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Ariel Spencer ist flippig, kreativ … und absolut pleite. Um ihre Studiengebühren an der Kunsthochschule bezahlen zu können, braucht sie dringend einen Aushilfsjob. Da kommt die Ausschreibung des »Wonderland«, einer kleinen Buchhandlung im Herzen Londons, genau richtig. Wäre da nicht Trey Anderson, der allseits beliebte und gut aussehende Sohn der Besitzerin, der ständig seinen Frust an Ariel auszulassen scheint. Doch dann erfährt Ariel den Grund für sein Verhalten: Das »Wonderland« steht kurz vor der Schließung. Gemeinsam schmieden die beiden einen Plan, um die Buchhandlung zu retten – und das bis Heiligabend. Love in Winter Wonderland ist die perfekte Cosy-Christmas-Romance für kalte Adventstage vorm Kamin. Eine kuschelige Decke, ein warmer Kakao und eine wunderschöne Liebesgeschichte im vorweihnachtlichen London.
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Seitenzahl: 423
Veröffentlichungsjahr: 2023
Abiola Bello
Ein Weihnachtswunder für die »Wonderland«-Buchhandlung
Ariel Spencer ist flippig, kreativ … und absolut pleite. Um ihre Studiengebühren an der Kunsthochschule bezahlen zu können, braucht sie dringend einen Aushilfsjob. Da kommt die Ausschreibung des Wonderland, einer kleinen Buchhandlung im Herzen Londons, genau richtig. Wäre da nicht Trey Anderson, der allseits beliebte und gut aussehende Sohn der Besitzerin, der ständig seinen Frust an Ariel auszulassen scheint.
Doch dann erfährt Ariel den Grund für sein Verhalten: Das Wonderland steht kurz vor der Schließung. Gemeinsam schmieden die beiden einen Plan, um die Buchhandlung zu retten – und das bis Heiligabend.
»Großartiger Schreibstil, witzige Dialoge, ein magischer Schauplatz und zwei Protagonist*innen, in die man sich Hals über Kopf verlieben wird.« Jennifer Niven, Autorin von Stell dir vor, dass ich dich liebe
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Abiola Bello, geboren und aufgewachsen in London, ist eine nigerianisch-britische Autorin. Sie setzt sich für Diversität in Kinder- und Jugendbüchern ein und erhielt 2018 den Trailblazer Award der Londoner Buchmesse. Love in Winter Wonderland ist ihr erstes Jugendbuch.
Für meinen Dad, [...]
1 Treys Playlist: »Let it Snow« von Boyz II Men
2 Ariels Playlist: »Santa Baby« von Eartha Kitt
3 Treys Playlist: »This Christmas« von Mustard ft. Ella Mai
4 Ariels Playlist: »Every Year, Every Christmas« von Luther Vandross
5 Treys Playlist: »Someday at Christmas« von Mario
6 Ariels Playlist: »Silent Night« von The Temptations
7 Treys Playlist: »Rudolph the Red-Nosed Reindeer« von DMX
8 Ariels Playlist: »A Child Is Born« von Rihanna
9 Treys Playlist: »Loneliest Time of Year« von Mabel
10 Ariels Playlist: »My Gift to You« von Alexander O’Neal
11 Treys Playlist: »The Little Drummer Boy« von The Jackson 5
12 Ariels Playlist: »Christmas Time to Me« von Jordin Sparks
13 Treys Playlist: »I Still Have You« von Charlie Wilson
14 Ariels Playlist: »Christmas Love« von Ashanti
15 Treys Playlist: »Santa Claus Goes Straight to the Ghetto« von Snoop Dogg ft. Nate Dogg, Daz Dillinger, Tray Deee und Bad Azz
16 Ariels Playlist: »Christmas (Baby, Please Come Home)« von Jennifer Hudson
17 Treys Playlist: »Wonderful Christmas Time« von Kelly Rowland
18 Ariels Playlist: »O Holy Night« von Mariah Carey
19 Treys Playlist: »Christmas in Hollis« von Run-D.M.C.
20 Ariels Playlist: »Sleigh Ride« von TLC
21 Treys Playlist: »What You Want for Christmas« von Quad City DJ’s, The 69 Boyz and K-Nock
22 Ariels Playlist: »Oh Santa!« von Mariah Carey
23 Treys Playlist: »The Mistletoe and Me« von Isaac Hayes
24 Ariels Playlist: »Hallelujah« von Fantasia
25 Treys Playlist: »3 Kings« von Yo Gotti, Fabolous und DJ Khaled
26 Ariels Playlist: »Rain & Snow« von B2K
27 Treys Playlist: »12 Days of Christmas« von Gucci Mane
28 Ariels Playlist: »Just Ain’t Christmas« von Ne-Yo
29 Treys Playlist: »Ghetto Christmas« von Love Renaissance (LVRN), 6LACK und Summer Walker
30 Ariels Playlist: »The Christmas Song« von Gregory Porter
31 Treys Playlist: »You’re Mine« von Jeremih
32 Ariels Playlist: »Comin’ for X-Mas?« von Usher
33 Treys Playlist: »Come December« von Jordan Fisher
34 Ariels Playlist: »Merry Christmas, Darling« von Timi Dakolo und Emeli Sandé
35 Treys Playlist: »Christmas With You« von Ceraadi
36 Ariels Playlist: »Santa Baby« von Rev Run feat. Puff Daddy, Mase, Salt-N-Pepa, Snoop Dogg, Keith Murray und Onyx
37 Treys Playlist: »Holiday Celebrate« von Toni Braxton
38 Ariels Playlist: »Cold December Nights« von Boyz II Men
39 Treys Playlist: »Christmas Love« von Victory
40 Ariels Playlist: »Is It Morning Yet?« von James Fauntleroy
41 Treys Playlist: »O Come, All Ye Faithful« von Kirk Franklin und The Family
42 Ariels Playlist: »Eyes for You« von Justine Skye
43 Treys Playlist: »Merry Christmas, Baby« von Otis Redding
44 Ariels Playlist: »Do You Hear What I Hear?« von Destiny’s Child
45 Treys Playlist: »Give Love on Christmas Day« von SWV
46 Ariels Playlist: »What Christmas Means To Me« von Stevie Wonder
47 Treys Playlist: »Another Lonely Christmas« von Prince
48 Ariels Playlist: »8 Days of Christmas« von Destiny’s Child
49 Treys Playlist: »The First Noël« von Whitney Houston
50 Ariels Playlist: »Soulful Christmas« von Faith Evans
51 Treys Playlist: »K for Christmas« von Lil Mosey
52 Ariels Playlist: »In Love at Christmas« von K-Ci und JoJo
53 Treys Playlist: »Coming Home for Christmas« von Luke
54 Ariels Playlist: »Little Drummer Girl Remixed« von Alicia Keys
55 Treys Playlist: »My Christmas« von Tony! Toni! Toné!
56 Ariels Playlist: »All I Want for Christmas« von TLC
57 Treys Playlist: »Sleigh« von Smino, mit Monte Booker und Masego
58 Ariels Playlist: »What Do the Lonely Do at Christmas?« von The Emotions
59 Treys Playlist: »Christmas Without You« von Xscape
60 Ariels Playlist: »Little Drummer Boy« von Lauryn Hill
61 Treys Playlist: »Kiss Me, It’s Christmas«, von Leona Lewis und Ne-Yo
62 Ariels Playlist: »Christmas in the City« von Mary J. Blige und Angie Martinez
63 Treys Playlist: »Sweet Little Jesus Boy« von Tyrese
64 Ariels Playlist: »Little Christmas Tree« von Michael Jackson
65 Treys Playlist: »All I Want for Christmas Is You« von Mariah Carey
66 Ariels Playlist: »Winter Wonderland/Here Comes Santa Claus« von Snoop Dogg und Anna Kendrick
Danksagung
Für meinen Dad, du bist mit Abstand eines der größten Geschenke, das ich jemals hatte x
Siebzehn Tage bis Weihnachten
Ich bin kurz davor auszurasten.
