Lovecrafts Schriften des Grauens 03: Das Mysterium dunkler Träume - Andreas Ackermann - E-Book

Lovecrafts Schriften des Grauens 03: Das Mysterium dunkler Träume E-Book

Andreas Ackermann

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Beschreibung

In seiner wahnwitzigen Abenteuergeschichte konfrontiert der Autor den Filmvorführer Maxemilian Meissner mit dem lovecraftschen Grauen. Vor der Kulisse eines monströsen Prag der Zukunft, in der Magie gleichwertig neben überlegener Technik existiert, inszeniert er einen spannenden Wettlauf um Leben und Tod. Die Printausgabe umfasst 350 Buchseiten.

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Andreas AckermannDas Mysterium dunkler Träume

In dieser Reihe bisher erschienen:

2101 Das Amulett von William Meikle

2102 Götter des Grauens von Roman Sander (Hrsg.)

2103 Das Mysterium dunkler Träume von Andreas Ackermann

Andreas Ackermann

Das Mysterium dunkler Träume

Eine Traumstaub-Erzählung

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2018 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Mark FreierUmschlaggestaltung: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-423-7Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Andreas Ackermann wurde 1967 in Thüringen geboren und lebt heute in einem Dorf in Niedersachsen.

Seit seiner Jugend interessiert er sich für phantastische Literatur, seltsame Filme, Dark-Wave und Gothic-Rock. Manchmal des Nachts, wenn der Regen auf das Dach des Hauses trommelt, hat er das Gefühl, auf ewig in den Traumlanden gestrandet zu sein.

Notizen, die auf Reisen durch innere Landschaften und ferne Städte entstanden, führten zur Entstehung seines Romans Nachtmarkt Voodoo, der 2012 in kleiner Auflage in der Goblin-Press veröffentlicht wurde.

2014 folgte ein Beitrag zum Kingsport Reiseführer im Basilisk Verlag. Eine weitere Geschichte erschien 2015 im Ulthar Reiseführer.

Sein Debüt wird dem Leser hiermit in stark überarbeiteter Form unter dem Titel Das Mysterium dunkler Träume wieder zugänglich gemacht.

Diese Geschichte handelt von einer Zukunft, die es niemals gab. ­Jegliche Ähnlichkeit mit existierenden Personen oder Orten ist rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Inhaltsverzeichnis
Es war eine seltsame Welt hinter den Spiegeln ...
Lass alle Hoffnungen fahren, der du hier eintrittst
Die Nacht im Orchideengarten
Im Garten des Todes
Das Letzte seiner Art
Der Grenzbereich der Hölle
Bringt mir den Kopf des Eidechsenkönigs!
Unter dem Chaosstern
Des Teufels Nacht
Endzeit
Alles endet

Handelnde Personen:

Maxemilian Meißner - Ein schlafloser Träumer, der unversehens in eine albtraumhafte Geschichte verwickelt wird.

Der Traumbringer, auch Der Eidechsenkönig - Ein ­Fremder.

Jack the Ripper, auch Der Spiralmann - Das Phantom der Altstadt.

Videodrome - Ein Lebemann, der mehrere Blutkanäle betreibt und mit außerirdischen Artefakten handelt.

Doktor Virelli, auch Der Alchemist - Ein Nekromant und Drogenhändler.

Mario von Henzenau - Der Hauptmann von Virellis Leibwache. Ein übel beleumdeter Abenteurer.

Der Kartograf - Ein Buchhändler, der versucht, das Geheimnis des ewigen Lebens zu ergründen.

Django, der Höllenhund - Ein Chirurg, der Menschen jagt, um sie auszuweiden.

Baron Victor Mabuse, auch Der Schwarze Baron - Ein verschwundener Wissenschaftler, von dem es heißt, er sei mit dem Teufel im Bunde.

Elric Hitchcock - Der Großinquisitor von Prag.

Killing Joke - Der Anführer einer Räuberbande von ­Romeros.

Kapitän Nemo - Das Oberhaupt der Wanderer.

Alegra - Die Schöne und das Biest.

Prinz Karl Rupprecht Wilhelm XIII. - Der Leiter einer Expedition des parapsychologischen Instituts Berlin. Ein Mitglied des Deutschen Herrscherhauses.

Kurt Engelherz - Der Adjutant seiner Königlichen Hoheit. Ein Offizier der militärischen Sektion des parapsychologischen Instituts.

Es war eine seltsame Welt hinter den Spiegeln ...

Drei Uhr nachts im Botanischen Garten. Obgleich ich hätte schwören können, dass ich den verwilderten Park um den Zodiac-Brunnen auf meinen rastlosen Wanderungen schon Hunderte Male durchquert hatte, war mir das Koma Kino niemals aufgefallen, bis ich, der Wegbeschreibung des Psychospiels folgend, in der Nacht zu Allerheiligen vor dem verfallenen Gebäude stand.

Noch immer quält mich die Frage, was mich veranlasst hatte, den alten Filmpalast zu betreten. Wilde Blumen rankten sich über die abbröckelnden Fassaden des düsteren Gemäuers. Ihr schwerer Duft weckte Erinnerungen an Dunkelheit und Wahnsinn. Je länger ich darüber nachdachte, desto sicherer war ich mir, dass es dieser eigentümliche Geruch war, der meine Seele hinabzog.

Die Flügeltüren des Foyers wurden von konturlosen Steinskulpturen bewacht, die trotz angelaufenem ­Messing und blinden Scheiben vom einstigen Glanz träumten. Wann immer sie sich unbeobachtet wähnten, veränderten die Wächter ihre Position, ohne das verwitterte, von ihren Gasleuchtern beschienene Plakat absetzen zu können, das hoch über dem Eingang für die Erstaufführung des Gefährlichsten Spiels von allen warb.

Während die Türen mit leisem Wispern die Realität ausschlossen, erklang aus der Ferne das zynische Lachen des Grafen Zaroff.

Der Raum vor mir war so finster wie die Nacht. Ich benötigte endlose Augenblicke, um mich an die ­Dunkelheit zu gewöhnen. Schwarzer Marmor führte hinab in den bodenlosen Abgrund. Die von feinen Rissen durchzogenen Stufen endeten seitlich in verschlissenen Samtkissen, auf denen dunkelgekleidete Gestalten lagen. Aus ihren bleichen Körpern ragten obskure, verchromte Instrumente hervor, in denen sich die Glut der Wasserpfeifen spiegelte. Der Geruch von türkischem Tabak, Marihuana und Opium lag in der Luft.

