Ja, das stimmt. Ich komme bestens mit ihnen klar. Es zieht mich auch nichts zurück in meine sogenannte Heimat. Ich bin maximal einmal im Jahr dort. Und Sie?“

„Das geht mir ähnlich. Es ist mir alles zu spießig dort. Ich vermisse wirklich nichts.“

„Da sind wir uns ja einig.“

Überraschend legt Mike seine Hand auf meine Schulter, und ich zucke unwillkürlich zusammen. An der Stelle, wo seine Hand liegt, wird es plötzlich ganz warm. Er ist mir auf einmal so nah, und ich kann den Duft seines Rasierwassers riechen, der zu allem Überfluss total betörend und verführerisch ist.

„Zwei sture Westfalen in London, die sich zufällig auf einer beruflichen Ebene treffen“, fasst Mike zusammen. „Irgendwie witzig, oder?“

Ja, wahnsinnig witzig. Ich könnte mich totlachen. Im Moment kann ich allerdings kaum atmen, weil mich seine körperliche Nähe total umhaut.

Oh Mann. Ich sollte auf den Auftrag verzichten, falls Mike ihn mir überhaupt erteilen will. Intuitiv spüre ich, dass es nur Komplikationen geben würde.

Aber etwas in mir weiß ganz genau, dass ich diesen Auftrag niemals ablehnen würde. Egal, welche Komplikationen auch auftreten werden.

Und außerdem hätten Sie dann nichts weiter zu lesen. Wäre doch schade, oder?

Kapitel 3 – Mike

Sharon ist wirklich sehr resistent gegenüber all meinen Beteuerungen, dass aus uns niemals ein Paar werden wird. Sie ignoriert es einfach.

Als ich sie vor ein paar Monaten nach einer Party mit zu mir nach Hause genommen habe, sollte es nur eine einmalige Sache werden. Ich habe sie kräftig durchgevögelt, und sie hat es nach einer längeren Durststrecke sehr genossen, mal wieder so richtig hart rangenommen zu werden. Da wir im Bett sehr kompatibel waren, ist es nicht bei dem einen Mal geblieben. Wir treffen uns ein bis zweimal in der Woche und haben Spaß miteinander.

Das ist es von meiner Seite aber auch. Ich finde Sharon mit ihren langen blonden Haaren und den üppigen Kurven äußerst attraktiv, aber das allein reicht bei mir nicht, um mich zu einer Beziehung zu bewegen. Dazu gehört mehr, viel mehr.

Leider können das die meisten Frauen nicht trennen. Sie glauben, wenn der Sex gut ist, lassen sich die Männer irgendwann zu einer Beziehung überreden. Da liegen sie allerdings völlig falsch.

Jannis, ein guter Freund von mir, pflegt seit acht Jahren eine rein sexuelle Beziehung mit einer Frau und würde sich niemals auf mehr einlassen. Er genießt den Sex mit ihr über alle Maßen, ist aber gefühlsmäßig null involviert. Da seine Geliebte verheiratet ist, macht ihr das allerdings auch nichts aus. Sie bekommt von ihm das, was sie von ihrem Ehemann schon lange nicht mehr bekommt. Mehr will sie gar nicht. So sind beide glücklich, und die jahrelange Affäre funktioniert bestens.

---ENDE DER LESEPROBE---