»Aber ich dachte, es hieß zwei für eins? Das Angebot hing im Schaufenster der Buchhandlung gleich die Straße runter«, erklärt die weiße Frau mit den blonden Strähnchen.
Sie meint Books! Books! Books!. Mir liegt auf der Zunge, sie darauf hinzuweisen, dass wir offensichtlich eine andere Buchhandlung sind, doch stattdessen setze ich mein strahlendstes Zahnpastalächeln auf. Die Augen ihrer Tochter, die neben ihr steht, leuchten gespannt auf.
»Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich mag Schnäppchen genauso sehr wie jeder andere auch, aber wir sind ein unabhängiger Laden.« Dabei betone ich unabhängig ganz besonders. »Sie helfen also unserem Viertel, wenn Sie im Wonderland einkaufen. Außerdem sind wir eine Schwarze familiengeführte Buchhandlung.«
Jetzt scheint der Frau die Situation unangenehm zu sein. Sie wechselt einen Blick mit ihrer Tochter, die schmollend sagt: »Mom, was soll’s. Bezahl einfach.« Die Frau sieht aus, als ringe sie um eine Entscheidung. Ich wette, sie denkt jetzt, ich würde sie für rassistisch halten, wenn sie die Buchhandlung nicht unterstützt. In Wahrheit halte ich sie nur für geizig.
»Hören Sie, ich lege auch noch ein paar Lesezeichen dazu.« Ich hole zwei hinter dem Tresen hervor und reiche sie ihr. Auf einem steht Indie Bookshops Rule! und auf dem anderen Black Lives Matter. Was für eine subtile Familie wir doch sind.
Die Augen der Frau weiten sich, als sie die Worte liest, dann zieht sie ihre Kreditkarte aus dem Portemonnaie. Ich muss mich echt zusammenreißen, nicht vor Freude die Arme in die Luft zu reißen. Mit diesen Einnahmen haben wir unser Umsatzziel für heute erreicht, und Mum hat zugestimmt, dass ich in diesem Fall früher Schluss machen kann, um auf Bebes Weihnachtsparty zu gehen. Bebe Richards ist ein Mädchen aus meiner Clique an der Schule, und sie weiß, wie man Partys schmeißt. Keine Ahnung, wieso sie uns alle ausgerechnet an einem Mittwoch und mehr als zwei Wochen vor Weihnachten eingeladen hat, aber eigentlich ist mir das auch egal. Alles, was nicht mit dem Buchladen oder mit Lernen zu tun hat, klingt gut.
»Danke für Ihren Einkauf im Wonderland«, sage ich, während ich der Frau mit einem Grinsen die Bücher hinhalte. »Frohe Weihnachten.«
»Ihnen auch.« Sie lächelt zurück, aber es wirkt gezwungen. Ihre Tochter dagegen zwinkert mir zu, bevor sie gehen. Lächelnd schüttle ich den Kopf.
»Flirtest du schon wieder mit den Kundinnen?« Dad kommt zur Kasse, öffnet sie, starrt auf das Geld und reibt sich über den Nacken.
»Wir sind am Ziel. Slam Dunk!« Ich hebe die Arme und tue so, als würde ich wie Kobe einen Ball im Korb versenken.
»Aber war im letzten Jahr um diese Zeit nicht mehr los?« Dad sieht sich im Laden um, und ich folge seinem Blick.
Er hat recht. Es ist ziemlich ruhig, aber ich bin sicher, das ändert sich noch, je näher Weihnachten rückt. Dad ist seit der Eröffnung von Books! Books! Books! ein wenig paranoid. Er glaubt, sie nehmen uns die Kundschaft weg, was er mir nach jeder Schicht erzählt. Aber wir schlagen uns ganz gut, und ich bin mir sicher, dass meine geniale Playlist ihren Teil dazu beiträgt: The Best Christmas Songs by Black Artists – mit »8 Days of Christmas« von Destiny’s Child, »This Christmas« von Chris Brown … und was wäre Weihnachten ohne Mariah?
»Entspann dich, Dad.« Ich lege einen Arm um ihn. Mit meinen ein Meter fünfundachtzig sind wir etwa gleich groß, und mit den weit auseinanderstehenden Augen, der breiten Nase, dem markanten Kinn und der schlanken Statur sehe ich aus wie er vor dreißig Jahren.
Dad schnaubt nur.
»Ich muss bald los, aber ich könnte vorher noch schnell aufräumen und ein paar Kundengespräche führen.«
Dad schließt die Kasse und zeigt nach vorn. »Wenn diese Kids nichts kaufen, sag ihnen, sie sollen verschwinden. Wie oft muss ich dich noch daran erinnern, Trey? Wir sind keine Bibliothek. Eines Tages wird die Buchhandlung dir gehören, dann nutzt es dir nichts, wenn die Leute hier nur herumlungern.«
Ich will die Buchhandlung nicht, würde ich am liebsten erwidern, aber ich schlucke es – wie immer – herunter. Wonderland wurde von meinem Uropa eröffnet und ist seitdem in Familienbesitz. Es ist die erste und einzige unabhängige Schwarze Buchhandlung auf der Stoke Newington High Street. Dad ist hier aufgewachsen und schon als Kind wollte er nichts anderes, als den Laden zu übernehmen und sein eigener Chef zu sein. Ich hingegen möchte lieber Sänger werden und in ausverkauften Stadien auftreten, aber da gibt es zwei Probleme: Erstens gehen meine Eltern davon aus, Wonderland sei meine Zukunft, und ich möchte sie nicht enttäuschen. Auch wenn ich insgeheim bete, dass mein kleiner Bruder Reon sich irgendwann dazu entschließt, den Laden zu leiten. Zweitens habe ich total Angst, vor großem Publikum zu singen. Schon bei wenigen Leuten werde ich nervös. Nur wenn ich die Augen schließe oder mir vorher Mut angetrunken habe, kann ich mühelos singen. Deshalb ist einer meiner Neujahrsvorsätze an Gesangswettbewerben teilzunehmen. Ich will endlich meine Angst überwinden und herausfinden, wie weit ich mit dem Singen komme – auch wenn ich weiß, wie hart es ist, in der Musikbranche Fuß zu fassen.
Die lungernden Kids sind inzwischen weg, aber sie haben achtlos einige Bücher am Boden liegen lassen – kein Wunder, dass Dad sie aus dem Laden haben wollte. Ich stelle die Bücher in die Regale zurück und spreche ein paar Kunden an, um sicherzugehen, dass sie allein zurechtkommen, bevor ich eine Runde durch den Rest des Ladens drehe. Dabei singe ich leise den Song »Let it Snow« mit, der gerade im Hintergrund zu hören ist.
»Uuh, sing weiter, DeVante«, ruft Boogs mir zu, der in diesem Moment den Laden betritt.
Ich lache. »Falsche Band, du Genie.«
»Echt?« Boogs runzelt die Stirn. »Ist das nicht Jodeci?«
»Boyz II Men.« Wir klatschen uns ab, dann umarme ich das zierliche Mädchen in dem bunten Patchwork-Mantel neben ihm. »Hey, Santi.«
Santi wirft ihre langen Twist-Braids über die Schulter und hebt die Augenbrauen. »DeVante?«
»Als ob du es besser wüsstest«, sagt Boogs. »Du ziehst dir ja nur Coldplay rein.«
Sofort geht es zwischen Boogs und Santi hin und her, während ich nur den Kopf schüttle. Boogs – sein richtiger Name ist Dre Deton – ist mein bester Freund. Er ist vor gut einem Jahr nach Stoke Newington gezogen. Es ging das Gerücht um, dass er in seinem alten Viertel Mitglied einer Gang gewesen sei. Und obwohl es der Wahrheit entspricht, haben wir uns auf Anhieb gut verstanden. Er hat ziemlich helle Haut und helle Augen, und mit seinem hübschen Gesicht und den heißen Dancemoves war er schon immer ein echter Herzensbrecher (daher auch der Spitzname Boogs, kurz für Boogie) – bis er Santi Bailey begegnet ist. Genau genommen habe ich die beiden verkuppelt, weil ich mit Santis Zwillingsschwester Blair zusammen bin. Eineiige Zwillinge mit zweieiigen Persönlichkeiten. Santi trägt Klamotten, als wäre sie in ihrem letzten Leben Hippie gewesen, und fragt mich ständig nach Buchempfehlungen. Blair könnte dagegen als wandelnde Werbung für PrettyLittleThing durchgehen, und die paar Mal, die wir über Bücher gesprochen haben, kann ich an einer Hand abzählen. Theoretisch würde Santi besser zu mir passen, aber irgendwie stimmt es zwischen Blair und mir. Ich schätze mal, Gegensätze ziehen sich tatsächlich an.