In der Ferne vernahm ich leises Trommeln, begleitet von beschwörendem Gesang, der die Götter des Chaos pries. Unwillkürlich wandte ich mich zur Tür um, um von diesem unwirklichen Ort zu fliehen, fand diese jedoch fest verschlossen vor. Durch das verschmierte Glas erblickte ich Straßen, auf denen Menschen wandelten, doch keiner der Passanten beachtete mich, wie sehr ich auch versuchte, ihre Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.

So ging ich zurück zu dem finsteren Abgrund, den hungri­gen Augen entgegen. Schaudernd hielt ich den starren­den Blicken der reglos zusammengesunkenen Krea­turen stand, die einem Albtraum entsprungen schienen.

Mein Weg führte mich hinab ins kalte, dunkle Herz der Erde. Schemen düsterer Geschehnisse tanzten im Verborgenen, während meine Schritte unnatürlich laut von den mit dichten Spinnweben überzogenen Wänden widerhallten.

Inzwischen konnte ich den Grund des Gewölbes erkennen. Am Fuße der Treppe wiegte sich eine chromglänzende Abscheulichkeit zum Rhythmus der Trommeln. Aus klinisch blankem Stahl rann dunkles Blut hervor, aus dem sich zusehends Gewebe und Haut bildeten. Metallische Tentakel durchbrachen die Kopfhaut der rothaarigen Frau. Ihr Körper war von Tätowierungen überzogen, die sich bewegten, als seien sie selbst lebendig.

Ich kannte die Frau aus meinen Träumen. In ihren Augen lag das Versprechen von Sünde ohne Erlösung. So wie ich sie begehrte, hatte ich niemals zuvor eine Frau begehrt. Für nur eine weitere fiebrige Nacht mit ihr hätte ich mit Freuden alles gegeben, was ich besaß. Wie hypnotisiert eilte ich die Treppe hinab, ohne mir Gedanken über die Gefahr zu machen, in der ich schwebte.

Vor ihrem Sockel gabelte sich der Pfad; rechter Hand beschienen Fackeln einen in den Fels gehauenen Durchgang, links gähnte Dunkelheit. Während ich einen Atemzug am Abgrund der Nacht verweilte, um in das verführerische Angesicht des Traums zu blicken, schlugen dornenbewehrte Tentakel nach mir. Sie teilten mein Fleisch und zertrümmerten die aufgestapelten Schädel in ihren rings um mich ins Gewölbe eingelassenen Grab­nischen. Scharfe Klingen rissen Haut von Muskelgewebe und Sehnen und legten pulsierende Adern frei.

Mit unerbittlicher Gleichgültigkeit zerschlug der oberste Richtherr das Stundenglas der Ewigkeit. Schwarzen Tränen gleich rann vergeudete Zeit durch seine Klauen. Blut und Leben pulsierten aus den Wunden. Schmerz schrieb Symphonien der Lust, während die Göttin der Träume begann, in der Farbe der Qual zu malen.

Ausweichend taumelte ich hinüber ins Licht.

Die Tunnel endeten in einem von rußgeschwärzten Petro­leumlampen spärlich erhellten Raum. Der Feuerschein prallte auf die Kälte der aus genieteten Stahlplatten zusammengefügten Wände. Eisige Flammen spiegelten sich in glänzendem Chrom, vor dem weitere Schädel angehäuft lagen. Sie mochten von Reptilien oder Dämonen stammen; menschlichen Ursprungs waren sie jedenfalls nicht!

Unschicklich bekleidete Puppen bewegten sich aufreizend zwischen rostigen, von der Gewölbedecke herabhängenden Ketten, die in blutbeschmierten, rasiermesserscharf geschliffenen Fleischerhaken ausliefen. Es handelte sich um wundersam mechanisches Spielzeug mit beinahe menschlicher Seele.

Auf einem mit Schlangenleder überzogenen Kanapee lag der Herr dieses unterirdischen Labyrinths. Seine Haut war über und über von rituellen Narben und Tätowierungen bedeckt. Eine grausig bemalte Maske verbarg den Großteil seines Gesichts.

Gemächlich erhob er sich und winkte mir einladend, näher zu kommen. Als ich vor ihm stand, griff er mit seinen langen, scharfkantigen Krallen nach der blutenden Wunde an meinem Hals.

Ich schrie vor Schreck auf. Seine Berührung erinnerte mich an totes Fleisch. Unwillkürlich zuckte ich zurück, als ich die Kälte spürte. Meine Reaktion entlockte ihm ein Grinsen, bei dem viel zu viele Zähne sichtbar wurden. Er glich den Abbildungen der Traumdämonen, die in den Chroniken der Geisterstadt zu finden waren.

„Ein Quäntchen Blut, ein Quäntchen roter Wein“, murmelte er vor sich hin.

Der Maskierte griff nach einem Glas mit rotem, dickflüssigem Inhalt, von dem er genüsslich trank. Dann deutete er auf eine silberne, mit Dämonenfratzen verzierte Vitrine, in der betörend schöne Plastiken aus metall­gefasstem Stein aufgereiht lagen. Sie hatten Ähnlichkeit mit den Goldstaubgewichten der Tuareg, wirkten aber dunkel und nachtseitig.

Mit ihnen wog man Albtraumstaub. Es handelte sich um die Maßeinheit für Schwarze Träume!

„Womit kann ich dienen?“, fragte er mich. Sein leises Flüstern wob Schatten in meine Seele. Unterdessen öffneten sich die Augen einer der schlafenden Figuren. Töd­liches Eis reflektierte den Trubel des schwebenden Marktes, die Schönheit des Verfalls. Leise erzählen sie mir von ihrer Welt, während ich in ihrem Traum versank ...

Lass alle Hoffnungen fahren, der du hier eintrittst

Es war einmal in einer träumenden Stadt, halb so alt wie die Zeit selbst. Noch immer überragte Das Schloss dunkel und unheilvoll die verfallenen Häuser und labyrinthischen Gassen der Altstadt, in denen seit jeher Vorsehung und Chaos zusammentrafen. Immer wieder verschwanden hier Anwohner und Touristen, ohne Spuren zu hinterlassen, was der Nähe der Katakomben und ihren grauenhaften Bewohnern zugeschrieben wurde.

Der fiebrige Rhythmus ferner Voodoo-Trommeln beherrschte die Dunkelheit. Wir rannten durch den Irrgarten des Nachtmarkts, verfolgt von vermummten Mitgliedern des Höllenfeuer-Klubs. Die Luciferi waren für die Grausamkeit berüchtigt, mit der sie verstümmelten und mordeten.

Hinter den Schießscharten der verrammelten Läden und Lokale drängten sich die Schaulustigen. Jene, denen es nicht gelungen war, sich in einem der Gebäude in Sicherheit zu bringen, verfolgten die Blutjagd aus nächster Nähe. Im Takt der Trommeln schlugen sie mit ihren Klingen gegen Holz und Metall.