»Habt ihr den neuen Roman von Estee Mase?«, wendet sich Santi jetzt an mich.
»Ja, liegt an der Kasse.«
Während sie davongeht, flüstert Boogs mir zu: »Sie soll das Buch bloß nicht kaufen. Ich hab’s schon für sie besorgt.«
Meine Augen werden schmal. »Echt? Warte … Wo denn? Ich hab dich in letzter Zeit nicht bei uns im Laden gesehen.«
Boogs reibt sich das Gesicht. »Werd jetzt nicht sauer, ich hab’s bei Books! Books! Books! gekauft.«
»Du hast was?« Ich starre ihn fassungslos an.
»Ich weiß, aber bei euch war es gerade ausverkauft …«, sagt Boogs kleinlaut.
»Nicht cool, Mann. Es trifft deine eigenen Leute.« Ich schüttle den Kopf.
»Mein Fehler, Bro, sorry. Und was hast du für Blair?«
Ich runzle die Stirn. »Wieso?«
Boogs guckt mich an, als wäre mir ein zweiter Kopf gewachsen. »Die Zwillinge haben morgen Geburtstag.«
Was? Nein, das kann nicht stimmen. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und sehe im Kalender nach. Shit! Heute ist der achte Dezember.
Boogs stößt einen Pfiff aus. »Sie wird dich killen.«
Und damit hat er recht. Ich kann ihr kein Buch kaufen, weil sie erstens nicht liest und zweitens denken wird, dass ich es nicht bezahlen musste. Die High Street ist wegen Weihnachten total überfüllt, und kein anständiges Geschenk, das ich mir online leisten könnte, würde noch rechtzeitig ankommen.
»Was schenkst du Santi?«, frage ich und hoffe entgegen aller Wahrscheinlichkeit, dass Boogs sich nur halbherzig ins Zeug gelegt hat.
»Na dieses Buch von Estee und ein Wellness-Geschenkset, das ich auf Etsy gefunden habe. Sie ist ja mit Geschenken nicht so pingelig – anders als deine Freundin.«
Ich stöhne auf. Wie konnte das nur passieren? Erst letzte Woche habe ich mit Blair über ihren Geburtstag gesprochen, aber es durch die vielen Überstunden im Laden und die ganzen Vorbereitungen für den Sonderbuchverkauf wieder völlig vergessen. Sie wird total sauer sein, wenn Santi ein besseres Geschenk bekommt als sie. Blair ist der Meinung, dass wir den Standard setzen sollten, weil wir zuerst zusammengekommen sind. Für mich ergibt das keinen Sinn, aber Blair erwartet deshalb von mir, dass ich jedes Mal eins draufsetze, wenn sich Boogs irgendwas Romantisches für Santi ausdenkt.
»Ich lass mir was einfallen«, murmle ich. »Wenigstens kommt sie heute Abend nicht zur Party und kann mich nicht ausquetschen.«
»Hat Blair dir nichts gesagt?«, will Boogs wissen. »Santi meinte, dass sie es sich anders überlegt hat und doch kommt.«
Bevor ich etwas erwidern kann, ist Santi zurück, das Buch von Estee Mase in der Hand. Boogs und ich wechseln einen Blick, der Santi nicht entgeht.
»Und was schenkst du Blair?«, fragt sie.
Ich lächle. »Das ist eine Überraschung.«
»Der Code für: Er hat es vergessen«, flüstert Boogs.
Ich funkle ihn wütend an. Bro-Kodex!
»Trey!«, sagt Santi. »Schäm dich!«
»Boogs hat das Buch bei Books! Books! Books! gekauft«, platzt es mir heraus, und Boogs schnappt nach Luft.
Santi stemmt die Hände in die Hüfte. »Das glaub ich ja wohl nicht!«
Da entdecke ich meine Mum, die das Büro betritt, und folge ihr rasch. Ein Grinsen schleicht sich in mein Gesicht, als ich höre, wie Santi Boogs zur Schnecke macht. Sie findet es wichtig, unabhängige Läden zu unterstützen, und Boogs verdient eine Abreibung für seine Treulosigkeit.
Mum blickt erschrocken auf, als ich an der Tür auftauche, und verdeckt rasch den Brief, den sie gerade liest. Ihr schwarzes schulterlanges Haar, das normalerweise tadellos frisiert ist, hat sie heute nur zu einem losen Pferdeschwanz gebunden.
»Trey, Schatz, du hast mich erschreckt.« Sie nimmt ihre Brille ab und reibt sich die Augen.
Ich glaube, sie schläft in letzter Zeit nicht besonders gut. Hin und wieder höre ich sie noch spät nachts leise mit Dad reden, aber jedes Mal, wenn ich sie darauf anspreche, wiegelt sie ab. Ich recke den Hals, um einen Blick auf das Logo des Briefes in ihrer Hand zu werfen.
»Wer steckt hinter Raymond & Raymond?«, frage ich.
Mum folgt meinem Blick und faltet den Brief zusammen. »Nicht der Rede wert.«
»Komm schon, Mum.« Ich setze mich ihr gegenüber. »Du kannst mir sagen, wenn etwas nicht stimmt.«
Sie betrachtet den Brief, ohne etwas zu erwidern. Am liebsten würde ich ihn ihr aus der Hand reißen, um ihn selbst zu lesen, aber ich hänge zu sehr an meinem Leben. Also warte ich ab.
Schließlich schaut Mum auf und seufzt. »Raymond & Raymond sind Immobilienmakler.«
Ich runzle die Stirn. »Immobilienmakler? Ich verstehe nicht.«
»Die Buchhandlung läuft nicht besonders gut, Trey. Wir erreichen nicht mehr die Zahlen wie früher, und wir sind einen Monat mit der Hypothek und den Lieferantenrechnungen im Rückstand.« Sie legt eine Hand an ihre Stirn. »Die Kunden geben nicht mehr genug aus, und Raymond & Raymond haben angeboten, Wonderland zu kaufen, bevor wir völlig pleite sind.«
Mit der Hypothek im Rückstand? Ich meine, ich weiß, dass der Laden im Moment etwas schleppend läuft, aber ich hatte keine Ahnung, dass es so schlimm ist.
»Was sagt Dad dazu?« Sorge schleicht sich in meine Stimme.
»Er will es nicht hören.« Mum schnaubt. »Aber wenn wir bis Weihnachten das Ruder nicht herumreißen, bleibt uns wohl kaum etwas anderes übrig, als an Raymond & Raymond zu verkaufen. Zumindest bekommen wir dann noch etwas Geld für die Ladenfläche.«
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wonderland verkaufen? Wie konnten wir nur in diesen Schlamassel geraten? Seit Monaten redet Dad davon, dass im Laden zu wenig los ist, und ich habe es nicht ernst genommen, wenn es hieß, ich sollte mich ins Zeug legen und versuchen, mehr Umsatz zu machen. Was sollen wir ohne die Buchhandlung machen? Sie ist unsere Lebensgrundlage, unser Erbe. Ich möchte Wonderland nicht übernehmen, aber ein Leben ohne den Laden kann ich mir auch nicht vorstellen. Und womit würden meine Eltern dann ihr Geld verdienen? Mum könnte vielleicht wieder in der Krankenpflege arbeiten, aber was ist mit Dad? Er kennt nichts anderes als Wonderland.
Mum greift nach meiner Hand. »Ich möchte nicht, dass du dir deswegen Stress machst, Schatz. Ich bin sicher, wir finden einen Weg, um wieder auf die Beine zu kommen.«
Ich würde ihr gern glauben, aber sie klingt nicht sehr zuversichtlich.
»Sag mal, wolltest du heute nicht zu einer Party?«
Ich ignoriere ihre Frage. »Ich kann bleiben und weiter im Verkauf helfen.«
Mum steht auf und streckt mir die Arme entgegen. Ich folge ihrer Aufforderung, und obwohl sie so zierlich gebaut ist, fühle ich mich in ihrer Umarmung wie ein kleiner Junge. Ich wollte wissen, was mit Wonderland los ist, doch jetzt wünschte ich, ich hätte nicht gefragt. Allein die Vorstellung, den Laden zu verlieren, dreht mir den Magen um.
Mum löst sich von mir und schaut mich an. »Es ist bald Weihnachten. Geh und hab Spaß mit deinen Freunden, okay?«
Sie tätschelt meinen Arm, und ich nicke, dabei ist mir die Partylaune längst vergangen.
Als wir vor Bebes Tür halten, starre ich fassungslos aus dem Autofenster. Das Haus hat drei Etagen und ist von oben bis unten mit Lichterketten bedeckt wie in einer Filmszene oder einem Instagram-Post der Kardashians. Ich war noch nie auf einer von Bebes Partys, aber ich weiß, dass sie legendär sind. Allein die Bilder auf Social Media reichen aus, dass sich alle, die nicht eingeladen sind, als Loser fühlen. Auch ich bin normalerweise nicht eingeladen. Doch diesmal hat meine beste Freundin Annika – die Bebes Cousine ist – dafür gesorgt, dass Jolie und ich auf der Gästeliste stehen.
Annika beugt sich zu mir herüber. Dabei fallen ihr die künstlich verlängerten schwarzen Haare in Wellen über den Rücken. »Ich hab’s dir doch gesagt: Dieser Teil meiner Familie ist stinkreich und neigt zu Übertreibungen.«
Der Taxifahrer klopft ungeduldig auf das Lenkrad und wartet, dass wir endlich aussteigen.
»Ich verstehe trotzdem nicht, wieso die Party unbedingt an einem Mittwoch stattfinden muss«, sage ich. Morgen habe ich gleich in der ersten Stunde Unterricht und deshalb beschlossen, nicht allzu lange zu bleiben.
Annika lacht. »Santi und Blair haben morgen Geburtstag und alle gebeten, sich Freitag und Samstag freizuhalten. Nicht mal Bebe traut sich, Blairs Zorn auf sich zu ziehen.«
Das würde wohl niemand freiwillig tun.
»Sitzt mein Make-up?«, fragt Jolie.
Ich kneife die Augen zusammen, weil es im Taxi ziemlich dunkel ist, aber für mich sieht sie gut aus.
»Perfekt«, antworte ich mit einem Lächeln.
»Okay, bereit, ihr Süßen?«, fragt Annika.
Ich bin nicht bereit. Das ist überhaupt nicht meine Welt. Am liebsten wäre ich jetzt zu Hause, dann würde ich malen oder mich auf mein Bett kuscheln und mir meinen Stapel ungelesener Bücher vornehmen. Aber das ist mein letztes Schuljahr, und ich habe mir vorgenommen, mehr unter Leute zu gehen. Schließlich möchte ich nicht irgendwann zurückblicken und etwas bedauern. Gedankenverloren sehe ich auf meine Hände und bemerke ein paar rote Farbkleckse, die von der Arbeit an meinem neuen Bild zurückgeblieben sind. Ich kratze daran herum, bis winzige Farbstückchen in meinen Schoß segeln.
Nachdem ich aus dem Taxi gestiegen bin, ziehe ich meinen kurzen Rock zurecht. Vor dem Sommer hätte ich da nicht mal reingepasst, und ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt, so freizügige Klamotten zu tragen. Annika und Jolie folgen mir in ähnlich knappen Outfits. Jolie rubbelt durch ihren braunen Pixie Cut, damit die Haare noch mehr abstehen und ihrer winzigen Statur etwas Größe verleihen.
»Ich glaube, mir wird schlecht«, flüstert sie und wirkt dabei noch blasser als sonst.
Ich fühle mich auch nicht besonders wohl. In Gegenwart der beliebten Kids komme ich mir immer irgendwie komisch vor. Sehnsüchtig drehe ich mich nach dem Taxi um, aber es fährt bereits davon, als hätte der Fahrer gewusst, dass ich sonst wieder eingestiegen wäre.
Annika hakt sich bei uns unter. Ihr enges Kleid schmiegt sich wie eine zweite Haut an ihren Körper, und sie hüpft von einem High Heel auf den anderen. »Kommt schon, sonst friere ich mir noch die Titten ab.«
Wir gehen auf die Haustür zu, und ich höre, wie Kiki von Drake gefragt wird, ob sie ihn liebt. Die Musik ist so laut, dass der Bass sogar hier draußen durch meinen Körper vibriert, aber mein nervös klopfendes Herz spüre ich trotzdem. Was, wenn Bebe ihre Meinung geändert hat und nur noch Annika auf ihre Party lässt? An der Schule könnte ich mich dann nicht mehr blicken lassen.
Als Annika klingelt, denke ich für einen Moment, dass uns bei der lauten Musik niemand hören wird, doch dann geht die Tür auf, und Bebe steht vor uns. In einer Hand hält sie ein Glas mit einem roten Getränk, mit der anderen wirft sie ihre langen schwarzen Locken über die Schulter. Ihr schulterfreies goldfarbenes Kleid unterstreicht ihren hellbraunen Hautton, ihre Taille wirkt geradezu winzig und ihre Lippen besonders voll. Sie lässt sie aufspritzen, das wissen alle, auch wenn sie schwört, dass sie nur die Konturen hervorhebt. Sie mustert uns nacheinander, wobei ihr Blick etwas länger an mir hängen bleibt, dann lächelt sie. Es wirkt echt, und mein Herzschlag beruhigt sich.
»Willkommen, Girls!« Sie umarmt Annika. »Kommt rein, kommt rein. Ihr lasst sonst noch die Wärme raus.«
Jolie quiekt neben mir auf und eilt hinein. Langsam gehe ich hinterher und halte die Luft an. Die Gäste tanzen, unterhalten sich, machen Selfies. Der Geruch nach Schweiß und Hormonen liegt in der Luft. Wer sind all diese Leute?
»Wow, gut besucht«, bemerkt Annika. »Besonders für einen Mittwoch.«
»Ja, ich habe allen gesagt, dass sie Freunde mitbringen sollen, um schon mal in Weihnachtsstimmung zu kommen.« Bebe trinkt einen Schluck, während sie auf meine nackten Beine schielt, die doppelt so breit sind wie ihre. Als sie meinen Blick auffängt, lächelt sie, aber diesmal erreicht das Lächeln ihre Augen nicht. Ich zupfe an meinem Rock herum, in der Hoffnung, etwas mehr darunter verstecken zu können, aber das klappt natürlich nicht.
Ein Mädchen, das ich vage aus der Schule kenne, kommt auf uns zu und zieht Bebe mit zur Tanzfläche.
»Getränke und Essen stehen in der Küche«, ruft sie uns noch über die Schulter zu.
»Erst mal was trinken?«, fragt Annika.
Jolie nickt. Ich mag keinen Alkohol – davon werde ich nur müde –, aber ich möchte auch keine Langweilerin sein.
»Geh am besten vor«, sage ich deshalb nur.