Unsere Flucht endete am Planetarium, nahe dem Abgrund über der schlafenden Stadt. Sie hatten uns zu einem der Stollen gehetzt. Ein bis zur Unkenntlichkeit verwitterter, über gekreuzten Knochen in den Fels eingelassener Schädel markierte den Eingang zur Unterwelt. Aus den Tunneln zogen Nebelschleier durch die Gitterstäbe des mit massiven Holzbalken vernagelten Tores.

Uns blieb kein Ausweg.

Zu beiden Seiten des Labyrinthes gähnte die unergründliche Tiefe. Verkümmerte Pflanzen krallten sich in den Abhang. Ihre knorrigen Wurzeln ragten aus dem zerklüfteten Fels hervor. Während wir hinab auf das kalte Neonlicht der Smaragdstadt starrten, nahten unsere Verfolger gemächlichen Schrittes.

Wir hatten einen der ihren getötet, und sie würden sich unsere Köpfe holen!

Wenige Stunden zuvor wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, dass ich um mein Leben fürchten musste, auch wenn sich seit Wochen die Anzeichen mehrten, dass das Ende der Zeit nahte.

Die Geschichten über die Spiralmänner, die meinen Großeltern noch Angst eingejagt hatten, waren seit Langem vergessen. Nur die Alten trafen sie im Schlaf, sprachen im Wachen aber nie von ihnen. Heutzutage glaubte keiner mehr daran, dass der Weltuntergang bevorstand, wenn sie wieder auftauchten. Lediglich die Insassen des städtischen Irrenhauses schrien ihre unverständlichen Warnungen in die Dunkelheit hinaus, doch kaum jemand achtete auf die Voraussagen aus den Gefilden des ­Deliriums, von dem aus ein düsterer, schmaler Treppenschacht hinauf zu den seltsam unwirklichen Bauwerken des Botanischen Gartens führte.

In den Chroniken der Geisterstadt fanden sich flüchtige Hinweise, dass manches dieser Gebäude bereits alt gewesen sei, lange bevor sich die Menschen am Ufer der Moldau angesiedelt hatten. Sowohl der Rote Turm des Alchemisten als auch Midian wurde erwähnt, doch die Herkunft der Bauwerke blieb verborgen.

Unzählige Legenden rankten sich um die Heimstätten der Verdammten.

Die merkwürdigsten Geschichten kursierten über Rabensteins Labor. Der berüchtigte Alchemist hatte die Nebel des Orion noch kurz vor dem Bau der Großen Mauer besucht. Es wurde gemutmaßt, er habe bei seinen Forschungen zum Chaos, dem Urzustand der Welt, die Alten Götter erzürnt. Manch einer glaubte, das Verschwinden Midians sei eine fatale Folge der gewagten Expedition gewesen.

Im Laufe der Zeit hatte das Wachstum der exotischen Vegetation das Antlitz der verfallenen, im Stile der unterschiedlichsten Epochen erbauten Türme, Kuppelbauten und Minarette verändert. So war ein sagenumwobener, verwunschener Ort entstanden, dessen dunkles Herz Das Asyl der Altstadt genannt wurde. Unter den pflanzenüberwucherten Gebäuden befanden sich weitverzweigte, zum Teil überflutete Tunnel.

Fand man einen der Eingänge zur Unterwelt, war alles möglich, und selbst die Todeshändler scheuten den Schritt hinab in die verbotenen Schächte. Nur Verzweifelte und Verrückte betraten die Gänge abseits des frei zugänglichen Teils der Katakomben. Es hieß, das Brechen der mit dem Bildnis der Göttin Kali versehenen Tonsiegel an der Pforte sei mit einem schrecklichen Fluch belegt.

Seit dem rätselhaften Blitzeinschlag im Altstädter Brückenturm waren die Hängenden Gärten geradezu besessen vom Okkulten. Man munkelte, etwas unsagbar Böses sei bei dem Brand im Spiegelzimmer freigesetzt worden. Gerüchte sprachen von der Wiederkehr der Pest, und schnell verbreitete sich über das Funkfeuer die Nachricht, die Prager Gothic-Rock-Legende XIII. Stoleti habe ein neues Album aufgenommen. Es handelte sich um das erste Lebenszeichen der Band seit fast einem Jahrzehnt. Alle Exemplare der Lichtbogen-Crash-EP waren bereits am Tag der Veröffentlichung restlos ausverkauft worden. Rückwärts abgespielt fand sich im Text die auf Deutsch gesprochene Botschaft: ­Armageddon folgt dem Feuer.

Der Verrückte Spielzeugmacher fertigte Amulette mit Abbildungen des brennenden Turms, die nicht selten als Obolus für die Fahrt über den Styx unter der Zunge von Toten gefunden wurden.

Als sich in den Umrissen des Mondes ein schemenhafter roter Drache abzuzeichnen begann, prophezeite ­Lunare, der berühmte mechanische Astrologe des Goldenen Gässchens, dass die Verstorbenen schon bald unter den Lebenden wandeln würden. Zeitgleich hatte eine entsetzliche Mordserie begonnen. In rascher Folge waren bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte Leichen in Nähe der Katakomben gefunden worden. Die alte Hysterie breitete sich von Litfaßsäule zu Litfaßsäule, über den Ǽther zu den psychiatrischen Behandlungszimmern aus: Jack sei zurückgekehrt, und die Toten reisten schnell!

Der Mythos des Rippers hatte anfänglich scharenweise Touristen angelockt, doch die Sensationsgier war schnell versiegt, nachdem bekannt wurde, dass die blutigen Kameraimplantate verschwundener Nachtschwärmer bei den Organhändlern des Nachtmarkts aufgetaucht waren. Todesclips ihrer letzten Augenblicke verbreiteten sich virengleich weit über die Stadtmauern von Metroprag ­hinaus, und das schemenhafte Grauen beschwor lange vergessene Ängste herauf. Der Alchemist destillierte aus dieser Angst das neue Voodoo-Elixier für die Adrenalin-Junkies. Die rauschbringende Essenz wurde in Parfümfläschchen aus dem China der Ming-Zeit abgefüllt. In den roten Ton waren obszöne Sexszenen und Abbildungen von Höllengöttern geprägt. Sie wurden von den ­Straßenapothekern im Asyl zum Verkauf angeboten und fanden sich gleichermaßen in teuren Handtaschen, modischen Geh­röcken und abgetragenen Lederjacken. In tief in das Fundament gegrabenen Tunneln und mondänen Nachtklubs vermischten sich Dekadenz und Todesnähe so zu einem albtraumhaften Cocktail.

Die Nachfrage nach neuem, immer extremerem Grauen stieg, was professionelle Todeshändler zum Nachtmarkt lockte. Das Kopfsteinpflaster im Labyrinth der Hängenden Gärten wurde seit Wochen von Cliphändlern, Kopfjägern und Blutreportern bevölkert. Der stetige Nachschub aus der Büchse der Pandora forderte einen ungewohnt hohen Blutzoll. Dies hatte die Händlergilde veranlasst, zur Verstärkung der Nachtwache zusätzliche Söldner anzuheuern. Sie rekrutierten sich vorrangig aus ledergekleideten Jagdmeistern, deren tätowierte, von scharfen Zähnen gezeichnete Körper nicht selten mit Stahl und künstlichen Muskeln verstärkt waren.

Der übliche Broterwerb dieser exotischen Jäger war es, die Abschussprämie für menschenfressende Flusskrokodile und mutierte Reptilien zu kassieren, von denen die Einwohner innerhalb der Stadtmauern bedroht wurden. Im Grunde wusste jeder, dass es sich bei ihnen um gnadenlose Halsabschneider handelte, doch in diesen gefährlichen Zeiten waren selbst sie gerne gesehen. Dennoch wurden jede Nacht entsetzlich zugerichtete, oft noch unnatürlich lange zuckende Leichen unter den toten Augen des träumenden Golems in seiner in das Mauerwerk der Karlsbrücke eingelassenen Gruft gefunden.

Die Nacht im Orchideengarten

Schon seit Wochen leerten sich die Randbezirke des Asyls mit Beginn der Dunkelheit. Seither verirrte sich kaum noch ein Besucher in mein Kino, egal, welche Kostbarkeiten ich zeigte. Nur bei Vollmond, wenn ich John Brahms Der Schlitzer von London aufführte, fanden sich noch zahlende Gäste ein, von denen einige ähnlich beängstigend auf mich wirkten wie der Hauptdarsteller des Films.

Seit der Sender XXIII über diese Ripper-Nächte berichtet hatte, bestand das Publikum ausschließlich aus diesem lichtscheuen Gesindel. Nach jeder Vorstellung musste ich den Saal ausgiebig lüften, um ihren ekelhaften Gestank loszuwerden. Dabei lohnte es sich kaum, den Raum zu heizen.

Im Grunde konnte ich das Kino ganz schließen!

Anfang der Woche hatte mir ein Mitarbeiter von Videodrome, einem Lebemann und Abenteurer, der mit außerirdischen Artefakten und verderbten Träumen handelte, das Angebot unterbreitet, den Streifen käuflich zu erwerben. Solange der Ripper in der Altstadt wütete, wollte er ihn regelmäßig von einem seiner Blutkanäle ausstrahlen lassen.

Noch konnte ich mich nicht dazu durchringen, ihn zu veräußern, doch irgendetwas musste ich unternehmen. Weitere zwei Wochen ohne Einnahmen, und mir würde nichts anderes übrig bleiben, als mich von einigen der Filme oder gar dem Projektor zu trennen.

Es wäre nicht das erste Geschäft, mit dem ich scheiterte. Als junger Mann hatte ich vom Verkauf seltener Schriften und Folianten gelebt. Ich handelte mit Büchern, an denen mein Herz hing, um in einer Welt überleben zu können, die mir nichts bedeutete. Von vielen Exemplaren hatte ich mich nicht trennen können, obwohl mich dieses Geschäftsgebaren an den Rand des Ruins brachte. Sie fanden sich noch heute in meinem Besitz.

In jenem langen, kalten Winter, in dem selbst die Moldau zugefroren war und die Händler ihre Stände auf dem Eis errichtet hatten, konnte ich nicht einmal mehr genügend Geld für Brennholz auftreiben. Um nicht zu erfrieren, war ich gezwungen gewesen, so viel Zeit wie möglich in geheizten Räumen zu verbringen. Der zufällige Besuch einer Mitternachtsvorstellung von Robert Wienes Das Cabinet des Dr. Caligari hatte mich dabei in eine fremde, seltsam faszinierende Schattenwelt geführt. Noch Monate später glaubte ich manchmal, ich würde mich durch die verschlungenen Gassen einer merkwürdig farblosen Stadt bewegen, die sich im Umkreis eines diabolischen Jahrmarktes angesiedelt hatte.

Zusehends verfiel ich in eine Art moralische Anarchie. Meine Welt, meine Regeln! Seltene Bücher, exotisches Essen, Gothic-Rock und ein nie endender Reigen an Drogen und fleischlichen Genüssen bestimmten mein Leben. Regelmäßig besuchte ich nun die Mitternachtsvorstellungen der Programmkinos. Nosferatu, M – Eine Stadt sucht einen Mörder, Die schwarze Katze, Alraune und der Golem, Der Mann, der zweimal lebte, Dracula und ­Wolfen. Die Jagd nach weiteren, vorrangig schwarz-weißen Kostbarkeiten wurde zu meiner Obsession.

Wann immer es mir möglich war, bereiste ich weit entfernte Städte, um Filmkopien, Plakate und Aushangfotos zu erwerben. Während einer dieser Expeditionen stieß ich in den Gewölben eines verfallenen Kinos, tief in den verschneiten Karpaten, auf einen vollständigen Satz der Zellu­loid-Rollen von Tod Brownings London After Midnight.

Dieser legendärste aller verschollenen Filme weckte schnell das Interesse begüterter Cineasten. Drei Jahre lang zog ich von Metropole zu Metropole, um den Streifen in exklusiven Klubs aufführen zu lassen.

Lon Chaneys Rückkehr auf die große Leinwand ermöglichte es mir, in Metroprag mein eigenes Lichtspielhaus zu eröffnen. Das Koma Kino, eine Heimstadt für die Gesellschaft der Schatten.

Dank der gut besuchten Mitternachtsvorstellungen hatte ich mich bis vor kurzem dem Müßiggang hingeben können. Ich wohnte in Josefov, dem ehemaligen Judenviertel, das von den Einheimischen Whitechapel genannt wurde, seit Jack the Ripper hier im Winter des Jahres 1891 sein Unwesen getrieben hatte.

Zu den ersten Opfern des Serienmörders gehörten zwei Inspektoren von Scotland Yard, die ihm von London aus nach Prag gefolgt waren. Die Zeitungsmeldungen über ihr schreckliches Ende verdrängten damals selbst die Schlagzeilen über den – wie sich drei Jahre später herausstellen sollte – fingierten Tod von Sherlock Holmes von den ­Titelseiten.

Die verstümmelten Leichen der beiden Inspektoren waren auf der Schwelle eines mittelalterlichen Gebäudes gefunden worden, das in einer ausgestorbenen Gasse inmitten des Elendsviertels lag. Zu jener Zeit befand sich im Keller des Hauses eine berüchtigte Lasterhöhle.