Während wir uns durch die Menge schieben, fällt mir auf, dass trotz des Andrangs alle in ihren Cliquen bleiben. Bebe kippt auf der Tanzfläche Shots mit den angesagten Leuten wie Yarah Mectah und ihrem Freund James West. Normalerweise kleben sie immer an Trey Anderson, Boogs und den Bailey-Zwillingen, nur im Moment sehe ich die vier nirgendwo. Dafür entdecke ich ein paar Leute, mit denen ich mich in meinen Kursen gut verstehe, und winke ihnen zu. Annika begrüßt natürlich mehr Gäste als Jolie und ich. Sie gehört zu den Menschen, die sich von einer Gruppe zur nächsten treiben lassen können und dennoch immer sie selbst bleiben.
Seit wir klein waren, bin ich mit Annika befreundet, und sie ist immer für mich da gewesen, besonders wenn ich wegen meines Gewichts gehänselt wurde. Ihre hohen Wangenknochen, die langen Beine und ihr Lächeln, das ihr ganzes Gesicht zum Strahlen bringt, haben sich nicht groß verändert, seit ich sie kenne. Jolie kam in der Mittelstufe dazu. Mit ihrem Namen – Jolie Love-Jones –, ihrem symmetrischen Gesicht, den Rehaugen und den längsten echten Wimpern, die ich je gesehen habe, dachte ich sofort, sie ist für die Clique der Beliebten bestimmt, doch Jolie hat sich uns angeschlossen. Sie ist auch der einzige Mensch, den ich kenne, der Twilight genau wie ich für die größte Liebesgeschichte aller Zeiten hält. Hallo, Bella ist aus Liebe ein Vampir geworden! Seitdem sind wir drei jedenfalls unzertrennlich.
Annika gießt uns Getränke ein, als Jubelrufe von der Tanzfläche aus dem Wohnzimmer kommen. Kurz darauf sehe ich, wie Trey, Boogs und Santi hereinspazieren und allen zuwinken.
»Trey sieht gut aus.« Annika reicht mir ein Glas und mustert mich dabei genau. »Was denkst du, Ariel?«
Ich verdrehe die Augen, während Jolie lacht. Seit ich Trey zum ersten Mal begegnet bin, habe ich für ihn geschwärmt. Eigentlich habe ich für Trey und Boogs geschwärmt. Das tun die meisten Mädchen. Boogs ist drahtig und hat hellbraune Haut, während Trey viel dunkler und schlank ist, aber mit Muskeln wie ein Leichtathlet. Dann ist Trey mit Blair zusammengekommen und … na ja, wer Blair kennt, ist auch von jedem abgeschreckt, der sie mag. Was komisch ist, weil ihre Zwillingsschwester Santi zu allen nett ist. Und Boogs ist ziemlich cool. Wir hatten Kunst zusammen, bevor er den Kurs geschmissen hat.
»Ansichtssache«, erwidere ich.
Annika wirft den Kopf nach hinten und lacht.
Manchmal glaube ich, dass ich die Einzige in der Schule bin, die nicht von Trey, Boogs und den Bailey-Zwillingen besessen ist. Je beliebter sie wurden, desto mehr Leute fühlten sich zu den Vier hingezogen. Doch nachdem meine Schwärmerei verflogen war, habe ich kaum noch Notiz von ihnen genommen. Unsere Wege kreuzen sich nicht oft, weil wir nicht denselben Stundenplan haben, aber ab und zu sehe ich sie beim Mittagessen in der Mensa, und dann sind sie immer umringt von Leuten.
Ich nippe an meinem Getränk und muss fast würgen. »Was zur Hölle …?«
Annika lacht wieder. »Zu stark?«
»Das kriege ich nicht runter.« Ich gebe ihr das Glas zurück und sehe mit großen Augen zu, wie sie es in einem Zug leert. Hoffentlich betrinkt sie sich nicht, ich will nicht den ganzen Abend auf sie aufpassen müssen.
Ich drehe mich wieder zum Wohnzimmer um, wo ein Neunzigerjahre Old School Hip Hop Song aus den Lautsprechern dröhnt. Ich liebe die Musik der Neunziger und ich tanze gern, also schleife ich Annika und Jolie zur Tanzfläche, wo wir unsere eigene kleine Runde bilden. Egal wie unsicher ich sonst auch bin, wenn ich tanze oder male, verschwindet das Gefühl.
»Ich stehe voll auf diesen Song«, sagt Jolie. Sie schließt die Augen und wiegt die Hüfte. Ein süßer Typ tanzt sie von hinten an. Er flüstert ihr etwas ins Ohr, sie dreht sich um und tanzt mit ihm.
Mit einem Mal spüre ich kräftige Hände an meiner Taille, aber anders als Jolie kann ich das gar nicht leiden. Ich wirbele herum und habe schon einen Spruch auf den Lippen, als Boogs sagt: »Du hast’s echt drauf, kleine Meerjungfrau.« Dabei imitiert er meine Bewegungen – nur mit seinem typischen Boogs-Swag, den niemand nachahmen kann.
Boogs hat meinen Namen schon immer mit diesem jamaikanischen Akzent ausgesprochen, genau wie die Krabbe Sebastian aus Arielle, die Meerjungfrau, und als ich vor einer Weile mit roten Haaren in den Kunstraum kam, hat er losgelacht und gemeint: »Du legst es echt drauf an!« Seitdem nennt er mich kleine Meerjungfrau.
»Ich schwöre, ich färbe meine Haare wieder schwarz, damit du endlich aufhörst, mich so zu nennen«, erwidere ich lachend und sehe mich nach Santi um. Sie tanzt nicht weit entfernt mit Trey, der jedoch die Schultern hängen lässt und den Blick mehr auf den Boden als auf Santi gerichtet hat. Wahrscheinlich vermisst er Blair.
Boogs beugt sich zu mir. »Ich hab dein Bild auf dem Hof gesehen. Echt krass.«
Ich werde rot bei seinem Kompliment. Boogs hat zwar eine Freundin, aber verdammt, aus dieser Nähe sieht er noch besser aus. »Danke.«
Vor ein paar Wochen hat mich Eden, die Leiterin der Fachschaft Kunst, gebeten, etwas »Stimmungsvolles« für den Schulhof zu gestalten, das die Schönheit der Natur darstellt. Also habe ich eine Regenbogenwiese mit bunten Blumen und Schmetterlingen gemalt. Ich wusste, dass es gut ankam, als zwei Schülerinnen direkt davor Selfies für Instagram geschossen haben. Es hatte eine feierliche Enthüllung gegeben, und ich war damit sogar in der Lokalzeitung. Mum hat den Artikel eingerahmt und ihn stolz ins Wohnzimmer gehängt.
Boogs zieht sein Handy aus der Hosentasche und zeigt mir auf Instagram ein Foto von sich und Santi, auf dem sie vor meinem Bild posieren. Sie sind ein umwerfendes Paar, und der Hintergrund unterstreicht das noch. Ich schnaube, als ich darunter lese: #ArielInSebastianVoice.
»Keine Entschuldigung.«
Boogs steckt sein Handy grinsend wieder ein. »Gib’s zu, in Wirklichkeit fährst du drauf ab.«
Wir tanzen zu einem Song nach dem anderen und bilden schließlich einen Kreis mit Jolie, Annika und ein paar Typen. Ich kenne sie nicht, aber sie können tanzen, und sie versuchen nicht, sich an uns ranzuschmeißen, also habe ich kein Problem damit. Als ich zum gefühlt tausendsten Mal meinen Rock herunterziehe, stößt Santi zu uns und winkt mir zu. Sie trägt ein Kleid mit Blumenmuster und Rüschensaum, das an jeder anderen meh gewirkt hätte, aber an ihr wie eine Designerrobe von Balmain aussieht. Außerdem wären die meisten angepisst oder eifersüchtig, wenn ihr Freund mit einer anderen tanzt, aber Santi nicht. Sie strahlt eine Selbstsicherheit aus, die ich auch gern hätte.
»Wo ist Trey?«, übertönt Boogs die Musik.