In ganz Josefov stank es unglaublich. Ratten und Ungeziefer machten dem dort lebenden Gesindel den Platz streitig.

Nachdem Maria Theresia der jüdischen Bevölkerung die Bürgerrechte in ganz Böhmen gewährt hatte, verließen die wohlhabenderen Familien das ummauerte Getto. Ihre Wohnungen, ungeheizte Löcher ohne fließendes Wasser und Kanalisation, wurden von den Ärmsten der Armen in Besitz genommen.

Viel zu viele Menschen hausten hier auf engstem Raum zusammen. Prostitution und Verbrechen wucherten wie ein Krebsgeschwür in die besseren Gegenden der Stadt hinein.

Um die Jahrhundertwende herum wurden die meisten der elenden Häuser niedergerissen und durch moderne Bauten ersetzt, die den Spekulanten die Taschen füllten.

Heute stand an gleicher Stelle ein vierstöckiges Jugendstilhaus, von dem eine ungemein morbide Atmosphäre ausging. Es war von dem als Hexenmeister verschrienen Petr d’Argon entworfen worden. Der damaligen Mode entsprechend, zierten von rankenden Blumenornamenten umgebene Frauenkörper die Wände. Ebenso wie die verschwenderischen Holzarbeiten und die üppigen Muster der aus farbigen Glassegmenten zusammengesetzten Scheiben in den Türen und Fenstern, kämpften die verblassenden Malereien gegen das Vergessen an. Doch die Zeit machte nur vorm Teufel halt.

Schon seit ich das Haus das erste Mal gesehen hatte, war es mir nicht mehr aus dem Sinn gegangen. Als eine der Wohnungen zum Verkauf angeboten wurde, hatte ich die Gelegenheit ergriffen und sie erworben. Nach und nach richtete ich die Räume nach meinem Geschmack ein. Alle Zimmer waren angefüllt mit kostbaren Möbeln, dicken Teppichen, wertvollen Gemälden und alten Zeichnungen.

Mein Domizil erstreckte sich über das gesamte Dachgeschoss des Hauses. Vom Turmfenster aus konnte ich die eingesunkenen Grabsteine des jüdischen Friedhofs sehen, um den sich seit alters her so viele Legenden rankten.

Der offene Kamin des Opiumzimmers, in dem sich meine Bibliothek befand, war ein Traum aus Tausendundeiner Nacht. Die Decke des Raumes bestand aus geschliffenem Kristallglas, das im Mondlicht in den unirdischsten Farben glühte.

Hoch über der fiebrig träumenden Stadt verbrachte ich hier den Großteil meiner Nächte mit dem Studium seltener, obskurer Bücher, doch statt in der Sicherheit meines gemütlichen Heims zu verweilen, trieb mich ein seltsamer Zwang wie zur Buße immer wieder in selbstzerstörerische Situationen.

Auch diese Nacht atmete Wahnsinn. Einem Insassen des Deliriums war es am Abend gelungen, sich mit den Zähnen die Schlagader aufzureißen. Ehe er sein Leben aushauchte, hatte er irgendetwas mit seinem Blut an die Wand der Zelle geschrieben. Ich sah mir den Todes-Clip, der zu den am häufigsten ausgestrahlten der Blutkanäle zählte, immer und immer wieder an.

Inzwischen glaubte ich, Cthulhu fhtagn entziffern zu können. In seinem Haus zu R’lyeh wartet träumend der tote Cthulhu! Welch furchtbare Drohung.

Es ist nicht tot, was ewig liegt!

Wenn man Doktor Rabensteins Traktat Zur Lobpreisung der Dunklen Götter Glauben schenken durfte, waren solche Schmierereien das erste Mal in der Nacht auf den 19. Juli vierundsechzig in Rom aufgetaucht, als neun von vierzehn Stadtteilen brannten, während Nero zur Lyra Verse zum Fall Trojas vortrug.

Seither fanden sie sich überall dort, wo das Chaos wütete!

Seit Stunden versuchte ich mir nun einzureden, dass ich mich geirrt hatte, doch das Böse zog die Stadt abwärts, einem grausigen Ende entgegen. Die Meldungen über schreckliche Unfälle und mysteriöse Selbstmorde häuften sich. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Ich fürchtete meine Träume. Was blieb, waren eine Kanne Tee, das vertraute Klicken der Würfel oder einige Blüten des Bösen.

Warten auf das Ende der Zeit!

Gekleidet in nachtschwarzem Heroin Chic, machte ich mich auf den Weg zu den Feuern der Nacht. Lediglich die abgetragene Lederjacke stammte nicht aus einer der teuren, auf schäbig getrimmten Boutiquen am Wenzelsplatz, die eine Rasierklinge, Seife oder das Symbol der Anarchisten als Hauszeichen führten.

Sie hatte meinem Großvater gehört und wärmte mich seit meiner Jugend in den dunkelsten Nächten.

Ausgetretene Treppenstufen wisperten die Geheimnisse von Jahrhunderten in die Nacht. Sie verfolgten meine Schritte in den Abgrund der Welt. Über dem Asphalt wütete ein Sturm, der in der Lage war, selbst die mächtigsten Gebäude nach Oz zu tragen.

Inmitten der Schatten, im Angesicht der sich windenden Schemen über dem fahlen Schein des Mondes, die mich unwillkürlich an William Blakes Aquarell Der große Rote Drachen und die mit der Sonne bekleidete Frau erinnerten, würde niemand die Existenz des Bösen leugnen.

Die Straßenschluchten wurden zum Schlachtfeld dunkler Götter, während sich die Schritte sterblicher Menschen unbeachtet in der Unendlichkeit verloren.

In der ehemaligen Wachstube, die zum Tor der verfallenen Mauer um die Siedlung der Altneu-Synagoge herum gehört hatte, betrieb Max Orloff ein auf schäbige Art gemütliches Lokal, den Orchideengarten, die letzte Zufluchtsstätte für die Verlorenen.

Unzählige Kerzen warfen Schattenspiele auf die mit Kondenswasser beschlagenen Fensterscheiben der Gaststube. Die Flammen projizierten Traumbilder in die Dunkelheit, zu denen die vergessenen Helden des Wave den melancholischen Soundtrack lieferten.

Orloff besaß eine Vielzahl unschätzbarer Kostbarkeiten auf knackendem Vinyl. Es handelte sich um eingefrorene Momentaufnahmen mitternächtlicher Schatten. Blass und kahlköpfig wirkte er selber wie einer der ­Schattendämonen, die er in so vielen, lange vergessenen Episoden der Traumstaub-Filmserie dargestellt hatte. Fast konnte man glauben, er sei dem vergilbten Kinoplakat entstiegen, das hoch über dem Eingang des Lokals kreischend im Wind schaukelte.

Hinter der Theke standen eingestaubte, mit dem Namen verschwundener Stammgäste gekennzeichnete Branntweinflaschen neben in Alkohol konservierten Reptilien, denen Vergänglichkeit und Verwesung die Konturen geraubt hatten.

So als handele es sich um Strandgut der Zeit, lagen mehrere Schichten abgetretener Teppiche über den Boden verstreut. Angeblich verbargen sie in das Fundament des Gebäudes eingelassene Glasplatten, die den Blick hinab in den Garten der Lüste ermöglichten.

Sicherlich war dies kaum mehr als ein Gerücht, doch der Gedanke, zu unseren Füßen würden sich unsagbare Orgien abspielen, war durchaus erregend. Wahrscheinlicher war es jedoch, dass sich irgendwo dort unten das Torture-Chamber befand, das von der Hunting Lodge für die Produktion der berüchtigten tribal warning shot Filme genutzt wurde.

Die barbarischen Sex- und Folterstreifen wurden exklusiv von Videodrome vertrieben. Es gab kaum jemanden, der zugab, den Sender XXIII abonniert zu haben. Dennoch war es der erfolgreichste Blutkanal, der aktuell ausgestrahlt wurde.

Zwischen Miniaturwäldern in Glassäulen, die mit giftgrün glimmendem Nebel angefüllt waren, pseudo­wissenschaftlichen Exponaten und erotischen Plastiken aus den Goldenen Zwanziger Jahren, verbarg sich eine schemenhafte Gesellschaft von Nachtexistenzen. Sie waren auf der Flucht vor dem Albtraum der Realität.

In der Hoffnung, den Schweif des Teufels zu erhaschen, beanspruchten Abenteurer und Kopfjäger die Fensterplätze, während Todeshändler auf der Jagd nach den Reliquien des Rippers unablässig die Blutkanäle des Ǽthers durchforschten.

Tiefer im Dunkeln, auf abgewetzten Sofas und wackeligen Stühlen, saßen jene, die oftmals vergeblich hofften, dem Teufel niemals zu begegnen. Zwischen ihnen fand ich meinen Platz, bestellte eine Kanne Gewürztee und starrte in das unruhige Flackern der allmählich erlöschenden Kerzen. In der Wärme des Kachelofens lag das Versprechen auf Schlaf. Mir fielen fast die Augen zu, doch im Schlaf lauerte die Eintrittskarte zur dunklen Seite des Mondes. Dem Nachtmahr, der uns alle verschlingen würde!

Meine Träume führten mich stets zurück in die düsteren Gewölbe, tief unten in den Eingeweiden der Stadt. Zu meinen Kunden gehörten in jener Zeit zwei rätselhafte Herren aus dem fernen Cathay. Sie waren der stetige Quell eines süßverdorbenen Duftes, der mich unwillkürlich erschauern ließ. Noch heute glaubte ich manchmal, ihr heiseres Flüstern in der Dunkelheit zu vernehmen. Ein leises Wispern in den Schatten.

Ihr Interesse galt dem Okkulten. Sie investierten hohe Beträge in seltene Bücher, für die sie mit abgegriffenen Silbermünzen bezahlten, die bei einigen Händlern des Nachtmarkts gegen ein Vielfaches des Materialwertes eingetauscht werden konnten. In die Oberfläche der Geld­stücke waren Abbildungen von labyrinthischen Bauwerken geprägt, deren Architektur den physikalischen Gesetzen gänzlich widersprach.

Es handelte sich um pures Chaos inmitten scheinbarer Ordnung!

Eines Abends, ich hatte meinen Laden gerade schließen wollen, schlugen sie mir vor, ich solle als Mittelsmann für die Einfuhr alter Kunst aus ihrer Heimat fungieren. Ohne Zweifel handelte es sich dabei um ein interessantes, wenngleich äußerst gefährliches Angebot. Das karge Land gehörte zu den Traumlanden. Zoll und Inquisition achteten peinlich genau auf Einfuhren und kontrollierten jede Lieferung.

Noch lange, nachdem sich die beiden an diesem Abend entfernt hatten, verweilte ihr Geruch, das Unglück anziehend, in meinem Laden. In den folgenden Nächten träumte ich von erschreckenden Abenteuern in den regennassen Gassen einer verderbten Stadt, irgendwo am anderen Ende der Welt. Mehrere Wochen lang, in denen sich unerklärlicherweise zunehmend weniger Kunden in meinen Bücherladen verirrten, dachte ich über ihren Vorschlag nach. Dem Bankrott nahe, willigte ich schließlich ein, nach Cathay zu reisen.

*

Bei der Erinnerung an das befremdliche Land mit seinen absonderlichen Bewohnern wurde ich noch immer von Furcht übermannt.

Ich erreichte die Stadt zur Zeit der Mondfinsternis.

Erneut glaubte ich, die verdorbenen Gerüche der wild wuchernden Pflanzen wahrzunehmen und hörte den ständigen Regen auf das Dach meines schäbigen Quartiers trommeln.

In der siebenten Nacht meines Aufenthalts besuchte ich die albtraumhaften Räumlichkeiten des Cathayer Saloons. Dort, inmitten einer unglaublichen Sammlung phantastischer Malerei, stellte ich den Kontakt zum Oberhaupt eines traditionsreichen Handelshauses her, dem ich auftragsgemäß sechs antike Silbermünzen übergab, die zu schweben begannen, als er sie zusammenfügte.

Er führte mich hinab in die Tunnelstadt, zum Kontor eines verwachsenen Mannes, dessen tätowierte Haut von Hunderten Nadeln durchstoßen wurde.

Wieder spürte ich das Adrenalin durch meine Venen kreisen, wie in jenem Moment, da er mir das obskure Objekt übergeben hatte, an das mir später jegliche Erinnerung fehlte. Wenn ich fortan versuchte, mich daran zu erinnern, bekam ich schreckliche Kopfschmerzen. Nur manchmal, in fiebrigen Nächten, offenbarten mir flüchtige Traumsplitter Trugbilder einer reptilienähnlichen Kreatur, deren schlangengleich verwobene Glieder den Blick auf einen seltsam begehrenswerten Körper freigaben.

Die betörende Bestie existierte im Inneren eines schwarzen Raumes, der lebende Materie absorbierte. Das Dunkel strahlte eine furchtbare Hitze aus, die mich, dem Wahnsinn nahe, schweißgebadet erwachen ließ, ehe mein Geist im Feuer verging.