»Ich glaube, er wollte zur Toilette«, sagt Santi. »Er ist echt mies drauf. Was ist los mit ihm?«
Boogs zuckt mit den Schultern.
Jemand rempelt mich von der Seite an, ich stolpere, schaffe es aber, mich zu fangen – anders als Jolie, die in die Arme eines großen, breiten Typen fällt.
»Oh, danke«, säuselt sie mit einer Hand auf der Brust. Lächelnd hilft er ihr, sich aufzurichten, wie in einer perfekten romantischen Filmszene, doch dann starrt er plötzlich zur anderen Seite des Raums. Jolie runzelt die Stirn und folgt seinem Blick.
»Was ist da los? Ich kann nichts erkennen«, sagt sie mit aufgeregter Miene.
Annika lacht und stupst mich an. »Das musst du dir ansehen.«
Während ich mich umdrehe, bemerke ich, dass alle Blicke auf die Tür gerichtet sind – und dann entdecke ich Blair Bailey, die gerade hereinkommt. Die Menge teilt sich, als wäre sie die Königin von England. Obwohl es keine Kostümparty ist, trägt sie ein sexy Santa-Outfit, das aus einem roten bauchfreien Samttop mit weißem Pelzbesatz, einem dazu passenden superkurzen Rock und roten Stilettos besteht. Sie und Santi tragen dieselben langen Twist-Braids, die Blair zu einem hohen Dutt aufgetürmt und mit rotem Schleifenband umwickelt hat.
»Blair Bailey«, sage ich, während sich Jolie auf die Zehenspitzen stellt.
Es ist nicht so, dass ich Blair nicht leiden kann. Um ehrlich zu sein, kenne ich sie dafür zu wenig. Deshalb habe ich auch keine Ahnung, wieso sie sich mir gegenüber immer so abweisend verhält, wenn wir mal miteinander sprechen, was wirklich nicht oft vorkommt. Es hilft auch nicht gerade, dass sich alle bei ihr einschleimen und sie behandeln, als wäre sie Beyoncé. Wenn irgendjemand am Cordon College regiert, dann sie.
»Ich bin überrascht, dass sie überhaupt gekommen ist«, meint Annika. »Sie war echt sauer auf Bebe, weil sie es gewagt hat, während ihrer Geburtstagswoche eine Party zu geben.«
Das erklärt dann wohl das Santa-Kostüm.
Ich entdecke Bebe in der Menge. Sie lächelt Blair entgegen, aber es ist dasselbe gezwungene Lächeln, das sie auch mir vorhin zugeworfen hat.
Blair winkt, während sich Trey durch die Leute drängt. Sobald er in ihrer Reichweite ist, zieht sie ihn an seinem Shirt zu sich und küsst ihn leidenschaftlich – vor den Augen aller Partygäste. Mir fällt die Kinnlade herunter.
Annika lacht. »Eins zu Null für Blair gegen Bebe.«
Blairs kalte Hände liegen um meinen Hals, und ich ziehe sie sanft weg. Ich bin nicht in der Stimmung für so was. Wieso bin ich überhaupt auf Bebes Party gegangen? Die Gedanken an Wonderland lassen mich nicht los. Allein die Vorstellung, den Laden zu verlieren, fühlt sich wie ein heftiger Schlag in die Magengrube an. Vielleicht ist das auch Karma, weil ich mir so oft gewünscht habe, wir hätten keine Buchhandlung und ich damit auch nicht den Druck, sie übernehmen zu müssen. Blair sieht mich forschend an, ihre vollen Wimpern umrahmen ihre katzenhaften Augen. Sie versucht herauszufinden, was los ist, aber ich will sie nicht in Verlegenheit bringen, solange alle Blicke auf uns gerichtet sind.
Wir sind »das Paar« an der Schule, und auch wenn wir schon mehrmals Schluss gemacht haben, waren wir immer wenige Wochen später wieder zusammen. Alle denken, wir bleiben das für immer, und vielleicht haben sie recht, aber so weit vorauszudenken, macht mir irgendwie Angst. Woher soll ich mit siebzehn wissen, ob sie die Liebe meines Lebens ist? Ich zwinge mich zu einem Lächeln und streichle über ihre Wange. Blair schließt die Augen und lehnt sich an meine Brust. »Awww«, höre ich von ein paar Seiten.
Hand in Hand gehen wir zum nächstgelegenen Sofa. Meine Handfläche fühlt sich feuchtkalt an, aber Blair scheint das nicht zu stören. Als ich aufblicke, kommt es mir vor, als würden uns alle mit den Augen folgen. Normalerweise macht mir das nichts aus, aber heute Abend könnte ich echt darauf verzichten, im Rampenlicht zu stehen. Ich lasse mich mit ausgestreckten Armen auf das weiche Polster sinken und versuche, lässig zu wirken. Ich habe das noch nie jemandem erzählt, aber manchmal habe ich das Gefühl, eine Rolle zu spielen. Blair winkt jedem zu, während sie sich neben mich setzt, perfekt inszeniert. Und sobald Santi und Boogs zu uns kommen, kreischt sie auf, als hätte sie die beiden seit Wochen nicht gesehen.
Bebe steht neben uns, die Augen starr auf Blair gerichtet. Sie sieht aus wie jemand, der in etwas Saures gebissen hat. Unsere Blicke kreuzen sich, und sofort verändert sich ihre Miene, bis sie lächelt. Ich bin wohl nicht der Einzige, der nur so tut als ob.
»Ich hole uns was zu trinken«, sage ich Blair ins Ohr, bevor ich aufstehe.
Auf dem Weg in die Küche werde ich immer wieder aufgehalten. Ich versuche trotzdem, nicht stehen zu bleiben, deute mit Gesten an, wohin ich will, was die Leute zum Glück etwas zurückhält.
Die Küche ist ziemlich leer, und ich habe das Gefühl, endlich Luft holen zu können. Nur eine Person steht vor den Getränken, ein molliges rothaariges Schwarzes Mädchen in einem kurzen Rock und einem taillierten Glitzertop. Ich kann mich nicht an ihren Namen erinnern, aber ich glaube, sie hat das Bild auf dem Schulhof gemalt. Mein Blick verweilt etwas länger auf ihren Beinen. Nice.
Keine Ahnung, wie es dann genau dazu kommt, aber als ich nach einem Glas greifen will, dreht sie sich um, und ihr Getränk landet auf meinem frischen weißen Shirt. Ich mache eine Satz zurück, während sie sich eine Hand vor den Mund schlägt. Ihre schwarz umrahmte Brille hängt schief an ihrer Nasenspitze.
»Oh! Tut mir so leid!« Hastig sieht sie sich in der Küche um, wahrscheinlich nach einem Handtuch oder etwas Ähnlichem.
Was ist heute nur los? Ich taste nach dem nassen Fleck, der nach Cola riecht.
»Hier.« Sie beginnt, mit ein paar Taschentüchern an meinem T-Shirt herumzuwischen, bis der Stoff an meiner Haut klebt.
»Schon gut.« Grob reiße ich ihr die Taschentücher aus der Hand, was gar nicht meine Absicht war.
Sie sieht mich überrascht an, schiebt ihre Brille zurecht und sagt stirnrunzelnd: »Es war ein Versehen.«
»Wie auch immer«, erwidere ich und mache auf dem Absatz kehrt. Ich habe genug von dieser dämlichen Party.
Mit gesenktem Kopf schiebe ich mich rasch durch die Menge, um den Blicken auszuweichen – und ganz besonders Blair, die mit Sicherheit versuchen würde, mich zum Bleiben zu überreden. Ich schnappe mir meine Jacke und gehe.