*

Orloff brachte mir meine Bestellung. Ich griff nach der Metallkanne und schenkte mir Tee ein. Dann gab ich Milch und reichlich Zucker dazu und kramte eine Tafel Schokolade aus der Tasche.

Nachdem der süße Gewürztee die Schatten der Vergangenheit vertrieben hatte, beobachtete ich die Nachtbrut mit ihren Absinth-Gläsern, Rauchutensilien und synthetischen Drogen.

Die Königin der Nacht regierte ihr Reich mit schrecklicher Schönheit! Weißer Rauch durchzog die eingefrorenen Welten im Inneren der Wasserpfeifen. Mit jedem Atemzug glühten die blutroten Augen teuflischer Fratzen auf. Der süße, traumbringende Duft der Drogen lag wie Nebel in dem überheizten Raum.

Spinnen und Skorpione, gezeichnet mit den Insignien des Alchemisten, krochen über ausgemergelte Körper. Sie schlugen ihren Stachel in zerstochene Venen.

Die grüne Fee, die im Absinth lebte, küsste ihre Freier, um ihnen die Seele zu rauben. Nur die Todeshändler und Kopfjäger verschmähten ihre Gunst.

Sie warteten auf neue Nachrichten aus der Hölle!

Über die Wände des Lokals flimmerten ausländische Wochenschauen. Die grobkörnigen Bilder zeigten den berüchtigten Bunker 51, der sich irgendwo in den militärischen Sperrgebieten des Thüringer Waldes befand. Der Reporter berichtete, das parapsychologische Institut der Akademie der Wissenschaften in Berlin habe eine Expedition nach Metroprag entsandt, die unter Führung eines hochrangigen Mitglieds des Deutschen Herrscherhauses die Sichtung von Flugscheiben über dem Hradschin untersuchen würde.

Amüsiert schüttelte ich den Kopf. Wahnsinn und Verschwörungstheorien. Schon seit Wochen machten wilde Gerüchte die Runde, mehrere Großmächte hätten Agenten in die Stadt geschickt, um ein im Niemandsland abgestürztes Flugobjekt zu bergen. Ebenso wie der Ripper würden diese Alien-Jäger die nächtlichen Straßen durchstreifen.

Ich trank von dem Tee, lehnte mich zurück und schloss die Augen. Wieder verloren sich meine Gedanken in der Vergangenheit.

Nach einer entbehrungsreichen Reise durch die zerklüfteten Bergregionen des indischen Subkontinents war ich zu einem verfallenen Hafen gelangt, der auf den Seekarten nicht verzeichnet war. Die Gewölbe der Altstadt wurden von schuppigen Kreaturen bevölkert, die nur noch entfernt an Menschen erinnerten. Mit ihrer Hilfe gelang es mir, drei verschlossene Kisten nach Metroprag zu schmuggeln.

Die Übergabe der Behälter sollte am Tag nach meiner Ankunft in den Katakomben stattfinden. Ich war wirklich froh, die Gegenstände so schnell aus dem Haus zu bekommen, denn sie raubten mir den Schlaf. Eine seltsame Unruhe hatte mich erfasst, seit sie in meinem Besitz waren.

Meine Auftraggeber erwarteten mich in einer spärlich beleuchteten Halle. Ich konnte sie schon von ­Weitem ­riechen. Ihr eigentümlicher Körpergeruch überlagerte selbst den Gestank des Abwassers.

Die beiden waren in rote Kutten gehüllt. Um den Hals trugen sie massive Goldketten, an denen Elfenbeinschnitzereien krakenähnlicher Wesen befestigt waren.

Chaos-Kult!, schoss es mir durch den Kopf, als ich sie sah. Selbst die merkwürdig geschnittenen Bärte der Männer konnten das entrückte Lächeln nicht verbergen, mit dem sie jeden meiner Schritte beobachteten. Ihre Augen erinnerten mich an Reptilien. Als ich dicht genug vor ihnen stand, um die wabernden Schatten in der Dunkelheit um sie herum wahrnehmen zu können, begannen die beiden, gleichzeitig wie ein Mann im Chor zu sprechen. Mit monotoner Stimme wiesen sie mich an, das Schmuggelgut zu ihnen in das Gewölbe zu schaffen.

Während ich die schweren Kisten in den Tunnel schleppte, fiel mir auf, dass bei einer das gefälschte Einfuhrsiegel der Inquisition verkohlt war, so als habe Feuer aus dem Inneren das Kreuz ausgelöscht.

Die beiden Männer standen wie erstarrt da und blickten mir mit versteinerten Gesichtszügen entgegen. Sie schienen nicht mehr zu atmen. Auf ihr Geheiß hin öffnete ich den Behälter, der mir eben schon aufgefallen war. ­Schuppige Ranken peitschten mir daraus entgegen. Ihre scharfkantigen Dornen zerfetzen mein Fleisch, und der Schmerz führte mich tief in die Dunkelheit hinein.

Als ich wieder zu mir kam, lag ich zusammengesunken auf dem Boden des Abwasserkanals. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre ertrunken.

Die Herren aus Cathay waren verschwunden. Selbst ihr Geruch hatte sich inzwischen verflüchtigt.

Meinen Lohn hatten sie achtlos in den Dreck geworfen. Dreißig Silberlinge. Mit ihnen finanzierte ich später die Expedition in die Karpaten. Dort hatte ich mich vor den Unbilden der Witterung in eine lange verlassene Geisterstadt flüchten müssen, wo mir die Filmrollen in die Hände gefallen waren, die über so viele Jahre meinen Lebensunterhalt gesichert hatten.

Nachdem meine Wunden vernarbt waren, verunstalteten verschlungene Symbole meinen Körper. Von Rachsucht getrieben suchte ich nach den Männern, die mir das angetan hatten, sah sie aber niemals wieder durch die Straßen der Altstadt streifen.

Auch die Kisten aus jener anderen Welt blieben verschwunden. Im Laufe der Zeit hatte ich versucht, das Geschehene zu verdrängen, doch tief im Innersten wusste ich, dass etwas unsagbar Böses meine Welt betreten hatte.

Grauen, das in der mystischen Vergangenheit eines sagenhaften, vom Chaos beherrschten Landes wurzelte.

Es mag seltsam klingen, aber seither hatte sich alles verändert! Schleichend, fast unbemerkt, verschwanden ganze Stadtviertel.

Die Verbotenen Zonen wuchsen wie Pilze aus dem Boden. Überall gab es außerirdisches Gestein zu kaufen, und an jeder Straßenecke wucherten exotische Pflanzen, die in unseren Breitengraden früher nicht heimisch gewesen waren.