Draußen mache ich die Jacke zu, hebe den Kopf dem klaren dunklen Himmel entgegen und atme tief durch. Stechend kalte Luft strömt in meine Luge. Es herrscht Frost, und ich frage mich, ob es noch in diesem Jahr Schnee geben wird. In der Weihnachtszeit schneit es irgendwie nie. Nur in anderen Monaten wie im Februar. Als das letzte Mal Schnee lag, haben Boogs und ich Reon dabei geholfen, einen Superhelden-Schneemann zu bauen – mein kleiner Bruder steht total auf Superhelden. Zum Glück war Boogs dabei, denn nur durch seine und Reons künstlerische Ader ist ein Instagram-tauglicher Schneemann entstanden, der sogar drei Tage gehalten hat.
»Trey?«
Musik erfüllt für einen Moment die Luft, doch bis auf den Bass ist es gleich wieder still, als Boogs die Tür hinter sich zumacht. Er ist nur in T-Shirt und Jeans hier draußen, aber er schwitzt so sehr vom Tanzen, dass er die Kälte wahrscheinlich gar nicht merkt.
»Alles in Ordnung?«, fragt er.
Ich öffne meine Jacke, damit er den riesigen braunen Fleck auf meinem weißen Shirt sehen kann.
Boogs hält sich die Faust vor den Mund. »O Shit, was war los?«
»So ein Mädchen hat ihre Cola über mich geschüttet.« Ich ziehe den Reißverschluss wieder zu. »Das hat mir endgültig gereicht. Ich geh nach Hause.«
»Was war denn sonst noch? Du bist schon den ganzen Abend mies drauf.« Boogs klingt besorgt.
Ich reibe mit dem Turnschuh über den Boden. »Mum sagt, Wonderland steckt in Schwierigkeiten.«
Boogs klappt der Mund auf. »Echt jetzt?«
Als ich ihn aufkläre, unterbricht er mich nur an einer Stelle. »Verkaufen? Ihr könnt doch Wonderland nicht verkaufen!«
Ich zucke mit den Schultern. »Sollte sich nichts ändern, bleibt uns wohl keine Wahl. Wenn ich nur wüsste, was ich tun kann …«
»Sorry, Bro, das ist hart. Aber keine Sorge, dir fällt schon was ein. Wonderland bleibt auf jeden Fall.« Boogs wirft mir ein aufmunterndes Lächeln zu.
Für ihn ist das leicht gesagt, aber ich habe keine Ahnung, wie wir den Buchladen halten sollen, solange wir Schulden haben. Wir brauchen so schnell wie möglich Geld, aber dafür haben wir zu wenig Kundschaft.
»Und … Blairs Outfit?« Boogs hebt die Augenbrauen, und ich muss lachen. Er schafft es immer, die Stimmung im richtigen Moment aufzuheitern.
»Dir ist schon klar, dass sie damit nur Bebe ärgern wollte, oder?«, erwidere ich grinsend.
»Blair ist die Definition von nachtragend.« Boogs schlingt die Arme um sich. »Verdammt, ist das kalt. Hör zu, hau noch nicht ab, Mann. Häng mit uns rum, dann geht’s dir bestimmt besser.«
»Nee, ich bin echt nicht in der Stimmung.« Kurz drehe ich mich zur Tür um. »Ich schicke Blair eine Nachricht. Habt noch viel Spaß.«
Wir klatschen uns ab, und Boogs geht zurück ins Haus. Ich bleibe noch einen Moment stehen, überlege, ob ich mir ein Taxi rufen sollte, doch weil ich jetzt weiß, wie es finanziell um Wonderland steht, kommt mir das verschwenderisch vor. Also vergrabe ich die Hände in den Jackentaschen und mache mich auf den Weg zur Highbury Station, von wo aus ich den Bus nehmen kann.
Als ich die Haustür öffne, höre ich sofort, dass im Wohnzimmer ein Film läuft. Mum und Dad haben sich im Licht des funkelnden Weihnachtsbaums auf die Couch gekuschelt. Als Mum mich entdeckt, hält sie den Film an.
»Du bist aber früh zurück«, sagt sie verwundert.
»Ja, irgendwie war ich nicht in Stimmung. Was guckt ihr?«, wechsle ich schnell das Thema.
»Tatsächlich … Liebe«, antwortet Mum, während Dad nur den Kopf schüttelt. Ich unterdrücke ein Lachen. Mum liebt diesen Film, Dad hasst ihn. »Es ist noch was vom Abendessen übrig, falls du Hunger hast, Schatz.«
Kaum hat Mum das Essen erwähnt, merke ich, wie hungrig ich bin, doch zuerst muss ich aus diesem klebrigen T-Shirt raus und unter die Dusche. Hoffentlich lässt sich der Fleck auch auswaschen. Ich gehe nach oben und werfe einen Blick in Reons Zimmer, wo mir sofort ein Lichtschein unter der Bettdecke auffällt.
»Ich kann dich sehen«, sage ich melodisch.
Augenblicklich geht die Taschenlampe aus. Ich mache das Licht an und ziehe die Decke weg. Mein kleiner Bruder funkelt mich böse an. Während ich eindeutig Dads Gene geerbt habe, ist Reon eine Miniaturausgabe von Mum, bis hin zu demselben Grübchen an der Wange.
»Hey!«, schimpft er.
»Du solltest eigentlich schlafen.«
Reon stöhnt auf. »Kann ich noch fünf Minuten haben? Ich will nur wissen, was als Nächstes mit Shuri passiert.«
Letzte Woche habe ich Reon erlaubt, meine alten Marvel Comics zu lesen, seitdem macht er in seiner Freizeit nichts anderes mehr. Er ist ein richtiger kleiner Künstler, und seine Zimmerwände sind voll mit selbst gemalten Bildern von Thor, Spider-Man und Black Panther, was mich plötzlich auf eine Idee bringt.
»Du kriegst noch zehn Minuten, wenn du für mich eine Geburtstagskarte für Blair malst, bevor du morgen zur Schule gehst. Vielleicht im Manga-Stil?«
»Du weißt schon, dass es verschiedene Manga-Stile gibt? Da wäre zum Beispiel Shōjo oder Josei … Was davon hättest du denn gern?«, will Reon wissen.
Keine Ahnung.
»Entscheide du«, sage ich schnell.
Er zuckt mit den Schultern. »Okay, aber ich will fünfzehn Minuten, und du musst mit Noah und mir ins Kino gehen.«
»Wer ist Noah?«
»Mein bester Freund aus dem Kunstkurs samstags. Er ist richtig gut. Seine Schwester ist unsere Lehrerin«, erwidert Reon.
Ich seufze, Reon grinst. Er weiß, dass er gewonnen hat.
»Na gut, aber in fünfzehn Minuten ist das Licht aus.«
»Danke, Trey.« Reon verschwindet wieder mit Taschenlampe und Comic unter seiner Decke, und ich muss unwillkürlich grinsen. Der Kleine hat mich ausgetrickst.
Was zur Hölle ist Treys Problem? Mal ehrlich, als hätte ich absichtlich meine Cola über ihm ausgeschüttet. Aber wieso bin ich überhaupt überrascht? Er muss ja eine Diva sein, wenn er mit Blair zusammen ist. Ich sehe zu, wie er das Haus verlässt, ohne mit irgendjemandem ein Wort zu wechseln. Dann werfe ich die Taschentücher in den Mülleimer und wasche mir die klebrigen Hände, bevor ich mir ein neues Glas nehme und mich auf den Weg ins Wohnzimmer mache.
Es ist regelrecht spürbar, dass sich die Atmosphäre auf der Party verändert hat. Fast alle lungern in der Nähe der beliebten Kids herum, die übrigen sind im Raum verstreut und wissen nicht so richtig, was sie mit sich anfangen sollen. Auch auf der Tanzfläche ist nur noch ein kleiner Haufen. Jolie tanzt immer noch mit dem Typen von vorhin, aber Annika ist nirgendwo zu sehen. Echt komisch, wie eine einzige Person in einem Santa-Outfit die ganze Dynamik auf den Kopf stellen kann.
Meine Schuhe scheuern an den Füßen, und ich bin mir sicher, dass der Schmerz mich humpeln lässt. Normalerweise trage ich gar keine Absätze, also habe ich vorsorglich ein Paar mit überschaubarer Höhe gekauft und mir von der Verkäuferin versichern lassen, dass sie völlig schmerzfrei sind. Was absolut nicht stimmt! Ich sehe mich nach einer Sitzgelegenheit um und entdecke schließlich einen Platz an der Treppe außerhalb des Wohnzimmers. Gott sei Dank!
Als ich mich endlich hinsetzen kann, seufze ich auf, ziehe einen Schuh aus und beuge mich vor, um den Schmerz wegzumassieren. Mir graut jetzt schon davor, den Schuh wieder anziehen zu müssen.
Die Musik ist in den Zweitausendern angekommen, Ja Rule dröhnt aus den Lautsprechern. Von meinem Platz aus sehe ich, wie sich Jolie angeregt mit ihrem Typen auf der Tanzfläche unterhält. Sie ist so klein, dass sie ihm nur knapp bis zur Brust reicht.
Ich schließe kurz die Augen, während ich weiter meine Ferse massiere.
»Du hörst doch nicht etwa mit dem Tanzen auf? Komm schon, nicht schlapp machen«, sagt jemand mit einer dunklen Stimme.
Als ich die Augen öffne, lehnt Boogs am Treppengeländer. Schnell richte ich mich auf, denn mir ist der tiefe Ausschnitt meines Tops bewusst, und ich möchte nicht, dass er mir sonstwo hinguckt.
»Ich hab nicht deine Ausdauer«, erwidere ich kopfschüttelnd.
Boogs lässt die Muskeln spielen. »Das sagt Santi auch immer.«
»Bitte, erspar mir das!« Ich lache. »Und tanz du mal in diesen Schuhen, dann werden wir sehen, wie lange du durchhältst.« Kurz zögere ich, bevor ich frage: »Ist mit Trey alles okay?«
Boogs sieht mich mit erhobener Augenbraue an.
»Na ja, ich hab meine Cola über ihn geschüttet, und dann ist er gegangen.«
»Ah, du bist also die Übeltäterin!«
»Es war ein Versehen«, sage ich schnell.
Boogs winkt ab. »Glaub mir, Trey hat viel größere Probleme als ein verschüttetes Getränk.«
Ich würde gern wissen, was er damit meint, halte mich aber zurück. Ich will nicht, dass er mich für aufdringlich hält. Boogs dreht sich zum Wohnzimmer um und beginnt, im Takt der Musik mit dem Kopf zu wippen. Er würde garantiert am liebsten weitertanzen. Unwillkürlich muss ich lächeln. Das Haus könnte in Flammen stehen und Boogs würde wahrscheinlich zur Tür hinaustanzen.
»Wo sind deine Mädels?«, fragt er und holt mich damit zurück in die Gegenwart.
»Jolie ist da drüben«, sage ich und deute auf sie. »Aber Annika hab ich aus den Augen verloren.«
Boogs geht ins Wohnzimmer und schaut sich um. Kurz darauf kommt er zurück. »Sie ist bei Bebe.«
Dann lass ich sie mal, denke ich. Ich habe überhaupt keine Lust, mich von Bebe von oben bis unten anglotzen zu lassen, als wäre ich irgendeine Spinnerin, nur um mit meiner besten Freundin zu reden. Es ist bereits halb elf – für eine Party nicht spät, ich weiß –, aber ich wollte nicht zu lange bleiben, und ich glaube nicht, dass ich noch einmal in Partylaune komme. Ich möchte jetzt einfach das Make-up loswerden, meinen Schlafanzug anziehen und mir Sister, Sister auf Netflix ansehen.
Gerade dröhnt »Wild Thoughts« aus den Lautsprechern, und Boogs legt einen perfekten Salsa hin. Ich ziehe meinen Schuh wieder an und verziehe das Gesicht, als ich aufstehe. Mein Fuß fleht mich förmlich an, ihn aus dem Gefängnis zu befreien, in das ich ihn gesteckt habe.
»Ich mach Schluss für heute.«
»Aber die Party fängt doch gerade erst richtig an«, erwidert Boogs mit einem Stirnrunzeln.
Ich hebe die Augenbrauen. Offenbar haben wir völlig unterschiedliche Definitionen von einer guten Party.
Im Wohnzimmer steht Blair vom Sofa auf und sieht sich um. Es ist klar, nach wem sie Ausschau hält.
Boogs bemerkt es ebenfalls und stöhnt auf. »Trey meinte, er meldet sich bei ihr. Also ich sage es ihr auf keinen Fall.«
»Wieso nicht?«, frage ich.
»Sie rastet doch nur aus und wird gehen wollen … und Santi auch. Dann muss ich natürlich mit. Dabei ist die Musik genau meins.«
Ich lache auf. Boogs lebt buchstäblich in seiner eigenen Tanzwelt.
»Jedenfalls bin ich jetzt weg.« Als ich mich nach vorn beuge, hört Boogs kurz mit dem Tanzen auf, um mich zu umarmen. »Wir sehen uns.«
»Bis dann, kleine Meerjungfrau.« Er lächelt und geht zurück zur Tanzfläche, während ich mich auf den Weg zu Jolie mache, die sich immer noch mit demselben Typen unterhält. Beide haben ein Glas in der Hand.
»Ich gehe jetzt«, sage ich.
Jolie verzieht das Gesicht. »Ach, bleib doch noch! Tanz mit uns!«
Der Typ grinst mich verlegen an.
»Nein, ich bin müde. Wir sehen uns morgen, okay?« Ich deute auf das Getränk in ihrer Hand. »Wie viel hattest du schon?«
Jolie lacht. »Ein paar. Keine Sorge, mir geht’s gut.«
»Hmm, meldest du dich, wenn du zu Hause bist?«
»Werd ich«, verspricht sie.
Wir umarmen uns, und der Typ prostet mir zum Abschied mit seinem Glas zu. Mit einem Winken versuche ich, Annika auf mich aufmerksam zu machen, aber sie ist so vertieft in das Gespräch mit Bebe, dass sie es nicht mitbekommt. Ich werde ihr später eine Nachricht schicken. Jetzt will ich erst mal hier raus.
Als ich nach Hause komme, schläft Mum im Wohnzimmer, im Hintergrund läuft der Fernseher. Ich stupse sie leicht an, bis sie die Augen öffnet und mich ansieht.
»Hi, Schatz. Wie spät ist es?«
»Erst kurz nach elf. Ich hab dir geschrieben, als ich im Taxi saß«, erwidere ich.
Mum gähnt und streckt sich. »Entschuldige, ich wollte auf dich warten und habe gar nicht mitbekommen, dass ich eingeschlafen bin. Wie war’s denn?«
»Es war okay. Bebes Haus ist ein Traum.« Ich ziehe die Schuhe aus und seufze dabei laut, was Mum zum Lachen bringt. »Wieso kann es nicht normal sein, mit Turnschuhen auf Partys zu gehen? Ich habe das Gefühl, durch ganz Hackney gelaufen zu sein.«
»Sei nicht so dramatisch. Als ich in deinem Alter war, habe ich praktisch keinen Schritt ohne High Heels gemacht. Ich konnte mir die Jungs kaum vom Hals halten.«
Mit einem Augenrollen setze ich mich neben sie. »Tja, bei mir muss sich ein Kerl mit meinen alten Converse und Farbflecken auf der Jeans zufriedengeben, wenn er mich haben will.«
Mum tätschelt mein Bein. »Ich bin froh, dass du auf der Party warst. Auch, wenn ich weiß, dass du viel lieber zu Hause bleibst und malst … Aber du bist eben nur einmal siebzehn.«
Gespielt schnappe ich nach Luft. »Hast du mich gerade dazu ermutigt, an Wochentagen auf Partys zu gehen? Arbeite hart und genieße das Leben in vollen Zügen?«
»Na ja, vielleicht nicht zu voll.«
Lachend kuschle ich mich an sie.
»Es war schwer, oder?«
Mein Körper versteift sich für einen Moment.