Manchmal des Nachts, wenn der Regen auf das Dach meiner Wohnung trommelte, hatte ich das Gefühl, auf ewig in Cathay gestrandet zu sein.

Die Sekunden verrannen wie geschmolzenes Blei. Am Altstädter Ring verklang der dritte Glockenschlag der St.-Nikolaus-Kirche. Er kündete vom Jahr der Pest, dem Zeitalter der toten Seelen. Die schwere Eisentür öffnete sich. Kälte strömte in den Raum hinein, als ein neuer Gast Zuflucht an den Feuern der Nacht suchte.

Der Fremde schien von weither zu kommen. Seine Kleidung, abgetragen und staubbedeckt, wirkte selbst hier exotisch. Der Mantel war aus Reptilienleder gearbeitet worden. Die Knöpfe bestanden aus den silbern eingefassten Zähnen der tödlichen Kreaturen. Blickdichter Stoff hing wie Spinnweben von der Krempe seines Zylinders herab.

Minutenlang starrte er aus der Schankstube zurück auf die Straße hinaus, so als glaube er, verfolgt zu werden. Doch da waren nichts als Schatten im Nebel.

Schließlich wendete er sich ab und durchquerte den Raum. Für Augenblicke zog er das Interesse der Kopf­jäger auf sich, während er ins Dunkel hineinglitt. Schwarze Flammen spiegelten sich im rot getönten Glas seiner Brille, das auf eine Art geschliffen war, die ich vorher noch niemals gesehen hatte. Der Mann legte Zylinder und Mantel ab, nahm auf dem Diwan mir gegenüber Platz und zog eine mit spiralförmig angeordneten Schriftzeichen verzierte Schale aus der Tasche.

Mit dem Tongefäß wies er auf die Kanne, und ich schenkte ihm Tee ein, von dem er kostete, während die menschenleeren Straßen weiter seine Aufmerksamkeit gefangen hielten.

Beinahe eine Stunde war inzwischen vergangen, ohne dass weitere Gäste gekommen waren oder die Kunde von neuen Gräueltaten des Rippers die Fensterplätze geleert hatte. Ungeduldig warteten die Todeshändler darauf, dass der Serienmörder erneut zuschlagen würde. Während sie zwischen den Sendern der Blutkanäle hin und her wechselten, die sie in sich gekehrt auf den Bildschirmen ihrer runden Brillen beobachteten, berührten sie unbewusst immer wieder die Griffe ihrer Pistolen und Macheten.

Der Fremde starrte in die Flammen, ohne von seiner Umgebung Kenntnis zu nehmen, um dann plötzlich, so als habe ihn eine lang erwartete Nachricht erreicht, aus seiner grüblerischen Weltabgewandtheit zu erwachen. Feuerzungen brachen sich im Pentagramm seines Ringes, während er vorsichtig eine zerbeulte Tabakdose öffnete, um zwischen spitzen Fingernägeln eine zuckende Spinne ans Licht zu fördern.

Das Siegel des Alchemisten fehlte, was den Biss des Traumträgers zu einem unkalkulierbaren Wagnis machte. Beiläufig setzte er sich das Tier an den Hals und wartete auf den Schmerz.

Während ihm die Spinne den schwarzen Staub in die Venen jagte, bäumte sich sein Körper auf. Er begann zu zittern und sein Blick wurde glasig. Unterdessen huschte die Spinne davon, um sich zum Sterben in eine finstere Ecke zu verkriechen.

Als er erstarrte, hielt ihn die Wirrnis fest im Griff. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf seinen im Flammen­schein funkelnden Ring.

„Mancher glaubt, dieser Ring habe einst Bela Lugosi gehört“, begann er unvermittelt zu sprechen. Sein Akzent rief in mir Bilder der schneebedeckten Hänge des Borgo-­Passes in den Karpaten wach. „Man sagt, sein Besitzer lebe ewig, und mancher glaubt, ich hätte Lugosi deshalb getötet.“ Er sah auf und blickte mir mit beängstigender Intensität in die Augen. „Glaubt Ihr, im Blut liegt Ewigkeit?“, fragte er schließlich leise, offensichtlich ohne eine Antwort zu erwarten. Ich hatte den Eindruck, er alleine wusste, ob Lugosi mit seinem Ring begraben worden war.

Dann förderte er aus den unergründlichen Tiefen seines Mantels ein reich verziertes Backgammon-Spiel und eine aus Knochen geschnitzte Figur zutage. Das Abbild einer orien­talischen Gottheit maß etwa fünfzehn Zentimeter. Die rot blitzenden Augen waren aus geschliffenen Edelsteinen gefertigt worden. Sie hatten etwas seltsam Hypnotisches an sich.

Während er das Spiel aufbaute, gelang es mir kaum, den Blick von dem Schmuckstück abzuwenden, das er zwischen uns auf den Tisch gestellt hatte.

Schließlich lagen sich die mit Traumsymbolen verzierten Spielsteine auf dem Backgammon-Brett gegenüber. Er deutete auf den Baudelaire, in dem ich bis dahin gelegentlich gelesen hatte. „Ihre dunklen Blumen gegen meine Traumgöttin“, forderte er mich zum Spiel heraus. Ich nickte zustimmend. Was immer es mich kosten würde, ich musste Sie besitzen! Die edelsteinbesetzten Augen der Traumgöttin verhießen mir die Erfüllung ungeahnter Lüste.

Die Würfel fielen.

Mein Gegenüber war ein vorsichtiger Spieler, dem das Glück gewogen war. Nach und nach trotzte ich ihm Siege ab, bis wir zur abschließenden, alles entscheidenden Partie kamen.

Wir teilten uns den letzten Tee, als er erneut zu sprechen begann. „Gleich wird sich Jack ’ne Seele fangen“, sagte er unvermittelt.

Bei seinen Worten lief es mir eiskalt über den Rücken. Mit jeder endlosen Sekunde zweifelte ich mehr daran, die grausige Prophezeiung aus dem Mund des Fremden vernommen zu haben, der gerade die Steine seines ersten Zuges setzte. Es schien mir, als wandle mein überreiztes Hirn, genährt durch Schlafentzug und bewusstseins­erweiternde Substanzen, am Rande des Wahnsinns. Dessen ungeachtet gewann ich das Spiel mit geradezu lächerlicher Leichtigkeit.

Der Fremde reichte mir den versprochenen Preis, während seine Pupillen feurig zu glühen begannen. Ich bekam einen elektrischen Schlag, als ich die Figur berührte. Sie fühlte sich heiß an, pulsierend vor Leben.

Plötzlich verstand ich. Er war ein Traumfänger. Die Essenz der Sünde und die Seele der Nacht vereinten sich in seinen Elixieren.

---ENDE DER LESEPROBE---